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Erdgasförderung in der DDR: Vergiftete Kumpel | Manuskript Erdgasförderung in der DDR: Vergiftete Kumpel Bericht: Heidi Mühlenberg Schon Spazierengehen strengt Wienhold Weber an. Er hat Quecksilber in seinen Nieren, den Knochen und im Gehirn. Wienhold Weber, früher Erdgasarbeiter Ich hab die Ärztin denn gefragt, welche Lebenserwartung ich hab. Da hat sie gesagt, Herr Weber so 45, höchstens 50. Naja, ich bin zwei Jahre tot schon eigentlich. 16 Jahre lang arbeitete er im Erdgasförderfeld in der Altmark bei Salzwedel, wo er die Messund Regeltechnik instand hielt und säuberte. Wienhold Weber, früher Erdgasarbeiter Da war ich mit meinem Arbeitskollegen, hab ein Druckgefäß gewartet, die Geber ausgebaut. Und beim Rausziehen des Gebers sind ungefähr zwei bis drei Kilo Quecksilber in die Wanne reingelaufen. Natürlich tropfte das in die Wanne rein. Und ich stand da wie ein Fotoblitz, weil das ja in Millionen feine Perlen zerstäubt ist durch das Runterfallen. Weber und seine Kollegen förderten Milliarden Kubikmeter Erdgas. Doch mit dem Erdgas kamen Abfallschlämme und Laugen nach oben, die giftigste Schwermetalle enthielten. Kaum geschützt waren die Kumpel ihnen ausgesetzt: Blei und Quecksilber, Cadmium, Arsen und krebserregendem Benzol. Schon mit 41 Jahren wurde Wienhold Weber arbeitsunfähig. Sein Kollege Klaus Stajenski erlitt ein ähnliches Schicksal. Das ist Klaus Stajenski heute. Der 70jährige hatte vier Schlaganfälle, leidet an Hautkrebs und Lähmungserscheinungen in den Beinen. Über 20 Jahre kam er täglich mit Quecksilber in Kontakt. Ein ärztlicher Gutachter bescheinigte ihm eine Berufskrankheit. Klaus Stajenski, ehem. Erdgasarbeiter Was Sie hier haben, sagte er, ist ne Schwermetallvergiftung. Es geht nicht mehr. Wenn ich meine Frau nicht hätte, wer weiß, wo ich da wär heute. Mit insgesamt 30 ehemaligen Kollegen kämpften die beiden Jahre lang um eine Entschädigung. Doch ihre Berufsgenossenschaften und die Richter lehnten sämtliche Anträge auf Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Angeblich seien die Erkrankungen der Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Erdgasförderung in der DDR: Vergiftete Kumpel | Manuskript Kumpel nicht auf die Einwirkung von Quecksilber zurückzuführen. Schriftlich teilte uns die Berufsgenossenschaft Rohstoffe /Chemische Industrie mit: „Bislang ist uns keine wissenschaftliche Studie bekannt, die eine erhöhte Gefährdung durch Quecksilber in der Erdgasindustrie belegt“. Doch das ist falsch. In einer wissenschaftlichen Studie von 2010 wertete der Historiker Hermann Bubke alte Stasi-Akten zur Kontamination der DDR-Kumpel mit Quecksilber aus. Er kommt zu dem Schluss: „Im Bereich Salzwedel/Peckensen sind ca. 150 bis 200 Arbeiter stark exponiert für Quecksilbervergiftungen, da sie ständig direkt oder indirekt mit dem Schadstoff in Berührung kommen.“ Dass Arbeiter an Bohrstellen für Erdgas noch immer gefährdet sind, belegen diese aktuellen Bilder. Ein Anwohner filmte diese Szene in Niedersachsen. Wegen der hohen Quecksilberbelastung trugen die Arbeiter Gasmasken und Vollschutz. Doch die Berufsgenossenschaft sieht noch immer keine ausreichenden Belege für die Gefährdung. In einem Fachgeschäft für Arbeitsschutzbekleidung testen wir: Was muss ein Arbeiter heute nach gesetzlicher Vorschrift tragen, wenn er wie die Kumpel in der DDR mit Quecksilber arbeiten muss? Olaf Weber vom Industrie- und Baubedarf Bitterfeld kleidet uns ein: Gasdichter Chemikalienanzug, dicke Spezialhandschuhe und Stiefel. Doch das reicht noch nicht. Olaf Weber, Industrie- und Baubedarf Bitterfeld Der Anzug sitzt jetzt über den Stiefeln und ist extra nochmal abgeklebt, damit nichts eindringen kann. Beim Einatmen von verdampftem Quecksilber besteht Lebensgefahr. Deshalb sind Maske und Atemgerät Pflicht Wir zeigen dem Experten, was die Kumpel zur DDR-Zeit trugen. Sein Urteil: Olaf Weber, Industrie- und Baubedarf Bitterfeld Null Arbeitsschutz , keine Handschuhe? – Kann man das machen? Nein, unverantwortlich, strafbar. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Erdgasförderung in der DDR: Vergiftete Kumpel | Manuskript Klaus Stajenski badet seit Jahren die Folgen aus. Heute werden wieder seine gelähmten Beine massiert. De facto verlangt die Berufsgenossenschaft von dem Schwerkranken den Nachweis, dass allein das Schwermetall die Ursache seiner Erkrankung ist. Das können weder er noch sein Ex-Kollege Wienhold Weber leisten. In Düsseldorf treffen wir in ihrer Kanzlei die Fach-Anwältin Miriam Battenstein. Sie kennt viele solcher tragischen Fälle. Gemeinsam mit ihrem Vater klagt sie seit 21 Jahren Entschädigungen für Arbeitnehmer bei den Berufsgenossenschaften ein. Miriam Battenstein, Kanzlei Battenstein & Battenstein Düsseldorf Es muss nicht mit letzter Sicherheit erwiesen sein, dass Quecksilberbelastung die Erkrankung ausgelöst hat. Vollbeweislich bewiesen sein muss eine Belastung gegenüber Quecksilber und die Erkrankung, die dazu passt. Und ob die Krankheit durch Quecksilber kommt, muss nur hinreichend wahrscheinlich sein. Das ist eine Beweiserleichterung, die das Gesetz zugunsten der Betroffenen vorsieht. Für die Salzwedeler Erdgaskumpel sieht die Rechtsanwältin immer noch gute Chancen. Wienhold Weber hat noch nicht aufgegeben. Er geht zu einem besonderen Arzttermin bei Peter Jennrich, Spezialist für Schwermetallvergiftungen. Weber leidet an Kräfteschwund, Panikattacken, nervösen Störungen und Lähmungserscheinungen. Peter Jennrich: Ihr Blutdruck ist 185 zu 110, viel zu hoch. Der Bluthochdruck und Quecksilbervergiftung sein. auch andere Symptome können die Folge einer Peter Jennrich, Facharzt Klinische Metalltoxikologie Das ist ein Video, das uns von der Universität Kentucky zur Verfügung gestellt worden ist. Hier sieht man ein Mikropartikel von Quecksilber, also eine völlig ungiftige und harmlose Menge, die würde unter jeden Grenzwert fallen, wie sie auf eine Nervenzelle wirkt und die komplett zerstört. Das heißt, es kann durch die chronische Aufnahme von geringen Quecksilbermengen zu neurologischen Krankheiten führen, Merkfähigkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen, Zittern oder Tremor zum Beispiel. Der Arzt hat selbst eine brandaktuelle Studie zur Wirkung von Quecksilber veröffentlicht und dafür die weltweit neuesten Forschungen ausgewertet. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3 Erdgasförderung in der DDR: Vergiftete Kumpel | Manuskript Peter Jennrich Nach Ansicht der amerikanischen Umweltbehörde ist Quecksilber die drittschädlichste Substanz weltweit. Vor Quecksilber kommen Blei und Arsen. Das heißt, die Kumpel haben mit den schädlichsten Substanzen weltweit gearbeitet, und das über Monate, Jahre und Jahrzehnte. Wienhold Weber und seine Kollegen waren genau diesen drei Stoffen ausgesetzt: Arsen, Blei und Quecksilber. Wirken die nun gleichzeitig auf den Körper ein, dann erhöht das ihre Giftigkeit noch zusätzlich. Diesen neu erforschten Effekt ließ die Berufsgenossenschaft komplett außer Acht. Miriam Battenstein, Rechtsanwältin Es macht meistens Sinn, neue Anträge zu stellen, wenn neue medizinische Erkenntnisse da sind. Dann sollte man die Angelegenheit überprüfen. Wienhold Weber denkt jetzt darüber nach, noch einmal vor Gericht zu ziehen. Fest steht, die Zeit wird knapp. Wienhold Weber Ich hab 134 Kollegen, die vorzeitig verstorben sind, und viele von meinen Kollegen, die noch da sind, sag ich mal, die sind alle schwerkrank. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 4