Was ist ein Drama? Aristoteles befand, dass ein Drama sechs
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Was ist ein Drama? Aristoteles befand, dass ein Drama sechs
Martin Baier Materialien Germanistik $QDO\VHYRQ'UDPHQ Was ist ein Drama? Aristoteles befand, dass ein Drama sechs Merkmale aufweisen müsse (der Renaissance-Poetiker Scaliger übernahm sie 1561 - daher die lateinische Übersetzung: , fabula , melodia , apparatum , sententia , dictio , mores Handlung Inhalt des Dramas: Kette von Begebenheiten: nicht nur Handlungen im engeren Sinne als absichtsvolle Tat, sondern auch Empfindungen (Trauer) oder Naturvorgänge (Gewitter) Gesang, Musik Musikalische Begleitung (Chorlyrik) Schau, Szenerie Szenische Darbietung (Bühne, Handlungen der Schauspieler, Requisiten etc.) Gedanke, Absicht Motiviertheit des Dramas Rede, Sprache Figurenrede (Monolog, Dialog) Charaktere Beschaffenheit der Figuren Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Drama ist Spiel – Rollenspiel. 1. 7LWHOXQG7\SHQGHV'UDPDV 7LWHO : welchen Aspekt des Dramas stellt der Titel heraus? Wie verhält er sich zur Dramenform (Komödie, Tragödie)? Welche Funktion hat er? Welche lautlichen Merkmale prägen ihn? Ist der Titel von der Entstehungszeit bedingt? Wie wird ein (längerer) Titel zitiert? 2. 'DUELHWXQJVDUWHQ: a.) Sprechschauspiel, b.) Figurentheater, c.) Schattenspiel, d.) Musikdrama (Oper, Operette, Singspiel), e.) stumme szenische Formen (Pantomime, Ballett), f.) Hörspiel; diese Formen haben zu wechselnden Anteilen je a.) Musik, b.) Literatur, c.) Theater, d.) elektronische Medien zum Mittel. 3. .RP|GLHYV7UDJ|GLH: zwischen den Kriterien 2 und 6 bzw. 3 und 6 kann es zu erheblichen Spannungen kommen! Dies führt dazu, dass die unten angeführten Merkmale längst nicht mehr zur Gattungsunterscheidung taugen – nicht nur die Tragikomödie, sondern auch comédie larmoyante und bürgerliches Trauerspiel haben die einst starren Grenzen verwischt. 1. Historizität 2. Moralische Qualität Sozialer Stand 3. 4. ! ! Verhältnis des Dramas zur Wirklichkeit (Wahrscheinlichkeit) Verhältnis von dramatischer zu wirklicher moralischer Erscheinung Prinzip der Fallhöhe Stilhöhe des Sprechens 5. Redestil der Figuren Stoff 6. Dramenausgang Ende eines Dramas in Bezug auf den Protagonisten 4. (LQWHLOXQJGHV'UDPDV Art der Begebenheiten #"%$&# ' $& Unwahrscheinlich Wahrscheinlich, wirklichkeitsnah Figuren sind sittlich herabgesetzt Niedriger Klerus, Bauern, Bürger, Studenten etc. genus humile Figuren sind sittlich erhöht Höhergestellte (Adel) Alltägliche Verwicklungen in privater Umgebung Glücklicher Ausgang (Hochzeit, Versöhnung) Gesellschaftlich relevante Konflikte in öffentlicher Sphäre Unglücksvoller Ausgang (Selbstmord, Mord) genus grande : bei unterschiedlichen Terminologien empfiehlt sich doch folgende Gliederung: a.) $NW (Aufzug, actus, in der klassischen Tragödie zumeist 5 Akte (= Fünfakter), in der Moderne oft auch 3 (= Dreiakter) oder lediglich 1 Akt (= Einakter)), b.) 6]HQH (bezieht sich zumeist auf den Schauplatz), c.) $XIWULWW (Wechsel in der Figurenkonstellation, Figur geht von der Bühne ab oder betritt sie), d.) %LOG (ununterbrochener Handlungsablauf). Grundsätzlich ist es wichtig, http://www.martin.danba.de 1 [email protected] Martin Baier Materialien Germanistik a.) jede Unterbrechung der raumzeitlichen Handlungskontinuität, und b.) jeden Personenwechsel zu erkennen und zu analysieren. 5. 3HUVRQHQ]DKOXQG$XIWULWWVIROJH: im klassizistischen Drama waren (in Anlehnung an Horaz) mehr als drei gleichzeitig Handelnde auf der Bühne verpönt; diese 'UHLSHUVRQHQUHJHO wurde weitgehend befolgt; sind mehr als drei Akteure gleichzeitig auf der Bühne, spricht man von einer (QVHPEOHV]HQH – sind es bedeutend mehr, ist der Ausdruck 0DVVHQV]HQH angemessen. 6. 5HGHOlQJH: zur Ermittlung der Redelänge sei (nach Asmuth) folgendes Diagramm empfohlen: Akt: Szene: Ort: Zeit: Auftritt: Figur A Figur B Figur C Personenzahl Umfang (Zahl der Dialogeinsätze) 1 X 2 X X (X) (stumm) 3 3 X X X 2 2 Um zu ermitteln, wer wen wie oft wann und mit wem trifft, ist folgende Tabelle geeigneter: Figur A Figur B Figur C Figur D 1. Figur A Figur B Figur C Figur D X II, 1, 3; II, 4, 7 III, 5, 2 II, 1, 3; II, 4, 7 X - X I, 3, 1 III, 5, 2 I, 3, 1 X 1HEHQWH[W(SLVFKHV.RPPXQLNDWLRQ 1HEHQWH[W : auch er sollte analysiert werden. Zum Nebentext zählen: a.) Titel, b.) Motto, c.) Widmung, d.) Abriss des Personenverhältnisses, e.) Personenverzeichnis (oft mit Orts- und Zeitfestlegung), f.) Kennzeichnung der Handlungsteile, g.) Bühnenanweisungen zur Schauplatzgestaltung (6]HQDULXP), h.) sonstige Bühnenanweisungen (Vorsicht! Auch im Text sind Regieanweisungen enthalten: ‚Is this a dagger which I see before me?‘) 2. (SLVFKHV: dazu gehören a.) steuernde und urteilende Äußerungen des Erzählers, b.) eigentliches Erzählen (Wiedergabe der Handlung und ihrer Begleitumstände), c.) wörtliche Rede der Personen. Von HSLVFKHP7KHDWHU kann allerdings nur gesprochen werden, wenn ein Drama a.) Redebeiträge eines Erzählers, b.) theatralische 9HUIUHPGXQJVHIIHNWH (zur Störung der Bühnenillusion), c.) Distanz des Publikums und d.) eine atektonische Handlungsstruktur hat. 3. .RPPXQLNDWLRQ: die Kommunikation im Theater kann sich a.) zwischen Autor (Spruchbänder, privilegierte Figuren [Chor, Seher]) und Publikum, b.) zwischen Darstellern außerhalb ihrer Rolle und Publikum, c.) zwischen Figuren (Darstellern in ihrer Rolle) und dem Publikum, und d.) zwischen den Figuren untereinander (und dadurch indirekt mit dem Publikum) erfolgen. Das Publikum hat nicht zwangsläufig den passiven Part (vgl. commedia dell’arte). *HVWDOWXQJGHU5HGHEHLWUlJHLP'UDPD Fünf Kriterien sind maßgeblich für die Gestaltung der Figurenrede im Drama: 1. 6WUXNWXULHUXQJGXUFK5HGH]LHOHXQG*HVSUlFKVWKHPHQ : a.) welche Interessen hat eine Figur? b.) welche Ziele verfolgt sie? c.) welcher Methoden bedient sie http://www.martin.danba.de 2 [email protected] Martin Baier 2. 3. 4. 5. 6. 7. Materialien Germanistik sich? d.) verschleiert die Figur ihre Absichten? e.) wie sind die Ziele einer Figur untereinander gestaffelt? f.) was / wer ist das Thema des Gesprächs? g.) wann (warum?) ändern sich die Gesprächsthemen? 6LWXDWLRQVJHEXQGHQKHLW: a.) wann wird im Gespräch die gegenwärtige Situation der Figuren thematisiert? b.) wo kommt (lokale, personale, temporale) Deixis vor? c.) welche Aspekte des Bühnengeschehens werden (nicht) sprachlich dargestellt? 0QGOLFKNHLW 6SRQWDQHLWlW 6W|UDQIlOOLJNHLW: a.) Mündlichkeit: wo finden sich dialektal oder umgangssprachlich bedingte Eigenheiten im Drama? b.) Spontaneität: wo ist im Drama Spontaneität dargestellt (etwa durch Aposiopese oder Anakoluth)? c.) Störanfälligkeit: wo werden redundante Informationen eingeschärft, wo fragt eine Figur nach? %H]LHKXQJ GHU *HVSUlFKVSDUWQHU: a.) welche Einstellung zu menschlicher Kommunikation zeigt die Dialogführung? b.) welche Einstellungen zeigen die Figuren zueinander (Standesunterschiede, Anredeformen, Höflichkeitsformen)? 5HGHVWLO GHU )LJXUHQ: der Redestil einer Figur ist geprägt a.) durch seine Gruppenzugehörigkeit (Soziolekt), b.) durch seine persönliche Eigenart (Idiolekt) und c.) durch seine Stimmung. 9HUVH: die häufigsten Verse im Drama sind a.) Trimeter (sechshebiger Jambus, Regelvers der attischen Tragödie), b.) Alexandriner und c.) Blankvers. Zu untersuchen ist hier das Verhältnis des Verses zum gesamten Redebeitrag. 0RQRORJ: man unterscheidet zunächst (typisch) a.) ,QQHQOHEHQ0RQRORJ (Gedankenvortrag), b.) HSLVFKHU 0RQRORJ (Vortrag ans Publikum), c.) hEHUJDQJVPRQRORJ (zur Szenenverknüpfung). Nach Stellung und Inhalt können Monolog-Varianten weiter differenziert werden. Der Monolog gilt als kommunikative Ausnahmesituation1: er wird dadurch oft durch a.) Apostrophen, b.) rhetorische Figuren, c.) Pathos dem Dialog angenähert. 3HUVRQHQ 9HUIDKUHQ GHU 3HUVRQHQGDUVWHOOXQJ: zur Charakterisierung einer Figur gelangt ein Drama zunächst durch a.) Name und Beschreibung im Personenverzeichnis, b.) durch direkte (explizite, sprachliche) Beschreibung durch sich selbst oder andere Personen, c.) durch indirekte (implizite) Charakterisierung, die sich aus dem dramatischen Spiel ergibt. Präziser könnte man einengen: a.) explizit, implizit, b.) auktorial (durch den Erzähler), figural (durch Figuren), c.) figural mit Fremd- oder Eigenkommentar, d.) außersprachlich, sprachlich, e.) Monolog, Dialog, f.) vor / nach erstem Auftreten, g.) in Anwesenheit / Abwesenheit der dargestellten Figur. 2. (LJHQVFKDIWHQVDUWHQ. a.) geistige oder charakterliche Eigenarten, b.) körperliche Eigenschaften, c.) äußere Umstände (Stärke, Schönheit, Reichtum). Wie verhält sich das Äußere einer Figur zu den ihr zugeschriebenen (unsinnlichen) Charaktereigenschaften? 3. 3HUVRQ )LJXU &KDUDNWHU 7\SXV: a.) 3HUVRQ (lat. persona = Maske): jeder Mensch als geistiges Einzelwesen, b.) )LJXU (lat. figura = Gebilde): Geschöpf eines Autors, Kunstperson, c.) &KDUDNWHU (gr. charakter = Gepräge): die individuell zu beschreibenden geistigen Eigenschaften eines Menschen (heutige Sichtweise!), d.) 7\SXV (lat. typus = Klischee eines Druckstocks und dessen Abdruck): wiederholbarer, vom Individuellen abstrahierter Verhaltensweise. 4. %H]LHKXQJHQ: das Beziehungsgeflecht im Drama kann am übersichtlichsten durch folgendes Vorgehen erfaßt werden: a.) alle Akteure in Kreisordnung 1. 1 Ich glaube freilich, man unterhalte sich mit sich selbst noch immer am lehrreichsten. (d. Komp.) http://www.martin.danba.de 3 [email protected] Martin Baier Materialien Germanistik notieren, b.) Verbindungen zwischen Akteuren angeben, c.) diese Verbindungen (durch Farbe, Strichdicke, Siglen) charakterisieren. Es empfiehlt sich außerdem (zusammenfassend), die Figuren einzeln nach folgenden Kriterien zu bewerten: A. Charakter: a.) Intellekt, b.) Gefühl, c.) Sympathie; B. Körperliche Erscheinung: a.) Geschlecht, b.) Alter, c.) Attraktivität, C. Soziale Geltung: a.) Stand, b.) Beruf / Tätigkeit, c.) Besitz, D. Beziehungen: a.) familiär, b.) nicht familiär. 5. )XQNWLRQVW\SHQ: (nach Souriau / Lausberg): a.) OD )RUFH RULHQWpH [die zielgerichtete Kraft] = Fo. – in einer Person inkorporiertes Streben nach einem bestimmten Ziel, b.) OH %LHQ VRXKDLWp [das gewünschte Gut] = Bs. – Gut, nach dem Fo. strebt, c.) O¶2EWHQHXU VRXKDLWp [der gewünschte Erwerber] – Os. – Person, für die Fo. den Besitz von Bs. erstrebt, d.) O¶2SSRVDQW [der Gegner] = Op. – Gegner von Fo., der verhindern will, dass dieser in den Besitz von Bs. gelangt, e.) O¶$GMXYDQW [der Helfer] = Ad. – Person, die mit einer anderen Person kointeressiert ist. 1. ([SRVLWLRQXQGYHUGHFNWH+DQGOXQJ ([SRVLWLRQ (lat. expositio argumenti, aus der Rhetorik: Vorstellung des Beweisziels): a.) integrierte Exposition (gehört zur Dramenhandlung), b.) Exposition als Prolog (geht der Dramenhandlung voraus); Gegenstand der Exposition sind a.) Vorgeschichte, b.) Personenexposition (Interessen und Beziehungen der Personen), ihre Aufgabe ist es, durch Verweise auf künftiges und zurückliegendes Geschehen den Zuschauer auf den Dramenverlauf vorzubereiten. Zuweilen gliedert sich der Dramenanfang in a.) dramatischer Auftakt (stimmt den Zuschauer ein), b.) eigentliche Exposition (Vor- und Hintergrundinformationen), c.) erregendes Moment (Hinweis auf kommende Konflikte). 2. %HULFKWHWH XQG YHUGHFNWH +DQGOXQJ: unter den Bericht (als Sonderform der verdeckten Handlung) fallen a.) auf der Bühne vorgelesene Briefe, b.) %RWHQEHULFKW, c.) Mauerschau (7HLFKRVNRSLH – ein erhöhter Beobachter teilt nur ihm sichtbare Geschehnisse mit), d.) Radiomeldungen, Fernsehnachrichten, e.) Geschehnisse, die sich zwischen den Akten zutragen und in ihren Folgen noch spürbar sind, f.) Traum, Vision; es gibt also insgesamt fünf Möglichkeiten der Handlungsdarbietung im Drama: a.) optisch-akustische Inszenierung auf offener Bühne, b.) hinterszenische Realisierung (Hörspielpassage), c.) Bericht über Gleichzeitiges (Mauerschau), d.) Bericht über zwischendurch Geschehenes (Botenbericht), e.) Exposition der Vorgeschichte. :LVVHQVXQWHUVFKLHGH 9RUDXVGHXWXQJ: man unterscheidet vier Möglichkeiten der Vorausdeutung, die entweder a.) zukunftsgewiss, oder b.) zukunftsungewiss sein können: a.) erzählerische Vorausdeutung (durch einen auktorialen Erzähler), b.) handlungslogische Vorausdeutung (ergibt sich kausal aus der Handlung selbst – z.B. Zeugung eines Kindes), c.) mantische Vorausdeutung (Traum, Vision), d.) Vorausdeutung durch Kunstmittel, die Zukünftiges symbolisch vertreten (Figur spielt mit einem Dolch). Die Geltungsgrundlagen für Vorausdeutungen sind jeweils von der Entstehungszeit des Dramas und ihrer Bewertung von der Zuverlässigkeit von Traum, Autor etc. angelegt. 2. 'UDPDWLVFKH ,URQLH: der Zuschauer / Autor weiß aufgrund seines Wissensvorsprungs vor der Figur, dass deren Äußerungen andere als die beabsichtigten Folgen haben werden (Ödipus verflucht den Mörder des Königs – und weiß aufgrund seiner Verblendetheit nicht, dass er es selbst ist.) 1. http://www.martin.danba.de 4 [email protected] Martin Baier Materialien Germanistik ,QWULJH: die (private, politische) Intrige (lat. intricare = verwickeln, verwirren) kann Ziele verfolgen, die als moralisch unbedenklich bewertet werden (amouröse Verwicklung) und nimmt dann (in der Komödie, meist durch Dienerfiguren) einen glücklichen Ausgang, sie kann aber auch einer schlechten Sache dienen (Verschwörung, meist durch heruntergekommene Adelige etc.) und endet (in der Tragödie) unglücksvoll. Der Intrigant (und mit ihm das Publikum) hat oft einen deutlichen Wissensvorsprung vor dem Opfer. Die Intrige gliedert sich in 3URWDVLV (Einleitung), (SLWDVLV (Verwicklung) und &DWDVWURSKH (Lösung). Mittel der Intrige sind a.) Verkleidung (, b.) 6LPXODWLR (Verstellung) und c.) 'LVVLPXODWLR (bewußte Täuschung). 4. $QDJQRULVLV 3HULSHWLH: Anagnorisis = Entdeckung, Enthüllung; ein Ereignis löst die Intrige auf; Perpetie [gr. periptateia = Umschwung]; ein Ereignis leitet einen Handlungsumschwung ein. Das analytische Drama hat die Anagnorisis zum Leitprinzip: eine Verwicklung wird im Laufe des Dramas aufgelöst. 3. http://www.martin.danba.de 5 [email protected]