Der W123 – zwischen Kindheitserinnerung - Youngtimer

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Der W123 – zwischen Kindheitserinnerung - Youngtimer
Der W123 – zwischen Kindheitserinnerung, Verschmähung und Verehrung
Wie hat es der W123 nur geschafft,
dass ich mich mittlerweile nicht
mehr schäme, diesen Haufen Blech
als Teil meines Lebens zu bezeichnen? Wie konnten Kindheitserinnerungen in eine Hassliebe zu diesem
blechgewordenen Dinosaurier münden? Und was bewog mich, dieses
ehemals verschmähte Relikt der
Chrom-Ära unbedingt mein Eigen
nennen zu wollen?
Bevor ich jedoch versuche, diese Fragen zu beantworten, einige Worte zu
meiner Person: Ich heiße Albert Dirks,
habe im Jahre 1972 das Licht der Welt
erblickt und verbrachte den größten
Teil meines Lebens in Ostfriesland.
2005 verschlug es mich aus beruflichen Gründen zunächst nach Hannover, und seit Ende 2007 lebe ich in
Celle.
Mein Baujahr verrät, dass meine Kindheit noch von Opel Rekord, Ford Granada, Audi 100 und vielen anderen
Autos begleitet wurde, deren Bezeichnungen zu Gunsten moderner klingender Namen und Kürzeln aufgegeben
wurden oder später ganz ohne Nachfolger blieben. Aber in den 70er und
80er Jahren war die Welt noch in
Ordnung, und auch der Käfer zählte
noch wie selbstverständlich zum Straßenbild.
Wie alles begann
Einen besonderen Platz in meinem
Bewusstsein nahmen aber freilich die
Autos meiner Eltern ein, auf deren
Rückbänken ich meine Kindheit verbrachte. So folgte einem KnudsenTaunus 1976 ein blauer Strich-Acht,
der 1980 einem W123 Platz machte. Er
war dank schon damals schwachbrüstiger und heute unmöglich erscheinender
Diesel-Motorisierung, magerer Ausstattung und der classicweißen Lackierung sicherlich nicht der attraktivste
Vertreter seiner Baureihe. Aber er war
neu und für viele Jahre der Stolz meiner Familie.
Mir bleibt bis heute unvergessen, wie
uns das Auto an einem Frühjahrstag
vom Vertreter des örtlichen MercedesAutohauses vor unserer Haustür übergeben wurde, wie meine Mutter noch
in dessen Beisein den im Vergleich
zum Vorgänger geschrumpften Kofferraum bemäkelte (ihr erschloss sich
wohl nie so ganz der Sinn dieser Neuanschaffung) und wie ich auf der
Rückbank Platz nahm, um an der
ersten ausgiebigen Spritztour Teil zu
haben. Stolz berichtete ich an den
folgenden Tagen meinen Schulfreunden vom neuen Auto – gleichgültig, ob
sie es hören wollten oder nicht.
Der Vernunftehe mit meinem ersten
Auto, einem VW Passat, reihten sich
daher zunächst zwei Audi 80 und später
ein BMW 320d und ein 530i an.
Die Beziehung zum W123 auf harter
Probe
Mit Mercedes endgültig abgeschlossen?
Mit der Zeit wurde der Mercedes aber
zum selbstverständlichen Familientransportmittel, und der anfängliche
Stolz blieb leider auch dank einiger
Macken nicht ungetrübt. Schon im
Alter von fünf oder sechs Jahren wies
er trotz guter Pflege an Radläufen und
Türkanten allerhand Rost auf, so dass
ein Besuch beim Lackierer unumgänglich wurde. Aber auch in technischer
Hinsicht war er leider kein typisch
zuverlässiger Vertreter seiner Baureihe
– sogar ein Austauschmotor wurde mal
fällig.
Aber halt, da war noch was: Als meine
negative Stimmung gegenüber Mercedes abgeklungen war, legte ich mir
1998 eine C-Klasse als Jahreswagen zu.
Aber es passierte schon wieder: Technische Mängel (Elektronik, heulendes
Hinterachsgetriebe trotz mehrfachen
Austauschs, Klappergeräusche) und
wieder mal Rost (an allen vier Türen)
trübten abermals mein Verhältnis zu
dieser Marke. Ich wurde schließlich ein
zufriedener Kunde bei BMW und sogar
ein Fan des weißblauen Propellers.
Außerdem schlug mein Herz inzwischen für den deutlich moderner erscheinenden Nachfolger W124 sowie
für das Windkanal-Wunder Audi 100
C3 oder den 5er-BMW (E34). Gegen
sie wirkte der W123 schlichtweg altbacken.
Ihre Stunde sollte schlagen, als mein
älterer Bruder seinen Führerschein
gemacht hatte und den inzwischen in
die Jahre gekommenen W123 übernehmen sollte. Und tatsächlich: Nicht
zuletzt dank meiner Überredungskünste (schlagkräftigstes Argument war
wohl die Vollverzinkung) wurde ein
Audi 100 der Nachfolger. Doch der
W123 blieb bis 1994 in der Familie,
bis mein Bruder ihn wegen abermals
fortgeschrittener Rostschäden endgültig abgab.
Als auch ich endlich meinen heiß
ersehnten Führerschein in Händen
hielt, schien die Marke Mercedes
völlig aus meinem Blickfeld gerückt zu
sein. Die anfängliche
Begeisterung für den
W124 (mit dem 190er
konnte
ich mich
dagegen nie so richtig
anfreunden)
wich
nicht zuletzt wegen
der Probleme mit
unserem W123 akuter
Ernüchterung,
und
Audi sowie insbesondere BMW hatten die
aus meiner damaligen
Sicht deutlich attraktiveren Modelle im
Programm.
Doch je moderner und technisch anspruchsvoller meine Autos wurden,
desto mehr sehnte ich mich nach solchen Autos zurück, die im Straßenbild
immer seltener zu sehen waren. Nämlich Vertreter der Zunft, die noch ungehemmt Chrom zur Schau trug, die sich
dem Windkanal nicht gebeugt hatte und
bei der Elektronik entweder kaum oder
in Kästen zu finden war, in denen man
heute ganze Scharen von i-Pods unterbringen könnte.
Der erste Schritt in Richtung Youngtimer
Hinzu kam, dass sich in mir der
Wunsch nach einem Cabrio immer
breiter machte. Meine Wahl fiel auf ein
BMW 325i Cabrio der Baureihe E30,
das ich nach wie vor für eines der
elegantesten offenen Autos halte und
das obendrein auch als Zweitwagen
bezahlbar ist.
Und dazu noch das traumhafte Fahrverhalten, das vom betörenden Sound
Es begann mit einem BMW E30 325i Cabrio, Bj. 1989...
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des Reihensechszylinders begleitet
wird… Dieses Auto markierte – was
ich damals noch nicht wusste – den
Beginn meiner Youngtimer-Karriere.
Ich erstand es 2003 zu einem sehr
moderaten Preis (wohl auch dank des
nicht ganz gängigen Bronzitbeige) und
bereute diesen Kauf keine Sekunde.
Bis heute versüßt es mir manchen
Frühlings- oder Sommertag und glänzt
obendrein mit ausgesprochener Zuverlässigkeit.
Doch das reichte mir nicht. Zumal sich
mein nahezu voll ausgestatteter 530i
seit meinem Umzug nach Hannover
die Reifen in der Garage platt stand
und nur dadurch einiges an Kosten
verzehrte, stellte ich mir ernsthaft die
Frage, wozu ich überhaupt noch so ein
Auto brauche. Sicherlich wäre der
Umstieg auf ein kleineres Alltagsauto
vernünftiger gewesen, aber warum darf
ein selten genutztes Auto nicht auch
gleichzeitig schön sein? Und wenn wir
schon mal dabei sind, warum nicht
gleich ein weiterer Youngtimer?
gepflegt wirkte, dafür aber mit Ausstattungsleckerlis wie einer Klimaanlage
und ABS sowie einer überschaubaren
Laufleistung von knapp 124.000 km
aufwartete.
Juchhee – ein Coupé!
Zusammen mit einem Kumpel machte
ich mich auf den Weg nach Unna, um
mir das Auto näher anzuschauen. Und
tatsächlich – der Weg hatte sich gelohnt. Hinter der Ungepflegtheit
verbarg sich ein ehrlicher Zustand, der
keine Mängel verdeckte. Der Rost
beschränkte sich auf die vorderen
Kotflügel (die ganz offensichtlich unter
den Garageneinfahrkünsten des Vorbe-
Bei einer Probefahrt sowie bei einer
Besichtigung der Unterseite mit Hilfe
einer Bühne konnten wir uns davon
überzeugen, dass bei dem Auto ansonsten nichts Ernstes im Argen lag. Nebenbei bemerkt: Dass ich so gelassen
über den Rost schreibe, liegt an Erfahrungen, die ich später machte. Damals
hatte ich schon ein etwas mulmiges
Gefühl. Nachdem mein Kumpel und
auch der Händler mir ernsthaft versicherten, dass das alles wieder in Ordnung zu bringen sei, entschloss ich
mich zum Kauf.
Bilder von der Abholung – der Schatten des
Hufeisens und der
Versicherungsplakette
am Kühlergrill lassen
das fortgeschrittene
Alter des Vorbesitzers
erahnen. Nicht zu
erkennnen ist dagegen
die durch Rost arg
angegriffene Frontschürze…
Nun doch wieder ein W123?
Ich begann, mich nochmals ernsthaft
mit dem Thema zu beschäftigen. Dabei
bemerkte ich schnell, dass der W123
mir trotz aller Widrigkeiten nach wie
vor im Kopf herum spukte. Lag es
daran, dass ich mich daran erinnerte,
wie dieses Auto mich wie kein anderes
mit Stolz erfüllte, als wir es unser
eigen nennen konnten? Oder wie es ein
Gefühl von Sicherheit und Solidität
vermittelte? Oder an der vertrauten wie
unvergleichlichen Klangkulisse aus
Motor-, Antriebs- und Windgeräuschen, wie ich sie in keinem anderen
Auto wieder fand? Oder am Klang
beim Schließen der Türen, dem nur ein
Tresor das Wasser reichen konnte?
Oder lag es doch an dem Design, das
sich noch in einer trutzig aufrecht
stehenden Front, Unmengen von
Chrom und einer breiten wie gedrungenen Heckpartie austoben durfte?
sitzers zu leiden hatten), auf Ansätze an
den hinteren Radläufen sowie auf zwei
Wagenheberaufnahmen.
…sowie die ebenfalls
in Mitleidenschaft
gezogenen hinteren
Radläufe und Wagenheberaufnahmen.
Dennoch eine ge
diegene Erscheinung.
Rational lässt sich jedenfalls nicht
beantworten, warum ich mich entschied, die Beziehung zum W123 neu
aufflammen zu lassen (wobei ich noch
die Worte meiner Oma im Ohr habe,
dass nur Erbsensuppe aufgewärmt
schmeckt).
Vorne tief, hinten hoch
– die zu Zeiten des
Vorbesitzers getauschten Federn bescheren
dem Coupé eine Keilform, die aber bald
behoben werden soll.
Also wälzte ich die einschlägigen
Anzeigenblätter und die Internetbörsen
und wurde erstaunlich schnell fündig:
Meine Aufmerksamkeit wurde auf
einen 85er 230CE gelenkt, der zwar
schon auf den Bildern nicht sonderlich
-2/6-
Auf der Rückfahrt
entledigte sich der
230CE seines Auspuffinhalts, ohne dabei
über Gebühr laut zu
werden…
Die Rückfahrt absolvierte der Wagen
ohne nennenswerte Zwischenfälle –
sieht man mal davon ab, dass sich der
Inhalt des Auspuffs selbständig machte
und den Weg ins Freie suchte. Naja,
der neue Endtopf kam zusammen mit
den Schweißarbeiten und der Lackierung auf die Liste.
ƒ Wärmedämmendes Glas (Colorverglasung)
ƒ Leichtmetall-Scheibenräder
("Barockfelgen")
ƒ Feuerlöscher
In dieser Liste (und somit auch am
Auto) fehlte leider der rechte Außenspiegel. Da ich auf ihn im Alltag nicht
verzichten wollte, rüstete ich zunächst
einen mechanisch verstellbaren Spiegel
nach. Nachdem ich jemanden gefunden
hatte, der in der Zebrano-Blende in der
Mittelkonsole eine Aussparung für den
Verstellschalter ausfräst, baute ich die
elektrisch verstellbare Version ein.
Ebenso war leider das original verbaute
Radio nicht mehr vorhanden. Um auf
Annehmlichkeiten wie RDS nicht
verzichten zu müssen, dachte ich zunächst daran, ein eigentlich dem W201
oder W124 vorbehaltenes Becker
Grand Prix 2000 oder gar Mexico 2000
einzubauen, aber ungefähr zu dieser
Zeit brachte Becker das Mexico 7948
im Retro-Design auf den Markt. Sicherlich mögen Puristen die Nase rümpfen,
Mut erlangte ich bei der ersten gründlichen Reinigung des Innenraums, die
die vormals fleckigen Polster im alten
Glanz erstrahlen ließ. Und als ich das
Auto beim Lackierer vorführte, beruhigte er mich in der gleichen Weise,
wie es schon vorher mein Kumpel und
der Händler taten. Also ließ ich das
Auto dort und holte es nach einem
etwa sechswöchigen Aufenthalt wieder
ab.
Als ich es wieder sah, war ich schnell
überzeugt, alles richtig gemacht zu
haben. Der Lack glänzte, und von den
vorherigen Schäden war nach den
Schweißarbeiten und dem Austausch
beider vorderen Kotflügel überhaupt
nichts mehr zu sehen. Der Lackierer
hatte einwandfreie Arbeit geleistet. Ich
war begeistert und stolz zugleich.
Kleine Fotosession nach der Abholung vom Lackierer…
Klar war, dass ich dieses Auto im
Originalzustand belassen bzw. nur mit
solchen Extras aufwerten werde, die
entweder zeitgenössisch sind oder (im
ganz engen Sinne) zum Auto passen.
Mit folgender Ausstattung hatte der
astralsilberne
230CE
1985
die
Werkstore verlassen:
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Zentralverriegelung
ABS
Klimaanlage
elektrische Fensterheber vorne
Zweiklangfanfare (umschaltbar)
Radio Becker Mexico Cassette
Vollstereo Elektronik Kurier LMKU
incl. Radiovorbereitung mit vier
Lautsprechern und Überblendregler
ƒ elemktrisch versenkbare Antenne
ƒ Sonnenblenden mit beleuchteten
Make-Up-Spiegeln
-3/6-
Bild vom Cockpit des
230CE – schon mit
Drehzahlmesser,
Becker Mexico im
Retro-Design sowie
mit Mittelarmlehne
(ganz unten rechts im
Ansatz zu erkennen)
denn entweder halten sie es nicht für
ein „richtiges“ Mexico, oder sie sind
(eigentlich sogar zu Recht) der Auffassung, dass ein Nadelstreifen-Becker
nicht in einen Benz gehört, der erst in
den 80er Jahren das Licht der Welt
erblickte. Ich aber war und bin von der
Kombination des Designs mit der
Funktion
(Navi,
BluetoothFreisprecheinrichtung,
mp3-Player
etc.) so fasziniert, dass es dieses Radio
sein musste. Folglich fand dieses Gerät
schnell den Weg in den Einbauschacht:
Auf dem obigen Bild sind übrigens
auch bereits der Drehzahlmesser sowie
(im Ansatz) die originale Mittelarmlehne zu erkennen, die ich ebenfalls
nachrüstete. Nun hatte das Coupé
genau die Ausstattung, die ich mir für
dieses Auto gewünscht hatte, und es
gilt „nur“ noch, es in diesem Zustand
zu erhalten.
Und noch ein W123…
In der Zwischenzeit lernte ich meinen
jetzigen Freund kennen, der meine
Begeisterung für Autos im Allgemeinen und für den W123 im Speziellen
teilt. Motiviert durch mein Coupé,
entschloss er sich, mit mir zusammen
ein ähnliches Projekt anzugehen. Es
sollte jedoch kein weiteres Coupé
werden, sondern eine Limousine oder
besser noch ein T-Modell.
Schnell erkannten wir aber, dass die
Preise für brauchbare T-Modelle weit
außerhalb der von uns gesteckten
Grenzen lagen, und somit konzentrierten wir uns auf eine Limousine. Ein
Diesel kam auf Grund der Unterhaltskosten und der Feinstaubproblematik
nicht in Frage – ebenso wenig ein
Vergasermodell oder ein durstiger
280E. Blieb also nur noch der 230E,
mit dessen durchzugstarken wie wirtschaftlichen Maschine ich ja schon im
Coupé beste Erfahrungen sammeln
durfte.
Es stellte sich aber auch heraus, dass es
weitaus einfacher war, ein gut erhaltenes Coupé zu finden als eine Limousine im vergleichbaren Zustand. Hier
macht sich bemerkbar, dass die Limousinen eher im Alltag bewegt wurden
als die Coupés und leider oft auch nicht
die gleiche Pflege genossen.
Irgendwann erweckte eine Anzeige in
einer Internetbörse unsere Aufmerksamkeit. Angeboten wurde ein 83er
230E in silberdistel mit dem seltenen
5-Gang-Getriebe und einigen anderen
attraktiven Ausstattungsdetails wie
einem elektrischen Schiebedach und
hinteren Kopfstützen. Dazu noch die
cremefarbene Innenausstattung und die
ebenfalls vergleichsweise geringe
Laufleistung von 165.000 km – den
mussten wir uns anschauen.
Der Haken: Das Auto stand in Mannheim, was von Celle aus nicht gerade
um die Ecke ist. Egal, die erforderlichen Bahntickets und Kurzzeitkennzeichen wurden gekauft, und wir machten
uns auf den Weg.
Schein und Sein…
Bei der Besichtigung schlug die anfängliche Euphorie in Ernüchterung
um, denn die Beschreibung des Händlers war (vorsichtig ausgedrückt) etwas
blumig geraten. Dass sich hinter den
mit Unterbodenschutz übertünchten
Front- und Heckschürzen nichts Gutes
verbergen konnte, war uns ja noch klar,
und auf neue vordere Kotflügel hatten
wir uns deshalb eh eingestellt. Der
Händler zeigte sich auch bereit, vorab
Fotos von den bekannten Schwachstellen zu schicken. Dabei unterschlug er
aber beispielsweise, dass die Säure
einer geplatzten oder übergelaufenen
Batterie im Motorraum ihre Spuren
hinterlassen hatte. Das Batterieblech
selbst und auch die Substanz darunter
waren morsch. Hinzu kam, dass die auf
den Fotos makellos wirkenden Wagenheberaufnahmen ihr Erscheinungsbild
einer Menge Spachtelmasse und Unterbodenschutz verdankten.
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Ähnliches galt für die hinteren Radläufe, die mit Reparaturblechen verschlimmbessert waren. Auch die Türunterkanten waren so fotografiert, dass
man die braune Pest nicht erahnen
konnte. Dass der Innenraum sich in
einem extrem ungepflegten Zustand
präsentierte (was auf den Fotos ebenfalls nicht zu erkennen war) und die
Zentralverriegelung nur bei laufendem
Motor korrekt funktionierte, fiel dabei
kaum noch ins Gewicht. Immerhin gab
es beim Heckblech keinen Anlass zu
der anfänglichen Sorge, und in technischer Hinsicht gab es bei der Probefahrt
auch nichts zu beanstanden.
Wir waren eigentlich schon zu der
Überzeugung gelangt, dass die Kosten
für die Bahntickets und die Kurzzeitkennzeichen unter dem Posten „Lehrgeld“ zu verbuchen waren. Doch immer
noch zogen uns die gute Ausstattung
und die Farbkombination in ihren Bann.
Auf die Mängel angesprochen, zeigte
sich der Händler auch bereit, den Kaufpreis erheblich zu reduzieren. Wir
entschlossen uns, das Auto mitzunehmen und unseren Lackierer entscheiden
zu lassen, ob sich eine Restauration
lohnt oder ob wir das Auto unverändert
weiter verkaufen.
Doch auch die Rückfahrt stand unter
keinem guten Stern. Der bei der Probefahrt kaum wahrnehmbare Spritgeruch
wurde heftiger, so dass wir einen Zwischenstopp bei einer nahe gelegenen
A.T.U.-Werkstatt einlegten. Dort war
die Ursache in Form einer undichten
Spritleitung unterhalb des Luftfilters
zwar schnell gefunden, konnte aber
mangels passender Teile nicht behoben
werden. Wir setzten die Heimfahrt also
fort.
Unsere gedämpfte Stimmung drückte
sich in einem langen Schweigen aus,
das dadurch unterbrochen wurde, dass
wir beide zeitgleich bemerkten, dass
der Motor plötzlich nur noch auf drei
Zylindern lief. An den Zündkabeln war
nichts zu erkennen, so dass uns nichts
anderes übrig blieb, als die Fahrt mit
der unrund laufenden Maschine fortzusetzen.
Dass wir uns angesichts der mittlerweile auf Kellerniveau gesunkenen Stimmung überhaupt noch aufgerafft hatten,
das Auto am folgenden Montag zwecks
Begutachtung zum Lackierer zu bringen, grenzte an ein Wunder. Denn fast
sahen wir uns angesichts weiterer
Rostmängel, die wir nachträglich gefunden hatten, genötigt, eine Verkaufsanzeige vorzubereiten, um dieses Desaster auf vier Rädern wieder loszuwerden.
Kurier hatten wir bereits nach der
Abholung gegen ein Becker Grand Prix
2000 getauscht. Ebenso durfte ein Satz
frisch aufbereiteter Fuchs „Barockfelgen“ nicht fehlen.
Auch wenn einige Leser abermals die
Nase rümpfen mögen – sogar eine
Anhängerkupplung hatten wir für dieses Auto erstanden, um damit den
Wohnwagen bewegen zu können und
so auch im Urlaub nicht auf den W123
verzichten zu müssen.
Oben und rechts: So wurde der 230E vom
Verkäufer angepriesen. Dass die Rückfahrt
vom Kauf von Zweifeln, ob der Kauf
wirklich richtig war, sowie von schlechter
Stimmung und Schweigen geprägt war,
lassen diese unschuldig wirkenden Bilder
kaum vermuten. Zwar kein Blender, aber
der auf den Bildern ordentlich erscheinende Zustand verbarg einige gravierende
Mängel.
Die Wende
Endlich kam der heiß ersehnte Tag, an
dem wir die Limousine vom Lackierer
abholen konnten. Und wieder hatte er
ganze Arbeit geleistet! Davon, dass
dieses Auto uns fast zur Verzweiflung
getrieben hätte, war nichts mehr zu
sehen. Der makellose Lack und die
hervorragende Arbeit ließen uns diesen
Kummer schnell vergessen – sah man
einmal vom nach wie vor ungepflegten
Innenraum ab.
Schon auf dem Weg der Abholung nach
Hause kehrten wir bei unserer Werkstatt ein, um dort die mit frischen Reifen versorgten Barockfelgen aufziehen
zu lassen und der Ursache für den
unrunden Motorlauf auf den Grund zu
gehen. Der Übeltäter war ein komplett
verstelltes Ventil! Warum dies so plötzlich dafür gesorgt hatte, dass die Maschine ihre Arbeit ohne den davon
betroffenen Zylinder verrichtete, lässt
sich nicht mehr nachvollziehen, aber
fest steht, dass sie seit der Korrektur
wieder einwandfrei läuft.
Die grausame Wirklichkeit, wie sie sich nach
dem Abkratzen des Unterbodenschutzes und dem
Stochern mit dem Schraubendreher darstellte…
Eine Wagenaufnehmeraufnahme – zwei Bilder: Links im scheinbar guten Zustand, rechts
nach der Freilegung, die eine „Reparatur“ mit Unterbodenschutz und Spachtel offenbart
Doch abermals gab der Lackierer
Entwarnung. Selbstverständlich war
ein sehr viel höherer Aufwand als beim
Coupé zu erwarten, aber dieser sollte
sich in einem finanziell vertretbaren
Rahmen halten. Also gaben wir die
Limousine in dessen stationäre Behandlung, die – weil wir auch aus
Kostengründen vereinbart hatten, dass
er sich nur in seinen Leerzeiten um sie
kümmert – drei Monate in Anspruch
nehmen sollte.
Das hielt uns natürlich nicht davon ab,
bei diversen Besuchen die Entwicklung
mitzuverfolgen.
In der Zwischenzeit versüßten wir uns
die Vorfreude mit dem Kauf von Zubehör und einiger Accessoires. Aber
auch hier galt es, den Originalzustand
zu erhalten bzw. nur auf hinnehmbare
Weise zu modifizieren. So fanden
Chromzierleisten für die Rückleuchten,
eine Mittelarmlehne, ein Set aus
Zebrano-Leisten (die originalen waren
dank Austrocknung leider schon arg
verbogen) sowie aus Blenden für die
Mittelkonsole (wie es sie ja eigentlich
nur für die Coupés und den 280E gab),
ein Drehzahlmesser, ein Paar Hecklautsprecher
samt
OriginalÜberblendregler sowie eine automatische Antenne den Weg in unseren
Keller und warteten auf ihren Einbau.
Das original verbaute Becker Europa
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Auch das leichte Rasseln im Leerlauf
war nach dem Tausch der Steuerkette
vergessen. Mit dem Fehler in der Zentralverriegelung sahen wir uns auf
Grund der kompliziert erscheinenden
Pneumatik anfangs überfordert und
hätten fast die Mercedes-Werkstatt
unseres Vertrauens mit der Behebung
dieses Problems beauftragt. Doch irgendwann fiel uns beim Verschließen
des Autos bei offenem Kofferraum ein
Zischen im Bereich des Tankeinfüllstutzens auf. Und siehe da: Nachdem
wir mit Hilfe einer Anleitung im W123Forum die eigentlich gar nicht als
Ersatzteil vorgesehene Gummitülle am
Unterdruckschalter durch einen beim
Bosch-Dienst erhältlichen Ersatz ausgetauscht hatten, verrichtet die Zentralverriegelung zuverlässig ihren Dienst.
Dank technischem Gerät und dem
Einsatz von Chemie ließ sich auch der
Innenraum auf Vordermann bringen
und erstrahlte endlich wieder in unbeflecktem Glanz.
An einem Herbsttag kurz nach der Abholung vom Lackierer – der
230E erstrahlt endlich wieder in einem ihm würdigen Glanz
Das Heck der Limousine – noch ohne Anhängerkupplung
Gleich nach der Abholung vom Lackierer: Die Limousine bekommt standesgemäße
Fuchs-Barockfelgen und eine Motorhaubendämmmatte
Auch das im Keller lagernde Zubehör
wurde verbaut, und sogar die Anhängerkupplung fand ihren Weg noch vor
der ersten Winterpause ans Heck, so
dass die Limousine jetzt mit folgender
Ausstattungsliste aufwartet:
ƒ Außenspiegel rechts elektrisch von
innen einstellbar
ƒ Feuerlöscher
ƒ Fondbeleuchtung
ƒ 5-Gang-Getriebe
ƒ abschließbarer Handschuhkasten
ƒ Kopfstützen im Fond 2-fach
ƒ Schiebedach elektrisch
ƒ wärmedämmendes Glas rundum
("Colorverglasung")
ƒ Zentralverriegelung
ƒ Radio Becker Grand Prix 2000
(nachgerüstet; Original: Becker Europa Kurier LMKU)
ƒ Armlehne klappbar vorn (nachgerüstet)
ƒ "Barockfelgen" (nachgerüstet)
ƒ Chromzierleisten unter Rückleuchten (nachgerüstet)
ƒ Zebrano-Blenden für Mittelkonsole
(nachgerüstet)
ƒ Drehzahlmesser (nachgerüstet)
ƒ Hecklautsprecher mit OriginalÜberblendregler (nachgerüstet)
ƒ Anhängerkupplung (nachgerüstet)
ƒ Elektrisch versenkbare Antenne
(nachgerüstet)
Bei diesem Ergebnis waren wir schon
etwas traurig, dass sich die Limousine
kurze Zeit später dank Saisonkennzeichen wieder in den Winterschlaf begeben musste.
Etwas Trost spendet uns in dieser War-6/6-
Etwa einen Monat später: Die Anhängerkupplung wird montiert
tezeit, sie ab und zu in ihrem Winterdomizil zu besuchen, ihr dort über den
Lack zu streicheln und eine Nase voll
von dem Mercedes-typisch leicht muffigen Innenraumgeruch zu nehmen.
Dank des ganzjährig zugelassenen
Coupés müssen wir aber immerhin
nicht ganz auf das W123-Fahrgefühl
verzichten. Und immer wieder schweifen unsere Blicke durch die einschlägigen Internet-Börsen auf der Suche
danach, ob sich nicht doch mal ein TModell aufdrängt, die „Sammlung“ zu
komplettieren.
Habe ich eigentlich schon die eingangs
gestellten Fragen beantwortet? Nein?
Kann ich auch nicht!
ƒ