Integrativen Psychiatrischen Behandlung
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Integrativen Psychiatrischen Behandlung
Klinisches Home Treatment Integrativ Psychiatrische Behandlung (IPB) am Krankenhaus Maria Hilf Krefeld -Einrichtung der Alexianer GmbH Krefeld- Psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung kann von Krankenhäusern unter bestimmten Voraussetzungen ambulant, tagesklinisch oder stationär erbracht werden. Die Art der Behandlung richtet sich unter anderem nach der Diagnose, der Schwere der Erkrankung, dem Krankheitsverlauf und der Vorbehandlung. In vielen Fällen würden sich Psychiater eine intensive aufsuchende Behandlung wünschen um Patienten optimale Hilfe zukommen zu lassen. Diese Möglichkeit ist jedoch in unserem Gesundheitssystem noch nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen vorgesehen. Wir sind der Überzeugung, dass diese Möglichkeiten erweitert werden sollten und setzen uns seit vielen Jahren für aufsuchende Behandlungsformen, sogenanntes home treatment, ein. Home treatment wird derzeit in Zusammenhang mit der Diskussion um das neue Entgeltsystems in der Psychiatrie aufgrund nachweislicher Effektivität bezüglich Symptomreduktion, sozialer Outcome-Kriterien und Wiederaufnahmeraten sowie in Anbetracht seiner Kosteneffizienz zunehmend als potentieller Indikator psychiatrischer Behandlungsqualität diskutiert. Speziell die IPB wird zur Zeit wird in einem Projekt „Krankenhausqualität - Weiterentwicklung psychiatrisch-psychotherapeutischer Krankenhausbehandlung“ vom Bundesministerium für Gesundheit mit Unterstützung der Aktion Psychisch Kranke e.V. evaluiert. Stichworte zur Vorgeschichte der Integrativ psychiatrischen Behandlung (IPB): Home treatment wird in unserer Psychiatrischen Institutsambulanz bereits seit 1992 praktiziert. Von Anfang an wurden Hausbesuche von verschiedenen Berufsgruppen (Ärzte, Psychotherapeuten, Pflegedienst-Mitarbeiter) praktiziert. Die guten Erfahrungen mit der ambulant aufsuchenden Behandlung wurden für die Entwicklung einer die vollstationäre Behandlung ersetzenden Akuttherapie genutzt. Ein 1996 entwickeltes Modell konnte1998 nach Verhandlungen mit den Krankenkassen in die Regelversorgung aufgenommen werden. In der Orientierungsphase von Juli 1998 bis Dezember 1999 stand die Ausgestaltung der Konzeption zu einem neuen klinischen Behandlungsbaustein im Mittelpunkt. In der Konsolidierungsphase wurde IPB vom Bundesministerium für Gesundheit vom 01.04.2000 für 3 Jahre gefördert. Chefarzt Dr. Horn wurde Mitglied der Komission für Reformabsichten und Strukturfragen in der Psychiatrie. IPB wurde in den Folgejahren von Herrn Dr. Horn, Frau Dr. Metten und Herrn Skutta in Zusammenarbeit mit der medizinischen Hochschule Hannover, Herr Holler, Herr Dr. Melchinger, evaluiert. Die Ergebnisse des Modellprojektes „IPB als neue Form psychiatrischer Krankenhaus-Akutbehandlung ohne Bett“ wurden in einem Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit 2005 publiziert (Teil der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, Band 152), weiterhin erfolgte eine Evaluation des Modellprojektes von der Medizinischen Hochschule Hannover 2003 (2003, Dr. H. Melchinger, G. Holler). Zwischenzeitlich erschienen weitere Publikationen zur Qualität und Effektivität der IPB (Literaturangabe siehe unten). Derzeit wird die IPB erneut im Rahmen eines Projektes zur Evaluation klinisch psychiatrischer Behandlungsqualität als eines von 5 Behandlungskonzepten in Deutschland von renommierten Psychiatern unter Federführung von Prof. Dr. Kunze näher untersucht. Bisher wurden in Krefeld im Sinne einer praktizierten "Krankenhausbehandlung ohne Bett" über 1800 Patienten im Sinne der IPB mit vorrangigem home treatment behandelt. Als Zielsetzung der IPB ist somit die Weiterentwicklungen und Anpassung von psychiatrischen Versorgungsstrukturen zu sehen, die Grenze zwischen stationärer und ambulanter Behandlung flexibler zu gestalten und die Vorzüge des home treatment für eine "Krankenhausakutbehandlung ohne Klinikbett" zu nutzen. Durch enge Kontakte zu vorbehandelnden Ärzten/Therapeuten werden Schnittstellenverluste minimiert und die Nachbehandlung mit den weiter behandelnden niedergelassenen Psychiatern optimiert. Durch die Einbeziehung des Wohnumfeld können gezielt Ressourcen der Patienten erkannt und gefördert werden und Unterstützung bei Alltags- und Lebenssituationen aufgebaut werden. Charakteristika des IPB Verweildauerbegrenzte klinische psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung am Ort des Hilfebedarfs bei stationärer Behandlungsnotwendigkeit Nutzung aller Klinikressourcen für Diagnostik und Therapie, soweit im jeweiligen Behandlungsfall erforderlich Personenzentrierte klinische Komplexleistung und Bereitstellung individueller Therapiepläne. Die Leistungen werden in Abstimmung mit dem Patienten – an seinen Möglichkeiten, Wünschen und klinischen Notwendigkeiten orientiert – teils in seiner Wohnung, teils im sozialen Umfeld, teils in der Klinik erbracht. Mobiles multiprofessionelles Behandlungsteam, das individuelle Hilfemaßnahmen in Form des Hometreatments und eine 24-stündige klinische Verantwortung an sieben Tagen der Woche gewährleistet. Mögliche Nutzung von Verbundressourcen, d. h. Einbeziehung von ambulanten und komplementären Behandlungsangeboten, deren Finanzierung aus dem Krankenhausbudget erfolgt Durch den engen Einbezug der "Lebenswelt des Erkrankten" mit bedarfsorientierter Planung und Hilfestellung, Beteiligung von Angehörigen und Bezugspersonen, Betreuern und komplementären Einrichtungen ist es "vor Ort" gezielter möglich, Stärken, Schwachpunkte und krankheitsunterhaltende Faktoren zu erkennen, in die Behandlung gezielt mit einzubeziehen und Veränderungen zu initiieren. Auch wird durch das spezifische "IPB-Setting" (verweildauerbegrenzt, fehlende Entwurzelung aus dem normalen Lebensumfeld, Nutzung vorhandener Ressourcen des Erkrankten, dadurch Verstärkung von Selbstwirksamkeitsprozessen durch unmittelbare „Erfolgs-/Bewältigungserlebnisse des Erkrankten) Hospitalisierungstendenzen entgegengewirkt. Durch flexibles Vorgehen und Nutzung der vorhandenen Klinikressourcen ist es jederzeit möglich, auf weitere Behandlungsnotwendigkeiten zu reagieren (bei Notwendigkeit vollstationäre Aufnahmen, Anpassung/Ausweitung häuslicher Behandlungen oder bei Überforderungen des Erkrankten Reduktion von Therapieeinheiten). 2 Addressaten und Diagnosegruppen des IPB psychisch schwer und akut erkrankte Menschen aus Krefeld und unmittelbarer Umgebung mit klinischer stationärer oder teilstationärer Behandlungsbedürftigkeit mit ärztlicher Einweisung, insbesondere: akut psychisch Kranke, die eine stationäre Aufnahme aufgrund persönlicher Verpflichtungen/Erfahrungen ablehnen (Mütter mit Kindern, Erkrankte mit pflegebedürftigen Angehörigen, negative Vorerfahrungen von Erkrankten) akut behandlungsbedürftige Patienten mit schizophrenen Psychosen, bei denen ein stationäres Setting eine zusätzliche Belastung darstellt und/oder die zusätzliche Hilfen im Bereich Wohnen/Soziales benötigen Erkrankte mit exacerbierten Störungen, bei denen ambulante Behandlungen insuffizient waren, bei den jedoch die stationäre Aufnahme eine therapeutisch ungünstige Regression mit sich bringen würde (Hospitalisierung) Patienten mit akut exacerbierten Persönlichkeitsstörungen, bei denen einen flexibler Umgang mit Nähe und Distanz gegenüber Mitmenschen therapeutisch notwendig ist bzw. gezielter Einbezug des Lebensumfeldes (Bearbeitung dortiger Erfahrungen mit Veränderungswünschen) sinnvoll erscheint psychisch akut Traumatisierte, bei denen eine intensivere Behandlung notwendig ist, die eine vollstationäre Aufnahme ablehnen akut schwer psychisch Kranke, bei denen eine intensivere therapeutische Einbeziehung des sozialen Umfeldes und/oder über die Behandlung hinaus gehende wirksame Hilfen bei der Tagesstrukturierung sinnvoll erscheinen diagnostische Abklärung und Therapieanleitung bei akutklinisch gerontopsychiatrisch Behandlungsbedürftigen, bei denen eine Krankenhausaufnahme z. B. durch den Ortswechsel evtl. Verschlechterung bedingen könnte Zusammenfassend ist zu sagen, dass in der IPB Krefeld psychisch kranke Menschen mit einem breiten Diagnosespektrum behandelt werden, es gibt somit, ausgenommen primäre Suchterkrankungen, keine spezifischen Diagnoseausschlusskriterien. Aufgrund unseres Settings ergeben sich folgende Voraussetzungen: Ausschluss-Kriterien IPB Obdachlosigkeit oder Unbewohnbarkeit bzw. unsichere Wohnverhältnisse fehlende Kooperation der Patienten oder Angehörigen/Betreuer mit den Behandlern oder dem Behandlungsteam akute Fremdgefährdung akute Selbstgefährdung bei fehlender Bündnisfähigkeit primäre Suchterkrankung Die Zugangswege zum IPB erfolgen gewöhnlich nach vorherigem oberärztlichem Vorgespräch in unserer Klinik (Indikationsabklärung, Information über das IPB-Setting, allgemeine Therapieplanung) mit geplanter elektiver Aufnahme über Einweisung der Vorbehandler (Psychiater, Nervenärzte, Hausärzte). In einem kleineren Prozentsatz erfolgen auch Aufnahmen in die IPB aus Verlegungen aus vollstationären Stationen innerhalb der Klinik (auch intensivpsychiatrisch geschlossene Station) bei andauernder Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bzw. notwendiger Enthospitalisierungsschritte, ausgeweiteter Belastungserprobungen unter Berücksichtigung gemeindepsychiatrischer Integration und weiterer Unterstützungsangebote. 3 Basisprogramm der IPB Bereits im Rahmen des Vorgesprächs wird ein individueller Behandlungsplan, der sich der vorliegenden Erkrankung ableitet, besprochen. Im Rahmen der Aufnahme, Befund, Diagnose und zusätzlichen Bedarfserhebung wird diese ergänzt. Während der Behandlung erfolgt in der Woche (montags - freitags) ein täglicher Kontakt im Rahmen der vereinbarten Therapieeinheiten (regelmäßige ärztliche Visiten, therapeutische Einzelgespräche, fachpsychiatrische Pflegeeinheiten, Sozialdienst, Ergotherapie, ggf. ergänzende Therapiegruppenangebote (GSK, skills-training, Depressions-, Angstgruppe, Entspannungstraining, Sportangebote). Somit ergeben sich abhängig vom individuellen Therapieplan sich in der Regel wöchentlich mindestens 3 psychotherapeutische Einzeltermine/pro Woche mit psychoedukativer, verhaltenstherapeutischer oder tiefenpsychologischer Zielsetzung, von ärztlichen oder psychologischen Therapeuten erbracht neben Nutzung stationsübergreifender Gruppenangebote. in der Regel 3 (bei Bedarf erweitert) ausführliche fachpflegerische Kontakte im Sinne des Hometreatments wöchentlich 2 - 3 ergotherapeutische Therapieeinheiten (in der Klinik und beim Patienten) mindestens 1 sozialarbeiterisches, sozialpädagogisches Gespräch in der ersten Behandlungswoche zur Abklärung des sozialen und psychosozialen Hilfebedarfs mit bedarfsorientierten Folgegesprächen bei Bedarf ergänzende Telefonkontakte sowie am Wochenende (samstags, sonntags) regelmäßige telefonische Kontakte durch den ärztlichen Hintergrund-Bereitschaftsdienst mit Kriseninterventions-/Beratungsfunktionen 24-Std.-Ansprechbarkeit und somit Verantwortung des Krankenhauses an 7 Tagen über den gesamten Behandlungszeitraum ( in der Regel 25 Tage), (gesonderter HintergrundBereitschaftsdienst des IPB außerhalb der Dienstzeiten). Durch das ärztlich geleitete, berufsgruppenübergreifende Arbeiten des therapeutischen Stammteams (Fach)-Ärzte, Psychologin, erfahrene Pflegekräfte, Sozialarbeiterin, Ergotherapeutin sowie durch ergänzende Gruppenangebote weiterer therapeutischer Mitarbeiter, komplementäre Dienste erhält jeder Patient eine multiprofessionelle Komplexleistung. Die Mobilität der Mitglieder des therapeutischen Teams ist durch Nutzung von Dienstfahrzeugen (in der Regel, Ausnahme Privat-Pkw mit gesonderter Abrechnung) ist gegeben. Mitarbeiter/Dienststrukturen IPB Durch notwendige personelle Begrenzungen durch aktuelle Gegebenheiten und Umstrukturierungen unter Berücksichtigung derzeitiger Finanzierungsmodelle ("Deckelung" der Patientenzahlen des IPB bzw. Unwirtschaftlichkeit bei Überschreiten einer festgelegten Patientenzahl) besteht das derzeitige IPB-Stammteam neben der oberärztlichen Leitung aus einem Assistenzarzt in fortgeschrittener Weiterbildung, einer appobierten Psychologin (50 % der Regelarbeitszeit im IPB), weiterhin zwei erfahrene psychiatrische Pflegekräfte mit abgeschlossener Fachweiterbildung, eine ins Team integrierte externe Ergotherapeutin (50 % ihrer Regelarbeitszeit), eine Sozialpädagogin in Teilzeit (20 Std/Woche) sowie eine Schreibkraft (50 % ihrer Regelarbeitszeit). Aufgrund der Nutzung stationsübergreifender Angebote werden weitere ärztliche und psychologische Klinikmitarbeiter beteiligt. Mit diesem Team können gemäß IPB-Organisation ärztlich/psychologisch 12 Patienten gleichzeitig behandelt werden. Die psychiatrischen Pflegekräfte werden noch in andere Aufgaben (Gruppen, ambulante Besuche) eingebunden. 4 Finanzierungssystem IPB Aufgrund der im SGB V fehlenden expliziten Rechtsgrundlage für klinisches Home treatment ist Finanzierung gemäß stationären oder teilstationären tagesgleichen Pflegesätzen oder Abschluss eines IV-Vertrages vorstellbar. In Krefeld wurde letztlich mit den Krankenkassen vereinbart ein Zusatzbudget zusammen mit dem Budget der psychiatrischen Tagesklinik über tagesgleiche Pflegesätze abzurechnen. IPB kann also als teilstationär analoge klinische Leistung angesehen werden. Seit 2008 ist in diesem Gesamtbudget auch das Budget der gerontopsychiatrischen Tagesklinik enthalten. Durch die 24 stündige Krankenhauszuständigkeit an 7 tagen in der Woche (Hintergrund-Bereitschaft) wird eine 7-Tage/Woche für die IPBPatienten abgerechnet. Durch die vorangegangenen Entwicklungen (Start als "Modell-Vorhaben", das jedoch seit Beginn als kassenfinanzierte Regelleistung in Krefeld betrieben wurde, Vermischung/Abbildung im teilstationären Budget, "Mengen"-Beschränkung der IPB) wäre es wünschenswert, mit den Krankenkassen zu einer neuen in die gesetzlichen Rahmenbedingungen verankerten Entgeltvereinbarung zu kommen (z. B. § 301 SGB 5, § 21 KHEntgG). Resümeé IPB zeichnet sich aus durch: • • • • • Hohe Effektstärken Geringe bzw. vergleichbare vollstationäre Aufnahmeraten im Vergleich zu internationalen Studien Keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf stationäre Wiederaufnahmebedürftigkeit in einer 2-Jahres-Katamnese Direkte Kosten bei 50% der vergleichbaren vollstationären und 80% der vergleichbaren tagesklinischen Entgelte (ca. 85% der Kosten durch Löhne) Im Vergleich zur allgemein-psychiatrischen Regelbehandlung (Psych-PV) 2,5x mehr Zeit mit Ärzten/Psychologen für den Patienten. Aus unserer Einschätzung und Erfahrung ist die in Krefeld praktizierte Behandlung i. S. des Hometreatments für viele Erkrankte eine gute Alternative zum stationären Setting. Durch die flexible und individualisierte Therapieplanung ist ein am Bedarf orientierter Behandlungsansatz gegeben, der durch die enge Einbeziehung des Wohn- und Lebensbereiches des Erkrankten ergänzende Möglichkeiten eröffnet, die Ressourcen des psychisch erkrankten Menschen gezielter nutzen kann sowie begleitende häusliche krankheitsunterhaltende Faktoren häufig schneller identifizieren und bei entsprechender Motivation und Veränderungsbereitschaft minimieren kann. Gleichzeitig können vorhandene Klinik-Ressourcen optimal genutzt und ausgeschöpft werden, ohne damit den Erkrankten aus seinem Lebensumfeld zu entwurzeln. Home treatment und damit auch IPB beinhaltet eine zusätzliche Bereicherung zu anderen Behandlungs-Settings und ist auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung psychiatrischer Versorgungsstrukturen und Anpassung an gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Anforderungen aus unserer Sicht eine Notwendigkeit. Angelika Runge Oberärztin Dr. Andreas Horn Ärztlicher Direktor 5 6