Hinter jedem fünften Fall kann sich eine Tuberöse Sklerose verbergen

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Hinter jedem fünften Fall kann sich eine Tuberöse Sklerose verbergen
Pharma Report
Renale Angiomyolipome
Hinter jedem fünften Fall kann sich
eine Tuberöse Sklerose verbergen
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Die Tuberöse Sklerose (TSC) ist eine seltene Systemerkrankung, die zu Fehlbildungen und überwiegend
gutartigen Tumoren in nahezu allen Organen, darunter auch den Nieren, führen kann. Als prominen­
teste Nierenmanifestation entwickeln sich bei den meisten erwachsenen Patienten mit TSC renale
­Angiomyolipome, die lebensbedrohliche Komplikationen hervorrufen können. Mit dem mTOR (mam­
malian Target Of Rapamycin)-Inhibitor Everolimus steht für die Behandlung von renalen Angiomyoli­
pomen, die mit einer TSC assoziiert sind, eine medikamentöse, kausale Therapieoption zur Verfügung.
Impressum
Tuberöse Sklerose (TSC) – Eine komplexe
Erkrankung mit renaler Beteiligung
Meet-the-Expert im Rahmen der 5. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für
Nephrologie, Berlin, 7. Oktober 2013
Berichterstattung:
Dr. Silke Wedekind, Frankfurt am Main
Corporate Publishing (verantwortlich):
Ulrike Hafner,
Dr. Michael Brysch, Dr. Katharina Finis,
Dr. Friederike Holthausen, Sabine Jost,
Ann Köbler, Dr. Claudia Krekeler,
Inge Kunzenbacher, Dr. Christine Leist,
Dr. Sabine Lohrengel, Dr. Ulrike Maronde,
Dr. Annemarie Musch, Dr. Monika Prinoth,
Yvonne Schönfelder, Dr. Petra Stawinski,
François Werner, Teresa Windelen
Report in „Der Urologe“
Band 52, Heft 12, Dezember 2013
Mit freundlicher Unterstützung der
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Die TSC ist eine komplexe und facet­
tenreiche genetisch bedingte Sys­
temerkrankung, die mit Fehlbildun­
gen und benignen Tumoren (Ha­
martomen) in unterschiedlichen Or­
ganen sowie verschiedenen Symp­
tomen einhergeht. Mit einer Inzi­
denz von 1 : 6.000 Lebendgeburten
und einer Prävalenz von 1:10.000 ist
die TSC eine der häufigeren selte­
nen Erkrankungen [1], wie Dr. Mat­
thias Sauter, München, informierte.
Altersabhängigkeit
der Manifestationen
In Abhängigkeit vom Patientenal­
ter können unterschiedliche Mani­
festationen der TSC vorkommen. In
der Anfangsphase der Erkrankung
dominieren häufig neurologische
Symptome wie die Epilepsie, die
bei ca. 80–90 % der Patienten meist
schon im Säuglingsalter auftritt [2,
3]. Eine unbehandelte oder the­
rapierefraktäre Epilepsie kann zu
schweren kognitiven Beeinträchti­
gungen, geistiger Behinderung so­
wie Autismus führen. Subependy­
male Knötchen im Gehirn zeigen
sich bei 80 % der TSC-Patienten. Sie
entwickeln sich bei bis zu einem
Fünftel der Betroffenen zu sub­
ependymalen Riesenzellastrozyto­
men (SEGA) [2, 4]. Ebenfalls charak­
teristisch für die Erkrankung sind
dermatologische ­Symptome wie
hypomelanotische Flecken und/
oder faziale Angiofibrome, die im
Laufe der Pubertät besonders stark
hervortreten [5].
Eine typische TSC-­assoziierte
Komplikation im Jugendlichenund Erwachsenenalter ist die Ent­
wicklung renaler Angiomyolipome
[6]. „Mit zunehmendem Lebens­
alter treten sie bei etwa 80 % der
Patienten mit TSC auf, und oft fin­
den sich dann mehrere Tumoren in
beiden Nieren“, berichtete Sauter.
Insgesamt stünden zwischen 10 %
und 20 % aller renalen Angiomyoli­
pome im Zusammenhang mit TSC
[7, 8]: „Anders ausgedrückt, kann
sich hinter jedem fünften Fall eine
TSC verbergen“, ergänzte PD Dr. Mi­
chael Staehler, München. Ob eine
Assoziation mit TSC besteht, solle
deshalb stets differenzialdiagnos­
tisch abgeklärt werden, riet Staeh­
ler. Eine hohe Wahrscheinlichkeit
für einen solchen Zusammenhang
bestehe beispielsweise bei Patien­
ten im Alter von 20–40 Jahren mit
multiplen und/oder bilateralen Lä­
sionen, so der Urologe (Tab. 1) [7,
9–11].
Interdisziplinäre
­Herausforderung
Renale Angiomyolipome setzen
sich histologisch aus Blutgefäßen,
Muskelzellen und Fettgewebe zu­
sammen. Die überwiegend beni­
gnen Tumoren können vor allem
durch ihre z. T. erhebliche Größen­
ausdehnung symptomatisch wer­
den. Komplikationen ergeben sich
primär vor allem durch retroperito­
neale Blutungen und Aneurysmen.
Zudem kann das AngiomyolipomWachstum zu einer renalen Insuffi­
zienz führen, so Staehler. „Dement­
sprechend zählen akute renale Blu­
tungen und die terminale Nieren­
insuffizienz zu den häufigsten To­
desursachen bei TSC-Patienten“, er­
gänzte Sauter [12].
Beide Experten betonten, dass
die Diagnostik und Therapie der TSC
aufgrund des heterogenen Krank­
heitsbilds mit Beteiligung verschie­
dener Organsysteme eine interdiszi­
plinäre Herausforderung sei. Patien­
ten mit Verdacht auf TSC sollten an
ein auf die Erkrankung spezialisier­
tes Zentrum überwiesen werden,
da sich das Morbiditäts- und Mor­
talitätsrisiko der Patienten erhöht,
wenn die Krankheit nicht frühzei­
tig erkannt und optimal behandelt
wird, betonten Sauter und Staehler.
Schlüsselenzym mTOR
Die Ursache der Tumorbildung bei
der TSC ist weitgehend aufgeklärt:
Sie wird durch eine genetisch be­
Tab. 1 Merkmale des mit einer Tuberösen Sklerose (TSC) assoziierten
bzw. sporadischen renalen Angiomyolipoms
Charakteristika
TSC-assoziiert
sporadisch
bilaterale Läsionen
häufig
selten
multiple Läsionen
häufig
selten
mittleres Erkrankungsalter
30 ± 12 Jahre
53 ± 12 Jahre
mittlere Tumorgröße
8 ± 4 cm
4 ± 3 cm
Beteiligung von Lymphknoten
gelegentlich
selten
deutliche Wachstumstendenz
häufig
selten
schwerwiegende Komplikationen
(z. B. akute Blutung)
häufig
selten
modifiziert nach [7, 9–11]
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dingte Überaktivität der Serin/
Threonin-Kinase mTOR hervorge­
rufen. „Daher erschien der Einsatz
des oralen mTOR-Inhibitors Eve­
rolimus bei Patienten mit TSC-asso­
ziierten Angiomyolipomen als eine
vielversprechende therapeutische
Strategie“, sagte Sauter. Everolimus
(­Votubia®) hemmt die Überaktivi­
tät von mTOR und auf diese Weise
das unkontrollierte Zellwachstum
[13, 14].
Geprüft wurde dieses Therapie­
prinzip in der Phase-III-Studie EXIST
(Examining Everolimus in a Study of
TSC)-2 [15]. Einschlusskriterium für
die Studienteilnahme war das Vor­
liegen mindestens eines renalen
Angiomyolipoms mit einem Durch­
messer ≥3 cm. Die 118 Patienten er­
hielten randomisiert im Verhältnis
2 : 1 entweder 10 mg/Tag Everoli­
mus oder Placebo.
Ursachenorientierte Therapie
Während im Verum-Arm 42 % der
Patienten den primären Wirksam­
keitsendpunkt – eine ≥50%ige Re­
duktion aller Tumorvolumina im
Vergleich zum Ausgangswert nach
drei Monaten – erreichten, waren
es im Placebo-Arm 0 % (p<0,0001).
Nach sechs Beobachtungsmona­
ten betrugen die Werte 55 % und
0 % (p<0,0001). Von der Behand­
lung mit dem mTOR-Inhibitor pro­
fitierte beinahe jeder Patient: Das
Tumorvolumen verringerte sich im
Therapieverlauf bei 95 % der Pa­
tienten aus der Verum-Gruppe.
Zudem erzielten 26 % der Patien­
ten mit initialen Hautläsionen im
Evero­limus-Arm eine Verbesserung
um ≥50 %, während es im PlaceboArm 0 % waren (p=0,0002). Das Si­
cherheitsprofil von Everolimus ent­
sprach dem in den bisher in der In­
dikation TSC durchgeführten Stu­
dien, der mTOR-Inhibitor wurde all­
gemein gut vertragen. Die meisten
Nebenwirkungen waren leicht bis
mäßig schwer ausgeprägt, wobei
Stomatitiden die häufigste Neben­
wirkung waren [15].
Auf Basis dieser Daten wurde Eve­
rolimus für die Behandlung von er­
wachsenen Patienten mit TSC-as­
soziierten renalen Angiomyolipo­
men zugelassen, die nicht unmit­
telbar operiert werden müssen, bei
denen aber aufgrund von Faktoren
wie der Tumorgröße, einem be­
stehenden Aneurysma oder mul­
tiplen bzw. beidseitigen Tumoren
ein Risiko für Komplikationen vor­
liegt. Mit Everolimus steht für die
Betroffenen seit Oktober 2012 erst­
mals eine zielgerichtete medika­
mentöse Therapie zur Verfügung,
die direkt an der Ursache der Er­
krankung angreift, wie Sauter re­
sümierte.
Algorithmus erleichtert
die Therapieentscheidung
Eine Entscheidungshilfe, wann eine
Behandlung mit Everolimus an­
gezeigt ist und wann nicht, gibt
ein Therapiealgorithmus, der von
deutschen Experten erarbeitet
wurde [16, 17].
Literatur
1. Krueger DA, Franz DN, Paediatr Drugs
2008, 10:299–313
2. Adriaensen ME et al., Eur J Neurol 2009,
16:691–696
3. Joinson C et al., Psychol Med 2003,
33:335–344
4. Crino PB et al., N Engl J Med 2006,
355:1345–1356
5. Lagos JC, Gomez MR, Mayo Clin Proc 1967,
42:26–49
6. Moss J et al., Am J Respir Crit Care Med
2001, 164:669–671
7. Koo KC et al., Yonsei Med J 2010, 51:728–734
8. Steiner MS et al., J Urol 1993,
150:1782–1786
9. Nelson CP et al., J Urol 2002,
168 (4 Pt 1):1315–1325
10. Harabayashi T et al., J Urol 2004,
171:102–105
11. Henske EP, Pediatr Nephrol 2005, 20:854–
857
12. Shepherd CW et al., Mayo Clin Proc 1991,
66:792–796
13. Shaw RJ, Cantley LC, Nature 2006,
441:424–430
14. Wullschleger S et al., Cell 2006, 124:471–
484
15. Bissler JJ et al., Lancet 2013, 381:817–824
16. Sauter M et al., Thieme Praxis Report
2013, 5:1–16
17. www.leben-mit-tsc.de
Wichtige Aspekte zur Diagnose und Therapie im Behandlungsalltag
Interview mit Dr. Matthias Sauter, Medizinische Klinik und Poliklinik IV, und PD Dr. Michael Staehler, Urologische Klinik und Poliklinik, Klinikum
der Universität München
Herr Dr. Sauter, Sie haben die Tuberöse Sklerose (TSC)
als „Erkrankung mit vielen Gesichtern“ bezeichnet. Gibt
es unter den Symp­tomen der TSC solche, die eine Blickdiagnose der ­Erkrankung zulassen?
Sauter: Die TSC ist eine Systemerkrankung, die sich re­
gelmäßig an der Haut manifestiert. Somit ist in der Tat
für das geübte Auge – und vor allem für denjenigen,
der mit der Erkrankung vertraut ist – oftmals eine Blick­
diagnose möglich. Zu denken ist hier insbesondere an die fazialen Angio­
fibrome, die oft als Adenoma sebaceum bezeichnet werden, obwohl mit
den Talgdrüsen kein Zusammenhang besteht, fibröse Stirnplaque, an peri­
unguale Fibrome sowie an Pflastersteinnävi, die meist im Bereich des Rü­
ckens zu finden sind.
Welche Vorteile ergeben sich aus Sicht des Nephrologen für Patienten mit TSCassoziierten renalen Angiomyolipomen durch eine Therapie mit Evero­limus?
Sauter: Die bisherigen Therapieverfahren für TSC-assoziierte renale Angio­
myolipome – die chirurgische Resektion und die selektive arterielle Em­
bolisation – gehen zwangsweise mit einem Verlust von intaktem Nieren­
gewebe einher. Dies ist in Anbetracht einer meist multifokalen und bila­
teralen Beteiligung sowie der Möglichkeit einer Angiomyolipom-Entste­
hung in jedem Lebensalter im Hinblick auf die Nierenfunktion hoch prob­
lematisch. Mit Everolimus erweitert sich unser therapeutisches Arsenal um
eine medikamen­töse Option, die zugleich die intakten renalen Strukturen
schont, multiple renale Angiomyolipome behandelt und darüber hi­naus
extrarenale Therapieeffekte auf die Systemerkrankung TSC erzielt.
Herr Dr. Staehler, welche Komplikationen können durch
renale Angiomyolipome aus Sicht des operativ tätigen
Urologen e­ ntstehen?
Staehler: Komplikationen ergeben sich insbesondere
dann, wenn es zu Blutungen durch rupturierte Aneurys­
men kommt. Da bis zu 20 % der Patienten an den Folgen
einer solch akuten Blutung versterben, ist eine recht­
zeitige Diagnose und Überwachung von großen und
wachsenden Angiomyolipomen sehr wichtig. Komplikationen resultieren
auch, wenn die Größenzunahme der Angiomyolipome einen Masseneffekt
mit Verdrängung von Nierengewebe, Kompression von Gefäßen und Harn­
leitern oder ein invasives Wachstum zur Folge hat.
Bei welchen Patienten mit TSC-assoziierten Angiomyolipomen halten Sie
eine medikamentöse Therapie mit Everolimus für sinnvoll. Wann ist eine invasive Maßnahme erforderlich?
Staehler: Eine Nephrektomie wird vor allem in anderweitig nicht beherrsch­
baren Notfallsituationen wie bei einer akuten Blutung mit hämorrhagischem
Schock erforderlich. Da eine Nephrektomie zum Verlust funktionstüchtiger
Nephrone und zu zahlreichen weiteren Nebenwirkungen führt, sollte sie aus­
schließlich besonderen Gefährdungssituationen vorbehalten bleiben. Mit
Everolimus steht ein Medikament für die ursachenorientierte Behandlung
zur Verfügung. Es sollte bei Patienten ohne akute Blutungen eingesetzt wer­
den, die entweder ein Risiko für Komplikationen wie Aneurysmen und mul­
tiple bzw. bilaterale Läsionen haben, oder bei denen andere für die TSC typi­
sche Symptome oder ein Wachstum der Läsionen auftreten.