Luther, Stephan
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Luther, Stephan
Stephan Luther Die Versuche einer Kreisreform in Preußen unter dem Minister des Innern Graf Maximilian von Schwerin-Putzar in der Zeit der "Neuen Ära" Berlin, 1995 Als Diplomarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigt. Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................................................................................1 2 Das Ringen um die Kreisordnung von den Stein-Hardenberg’schen Reformen bis zur »Neuen Ära« ......................................................................................................11 2.1 Die Reform der Kommunalverfassung in der Ära Stein/ Hardenberg ................11 2.2 Der Erlaß der provinzialständischen Kreisordnungen in den 20er Jahren und deren Modifizierung im Vormärz .................................................................................... 18 2.3 Die Kreisordnung von 1850 als Ergebnis der 1848er Revolution ....................... 22 2.4 Die Reaktivierung der früheren Kreistage unter Manteuffel ............................... 25 3 Graf Schwerin-Putzars Kampf um eine Kreisverfassung .................................31 3.1 Der Werdegang Graf Schwerins ..........................................................................31 3.1.1 Kindheit und Jugend ................................................................................................................ 31 3.1.2 Der Beginn seiner politischen Tätigkeit .................................................................................. 34 3.1.3 Minister in der Regierung Camphausen / Hansemann ............................................................ 37 3.1.4 In der Frankfurter Nationalversammlung ................................................................................ 40 3.1.5 Im Haus der Abgeordneten des Preußischen Landtages bis 1859 ........................................... 42 3.1.6 Minister in der „Neuen Ära“ ................................................................................................... 45 3.1.7 Seine Abgeordnetentätigkeit nach seinem Ausscheiden aus der Regierung der »Neuen Ära« bis zu seinem Tode ................................................................................................................................ 47 3.2 Charakteristik der „Neuen Ära“ ..........................................................................49 3.2.1 Die Regierungserklärung des Prinzregenten Wilhelm und sein neues Kabinett. Ein Neubeginn? ............................................................................................................................................ 49 3.2.2 Reformvorhaben der neuen Regierung .................................................................................... 55 4 4.1 Die Geschichte der Kreisordnungsentwürfe von 1860 und 1862 ...................... 58 Der Entwurf, der 1860 in die Zweite Kammer eingebracht wurde ..................... 58 4.2 Überarbeiteter Entwurf von 1862, durch die Regierung in der Ersten Kammer eingebracht....................................................................................................................... 72 4.3 Rücktritt der Regierung Hohenzollern-Sigmaringen und die Weiterführung der Kreisreformen ..................................................................................................................84 4.4 Die Kreisordnung von 1872 - der Abschluß der Reformbemühungen als Fortsetzung der Stein’schen Städteordnung ....................................................................93 5 Schlußbemerkungen ............................................................................................ 100 5.1 Warum scheiterte die Kreisreform in den 60er Jahren? ....................................100 5.2 Ausblick .............................................................................................................107 6 Anlagen ................................................................................................................. 114 6.1 Anlage 1: Schema Kreisordnung 1825 ............................................................. 114 6.2 Anlage 2: Schema Kreisordnung 1850 ............................................................. 115 6.3 Anlage 3: Schema Kreisordnung 1860 ............................................................. 116 6.4 Anlage 4: Schema Kreisordnung 1872 ............................................................. 117 6.5 Anlage 5: Statistische Übersicht zur Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den sechs östlichen Provinzen ...................................................................................... 118 6.6 Anlage 6: Statistische Übersicht zur Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den beiden westlichen Provinzen ................................................................................. 119 7 Quellenverzeichnis ............................................................................................... 120 7.1 Archivalische Quellen ....................................................................................... 120 7.2 Gedruckte Quellen ............................................................................................. 121 8 Literaturverzeichnis ............................................................................................ 123 9 Verzeichnis der Abbildungen .............................................................................128 1 1 Einleitung Die Bemühungen um eine Reform der Kreisverfassung ziehen sich durch das gesamte 19. Jahrhundert wie ein roter Faden und waren ein wichtiger Bestandteil der politischen wie der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Preußen. Im Prinzip kennzeichnet das Ringen um eine Modernisierung der bestehenden Kreisverhältnisse, verkürzt gesagt, den Kampf der Reformkräfte, die sich später im Liberalismus fanden, um einen modernen Staat und gegen die altständischen Repräsentanten. Natürlich kann im Rahmen dieser Arbeit nicht das gesamte Spektrum des Kampfes um eine neue Kreisordnung über diesen Zeitraum erschöpfend behandelt werden. Ich möchte aber einige stringente Linien der Bemühungen um eine Reform derselben aufzeichnen und Problemfelder kurz skizzieren, weil dies für das Verständnis meines eigentlichen Kernthemas von unerläßlicher Bedeutung ist. Den Schwerpunkt meiner Untersuchungen lege ich auf die Versuche zur Reform der Kreisverfassung unter dem Grafen von Schwerin-Putzar in der „Neuen Ära“, da diese eine wichtige Episode beim Kampf um eine Reform der Kreisverfassung darstellten, in der Forschung bisher aber nur eine ungenügende Würdigung gefunden haben. Außerdem lassen sich hier direkte Linien zu der letztendlichen Durchsetzung der Kreisordnung im Jahre 1872 nachweisen, die oftmals in der Forschung so nicht gesehen wurden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Entwürfe unter dem Innenminister Graf von Schwerin eindeutig Kompromißcharakter trugen und im Kontext der parlamentarischen Kämpfe der Zeit zu sehen sind. Im Kapitel 4 wird beim geschichtlichen Werdegang der Entwürfe näher darauf eingegangen werden, inwieweit sie einen Kompromiß mit den konservativen Kräften, vor allem im Herrenhaus, und auch dem Regenten bzw. König und den nicht so liberal eingestellten Ministern darstellten. Graf von Schwerin-Putzar galt in der Reaktionsphase des Ministeriums Manteuffel als einer der altliberalen Führer, der sich vehement für eine Reform der Gemeinde- und Kreisordnungen wie auch der Durchsetzung der Verfassung einsetzte, ohne die Monarchie an sich in Frage zu stellen. In seiner Schrift an seine Wähler von 1858 kommt seine Haltung sehr deutlich zum Ausdruck. 1 „Die Erkenntniß, daß durch die preußische 1 Leider war mir diese Schrift nicht zugänglich und ich muß mich bei meinen Ausführungen auf die zeitgenössischen Artikel zur Person von Schwerin-Putzar beschränken. Jedoch wird dieser Schrift bei der Beurteilung des Charakters des Grafen eine große Bedeutung eingeräumt und umfassend zitiert, so daß der Inhalt derselben mit herangezogen werden konnte. Vgl. Unsere Zeit. Jahrbuch zum ConversationsLexikon. Dritter Band. Leipzig 1859. S. 586.; Schwebel, Oskar: Die Herren und Grafen von Schwerin. Berlin 1865. Hier der Abschnitt XII. Graf Maximilian von Schwerin-Putzar. S. 387 ff. 2 Gesetzgebung von 1807-1811 mit dem Feudalismus definitiv und auf immer gebrochen sei, und daß, da die ländlichen Gemeindeverfassungen in den östlichen Provinzen ihre wesentlichen Wurzeln noch in dem früheren Abhängigkeits- und Unterthänigkeitsverhältnisse gehabt, diese Incongruität aber unzweifelhaft mitgewirkt zu den beklagenswerthen Ereignissen des Jahres 1848, war der Grund gewesen, daß nicht nur bei der Revision der Verfassung diejenigen Bestimmungen unangetastet geblieben waren, in denen die Garantien für den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechende GemeindeKreis- und Provinzialordnungen, sowie eine den früheren Gesetzen gemäße Fortbildung der Agrarverhältnisse und der Befreiung des Eigenthums enthalten waren, sondern es hatten im Jahre 1850 auch schon Regierung und Kammern Hand ans Werk gelegt. Die Gemeindeordnung vom 11. März 1850 ward als Gesetz publicirt und ihre Einführung begonnen. Noch heute bin ich der Überzeugung, daß dies Gesetz mit den sich daran anschließenden Kreis- und Provinzialordnungen auf gesunden Principien beruht und seine Durchführung, trotz mannichfacher Inconvenienzen, die sich im Anfange darboten, segensreich gewirkt haben würde.“ 2 Wenn man diese Äußerung betrachtet, ist es nicht verwunderlich, daß sein Entwurf von 1860 in vielen Punkten mit der Kreis-, Bezirksund Provinzialordnung vom 11. März 1850 übereinstimmt, wenn er auch bei Weitem nicht so radikal mit den alten ständischen Gesetzen bricht. Schon hier wird ein Mangel der Gesetzentwürfe unter Schwerin sichtbar. Im Versuch, den ausgleichenden Kompromiß zu finden, blieben diese hinter den Erfordernissen der Zeit zurück. Selbst das gemäßigt liberale Abgeordnetenhaus nahm in seinem Kommissionsbericht eine Reihe von Änderungen am Entwurf von 1860 vor, die den damaligen Forderungen eher entsprachen. 3 Im zweiten Entwurf von 1862 wurden weitgehend die Änderungen der Kommission des Abgeordnetenhauses mit eingearbeitet, was seitens der konservativen Kräfte, v.a. im Herrenhaus, wiederum zu verstärkter Kritik führte, da die Regierung ohne Not auf diese Vorschläge eingegangen sei. Vor allem von den radikalen demokratischen Kräften wurde sehr scharfe Kritik am gesamten Reformvorhaben der Regierung bezüglich der Kreisordnung geübt. Diesen Kreisen gingen die Entwürfe entschieden nicht weit genug. Bei aller Kritik darf aber 2 Zitiert nach: Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversations-Lexikon. Dritter Band. Leipzig 1859. S. 586. Vgl. Bericht der XIX. Kommission über den Entwurf der Kreis-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 19. Mai 1860. In: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten aus der zweiten Session der V. Legislaturperiode 1860. Bd. VI. Berlin 1860. N° 265. 3 3 nicht übersehen werden, daß die Umsetzung der Entwürfe von 1860 oder 1862 eine erhebliche Verbesserung der Kreisverhältnisse gebracht hätte. Schon Ende des 18. Jahrhunderts erkannte man die Unzulänglichkeit der bestehenden Verhältnisse auf dem Lande. Der Adel und seine ständischen Vertretungen waren in den absolutistischen Fürstenstaat eingebunden worden, hatten andererseits aber auch einen Bereich politischer und sozialer Autonomie wahren können. Nach dem Ausbau des Absolutismus war im Reformbeamtentum die Meinung sehr weit verbreitet, daß die Staatsmacht nun stark und konsolidiert genug sei. Dies hatte für die Konzeption der Reformen nach der Niederlage gegen das napoleonische Frankreich einschneidende Konsequenzen. „Denn nicht nur Stein, ... , sah nun die Zeit gekommen, »übertriebene« Zentralisierung abzubauen und gesellschaftliche Gruppen an der Verwaltung des Staates zu beteiligen.“ 4 Die Beschränkungen der staatlichen Macht war jedoch an vielen Stellen sichtbar. Auf dem platten Lande - im agrarischen Preußen politische und soziale Realität für die überwiegende Mehrheit der preußischen Untertanen - waren die meisten politischen Rechte noch in den Händen des landsässigen Adels; das Rittergut war ein Herrschaftsbezirk, auf den der Staat keinen unmittelbaren Zugriff hatte. „Die großen Bereiche der Domänen waren formell in staatlicher Hand, aber die Pächter agierten dort als lokale Patrimonialherren nur wenig anders als ein Gutsbesitzer.“ 5 Die Landräte wiederum waren trotz ihres halbstaatlichen Charakters immer primär Vertreter der ökonomischen und politischen Interessen und Privilegien der Rittergutsbesitzer geblieben. 6 Die ständischen Vertretungen des Adels waren zwar in ihrer Wirksamkeit stark eingeschränkt, aber keineswegs vollständig entmachtet worden. Bei der Beschäftigung mit der Kreisverfassung Preußens im 19. Jahrhundert lassen sich, mit einzelnen Nuancierungen, bestimmte Entwicklungslinien der unterschiedlichen Strömungen das gesamte Jahrhundert hindurch verfolgen. „In der Kreisverfassungsfrage stieß die ländliche Gesellschaft Preußens, idealtypisch zugespitzt formuliert, mit drei verschiedenen Formen von »Bürgerlichkeit« zusammen: erstens mit der modernen bürokratischen Staatlichkeit - dies vor allem und zuerst in der Reformzeit seit 1807; 4 Nolte, Paul: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800 - 1820. Frankfurt a.M. 1990. S. 45. 5 Ebd. 6 Vgl. Meier, Ernst von: Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg. Hrsg. von F. Thimme. München 1912. S. 98-108. Hintze, Otto: Einleitende Darstellung. Die Wurzeln der Kreisverfassung in den Ländern des nordöstlichen Deutschland. In: ders.: Staat und Verfassung. Göttingen 1970. S. 256-273. 4 zweitens mit dem politischen Liberalismus - diese Auseinandersetzung verdichtete sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Revolution; drittens schließlich mit Kapitalismus und ökonomischen Liberalismus - dieser Konflikt, der freilich spätestens seit dem Oktoberedikt strukturell angelegt war, bestimmte maßgeblich die Debatte der Reichsgründungszeit.“ 7 Die alten ständischen Kräfte des absolutistischen Systems zeigten dabei ein ziemliches Beharrungs- und Durchsetzungsvermögen. Entschieden verteidigten sie ihre dominierende Stellung in den Kreisen und benutzten dabei ebenfalls das Argument der bewährten Selbstverwaltung in der Kreiskorporation und bezogen sich in der Argumentation v.a. auf das »bewährte Instrument des Landrates und der Kreisstände«. Im Kampf um die Reorganisation der kreisständischen Verfassung spiegelt sich der Gegensatz zwischen dem aufstrebenden Bürgertum und dem konservativen landbesitzenden Adel wider. Schwerpunkt bildete dabei die Beteiligung der einzelnen Stände an der Repräsentation, nachdem der alleinige Anspruch des Adels auf Beteiligung an der Kreisvertretung mit den Kreisordnungen der 20er Jahre endgültig beseitigt war. Vor allem die Städte fühlten sich in der Beteiligung an der Kreisverwaltung benachteiligt und reichten beim Staatsministerium und später beim Abgeordnetenhaus des Landtages immer wieder diesbezügliche Petitionen ein. Ein weiteres Schwergewicht bildete das Verlangen nach Entfaltung der Persönlichkeit und als Ausdruck dessen die Beteiligung an der Verwaltung. „Mit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Landrechts war in Preußen 1794 die Frage gestellt, inwieweit das soziale Verpflichtungssystem, das diesem Gesetz zugrunde lag und alle Lebensbereiche erfaßte, mit dem Recht des einzelnen Menschen auf Entfaltung seiner Persönlichkeit in Einklang gebracht werden könne.“ 8 Dieses Spannungsverhältnis durchzog mit wechselnder Intensität die folgenden Jahrzehnte und wirkte auf das Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Der darin enthaltene Konfliktstoff war um so größer, als mit der Aufklärung die Grundlagen der alten ständischen Ordnung zerfielen. Auf der einen Seite versuchten die bisher Privilegierten den Prozeß aufzuhalten und auf der anderen kamen durch die zunehmende Industrialisierung und die damit verbundene kapitalistische Wirtschaftsform ökonomische Interessen zur Geltung, die sich möglichst dem staatlichen Einfluß entziehen wollten. Andererseits wollten die neuen Eliten entsprechend 7 Nolte, Paul: Repräsentation und Grundbesitz. Die kreisständische Verfassung Preußens im 19. Jahrhundert. In: Tenfelde, Klaus; Wehler, Hans-Ulrich [Hrsg.]: Wege zur Geschichte des Bürgertums. Vierzehn Beiträge. Göttingen 1994. S. 79. 8 Unruh, Georg-Christoph von: Der Landrat. Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung. Köln, Berlin 1966. S. 49. 5 ihres ökonomischen Einflusses an der politischen Machtausübung partizipieren. Für die Lösung der daraus resultierenden sozialen Folgen war die alte Ordnung nur sehr unzureichend gerüstet. Zum Forschungsstand muß zunächst gesagt werden, daß die Kreisverfassung Preußens generell nur sehr wenig im Blickpunkt der neueren Analysen stand. 9 Bisher waren mehr die Reformbestrebungen unter Stein und Hardenberg Gegenstand der Untersuchungen, wobei dann auch die Verwaltungsreformen, und hier ebenso die des Kreises erforscht wurden. In der neueren Zeit „hat das Interesse an den Reformen in Verwaltung und Verfassung, früher meist im Mittelpunkt der Darstellungen, in letzter Zeit spürbar nachgelassen - sicher zunächst nicht ganz zu Unrecht, denn den Rückstand in der Erforschung von sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen aufzuholen war längst überfällig. Es müßte aber sinnvoll sein, die vor allem ältere Literatur und unter älteren Fragestellungen behandelten politischen Bereiche der Reformen einmal im Kontext der bisher vorwiegend an ihren sozioökonomischen Aspekten erprobten neuen Perspektiven zu untersuchen, und das heißt nicht zuletzt auch: diese politischen Bereiche modernisierungstheoretisch zu analysieren.“ 10 Diese Einschätzung möchte ich nicht nur für die Reformzeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts, sondern für die Forschung zur Kreisverfassung für dieses Jahrhundert insgesamt, ausgedehnt wissen. Die Arbeiten von Paul Nolte, der sich vor allem mit den Reformversuchen zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter Stein und Hardenberg auseinandergesetzt hat, entwickelten einige interessante und neue Ansatzpunkte bei der Herausarbeitung eines Reformbedürfnisses und der Charakteristik des gesellschaftlichen Zustandes Preußens zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Verneinung eines solchen Bedürfnisses auf dem Gebiet der Kreisverfassung spielt dann bei der Verhinderung der Neugestaltung der 9 Vgl. Nolte, Paul: Repräsentation und Grundbesitz. Die kreisständische Verfassung Preußens im 19. Jahrhundert. In: Tenfelde, Klaus; Wehler, Hans-Ulrich [Hrsg.]: Wege zur Geschichte des Bürgertums. Vierzehn Beiträge. Göttingen 1994. S. 79. Nolte konstatiert hier ein enormes Defizit, obwohl die Konflikte um die kreisständische Verfassung „insgesamt die preußische Geschichte seit der Reformzeit maßgeblich mitbestimmt“ hat. 10 Nolte, Paul: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800 - 1820. Frankfurt a.M. 1990. S. 13 f. Darüber hinaus gehend; ders.: Reformen und politische Modernisierung. Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Vergleich. In: Archiv für Kulturgeschichte, 70(1988). S. 33-100. Vgl. für die älteren Arbeiten v.a. Unruh, Georg-Christoph von: Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808 - 1810 - 1820. Aschendorf 1968. (= Sonderausgabe aus Westfälische Forschungen. Mitteilungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volkskunde, 21. Band 1968); Ders.: Der Landrat. Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung. Köln, Berlin 1966.; Ders.: Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft. Köln, Berlin 1964.; 6 Kreisordnung unter Schwerin-Putzar eine entscheidende Rolle, auch wenn es zumindest in der Zeit der „Neuen Ära“ von allen Kräften generell akzeptiert wurde. Die Zeit nach den Stein-Hardenbergischen Reformen bis zur Kreisordnung von 1872 sind bezüglich der Reform der Kreisverfassung nur marginal einer Betrachtung unterzogen worden. Auch für 1872 war lange Zeit nur ältere Literatur vorhanden, die zudem meist nur aus zeitgenössischen Berichten und den offiziellen Protokollen entstanden. 11 Hervorzuheben unter diesen Beiträgen ist die Dissertation von Paul Schmitz. In dieser Arbeit wird der äußere Gang der Gesetzgebung bis zur Kreisordnung von 1872 in ihren verschiedenen Stadien nach den Sitzungsberichten und sonstigen parlamentarischen Quellen unter Berücksichtigung der zeitgeschichtlichen Literatur dargestellt und anhand von Zeitungen und Broschüren die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien erläutert. Hier ist der Geschichte der Verwaltungsreformen auf dem Lande ein breiter Raum gewidmet worden. Sehr gut wird dabei herausgearbeitet, daß eine Reform der Verwaltung auf dem Land immer dringender wurde und die althergebrachte Stellung der Rittergutsbesitzer in keiner Weise den gesellschaftlichen Realitäten entsprach. Eine sehr gute Gesamtdarstellung der Selbstverwaltung bietet die Arbeit von Heffter. 12 Diese kann als Standardwerk für die Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert bezeichnet werden und ist auch heute noch in fast allen Dingen nicht überholt. Heffter stellt sehr ausführlich die geschichtliche Entwicklung der Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert dar. Dabei bezieht er sehr gut die äußeren und inneren Bedingungen mit ein sowie ebenso die Entwicklung der Ideen zur Selbstverwaltung, v.a. bei Freiherrn vom Stein, Lorenz von Stein und bei Gneist. Auch werden die anderen Territorien im Vergleich zu Preußen betrachtet, was einen Blick auf die gesamte Entwicklung in Deutschland ermöglicht. 11 Vgl. Becker, Erich: Einflüsse der englischen Lokalverwaltung auf die preußische Verwaltungsreform durch Rudolf von Gneist im Jahre 1872. In: ders.: Gemeindliche Selbstverwaltung in Deutschland. 1. Teil: Grundzüge der gemeindlichen Verfassungsgeschichte. Berlin 1941. S. 237-255.; die vielen Arbeiten von Unruh sowie die von Heffter greifen im Wesentlichen folgende zeitgenössische Arbeiten auf: Vgl. Gneist, Rudolf von: Der Rechtsstaat. Berlin 1872.; Gneist, Rudolf von: Die Preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des Deutschen Verfassungsstaates. Berlin 1870.; Gneist, Rudolf von: Das Englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den deutschen Verwaltungssystemen. 3. Aufl. Bd. 1.2. Berlin 1883/84.; Gneist, Rudolf von: Die Eigenart des preußischen Staates. Rede zur Gedächtnisfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 3. August 1873. Berlin 1873.; Lette, Wilhelm Adolf: Zur Reform der Kreisordnung und ländlichen Polizeiverfassung. Berlin 1868.; Brauchitsch, Max von: Die Organisationsgesetze der inneren Verwaltung in Preußen. Materialien. Zusammengestellt und herausgegeben von Max von Brauchitsch. Bd. I, Teil 1-4. Die Materialien zur Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Berlin 1882.; Schmitz, Paul: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Phil. Diss. Berlin 1910. 12 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. 7 Auch in den Überblickswerken zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte werden die Kreisreformen nur auf der Grundlage der älteren vorhandenen Literatur abgehandelt. 13 Erst in der jüngsten Zeit wandte man sich wieder diesem Gebiet zu. 1993 ist von Gerhard Lange eine Arbeit zur Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 erschienen, die allerdings mehr aus der Sicht des Verwaltungsjuristen geschrieben ist. 14 Sie ist jedoch erstmalig aus den Quellen herausgearbeitet worden und deshalb besonders verdienstvoll. Lange untersucht in seinem Werk u.a. auch die Vorgeschichte der Kreisordnung von 1872. Die verschiedenen Etappen bis zu den Reformbestrebungen unter Graf Friedrich zu Eulenburg werden allerdings nur sehr knapp abgearbeitet. So werden z.B. die sehr entscheidenden Vorarbeiten unter einem Vorgänger Eulenburgs im Amt des Innenministers, Graf Maximilian Heinrich von Schwerin-Putzar, nur sehr unzureichend bzw. gar nicht gewürdigt. 15 Wenn man die Entwürfe unter SchwerinPutzar mit denen, die dann zur Kreisordnung von 1872 führten, vergleicht, wird man unschwer Ähnlichkeiten feststellen können. Die Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 ist nur wesentlich umfangreicher und detaillierter ausformuliert. Zusätzlich sind hier u.a. der Amtsbezirk, als reiner polizeilicher Verwaltungsdistrikt mit einem ehrenamtlichen Amtsvorsteher eingefügt, und die Verwaltungsgerichtsbarkeit für den Kreisausschuß festgehalten worden. Auch die Anstrengungen Lettes, der im Abgeordnetenhaus die Vorschläge des Innenministeriums aufgriff und weiter verfolgte, werden kaum beachtet. 16 Im Wesentlichen werden die wirklich sehr beachtlichen 13 Vgl. Jeserich, Kurt G.A./ Unruh, Georg-Christoph von und Pohl, Hans [Hrsg.]: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 2. Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes. Stuttgart 1983.; Jeserich, Kurt G.A./ Unruh, Georg-Christoph von und Pohl, Hans [Hrsg.]: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 3. Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie. Stuttgart 1984.; Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. III. Bismarck und das Reich. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988. 14 Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte, Bd. 3) 15 Die Versuche unter Schwerin werden nur in einem Satz behandelt. „Vom Jahre 1859 an begann mit dem Kabinett des Fürsten von Hohenzollern die »Neue Ära« unter dem Prinzregenten. Von jetzt an kamen unter dem liberalen Innenminister Graf von Schwerin-Putzar die Bemühungen um neue kommunale Ordnungen nicht mehr zur Ruhe.“ Ebd. S. 112. Hier zeigt sich der Einfluß seines akademischen Lehrers, von Unruh, der nahezu die gleichen Formulierungen gebrauchte und auch nicht näher auf die Reformversuche der Neuen Ära eingeht. Beide bezeichnen Eulenburg und Gneist als geistige Väter der Kreisordnung von 1872. Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Die Veränderung der preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen. In: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 2, Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des deutschen Bundes. Hrsg. Von Kurt G. A. Jeserich; Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh. Stuttgart 1983. S. 469. Im Gegensatz dazu Friedrich Schöne, der Gneist und Schwerin als die geistigen Urheber bezeichnet. Schöne, Friedrich: Werden und Sein der preußischen Landkreise als Grundlagen ihrer Zukunft. In: Jeserich Kurt [Hrsg.]: Die deutschen Landkreise. Material zur Landkreisreform. Stuttgart, Berlin 1937. S. 19, Fußnote 31. 16 1863 brachte Lette nahezu unverändert den Entwurf zu einer Kreisordnung, wie er von der Regierung dem Herrenhaus vorgelegt wurde, ins Abgeordnetenhaus ein, der wegen des Schlusses des Landtages am 8 Leistungen des Innenministers Eulenburg und Rudolf von Gneists in den Mittelpunkt dieser Erörterungen gestellt. An der Universität Mainz wurde vor kurzem eine Dissertation ebenfalls zur Kreisordnung von 1872 verteidigt, welche mir allerdings im Wortlaut nicht zugänglich war. 17 Die Reform der Kreisverfassung in der „Neuen Ära“ wird auch zu sehr von den Konflikten um eine Heeresreform, die sich zu einer Verfassungsfrage ausweiteten, überschattet, und von der Forschung insbesondere reflektiert. Mit den provinziellen Kreisordnungen von 1825-1827 18 war die Ständegesellschaft mit gewissen Modifizierungen für lange Zeit festgeschrieben und der überwiegende Einfluß der Rittergutsbesitzer auf den Kreistagen gesichert. Zwar wurden in diesen Gesetzen der Begriff der Stände beibehalten, jedoch hatte dieser eine andere inhaltliche Bedeutung erlangt. An die Stelle geburtsständischer Rechte trat der Besitz von größeren Vermögen bzw. Gütern, die die Ausübung von Rechten und die Teilnahme an den Kreistagen regelten. Nur in Westfalen und der Rheinprovinz war auch eine angemessene Vertretung der Städte geregelt, die im Verhältnis ihrer Bevölkerung und Bedeutung mehrere Vertreter entsenden durften. Die provinziellen Gesetze der 20er Jahre haben mit einigen eingeräumten Funktionserweiterungen bis 1872 ihre Gültigkeit behalten. Diese Gesetze waren wenig geeignet, die Spannungen zwischen Regierung und Bevölkerung abzubauen. Vor allem wurde das Hineinwachsen der westlichen Provinzen in das preußische Staatsgebilde erschwert. Viele Vertreter des Bürgertums sahen in den kreisständischen Verhältnissen eine vorwiegend aristokratische Einrichtung, ohne daß den eigenen kommunalen Leistungen eine gerechte Würdigung zuteil kommen würde. 19 27.5.1863 nicht mehr zur Beratung kam. Vgl. Referat über eine angemessene Vertretung der Städte auf den Kreistagen. Druckschrift. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 10, Bl. 33-37. Der Entwurf der Kreisordnung in: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten.. N° 60. Berlin 1863. Vgl. u.a. die Titel von Lette unter Fußnote (FN) 11. 17 Vgl. Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. München 1993. Hier wird die beabsichtigte Dissertation von Hans G. Benzing: Die preußische Kreisreform 1872, aufgeführt und die nun auch schon verteidigt sein soll. 18 Die neuen, für jede Provinz gesondert erlassenen, Kreisordnungen knüpften im Wesentlichen an der überlieferten kurmärkischen Verfassung an, hatten aber den entscheidenden Mangel, die veränderten sozialen Strukturen nicht zu berücksichtigen. Vgl. Kreisordnung der Kur- und Neumark Brandenburg vom 17.8.1825. Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten. S. (GSS) 203 ff. für Pommern vom 17.8.1825. GSS 217 ff.; für die Provinz Sachsen vom 17.5.1827, GSS 54 ff.; für Schlesien vom 2.6.1827, GSS 71 ff.; für die Rheinprovinz und Westfalen vom 13.7.1827, GSS 117 ff.; für Preußen vom 17.3.1827, GSS 34 ff. Und für Posen vom 20.12.1828, GSS 3 ff. 19 Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Der Landrat. Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung. Köln, Berlin 1966. S. 53 f. 9 Es ist wohl nicht vermessen zu behaupten, daß um die Verabschiedung der Kreisreform durch die Initialzündung der Revolution von 1848 ein regelrechter Kampf ausgetragen wurde. Bereits auf dem Vereinigten Landtag von 1847 war die Reorganisation der Kreisverfassung auf die Tagesordnung gesetzt worden. All dies spiegelt sich sehr umfangreich in der zeitgenössischen Literatur wieder. 20 Im Ergebnis der Revolution wurde für das platte Land im März 1850 eine Kreisordnung erlassen, die dem liberalen Zeitgeist entsprach. Dies rief jedoch den energischen Widerstand der konservativen Kräfte in Preußen auf den Plan und führte zu heftigen Debatten, die letztendlich mit dem Sieg der Reaktion endeten - nämlich in der Form der Revidierung der Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung, die im Gesetz vom 23. Mai 1853 ihren gesetzlichen Ausdruck fand. Mit der Übernahme der Regentschaft durch Wilhelm verbanden die liberalen Kräfte große Hoffnungen bezüglich der Reform der Kreisverfassungen. In dem neuen Ministerium stand die Kreisordnung unter Federführung des Innenministers mit im Mittelpunkt, kam jedoch wegen der vielfältigen Widerstände nicht zur Ausführung, ja nicht einmal zur Beratung in einer der beiden Kammern. Jedoch gab es ausführliche Verhandlungen in den entsprechenden Kommissionen des Abgeordneten- und des Herrenhauses. Die umfangreichen Berichte geben Aufschluß über die unterschiedlichen Motivlagen bezüglich dieser Reform. Erst mit der Kreisordnung von 1872 konnten die reformfreudigen Kräfte einen Sieg über die konservativen Elemente verbuchen und einen seit mehr als 60 Jahre währenden Kampf beenden. Da es kaum Darstellungen zu dieser Zeit gibt, war es für diese Arbeit notwendig, die Akten des preußischen Innenministeriums zu Rate zu ziehen. Leider sind für den ersten Entwurf von 1860 einige entscheidende Akten nicht mehr im Geheimen Staatsarchiv vorhanden 21 und so konnte nur auf bestimmte Gegenüberlieferungen zurückgegriffen werden. Im Rahmen dieser Arbeit wurde jedoch darauf verzichtet, die Protokolle der Sitzungen des Staatsministeriums sowie die der Kommissionen des Abgeordneten- und des Herrenhauses mit heranzuziehen, da schon die Recherchen im Innenministerium 20 Vgl. u.a. Preußen seit Abschluß des Staatsgrundgesetzes bis zur Einsetzung der Regentschaft. Zweiter Artikel. Die Gesetzgebung. In: Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversations-Lexikon. Siebenter Band. Leipzig 1863. S. 39-78.; Die Verwaltungsreform in Preußen. Studie. Von einem Mitgliede des Abgeordnetenhauses. (Otto Karl von Diest-Daber) In: Preußische Jahrbücher. 42. Bd., Heft 3. Berlin 1878. 21 Es fehlen aus dem Bestand Rep. 77 unter Tit. 772, N° 1 die Bände 4 bis 6, bezüglich: die Entwerfung einer Kreisordnung und die kreisständische Verfassung des Staates überhaupt, die einen Zeitraum von 1853 bis 1860 abdecken. Besonders Band 6 (1859-1860) wäre von gesteigertem Interesse gewesen. 10 sehr zeitaufwendig waren. Bei einer weiteren Beschäftigung mit dem Thema wäre dies jedoch förderlich. 11 2 Das Ringen um die Kreisordnung von den Stein-Hardenberg’schen Reformen bis zur »Neuen Ära« 2.1 Die Reform der Kommunalverfassung in der Ära Stein/ Hardenberg Mit dem Zusammenbruch Preußens wurden die Mängel des alten patriarchalisch verfestigten, absolutistisch beherrschten Verhältnisses zwischen Genossenschaft und Herrschaft offenbar. Preußen mußte nach dem Frieden von Tilsit am 9. Juli 1807 auf alle Gebiete westlich der Elbe sowie auf weite polnische Teile verzichten. Außerdem hatte es hohe finanzielle Kontributionen in Höhe von 120 Millionen Franken an Frankreich zu leisten und eine Besetzung der Festungen Glogau, Stettin und Küstrin bis zu deren Begleichung zu ertragen. Die Unfähigkeit des alten Ständestaates zur Lösung der materiellen wie militärischen Probleme war offenbar geworden. Preußen war praktisch von außen gezwungen, die bis dahin verschleppten Reformen nun endlich in Angriff zu nehmen. „Der enge Zusammenhang zwischen Notlage und Erneuerungswerk durchzieht bereits das erste große Gesetz der Reformära, das Edikt über die Bauernbefreiung vom 9. Oktober 1807.“ 22 Der staatlich geplante und bewirkte soziale Wandel verlangte indessen eine andere Verwaltung, als sie der an der überkommenden Sozialordnung haftende absolute Staat ausgebildet hatte. „Konnte die Erneuerung unter den gegebenen Umständen nur von der staatlichen Verwaltung ausgehen, so wurde deren eigene Erneuerung zur Vorbedingung der Erreichung des gesteckten Zieles. Die Verwaltungsreform gewann auf diese Weise eine besondere Dringlichkeit und rückte an die Spitze aller Reformvorhaben.“ 23 Diese Priorität behauptete die Verwaltungsreform auch gegenüber der Verfassung. Erst wenn die Regierungsverfassung erneuert war, konnte die Konstitution in Angriff genommen werden. In den altpreußischen Gebieten galt noch das Gemeinderecht, welches im Allgemeinen Landrecht von 1794 noch einmal ausdrücklich festgeschrieben wurde. In diesen Bestimmungen war das Lokalverwaltungssystem des alten absolutistischen Systems aufrechterhalten. Auf dem Land hatte der Gutsherr und auf Kreisebene die Schicht der Rittergutsbesitzer die Macht in den Händen. 24Die Kreisversammlungen bestanden als sogenannte Kreiskonvente ausschließlich aus den adligen Rittergutsbesitzern nach der alten provinziellen oder Kreiseinteilung. Der Landrat gehörte in der Regel, obwohl vom 22 Grimm, Dieter: Deutsche Verfassungsgeschichte 1776-1866. Vom Beginn des modernen Verfassungsstaats bis zur Auflösung des Deutschen Bundes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988. S. 79. 23 Ebd. S. 81. 24 Vgl. Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. I. Reform und Restauration 1789-1830. Stuttgart, Berlin, Köln 1990. S. 178. 12 König ernannt, zu der kreiseingesessenen Elite, die das Recht behauptet hatte, dem König geeignete Kandidaten für das Landratsamt zu präsentieren. Der Landrat war Vorsteher und Verwalter ihrer kommunalen Angelegenheiten. 25 Gleichzeitig war er staatlicher Verwaltungsbeamter und unterstand, seit deren Gründung im Jahre 1723, der Kriegs- und Domänenkammer. Den vorläufigen Abschluß der Entwicklung des Landratsamtes im 18. Jahrhundert erhielt dieses mit der Instruktion für die Landräte vom 1. August 1766. 26 Hierin wurden alle bisherigen Edikte zusammengefaßt. Diese Instruktion bildete dann die Grundlage für die Normen der landrätlichen Tätigkeit bis 1806. 27 Der Landrat war Beamter des Königs und zugleich Vertrauensperson der Kreisstände. Die Entwicklung des Landratsamtes im 18. Jahrhundert brachte jedoch eine zunehmende Verstärkung der landesherrlichen Komponente. „Die Abhaltung der Kreistage und die Besorgung der kreisständischen Geschäfte, seine ursprüngliche Haupttätigkeit, traten bei dem schwachen kommunalen Charakter des damaligen Kreisverbandes gegenüber den zahlreichen staatlichen Verwaltungsfunktionen an Bedeutung weit zurück.“ 28 Die bestehende Kreisverfassung des Absolutismus war sozusagen ein Kompromiß zwischen Krone und dem Landadel. Der König hatte den Zugriff in Verwaltungsangelegenheiten bis auf die Kreisebene, die Rittergutsbesitzer hatten dagegen volles Hoheitsrecht in ihren Gutsbezirken und dazu ein Mitspracherecht bei der Besetzung des Landrates. Innerhalb der Bevölkerung hatten sich bedeutende soziale Umschichtungen vollzogen, das alte System zeigte jedoch ein immenses Beharrungsvermögen. Die vielen Manufakturen, die Zunahme außerlandwirtschaftlicher Produktion hatte neue Stände in den Städten wie in kleinbäuerlichen Gebieten entstehen lassen. Für diese neuen Stände war in der alten ständischen Gliederung ebensowenig Platz wie für die einflußlosen Bauern. „Bauern, Arbeiter und gewerbetreibende Bürger bildeten aber den größten Teil der Bevölkerung, ohne daß sie an irgendwelchen Entscheidungen im politischen Leben teilhätten, ... .“ 29 Das politische Ziel vom Steins war es, ebenso die Herrschaftsformen des absoluten Staates wie die sozialen Spannungen innerhalb der Bevölkerung zu 25 Vgl. Lette, Wilhelm Adolf: Zur Reform der Kreisordnung und ländlichen Polizeiverfassung. Berlin 1868. S. 6 ff. 26 Instruktion für die Land-Räthe in der Chur-Mark vom 1. August 1766. Abgedruckt bei Gelpke, Franz: Die geschichtliche Entwicklung des Landratsamtes der preußischen Monarchie. Unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg, Pommern und Sachsen. Berlin 1902. 27 Vgl. ebd. S. 65. 28 Ebd. S. 63. 29 Unruh, Georg-Christoph von: Der Landrat. Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung. Köln, Berlin 1966. S. 33. 13 überwinden. Den Weg sah er in der Eingliederung der Gemeinwesen in die größere politische Gemeinschaft, den Staat. “Den Zweck des Staates sah Stein in der »religiösen, geistigen und auch materiellen Entwicklung« des Menschen; »die Freiheit als Mittel zur Erreichung dieses Zweckes«.“30 In der Proklamation vom 21. Oktober 1808, in welcher die direkte Beteiligung des einzelnen Staatsbürgers an der Verwaltung als ein Ziel der Neuordnung des Staatswesens ausdrücklich hervorgehoben wurde, war vermerkt, daß der Bauer und jeder Bürger des Staates alle Rechte und Freiheiten genießen solle, die freien Männern zuständen. 31 Der Tätigkeit des Einzelnen sollte eine freie Entfaltung ermöglicht werden, jeder sollte Erfahrungen in der Verwaltungstätigkeit sammeln, um eine bessere Aufgeschlossenheit gegenüber dem Ganzen, dem Staat zu erzielen. Als Feld dafür sah Stein die gemeindliche Selbstverwaltung. Für die Stadt wurde dies in der Städteordnung von 1808 zur Wirklichkeit. Die städtischen Mandatsträger waren laut diesem Gesetz in vollem Umfange Vertreter der gesamten Bürgerschaft und frei in ihrem Abstimmungsverhalten. Nach Stein konnte nur der Verantwortung tragen, der auch frei abstimmen kann. Im Freien Mandat liegt also der Anfang zum Verständnis der von Stein angestrebten Staatsverfassung. Der vollzogenen Städteordnung sollten Gesetze für die Provinzial- und die Kreisverfassung folgen. Bereits im Edikt vom Oktober 1807 hatte er Bezug auf die Kreisverfassung genommen. Die Kreistagsabgeordneten sollten Vertreter für sämtliche Kreiseingesessene sein, die gesamten Kreisinteressen, und nicht nur die seiner Wähler, vertreten. Aus jeder Kommune sollte ein Deputierter auf den Kreistagen erscheinen, wobei dieser durch persönliches Eigentum in seinen Entscheidungen unabhängig sein sollte. Der Gedanke der staatsbürgerlichen Freiheit und Gleichheit ließ keine Ausnahmen zu; deshalb mußte auch die große Abhängigkeit der Bauern auf dem platten Lande beseitigt werden. Das Edikt zur Bauernbefreiung war also eine logische Folge der Stein’schen Auffassungen von der Beteiligung des freien Staatsbürgers an der Staatsverwaltung. „Stein und seine engeren Mitarbeiter, vor allem der Staatsminister Friedrich Leopold von Schroetter (1743-1815) und der aus Westfalen stammende Ludwig Freiherr von 30 Unruh, Georg-Christoph: Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen. In: Jeserich, Kurt G.A.; Pohl, Hans; Unruh, Georg-Christoph von [Hrsg.]: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 2. Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes. Stuttgart 1983. S. 402. 31 Vgl. Botzenhart, Erich: Freiherr vom Stein. Briefwechsel, Denkschriften und Aufzeichnungen. 2. Band. Berlin [1936]. S. 552 f. 14 Vincke (1774-1844) haben zwischen dem Juni 1807 und der Entlassung Steins im November 1808 eine Fülle von Denkschriften und Entwürfen zusammen mit ihren Mitarbeitern aufgestellt. Sie machen es deutlich, daß von Anfang an neben der Städteordnung der Erlaß einer Kreisordnung vorgesehen war.“ 32 Auf einer Reise durch England fiel Vincke die Ähnlichkeit des britischen Selfgovernments in den dort County genannten kommunalen Bezirken mit denen in seiner Heimat auf und gleich nach seiner Rückkehr verfaßte er für Stein ein Memorandum, indem er eine dem britischen System ähnliche Kreisverfassung für Preußen zeichnete. 33 Stein nahm diese Vorschläge wohlwollend auf, erkannte aber sehr bald, daß die Verhältnisse in Preußen zu sehr von denen in England abwichen, als daß sie sich so ohne weiteres auf Preußen übertragen ließen. In einem Schreiben an Schroetter lehnte er diese Vorschläge aus den genannten Gründen ab. 34 Zugleich erteilte er Schroetter den Auftrag, einen auf die besonderen Verhältnisse der preußischen Provinzen eingehenden Entwurf einer Kreisverfassung auszuarbeiten. Dieser Weisung entsprechend legte Schroetter einen Entwurf für eine Kreisordnung am 13. Oktober 1808 vor, der sich zunächst nur auf die Provinz Preußen bezog. 35 Am 24. November desselben Jahres folgte noch eine Vorlage über die Organisation der Ortsbehörden auf dem Lande. 36 Stein selbst war es nicht mehr vergönnt, die Vereinigung von Staats- und Selbstverwaltung auf dem platten Lande voranzutreiben. Hardenberg blieb es vorbehalten, mit seinem Gendarmerieedikt vom 30. Juli 1812 37 ein wirkliches Kreisverfassungsrecht der heutigen Art zu schaffen. In der Präambel dieses Gesetzes wurde auf die mangelnde Wirksamkeit der Staatsverwaltung unter den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen hingewiesen. 38 Bereits das im September 1811 verkündete Regulierungsedikt zeigte die Radikalität, mit der in die ländliche Verfassung eingegriffen werden sollte. Entsprechend heftig waren auch die Proteste des 32 Unruh, Georg-Christoph von: Der Landrat. Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung. Köln, Berlin 1966. S. 35. 33 Vgl. Nolte, Paul: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800 - 1820. Frankfurt a.M. 1990. S. 65. 34 Vgl. Stein an Schroetter am 27. Juni 1808. In: Botzenhart, Erich: Freiherr vom Stein. Briefwechsel, Denkschriften und Aufzeichnungen. 2. Band. Berlin [1936]. S. 766 ff. 35 Dieser Entwurf darf nach Unruh als Stein’scher Entwurf einer Kreisordnung bezeichnet werden, da dieser in allen wesentlichen Punkten den Intentionen Steins entsprach. Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Der Landrat. S. 36. 36 Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808 - 1810 - 1820. Münster 1968. S. 8. 37 Vgl. GSS 1812, S. 141-160. 38 Vgl. ebd. S. 141. „Unserer Aufmerksamkeit sind die Mängel nicht entgangen, welche der Wirksamkeit der Staatsverwaltung in Beziehung auf das platte Land hinderlich sind.“ 15 grundbesitzenden Adels. Dies hat der Reformbürokratie noch einmal deutlich vor Augen geführt, daß es notwendig war, gegen die privilegierte Stellung des Adels auf dem Lande vorzugehen. 39 „Das bloße Hin- und Herschieben von Gutachten und Entwürfen sollte beendet werden; mit dem von Scharnweber entworfenen und in dieser Form, von kleinen Änderungen abgesehen, auch weitgehend belassenen Edikt wegen Errichtung der Gendarmerie vom 30.7.1812, dessen Titel seine Tragweite nicht ahnen läßt, sollte das politische Komplement zur Wirtschaftsreform geschaffen werden.“ 40 Hardenberg ging jedoch von anderen Prämissen als Stein aus. Im Gegensatz zur Selbstverwaltung bei Stein setzte er voll und ganz auf das staatliche Modell der Verwaltung. Für ihn war es wichtiger, Mängel abzustellen, die einer wirksamen Staatsverwaltung entgegenstanden als eine umfassende Beteiligung der Bürger am Gemeinwesen. Bei der Diskussion zum Edikt wurde ein Mangel an Repräsentation von einigen Schichten beklagt, v.a. in den ländlichen Herrschaftseinheiten, und die Einseitigkeit derselben bei anderen. Ebenso kritisiert wurde das Übergewicht, welches einzelne Klassen von Staatsbürgern durch ihren vorherrschenden Einfluß auf die öffentlichen Verwaltungen aller Art haben. Die Adligen sollten Staatsbürger sein, wenn auch mit gewissen Privilegien ausgestattet, die im Hinblick auf Rechte zur Herrschaftsausübung den übrigen Bürgern gleichgestellt sein sollten. Diese Rechte wollte die Bürokratie im Staatsapparat konzentrieren. 41 Ganz in diesem Sinne sollte der Landrat wegfallen und an dessen Stelle ein rein staatlicher Kreisdirektor treten. Es war vorgesehen, daß die Patrimonialgerichtsbarkeit der Rittergutsbesitzer und deren Vorherrschaft in den Kreisen beseitigt wird. Ein solch radikales Vorgehen sahen aber selbst die am stärksten bürokratisch-etatistisch denkenden Beamten des Staatskanzlerbüros als nicht sinnvoll, „zum Teil aus prinzipiellen Gründen: weil Skrupel gegenüber einer bürokratischen Entmündigung der traditionalen gesellschaft-lichen Kräfte noch vorhanden waren; zum Teil aus taktischen, also um angesichts des zu erwartenden Widerstandes mit einem stufenweisen Vorgehen größeren Erfolg erzielen zu können.“ 42 39 Vgl. Nolte, Paul: Reformen und politische Modernisierung. Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Vergleich. In: Archiv für Kulturgeschichte, 70(1988). S. 63. siehe auch Nolte, Paul: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800 - 1820. Frankfurt a.M. 1990. S. 68. 40 Ebd. 41 Vgl. ebd. S. 69. 42 Den Hauptknackpunkt stellte meines Erachtens die Tatsache dar, daß das Präsentationsrecht des Adels für den Landrat sowie die Polizeigewalt in den Gutsbezirken, als der Ausdruck für adlige Vormachtstellung, wegfallen sollte, und damit der Einfluß auf die Kreisverwaltung geschmälert würde. 16 Die Ausführung des Gendarmerieediktes wurde nur sehr zögernd begonnen und 1814 ganz eingestellt. 43 Die Reformpolitik Hardenbergs traf von Anfang an auf den erbitterten Widerstand des Adels, der auch seinen Einfluß am Berliner Hof geltend machte und in dem romantischen Kronprinzen den Wortführer der Adelspartei fand. Die Verordnung vom 30. April 1815 44 stellte dann das Landratsamt wieder in der alten Form her und die Rittergutsbesitzer setzten auch ihr altes Repräsentationsrecht durch. Der Landrat wahrte also nach dieser Neuregelung sein Doppelamt, als Staatsbeamter der Regierung und als Vertrauensperson der Kreisstände, hier zugleich Organ der feudal-ständischen Autonomie. Gerade in der Negierung der althergebrachten Zustände in Preußen lag ein wesentlicher Mangel des Gendarmerieediktes. 45 Zum einen entsprach es nicht den historischen Gegebenheiten, auf eine völlig neue Kreiseinteilung zu drängen, die eine möglichst gleich große Gestalt der Kreise zum Inhalt hatte, und zum anderen das Amt des Landrates von einen Tag auf den anderen abschaffen und durch ein rein staatliches Amt des Kreisdirektors, ohne jede Mitwirkung der Kreisbevölkerung bei der Berufung, ersetzen zu wollen. Bedeutungsvoll an diesem Gesetz ist allerdings das Auftauchen einer Kreisverwaltung, die ohne weiteres mit dem späteren Kreisausschuß verglichen werden kann, und damit zum ersten Mal die gesetzliche Formulierung des Nebeneinander von staatlicher und Kommunalverwaltung in der Kreisebene zum Ausdruck kam. Zu den reaktionären Einflüssen des Berliner Hofes kam die Diplomatie Metternichs, dessen Restaurationspolitik in der Zeit der europäischen Kongresse von Aachen bis Verona ihren Höhepunkt erreichte. Mit der Wiener Schlußakte von 1820 wurden die einzelstaatlichen Verfassungen, denen das monarchistische Prinzip auf das schärfste vorgeschrieben war, unter die Aufsicht der Bundesgewalt gestellt. Die alten Zustände Auch war mit dem Verteilungsverhältnis auf den Kreistagen der überwiegende Einfluß des Adels beseitigt. Eine Zustimmung des Adels wäre einer Selbstentmachtung gleichgekommen. Vgl. Nolte, Paul: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. S. 70. 43 Vgl. Keil, Friedrich: Die Landgemeinden in den östlichen Provinzen Preußens und die Versuche, eine Landgemeindeordnung zu schaffen. Leipzig 1890. S. 109 ff. 44 Vgl. GSS 1815, S. 85 ff. Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden. 45 Siehe auch bei Treitschke, Heinrich von: Die Gesellschaftswissenschaft. In: ders. Aufsätze, Reden und Briefe. hrsg. von Karl Martin Schiller. 2. Bd. Meersburg 1929. S. 737-809. „Der Staat schafft sie (die Kreise, d.A.) nicht, er findet sie vor; er muß solche durch Gemeinschaft der Lage, der Abstammung und vor allem der Geschichte eng verbundene Bezirke in ihrer Eigentümlichkeit anerkennen, will er nicht ebenso widernatürliche Zustände hervorrufen wie durch das Zerreißen bestehender oder die Gründung künstlicher Gemeinden.“ ebd. S. 742. 17 wurden also trotz der veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände wiederhergestellt. 18 2.2 Der Erlaß der provinzialständischen Kreisordnungen in den 20er Jahren und deren Modifizierung im Vormärz Die provinziellen Kreisordnungen der Jahre 1825-28 konsolidierten noch einmal die althergebrachte Ordnung auf der Kreisebene, wie es schon die Provinzialordnungen von 1823/24 für die Provinzen getan hatten. Mit der Einführung der Provinzialstände war nach Obenaus das Ende der Reformzeit markiert. „Im Kampf gegen Reformbürokratie wurde das Bündnis zwischen Monarchie und gutsbesitzendem Adel erneuert, das im 18. Jahrhundert Politik und Gesellschaftsstruktur in Preußen bestimmt hatte und das in der Ära Steins und besonders Hardenbergs zerbrochen war. Die Reformbürokratie verlor durch das wiederhergestellte Bündnis ihren Einfluß, an ihre Stelle trat eine neue bürokratische Führungsgruppe, die im engen Zusammenwirken mit dem König und dem Kronprinzen eine andere politische Richtung, die der Restauration, durchsetzen konnte. Ihr erster großer Erfolg waren die Provinzialstände.“ 46 Als eine der letzten Reformbemühungen der alten Bürokratie legte am 7. August 1820 eine Kommission, zu der enge Mitarbeiter Steins unter der Leitung von Friese 47 gehörten, einen Entwurf zu einer Kreisordnung vor, der einen Ausgleich zwischen den Stein’schen und den Hardenberg’schen Reformvorhaben vorhatte. Hier wurde versucht, das moderne Verwaltungssystem des Westens, welches jener unter der Herrschaft Napoleons erhalten hatte, dem des Ostens anzunähern. Der Kommissionsentwurf sah eine strikte Trennung zwischen dem ausschließlich von der Krone zu ernennenden Verwaltungsträger, dem Landrat, und dem von den Kreiseingesessenen zu wählendem Kreistag vor. 48 Der Entwurf hielt an der korporativen Einheit des Kreises fest; jeder Abgeordnete sollte in seiner Eigenschaft den gesamten Kreis vertreten. Das Prinzip der Selbstverwaltung als Selbsthandeln der Kreiseinsassen wurde im Kommissionsentwurf nur in geringem Maße aufgegriffen. Die Aufgaben der Kreisverwaltung beschränkten sich im wesentlichen darauf, die Landesausgaben zu repartieren und über gemeinnützige Anstalten zu beschließen. 49 Der Landrat verkam fast vollständig zum bloßen Vollzugsorgan der Regierung, wie es u.a. der Wortführer der Konservativen, 46 Obenaus, Herbert: Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848. Düsseldorf 1984. S. 202 ff. Friese, Karl Ferdinand (1770-1837), Staatsrat in der Preußischen Regierung. 48 Vgl. Unruh, Georg-Christoph: Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft. Köln, Berlin 1964. S. 99. Der Entwurf der Kommission und die Begründung zum Entwurf bei: ders. Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808 - 1810 - 1820. Münster 1968. S. 31-41. 49 Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808 - 1810 - 1820. Münster 1968. S. 11. 47 19 Friedrich Ludwig August von der Marwitz, an diesem Entwurf rügte, während in den Städten die Selbstverwaltung verwirklicht wäre. 50 Auch Marwitz rekurriert hier auf die Selbstverwaltung ebenso wie die liberalen Kräfte, nur daß er diese als die in den Händen der Gutsbesitzer und hier wiederum die der adligen betrachtete. Im Entwurf Frieses war für die Gutsbesitzer nur ein Drittel der Abgeordneten vorgesehen, die anderen zwei Drittel sollten nach dem Verhältnis der Bevölkerungszahl gewählt werden. Dieser Entwurf fand jedoch nicht die Billigung des Königs. Im Dezember 1820 überwies der König diesen Entwurf und die Ausarbeitung einer Kreisordnung an eine Kommission unter dem Vorsitz des Kronprinzen, die fast durchweg aus Gegnern Hardenberg’scher Reformpläne bestand. 51 Diese verwarf den Entwurf und schlug eine Ausarbeitung für jede einzelne Provinz, nach Beratung in den Provinziallandtagen, gesondert vor. 52 Bei der nunmehrigen Ausarbeitung der neuen Kreisordnungen wurde versucht, den Widerspruch zwischen den bestehenden gesetzlichen Verhältnissen und der veränderten sozialen Schichtung der Gesellschaft mit einer Einbeziehung des bäuerlichen Kleinbesitzes und der städtischen Bevölkerung in die Kreisversammlung zu entschärfen. 53 Gleichwohl herrschte dabei aber ein enormes Mißverhältnis der Stimmen, da die Städte z.B. nach dem Gesetz für die Kur- und Neumark Brandenburg 54 nur je eine, die Bauern insgesamt nur drei, die Rittergutsbesitzer aber wie eh und je jeder eine Virilstimme besaßen. Damit die Interessen eines Standes nicht verletzt würden, wurde die itio in partes eingeführt, d.h. die Stände konnten jeder für sich gesonderte 50 Vgl. Meusel, Friedrich [Hrsg.]: Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Ein märkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege. Bd. 2, 2. Teil. Berlin 1913. S. 80 ff. 51 Der sehr einflußreiche Fürst Wilhelm Ludwig von Wittgenstein, Minister des Königlichen Hauses, warnte, daß sich bei der Beratung zu den Kreis- und Gemeindeordnungen Personen mit „mancherlei Interessen einschleichen“ würden. Er schlug vor, statt dessen Männer aus den drei Ständen, „die mit dem geschäftlichen ihrer früheren Verfassung bekannt gewesen sind“ in Berlin zusammenzufassen und Verfassungen für ihre jeweilige Provinz mit ihnen zu beraten. Dabei fand er Unterstützung beim Kronprinzen, der nach seinem 25. Geburtstag vom König zu den Staatsgeschäften hinzugezogen wurde. Vgl. Branig, Hans: Fürst Wittgenstein. Ein Preußischer Staatsmann der Restaurationszeit. Köln, Wien 1981. S. 139 ff. 52 Vgl. Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. I, Reform und Restauration 1789-1830. Stuttgart, Berlin, Köln 1990. S. 182. 53 „Gutsbesitzer, Städte und Bauern wurden zum ersten Mal durch die provinziellen Kreisordnungen zu Kreisständen in den bestehenden landrätlichen Kreisen zur Vertretung der Kreiskorporationen in allen, den ganzen Kreis betreffenden Kommunalangelegenheiten, ohne Rücksprache mit den einzelnen Kommunen oder Individuen zusammengefaßt.“ Unruh, Georg-Christoph von: Die Veränderung der preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen. In: Jeserich, Kurt G. A.; Pohl, Hans; Unruh, Georg-Christoph von [Hrsg.]: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 2, Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des deutschen Bundes. Hrsg. Stuttgart 1983. S. 463. 54 Vgl. Kreisordnung der Kur- und Neumark Brandenburg vom 17.8.1825. GSS 203. Für die Städte gab ein Anhang zum Gesetz Auskunft, in der alle stimmberechtigten Städte aufgeführt waren. Siehe auch Anlage 1: Schema Kreisordnung 1825 20 Beratungen führen und entsprechende Voten abgeben. Falls doch ein Stand überstimmt wurde, hatte dieser die Möglichkeit des Rekurses bei der nächsthöheren Instanz. Obenaus konstatiert für die 20er Jahre eine nur schwer erklärbare Sogwirkung der restaurativen Politik. So wurden z.B. dem rheinischen und dem westfälischen Provinziallandtag die Möglichkeit geboten, zwischen zugleich für Städte und Landgemeinden geltende Bürgermeistereiverfassungen oder einer, auf der Grundlage der Städteordnung von 1808 zu erlassende Städteordnung, zu installieren, der dann natürlich eine separate Landgemeindeordnung folgen mußte. Im rheinischen Landtag las man im vorauseilenden Gehorsam aus der königlichen Proposition eine Stellungnahme für die erstere Variante heraus und gab somit ohne jeden Zwang die mögliche politische, kulturelle und wirtschaftliche Gleichheit von Stadt und Land auf. Für die Rheinprovinz wurde dann auch eine neue Landgemeindeordnung mit eindeutig konservativer Tendenz ausgearbeitet und verabschiedet. 55 Besonders während der Diskussion über die Kreisordnungen regte sich dann aber der Widerstand in den Provinziallandtagen gegenüber der restaurativen Mehrheit durch die Rittergutsbesitzer. Die Kreisordnungen fanden schließlich keine parlamentarische Mehrheit in den Provinziallandtagen, wurden aber durch Entscheidungen der Ministerialverwaltung und des Königs in den einzelnen Provinzen durchgesetzt. Trotz aller restaurativer Elemente in der neuen Kreisverfassung darf dabei nicht die gewisse Modernisierung übersehen werden, wurde doch mit diesen Kreisordnungen der noch wenige Jahre zuvor so erfolgreich verfochtene Alleinvertretungsanspruch des Adels endgültig beseitigt. Die Ausübung der kreisständischen Rechte war nicht mehr mit dem geburtsständischen Adel sondern mit dem Besitz bestimmter Güter verbunden. Seit 1808 waren grundsätzlich auch Bürgerliche imstande, Güter mit dem daran gebundenen Virilstimmrecht käuflich zu erwerben. Auch wenn die Vertretung der Städte und Landgemeinden unbefriedigend war, so wurde die Bevölkerung auf dem Lande und in den Städten prinzipiell als vertretungsberechtigt anerkannt. Die Kreisordnungen von 1823/27 schufen erst die kreisständischen Versammlungen, auf welchen sämtliche Rittergutsbesitzer, Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu erscheinen das Recht erhielten und für deren enge begrenzte Beschlußfassungen unter Umständen die itio in partes mit eventueller Entscheidung der staatlichen Aufsichtsbehörden eingeführt wurde. Das Vertretungsverhältnis selbst geriet dann sehr 55 Vgl. Obenaus, Herbert: Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848. Düsseldorf 1984. S. 220 f. 21 schnell auf die politische Tagesordnung. Bei der Besetzung des Landratsamtes waren die Stände mit einem Vorschlagsrecht beteiligt. Der gesamten Kreisvertretung stand nun das Präsentationsrecht von drei geeigneten Kandidaten zu, nur in den Kreisen Brandenburgs, der Lausitz und Pommerns verblieb es beim alleinigen Recht durch die Rittergutsbesitzer. 56 Mit diesen Kreisordnungen waren die Verhältnisse auf dem Lande für eine ziemlich lange Periode festgeschrieben. Jeserich charakterisierte diese Periode - von den provinziellen Kreisordnungen bis zur Thronbesteigung durch Friedrich Wilhelm IV.- als Stagnation; der übergewichtige Einfluß der Grundbesitzer in den Kreisversammlungen brachte eine derartig einseitige Interessenvertretung, daß „von einer Entwicklung der Landkreisverwaltung nicht die Rede sein konnte.“ 57 Erst mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. kam neue Hoffnung für die Liberalen auf. Mit dem neuen König verbanden die liberalen Kreise auch eine weitergehende Liberalisierung in der Verfassungsfrage überhaupt und in der Reform der Kreisordnungen im Besonderen. Die Kreisstände erhielten nun weitergehende Befugnisse. Die mit den Kreisordnungen der 20er Jahre und dem schon vorher erlassenem Edikt über das Abgabenwesen vom 30. Mai 1820 verlorenen Steuerbefugnisse wurden in der Art wiederhergestellt, daß sie die Besteuerung der Kreiseingesessenen, durch Erhebung von Kreisabgaben für gemeinnützige, im Interesse des ganzen Kreises liegende Einrichtungen beschließen könnten. 58 Ansonsten blieb es aber bei den alten Kreisverhältnissen. Vor allem die preußischen Stände hatten jedoch beständig auf die Weiterentwicklung der Kreisverfassungen gedrängt; so haben sie in ihrem zweiten Abschied den Vorschlag unterbreitet, dem zweiten und dritten Stand gleich viele Vertreter wie dem ersten zuzu- 56 Vgl. Unruh, Georg-Christoph: Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft. Köln, Berlin 1964. S. 106 f. Siehe auch Promemoria zu den Kreisverfassungen in den östlichen Provinzen des Staats vom August 1859. Die ständische Gesetzgebung der 20er Jahre ist, „was in der Regel übersehen wird, der alten von 1806/10 untergegangenen Kreis-Verfassung gegenüber eine durchaus moderne Schöpfung. Denn ehemals waren die Stadt- und Landgemeinden als solche auf den Kreistagen gar nicht vertreten; auf denselben erschienen nur die Besitzer der Rittergüter viritum und vertraten daselbst ihre ländlichen und mediat-städtischen Interessen.“ In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 11, Bd. 3, Bl. 40R. 57 Vgl. Jeserich, Kurt G.A.: Einführung. Zur Reform der Landkreisverwaltung. In: ders.: Die deutschen Landkreise. Material zur Landkreisreform. Stuttgart, Berlin 1937. (= Einzelschriften des kommunalwissenschaftlichen Instituts an der Universität Berlin). S. XX. 58 Hiermit erhielten die Kreisversammlungen erstmals die Möglichkeit, selbst über die Erhebung von Kreissteuern zu besonderen Zwecken zu beschließen. Vgl. Verordnung für Brandenburg, Pommern, Posen, Sachsen und Westfalen vom 23. März 1841. GSS 53-63.; für Schlesien vom 7. Januar 1842. GSS 161 f.; für Preußen vom 22. Juni 1842. GSS 211 f. Und für die Rheinprovinz vom 9. April 1846. GSS 161 f. 22 billigen. 59 Dies wurde jedoch vom König mit der Begründung abgelehnt, daß dadurch die Zahl der Abgeordneten über Gebühr erhöht werden würde. Auf dem 3. Preußischen Landtag von 1829 verzichteten die Rittergutsbesitzer freiwillig auf ihr alleiniges Präsentationsrecht bei der Wiederbesetzung von erledigten Landratsstellen. Ein weitergehender Antrag der Ritterschaft vom 2. Januar 1839 - um den Gemeinsinn und die Verbundenheit der Kreiseingesessenen zu festigen - die Wählbarkeit der Landräte und der Kreisdeputierten auf die freien Grundeigentümer aller drei Stände zu verteilen, fand genauso wenig die Zustimmung des Königs wie die vorhergehenden. 60 Gleichwohl wurde das Vertretungsverhältnis der Kreisversammlungen zugunsten der Städte und Landgemeinden etwas, wenn auch nur geringfügig, verbessert. Im Landtagsabschied vom 27.12.1845 wurde die Gewährung einer stärkeren Vertretung der Städte und Landgemeinden in der Provinz Preußen zugesagt. 61 2.3 Die Kreisordnung von 1850 als Ergebnis der 1848er Revolution Einen erneuten Aufschwung erhielt die Forderung nach moderneren Verhältnissen auf dem Lande durch die Ereignisse von 1848/49. Mit der Einberufung des Vereinigten Landtages ging man sehr bald unter dem Drang des Liberalismus zur Nationalrepräsentation über, was naturgemäß den Kampf gegen alte ständische Vertretungen einschloß. So richteten sich die Angriffe beim Kreis auch vor allem gegen die Zusammensetzung und die Überrepräsentation des Adels in den Kreistagen. 62 Die Verfassungskommission der Nationalversammlung beschloß, im Gegensatz zu König Friedrich Wilhelms IV. Absichten, die Grundzüge einer neuen Kommunalverwaltung in der Verfassung mit aufzunehmen und die Regierung aufzufordern, entsprechende Gesetze in Angriff zu nehmen. Diese Forderungen fanden in der Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848, Artikel 104 bzw. in der Revidierten Verfassung vom 31. Januar 1850 in dem Artikel 105 ihren Niederschlag. 63 In Ausführung dieses Artikels erging am 59 Abschied des Preußischen Provinziallandtages vom 17. März 1828. Vgl. Unruh, Georg-Christoph: Der Kreis. S. 108 f. 60 Über die Motivlage beim 1. Stand trifft Unruh keine Aussagen. Vgl. Unruh, Georg-Christoph: Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft. Köln, Berlin 1964. S. 108 f. 61 Vgl. Gutsmuths, Freimund: Patriotische Untersuchungen bezüglich preußischer Zustände. Bd. V. Reform der Kreis- und Kommunal-Verfassung. Hamburg 1861. S. 8 f. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich in Wirklichkeit Adolf Frantz (*12.9.1817 +2.5.1891). Vgl. Neue Deutsche Biographie. 5. Band. Berlin 1961. S. 353-356. 62 Vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Phil. Diss. Berlin 1910. S. 8. 63 Vgl. Titel IX der Verfassungsurkunde, abgedruckt bei Altmann, Wilhelm: Ausgewählte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. II. Teil. 19. Jahrhundert. Berlin 1897. S. 147, bzw. bei Huber, Rudolf Ernst: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 1. Stuttgart, Berlin u.a. 1978. S. 513. 23 11. März 1850 neben der Gemeindeordnung schließlich die Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung. 64 Diese Ordnungen knüpften an die Vorstellungen Hansemanns an, der sie im Frühjahr 1848 entwickelt hatte. 65 Die zunehmende Tendenz, demokratischparlamentarische Forderungen zu vertreten, hatte dazu geführt, daß diese Gedanken 1848 nicht mehr in die Nationalversammlung eingebracht wurden. Die Kreisversammlung sollte nach dem Gesetz vom März 1850 aus 15-40 Mitgliedern bestehen, die von den Gemeinden gewählt werden sollten, von denen mindestens die Hälfte große Grundbesitzer sein sollten. 66 Wählbar sollte jedes Gemeindemitglied sein, welches das 30. Lebensjahr vollendet hatte, seit mindestens 3 Jahren dem Kreis durch Wohnsitz oder Grundbesitz angehörte und einen jährlichen Klassensteuersatz von 8 Thalern zahlte, „oder in den mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Ortschaften einen Grundbesitz im Werthe von mindestens 5000 Rthlr. oder ein jährliches reines Einkommen von 500 Rthlr. nachweist.“ 67 Neben dem Landrat und der Kreisversammlung als Kreisparlament erschien in diesem Gesetz ein drittes Organ, der Kreisausschuß, als eigentliches Verwaltungsorgan. Er war als Selbstverwaltungsorgan des Kreises und direkter Nachfolger der unterschiedlichen Kreiskommissionen gedacht, hatte aber auch gewisse Aufsichtsrechte gegenüber den Gemeinden zu erfüllen. Der Landrat war nicht mehr Vorsitzender der Kreisversammlung, wohnte aber den Sitzungen bei und mußte auf Verlangen auch gehört werden. Andererseits war er jedoch Vorsitzender des Kreisausschusses und blieb somit in seiner Bedeutung wenig eingeschränkt. Nicht zu Unrecht wurden an dieser Ordnung einige Dinge kritisiert. So traf sie der Vorwurf einer gewissen schablonenhaften Regelung der verschiedenartigen Verhältnisse von Stadt und Land sowie der einzelnen Provinzen. Einen Bruch mit der bisherigen Kreisverfassung bildete die Tatsache, daß der Landrat nun direkt vom König und ohne Mitbestimmungsrecht der Kreisversammlung ernannt wurde und somit das Vertrauensverhältnis zwischen dem Landrat und den Kreisständen nicht mehr so bestehen konnte, 64 Vgl. GSS 1850, S. 251-265. siehe auch Anlage 2: Schema Kreisordnung 1850 in dieser Arbeit. Zu den Vorstellungen Hansemanns betreffend die Reform der Kommunalgesetzgebung bei Utermann, Kurt: Der Kampf um die preußische Selbstverwaltung im Jahre 1848. Berlin 1937. S. 84 ff. sowie S. 161-169. Vgl. auch Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 310 und 315. 66 Vgl. Heffter, S. 317. „An die Stelle des historisch-ständischen Vorzugs der Rittergüter rückte in hohem Maße eine plutokratische Klassenherrschaft des Großgrundbesitzers, und dessen Kern blieb immer noch der alte Landadel; wie er sich wirtschaftlich dem Agrarkapitalismus einfügte, so konnte er in den politischen Formen des 19. Jahrhunderts, die aus dem Geist des Großbürgertums geschaffen wurden, seinen Vorteil finden.“ 67 Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung für den preußischen Staat vom 11.3.1850. GSS 1850. S. 252. Die Rittergüter sollten nach den Bestimmungen des Gesetzes mit den Gemeinden vereinigt werden. Zwischen Stadt- und Landgemeinden wurde kein prinzipieller Unterschied mehr gemacht. 65 24 wie dies in der vorherigen Zeit der Fall war. Außerdem enthielt die Kreisordnung einen ziemlich hohen Wahlzensus, der zudem auch noch einen Unterschied zwischen Stadt und Land machte. Jedoch spielten diese Gründe beim schon bald beginnenden Kampf gegen die neuen Ordnungen nur eine vorgeschobene Rolle. „In Wirklichkeit stemmte sich nur eine alte privilegierte Kaste gegen die Durchführung neuer Grundsätze, indem die Interessen anderer und die Schonung des Hergebrachten vorgeschützt wurden.“ 68 Natürlich war der Adel durch diese Ordnung in seinen althergebrachten Rechten enorm eingeschränkt und natürlich setzte er sich dagegen zur Wehr. In den Kreisen sah er eine seiner letzten Domänen der Machtausübung, nachdem durch den Absolutismus die Einflüsse der Stände auf Gesamtstaatsebene beseitigt wurden. Mit der Verfassung wurde zwar das Herrenhaus geschaffen, aber auch hier hatte der König enorme Eingriffsrechte. Nur auf dem Lande hatte der Staat keine Zugriffsrechte auf den Gutsbezirk. Schon 1849 hatten die Rittergutsbesitzer die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit hinnehmen müssen. 69 Nach Monika Wienfort befanden sie sich wegen der Verteidigung der Patrimonialgerichtsbarkeit in der politischen Defensive, stärkten aber durch diesen Kampf langfristig den sozialen Zusammenhalt der „Rittergutsbesitzerklasse“. 70 Mithin sahen die Rittergutsbesitzer mit den Gesetzen von 1850 einen weiteren, nun entscheidenden, Angriff auf ihre Position auf dem Lande. Selbständige Gutsbezirke waren in diesem Gesetz nicht mehr erwähnt, die Existenz solcher wurde vollkommen ignoriert, und auch die Wahl der Abgeordneten war nahezu frei von jeder ständischen Bevorrechtung. Nur im Artikel 6 findet sich noch die Bestimmung, daß mindestens die Hälfte der Kreistagsabgeordneten aus Grundbesitzern bestehen müsse, wobei nicht näher bestimmt wurde, wer zu der Kategorie der Grundbesitzer zählen sollte. Der Geheime Regierungsrat von Wolff 71 beschrieb aus seiner Sicht in einer Denkschrift zu den Kreisverfassungen im Jahre 1863 das Bedürfnis nach neuen Kreisordnungen wie 68 Preußen seit Abschluß des Staatsgrundgesetzes bis zur Einsetzung der Regentschaft. Zweiter Artikel. Die Gesetzgebung. In: Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversations-Lexikon. Siebenter Band. Leipzig 1863. S. 47. 69 Vgl. Verordnung über die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit und des eximierten Gerichtsstandes, sowie die anderweite Organisation der Gerichte vom 2.1.1849. In: GSS 1849, 1-13. 70 Vgl. Wienfort, Monika: Ländliche Rechtsverfassung und bürgerliche Gesellschaft. Patrimonialgerichtsbarkeit in den deutschen Staaten 1800-1855. In: Der Staat, 3(1994). Heft 2. S. 236. 71 Der Geheime Regierungsrat Arthur von Wolff war zum Zeitpunkt seiner Denkschrift temporärer Hilfsarbeiter im Ministerium des Innern, nachdem er eine Zeit lang als Regierungsassessor in Frankfurt bei der dortigen Regierung gearbeitet hatte. Später war er als vortragender Rat beim Innenministerium für die Kreisordnungsentwürfe unter Graf Eulenburg zuständig. Als solcher war er einer Reform der bestehenden Verfassung nicht sehr aufgeschlossen, wie die Wiederaufnahme seiner Schrift unter FN 72 25 folgt: Es „machte der durch die März-Ereignisse des Jahres 1848 hervorgerufene, und gegen alles Bestehende gerichtete Umschwung der öffentlichen Meinung plötzlich auch die Kreisverfassungen zum Gegenstande allseitiger Angriffe. [...] Die ferneren, unter dem Eindruck der revolutionären Zeitströmung fortgesetzten, und auf eine völlige Aufhebung der inneren Institutionen, namentlich auf gänzliche Vernichtung aller ständischen Organismen, gerichteten legislativen Verhandlungen fanden hinsichtlich der Gemeinden, Kreise und Provinzen ihren Abschluß in den Gesetzen vom 11. März 1850, welche ein auf allgemeine Volkswahlen mit einem Census gegründetes Vertretungssystem anordneten.“ 72 Der sehr konservativ eingestellte von Wolff konstatierte kein Bedürfnis sondern nur eine politische Zeitströmung und machte sie für die vermehrten Änderungsanträge zur bestehenden Kreisverfassung und die schließliche Verabschiedung der neuen Kreisordnung verantwortlich. 2.4 Die Reaktivierung der früheren Kreistage unter Manteuffel Bereits ein Jahr nach Verabschiedung der Gesetze von 1850 wurde von der Ersten Kammer ein Antrag an die Staatsregierung gestellt, der Kammer noch in dieser Sitzungsperiode Vorlagen für die Änderung der Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnungen zu machen, die sich aus den Erfahrungen bei der Umsetzung ergeben hätten. Der Antrag betraf nur 18 Punkte, wie z.B. die nicht angemessene Abstufung des Wahlzensusses, die Unzweckmäßigkeit mehrerer reglementarischer Vorschriften und die wohl nicht ausführbare Zusammenlegung von Rittergütern mit den Gemeinden. Er stellte aus taktischen Gründen nach außen hin zwar keine grundsätzliche Ablehnung der Gesetze dar, erreichte aber damit letztendlich das Ziel der Reformgegner. Die Reform kam ins Stocken und bereits im Juni 1851 wurden die im Artikel 10 bis 14 der Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung vom 11. März 1850 festgehaltenen Aufgaben 73 durch Edikt des Innenministers den alten Kreisständen interimistisch übertragen. andeutet. Vgl. auch Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 510. 72 Denkschrift des Geheimen Regierungsrates von Wolff über die Kreisverfassungen nebst einem Gesetzentwurf dem Innenminister von Eulenburg mit einem Anschreiben vom 11. November 1863 zugesandt. Allerdings finden sich auf dieser Denkschrift keine Bearbeitungsvermerke aus dieser Zeit. Erst 1868, als von Wolff als Regierungskommissarius des Ministeriums des Innern für die Kreisordnung fungierte, finden sich Bearbeitungsvermerke bezüglich der Wiedervorlage. Nun wurde sie eindeutig mit zur Entscheidungsfindung herangezogen. Inwieweit die Schrift bereits 1863 zur Kenntnis genommen wurde, laßt sich nicht eruieren. Vgl. GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 213R - 214. 73 Hier sind die Befugnisse der Kreisversammlung bezüglich der Kreisverwaltung festgehalten. Vgl. GSS 1850, 253 f. 26 Durch Allerhöchsten Erlaß vom 19. Juni 1852 wurden die Gesetze von 1850 durch die Staatsregierung einseitig suspensiert und schließlich wurde durch das Gesetz vom 24. Mai 1853, unter Wiederherstellung der früheren Gesetze, die Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung aufgehoben. Gleichzeitig wurde im Artikel 3 dieses Gesetzes eine Fortbildung dieser alten Gesetze verhießen. Der spätere Regent Wilhelm charakterisierte diese beiden Gesetze, das von 1850 und jenes von 1853, in seiner Rede vor dem Staatsministerium von 1858, daß das erstere völlig überstürzt und bar jeder Realität, ohne die wirklichen Verhältnisse in Preußen zu beachten eingeführt wurde, während das letztere das Pendel in die völlig entgegengesetzte Richtung ausschlagen ließ. 74 Bei einer Aufwartung der pommerschen Abgeordneten bei ihrem Statthalter dem Prinzen Wilhelm ließ dieser den Konservativen seinen Zorn spüren. Er meinte, in Bezug auf die anstehende Retardierung der Gemeindeordnung im Jahre 1853, daß diese nichts gelernt hätten. Preußen würde auf dem gemäßigten Fortschritt basieren, den die Konservativen ablehnten. 75 Seit der Aufhebung der Gesetze von 1850 waren die Probleme der Kommunalverfassung immer wieder in den Kammern diskutiert worden. Vor allem die Kreisordnungen und hier die der östlichen Provinzen spielten dabei eine wesentliche Rolle, da diese als am wenigsten zeitgemäß empfunden wurden und sie den Städten und Landgemeinden zu wenig Rechte einräumten sowie die Belange der Grundbesitzer überbewerteten. Bereits am 17. März 1852 hatte der Innenminister Westphalen der Ersten Kammer einen Gesetzentwurf einer Kreisordnung für die gesamte Monarchie vorgelegt. Danach sollten die Virilstimmen der Rittergutsbesitzer wieder hergestellt und bei der Kreisverwaltung die Kreisausschüsse beseitigt werden. Dieser Entwurf wurde mit einigen unerheblichen Änderungen in der Ersten Kammer angenommen aber in der Zweiten wegen des Schlusses der Session nicht mehr beraten. Der Entwurf der Regierung wurde sodann im Herbst 1852 den einberufenen Provinziallandtagen zur 74 „In der Handhabung unserer inneren Verhältnisse, die zunächst vom Ministerium des Innern und der Landwirtschaft ressortierten, sind wir von einem Extrem zum anderen seit 1848 geworfen worden. Von einer Kommunalordnung, die ganz unvorbereitet Selfgovernment einführen sollte, sind wir zu den alten Verhältnissen zurückgedrängt worden, ohne den Forderungen der Zeit Rechnung zu tragen, was sonst ein richtiges Mittehalten bewirkt haben würde. Hieran die bessernde Hand einst zu legen, wird erforderlich sein; aber vorerst müssen wir bestehen lassen, was eben erst wieder hergestellt ist, um nicht neue Unsicherheit und Unruhe zu erzeugen, die nur bedenklich sein würde.“ Auszug aus der Ansprache des Prinzregenten vor dem neuernannten Staatsministerium von 1858. In: Berner, Ernst [Hrsg.]: Kaiser Wilhelms des Großen Briefe, Reden und Schriften. 1. Band: 1797-1860. Berlin 1906. S. 446 f. 75 Seit Jahren war es üblicher Brauch, daß die pommerschen Abgeordneten ihrem Statthalter ihre Aufwartung machten. Am 27.4.1853 erfolgte dies unter Leitung des Präsidenten der Zweiten Kammer, von Schwerin, und des Oberpräsidenten der Provinz, von Senfft-Pilsach. Vgl. Petersdorff, Hermann von: Kleist-Retzow. Ein Lebensbild. Stuttgart, Berlin 1907. S. 234. 27 Begutachtung vorgelegt und von diesen im Wesentlichen bestätigt. Die wichtigste Änderung war die Forderung nach gesonderten provinziellen Gesetzen. Von der Regierung wurden auf der Grundlage der provinziellen Gutachten acht gesonderte Entwürfe am 10. Januar 1853 in der Ersten Kammer eingebracht und von dieser wiederum genehmigt. In der Zweiten Kammer, der sie im März zugingen, stießen sie auf erheblichen Widerstand. Man stützte sich in seiner Opposition in erster Linie auf den Artikel 105 der Verfassungsurkunde, was dazu führte, daß dieser gleichzeitig mit der Außerkraftsetzung der Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung vom 11. März 1850, in der Hinsicht abgeändert wurde, daß die „Vertretung und Verwaltung der Gemeinden, Kreise und Provinzen des Preußischen Staates“ 76 durch Gesetze näher bestimmt werden sollten. In der Folgezeit wurden am 1. Dezember 1853 mittels Allerhöchster Ermächtigung nunmehr der zuerst Zweiten Kammer die überarbeiteten Entwürfe für eine Neuregelung der Kommunalverhältnisse in den acht Provinzen eingebracht. Die Kommission der Zweiten Kammer, der dieser Entwurf zur Beratung überwiesen wurde, stimmte im Wesentlichen mit der Vorlage überein, was diese im Bericht vom 24. März 1854 auch ausdrückte. In der Kammer kam es dann aber wiederum nicht mehr zur Beschlußfassung, da er diesmal von der Staatsregierung zurückgezogen wurde. 77 In der engeren Beratung des Staatsrates, wohin der Entwurf überwiesen wurde, kamen dann unter strikter Beachtung der Vorschläge der Kommission der Zweiten Kammer noch einmal 8 Entwürfe für Kreisordnungen zur Diskussion. Nun wurden weitere Gutachten von Experten eingefordert, die allesamt einen streng konservativen Standpunkt vertraten. 78 Beide Korreferenten waren in den wesentlichen Punkten in Übereinstimmung mit den Vorlagen, wiesen jedoch in ihren Gutachten, die erst 1856 gefertigt wurden, auf den Widerspruch hin, der zwischen dem Artikel 12 der Verfassung - Glaubensfreiheit - und der Bestimmung in der Vorlage hin, daß die Gemeinschaft in einer der christlichen Kirchen Voraussetzung für die Standschaft sei. Damit deutet sich ein Konflikt an, der auch zu Beginn der „Neuen Ära“ für heiße Debatten gesorgt hatte, 76 Vgl. GSS 1853, 228 (Aufhebung des bisherigen Artikels 105 der Verfassungsurkunde) und S. 238 f. (Gesetz, betreffend die Aufhebung der oben angeführten Gesetze) 77 Vgl. dazu die Denkschrift des von Wolff (siehe FN 72) sowie Schmitz, Paul: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13.12.1872. Berlin 1910. S. 11 ff. 78 Als Referent war der Geheime Regierungsrat von Klützow, als 1. Korreferent der Wirkliche Geheime Rat von Meding und als 2. Korreferent der Wirkliche Geheime Oberregierungsrat von Raumer vorgesehen, an dessen Stelle nach dessen Tod mit Schreiben vom 17. Oktober 1856 durch den Vorsitzenden des Staatsrates der Graf Adolf Heinrich von Arnim-Boytzenburg zur Begutachtung als zweiter Korrefrent gebeten wurde. BLHA, Pr. Br. Rep. 37, Herrschaft Boitzenburg, Nr. 4051, Bl. 1. 28 nämlich die Zulassung von jüdischen Rittergutsbesitzern zu den Kreistagen. Die Beratung in der engeren Versammlung des Staatsrates wurde daraufhin ausgesetzt, bis die in Aussicht genommene Änderung der Verfassungsurkunde bezüglich des Artikel 12 in Angriff genommen worden sei. 79 Damit war die Reform einer Kreisordnung erst einmal von der aktuellen Tagesordnung genommen. Mit dem Votum des Innenministers vom 27. Juli 1857 wurde beantragt, das Gesetzgebungsverfahren aus der engeren Versammlung des Staatsrates zu nehmen. Begründet wurde dieser Antrag damit, daß die Gutachten der Korreferenten das Bedürfnis einer solch durchgreifenden Änderung verneinten und auch die Erfahrungen seit den Gesetzen von 1853 diese Schlußfolgerungen bestätigen würden. Daß das Institut der bestehenden Kreisstände als ein „vollkommen tüchtiges und zur Förderung gemeinnütziger Unternehmungen und Interessen (z.B. der Ausbreitung der Chaussee-Verbindungen in allen Landestheilen, der Gründung von Sparkassen, der Einrichtung von Krankenhäusern und anderen Anstalten) ganz geeignetes sich bewährt habe, und es daher sich empfehle, zur Zeit von einer umfassenden Reorganisation der ständischen Institutionen abzusehen, und die im Laufe der Zeit als ein bestimmtes Bedürfniß sich etwa noch herausstellenden einzelnen Punkte zur Fortbildung und Verbesserung dieser Institutionen nach und nach im Wege der Gesetzgebung zu erledigen.“ 80 Das Staatsministerium schloß sich der Auffassung des Ministers des Innern von Westphalen an und verfaßte in dieser Hinsicht einen Immediatbericht, der aber vermutlich wegen der Erkrankung des Königs nicht zur Absendung gelangte. In Preußen konnte sich der Konservatismus durchsetzen und die konservative Partei verfügte in der Ersten und nach den Wahlen von 1852 und 1855 auch in der Zweiten Kammer über die Mehrheit. Wie im Vormärz besaß nun, zumindest im Osten, der Adel wieder die stärkste Vertretung in den Provinziallandtagen und in den Kreistagen hatten die Rittergutsbesitzer wieder ihre Virilstimmen, dazu ihren Anteil an der Besetzung des Landratsamtes. 81 Die Reaktionszeit der fünfziger Jahre war im Wesentlichen von dem Kampf Manteuffels mit der höfischen Kamarilla ausgefüllt. Manteuffel vertrat einen bürokratischen Konservatismus und nicht wie die Ultras eines feudalistischen, so wurde auch er immer mehr zu einem zähen Gegenspieler dieser Kreise, die ihn ihrerseits als 79 Vgl. Denkschrift des GehRR von Wolff. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 220R. Vgl. ebd. Bl. 221R f. 81 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 330. 80 29 Bonapartisten verfemten. 82 Daß die Bürokratie den modernen Tendenzen näher stand als der Adel, zeigt schon die Städteordnung vom 30. Mai 1853 für die 6 östlichen Provinzen - deren Doppelkonzept es war, die Aufsicht der staatlichen Bürokratie über die städtische Selbstverwaltung und innerhalb dieser das Gewicht der kommunalen Bürokratie zu verstärken. So war z.B. die Wahl aller Magistratsmitglieder wieder von der Zustimmung des Staates abhängig. 83 So groß der Zwiespalt in den herrschenden Kreisen Preußens auch war, schließlich trafen sie sich doch in dem gemeinsamen Bemühen, die liberalen Selbstverwaltungsbestrebungen zurückzudrängen und in möglichst engen Schranken zu halten. Das gleiche Mißtrauen richtete sich von beiden Seiten her gegen die konstitutionelle Volksvertretung. Friedrich Wilhelm IV. fand sich im Grunde nie mit der Verfassungsurkunde von 1850 ab und er ließ mit seiner Regierung kaum eine Gelegenheit aus, das Staatsgrundgesetz zu verletzen und zu verstümmeln. Dies zeigt sich in einer ganzen Reihe von aufgehobenen, abgeänderten oder nicht ausgeführten Artikeln. 84 Die wichtigste der reaktionären Veränderungen war die Umwandlung der Ersten Kammer in das Herrenhaus von 1854, das nun als eine ausgeprägte Adelskörperschaft dem aus der allgemeinen Volkswahl, wenn auch nach dem DreiKlassen-Wahlrecht, hervorgegangenen Abgeordnetenhaus gegenübertrat. 85 Auch in der Beamtenschaft sah man sich dem neuen konservativen Geist ausgesetzt. Mit dem Disziplinargesetz vom 21. Juli 1852, das an die Stelle der vorläufigen Verordnung von 1849 86 trat, wurde endgültig die engere Gruppe der "politischen Beamten" festgelegt, die ohne weiteres in den Ruhestand versetzt werden konnten. Hierzu wurde auch der Landrat gezählt, womit dessen herkömmliche Stellung enorm erschüttert wurde. Außer den Landräten gehörten zu dieser Gruppe der „politischen 82 Vgl. ebd. S. 328. Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 331. 84 Vgl. ebd. S. 335. 85 Vgl. ebd. S. 335. Mit dem Gesetz vom 30. Mai 1855 wurde die Erste Kammer in Herrenhaus umbenannt und verabschiedete sich damit auch begrifflich von der parlamentarischen Terminologie. Vgl. Gesetz, betreffend die Abänderung der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. In Ansehung der Benennung der Kammern und der Beschlußfähigkeit der Ersten Kammer vom 30. Mai 1855. In: GSS 1855, S. 541-544. 86 Vgl. Verordnung betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand. Vom 11. Juli 1849. GSS 1849, S. 271-292. sowie Gesetz, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand. Vom 21. Juli 1852. GSS 1852, S. 465-488. Hierfür konnte auch das Verhalten außerhalb seines Amtes, das sich „... der Achtung, des Ansehens oder des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt, ...“ (§ 2 Abs. 2) herangezogen werden. 83 30 Beamten“ die Regierungspräsidenten leitenden und deren Ministerialbeamten, Vertreter, Vorsteher die von Oberpräsidenten, Polizeibehörden, Staatsanwälte und Gesandte. 87 Mochte dies noch für die Staatsbeamten in einer bestimmten Hierarchie angehen, für den Landrat, der auch ständisches Organ war, wurde die Bindung des Landrates an staatliche Weisungen über Gebühr ausgedehnt. Mit diesen Gesetzen sollte eindeutig eine Disziplinierung der Beamten im Sinne der offiziellen Regierungspolitik erreicht werden. Gerade Hansemann, der als liberaler Minister am meisten für eine straffe Verwaltungspolitik eingetreten war, wurde das erste Opfer. 88 Eine gleiche Linie wurde seitens der Regierung bei der Beeinflussung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Preußischen Landtages gefahren. Die Landräte und die Dorfschulzen wurden massiv unter Druck gesetzt, damit Abgeordnete gewählt würden, die einen regierungsopportunen Kurs vertreten. 89 Der Erfolg oder besser Mißerfolg aller Reformversuche in dieser Zeit war schließlich die Rückkehr zu alten vormärzlichen Verhältnissen, wodurch die Widersprüche im preußischen Staatsleben konserviert wurden. Das Charakteristische der Widersprüche bestand darin, daß kein Verfassungs- und Verwaltungssystem zur alleinigen Ausführung gekommen war. Neben dem alten ständisch-patrimonialen bestand auch das moderne rechtsstaatliche System; neben der Repräsentativverfassung, der Vertretung gleichberechtigter Staatsbürger nach freier, wenn auch eingeschränkter Wahl, hatte man die Reste einer ständischen Verfassung beibehalten. Die Ausführung des Staatswillens kam in drei Formen zum Ausdruck: in der vorwiegend absolutistischen Beamtenverwaltung, der patrimonialen Herrschaft auf dem Lande und in der modernen Forderungen entsprechenden, aber vielfach mißverstandenen Selbstverwaltung der größeren Städte. 90 87 Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Der Landrat. Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung. Köln, Berlin 1966. S. 65. 88 Im Frühjahr 1851 wurde er als Direktor der Preußischen Bank abgesetzt. Ihm folgte sein ehemaliger Ministerkollege Rudolf von Auerswald als Oberpräsident der Rheinprovinz. Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 338. Weitere Beispiele für die Anwendung der unterschiedlichen Disziplinargesetze finden sich in: Preußen seit Abschluß des Staatsgrundgesetzes bis zur Einsetzung der Regentschaft. Dritter Artikel. Rechtspflege und Verwaltung. In: Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversations-Lexikon. Siebenter Band. Leipzig 1863. S. 405 ff. 89 Vgl. u.a. den Antrag des Grafen Schwerin bezüglich einer Untersuchung einer von Seiten der Regierung auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus geübten Einwirkung von 1855 GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 867, N°2, Bd. 1. sowie: Sämmtliche Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. Bd. 1. Berlin 1856. N° 18 - Antrag des Grafen von Schwerin-Putzar vom 9.12.1855, Bd. 2. Berlin 1856. N°62 - Bericht der Kommission vom 28. Januar 1856. 90 Vgl. Paul Schmitz: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13.12.1872. Berlin 1910. S. 15. 31 3 Graf Schwerin-Putzars Kampf um eine Kreisverfassung 3.1 Der Werdegang Graf Schwerins 3.1.1 Kindheit und Jugend Graf Maximilian Heinrich Karl Anton Ernst von Schwerin wurde am 30. Dezember 1804 in Boldekow (Pommern) als Sohn des Grafen Karl Wilhelm Ludwig Heinrich von Schwerin auf Putzar und der Gräfin Charlotte, geb. von Berg, geboren. Sein Vater war Landrat des Kreises Anklam und später Landschaftsdirektor von Vorpommern und als solcher den dortigen Verhältnissen sehr eng verbunden. neben der Sein sehr Elternhaus war erfolgreichen wirtschaftlichen Tätigkeit auf den Gütern von einem modernen und geistvollem Klima geprägt. Eine enge Abbildung 1: Porträt des Grafen Maximilian von Schwerin-Putzar 91 Freundschaft verband den Vater u.a. mit Friedrich Daniel Schleiermacher und Ernst Moritz Arndt. 92 Er stand den großen Ideen seiner Zeit sehr aufgeschlossen gegenüber und trat energisch für die Bauernbefreiung und die Errichtung von Landschulen ein. Von Schmidt-Weißenfels wird sein Vater als der Vertreter des Geschlechts von Schwerin bezeichnet, der es „in die bürgerliche Epoche hinüberleitete und ihm das Ziel der Bildung und des politischen Fortschritts vorsteckte.“ 93 Aktiv war der Vater in der Turnbewegung involviert, leitete selber einen Turnverein und huldigte 91 Das Porträt wurde von Heinrich Graf in Berlin aufgenommen und fand sich in einem zeitgenössischen Fotoalbum. Veröffentlicht ist es in: Haunfelder, Bernd; Pollmann, Klaus Erich [Bearb.]: Reichstag des Norddeutschen Bundes 1867-1870. Historische Photographien und biographisches Handbuch. Düsseldorf 1989. S. 304. 92 Vgl. Schwebel, Oskar: Die Herren und Grafen von Schwerin. Berlin 1865. Hier der Abschnitt XII. Graf Maximilian von Schwerin-Putzar. S. 375. Granier, Herman: Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 33. Band. Leipzig 1891. S. 429. 93 Schmidt-Weißenfels, E.: Preußische Landtagsmänner. Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte in Preußen. Breslau 1862. S. 166. 32 den nationalen Ideen der damaligen Zeit. Trotzdem war sein Vater Heinrich sehr gottesfürchtig und erzog in diesem Sinne auch seine Kinder. Es ist „nur die Religion, die Dich in jeder Lage Deines Lebens kräftigen, nur des erhabenen Gottessohnes und Menschenfreundes herrliche Lehre, die Dir den Sieg über die inneren und äußeren Feinde Deiner Wohlfahrt gewinnen helfen kann.“ 94 Seiner weltoffenen Erziehung entsprach, daß er seinen Sohn Maximilian von 1815 bis 1819 auf die Plamann’sche Erziehungsanstalt in Berlin schickte, wo dieser lernte, über die pommersche Enge hinaus, gesellschaftliche Fragen zu beurteilen, so weit ihm dies ob seiner Jugend möglich war. Schon sehr früh wurde in dem jungen Maximilian die Begeisterung für die Helden der Befreiungskriege geweckt und durch den Vater die patriotische Erziehung auch gefördert. 95 Sein Vater ging aber über das Gefühl für das preußische Vaterland hinaus und beschwor die deutsche Nation. In einem weiteren Brief an seinen Sohn gab er sich der Hoffnung hin, daß auch Maximilian dereinst „ein wackerer deutscher Mann werden [wird], daß ihm das Gute, daß ihm Ehre und Freiheit seines deutschen Vaterlandes immer und immer über Alles heilig, ihm lieber als sein Leben und jedes vergängliche Gut desselben sein würde und daß er einst auch genannt werden würde und den ehrenwerthen Bewahrern dessen, was durch die heldenmütige Anstrengung wackerer Vorfahren erkämpft war.“ 96 Nach der Rückkehr aus Berlin erhielt er ein Jahr gemeinsam mit seiner älteren Schwester Religionsunterricht in der Heimat, wo er die Konfirmation erhielt. In der mecklenburgischen Stadt Friedland besuchte Graf Maximilian von Schwerin das Gymnasium von 1820 bis 1824, um sich dann am 12. November 1824 an der Berliner Universität für das Studium der Rechtswissenschaften einzuschreiben. Hier hörte er u.a. bei Hegel Naturrecht, bei von Raumer Universalgeschichte, bei Savigny Rechtsgeschichte und bei Schleiermacher Ästhetik. 97 Von entscheidendem Einfluß für seine weitere Entwicklung war wohl der sehr enge Kontakt im Hause Schleiermachers in Berlin. Diesen Kontakt hatte ihm sein 94 Schreiben des Vaters an seinen Sohn Max und dessen Schwester Betty an ihrem Konfirmationstage. In: Heinrich Ludwig Graf von Schwerin und Charlotte Friederike von Schwerin geb. von Berg. Blicke in ihr Leben, aus ihren hinterlassenen Briefen und anderen Handschriften. Druck der Schreiberhau-Diesdorfer Anstalten. o.J. (ca. 1880). S. 194-200. Kopien der Briefe an Maximilian aus diesem Buch wurden mir freundlicherweise von einer Urenkelin des Grafen von Schwerin-Putzar, Maximiliane Gräfin von Schwerin zur Verfügung gestellt. 95 Vgl. Brief des Vaters an den Sohn vom 12.7.1815. „Dein Freund Blücher, von dem Du so oft und so gern hörtest hat sich einen unsterblichen Ruhm erfochten. Alle Preußen, die in den glorreichen Tagen vom 15. bis 18. Juni mit für des Vaterlands Ehre und Freiheit gestritten haben, sind Helden, die noch den Dank der kommenden Geschlechter verdienen.“ In: Heinrich Ludwig Graf von Schwerin ... S. 184. 96 Ebd. S. 186 f. 97 Vgl. Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin. Abgangszeugnis des Grafen Maximilian von Schwerin vom 7. September 1825. 33 Vater sehr ans Herz gelegt und ihm empfohlen, von diesem Umgang fürs Leben zu lernen. 98 „Für die idealistische Richtung, welche sein Denken und Handeln fortan durchdrang, ist hier der Ursprung gegeben; hier erstarkte wohl auch seine Begeisterung für die Ideen von 1813.“ 99 Von Bedeutung für den Einfluß war die Stellung Schleiermachers in der Berliner Bevölkerung nach den Befreiungskriegen. Dieser hatte seine politischen Ansichten so scharf ausgesprochen, daß er bei der Regierung sogar in den Ruf eines Demagogen geriet, für die damalige Zeit und insbesondere nach dem Wartburgfest quasi eine politische Diskriminierung. Wie eng der Kontakt zum Hause Schleiermachers war, geht auch aus dem Umstand hervor, daß Graf von SchwerinPutzar die jüngste Tochter von Schleiermacher im Jahre 1834 heiratete. In dieser Verbindung war wohl am besten ausgedrückt, daß die adeligen Standesdünkel seitens Maximilians von Schwerin abgestreift waren, denn hier heiratete ein Sproß aus einer der angesehensten und ältesten Adelsfamilien Preußens eine Bürgerliche. 100 Nach seinem Studium arbeitete er als Referendar am Oberlandesgericht und bei der Regierung in Stettin. Bereits 1832 verließ Graf von Schwerin-Putzar den Staatsdienst und übernahm die Verwaltung einiger väterlicher Güter. Schon ein Jahr später wurde er von den Ständen des Anklamer Kreises zum Landrat erwählt, wo er sich bald allgemeine Anerkennung erwarb. 1836 verlegte Graf von Schwerin-Putzar auf Wunsch seines Vaters seinen Wohnsitz von Anklam nach Schwerinsburg, damit er Einblick in die landwirtschaftliche Tätigkeit gewinnen konnte, um später die väterlichen Güter in voller Verantwortung zu übernehmen. Schon zwei Jahre später übergab ihm sein Vater die Güter Schwerinsburg, Wusseken, Löwitz, Garnow, Wendfeld, Boldekow und Bornmühl zu vollständiger Bewirtschaftung. Nach dem Tode seines Vaters und dem 98 Vgl. Brief des Vaters an Maximilian von Schwerin vom 9. November 1824 nach dem Studienbeginn in Berlin. „Ich denke, Du wirst es nicht versäumen, dies Haus (das der Schleiermachers, d.A.) so oft als möglich zu besuchen. Der Umgang mit geistreichen Menschen thut einem Jüngling gar wohl, und, wenn Du auch meinen solltest, die Menschen stehen Dir zu hoch, Du könntest nicht zu ihnen heranreichen, so wirst Du bald finden, daß sie Dir, je öfter Du sie suchst, näher kommen und Dich zu sich hinauf ziehen, ...“ In: Heinrich Ludwig Graf von Schwerin und Charlotte Friederike von Schwerin geb. von Berg. Blicke in ihr Leben, aus ihren hinterlassenen Briefen und anderen Handschriften. Druck der SchreiberhauDiesdorfer Anstalten. o.J. (ca. 1880). S. 223 f. 99 Granier, Herman: Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 33. Band. Leipzig 1891. S. 429. Vgl. auch Wagener, Herrmann [Hrsg.]: Neues Conversations-Lexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon. 18. Band. Berlin 1865. S. 676. „... des Lehrers (Schleiermachers, d.A.) Einfluß auf den Schüler leuchtete aus Schwerins ganzem politischen Leben evident hervor.“ 100 Vgl. Zur Bedeutung Schleiermachers und seiner Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft Berlins, Schmidt-Weißenfels, E.: Preußische Landtagsmänner. Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte in Preußen. Breslau 1862. S. 167. 34 Vergleich mit seinem Bruder Viktor übernahm er jedoch die Putzarschen Güter, während sein Bruder die oben erwähnten Güter erhielt. 101 3.1.2 Der Beginn seiner politischen Tätigkeit 1840 wurde er zum Mitglied im Pommerschen Landtag gewählt und übernahm 1842 die Stelle des Direktors des vorpommerschen Landschaftsdepartements, die bis zu dessen Tode sein Vater inne gehabt hatte. Dies bedeutete aber noch nicht den Einstieg in die Politik, sondern wohl mehr die Übernahme von Ehrenstellen, die ihm wegen seines Namens und seines gesellschaftlichen Ranges automatisch zufielen. Durch den Tod seines Vaters erbte er eine Anzahl von Gütern und durch Kauf vergrößerte er noch diesen ansehnlichen Besitz. Dadurch wurde der Grundstein für seine materielle Unabhän-gigkeit für seine spätere parlamentarische und politische Tätigkeit gelegt. An den religiös-politischen Bewegungen der vierziger Jahre beteiligte sich Graf von Schwerin-Putzar dann sehr rege und gehörte 1841 zu den Wiedergründungsmitgliedern des Gustav-Adolf-Vereins in Darmstadt und trat in dessen Vorstand ein, was ihn erstmals über seinen Anklamer Kreis hinaus bekannt machte. Schleiermachers Einflüsse machten sich jetzt stark geltend, denn Graf von Schwerin-Putzar erfaßte den Gedanken der Stiftungen sehr lebhaft. 102 Die vierziger Jahre waren mehr und mehr geprägt von der Verfassungsfrage, die das gesamte politische Leben bestimmte. Hansemann charakterisierte die Verfassungssituation in Preußen im Herbst 1840 folgendermaßen: „Viel beraten auf Provinziallandtagen, auf Kreis- und Kommunallandtagen, ohne erheblichen Einfluß des vielen Beratens auf die wichtigsten Gegenstände der Gesetzgebung, Steuern und die Verwendung der insbesondere auch nicht auf die Staatsfonds; einiger Fortschritt in Kommunalangelegenheiten; der Stand der Beamten der einzige von politischer Wichtigkeit; Unentschiedenheit der Staatsregierung über die divergierenden Ansichten von zwei Hauptparteien, jedoch mit mehr Hinneigung zu derjenigen, die mehr oder weniger egoistisch-aristokratisch ist; doch nirgends wirkliche politische Freiheit, auch keine starke Partei, die bemerkbar dahin strebte.“ 103 In Preußen war trotz der königlichen Versprechen immer noch keine Nationalrepräsentation geschaffen worden. 101 Vgl. Schwerin, Leonhard Graf von; Schwerin-Putzar, Christoph Graf von [Zus.-gest.]: Geschichte von Putzar. Wernigerode 1910. S. 64 f. 102 Vgl. ebd. S. 65. 103 Über Preußens Lage und Politik. August/September 1840. Hansen Briefe 1.S. 205. zitiert nach Obenaus, Herbert: Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848. Düsseldorf 1984. S. 518. 35 Sehr schnell zeigte sich, daß auch Friedrich Wilhelm IV. nicht bereit war, die Versprechen seines Vaters einzulösen. Auch die Abschiede der Provinziallandtage von 1843 lehnten alle Anträge konstitutioneller Ausrichtung ab, so auch der pommersche, in dem Graf von Schwerin-Putzar saß. „Die Stellung des Grafen von Schwerin zu den Fragen der Zeit war von vornherein eine sehr klare und bestimmte: mit ganzer Seele stand er zu denen, die einen Ausbau des Staates in freisinniger Weise verlangten; in ethisch-idealistischem Sinne hatte er sich das Bild eines Staates auf breiter, volksthümlicher Grundlage construirt, eines Staates voll verfassungsmäßiger Freiheit und voll gleichen Rechts für Alle, frei von allen, das Volksleben beengenden Schranken.“ 104 Dabei blieb er in seinen Forderungen immer real und maßvoll. In diesen seinem Idealbild eines konstitutionellen Staates lag sein ganzes Streben und schließlich auch seine beschränkte spätere Wirksamkeit als Minister. Auch wenn er nicht allzuviel im pommerschen Landtag erreichen konnte, so hatte er wohl doch etwas Bewegung in die Debatten gebracht. So schrieb Ernst Moritz Arndt an seine Nichte, Gräfin Hildegard von Schwerin-Putzar am 19. Juni 1843: „Deinem lieben Manne drücke von meinetwegen herzlich die Hand und mit herzlichem Danke, daß er in den pommerschen Schlaf ein wenig Bewegung hat bringen wollen.“ 105 Und zwei Monate später schreibt er noch einmal an dieselbe, wo er die heraufziehende Gefahr revolutionärer Bewegungen sieht und die Unfähigkeit der regierenden Köpfe, einschließlich des Königs, diese zu sehen. 106 Im Jahre 1844 hatte Friedrich Wilhelm IV. das Protektorat über die Gustav-AdolfVereine übernommen und wurde hier wohl auf die Tätigkeit des Grafen von SchwerinPutzar aufmerksam. Als der König 1846 zur Ausgleichung der auf religiösem Gebiet der evangelischen Landeskirche bestehenden Differenzen eine Generalsynode nach Berlin berief, gehörte Graf von Schwerin-Putzar mutmaßlich deshalb zu den wenigen weltlichen Mitgliedern dieser Versammlung. Hier sprach er sich in enger Gemeinsamkeit mit Alfred von Auerswald für eine freie kirchliche Gemeindeverfasssung aus und forderte für jede Gemeinde das Recht auf 104 Schwebel, Oskar: Die Herren und Grafen von Schwerin. Berlin 1865. Hier der Abschnitt XII. Graf Maximilian von Schwerin-Putzar. S. 378. 105 Jonas, F.: Aus Arndts Briefen. In: Preußische Jahrbücher, 34(1874). S. 611 f. 106 Vgl. Ebd. S. 612. „Wie viele haben schon vergessen, was sie 1813 und 1815 empfunden, erlebt und erkämpft haben. Wie viele Andere sind da, die sich und selbst dem Könige einbilden mögten, solche Abschnitte und Durchschnitte der Weltgeschichte, die zwischen 1790 und 1830 alles Alte durchgehauen oder über einander geworfen haben, kommen so bald nicht wieder! Die Armen, daß sie nicht sehen wollen, daß wir kaum die alten Trümmer weggeschafft haben, ja daß wir recht mitten in der Geburtsarbeit der Zeit sind, und daß wir für tüchtigste und tapferste Leiden und Arbeiten, die wie ein Dieb in der Nacht kommen können, gerüstet seyn müssen. ...“ 36 selbstbestimmte kirchliche Satzungen. Insbesondere bekämpfte er die Verpflichtung der Geistlichen auf die Bekenntnisschriften als unevangelisch. Sein erster Antrag war der auf Öffentlichkeit der Verhandlungen, von jeher eine der liberalen Forderungen für die Sitzungen auf Kreis- und Provinzialebene, um überall „das rechte Maaß und Ziel zu halten.“ 107 Für ihn war die Generalsynode nur eine vorbereitende Versammlung 108 und er sprach die Entscheidung in allen religiösen Fragen einer organischen Vertretung der Kirche zu, die er in der von ihm ausgearbeiteten Presbyterialverfassung näher umschrieb. 109 Aber weder die freie Gemeindeverfassung noch die anderen Ergebnisse der Synode kamen zur Ausführung. Arndt sprach ihm für seine geleistete Tätigkeit auf der Synode seine Anerkennung aus, auch wenn sie letztlich nicht von Erfolg gekrönt war. Darüber hinaus spendete er dem Grafen von Schwerin-Putzar Trost und spornte ihn zu weiteren Kämpfen für das Beste des Wohles für das Vaterland an. 110 Am 3. Februar 1847 erging dann die Kabinettsorder, mit der der Vereinigte Landtag auf den 11. April 1847 nach Berlin einberufen werden sollte. Schwerin nahm als Vertreter der Anklamer Ritterschaft daran teil. Er sah nun den Anfang einer Konstitution gekommen und begann seine parlamentarische Tätigkeit auf Landesebene mit einem Antrag, in einer Adresse dem König den Dank dafür auszusprechen, daß er aus königlicher Machtvollkommenheit ein ständisches Organ geschaffen habe, wonach langgehegte Wünsche der preußischen Nation in Erfüllung gegangen wären. Gleichzeitig drückte er aber auch Bedenken gegenüber mehreren Bestimmungen des Patentes bezüglich der Garantien für diese Versammlung aus. 111 Er vertrat also den Standpunkt, daß der Versammlung bereits erworbene Rechte vorenthalten würden, die Patentgesetze von 1847 entsprächen nicht den Verheißungen, die Friedrich Wilhelm III. seinem Volk gemacht hatte; trotzdem ordnete Graf von Schwerin-Putzar seine Überzeugung seinem Votum unter. Sein hier angedeutetes Schwanken, einerseits der Dank an den König für diese 107 Vgl. Granier, Herman: Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 33. Band. Leipzig 1891. S. 429 108 Deshalb sollten auch alle Mitglieder der Evangelischen Kirche die Akten der Generalsynode in die Hand bekommen. 109 Vgl. Wagener, Herrmann [Hrsg.]: Neues Conversations-Lexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon. 18. Band. Berlin 1865. S. 676. 110 Vgl. Die Briefe von Arndt an Graf von Schwerin-Putzar vom 19. Des Aerndtemonats 1846, vom 29. des Weinmonats 1846, 10. des Wintermonats 1846. In: Jonas, F.: Aus Arndts Briefen. In: Preußische Jahrbücher, 34(1874). S. 613-616. 111 Neben der Aussprache des Dankes wollte Graf von Schwerin-Putzar nicht die Bedenken zurück-halten, „die sich vom Gesichtspunkte des Rechts und der Garantien aus, die durch die frühere Gesetz-gebung namentlich durch das Gesetz vom 17. Januar 1820, dem Volk und den Staatsgläubigern gewährt sind, gegen mehrere Bestimmungen des Patents und der Verordnungen vom 3. Februar aufdrängen müssen.“ In: Biographische Umrisse der Mitglieder der 1. Deutschen Nationalversammlung. Frankfurt a.M. 1849. S. 293. 37 ständische Vertretung und andererseits Kritik an den Kompetenzen, zeichnete ihn in seiner gesamten politischen Tätigkeit aus. Er betonte immer wieder, daß er „auf keinen anderen Namen Anspruch, als auf den eines unabhängigen Abgeordneten“ erhob. 112 An der Königstreue des Grafen von Schwerin-Putzar konnte es keinen Zweifel geben, trotzdem verlangte er eine Konstitution. „Seither galt und war Schwerin der Führer der constitutionellen Partei, wenn er sich auch nicht in allen Fragen mit dieser Partei identificirte.“ 113 Mit den Hauptideen des Liberalismus stimmte er über einen langen Zeitraum hinweg überein, so daß er mit gewisser Berechtigung dieser Partei zugerechnet werden konnte; zumal er sich selbst später als ein Repräsentant dieser Bewegung fühlte, spätestens als er Minister in der Regierung der »Neuen Ära« war. Von Bedeutung in seiner Abgeordnetentätigkeit im Vereinigten Landtag war noch sein Antrag, die Mitgliedschaft in dieser Versammlung nicht von der Zugehörigkeit zu einer der christlichen Konfessionen abhängig zu machen. Aus diesem Antrag geht hervor, daß er seinen politischen mit dem religiösen Liberalismus auf das Engste verband. 3.1.3 Minister in der Regierung Camphausen / Hansemann Verstimmt über die Kritik, die von allen Seiten an des Königs Patent laut wurde, vertagte dieser den Landtag auf unbestimmte Zeit. Den im Januar zusammengetretenen Ausschüssen mußte der König unter dem Druck der Ereignisse weitgehende Zugeständnisse machen, die er noch im Vorjahr dem Vereinigten Landtag versagte. Noch bis in den März hinein lebten die Liberalen in der Begeisterung, daß nun allen Preußen politische Freiheiten zugestanden seien. Allein, es war zu spät und zu halbherzig gedacht. Die Revolution brach nunmehr auch in Berlin aus. Das einfache Volk wollte nun den Besitz dieser politischen Freiheiten antreten, was aber wiederum die Liberalen eigentlich nur sich selbst zugestanden wissen wollten. 114 Am 19. März 1848 berief der König den Grafen Adolf Heinrich von Arnim-Boytzenburg zum 112 Vgl. Granier, Herman: Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 33. Band. Leipzig 1891. S. 430. siehe auch seine Schrift „An meine Wähler“ von 1858, in der er ebenfalls seine geistige Unabhängigkeit hervorhebt und sich an keine Fraktion binden will. In den Biographischen Umrissen der Mitglieder der 1. Deutschen Nationalversammlung. Frankfurt a.M. 1849, heißt es über ihn, daß er sich der Parteienbildung entzogen habe (S.294) und daß nur sein Gewissen sein „Parteiführer“ bei seinen Entscheidungen sei. (S.296) 113 Wagener, Herrmann [Hrsg.]: Neues Conversations-Lexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon. 18. Band. Berlin 1865. S. 676. In der Literatur wird diese Partei später als die der Altliberalen bezeichnet. Graf von Schwerin-Putzar identifizierte sich niemals in seiner politischen Laufbahn voll und ganz mit einer Partei, weil er „die Politik nicht als ein Geschäft in systematischer Ausübung, sondern überwiegend als eine Sache seines Gefühls betrachtete, ...“ Schmidt-Weißenfels, E.: Preußische Landtagsmänner. Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte in Preußen. Breslau 1862. S. 169. 114 Vgl. Schmidt-Weißenfels. S. 170. 38 Ministerpräsidenten einer neuen Regierung. Dies war der Versuch des Königs, dem vorherrschenden Mißtrauen gegenüber dem alten System zu begegnen. 115 Als einen Führer der Opposition, an dessen Königstreue aber kein Zweifel bestand, berief König Friedrich Wilhelm IV. Graf von Schwerin-Putzar auf Vorschlag von Arnim in das Ministerium als Kultusminister. Voller Begeisterung trat Schwerin in die Regierung ein, um die neue Ära mitzugestalten. Auch in seiner Eigenschaft als Minister vertrat er energisch seine Ansichten; was er für richtig und wahrhaftig hielt, versuchte er auch durchzusetzen. „Graf Schwerin ist gewiß kein Höfling, kein Minister, der Konzessionen macht, um das Portefeuille zu gewinnen oder zu behalten. Er handelt aus Überzeugung, ein Ehrenmann; aber diese Überzeugung soll noch tief in der Vergangenheit wurzeln, wie der Stammbaum seines alten Geschlechts tief in den Zeiten der Reformation.“ 116 Auch gegen dieses Ministerium regte sich alsbald der Widerstand. In Koblenz forderte z.B. eine versammelte Menschenmenge am 23. März die Absetzung von Arnims und von Schwerins, die als Protagonisten des alten Adels beim Volk galten. Eine gleiche Forderung wurde auch auf dem Rheinischen Städtetag vom 23./24. März gestellt. David Hansemann charakterisierte in einem Schreiben an Gustav Mevissen die installierte neue Regierung: „Abermals hat der Berg eine Maus geboren. Arnim Premierminister in einem Augenblick, wo Preußen sich an die Spitze Deutschlands stellen will und muß! Arnim der Ausweiser Itzsteins und Heckers! ... Als schöne Beigabe des deutschen Arnim noch den konsequenten und zuverlässigen Grafen Schwerin. Ein herrliches Duett.“ 117 Ein Beweis der Königstreue des Grafen von Schwerin-Putzar und seines Sinnes für Gerechtigkeit war die Tatsache, daß er nach dem Abzug der Truppen aus Berlin an der Seite des Königs an der von den Aufständischen erzwungenen Ehrung der auf den Barrikaden Gefallenen auf dem Schloßhof teilnahm und den feierlichen Umzug mit der schwarz-rot-goldenen Binde durch Berlin gemeinsam mit dem König absolvierte. „Sein lebendiges Gefühl für das Recht lehnte Barrikadenkämpfe und Revolution ab. Aber dieses Gefühl ließ ihn auch die Demütigung des Königs als Nemesis für den Starrsinn ansehen, mit dem er ein Jahr zuvor Schwerins Vorschläge 115 Vgl. Hofmann, Jürgen: Das Ministerium Camphausen-Hansemann. Zur Politik der preußischen Bourgeoisie in der Revolution 1848/49. Berlin 1981. S. 48. 116 Lewald, Fanny: Geschichtliches. Aus „Erinnerungen aus dem Jahre 1848“. In: Familienzeitung des von Schwerin’schen Familienverbandes Nr.50, März 1981. 117 Hofmann, S. 49. 39 abgelehnt hatte. Aber seine Ritterlichkeit gebot ihm, dem König in bitterschwerster Stunde der Monarchie, zur Seite zu stehen.“ 118 Am 20.3.1848 überbrachte der Oberpräsident der Rheinprovinz, Eichmann, Camphausen, als einem gemäßigten und vermittlungsbereiten Vertreter des rheinischen Großbürgertums, ein Angebot des Königs für ein Ministeramt, was dieser nach einigem Zögern am 24. endgültig ablehnte. Auch innerhalb des Staatsministeriums gab es Forderungen nach einem Rücktritt von Arnim-Boytzenburg, hier v.a. von ArnimSuckow und von Alfred von Auerswald. Ende März reichten schließlich Graf von Arnim-Boytzenburg, Graf von Schwerin und Kriegsminister von Rohr ihren Rücktritt ein. An Stelle eines reinen Bourgeoisie-Ministeriums, wie es vor allem von Hansemann vertreten wurde, etablierte sich am 29. März 1848 ein Ministerium des liberalen Großbürgertums und des liberalen Adels. 119 Das liberale Großbürgertum verknüpfte mit ihren Ministern die Forderung nach Reformen. Sie wünschten insbesondere die baldige Beseitigung der alten Hemmnisse, die ihrer ökonomischen und politischen Entfaltung im Wege standen. Dies waren in erster Linie Forderungen nach einer Reform der Kommunalverfassung, der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und die gesetzliche Regelung der halbfeudalen Zustände auf dem Lande. Der Mangel an Gesetzesinitiative und die unterlassene Umgestaltung der Kommunalordnung sowie des Verwaltungsapparates wurden zu Schwerpunkten bürgerlicher Unzufriedenheit mit diesem Ministerium. Ende Mai kam es zur zunehmenden Isolierung desselben. Das Ministerium wurde immer mehr mit Forderungen der Berliner Nationalversammlung konfrontiert, deren Schwerpunkt die Kommunalgesetzgebung bildete. 120 Graf von Schwerin-Putzar reagierte mutig, als im Mai desselben Jahres die tobende Menge vor dem Ministerium erschien und er als einziger der Minister auf den Balkon hinaustrat und zur Menge sprach. Der Zorn der Versammelten richtete sich dann auch in erster Linie gegen seine Person. 121 Dies zeigt sehr deutlich, daß er keinerlei Angst 118 Schwerin-Krosigk, Lutz Graf von: Der „rote“ Graf. Graf Max Schwerin-Putzar. Maschinenschriftlicher Vortrag. Ohne Datum. S. 4. 119 Vgl. Hofmann, Jürgen: Das Ministerium Camphausen-Hansemann. Zur Politik der preußischen Bourgeoisie in der Revolution 1848/49. Berlin 1981. S. 55. Ludolf Camphausen wurde Vorsitzender des Staatsministeriums, von Auerswald - Innenminister, von Arnim-Suckow - Außenminister, Bornemann Justizminister, Karl von Reyher - interimistischer Kriegsminister und Graf von Schwerin behielt sein Amt nach Fürsprache von Camphausen als Kultusminister. 120 Am 30. Mai 1848 stellte z.B. der Abgeordnete Krause den Antrag, durch eine Kommission des Hauses eine neue Kommunalordnung ausarbeiten zu lassen. Am 7. Juni forderten die Abgeordneten Pfahl, Bauer und Hagen die sofortige freie Wahl der Bürgermeister und Landräte. Vgl. Hofmann. S. 155 ff. 121 Vgl. Schwerin-Krosigk, Lutz Graf von: Der „rote“ Graf. Graf Max Schwerin-Putzar. Maschinenschriftlicher Vortrag. Ohne Datum. S. 4. 40 kannte, wenn es darum ging, eine auferlegte Pflicht zu erfüllen. Seine anfängliche Begeisterung für diese neue Ära verflog angesichts dieser Zustände sehr schnell und er wurde schließlich ein Feind derselben. Ein langes Leben war diesem sogenannten Märzministerium somit nicht beschieden. Nachdem sich auch die Krise innerhalb des Ministeriums verschärfte, reichte Graf von Schwerin-Putzar, gemeinsam mit Bornemann und dem nunmehrigen Kriegsminister von Kanitz, am 10. Juni 1848 seinen Rücktritt ein, als der vom Kabinett ausgearbeitete Verfassungsentwurf von der Nationalversammlung einer Kommission übergeben wurde. Unzufrieden über den Entwurf der Regierung beschloß die Nationalversammlung, auf Antrag von Waldeck und Wachsmuth, die Kommission mit der Ausarbeitung eines eigenen Entwurfes zu beauftragen. 122 Der König wollte zunächst das Ministerium und hier v.a. Schwerin und Kanitz im Amt halten, bis die nächste Gefahr überstanden sei. Am 17.6.1846 wurde aber offiziell der Rücktritt der Minister Außen, Kultus und Krieg durch Camphausen bekanntgegeben. 123 Genauso wie Schwerin ein Gegner der neuen Bewegung wurde, als diese begann, sich selbst zu gestalten, verhielt er sich in Hinblick auf die deutsche Nationalbewegung. Noch im März hatte Schwerin einen nicht unbedeutenden Anteil an dem Manifest, in dem erklärt wurde, daß fortan Preußen in Deutschland aufgehen sollte. Die folgende Politik betrieb aber das genaue Gegenteil, Deutschland sollte in Preußen aufgehen. Und Schwerin wurde ein Anhänger dieser Richtung, da ihm in der Krone des preußischen Königshauses die Garantie für ein gerechtes Vaterland gegeben schien. 3.1.4 In der Frankfurter Nationalversammlung Schwerin war dem preußischen Geist viel zu sehr verhaftet, als daß er nicht schon bald der rein deutschen Bewegung, wie sie in Frankfurt propagiert wurde, mißtrauisch gegenüberstehen würde. In der Paulskirchenversammlung, in welche er durch den hinterpommerschen Kreis Schlawe gewählt wurde, schloß er sich der Fraktion um Georg Vincke an, da dieser ihm schon in Preußen in seinen Ideen sehr nahe gestanden hatte. Damit gehörte er in der Frankfurter Nationalversammlung zu der äußersten Rechten, die sich den deutschen Ideen am ehesten verschloß und versuchte, preußische Interessen in 122 Vgl. Utermann, Kurt: Der Kampf um die preußische Selbstverwaltung im Jahre 1848. Phil. Diss. Berlin 1937. S. 76. 123 Vgl. Hofmann, Jürgen: Das Ministerium Camphausen-Hansemann. Zur Politik der preußischen Bourgeoisie in der Revolution 1848/49. Berlin 1981. S. 164. 41 der Versammlung durchzusetzen. 124 Ohne Bedauern sah er das Scheitern der deutschen Bewegung an, da diese eine demokratische und vom gemeinen Volk getragene war. Schwerin sah sich zwar als einen Vertreter des Volkes und verfocht auch mit großem Eifer die Gewährung dessen Rechte, jedoch war es ihm zutiefst zuwider, wenn die Demokratie ohne jede Rücksichten das Königtum und bestehende Gesetze abschaffen wollte. Aus den Ereignissen des Jahres 1848 nahm Graf von Schwerin-Putzar die Überzeugung mit, daß Demokratie und Republikanismus ein und dasselbe wären und sprach ihnen die Berechtigung im politischen Leben ab. 125 Schwerin gehörte in der Nationalversammlung zu der Minorität, die eine Verfassung nur auf dem Wege der Vereinbarung mit den Regierungen für möglich hielt. Als diese den Beschluß faßte, das Verfassungswerk selbständig zu Ende zu führen, legte Schwerin am 3. Mai 1849 sein Mandat nieder. Denn dies konnte für ihn nur einen Rechtsbruch und eine radikale Maßnahme bedeuten. In seinem Rücktrittsschreiben an den Präsidenten der Versammlung Simon heißt es: „Wenn gleich schon bei meinem Eintritt in die Nationalversammlung die Aufgabe derselben principiell anders auffassend als die große Mehrheit derselben, konnte ich mich doch, so lange es sich im Wesentlichen nur um die Ausarbeitung der Verfassung für den deutschen Bundesstaat handelte, in den meisten Fragen praktisch mit der Mehrheit der Versammlung auf demselben Boden zusammenfinden. Zu meinem tiefen Bedauern hat sich die Sache seit der Beendigung der Verfassungsberathung anders gestaltet. Die Nationalversammlung hat durch ihre letzten Beschlüsse, wie es mir scheint, die Stellung verlassen, in der allein eine heilsame Wirksamkeit für die Neugestaltung Deutschlands für sie liegt; denn nicht nur, daß sie jedes Eingehen in eine Verständigung mit den Regierungen unbedingt von der Hand gewiesen, betrachtet sie sich factisch als alleinige souveräne Obergewalt in Deutschland, und ergreift in diesem Sinne Maaßregeln zur Durchführung der von ihr beschlossenen Verfassung des deutschen Reiches, die nach meiner Anschauung von den in Deutschland noch bestehenden Rechtsverhältnissen, in keiner Weise innerhalb der Kompetenz derselben liegen, und nothwendig zum Bürgerkrieg, und statt zur Einigung, zur Zerreißung des Vaterlandes führen müssen.“ 126 Hier kommt wieder die strikte 124 Vgl. Schmidt-Weißenfels, E.: Preußische Landtagsmänner. Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte in Preußen. Breslau 1862. S. 171. 125 Hinsichtlich der Berechtigung und des Verständnisses der Demokratie revidierte er später teilweise seine Meinung. 126 Verhandlungen der deutschen verfassungsgebenden Reichsversammlung zu Frankfurt am Main. Hrsg. von der Redactions-Commission und in deren Auftrag durch K. D. Haßler. Dritter Band, Protokolle der 181.-234. Sitzung. Frankfurt a.M. 1849. S. 179. 42 Wahrung des Rechts bei Graf von Schwerin-Putzar zum Vorschein. Seine gesamte parlamentarische Tätigkeit war von dieser Maxime gekennzeichnet. So konnte er sich durch aus mit dem Grundrechtekatalog einverstanden erklären, jedoch lehnte er ihn in der Versammlung aus den beschriebenen formalen Fragen ab. 3.1.5 Im Haus der Abgeordneten des Preußischen Landtages bis 1859 Schon im Februar erkannte der Graf, daß er in der Frankfurter Nationalversammlung nichts mehr in seiner Richtung bewegen konnte. In seinem Heimatwahlkreis fand er die notwendige Unterstützung einer großen Mehrheit von konstitutionell gesinnten Wahlmännern, die fest auf der Grundlage der Verfassung von 1848 und der Monarchie beharrten und ihn in die Zweite Kammer des Abgeordnetenhauses wählen wollten. Eine Einschätzung eines Wahlmannes ging in die gleiche Richtung wie Schwerins Intentionen und jener sagte, daß dieser in der zweiten Kammer eher gebraucht würde als in Frankfurt. Zur Unterstützung seiner Wahl war Schwerin eigens aus Frankfurt angereist, um seiner Kandidatur den notwendigen Nachdruck zu verleihen. 127 Für die Wahl stellten diese Kräfte ein eigenes Wahlprogramm zusammen, das aus drei Punkten bestand. Im § 1, als der bedeutendsten Forderung, stand, daß die Verfassung vom 5.12.1848 als das zu Recht bestehende Staatsgrundgesetz anerkannt wird und dessen Revision nur nach § 112 desselben zulässig wäre. 128 Graf von Schwerin-Putzar bekannte sich auf der Vorwahlversammlung der monarchisch gesonnenen Wahlmänner des Demminer, Ueckermünder, Usedomer-Wolliner und Anklamer Kreises zu diesen Punkten und wurde von ihnen mit überwältigender Mehrheit zu dem ersten ihrer beiden Kandidaten erwählt. In der dann folgenden Wahl am 6. Februar 1849 wurde er dann mit der gleichen Stimmenzahl erfolgreich in das Abgeordnetenhaus gewählt. 129 Das Abgeordnetenhaus fristete in den Jahren nach 1849 nur ein Dasein am Rande der Öffentlichkeit. Die Zeitungen berichteten nur sehr wenig von den Parlamentsdebatten. Hinzu kam, daß die Liberalen noch stark dem »Geheimratsliberalismus« anhingen und 127 Um diese Wahl erfolgreich im Sinne der Konstitutionellen abzuschließen, wurde von den führenden Kräften alles Erdenkliche getan, um die Wahlmänner in ihrem Sinne zu beeinflussen. Am Wahlort, in Anklam, wurden die entsprechenden Wahlmänner in gemeinsamen Quartieren zusammengefaßt, um von vornherein die Reihen geschlossen zu halten. Beim Wahlakt selbst nahmen die Vertrauensmänner der „Fraktion“ die äußersten Plätze ein; so wurde eine »natürliche Barriere« zu den politischen Gegnern geschaffen. Vgl. Gadebusch, Wilhelm Ferdinand: Wie Graf Max von Schwerin-Putzar zum ersten Abgeordneten für Anklam gewählt wurde. In: Heimatskalender für den Kreis Anklam. 7(1912). S.53-69. 128 Vgl. Gadebusch. S.58. 129 Er erhielt 216 Stimmen, während sein Gegenkandidat von den Demokraten 110 Stimmen erhielt. Vgl. ebd. S. 67. 43 kaum Neigung verspürten, eine größere Öffentlichkeit teilnehmen zu lassen. 130 Die noch in der Revolution verbreitete Sitte der Abgeordneten ihren Wählern in der Presse Bericht zu erstatten, hörte in den 50er Jahren auf. Bei den Abgeordneten bestand wenig Interesse, sich fraktionell zu binden. Sie legten auf unabhängige persönliche Voten noch größten Wert. Der Beitritt zur Fraktion der Liberalen erfolgte durch einen einfachen Eintrag in einer Liste, die im Hotel Alt-Helgoland auslag. Ab der dritten Legislaturperiode wurde das Berliner Lokal »Jerusalem« zum beliebten Treffpunkt. Zu den Abgeordneten, die dort verkehrten gehörten u.a. Graf von Schwerin-Putzar, Georg von Vincke, Rudolf von Auerswald, Erasmus von Patow, Wilhelm Lette, Heinrich von Sybel und Heinrich von Bockum-Dolffs. 131 Bis zu seinem Tode gehörte Graf von Schwerin-Putzar dem Preußischen Abgeordnetenhaus und später dem Norddeutschen Reichstag ohne Unterbrechung an und hatte dort mehrfach die Präsidentschaft inne, was auch eine Anerkennung für sein offenes und geradliniges Wesen darstellte. 132 Ihn zeichnete kein großes Redetalent aus, aber in seiner einfachen und ansprechenden Art, seiner ruhigen und loyalen Ausdrucksweise verstand er es, Vertrauen zu erwecken. In der »Landratskammer« von 1856 unterlag Schwerin bei der Wahl zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses. Gleichwohl fiel allerdings in diese Zeit seine parlamentarische Glanzzeit als Führer der kleinen liberalen Partei. In diese Zeit fiel auch seine Ernennung zum Ehrendoktor der Rechtswissenschaften an der Universität Greifswald im Oktober 1856 und die Ernennung zum Ehrenbürger von Anklam im Jahre 1859. 133 Dem Grafen ist es schwer gefallen, die ganze Zeit in den parlamentarischen Kämpfen in Opposition zum Königshaus zu stehen. Er liebte den König und war dem Königshaus treu ergeben. Aber das Recht, für das er unermüdlich kämpfte, stand ihm höher als die Demut gegenüber dem Königshaus. Schmerzlich empfunden hatte er ebenfalls, daß ihm seine Standesgenossen Verrat an der eigen Klasse vorwarfen. Aber auch das konnte ihn nicht in seinem Idealismus beirren. In einer Brandrede rief er den Rechten zu, daß sie, „wenn 130 Vgl. Conrad, Horst; Haunfelder, Bernd [Hrsg.]: Preußische Parlamentarier. Ein Photoalbum 18591867. Düsseldorf 1986. S. 11 f. 131 Vgl. Conrad, Horst; Haunfelder, Bernd [Hrsg.]: Preußische Parlamentarier. Ein Photoalbum 18591867. Düsseldorf 1986. S. 12 f. Die Abgeordneten, die immer wieder in dem Lokal »Jerusalem« verkehrt hatten und von Bockum-Dolffs in seinen Auszeichnungen vermerkt wurden, sind in Fußnote 26 auf S. 13 festgehalten. 132 Die einzelnen Wahlperioden und die Wahlkreise, in denen er gewählt wurde, finden sich ebenso wie seine Präsidentschaftszeit bei: Haunfelder, Bernd: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1849-1867. Düsseldorf 1994. S. 235. 133 Vgl. Schwerin, Leonhard Graf von; Schwerin-Putzar, Christoph Graf von [Zus.-gest.]: Geschichte von Putzar. Wernigerode 1910. S. 66. 44 sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts überhaupt noch etwas bedeuten wollten, zunächst und vor allem das Junkertum über Bord zu werfen hätten. Er selbst hatte es getan.“ 134 Mit der weiteren Verstärkung des reaktionären Einflusses intensivierte auch Graf von Schwerin-Putzar seinen Einsatz für die Gerechtigkeit. Sein etwas weltfremder Idealismus wurde in seiner Behauptung, „daß die Mächte der Wahrheit stets und ganz gewiß zum Siege führen müßten“ , deutlich. Allerdings zeigte sich auch sein klarer Blick für Realitäten, wenn er mit Blick auf die Gutsherrschaften erklärte, daß jede gewaltsame Beschränkung der persönlichen Freiheit durch eine Ortsobrigkeit Unheil heraufbeschwören würde. 135 Vor allem aber forderte er von jeder Beeinflussung freie Wahlen, was sich in seinem Antrag zur Überprüfung der Regierungsaktivitäten zu den Wahlen von 1855 niederschlug. 136 Zwei Tage währte die Debatte über diesen Antrag, mußte aber bei der erdrückenden Mehrheit der Konservativen mit dem Übergang zur Tagesordnung enden. Als Erfolg war dieser Antrag dennoch zu sehen, da die Öffentlichkeit für die Praktiken der Regierung bei den Wahlen sensibilisiert wurde. Außerdem wurde innerhalb des schwerwiegendsten Vorwürfe angeordnet. Ministeriums 137 eine Untersuchung der Interessant in diesem Zusammenhang ist ebenfalls, daß die Regierung Graf von Schwerin-Putzar in seinem Wahlkreis diffamierte und versuchte seine Wiederwahl zu hintertreiben, indem man behauptete, sein politisches Verhalten wäre gefährlich für Thron und Vaterland. 138 Auch wenn die Opposition der kleinen liberalen Minderheit unter der Führung von Schwerin gegenüber der Kreuzzeitungsmehrheit keine großen Erfolge erringen konnte, erwarb sie sich doch in der politisch interessierten Öffentlichkeit große Achtung. Gleichwohl ist zu bemerken, daß die Opposition des Grafen keine systematische, sondern lediglich eine gegen die reaktionären Tendenzen der herrschenden Partei gerichtete war. Wenn es sich nicht um die Verteidigung der Verfassung oder um die Abwehr der tendenziösen Gesetzgebung handelte, sondern es um die materielle Entwicklung des Landes in Hinsicht auf Handel, Industrie und Landwirtschaft ging, war durchaus auch mit der Unterstützung dieser Minorität zu rechnen. In diesen Fällen trat dann oft die Majorität 134 Schwerin-Krosigk, Lutz Graf von: Der „rote“ Graf. Graf Max Schwerin-Putzar. Maschinenschriftlicher Vortrag. Ohne Datum. S. 5. 135 Vgl. Ebd. 136 Vgl. Die Ausführungen unter Punkt 2.4 Die Reaktivierung der früheren Kreistage unter Manteuffel, hier v.a. FN 89, S. 31. 137 Vgl. Erlaß des Staatsministers des Innern von Westphalen an den Oberpräsidenten von Posen Herrn von Puttkammer, vom 25.2.1856 sowie Schreiben desselben an den Justizminister Simons, ohne Datum. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 867, N° 2, Bd. 1, Bl. 35 ff. 138 Vgl. Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversationslexikon. Dritter Band. Leipzig 1859. Beitrag zu Graf von Schwerin-Putzar. S. 587. 45 des Abgeordnetenhauses der Regierung entgegen und versuchte den Modernisierungstendenzen entgegenzuwirken. 139 Mit den Neuwahlen nach der Machtübernahme durch den Regenten im November 1858 änderten sich die Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus entscheidend. Von der liberalen Mehrheit wurde Schwerin im neuen Abgeordnetenhaus wieder als Präsident gewählt. In seiner Abschlußrede vor dem Abgeordnetenhaus bekräftigte er, daß ein aus freien Wahlen hervorgegangenes Parlament, trotz aller Unkenrufe aus den Reihen der Konservativen, vereinbar sei „mit dem ruhigen und gesetzlichen Gang der Entwicklung in Preußen.“ 140 Auch im neuen Parlament betonte Graf von Schwerin-Putzar seine absolute Unabhängigkeit als Abgeordneter. In einer Wahlrede vom 22. November 1858 hatte er sich dahingehend ausgesprochen, daß das nunmehrige Ministerium Männer in seinen Reihen habe, mit denen er zehn Jahre gemeinsam den parlamentarischen Kampf Seite an Seite geführt habe, und bei denen er wohl davon ausgehen könne, daß sie immer noch die gleiche Auffassung vertreten würden. „Ich darf hoffen, mich auch in Zukunft wesentlich in Übereinstimmung mit ihnen zu befinden und somit die Maaßnahmen des Ministeriums unterstützen zu können; dessenungeachtet kann ich mich nicht für einen absolut ministeriellen Abgeordneten erklären. Auch dem gegenwärtigen Ministerium gegenüber kann ich die Stellung nicht aufgeben, nach eigener, gewissenhafter und, wie ich hoffe, leidenschaftsloser Prüfung mich für dasjenige zu entscheiden, was ich dem Vaterland für entsprechend erachte.“ 141 3.1.6 Minister in der „Neuen Ära“ Mit der Übernahme der Regentschaft durch den Kronprinzen Wilhelm wurde das reaktionäre Ministerium Manteuffel entlassen und mit den verkündeten Leitlinien: „Aufrichtiges Festhalten an der Verfassung und ungebeugtes Recht für alle!“ 142 war auch wieder Raum für solch liberale Persönlichkeiten, wie den Grafen von SchwerinPutzar. Schwerin galt bei seinen Zeitgenossen, bei steter Wahrung ritterlicher Form, als 139 Vgl. Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversationslexikon. Dritter Band. Leipzig 1859. Beitrag zu Graf von Schwerin-Putzar. S. 587. 140 Rede des Graf von Schwerin-Putzar auf der Schlußsitzung des Abgeordnetenhauses am 14. Mai 1859. Vgl. Unsere Zeit. S. 587. In dieser Rede spricht er auch seine Freude darüber aus, daß beide Häuser mit großer Mehrheit die Mittel für alle Eventualitäten eines östereichisch-französischen Kampfes in Italien bewilligt hätten. 141 Die Legislaturperiode des Hauses der Abgeordneten 1859-1861. Ein Rechenschaftsbericht. In: Preußische Jahrbücher 8(1861). S. 318 f. 142 Unsere Zeit. S. 587. 46 der offene und ehrliche Mann, der aus seiner Überzeugung nie einen Hehl machte und rückhaltlos das, was er als richtig erkannt hatte, mit großer Heftigkeit verteidigte. Er kannte dabei keine Rücksichten, weder nach unten noch nach oben, nur die auf seinen Monarchen und noch davor die auf seine Gesinnung. Eventuell wirkten hier immer noch die Lebensmaximen seines Vaters nach, der ihm anläßlich seiner Konfirmation ans Herz legte: „Scheue nicht Arbeit, nicht Entbehrung, wenn es darauf ankommt, Deinem Vaterlande nützlich zu sein; aber nur der gerechten Sache desselben leihe Kopf und Arm; Du bringst ihm sicher mehr wahren Nutzen, wenn Du in stiller Zurückgezogenheit in einem kleinen Kreise für die Wahrheit, als wenn Du, das Staatsruder in der Hand, für Unrecht und Irrthum thätig bist.“ 143 Und weiter: „Nicht Schmeichler, nicht Fürstenknecht soll der junge Mann sein, das stritte mit seiner Würde als Mensch, aber gehorchen soll er, so lange des Fürsten Gebot nicht dem Gebote Gottes entgegenstrebt.“ 144 In weiten Kreisen wurde ob dieser edlen Haltung und Gesinnung des Grafen von Schwerin-Putzar große Hoffnung an seinen Eintritt in die Regierung der „Neuen Ära“ geknüpft. Auch er selbst trat am 3. Juli 1859, an Stelle des interimistisch in die Regierung eingetretenen Flottwell, mit den edelsten Absichten sein Amt an. Unter seinem Bild, welches damals weit verbreitet war, schrieb er : „Die Grundlage des Staats ist das Recht, die sicherste Stütze des Throns die Liebe des freien Volkes.“ 145 In diesem Sinne erstrebte er die freie politische Gemeinde mit möglichst ausgedehnter Selbstverwaltung und Selbstregierung als die Grundlage, auf der dann die Kreis-, Bezirks-, und Provinzialordnungen aufbauen sollten. Er wollte in seiner Amtszeit eine organische Fortbildung der bestehenden Gemeinde- und Kreisverhältnisse auf gesetzlichem Wege erreichen und ließ maßgeblich unter seiner Federführung in dieser Hinsicht eine Reihe von Vorlagen ausarbeiten. Graf von Schwerin-Putzar arbeitete Gesetzesvorlagen aus über die Ministerverantwortlichkeit, über die Stellung des Abgeordnetenhauses zur Oberrechnungskammer und über eine Reform des Herrenhauses, die alle nicht die Billigung des Königs erfahren haben. 146 Letztendlich ist seine Amtszeit nicht sehr erfolgreich verlaufen, was vielfach auf mangelnde Unterstützung zurückzuführen ist. Der König versagte mehrfach, v.a. bei 143 Schreiben des Vaters an seinen Sohn Max und dessen älterer Schwester Betty an ihrem Konfirmationstage. In: Heinrich Ludwig Graf von Schwerin und Charlotte Friederike von Schwerin geb. von Berg. Blicke in ihr Leben, aus ihren hinterlassenen Briefen und anderen Handschriften. Druck der Schreiberhau-Diesdorfer Anstalten. o.J. (ca. 1880). S. 199. 144 Schreiben des Vaters an Graf von Schwerin-Putzar vom Frühjahr 1819. In: Heinrich Ludwig Graf von Schwerin. S. 191. 145 Vgl. Schwerin, Leonhard Graf von; Schwerin-Putzar, Christoph Graf von [Zus.-gest.]: Geschichte von Putzar. Wernigerode 1910. S. 67. 146 Vgl. Granier, Herman: Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 33. Band. Leipzig 1891. S. 432. 47 der Kreisreform, seine Zustimmung; Seitens des Abgeordnetenhauses fehlte es an Beistand und aus den Reihen der konservativen Mehrheit des Herrenhauses sowie den Kräften am Hof bekam Schwerin es mit den stärksten Widerständen zu tun. Bezüglich der Heeresreform hatte er immer wieder betont, daß er die Notwendigkeit einer solchen nicht nur aus militärischen Gründen, sondern auch um das Wohl des Landes willen befürwortete und es prinzipiell für ein gutes Werk erachtete. 147 Mehrere seiner ihm wohlgesonnenen Zeitgenossen sahen seinen Mißerfolg darin, daß er nicht rücksichtslos genug gewesen sei, und nur mit einer solchen Rücksichtslosigkeit hätten die vielen Vorhaben zu einem glücklicheren Ende geführt werden können. 148 Im Staatslexikon Wageners wird als Grund für den Rücktritt Schwerins die Erkenntnis angeführt, daß jener nicht mehr mit den Zielen der unter der Führung von Waldeck und Schulze-Delitzsch stehenden Fortschrittlern übereinstimme und nur die Wahl habe, entweder diese neue Strömung auf das schärfste zu bekämpfen oder aber sich an deren Spitze zu stellen. 149 Berücksichtigt man, daß Schwerin Reformen wollte und als notwendig erkannt hatte, so wird man die Worte, die Wagener dem Grafen während einer Debatte 1865 zugerufen hatte, daß das Ministerium der »Neuen Ära« vor dem Konflikt davongelaufen sei, als berechtigt ansehen müssen. Schwerin persönlich fand keine Lösung zwischen dem, was er für das Recht ansah und dem, was dem Staate nutzte. 3.1.7 Seine Abgeordnetentätigkeit nach seinem Ausscheiden aus der Regierung der »Neuen Ära« bis zu seinem Tode Dem oben angeführten Dilemma entsprach auch die Stellung von Graf von SchwerinPutzar in der neuen Kammer. Die altliberale Partei war mit dem altliberalen Ministerium verschwunden. Schwerin schloß sich mit Auerswald und Patow der konstitutionellen Fraktion unter Vincke an, die in diesem Haus nur 24 Mitglieder zählte. 150 Mit schwerem Herzen sah Graf von Schwerin-Putzar, nach seinem Ausscheiden aus der Regierung, Bismarck an die Spitze treten und er befürchtete, daß jener rücksichtslos seine Ziele durchsetzen werde. Bezeichnend dafür ist jene Episode aus dem Abgeordne147 Vgl. Schmidt-Weißenfels, E.: Preußische Landtagsmänner. Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte in Preußen. Breslau 1862. S. 177. 148 Vgl. Schwerin, Leonhard Graf von; Schwerin-Putzar, Christoph Graf von [Zus.-gest.]: Geschichte von Putzar. Wernigerode 1910. S. 67. 149 Vgl. Wagener, Herrmann [Hrsg.]: Neues Conversations-Lexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon. 18. Band. Beitrag zu Maximilian Heinrich Graf von Schwerin-Putzar. Berlin 1865. S. 67 150 Vgl. zur Fraktionszugehörigkeit und deren problematische Zuordnung: Haunfelder, Bernd: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1849-1867. Düsseldorf 1994. S. 235. 48 tenhaus als Bismarck in der Sitzung vom 27. Januar 1863 die politische Lage in folgender Weise kennzeichnete: „Das konstitutionelle Leben ist eine Reihe von Kompromissen. Werden diese vereitelt, so entstehen Konflikte. Konflikte aber sind Machtfragen, und wer die Macht in den Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor.“ 151 Damit provozierte er auf eklatante Weise das Rechtsempfinden des braven Schwerin-Putzar. In einer mit Beifall aufgenommen Rede trat er Bismarck entgegen und gipfelte mit seiner Rede in dem später oft zitierten Satz: „Macht geht vor Recht; der Satz aber, auf dem die Größe Preußens beruhe, lautete vielmehr: Recht geht vor Macht!“ 152 Andererseits mißbilligte er mehrfach die Art der von den radikalen Kräften im Abgeordnetenhaus vorgetragenen Angriffe auf die Person der Minister. 153 Und als sich dann 1864 und 1866 die Erfolge der Bismarck’schen Politik einstellten, stellte er sich hinter diese. Er war sich auch nicht zu schade, einen Sinneswandel öffentlich einzugestehen. Am 24. September 1866 gab er im Abgeordnetenhaus die Erklärung ab, „er bekenne, mit Freuden, daß eine frühere Beurteilung der Regierungspolitik eine irrige gewesen sei und daß er jetzt dem Ministerpräsidenten volles Vertrauen schenke.“ Eine Folge dieses Bekenntnisses eines hochangesehenen Altliberalen war die Bewilligung eines außerordentlichen Kredites in Höhe von 60 Millionen Thalern zum Zweck der Landesverteidigung mit 230 gegen 75 Stimmen. 154 Und einen Tag später sagte er der Regierung Bismarck seine Unterstützung zu und beendete damit seine Zwistigkeiten mit dem Ministerpräsidenten. „Ich habe 1862 ausdrücklich hervorgehoben, sobald ich mich überzeugte, daß meine Anschauung der Dinge nicht die richtige sein werde, so würde ich der erste sein, dem Herrn Ministerpräsidenten eine Anerkennung auszudrücken. Ich 151 Schwerin, Leonhard Graf von; Schwerin-Putzar, Christoph Graf von [Zus.-gest.]: Geschichte von Putzar. Wernigerode 1910. S. 67. Diese Sätze wurden im Rahmen einer Debatte geäußert, in der es um eine Adresse an den König in der Frage der Militärorganisation ging. Der Ministerpräsident hatte an den Geburtstag des künftigen Thronfolgers erinnert und in diesem Zusammenhang gemahnt, da recht der Krone zu wahren. Bismarck verwahrte sich dagegen, daß er die Wendung, wie sie ihm von Schwerin vorgehalten wurde, benutzt hätte. Beide hatten hier Recht. Bismarck der Form und Schwerin der Sache nach. Vgl. Schwerin-Krosigk, Lutz Graf von: Der „rote“ Graf. Graf Max Schwerin-Putzar. Maschinenschriftlicher Vortrag. Ohne Datum. S. 7 152 Schwerin, Leonhard Graf von. S. 67. 153 So tadelt er am 2.12.1863 die „ewigen Nörgeleien“ Virchows gegenüber dem Ministerium, oder warnt am 27.1.1863 vor dem Erlaß einer Adresse an den König, „weil sie in ihrer Form verfehlt, nicht ehrerbietig genug gegen die Krone und in ihrem Inhalt nicht überall begründet“ sei oder er hielt der Opposition vor, daß sie beim Gebrauch ihrer verfassungsmäßigen Rechte nicht immer die Interessen des Landes gefördert hätte. Vgl. Granier, Herman: Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 33. Band. Leipzig 1891. S. 433. 154 Schwerin, Leonhard Graf von. S. 68. 49 halte nun den Augenblick für geeignet, diese Anerkennung hiermit öffentlich auszusprechen.“ 155 Von 1867 an gehörte Graf von Schwerin-Putzar im Abgeordnetenhause und im Norddeutschen Reichstag zur nationalliberalen Partei, betonte jedoch gleichzeitig wiederum seine Unabhängigkeit von politischen Parteizwängen vor seinen Wählern. Erst im Herbst 1870 mußte er seine parlamentarische Tätigkeit, die ihn seit 30 Jahren beschäftigte, wegen einer schweren Krankheit ruhen lassen. Noch im April 1872 empfing er am Krankenbett eine Delegation des Deutschen Reichstages, welche ihn als eine der letzten großen Männer des Vereinigten Landtages von 1847 in den Reichstag aufnahm. Am 3. Mai 1872 starb schließlich Graf von Schwerin-Putzar nach langer schwerer Krankheit in Potsdam. Im Beileidstelegramm des Kaisers an den Sohn von Graf von Schwerin-Putzar, Heinrich, würdigte dieser den Verstorbenen . „Das Vaterland hat in demselben einen glühenden Patrioten verloren, und wenn er auch oft auf anderen Wegen das Wohl des Vaterlandes suchte als ich, so habe ich nie aufgehört in ihm den ausgezeichneten Mann zu erkennen, der meine volle Achtung besaß.“ 156 Schwerin war zwei mal Minister, weil er Abgeordneter war und er scheiterte ebenso oft, weil er es war. Als Minister hatte er keine großen Leistungen vorzuweisen. Hier zeigt sich, daß der beste Wille und die ehrenhafteste Gesinnung nicht für die sehr realen Anforderungen eines solchen Amtes ausreichen. Als Abgeordneter galt er als der „Rechtsbiedermann“. Er selbst wollte nur einen Nachruf haben: immer ein ehrlicher und rechtschaffender Mann gewesen zu sein; dem König und Vaterland treu gedient zu haben; dabei nicht immer fehlerfrei zu sein, aber immer eingelenkt. 157 3.2 Charakteristik der „Neuen Ära“ 3.2.1 Die Regierungserklärung des Prinzregenten Wilhelm und sein neues Kabinett. Ein Neubeginn? Mit der Übernahme der Regentschaft von Wilhelm I. wurde mit der reaktionären Bewegung unverzüglich gebrochen. Seiner geraden und ehrlichen Natur widerstrebte die Ver- 155 Granier, Herman: Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 33. Band. Leipzig 1891. S. 434. 156 Telegramm des Königs und Kaisers Wilhelm I. an Graf Heinrich von Schwerin-Putzar vom 6.5.1872. Zitiert nach einer Abschrift aus der Chronik des Kirchspiels Boldekow, aufgezeichnet durch Pfarrer Lüdicke, welche mir durch Maximiliane Gräfin von Schwerin zur Verfügung gestellt wurde. 157 Vgl. Granier, S. 435. 50 fälschung der nun einmal gegebenen und beschworenen Verfassung, wie sie durch seinen Bruder und der ihn umgebenden Kamarilla immer wieder betrieben wurde. 158 Wilhelm umgab sich mit Leuten, die zum großen Teil den liberalen Gruppen des Landtages angehört hatten. 159 Zu ihnen zählte der Führer der Wochenblattpartei, von Bethmann-Hollweg, der Kultusminister wurde, Graf von Schwerin-Putzar, der Präsident des Abgeordnetenhauses, dem der Regent, nach kurzer Amtszeit des konservativen Flottwell auf Drängen des Abgeordnetenhauses, das Ministerium des Inneren übertrug oder auch Rudolf von Auerswald, der in der Reaktionsphase entlassen und als Minister ohne Portefeuille stellvertretender Ministerpräsident wurde. Die höfische Kamarilla wurde von den politischen Entscheidungsfindungen ausgeschlossen. Der Minister des Königlichen Hauses schied sogar aus dem Staatsministerium aus, in dem er seit 1856 Sitz und Stimme gehabt hatte. Ein konservativ-liberales Kabinett übernahm die Regierung, gegen die hochkonservative wie bürokratisch-absolutistische Reaktion. Dies war im Grunde genommen der »englische Weg«, wie er von der Königin Augusta und deren Beratern sowie von der liberalen Adelsfraktion in Preußen getragen wurde. 160 Die Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus brachten, frei von der massiven Wahlbeeinflussung durch die Regierung, die 1855 von Schwerin noch scharf kritisiert wurde und eine parlamentarische Aussprache zu diesen Beeinflussungen zur Folge hatte, einen völligen Zusammenbruch der konservativen Parteienherrschaft; jetzt erlangten die gemäßigt-liberalen Kräfte die Mehrheit. 161 Aber Wilhelm I., der ein 158 Vgl. Hartung, Fritz: Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierung im konstitutionellen Preußen 1848-1918. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44(1932). S. 18. 159 In einem Schreiben von Kleist-Retzow an Ludwig von Gerlach vom 2. September 1861 hatte jener versucht, die neue Regierung in Parteischattierungen zu skizzieren. Als liberal wurden von ihm eingeschätzt: Auerswald, Patow, Pückler, Bernuth, je zur Hälfte als liberal: Heydt und Bethmann, zu einem ¾ Schwerin; als konservativ werden von ihm beurteilt: Roon und der Chef des Militärkabinetts Edwin von Manteuffel, je zur Hälfte Bethmann und Heydt sowie zu ¼ Schwerin. Den König schätzte er zur Hälfte als liberal und zur anderen Hälfte als absolut ein. Den Außenminister Schleinitz war er nicht in der Lage einzuschätzen. Vgl. Petersdorff, Hermann von: Kleist-Retzow. Ein Lebensbild. Stuttgart, Berlin 1907. S. 334. 160 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und Starker Staat. München 1991. S. 698. Es komme auf einen Ausgleich der Eliten an, einer Ausweitung der bisherigen Herrschaftsschicht, einer Integration von weiten Teilen des Bürgertums, um den Staat zu stärken und ihn so vor einer sozialen Revolution zu bewahren. 161 von den 352 Parlamentariern des Abgeordnetenhauses gehörten nur 47 zu den ultrakonservativen Gegnern der neuen Regierung, 44 waren zu den moderat konservativen zu zählen und 151 formierten sich in der Fraktion Vincke, die dem gemäßigten Liberalismus nahe standen. Vgl. Pyta, Wolfram: Liberale Regierungspolitik im Preußen der „Neuen Ära“ vor dem Heereskonflikt. Die preußische Grundsteuerreform von 1861. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge 2(1992). S. 187. Vgl. auch Conrad, Horst; Haunfelder, Bernd [Hrsg.]: Preußische Parlamentarier. Ein Photoalbum 1859-1867. Düsseldorf 1986. Etwas andere Zahlen finden sich im Preußischen Wochenblatt N° 49, 11.12.1858. 7(1858). S. 438. Danach gehörten 263 Mitglieder zu der neuministeriellen Partei, 57 zur altministeriellen, 40-50 zur katholischen Fraktion, 18 Polen und 14 zweifelhaft einzuschätzende 51 verfassungsgemäßes, von reaktionären Einseitigkeiten freies Regiment führen wollte, betrachtete mit Argwohn die liberalen Wünsche und Erwartungen und blieb im Grunde sehr konservativ. 162 Schon hier stellt sich die Frage, ob alle liberalen Hoffnungen zu Beginn der Regentschaft wirklich begründet waren oder ob nicht von vornherein zu hohe Erwartungen an diese Regierung gestellt wurden? Die »Neue Ära« wurde von all denen, die die Bewegungsjahre in irgendeiner Weise fortführen wollten, als liberal bezeichnet, nur weil einige als gemäßigt liberal bekannte Personen in die neue Regierung aufgenommen wurden und man in der Eröffnungsrede des Prinzen ein liberales Programm zu erblicken glaubte. Hätte man die Äußerungen des Prinzregenten kritisch auf ihren Inhalt durchdacht, wie es der radikale Lassalle tat, hätte man sich wohl schwerlich solchen Illusionen hingegeben. 163 In seiner Regierung sah Wilhelm die ersten Diener der Krone, also nicht einmal Staatsdiener; sie waren Auserwählte seines Vertrauens, mit deren Hilfe er die Geschäfte zu führen gedachte. 164 Einzig seine Maximen: Wahrheit, Gesetzlichkeit und Konsequenz sowie subtilere Methoden der Machterhaltung hoben seine Regierungsform von der seines Bruders ab. 165 Prinz Wilhelm sah in der starren Politik seines Bruders und der höfischen Kamarilla eine Gefahr für die Monarchie. Die Verfassung sollte zur Machterhaltung des Königtums eingesetzt werden. Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der höfischen Kamarilla um die dauernde Regentschaft sagte Wilhelm in seiner Eröffnungsansprache an den Landtag: „Der Schutz, durch welchen die Verfassungsurkunde dem König in seinen hohen Rechten sichert, soll auch da, wo die Persönlichkeit des nächsten Agnaten, wo die Umstände einen materiellen Zweifel nicht aufkommen lassen, formell gewährt werden. Dem Könige und dem Lande soll das Recht werden, welches zur Sicherung des Abgeordnete. Einige Abgeordnete müssen hier mehrfach erfaßt sein, denn das Abgeordnetenhaus hatte nur 352 Mitglieder. 162 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 408; Zur weiteren Charakterisierung des Kronprinzen siehe Nipperdey. S. 697. 163 Vgl. Na’aman, Schlomo: Der deutsche Nationalverein. Die politische Konstituierung des deutschen Bürgertums 1859-1867. Düsseldorf 1987. S. 43. 164 Die Ausführungen des Prinzregenten ließen in ihren Grundpositionen seinen konservativen Standpunkt erkennen. Er beschwor die gesunden, konservativen Grundlagen, auf denen das Wohl der Krone und des Landes läge. Vgl. Bahne, Siegfried: Vor dem Konflikt. Die Altliberalen in der Regentschaftsperiode der „Neuen Ära“. In: Engelhardt, Ulrich; Sellin, Volker und Stuke, Horst [Hrsg.]: Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Stuttgart 1976. S. 163 f. 165 Vgl. Na’aman, S. 43. 52 Königthums die Verfassungsurkunde fordert.“ 166 Schon 1854 kam es zwischen dem König und dem Thronfolger zu einem scharfen Konflikt über die Form der Machtausübung. Wilhelm hatte sich zu der Auffassung durchgerungen, daß verfassungswidriges Regieren und polizeiliches Willkürregiment den Thron nur vorübergehend sichern könne und daß eine nur antirevolutionäre Politik auf Dauer wenig Erfolg verspreche. Nur eine beweglichere Politik, die auf der einen Seite die Rechte der Krone weitestmöglich erhielte und auf der anderen aber gemäßigt liberalen bürgerlichen Kräften einen gewissen Einfluß zubillige, könne auf Dauer von Erfolg gekrönt sein. 167 Die selbstentworfene Rede des Prinzen vor dem Staatsministerium am 8. November 1858 hatte ein Regierungsprogramm in diesem Sinne angedeutet. In dieser Ansprache sagte er, daß „von einem Bruche mit der Vergangenheit nun und nimmermehr die Rede sein soll. Es soll nur die sorgliche und bessernde Hand da angelegt werden, wo sich Willkürliches oder gegen die Bedürfnisse der Zeit laufendes zeigt.“ 168 Seine Antrittsrede vor dem Landtag beendete er mit der Bemerkung, daß die Regierung zum Wohl des Vaterlandes und des Königtums von Gottes Gnaden bestehe. Das Vaterland würde nicht durch das Parlament repräsentiert, sondern durch das Königshaus. Mithin sucht man hier den Liberalismus vergeblich. Trotz aller Einschränkungen wurde hier doch ein Ende des reaktionären vorangegangenen System deutlich. Der von den Liberalen gefeierte Sieg der Verfassung und des Rechtes war nach diesen Erörterungen aber keinesfalls die Anerkennung der Volkssouveränität sondern ging vielmehr von der Rechtsauffassung der konstitutionellen Monarchie aus. 169 Ursprünglich versuchten eine ganze Reihe oppositioneller Gruppierungen, sowohl untereinander als auch mit der Regierung, zusammenzuarbeiten. So ließen sich etwa bei den Wahlen von 1858 einige linksliberale Politiker nicht als Kandidaten nominieren, weil sie diese einmal erreichte Eintracht nicht stören wollten. Im neuen Landtag schlossen sich dann die meisten Liberalen einer Fraktion an, die von Georg von Vincke, 166 Thronrede des Prinzregenten zur Eröffnung des Landtages am 20.10.1858. In: Preußisches Wochenblatt. N° 42, 23.10.1858. 7(1858). S. 382. 167 Vgl. Haupts, Leo: Die liberale Regierung in Preußen in der Zeit der „Neuen Ära“. Zur Geschichte des preußischen Konstitutionalismus. In: Historische Zeitschrift 227(1978). S. 50 f. 168 Zitiert nach Denkschrift des GehRR von Wolff von 1863. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 231, 231R. Die vollständige Rede ist abgedruckt bei Huber, Ernst Rudolf: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 2. S. 31 f. Aus dem Stil ist ersichtlich, daß die Rede vom Prinzregenten selbst verfaßt und ohne Korrekturen in einem Guß niedergeschrieben wurde. Vgl. Berner, Ernst [Hrsg.]: Kaiser Wilhelms des Großen Briefe, Reden und Schriften. 1. Band: 1797-1860. Berlin 1906. S. 446, Fußnote 1. 169 Vgl. Haupts, S. 55. 53 einem Mann vom äußersten rechten Flügel der Bewegung, angeführt wurde. 170 Die Maxime dessen liberaler Politik war, die Machtfrage nicht zu stellen; nur nicht drängen war die Parole, denn man wollte den König nicht ins Lager der Konservativen treiben. 171 Allein, die mit der »Neuen Ära« verbundenen Hoffnungen verblaßten allmählich in dem Maß, wie sich die Beziehungen zwischen den Liberalen und der Regierung verschlechterten. Ganz im Gegensatz zu dem erwarteten Zusammenwirken aller politischen Kräfte und staatlicher Organe kann man bald nach 1858 eine Polarisierung in Preußen konstatieren. 172 Für Wilhelm war sein Regierungsprogramm die Grenze des Liberalismus, den er mit den Interessen Preußens für vereinbar hielt. Für einige seiner Minister war dies jedoch nur der Ausgangspunkt für weitergehende Programme. 173 Kennzeichnend für die Regierung war jedoch das schon beschriebene »nur nicht Drängeln«. 174 Wenn man kompromißlos Maximalforderungen verträte, würde man den Regenten nur ins Lager der Konservativen treiben, so urteilten diese Kräfte. Damit hatte man gar nicht so unrecht, wie die weitere Entwicklung zeigen sollte. Die hochkonservativen Kreise versuchten den Regenten aus den Armen der Liberalen zu reißen und ihn mehr für ihre politischen Ziele einzuspannen. Diese zögerliche Politik der Regierung stieß zunehmend seitens liberaler Kreise auf Ablehnung. Bereits in der Session von Januar bis Mai 1860 bildete sich innerhalb der liberalen Fraktion eine Gruppe von 40-60 Abgeordneten, die zunehmend in Opposition zu den gemäßigten Positionen der Regierung und Vinckes traten. Zu ihnen zählten v.a. Abgeordnete aus dem Ostteil der Monarchie, zu deren Wortführern der Gutsbesitzer Leopold von Hoverbeck, Heinrich Theodor Behrend - Komerzienrat aus Danzig - sowie 170 Vgl. Sheehan, James J.: Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg 1770-1914. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Siber. München 1983. S. 118. 171 Vgl. u.a. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und Starker Staat. München 1991. S. 699. Nach den preußischen Jahrbüchern hat diese Parole des »nicht drängen« einer allgemein geteilten Auffassung der Gegebenheiten Ausdruck gegeben, und war weder von der Regierung noch von der konstitutionellen Partei ausgegeben worden. In: Die Legislaturperiode des Hauses der Abgeordneten 1859-1861. Ein Rechenschaftsbericht. In: Preußische Jahrbücher 8(1861). S. 318. 172 Vgl. Haupts, Leo: Die liberale Regierung in Preußen in der Zeit der „Neuen Ära“. Zur Geschichte des preußischen Konstitutionalismus. In: Historische Zeitschrift 227(1978). S. 60. 173 Vgl. Hartung, Fritz: Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierung im konstitutionellen Preußen 1848-1918. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44(1932). S. 20. 174 Vgl. Haupts, S. 63, Fußnote 84. Hier werden einige Mahnungen gemäßigter Liberaler „nur nicht zu drängeln“ angeführt. 54 Max von Forckenbeck aus Elbing gehörten. 175 Anfang 1861 war es dann soweit, daß ein Teil der liberalen Abgeordneten der äußerst gemäßigten Politik Georg von Vinckes die Gefolgschaft aufkündigte. Im Juni traten diese Männer aus seiner Fraktion aus und gründeten die Deutsche Fortschrittspartei. 176 Die Kritik an der liberalen Regierung und der gemäßigten Politik Vinckes traf jedoch nur teilweise zu. „Die Minister der »Neuen Ära« haben sich gewissenhaft an die Vorschriften ihres Königs gehalten. Sie haben den liberalen Ideen soweit ihre Unterstützung geliehen, wie der königliche Schwur es verlangte und zuließ. Sie mußten oft selbst interpretieren, aber sie haben die Haltung ihres Königs richtig interpretiert, auch in der nationalen Frage. [...] Die liberalen Minister haben das Königswort gehalten; ihr Zaudern und Schwanken bestand nur in den Augen des Parlaments, weil die Minister bei der Ausführung der königlichen Anweisungen es mit keiner Partei verderben wollten. Daß die Opposition von Wahl zu Wahl wuchs, die Regierung allmählich ins Hintertreffen geriet, der König deshalb Bismarck berief und die Neue Ära zu ihrem Ende kam, steht auf einem anderen Blatt.“ 177 Die Regierung hatte bei allem Liberalismus den Kompromiß zwischen den radikalen liberalen Forderungen, dem konservativ eingestellten Herrenhaus und der Krone zu suchen und zu finden. Diese Gradwanderung konnte nicht immer glücklich verlaufen. Was in dem einen Fall - der Grundsteuerreform 178 - gelang, mißlang in einem anderen - der Kreisreform -, was die vielfältigsten Gründe hatte, die nicht nur in der zögerlichen und mäßigenden Haltung der Regierung zu suchen waren. Auch die konservative Opposition begann sich gerade angesichts der liberalen Wahlerfolge und der eigenen niederschmetternden Niederlage bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus vom Herbst 1858 zu formieren. Die Kreuzzeitung bemühte sich massiv, die Liberalen als Vertreter der Revolution zu diffamieren und die Unterschiede im liberalen Lager zu verwischen. Die „kleine aber mächtige“ Partei der Kamarilla 179, v.a. um die 175 Vgl. Conrad, Horst; Haunfelder, Bernd [Hrsg.]: Preußische Parlamentarier. Ein Photoalbum 18591867. Düsseldorf 1986. S. 17 f. 176 Anlaß dafür war die sogenannte Adreßdebatte. Die Oppositionellen hatten verlangt, sich nicht in die italienischen Verhältnisse einzumischen und in der deutschen Einigungspolitik dem Deutschen Nationalverein zu folgen. Dieser Antrag wurde aus Angst vor einem Ministerwechsel verworfen und durch einen abgeschwächten ersetzt. Vgl. Sheehan, James J.: Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg 1770-1914. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Siber. München 1983. S. 118. sowie Conrad, Preußische Parlamentarier. S. 18. 177 Na’aman, Schlomo: Der deutsche Nationalverein. Die politische Konstituierung des deutschen Bürgertums 1859-1867. Düsseldorf 1987. S. 44. 178 Vgl. Pyta, Wolfram: Liberale Regierungspolitik im Preußen der "Neuen Ära" vor dem Heereskonflikt. Die preußische Grundsteuerreform von 1861. In: Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte. N.F. 1992. S.179-247. 179 Vgl. Gerlach, Leopold von: Denkwürdigkeiten. Hrsg. von seiner Tochter. 1. Bd. Berlin 1891. S. 691. 55 beiden Brüder Gerlach gruppiert, versuchte das Herrenhaus als ständisches und konservatives Gegengewicht zum liberalen Abgeordnetenhaus in der Gesetzgebung zu nutzen. Noch 1860 beklagte Ernst Ludwig von Gerlach die Passivität und Unflexibilität der Konservativen: „auf beiden Gebieten: Negativität, Passivität, Nullität der Konservativen, die keinen Sinn für abstraktes Recht und Fortschritt haben und darüber ... die Macht verlieren und verlieren müssen, ...“ 180 Die Wiedereinrichtung eines außerhalb der Kontrolle des Landtages stehenden Militärkabinetts, die Bestätigung der Unabhängigkeit militärischer Befehle von der ministeriellen Gegenzeichnung, die deutliche Verschärfung der Haltung des Regenten in der Militärreformfrage und schließlich die Verdrängung des Kriegsministers von Bonin durch den streng konservativen von Roon waren jedoch Zeichen für diese erfolgreichen Versuche, die nur einen Anfang für die konservative Opposition darstellten. 181 3.2.2 Reformvorhaben der neuen Regierung Mit dem Beginn der »Neuen Ära« trat die Tatsache wieder offen ins Bewußtsein, daß die Kreisverfassungen zu den großen ungelösten Problemen der Preußischen Monarchie zählten, was sich in vielfältigen Petitionen, v.a. der Städte, widerspiegelte. Graf von Schwerin begann sehr bald nach dem Willen Wilhelms mit der Ausarbeitung eines Entwurfes einer Kreisordnung. Die Entwürfe des Ministeriums Schwerin knüpften an die sehr liberale Gesetzgebung von 1850 an. Der erste Entwurf, bezüglich der 6 östlichen Provinzen, die den größten Reformbedarf besaßen, wurde mittels Allerhöchster Ermächtigung dem Abgeordnetenhaus am 20. März 1860 vorgelegt. 182 Zur Beratung im Plenum ist dieser Entwurf allerdings nicht gekommen. Von der Kommission des Abgeordnetenhauses wurde ein sehr ausführlicher Bericht zu dem Regierungsentwurf erarbeitet. 180 Tagebucheintrag des E. L. von Gerlach vom 23.3.1860. In: Diwald, Helmut [Hrsg.]: Von der Revolution zum Norddeutschen Bund. Politik und Ideengut der preußischen Hochkonservativen 1848-1866. Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach. Briefe, Denkschriften, Aufzeichnungen. Teil 1. Göttingen 1970. S. 412. 181 Vgl. Haupts, Leo: Die liberale Regierung in Preußen in der Zeit der „Neuen Ära“. Zur Geschichte des preußischen Konstitutionalismus. In: Historische Zeitschrift 227(1978). S. 62. 182 Mit der Vorlage für die östlichen Provinzen wollte sich Schwerin, laut Heffter, auch von dem allzu rheinisch-westeuropäischen Charakter der bisherigen Pläne absetzen. Gewichtiger dürfte aber sein, daß für die Einbeziehung der westlichen Provinzen zu wenig Zeit der Vorbereitung vorhanden war. Vgl. hier FN 226. Graf von Schwerin-Putzar begnügte sich im Wesentlichen mit der Abschaffung der Virilstimmen der Rittergutsbesitzer auf den Kreistagen. Der vorgesehene Kreisausschuß trat weit hinter dem in der Kreisordnung von 1850 zurück und sollte nicht mehr gewählt, sondern aus den Kreisdeputierten gebildet werden. Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 408 f. 56 Um den Aufbau und Neubau einer kirchlichen Selbstverwaltung bemühte sich der Kultusminister von Bethmann-Hollweg, der bereits auf der Generalsynode von 1846 an dem Versuch mitgewirkt hatte, eine freiere Verfassung der gesamten preußischen Landeskirche zu schaffen. Darüber hinaus war er Vorreiter der nationalkirchlichen Einheitsbestrebungen, die auf einen deutsch-evangelischen Kirchenbund hinausliefen. Sein Ziel, die Kirchenfreiheit, welches die Abhängigkeit vom modernen Staat lösen, aber andererseits das landesherrliche Regiment als eine rein kirchliche Einrichtung erhalten sollte, stieß auf Widerstand sowohl aus liberaler als auch aus konservativer Richtung. Den Liberalen ging dieses Vorhaben nicht weit genug und den streng orthodoxen war eine solche Reform natürlich ein Greuel. Wenigstens wurde die Bildung von Gemeindekirchenräten und Kreissynoden in den östlichen Provinzen eingeleitet. 183 Die Majorität der Minister hielt in der Frühjahrssession 1861 Reformgesetze für unausweichlich, um die Zustimmung der Kammern zu anderen Reformvorhaben, v.a. der Heeresvorlage zu erreichen. Durch eine Verknüpfung der Grundsteuerreform und der Finanzierung des Ausbaus des Heeres und den dazu benötigten Mitteln konnte für erstere das Abgeordnetenhaus und der König gewonnen werden. 184 Nur durch einen Pairsschub konnte dieses Gesetz schließlich im Herrenhaus durchgesetzt werden. Bei dieser Auseinandersetzung zeigt sich sehr deutlich, daß jenes Gesetz nur in Kraft gesetzt werden konnte, weil der König in der außerparlamentarischen Debatte und in den Diskussionen mit Mitgliedern des Herrenhauses voll hinter diesem Gesetz stand. Dies wurde durch eine taktische Meisterleistung des Finanzministers Patow erreicht, der mit dieser Gesetzgebung die benötigten Mittel für die Heeresvorlage beschaffen wollte, ohne von der Budgetzustimmung der Häuser des Landtages abhängig zu sein. Da Wilhelm nahezu sein Schicksal mit der Heeresreform verbunden hatte und er sich in militärischen Fragen für kompetent hielt, kam ihm eine solche Finanzierung gerade recht. „Die Verbindung eines Herzenswunsches des Königs mit einem Hauptanliegen der Liberalen verdeutlicht, welche beachtlichen Spielräume sich einer klugen altliberalen Politik in der »Neuen Ära« eröffneten, falls diese das Geschäft des politischen Handels energisch, aber mit Augenmaß betrieb.“ 185 183 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 410. 184 Zum Gang der Gesetzgebung und der Einordnung dieses Reformvorhaben sehr ausführlich bei Pyta, Wolfram: Liberale Regierungspolitik im Preußen der »Neuen Ära« vor dem Heereskonflikt. Die preußische Grundsteuerreform von 1861. In: Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte. N.F. 1992. S.179-247. 185 Vgl. ebd. S. 197. 57 Nach weitgehender Integration der Wünsche der Kommission des Abgeordnetenhauses wurde mit Allerhöchster Ermächtigung vom 11. Januar 1862 ein neuer Entwurf für eine Kreisordnung in das Herrenhaus eingebracht. Hier kam es jedoch noch nicht einmal zu einem Bericht der Kommission. Größte Opponenten der Schwerin’schen Vorlage im Herrenhaus waren Hans von Kleist-Retzow 186 und Graf Adolf Heinrich von ArnimBoytzenburg. Wesentlich unter ihrem Einfluß wurde der Gesetzentwurf umgearbeitet. Kleist-Retzow brachte nähere Vorschläge zur Verwaltungsrechtspflege in die Diskussion ein. In der Kreisinstanz sollten aus dem Landrat und einigen gewählten Kreistagsmitgliedern, in der Provinzialinstanz aus dem Oberpräsidenten und einigen gewählten Abgeordneten der Provinzialstände Kollegien einer neuen Verwaltungsjustiz gebildet werden. Hier waren Ansätze für einen weiteren Ausbau des Rechtsstaates zu erkennen, die so ähnlich auch von dem liberalen Rechtsgelehrten von Gneist entwickelt wurden und in der Kreisordnung von 1872 ihre Verwirklichung fanden. 187 Da das Ministerium sich nicht mit der neuen Fassung anfreunden konnte, fiel der Versuch einer Reform unter den Tisch. Ohne daß der Gesetzentwurf erledigt worden wäre, wurde im März 1862 die Session geschlossen. Obwohl die reformfreudigen Kräfte im Abgeordnetenhaus über die Mehrheit verfügten, leisteten die Konservativen allen Neuerungen zähen Widerstand, v.a. wenn es um junkerliche Vorrechte ging. Im Herrenhaus verfügten sie über ihre feste Hochburg. Das Herrenhaus wurde somit zu einem schweren Hemmnis der Reformversuche der „Neuen Ära“. 188 Aber auch die Fortschrittler im Abgeordnetenhaus waren mit der zögerlichen Politik der Regierung nicht einverstanden und wollten die Entscheidung. „Der Kampf war vertagt. Nach einem Jahrzehnt sollte er mit beispielloser Heftigkeit wieder aufleben und entschieden werden.“ 189 In der Folge beherrschte der Konflikt um die Heeresfrage die innenpolitischen Auseinandersetzungen und nahm die Kräfte aller Beteiligten derartig in Anspruch, daß für andere Themen kein Platz mehr war. 186 Zur Charakteristik der Position von Kleist-Retzow ist die Tatsache sehr treffend, daß er als Oberpräsident der Rheinprovinz von 1851-1858 seine Aufgabe darin sah, ein Gegenpol zu den liberalen Bestrebungen des rheinischen Beamtentums zu bilden. Vgl. Neue Deutsche Biographie. Bd. 12. Berlin 1980. S. 28 f. 187 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 411. sowie Petersdorff, Hermann von: Kleist-Retzow. Ein Lebensbild. Stuttgart, Berlin 1907. S. 437 f. Nur in der Verwaltungsgerichtsbarkeit kamen die Konservativen den liberalen Kräften entgegen, da sie hier auch einen gewissen Schutz vor staatlicher Willkür für sich selbst sahen. Allen anderen Neuerungen leisteten sie energischen Widerstand. 188 Vgl. Heffter, S. 411. 189 Petersdorff, Hermann von: Kleist-Retzow. Ein Lebensbild. Stuttgart, Berlin 1907. S. 329. 58 4 Die Geschichte der Kreisordnungsentwürfe von 1860 und 1862 4.1 Der Entwurf, der 1860 in die Zweite Kammer eingebracht wurde In dem Bericht der Kommission des Abgeordnetenhauses zum Entwurf einer Kreisordnung von 1860 heißt es, daß das Bedürfnis nach einer Reform der bestehenden Kreisverfassung schon lange vorhanden sei. Dabei wurde hervorgehoben, daß die Kreisver-fassungen, die auf den Gesetzgebungen der 20er Jahre beruhen, in keiner Weise mehr mit den gesellschaftlichen Realitäten Verfassungsurkunde von 1850 übereinstimmen würden. und den Intentionen der 190 Auch in den Motiven der Regierung bei Vorlage ihres Entwurfes wird konstatiert, daß es v.a. in Bezug auf die Zusammensetzung der Kreistage zu vielfältigen Beschwerden gekommen sei, die in dem Maße anstiegen, wie den Kreistagen das Recht zur Besteuerung der Kreiseingesessenen zur Erfüllung von Kreisaufgaben beigemessen war. 191 Ein Überblick über die Petitionen zur Kreisordnung, die beim Abgeordnetenhaus eingingen, findet sich in dem erwähnten Bericht der Kommission. In der Mehrzahl ging es hier um Forderungen nach einer angemesseneren Vertretung der Städte und Landgemeinden an der Kreisvertretung. In Folge der Gesetze der 50er Jahre wurde zwar das Vertretungsverhältnis der Stände auf den Kreistagen geringfügig zu Gunsten der Städte und Landgemeinden verbessert, entsprach aber noch lange nicht den veränderten gesellschaftlichen Erfordernissen. 192 Die Ausgangslage für Reformen auf der Ebene der Kreise und Gemeinden wird recht gut in den Preußischen Jahrbüchern geschildert. „Der Kampf um die verfassungsmäßige Ordnung des ländlichen Gemeindewesens und die davon unzertrennliche Aufhebung der gutsobrigkeitlichen Polizei war in der den Wahlen des Herbstes 1858 vorausgegangenen Reaktionsperiode ein noch weit heftigerer 190 Vgl. Bericht der XIX. Kommission über den Entwurf einer Kreisordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 19. Mai 1860. In: Sämmtliche Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. Bd. VI. Nr. 265. Berlin 1860. 191 Vgl. Kreisordnungsentwurf für die sechs östlichen Provinzen der Monarchie und die dazugehörigen Motive in: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. Bd. III. Nr. 149. Berlin 1860. Bei den erweiterten Möglichkeiten der Besteuerung durch die Kreistage sind die Gesetze von 1841, 1842 und 1846 gemeint, wo sich v.a. die Städte von den Rittergutsbesitzern nicht entsprechend ihrer Steuerlast behandelt und übervorteilt fühlten. Vgl. FN 58 192 Die mit der Verkündung der Kreisordnung vom 11. März 1850 eingetretenen Verstärkungen der Vertretung von Städten und Landgemeinden in den Kreisvertretungen sollten auch nach dem Gesetz vom 24. Mai 1853 beibehalten werden. Vgl. u.a. die Verfügung des Innenministers von Westphalen an den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen vom 1. Februar 1856. Hier bestätigt er noch einmal, daß zur Teilnahme an der Landratswahl auch die Kreistagsmitglieder, die zur Verstärkung der früheren Zahl der Abgeordneten der Städte und Landgemeinden „nach Art. 6 des Gesetzes vom 24. Mai 1853 als berechtigt zu erachten und demgemäß dazu einzuladen sind, da die Abänderung welche die Kreis-Ordnung für die Provinz Sachsen vom 17. Mai 1827 hinsichtlich der Zusammensetzung der Kreistags-Versammlung durch das gedachte Gesetz erfahren hat für jede Thätigkeit der Stände, also auch für die von ihnen vorzunehmenden Landraths-Wahl maaßgebend ist.“ In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 11, Bd. 3, Bl. 7 f. 59 und dabei in seinem Ausgange für die feudale Partei glücklicherer gewesen. Nur die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit der Rittergüter durch die Verordnung vom 2. Januar 1849 war unangefochten geblieben.“ 193 Im Zuge der Erarbeitung der Kreisordnungen wurden umfangreiche Statistiken zu den Vertretungsverhältnissen auf den Kreistagen durch das Innenministerium bei den Regierungen angefordert, die das Verhältnis nach der bestehenden Verfassung und nach den jeweiligen Entwürfen klären sollten. Dieses umfangreiche Material in den Akten des Städte 9% Ministeriums des Innern gibt einen sehr guten Aufschluß über die Verteilung der Stände nach Bevölkerung, Steuerleistung, Flächengröße des Besitzes und nach der Rittergüter 80% Landgemeinden 11% aus den Kreisordnungen resultierenden Vertretung auf den Kreistagen. 194 Nach den bis 1860 bestehenden Kreis- verfassungen hatten die Rittergutsbesitzer ein erdrückendes Übergewicht in den Kreistagen, das in keinem Verhältnis zu Abbildung 2: Anteil der einzelnen Stände an den Kreistagen der östlichen Provinzen nach der bisherigen Kreisverfassung ihren Besitzverhältnissen oder auch der Steuerleistung stand. Die Städte hatten einen Anteil am Grundbesitz von rund 30 %, waren in den Kreisvertretungen jedoch im Durchschnitt der sechs östlichen Provinzen nur zu 9% vertreten. Dr. Engel, der damalige Direktor des statistischen Büros, veranschlagt den gesamten Besitz an Grund und Boden in Preußen mit 4.423 Millionen und die Gebäude mit 1.895 Millionen Thaler, woran die Städte mit 1.327 Millionen bzw. 568 Millionen Thalern beteiligt waren. Auch die Landgemeinden waren gegenüber den Rittergutsbesitzern hinsichtlich des Vertretungsverhältnisses in einem erheblichen Nachteil. Sie hatten fast doppelt so viel Landbesitz wie die Rittergüter aber nur einen Anteil von 11 % in den 193 Die Legislaturperiode des Hauses der Abgeordneten 1859-1861. Ein Rechenschaftsbericht. In: Preußische Jahrbücher 8(1861). S. 352. 194 Zum statistischen Material vgl. vor allem: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 7 und 8 sowie in Zusammenfassung für die einzelnen Regierungsbezirke bis auf Kreisebene aufgeschlüsselt im Bericht der Kommission des Abgeordnetenhauses vom 19. Mai 1860. Beim Vergleich der einzelnen Daten treten jedoch zum Teil erhebliche Unterschiede auf, die auf ungenauen Meldungen aus den Landratsämtern bzw. aus Mißverständnissen bei der Definition von bestimmten Kategorien herrühren. Die von mir verwandten Daten versuchen diese Ungenauigkeiten, so weit es möglich war, auszugleichen. Dadurch kann es zu einigen Abweichungen zu veröffentlichten Zahlen kommen. 60 Kreisversammlungen. Von den Rittergutsbesitzern war jeder auf den Kreistagen vertreten, während im Durchschnitt auf ca. 20 Landgemeinden ein Vertreter kam. 195 In der Sitzung des Staatsministeriums vom 20.12.1858 kam man überein, daß bei etwaigen Anträgen des Landtages bezüglich der Reform der Kreisordnung im Allgemeinen die Notwendigkeit einer Revision der über diese Gegenstände bestehenden Gesetze anerkannt, zugleich aber auch die Wichtigkeit derselben und auf die Notwendigkeit einer genauen und gründlichen Erwägung der durch das Bedürfnis gebotenen Abänderungen hingewiesen werden solle. Dem entsprechend wurde auch bei Beratung verschiedener Petitionen im Hause der Abgeordneten seitens der Staatsregierung eine Revision der Kreisordnungen mehrfach verhießen. 196 Auch in der Eröffnungsrede des Prinzregenten wurde die Notwendigkeit einer Reform der bestehenden Kreisverfassung anerkannt und für wünschenswert erachtet. Zunächst wurde intern im Bereich des Innenministeriums unter dem Minister von Flottwell über die Zulassung von jüdischen Rittergutsbesitzern zur Kreisstandschaft heftig debattiert. Diese Diskussion uferte schnell aus und geriet zur Debatte über Petitionsrechte des Kreistages überhaupt. Besonders hitzig wurde die Debatte 1860 im Herrenhaus geführt. 197 Noch am 30. April 1857 hatte der damalige Innenminister von Westphalen in einem Dekret an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, Flottwell, bekräftigt, daß jüdische Rittergutsbesitzer „allerdings jetzt so wenig, wie früher, berechtigt sind, auf den Kreistagen persönlich zu erscheinen.“ 198 Am 26. Januar 1859 gab der nunmehrige Innenminister Flottwell ein Votum ab, in dem er die bisherige Haltung des Ministeriums nicht mehr für tragbar hielt. Mit Bezugnahme auf den Artikel 12 der Verfassungsurkunde vom 30. Januar 1850 wurde auch den jüdischen Rittergutsbesitzern das Recht der Kreisstandschaft zugebilligt. Mit Zirkularerlaß vom 16. Februar d.J. wurde dies allen Regierungen zur Kenntnis gegeben, was diesen und etlichen Kreistagen sowie Landräten Anlaß zur Beschwerde gab. Für den Innenminister bedeutete dies eine Untergrabung der ministeriellen Autorität und eine Überschreitung 195 Vgl. Gutsmuths, Freimund: Patriotische Untersuchungen bezüglich preußischer Zustände. Bd. V. Reform der Kreis- und Kommunal-Verfassung. Hamburg 1861. S. 29. Sowie GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. Statistische Nachweisungen für die sechs östlichen Provinzen. Ohne Blattangabe und Datum. Die Rittergüter in den östliche Provinzen hatten eine Gesamtfläche von 27.779.142 Morgen, während die Landgemeinden über einen Besitz von 44.333.999 Morgen verfügten. 196 Vgl. Denkschrift des von Wolff. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 223, 223R. 197 Vgl. 19. Sitzung des Herrenhauses am 27. März 1860. In: Stenographische Berichte. Herrenhaus. 1. Bd. Berlin 1860. S. 299-316. 198 GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 11, Bd. 3, Bl. 11. Hiermit antwortet der Minister des Innern auf eine dahingehende Beschwerde auf Nichtzulassung durch den jüdischen Rittergutsbesitzer Itzigsohn zu Zollen. Den weiteren Verlauf dieser internen Debatte ebd. Bl. 15-37R. 61 der Kompetenz, v.a. der Kreistage, die nur Gegenstände beraten könnten, die unmittelbar den Kreis angingen. Die Kreisstände gingen jedoch davon aus, daß sie das Recht für solcherart Petitionen hätten und sahen sich durch oben erwähnten Erlaß in ihren Rechten beeinträchtigt. Im Verlauf der Diskussion versuchte Flottwell die Schärfe, die noch durch den Erlaß vom 17. April 1859 verstärkt wurde, aus jener herauszunehmen und zu differenzieren. In einem Erlaß an den Landrat des Kreises Ruppin, Herrn von Schenkendorf auf Wulkow, vom 3. Juli 1859 wies Flottwell noch einmal darauf hin, daß „es sowohl den positiven Bestimmungen, wie dem Geiste der bestehenden ständischen Gesetzgebung entspricht, wenn das Rescript vom 17. April c. ein Petitions- und Beschwerde-Recht der Kreisstände nur in Bezug auf solche Gegenstände anerkannt hat, über welche die Kreisversammlungen nach Inhalt der Kreisordnung und deren Ergänzungen überhaupt befugt sind, Beschlüsse zu fassen.“ 199 Darüber hinaus könne es ihnen nicht gestattet werden, ähnlich wie den Provinzialständen, Bitten und Beschwerden Allerhöchsten Orts vorzubringen, die die inneren Angelegenheiten des gesamten Staats betreffen „und somit ein Recht ausüben zu dürfen, welches nach § 13 des Ges(etzes) v(om) 3. Februar 1847 ausschließlich dem Vereinigten Landtage der Monarchie - vorbehalten ist.“ 200 Die Reskripte des Ministerium würden somit keine Einschränkung der bestehenden Petitionsrechte darstellen, sondern nur auf die gesetzlichen Beschränkungen derselben hinweisen. In dieser Diskussion wurde deutlich, daß die Rittergutsbesitzer keinesfalls gewillt waren, jede auch noch so kleine Beschränkung ihrer, wenn auch in diesem Fall vermeintlichen, Rechte hinnehmen wollten. Mit dieser Problematik hatte sich dann auch noch, der auf Drängen der Mehrheit des Abgeordnetenhauses berufene neue Innenminister, Graf von Schwerin-Putzar zu beschäftigen. 201 Mit der Übernahme der Regentschaft und der verhießenen Neuordnung der Kreisverhältnisse erreichten verstärkt Petitionen bezüglich einer Reform der Kreisordnung das Abgeordnetenhaus. Bei der Behandlung einer Petition von 10 Mitgliedern der Kreisstände des Kreises Deutsch-Crone, Regierungsbezirk Marienwerder, vom 19. Februar 1859, deren Antrag unter Punkt 5 dahin ging, im Allgemeinen ein angemesseneres Vertretungsverhältnis der Kreiskorporationen auf den Kreistagen zu erreichen, wurde in der 199 GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 11, Bd. 3, Bl. 36 f. Ebd. Bl. 37. 201 Vgl. Debatte im Herrenhaus, siehe FN 197 sowie das Votum des Graf von Schwerin-Putzar an das Staatsministerium vom 18. April 1860 bezüglich der vermeintlichen Einschränkung des Petitionsrechtes der Kreistage. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 11, Bd. 3, Bl. 61 f. 200 62 39. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Beschluß gefaßt, dies dem Staatsministerium zur Berücksichtigung zu überweisen. Der Kommissarius des Ministeriums des Innern, Landrat von Winter, erklärte, daß die Regierung die Notwendigkeit einer Revision der Kreisordnungen anerkenne und im „Hinblick auf das Bedürfniß einer anderweiten gesetzlichen Regelung der Vertretungs-Verhältnisse diesem Gegenstande ihre ernste Erwägung zuwende, daß indeß eine nähere Ansicht drüber noch nicht gefaßt sei, demnach auch eine Erklärung über die Art und Richtung einer anderweiten Regelung, wie über etwaige dieserhalb hervortretende Vorschläge nicht abgegeben werden könne.“ 202 Schon hier kommt zum Ausdruck, daß das Vertretungsverhältnis auf den Kreistagen allgemein als das größte Problem und als am drückensten empfunden wurde. Damit im Zusammenhang steht natürlich auch, daß die Virilstimmen der Rittergutsbesitzer als überholt und nicht gerechtfertigt anerkannt wurden. Hier wurde ein Privileg des Adels gesehen, auch wenn seit dem Stein’schen Edikt von 1808 auch Bürgerliche solche Güter mit Virilstimme käuflich erwerben konnten. Bereits im August 1859 wurde von einem Herrn Lindemann, der von mir nicht näher einzuordnen war, ein Promemoria betreffend die „örtlichen und Kreis-Verfassungs-Verhältnisse in den östlichen Provinzen des Staats“ verfaßt. 203 Jener Lindemann konstatierte für den bisherigen Kreistag, daß dieser sehr von der Staatsregierung gegängelt würde und daß man nicht zu „autonomischen“ Beschlüssen gelangt sei, was seiner Meinung nach an der Zusammensetzung der Kreisversammlungen läge. Bei einer Reform der bestehenden Kreisverfassung erachtete er es keineswegs für angemessen, so radikal vorzugehen, wie dies 1850 geschehen war. Insbesondere wollte er die ständische Gliederung beibehalten und nur die „schreiendsten Mißverhältnisse“ beseitigen. Davon ausgehend stellte er drei grundlegende Punkte einer Reform zusammen: 1. Aufhebung der Virilstimmen der Rittergutsbesitzer und statt dessen einzuführen, daß diese aus ihrer Mitte Kreisabgeordnete in angemessener Zahl wählen sollen; 202 Erklärung der Staatsregierung in der letzten Landtagssession, enthaltend die Verheißung einer Gesetzesvorlage bezüglich des Vertretungsverhältnisses der Kreiskorporationen. Juli 1859. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 11, Bd. 3, Bl. 39. Vgl. auch die Petitionen von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung von Mehlsack vom 18. März 1859 sowie von Grundbesitzern des Kreises Niederung, Regierungsbezirk Gumbinnen, vom 17. März 1859 an das Abgeordnetenhaus, welche zur Bearbeitung an das Ministerium des Innern weitergeleitet worden sind. Ebd. Bl. 49-51R. 203 Vgl. ebd., Bl. 40-47R. Auf dem Promemoria ist ein Vorlagevermerk an den Graf von Schwerin-Putzar vom 6.10.1859 aufgebracht. 63 2. darüber hinaus Verstärkung der Vertreter der Stadt- und Landgemeinden mit Berücksichtigung der Beitragsverhältnisse zu den Staatslasten; 3. Bildung von bisher nicht vertretenen Elementen, wie z.B. die entstandene Grundbesitzerklasse, die zwischen dem Ritterguts- und dem bäuerlichen Besitz ähnlich dem köllmischen Besitz in der Provinz Preußen - anzusiedeln wäre; den großen Domänenpächtern, deren Interessen im Kreis nahezu ebenso schwer wiegen, wie die der Rittergutsbesitzer und dem fiskalischen Grundeigentum, wie den Domänenvorwerken und -forsten. Die Zahl der auf jeden Stand entfallenden Abgeordneten sollte nach den entsprechenden Besonderheiten in den Kreisen, nach Anhörung der Provinziallandtage, einer Königlichen Verordnung vorbehalten bleiben. Schließlich war nach Auffassung von Lindemann vorgesehen, daß das bisherige Recht der Repräsentation des Landratsamtskandidaten durch die Rittergutsbesitzer auf den gesamten Kreistag übergeht, ebenso wie die passive Wählbarkeit ausgedehnt und die Verhandlungen öffentlich gemacht werden sollten. In dieser Denkschrift kamen die wesentlichen Forderungen der Liberalen zum Ausdruck und fanden im Großen und Ganzen auch ihren Widerhall in den Vorarbeiten zum Entwurf des Grafen von Schwerin-Putzar vom März 1860. Aus den entsprechenden Aktenvermerken läßt sich ersehen, daß seit Oktober 1859 an einem solchen Entwurf intensiv gearbeitet wurde. 204 Verantwortlicher Referent für diese Angelegenheit war der Landrat von Winter 205, der bereits im September dazu ein Promemoria verfaßt hatte. In dieser Arbeit setzt er die Unterstützung in der Bevölkerung für das Gelingen eines so durchgreifenden Reformwerkes voraus und versucht aus der überstürzten und zu radikalen Gesetzgebung des Jahres 1850 die Schlußfolgerungen zu ziehen. „Die Lehre, welche der bisherige Gang der Gemeinde pp. Gesetzgebung uns gegeben hat, darf für die Zukunft nicht unbenutzt bleiben. Sie zeigt, daß die Umgestaltung der Verfassung unserer Gemeinden, Kreise und Provinzen nicht einfach das Werk der Gesetzgebung sein kann, daß dazu 204 Aktenvermerk auf dem Entwurf der Erklärung der Staatsregierung von Juli 1859. „Die Frage betr(effend) die Umgestaltung der Kreisverfassung ist anderweit aufgenommen, daher geht das Stück zu den Acten. B(erlin) den 3.10.59“ Paraphe von Graf von Schwerin. Siehe FN 202 sowie weitere Vermerke, vgl. FN 203. 205 Wahrscheinlich wurde der liberale Geheime Regierungsrat Leopold von Winter, der bisher Landrat im Kreis Lebus war, aber bereits seit 1859 im Preußischen Staatskalender als vortragender Rat im Innenministerium erscheint, von Graf von Schwerin-Putzar nach dessen Amtsantritt ins Ministerium geholt. Im Sommer 1861 löste von Winter den konservativen Berliner Polizeipräsidenten Zedlitz ab, wurde dann aber nach der „Neuen Ära“ ein Opfer der Politik Eulenburgs, der die politischen Beamten zur unbedingten Unterstützung der ministeriellen Politik verpflichtete. Von Winter trat nun, 1865, in die kommunale Laufbahn als Oberbürgermeister von Danzig über. 64 wesentlich die moralische Betheiligung der ganzen Nation erforderlich ist, und daß auf diese bei Durchführung der zu erlassenden organischen Gesetze nur insoweit gerechnet werden kann, als die letzteren wirklich vorhandene Beschwerden zu beseitigen bestimmt und geeignet sind. Alle Reformen, welche hierüber hinausgehen, werden, selbst wenn sie auf an sich richtigen und wahren allgemeinen Prinzipien beruhen, in den Augen der Nation stets als unberechtigte Neuerungen erscheinen, und in ihrer Ausführung, zumal in politisch ruhigen Zeiten, auf unberechenbaren Widerstand stoßen.“ 206 Trotz der ziemlich kurzen Tätigkeit des Geheimen Regierungsrates von Winter prägte dieser maßgeblich den ersten Entwurf der Regierung, der dann im März 1860 dem Abgeordnetenhaus vorgelegt wurde. Nahezu alle seiner Vorschläge wurden in dem Entwurf verankert. In den Beratungen des Staatsministeriums am 22. und 23. Februar 1860 stand der Entwurf der Kreisordnung zur Beratung an. Der Handelsminister von der Heydt machte Einwände geltend, daß doch zuerst die Provinziallandtage zum Entwurf gehört werden sollten, was aber von der Mehrheit des Ministeriums abgelehnt wurde. Zuvor hatte der Innenmister ausgeführt, daß diesen nur Gegenstände zur Begutachtung vorzulegen seien, die ausschließlich die Angelegenheiten der betreffenden Provinzen beträfen 207, und außerdem hätten die Landtage bereits 1851/52 die Möglichkeit gehabt, sich zu äußern. Die vom Innenministerium gesammelten Materialien würden schließlich ausreichende Gründe für eine Reform darlegen. 206 Zitiert nach der Denkschrift des GehRR von Wolff von 1863, da dieses Promemoria wahrscheinlich mit den oben erwähnten verschwundenen Akten der Rep. 77 ebenfalls abhanden kam. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 234R-235. 207 Die gleiche Kompetenzfrage stellte sich auch dem 16. Provinziallandtag der Provinz Preußen, als dieser am 27.10.1862 von der Staatsregierung zur Begutachtung aufgefordert wurde. Hier besonders der Antrag des Abgeordneten von Saucken-Tarputschen, den Landtag in dieser Frage für inkompetent zu erklären, was mit 56 gegen 32 Stimmen abgelehnt wurde. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Adh. 1, Bl. 12 ff. 65 Am 29. Februar 1860 wurde dem König durch das Staatsministerium der Entwurf für eine Kreisordnung für die sechs östlichen Provinzen zur Allerhöchsten Vollziehung vorgelegt. In diesem Entwurf fand vor allem die Bestimmung des § 14 keinen Beifall des Regenten, womit das Verteilungsverhältnis der Abgeordneten auf dem Kreistag geregelt wurde. Danach sollten die städtischen Abgeordneten nach Maßgabe der Einwohnerzahl berechnet werden, jedoch niemals mehr als ein Drittel; der verbleibende Rest sollte nach dem Verhältnis des Flächenumfanges zwischen dem großen Grundbesitz und den Landgemeinden aufgeteilt werden. Für den Regenten war damit eine der Bedeutung des großen Grundbesitzes nicht angemessene Vertretung vorgesehen. Er befürwortete eine Verstärkung der Vertretung des großen Grundbesitzes und wollte, daß dieser mindestens die Hälfte der Abgeordneten stellen sollte, was schließlich vom Staatsministerium so akzeptiert und in den Entwurf mit aufgenommen wurde. 208 Am 21. März 1860 brachte der Innenminister mittelst Allerhöchster Ermächtigung den Entwurf der Kreisordnung für die sechs östlichen Provinzen in das Abgeordnetenhaus ein. 209 In diesem Entwurf wurden die Landgemeinden 32% bestehenden Kreisgrenzen beibehalten und eine Veränderung derselben konnte nur nach Anhörung der Kreisund Provinzialstände durch Königliche Verordnung erfolgen. Als Organ des Kreises tauchte neben Städte 18% dem Landrat und der Kreisversammlung Großer Grundbesitz 50% wieder der Kreisausschuß auf. Graf von Schwerin-Putzar griff damit auf die Einrichtung des Entwurfes von Abbildung 3: Verteilung der Kreistagsabgeordneten nach dem Entwurf der Regierung vom 21.3.1860 1850 zurück, was schon damals für heftige Kontroversen gesorgt hatte. Die Kreisversammlung sollte aus drei Wahlverbänden gebildet werden, dem Großen 208 Vgl. Graf von Schwerin an den Ministerpräsidenten Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen vom 7. Februar 1861 sowie Entwurf des Berichtes des Staatsministeriums an den König von Preußen unterm 20. Februar 1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. Leider sind die Bände im Vorfeld des Entwurfes von 1860 nicht mehr im Bestand auffindbar und so mußte auf die Berichte des folgenden Jahres zurückgegriffen werden. Bei einer weitergehenden Arbeit müßte hier die Gegenüberlieferung des Staatsministeriums im GStA, Rep. 90a mit aufgenommen werden. 209 Die Einbringung des Entwurfes durch den Innenminister. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten. 2. Band. Berlin 1860. S. 585-588. Der Entwurf selber siehe: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. 5. Legislaturperiode, 2. Session 1860. Bd. 3. Berlin 1860. N° 149. 66 Grundbesitz, den Städten und den Landgemeinden. (§8) Damit war festgelegt, daß das Virilstimmrecht für die Rittergüter fortfallen und alle Abgeordneten zum Kreistag gewählt werden sollten. Zum Wahlverband der großen Grundbesitzer sollten diejenigen Güter gehören, die einen jährlichen Reinertrag von 2000 Thalern garantierten sowie die kleineren Güter, denen bisher die Kreisstandschaft beigemessen war, so lange diese nicht durch freiwillige Parzellierung verkleinert würden. Den bezeichneten Gütern waren die Königlichen Domänengüter und die Förstereibezirke mit einem Mindestertrag von ebenfalls 2000 Thalern gleichgestellt. Für den großen Grundbesitz sollte eine Matrikel aufgestellt und alle 12 Jahre aktualisiert werden. Der Wahlverband der Städte umfaßte alle Stadtgemeinden des entsprechenden Kreises. Der Wahlverband der Landgemeinden wurde schließlich aus den Landgemeinden, mit Ausschluß solcher Gemeindemitglieder, die zum großen Grundbesitz gehörten, sowie den selbständigen Gütern gebildet, die nicht zum großen Grundbesitz zählten. (§§ 9-11) Im § 14 war die wohl umstrittenste Frage verankert - die der Verteilung der Kreistagsabgeordneten auf die einzelnen Wahlverbände. Bekanntlich setzte sich hier der Regent mit seinen Vorstellungen zur Teilnahme der großen Gutsbesitzer auf den Kreisversammlungen durch. Die Zahl der städtischen Abgeordneten sollte nach dem Verhältnis der städtischen und ländlichen Bevölkerung bestimmt werden. Die verbleibende Anzahl sollte nach Maßgabe des Flächenumfanges zwischen den anderen beiden Wahlverbänden verteilt werden. 210 In der Regel sollten dem großen Grundbesitz dabei mindestens die Hälfte der Gesamtzahl der Abgeordneten zugewiesen werden. Sollte die Zahl der großen Grundbesitzungen nicht die Hälfte der Abgeordneten erreichen, würden diesem Wahlverband nur so viele Abgeordnete zugeteilt, wie große Besitzungen überhaupt vorhanden wären. Die Verteilung der Abgeordneten auf die einzelnen Wahlverbände, der städtischen Abgeordneten auf die einzelnen Städte und die Verteilung der Landgemeindeabgeordneten auf die einzelnen Landgemeinden sowie die Bildung der entsprechenden Wahlbezirke sollte nach Vorschlag durch den Kreisausschuß durch die Bezirksregierung erfolgen. Gegen diesen Beschluß war innerhalb einer Frist von vier Wochen Beschwerde beim Oberpräsidenten möglich, der dann endgültig entscheiden sollte. Mit dieser Einflußnahme durch übergeordnete staatliche Stellen, die noch an mehreren Passagen des Gesetzentwurfes zum Ausdruck kommt, war die kommunale 210 Für die östlichen Provinzen betrug die Zahl der Abgeordneten des großen Grundbesitzes: 3.514, für die Städte: 1.246 und für die Landgemeinden: 2.207. Vgl. Statistische Nachrichten zu dem Entwurf der Kreisordnung für die sechs östlichen Provinzen von 1860. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. sowie Anlage 5: Statistische Übersicht zur Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den sechs östlichen Provinzen , in dieser Arbeit. 67 Selbstverwaltung ziemlich unterhöhlt und die staatliche Aufsicht weit ausgedehnt. So mußte zu vielen Beschlüssen des Kreistages, v.a. was die finanziellen Fragen anging, die Genehmigung der Regierung eingeholt werden. (§§ 36-38) Selbst die Wahl der vier Kreisdeputierten zum Kreisausschuß durch den Kreistag mußte von der Regierung bestätigt werden und erhielt erst dann seine Gültigkeit. (§ 43) Der Landrat wurde vom König ernannt; diesem konnte aber in den Kreisen, wo den Kreisständen oder den Rittergutsbesitzern bisher die Berechtigung zur Präsentation zustand, nun vom gesamten Kreistag bei Erledigung eines Landratsamtes drei geeignete Kandidaten präsentiert werden, wobei der Monarch aber nicht an den Vorschlag gebunden war. Der Landrat mußte aus dem Kreis der großen ländlichen Grundbesitzer kommen. (§ 42) Die Oberaufsicht über die Kreiskommunalangelegenheiten wurde der Regierung, in höheren Instanzen dem Oberpräsidenten bzw. dem Minister des Innern übertragen. Auf Antrag des Staatsministeriums konnte sogar durch Königliche Verordnung ein Kreistag aufgelöst und durch Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten wieder gebildet werden. Insgesamt gingen die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in diesem Entwurf ziemlich weit, was in der Kommission des Abgeordnetenhauses, der dieser Entwurf zur Beratung überwiesen wurde, zu Widerspruch, wenn auch nur in abgeschwächter Form, Anlaß gab. 211 Insgesamt stimmte die Kommission im Wesentlichen dem Entwurf der Regierung zu, machte jedoch zur Verbesserung in einigen Punkten erweiternde Vorschläge. Diese waren aber von der Gesamtpolitik der Altliberalen geprägt, die Regierung nicht allzusehr in Bedrängnis zu bringen. Nur in bestimmten Grundsatzfragen wollte die Kommission eine Verstärkung der liberalen Forderungen. Im Mittelpunkt stand auch hier wieder die Frage der Verteilung der Abgeordneten zum Kreistag. Das Übergewicht des großen Grundbesitzes, das auch nach dem nunmehrigen Regierungsentwurf immer noch gegeben war, wurde von der Kommission so nicht akzeptiert. Selbst in den Berichten der Regierungen war von einem ungerechtfertigten Übergewicht die Rede, auch wenn daraus nicht unbedingt ein Bedürfnis zur Reform abgeleitet wurde. So schrieb beispielsweise die Regierung zu Düsseldorf in Ihrem Bericht an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, daß die Motive für eine Reform der bestehenden Kreisverfassung in den östlichen Provinzen andere als in den westlichen sei und „dies Mißverhältnis (das des überwiegenden Einflusses der Stimmen der Rittergutsbesitzer 211 Eine Gegenüberstellung von Regierungsentwurf mit den entsprechenden Änderungen der Kommission des Abgeordnetenhauses findet sich als Anlage zum Bericht der Kommission an das Abgeordnetenhaus vom 19. Mai 1860. In: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. Bd. 6. Berlin 1860. N° 265. S. 96-133. 68 gegenüber dem der Städte und Landgemeinden, d.A.) wurde um so tiefer empfunden, als in den östlichen Provinzen, in denen es an umfangreicheren Gemeinde-Verbänden fehlt, die Kreisverbände mehr und mehr Mittelpunkte des gesamten kommunalen Lebens geworden sind, und sonach hier die Rittergutsbesitzer, bei einer überwiegend aus ihnen zusammengesetzten Vertretung, nicht die Interessen des gesamten Kreises, sondern ein einseitiges Standesinteresse zur Geltung und Beschlußfassung des Kreistages zu bringen vermögen.“ 212 Jedoch wurde in den Berichten nahezu übereinstimmend festgestellt, daß durch das Recht der itio in partes ein gewisser Schutz der Belange der einzelnen Stände gegeben sei, und da dieses Instrument kaum angewandt wurde, es keine so großen Differenzen bei der Interessenlage gegeben haben könne. 213 Die Bestimmung, daß dem großen Grundbesitz mindestens die Hälfte der Vertreter in der Kreisversammlung zustehen sollte, wurde durch die Kommission des Abgeordnetenhauses ersatzlos aus dem Entwurf gestrichen. Des weiteren sollte die passive Wählbarkeit der Vertreter in Stadt und Land nach den Vorstellungen der Kommission erheblich erweitert werden. Waren bisher im Entwurf der Regierung nur die Personen wählbar, die entweder Mitglieder oder ehemalige Mitglieder von Magistrat oder Stadtverordnetenversammlung bzw. derzeitige oder ehemalige Schulzen und Schöffen in den Landgemeinden waren, sollten nun nach den Vorschlägen der Kommission alle zur Stimmabgabe bei den Gemeindewahlen berechtigten Einwohner wählbar sein. 214 Die Kommission erhöhte in Folge ihrer Diskussion zu diesem Entwurf die Anzahl der Kreisdeputierten auf sechs und beseitigte die Bestimmung, daß sie einer Bestätigung durch die Regierung bedurften. Damit wurde für den Kreisausschuß eine gewisse kommunale Selbständigkeit gewährleistet, auch wenn der Landrat in diesem Gremium die Leitung hatte. Die festgelegten Aufsichtspflichten der Regierung gegenüber der Kreisversammlung bezüglich bestimmter Finanzfragen wurde auch in dem geänderten Entwurf der Kommission beibehalten. 212 Bericht der Regierung zu Düsseldorf an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Pommer-Esche vom 3. September 1860; als Anlage zum Bericht des Oberpräsidenten an den Minister des Innern vom 24. Januar 1861 brevi manu mitgesandt. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 7, ohne Blattzahl, Seite 1R des Berichtes. 213 Vgl. hier zusammenfassend die Denkschrift des Geheimen Regierungsrates von Wolff, der darin die wesentlichen Meinungen der Regierungen und Oberpräsidenten ziemlich objektiv zusammenfaßt. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 247R-257R. 214 Vgl. § 25 des Regierungsentwurfes und § 25 des Vorschlages der Kommission des Abgeordnetenhauses von 1860. Siehe FN 211. 69 Eine weitere wesentliche Forderung des Liberalismus wurde in den Entwurf durch die Kommission aufgenommen. Die Verhandlungen des Kreistages sollten öffentlich sein, und nur für einzelne Gegenstände sollte die Öffentlichkeit durch einen in geheimer Sitzung zu fassenden Beschluß ausgeschlossen werden. 215 Die öffentlich gefaßten Beschlüsse sollten im Kreisblatt durch die Veröffentlichung auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht werden. Den Konservativen ging der Einfluß des Staates über die Bezirksregierungen auf die kommunalen Angelegenheiten ebenfalls entschieden zu weit. In einem Abänderungsvorschlag zum Entwurf durch den Grafen Adolf Heinrich von ArnimBoytzenburg sollten dem Kreisausschuß mehre Befugnisse, die bisher der Bezirksregierung zustanden, übertragen werden. Insbesondere sollten ihm Kompetenzen bei bestimmten Streitigkeiten beigemessen werden und er sollte u.a. die Beschwerdeinstanz in allen lokalpolizeilichen Angelegenheiten bilden. 216 Seitens der konservativen Kreise, die ihre Wortführer in Adolf Heinrich von ArnimBoytzenburg und Hans von Kleist-Retzow fanden, wurde der Entwurf des Grafen von Schwerin-Putzar auf das schärfste attackiert. In einem Aufsatz über die Kreisordnung in Preußen durch von Arnim-Boytzenburg, schrieb dieser, daß die Kreisstände und Kreistage „eine der ältesten und bewährtesten Institutionen“ Preußens darstellten. „Sie haben in ihrer im Wesentlichen unveränderten Verfassung im vorigen Jahrhunderte die Selbstregierung der Kreise im ausgedehnten Maße geübt, die landesherrlichen Steuern zum wesentlichen Theile verwaltet, und die gewaltigen Leistungen des Landes seit Friedrich dem Großen, als die Grundlage aller administrativen und communalen inneren Einrichtung geordnet und mit eigenen Schulten tragen helfen.“ 217 Ehe man nun diese bewährten Institutionen, die sich derartig bewährt und im inneren Leben des Staates integriert hätte, beseitige, müßte schon ein dringendes Bedürfnis vorhanden sein. Ein solches wurde in diesen Kreisen aber nicht gesehen. Im Gegenteil, eine Beschneidung ihrer angestammte Rechte, insbesondere jenes, auf den Kreistagen persönlich zu erscheinen und selbst ihre Stimmen zu führen, erachteten sie als einen Rechtsbruch. 215 Vgl. In diesem Zusammenhang die Einschätzung des liberalen Abgeordneten im Provinziallandtag von Westfalen Johann Herman Hüffer zur Wirksamkeit der Arbeit der Provinziallandtage, daß die Isolierung nach oben und unten ausreiche, jedes eigentliche Leben zu ersticken. Die Aufhebung der Isolierung nach unten würde Öffentlichkeit der Verhandlungen zumindest Druck der Protokolle bedeuten. In: Obenaus, Herbert: Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848. Düsseldorf 1984. S. 516. 216 Vgl. BLHA, Pr. Br. Rep. 37, Herrschaft Boytzenburg, N° 4063, Bl. 67. 217 Handschriftlicher Aufsatz durch Kanzleihand mit eigenhändigen Änderungen durch Arnim-Boytzenburg von 1860. In: BLHA, Pr. Br. Rep. 37, Herrschaft Boytzenburg, N° 4064, Bl. 1. Dieser Aufsatz erschien auch in der Kreuzzeitung vom 28.4.1860 - nach einer handschriftlichen Notiz auf dem Aufsatz. 70 Arnim stellte in seinem Aufsatz die rhetorische Frage: „Wer ist denn da noch irgend eines Rechtes sicher, wenn die Regierung vorschlägt: den Besitzer eines Gutes, welcher seit mehr als hundert Jahren als solcher das Recht hatte: in den Angelegenheiten des Kreises an dem Selbstregiment desselben persönlich Theil zu nehmen, dies Recht ohne weiteres abzunehmen?“ 218 In diesen Ausführungen wird die Furcht vor weiteren noch radikaleren Veränderungen deutlich und in der öffentlichen Diskussion wurde das Gespenst der Revolution an die Wand gemalt. Insgesamt wird hier m.E. sehr deutlich, daß es den alten konservativen Rittergutsbesitzern zum einen um die relative Unabhängigkeit von der Staatsaufsicht ging, daß andererseits diese Selbstverwaltung aber im Kreis nur unter ihrer Kontrolle erfolgen sollte. Die Staatsregierung sah indes die Bedürfnisfrage allein schon durch das Gesetz vom 24. Mai 1853 geklärt, in dem eine Fortschreibung der Gesetzgebung im Artikel 3 verhießen wurde. 219 Die Abweichung von der Bestimmung, daß gesonderte provinzielle Gesetze erlassen werden sollten, erklärte die Regierung damit, daß die bestehenden Gesetze kaum Unterschiede erkennen ließen und es daher gerechtfertigt erscheinen lasse, ein einheitliches Gesetz, zumindest erst einmal für die östlichen Provinzen, einzureichen. In den Motiven wird argumentiert, daß die neue Gesetzgebung nur dort Veränderungen vorgenommen habe, wo ein echtes Bedürfnis dafür vorliegen würde und ansonsten an den historischen Entwicklungen anknüpfe. Gerade dies wurde aber von der Opposition heftig bestritten und behauptet, daß bewährte Institutionen zerschlagen würden und die gesamte Struktur der Gesellschaft an sich in Frage gestellt würde. 220 Die Forderungen nach einer Reformierung der Kreisordnungen käme nicht aus den Kreistagen selbst, sondern von denen, die gar nicht in ihnen vertreten wären. 221 „Und doch kommt das Geschrei nach einer neuen Kreisordnung, nur aus den letzteren (den größeren Städten, d.A.). Wo die Zeitungen geschrieben und gedruckt werden, wo die das Wort führen, die nie einem Kreistag beigewohnt, wo vulgärer Neid und Haß gegen den Adel, gegen jede aristokratische Einrichtung zu finden ist, da und allein da wird behauptet, daß Preußen 218 BLHA, Pr. Br. Rep. 37, Herrschaft Boytzenburg, N° 4064, Bl. 5. Vgl. Motive zu dem am 21. März 1860 vorgelegten Gesetzentwurf einer Kreisordnung für die sechs östlichen Provinzen. In: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Herrenhauses. Sitzungsperiode von 1861-1862. Nr. 1-20. Berlin 1862. N° 8. S. 64. 220 Die gleiche Auffassung vertritt der Geheime Regierungsrat von Wolff in seiner Denkschrift. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 239. 221 Vgl. Aufsatz von Arnim-Boytzenburg. In: BLHA, Pr. Br. Rep. 37, Herrschaft Boytzenburg, N° 4064. 219 71 zum Fortschritt der Beseitigung oder Umgestaltung der jetzigen Kreisordnungen bedürfe.“ 222 Auch auf Seiten liberal-demokratischer Kreise wurde Kritik an dem Schwerin’schen Entwurf zur Kreisordnung und den Änderungswünschen des Abgeordnetenhauses geübt. Insbesondere rief die Nachgiebigkeit und die Rücksichtnahme von der Regierung auf konservative Interessen den Widerspruch hervor. „Wir geben zu, daß der edle Graf diese Kreisordnung nur mit Rücksicht auf’s Herrenhaus so ungenügend gefaßt hat, aber weder Solon noch Croton, weder Servius noch Lykurg machten Gesetze mit Rücksicht auf einige Individuen im Staat. Wenn die Mehrheit des Herrenhauses ein nothwendiges Gesetz nicht ohne Beschädigung durchläßt, so müssen das Gesetz und seine Logik nicht jenen hundert Individuen zu Liebe nachgeben.“ 223 In diesem Artikel wird weiterhin die Ausweitung des Wahlrechtes und der Wählbarkeit gefordert, welche allen Steuerzahlern zustehen soll. Um ungehörige Elemente aus der Kreisversammlung zu verbannen, würde es ausreichen, wenn ein Passivzensus eingeführt wird, „der aber niemals weitergehen dürfte, als vermögenslose Kreisinsassen von einer Versammlung auszuschließen.“ Die bisher nicht zugelassenen Berufe, wie Ärzte, Lehrer, Geistliche, Juristen oder pensionierte Offiziere sollten ohne jeden Zensus zugelassen werden. In einer Petition des Rittergutsbesitzers Brause aus dem „Mansfelder Seekreis“ vom 21. April 1861 an das Abgeordnetenhaus kritisierte dieser und die Mitunterzeichner, daß der Entwurf der Regierung von 1860 nicht weit genug gehen würde. Es wäre zwar anerkennenswert, daß sich die Regierung dieses Problems annehme und somit ihren ernsten Willen zur Abhilfe der Beschwerden zu erkennen gäbe. Hauptkritikpunkt aber blieb die Verteilung der Abgeordneten auf den Kreistagen; der Entwurf „ließ eine Bevormundung, namentlich der Landgemeinden durch letztere (den großen Grundbesitz, d.A.) bestehen und beseitigte sonach nur in geringem Maaße den Hauptmangel der jetzigen Kreisverfassung; ...“ 224 Außerdem wurde die vorgesehene passive Wählbarkeit kritisiert und mit der Beschränkung der Wählbarkeit auf Kommunalbeamte eine Beeinflussung durch andere Behörden konstatiert. Eine solche 222 ebd. Bl. 2R f. Anonymer Artikel in der Magdeburgischen Zeitung vom 25. November 1860. Durch einen Bericht des Hilfsarbeiters im Ministerium des Innern Dr. Müller dem Minister des Innern zur Kenntnis gegeben. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 7. 224 Petition des bürgerlichen Gutsbesitzers A. Brause und Genossen an das Haus der Abgeordneten vom 21.4.1861 bezüglich der Reform der Kreisordnung durch die jetzige Regierung. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. Unterzeichner waren neben Brause mehrere weitere bürgerliche Gutsbesitzer, Kaufleute, Handwerker und Hüttenbesitzer. 223 72 Begrenzung des Wahlrechtes fände in keiner anderen staatlichen Einrichtung ihr adäquates Beispiel. Außerdem wollte man sich nicht mit der Präsentation des Landratskandidaten nur aus den Reihen der großen Grundbesitzer abfinden und sah darin eine weitere ungerechtfertigte Bevorzugung dieses Standes. Schließlich wurde für die Verhandlungen des Kreistages Öffentlichkeit gefordert. So ging dieser Entwurf der einen Seite nicht weit genug, während er der anderen viel zu weit ging und eine völlige Umgestaltung wenn nicht gar Beseitigung der Ständegesellschaft konstatierte. Mit diesem Stand ging die Staatsregierung unter Federführung des Ministeriums des Innern an eine Überarbeitung des Entwurfes zur Kreisordnung. 4.2 Überarbeiteter Entwurf von 1862, durch die Regierung in der Ersten Kammer eingebracht Durch den Schluß der Session kam der Entwurf, der im März 1860 in das Abgeordnetenhaus eingebracht wurde, im Plenum desselben nicht mehr zur Beratung. In der Schlußsitzung der vereinigten beiden Häuser des Landtages nahm der Prinzregent noch einmal zu dem nicht erledigten Entwurf Stellung. „Da der Entwurf einer Kreis-Ordnung nicht mehr zum Abschluß gelangen konnte, so wird vorbehalten bleiben müssen, auf diesen wichtigen Gegenstand in der nächsten Session zurückzukommen.“ 225 Da die Regierung und insbesondere das Ministerium des Innern die Reform der Kreisverfassung für unbedingt notwendig und als einen Kernpunkt ihrer Vorhaben erachteten, wurde unmittelbar im Anschluß an den Schluß der Session an der Verbesserung und Überarbeitung des Entwurfes gearbeitet. Bereits in den Motiven zum Entwurf vom März 1860 hatte die Regierung darauf hingewiesen, daß nur deshalb keine Ordnung für die gesamte Monarchie verabschiedet worden war, weil die Verschiedenheit der westlichen Provinzen zu viele Vorarbeiten erfordere, die bis dato nicht bewältigt werden konnten. Dies sollte bei einer erneuten Vorlage nachgeholt werden. Noch zu diesem Zeitpunkt war man im Innenministerium der Meinung, daß der Entwurf im Wesentlichen unverändert in der nächsten Session wieder eingebracht werden könne. Allerdings wollte man nun dieses Gesetz auf die westlichen Provinzen ausdehnen und dazu die Stellungnahme der jeweiligen 225 Aus der Rede des Prinzregenten auf der Schlußsitzung der beiden Häuser des Landtages am 23.5.1861. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten. 2. Band. Berlin 1860. S. 769. 73 Oberpräsidenten zu einigen ausgewählten Punkten einholen, denn auch für die beiden westlichen Provinzen war das Bedürfnis nach einer Modifikation der bestehenden Kreisverfassung in mannigfacher Beziehung hervorgetreten und für diese Notwendigkeit der Fortschreibung in gleicher Weise durch das Gesetz vom 24. Mai 1853 anerkannt, wie dies für den östlichen Teil des Landes gelte. 226 Selbst wenn die Gesetzgebung nur im Osten geändert werden würde, bliebe dies nicht ohne Auswirkungen auf die westlichen Provinzen. Dahinter stand auch der Drang, für die gesamte Monarchie eine möglichst homogene Gesetzgebung zu schaffen. Bei der Begutachtung des Entwurfes durch die Oberpräsidenten sollten vor allem folgende Punkte im Mittelpunkt stehen: 1. Soll die Trennung zwischen Stadt und Land einerseits und zwischen großem und kleinen Grundbesitz anderseits beibehalten werden? 2. Wenn die Dreiteilung der Wahlverbände auch auf die westlichen Provinzen zu übertragen sein würde, sollte dann der Maßstab für die Bildung des großen Grundbesitzes beibehalten werden? 3. Sollte den mediatisierten ehemaligen Reichsständen eine besondere Vertretung beigemessen werden und wenn dies bejaht würde, welche? 227 Da die Staatsregierung bestrebt war, diesen neuen Entwurf wie versprochen in der nächsten Session wieder in den Landtag einzubringen, hielt sie auch die Oberpräsidenten zur besonderen Eile an. Diese waren jedoch bemüht, den Auftrag so gründlich wie möglich zu erledigen und mußten mehrfach gemahnt werden, den Erlaß vom 3. Juli zu erfüllen. Die Oberpräsidenten der beiden betroffenen Provinzen holten ihrerseits die Gutachten der Regierungen ein, die natürlich ebenfalls einige Zeit benötigten. In den entsprechenden Berichten kommt eine unterschwellige Oppositionshaltung der Regierungen und der Oberpräsidenten zu den Reformvorschlägen der Regierung und den Änderungsvorschlägen des Abgeordnetenhauses, die mit dem Entwurf mitgesandt wurden, zum Ausdruck. Eventuell resultierte auch daraus die besondere „Gründlichkeit“ bei der Erledigung des Erlasses des Ministers des Innern. Allerdings war die Oppositionshaltung der westlichen Provinzen wohl hauptsächlich darin begründet, daß 226 Vgl. Konzept eines Erlasses des Ministers des Innern an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen von Düesberg vom 3. Juli 1860, eigenhändig durch den Geheimen Regierungsrat von Winter verfaßt. Gleichlautend sollte dieser Erlaß auch an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Pommer-Esche gehen. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Bd. 7. ohne Blattzählung. 227 Vgl. GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Bd. 7. 74 sie die konstatierte Sonderstellung gegenüber den östlichen Provinzen in dem Regierungsentwurf nicht genügend berücksichtigt sahen. Mit Schreiben vom 25. Oktober 1860 kündigte Graf von Schwerin-Putzar ihnen eine mündliche Beratung zu diesem Problem in Berlin an und ermahnte sie noch einmal zur Erledigung seines Erlasses, da er die Berichte noch vor dieser Beratung haben wollte. 228 Am 14. November 1860 ging endlich der Bericht des Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Pommer-Esche und am 26. November der des Oberpräsidenten Westfalens von Düesberg im Ministerium ein. Im Bericht des Präsidenten der Rheinprovinz wurde festgestellt, daß sich nur die Regierung in Koblenz dezidiert für eine Reform der bestehenden Verfassung ausgesprochen hatte. Das hieß aber nicht, daß die anderen Regierungen dieser Provinz nicht ebenfalls Mißstände in der bisherigen Kreisverfassung ausgemacht hätten; jedoch wären diese nicht so gravierend, daß es einer solch durchgreifenden Reform bedürfe. Die Regierungen zu Aachen und Düsseldorf sprachen sich übereinstimmend dahingehend aus, daß „bei der Handhabung der jetzigen Kreisordnung bei dem in der Rheinprovinz fast nirgends hervortretenden Uebergewichts des Standes der Rittergutsbesitzer und den durchaus gleichartigen, zu keinerlei Collisionen Anlaß gebenden Interessen aller drei Stände derartige Mißstände, wie sie für die östlichen Provinzen in den Motiven zum Entwurfe hervorgehoben wurden, nirgendwo zu Tage getreten seien, ...“ 229 Zumal hätten die Kreisangelegenheiten in der Rheinprovinz, wegen des in der Gemeindeverwaltung liegenden Schwerpunktes und des Mangels an eigenen Kreisinstituten sowie Kreiskorporationsvermögens, kaum eine herausragende Bedeutung und fänden bei den Kreiseingesessenen nur eine geringe Beachtung. Trotz dieser angeführten Gründe befürwortete der Oberpräsident und die Mehrzahl der Regierungen eine Beseitigung oder Beschränkung der Vorrechte der Rittergutsbesitzer, da diese auch weniger als in den östlichen Provinzen eine historische Berechtigung hätten. Für die Wahl der Vertreter zu den Kreistagen sprach man sich in der Rheinprovinz nahezu einhellig dafür aus, die Kreisvertretung auf die Gemeindeverfassung zu begründen. Die Vertreter sollten durchweg in den Stadtverordnetenversammlungen bzw. den Bürgermeistereiversammlungen gewählt werden; mithin jede Bevorrechtung des Rittergutsbesitzes auf den Kreistagen abzuschaffen sei. Mit Rücksicht auf die in den östlichen Provinzen zu schaffende besondere Vertretung des Ritter228 Vgl. Erlaß des Innenministers an die Oberpräsidenten der Provinzen Rheinland und Westfalen vom 25.10.1860. ebd. 229 Bericht des Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Pommer-Esche an den Minister des Innern Graf von Schwerin-Putzar vom 10. November. GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Bd. 7. 75 gutsbesitzes müsse man aber von einer völligen Beseitigung der Vorrechte der Rittergutsbesitzer in den westlichen Provinzen absehen, da diese darin eine unbillige Zurücksetzung gegenüber ihren Standesgenossen im Osten erblicken könnten. In der Frage, ob eine Ordnung für die gesamte Monarchie ausgearbeitet werden solle oder ob es ratsamer wäre, gesonderte Gesetze für die westlichen Provinzen zu erlassen, sprach sich von Pommer-Esche für ein gesondertes Gesetz aus. Die Unterschiede wären zu groß und die Sonderbestimmungen der westlichen Provinzen würden eine gemeinsame Kreisordnung nur zu sehr „durchlöchern“. Kritisiert wurde auch die Einschränkung der passiven Wahlfähigkeit in dem vorliegenden Entwurf der Regierung. Diese Beschränkungen für die städtische und ländliche Bevölkerung müßten aufgehoben werden und der Wählbarkeit angepaßt werden, wie sie bisher für die Wahlen zu den Gemeindewahlen der Stadt bzw. Landbürgermeisterei Gültigkeit hätten. In der Besetzung des Landratsamtes herrschten in der Rheinprovinz gänzlich andere Vorstellungen als bei der Staatsregierung oder auch den östlichen Provinzen. Der Landrat wurde zum Großteil als rein staatlicher Beamter angesehen und deshalb wurde eine diskutierte Wahl desselben rundweg abgelehnt. Eine Beschränkung auf die Grundbesitzer würde bisheriges Recht negieren und außerdem wären auch gar nicht genügend geeignete Grundbesitzer für die Besetzung des Amtes vorhanden. Schließlich sprach sich von Pommer-Esche auch für die Öffentlichkeit der Verhandlungen des Kreistages aus, wie sie die Kommission des Abgeordnetenhauses in ihrem Entwurf verankert hatte. Er konnte dagegen keine Bedenken finden, zumal auch die Verhandlungen der beiden Häuser des Landtages und die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlungen öffentlich wären. In der Tendenz ähnlich äußerte sich auch der Oberpräsident der Provinz Westfalen von Düesberg. In der gemeinsamen Beratung, die am 18. und 20. Dezember 1860 in Berlin stattfand, wurden die Standpunkte der Landgemeinden 43% Mediatisierte 1% Landgemeinden 61% Großer Grundbesitz 22% Städte 13% Großer Grundbesitz 44% Abbildung 4: Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den westlichen Provinzen nach der bisherigen Verfassung Städte 16% Abbildung 5: Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den westlichen Provinzen nach dem Entwurf von 1861 76 Provinzen und der Regierung zur neuen Kreisordnung durchberaten. 230 Dabei kam man überein, daß eine gemeinsame Kreisordnung für die Monarchie erarbeitet werden sollte, mit entsprechenden besonderen Paragraphen, insbesondere die Bildung der Kreisvertretung betreffend, für die beiden westlichen Provinzen, die deren Besonderheiten berücksichtigen würden. Als Ergebnis dieser Beratung wurden die §§ 30 bis 38 erarbeitet, die in den Entwurf eingefügt werden sollten. Der Verteilungsmaßstab war zumindest nach den absoluten Prozentzahlen nicht so extrem zuungunsten der Städte und Landgemeinden wie in den östlichen Provinzen; wenn man jedoch den Anteil der Rittergutsbesitzer an der Bevölkerung betrachtet ein sehr erhebliches Mißverhältnis. Um die Ergebnisse dieser Beratung auf eine breitere Basis zu stellen, führte Graf von Schwerin-Putzar mit einigen „einsichtsvollen und hervorragenden“ Vertretern des Abgeordnetenhauses aus den westlichen Provinzen 231 eine gesonderte Beratung durch, dessen Ergebnis im Wesentlichen mit dem der Beratung mit den Oberpräsidenten übereinstimmte. Nur hinsichtlich der Vertretung auf den Kreistagen erschien es für erforderlich, besondere Bestimmungen einzuführen. Die restlichen Bestimmungen waren für die gesamte Monarchie anwendbar. In Hinsicht auf diese Sonderbestimmungen sollte die Kreisvertretung in den westlichen Provinzen aus den ehemals reichsunmittelbaren Fürsten, denen ob ihrer gesellschaftlichen und historischen Bedeutung Virilstimmen zugebilligt wurden, den Vertretern des großen Grundbesitzes und den Abgeordneten der Ämter bzw. Bürgermeistereien bestehen. Bei den großen Gütern war eine Verringerung des Katastralreinertrages gegenüber dem Osten von 2000 auf 1000 Thalern vorgesehen. Zusätzlich zu den Rittergütern waren ebenfalls die Domänen und Oberförstereibezirke dem großen Grundbesitz zugeordnet. Die Anzahl der Vertreter dieser Güter war auf ein Drittel der Gesamtzahl der Abgeordneten 230 Die Termine ergeben sich aus den entsprechenden Einladungsschreiben vom 10.12.1860 bzw. der Bestätigung des Oberpräsidenten der Rheinprovinz bezüglich dieser Beratung und einem Bericht des Oberpräsidenten von Westfalen vom 9.1.1861. In den Akten findet sich auch ein Entwurf zur Vorbereitung der Konferenz: Grundzüge für die Bildung der Kreisvertretung in den Provinzen Westfalen und Rheinland. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 7. 231 An der Beratung nahmen die Abgeordneten von Vincke, von Bockum-Dolffs, von Bardeleben und Delius teil. Das Datum dieser Beratung ließ sich nicht aus den Akten ermitteln, muß jedoch vor dem 6.2.1861 gelegen haben. Schwerin verweist auf diese Beratung in einem Schreiben an den Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen vom 7. Februar 1861 (Revisionsvermerke des Unterstaatssekretärs Sulzer und des GehRR von Winter vom 6.2.), in der er diese Beratung mit den vielen widerstreitenden Meinungen der dortigen Regierungen begründet. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 77 begrenzt worden. Die Städte und Ämter bzw. Bürgermeistereien bis zu einer Größe von 5000 Einwohnern sollten jeder einen Abgeordneten stellen; je 5000 weitere Einwohner ein Abgeordneter mehr, aber maximal drei. 232 Nach den Vorschlägen des Grafen von Schwerin-Putzar, die dieser schließlich dem Staatsministerium zur Beratung im Februar 1861 vorlegte, wurde die Verteilung der Vertreter der Abgeordneten auf den Kreistagen gegenüber dem vorjährigen Entwurf verändert. Die Zahl der städtischen Abgeordneten sollte nach dem Verhältnis der städtischen und ländlichen Bevölkerung verteilt werden. Diese durfte aber nicht ein Drittel der Gesamtzahl übersteigen. Der verbleibende Rest sollte zwischen dem Verband der Landgemeinden und dem großen Grundbesitz nach dem Flächenumfang verteilt werden. Die passive Wählbarkeit wurde entsprechend den Beschlüssen der Kommission des Abgeordnetenhauses verändert. Graf von Schwerin-Putzar erläuterte die Änderung der Verteilungsverhältnisse in dem Schreiben an den Ministerpräsidenten von Hohenzollern-Sigmaringen wie folgt: „Eine nochmalige gewissenhafte Erwägung hat mich indeß davon überzeugt, daß diese Bestimmung (mindestens die Hälfte der Abgeordneten gesetzlich dem großen Grundbesitz garantieren, d.A.) den Werth des Gesetzentwurfes in bedenklicher Weise vermindern und seine Annahme im Abgeordneten Hause gefährden würde. Es ist unzweifelhaft nothwendig und von mir nie verkannt, daß dem großen Grundbesitz vornehmlich in den östlichen Provinzen ein hervorragender Antheil an der Kreisvertretung auch dann gesichert werden muß, wenn ihm solcher nach Maaßgabe der Seelenzahl und der Fläche nicht zustehen würde; die in dieser Beziehung inne zu haltende Grenze wird aber sicherlich überschritten, wenn dieser Antheil von vorn herein so bemessen wird, daß die neben dem großen Grundbesitze vorhandenen Interessen außer Stande sind, sich demselben gegenüber in einer ihrer Bedeutung entsprechenden Weise geltend zu machen.“ 233 Daß der große Grundbesitz auch nach diesen Bedingungen einen entscheidenden Einfluß auf die Kreisvertretungen hätte, belegen die Berechnungen, daß der große Grundbesitz in den überhaupt vorhandenen 235 Kreisen der östlichen Provinzen nur in 4 Kreisen 234 weniger als ein Drittel der Abgeordneten und in nur 12 Kreisen gerade ein Drittel stellen würde. In 54 Kreisen hätte er in Folge seines Umfanges sogar mindestens die Hälfte der 232 Vgl. handschriftliche Einfügung der §§ 30-33 in den Entwürfen, die als Anlage an den Ministerpräsidenten gedacht waren. Die Einfügung selbst ist jedoch in Folge der Beratung mit den Abgeordneten aus den westlichen Provinzen entstanden, wie aus einem Bearbeitungsvermerk hervorgeht. Siehe FN 231. 233 Schreiben des Grafen von Schwerin-Putzar an den Ministerpräsidenten von Hohenzollern-Sigmaringen vom 7. Februar 1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 234 Schleusingen, Erfurt, Mühlhausen und Wernigerode 78 Gesamtzahl der Abgeordneten. 235 Wenn der Einfluß der großen Grundbesitzer per Gesetz noch vergrößert würde, stände zu befürchten, daß die Landgemeinden solche Vertreter in die Kreisvertretung entsenden würden, die die dem großen Grundbesitz gegebene Machtstellung aufs schärfste bekämpfen und somit eine Politisierung der Kreisvertretung herbeiführen würden. Auch die Vertretung der großen Grundbesitzer würde parteiisch beeinflußt, denn während bisher jeder Rittergutsbesitzer an der Kreisvertretung beteiligt war, unabhängig davon, ob er die Meinung der Mehrheit seiner Standesgenossen vertrat oder nicht, würde bei einer Wahl nur die politische Gesinnung berücksichtigt, die von der Mehrheit der Grundbesitzer getragen wird. Andererseits wäre zu erwarten, daß bei einer angemessenen Vertretung der Landgemeinden diese Hand in Hand mit dem großen Grundbesitz bei Entscheidungen gehen würden, solange diese ihre Aufgaben richtig auffassen, da die Unterschiede bei den Interessen nur sehr gering wären. Schließlich würde bei einer derartigen Bevorzugung des großen Grundbesitzes der Anteil der Städte gegenüber demselben in einer solchen Weise herabgedrückt, daß es mit den Beiträgen der städtischen Gemeinden zu den Kreiskommunallasten und bisweilen selbst beim Flächenumfange der städtischen Grundstücke auch nicht annähernd in einem angemessenen Verhältnis stehen würde. „Es würde dies insbesondere in 14 Kreisen der Fall sein, in denen das Areal der städtischen Grundstücke bedeutender ist, als der Flächenumfang der gesammten im Kreise belegenen großen Besitzungen.“ 236 Der König war jedoch nicht mit dieser Änderung des § 14 einverstanden. In der Sitzung des Staatsministeriums verweigerte er noch seine Zustimmung zur Ermächtigung zur Vorlage diese Entwurfes. Daraufhin bot das gesamte Staatsministerium dem König seine Demission an. Der König beantwortete dieses Schreiben nicht, obwohl es ihn stark beschäftigte, und legte in der Sitzung des Staatsministeriums vom 28. Februar 1861 seine Gründe für seine Verweigerungshaltung zum § 14 dar. 237 Das Herrenhaus würde nach seiner Meinung dieser Bestimmung unzweifelhaft die Zustimmung versagen und man müsse alles vermeiden, um die schon herrschende Verstimmung bei der Ritterschaft nicht noch weiter zu verstärken. Bei der Beseitigung der bevorrechtigten 235 Vgl. ebd. Vgl. Schreiben des Grafen von Schwerin-Putzar an den Ministerpräsidenten von Hohenzollern-Sigmaringen vom 7. Februar 1861. Sowie Immediatbericht des Staatsministeriums an den König vom 20. Februar 1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 237 Vgl. Abschrift des Protokolls der Konzilssitzung vom 28.2.1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. sowie Hartung, Fritz: Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierung im konstitutionellen Preußen 1848-1918. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44(1932). S. 25. 236 79 Stellung der Rittergutsbesitzer müsse man Schritt für Schritt vorgehen. Dabei müsse man aber berücksichtigen, daß den Rittergutsbesitzern wegen ihrer höheren Intelligenz eine bevorzugte Stellung auf den Kreistagen erhalten bleibe. Außerdem würde diese Bestimmung einen Bruch mit der Vergangenheit darstellen, den der König nicht wollte. Schließlich würde ein Eingehen auf die Vorschläge der Kommission ohne jede Not den Verhandlungsspielraum bezüglich von Zugeständnissen gegenüber dem Abgeordnetenhause einengen. Die meisten Staatsminister verteidigten jedoch die neue Bestimmung zur Verteilung der Abgeordneten vehement mit den schon im Immediatbericht gebrauchten Argumenten. Mit dem Entwurf würde auch der Zweck verfolgt, dem großen Grundbesitz seine bevorzugte Stellung und sein Ansehen zu erhalten. Dies wäre aber nur möglich mit der Beseitigung der bisherigen feudalen Privilegien und seines überwiegenden Einflusses. Die Vorlegung eines Entwurfes einer Kreisordnung sei nach den abgegebenen Erklärungen der Regierung eine politische Notwendigkeit und „schon von der Berathung des Entwurfes in beiden Häusern des Landtages oder wenigstens in Kommissionen beider Häuser (werde) ein für die endliche Erledigung der Sache förderliches Resultat erwartet.“ 238 Schließlich erklärte sich der König bereit, die Zustimmung zu geben, wies jedoch alle Verant-wortung für diesen „politisch höchst bedenklichen Schritt“ dem Staatsministerium zu und bekräftigte seine Überzeugung, daß die Bestimmungen des Entwurfes unzweckmäßig seien. Trotz seiner mündlich gegebenen Zustimmung in dieser Sitzung schob er mit einem Marginaldekret bei der Bestätigung des Protokolls die Einbringung des Gesetzes hinaus. 239 Am 9. März 1861 beantragte Graf von Schwerin-Putzar erneut die Ermächtigung für die Einbringung der Kreisordnung mit dem Hinweis auf eine bereits gegebene Zusage im Abgeordnetenhaus, was der König erneut ablehnte. 240 In den verschiedensten Petitionen an die Kommission für das Gemeindewesen des Abgeordnetenhauses bekräftigten die Vertreter von Stadt und Landgemeinden die Forde- 238 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums vom 28.2.1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 239 Vgl. ebd. Nach Fritz Hartung steckte hier der Einfluß des Militärs hinter diesem Sinneswandel. Vgl. FN 327. 240 Auf dem Bericht des Grafen von Schwerin-Putzar brachte der König eigenhändig ein Marginal auf: „Wird in dieser Session bestimmt nicht den Kammern vorgelegt.“ Vgl. Hartung, Fritz: Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierung im konstitutionellen Preußen 1848-1918. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44(1932). S. 25, Fußnote 2. Die Zusage auf die sich der Innenminister bezog, erfolgte auf der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11.2.1861. In: Stenographische Berichte. Haus der Abgeordneten. Bd. 1. Berlin 1861. S. 203. 80 rung nach Vorlage eines neuerlichen Entwurfs der Kreisordnung. 241 All diese Petitionen wurden der Staatsregierung mit der Bitte zugeleitet, diese bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. In der Kommissionssitzung am 23. Mai 1861 wurde durch den Innenminister selbst die Erklärung abgegeben, daß in dieser Session kein weiterer Gesetzentwurf zur Kreisordnung eingebracht werden könne, auch wenn dies in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11. Februar 1861 durch ihn verhießen wurde. Bei der Einbeziehung der westlichen Provinzen in den Entwurf zur Kreisordnung seien bestimmte Schwierigkeiten zu beachten und bei der Ermittlung der dabei in Betracht kommenden Verschiedenheiten sei viel Zeit benötigt worden. Die Anzahl der schon eingebrachten Entwürfe anderer Natur bedürfen der vollen Anstrengung des Abgeordnetenhauses und so könne die Kreisordnung in dieser Session nicht mehr durchberaten werden. 242 Nach dieser Schilderung verzichtete die Kommission auf weiteres Drängen und erachtete die Gründe, wonach die Kreisordnung noch nicht vorgelegt werden könne, als ausreichend an. 243 Ende August war dann der Entwurf im Ministerium des Innern so weit gediehen, daß er der Kanzlei zur Abschrift zugeleitet werden konnte. 244 Die Ergebnisse der Beratung mit den Oberpräsidenten der beiden westlichen Provinzen sowie den Abgeordneten waren darin ebenso verarbeitet wie die Änderungswünsche der Kommission und die Intentionen der eingereichten Petitionen. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1861 legte Graf von Schwerin-Putzar seinen Ministerkollegen den nunmehrigen Entwurf zur Diskussion vor und bat den Ministerpräsidenten um eine baldigstmögliche Einberufung einer Sitzung des Staatsministeriums. Die Zurückziehung bzw. Hinausschiebung der königlichen Genehmigung im Februar d.J. führte Graf von Schwerin-Putzar in diesem Schreiben in der Hauptsache auf Opportunitätsgründe zurück, die nun weggefallen wären. Mit dem Zurückstellen der Vorlage im Februar sollte Rücksicht auf die laufenden Debatten über die Militärvorlage und den Entwurf zum Grundsteuergesetz 241 Vgl. Petitionen des Magistrats und der Stadtverordneten von Küstrin vom 1.5.1860, wiedervorgelegt am 13.2.1861; des Magistrats von Beeskow vom 15.2.1861; des Magistrates und der Stadtverordnetenversammlung von Iserlohn vom 7. März 1861 sowie die des Gutsbesitzers Brause und Genossen vom 21.4.1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 242 Vgl. Schreiben des Kommissionsvorsitzenden Grabow an den Innenminister Graf von SchwerinPutzar vom 4.5.1861 und die Antwort des Ministers vom 5.5.1861 mit dem entsprechenden Vermerk des GehRR von Winter. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 243 Vgl. Sechster Bericht der Kommission für Gemeinwesen des Hauses der Abgeordneten über Petitionen N° 236. In: Materialien des Landtages. Haus der Abgeordneten. Bd. VII. Berlin 1861. 244 Vgl. Kanzleinotizen vom 28.8.1861 durch den RR Hobrecht, der nach dem Wechsel des GehRR von Winter ins Berliner Polizeipräsidium für die Kreisordnung verantwortlich zeichnete, sowie 2.9. und 7.9.1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 81 genommen werden. Um dem König in der Frage des Vertretungsverhältnisses entgegenzukommen, hatte man nach einer Möglichkeit gesucht, die Zustimmung des Monarchen zu erhalten, ohne den wesentlichen Zweck der Reform, wie es in dem Immediatbericht der Staatsregierung vom November 1861 an den König heißt, zu gefährden. Man glaubte das in der Bestimmung gefunden zu haben, den erblichen Pairs des Herrenhauses eine Virilstimme für die Kreistage zuzugestehen. 245 In der Sitzung des Staatsministeriums vom 22. November 1861 wurde der Gesetzentwurf des Innenministers beraten und im Wesentlichen unverändert angenommen. Eine längere Diskussion fand über den § 14 bezüglich des Verteilungsverhältnisses statt. Hier wurde der Vorschlag des Grafen von Schwerin-Putzar zur Berechtigung der erblichen Pairs des Herrenhauses mehrheitlich beschlossen. Vom Kriegs- und Außenminister wurden noch Vorschläge unterbreitet das Virilstimmrecht im §7 auf alle ritterschaftlichen Vertreter im Herrenhaus auszudehnen, was aber von der Mehrheit abgelehnt wurde, ebenso der Vorschlag des Handelsministers, der seinen Gedanken vom Frühjahr wiederholte und noch einmal die Provinzialstände hören wollte. Der Innenminister wurde beauftragt, den Entwurf entsprechend den beschlossenen Änderungen umarbeiten und ihn mit dem Entwurf des Immediatberichtes an den König umlaufen zu lassen, was auf Grund der geringfügigen Änderungen schon vier Tage später erfolgen konnte. Im Immediatbericht des Staatsministeriums vom 28. November 1861 wurden dem König noch einmal die Gründe für die nunmehrige Regelung des Vertretungsverhältnisses erläutert. Der König beharrte aber auf seiner Meinung, daß dem großen Grundbesitz mindestens die Hälfte der Stimmen zustehen sollte. „Ich habe meine Absicht, daß bei neuer Verteilung der kreisständischen Repräsentation, unter Wegfall der Erscheinung der Rittergutsbesitzer viriliter in voller Anzahl, ihre Zahl die Hälfte, und die Zahl der städtischen und Landgemeinde Repräsentation die andere Hälfte des Kreistages bilde - in nichts geändert. Jedoch bin ich damit einverstanden, daß die erblich zum Sitz im Herrenhause berufenen Personen, auch viriliter auf dem Kreistag zu erscheinen, befugt sind, jedoch nicht unter Anrechnung auf die Zahl der Rittergutsbesitzer.“ 246 In einer nochmaligen Erörterung des Staatsministeriums wurde diese Randbemerkung Wilhelms der kritischen Betrachtung unterzogen. Die Mängel der bisherigen Verfassung, die auch der 245 Vgl. Schreiben des Grafen von Schwerin-Putzar an den Staatsminister von Auerswald und die anderen Staatsminister vom 29. Oktober 1861 sowie Immediatbericht der Staatsregierung an den König vom 28. November 1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 246 Schreiben des Geheimen Kabinetts an das Staatsministerium bezüglich einer Randbemerkung des Königs vom 6.12.1861 auf den Immediatbericht vom 28.11.1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 82 König schon geraume Zeit anerkannt hätte, bestünden vorzugsweise darin, daß die Rittergutsbesitzer ein zu großes Übergewicht auf den Kreistagen hätten. Die Differenzen bestünden nun im Maß der Kürzung bzw. Beseitigung dieses Mißstandes. Mit der Bezugnahme auf die wiederholten Zusagen der Regierung, eine Kreisordnung vorzulegen und dem Hinweis, daß das Zugeständnis bezüglich der Virilstimmen der erblichen Pairs der äußerste Kompromiß sei 247, wurde dem König doch noch die Zustimmung zu diesem Entwurf abgerungen. Eine Verzögerung der Vorlage eines Entwurfes der Kreisordnung würde eine schwere Beschädigung des Ansehens der Staatsregierung hervorrufen und eine ungünstige Wirkung auf alle folgenden Initiativen der Regierung haben. Das Votum an den König wurde einstimmig verabschiedet. Der Entwurf wurde dann diesmal zuerst im Herrenhaus eingebracht 248 und zunächst einer Kommission zur Beratung übergeben. Hier stieß er auf energischen Widerstand unter Führung von Graf Adolf Heinrich von Arnim-Boytzenburg, der auch Vorsitzender dieser Kommission war, und Hans von Kleist-Retzow. In einem Schreiben des Königs an den Handelsminister von der Heydt vom Februar 1862 schilderte jener in Schlußfolgerung einer Unterredung mit dem Innenminister die Erfolgsaussichten der Kreisordnung im Herrenhaus nicht gerade in rosigen Farben. Schwerin hätte in dieser Beratung angedeutet, daß sich diese Vorlage wohl nur durchbringen lasse, wenn das Verteilungsverhältnis zu Gunsten der Rittergutsbesitzer dahingehend verändert werde, daß ihnen die Hälfte der Gesamtzahl der Abgeordneten zugebilligt würde. In Diskussionen des Königs mit Herrenhausmitgliedern hätten sich die Bemerkungen des Innenministers bestätigt. 249 Das Ergebnis der Beratung in der Kommission war letztendlich die glatte Ablehnung des Regierungsentwurfes und die Vorlage von eigenen konservativen Änderungsvorschlägen. Jedoch verzögerte die Kommission das Ergebnis der Beratungen ziemlich lange und so kam es über den Streit zur Spezifizierung des Haushaltes zum Sturz der Regierung. 247 „Wir sind aber überzeugt, daß hiemit die Grenze der gesetzlichen Kantelen erreicht ist, durch welche der große Grundbesitz gegen eine Gefährdung seines Ansehens und seiner Interessen im Kreisverbande geschützt werden kann, soll nicht eine der Entwicklung des nothwendigen Gemeingeistes höchst verderbliche, systematische Opposition zwischen den verschiedenen Wahlverbänden geschaffen werden.“ Konzept des Berichtes des Staatsministeriums an den König vom 15.12.1861. In: ebd. 248 Vgl. 4. Sitzung des Herrenhauses am 23. Januar 1862, Einbringung des Gesetzentwurfes durch den Innenminister Graf von Schwerin-Putzar. In: Stenographische Berichte des Herrenhauses. Bd. 1. Berlin 1862. S. 19-21. Siehe auch Sammlung Sämmtlicher Drucksachen des Herrenhauses, Sitzungsperiode 1861-1862. Berlin 1862. N° 8, u.a. Entwurf und Motive zur Kreisordnung. 249 Vgl. Schultze, Johannes [Bearb.]: Kaiser Wilhelms I. Briefe an Politiker und Staatsmänner. Zweiter Band 1854-1869. Berlin, Leipzig 1931. S. 181 f. 83 Als Indiz für die Verzögerungstaktik kann ohne weiteres die Beanstandung der Zahlen der Regierung über die Verteilungsverhältnisse in den Kreisversammlungen gelten. In einem Erlaß des Innenministers an sämtliche Regierungen der sechs östlichen Provinzen wurden diese Zweifel an den Zahlen zum Anlaß genommen eine nochmalige und sorgfältige Prüfung derselben vorzunehmen. In diesem Schreiben heißt es: „Da es für den angegebenen Zweck auf die möglichste Zuverlässigkeit dieser Zahlenangaben ankommt, und von einigen Seiten Zweifel über deren Genauigkeit geäußert sind, so lasse ich der pp. Anliegend den auf die Kreise des dortigen Bezirkes bezüglichen Abschnitt das Tableau mit der Aufgabe zugehen, denselben des Schleunigsten nach dem dort vorhandenen Material, nötigenfalls auf Grund nochmaliger Informationseinholung von den Betreffenden Landräthen zu prüfen, eventuell zu berichtigen und mir dann einzureichen.“ 250 Insbesondere die Anzahl der Rittergüter u.a. im 1. Stand auf den Kreistagen vertretener Güter würden in Zweifel gezogen. Offenbar wurden bei dieser Angabe nicht die Zahl aller kreistagsberechtigten Güter, sondern die Zahl der Gutsbesitzer, von denen sich viele im Besitz mehrerer berechtigter Güter befanden, aufgeführt. 251 In die Beratung im Plenum wurde wiederum wegen des Schlusses der Session nicht eingetreten. Jedoch gab es in der Kommission des Herrenhauses eine Reihe von Beratungen, in denen wahrscheinlich auch die unter Fußnote 250 und 251 erwähnten Bedenken geäußert wurden. Als Ergebnis dieser Beratungen wurde ein eigener Entwurf der Kommission erarbeitet. Ebenso machte Graf von Dönhoff einen Vorschlag, der von der Mehrheit der Kommission aber verworfen wurde. Beide Entwürfe bzw. Vorschläge waren jedoch im Laufe der Behandlung Gegenstand der Erörterungen in der Staatsregierung. Die Hauptpunkte der Vorschläge bezogen sich auf die Teilnahme der Kreisvertreter an der Zusammensetzung der laufenden Kreisverwaltung Kreisvertretung. Bezüglich sowie der die Bildung und Zusammensetzung der Kreisvertretung schlug Graf von Dönhoff vor, daß vorweg ein Drittel der Kreisvertretung durch diejenigen Grundbesitzer gebildet werden sollte, die die höchste Grund- und Gebäudesteuer zahlten. Der übrige Teil der Kreistagsabgeordneten sollte 250 Erlaß des Innenministers Graf von Schwerin-Putzar an sämtliche Königliche Regierungen vom 23. Januar 1862. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. In diesem Erlaß wurde auch zur größten Eile ermahnt und eine Rücksendung innerhalb von 14 Tagen gefordert. Offenbar sah der Innenminister die wahren Schwierigkeiten im Herrenhaus, wie er sie auch gegenüber dem König angedeutet hatte, und wollte dem durch die überprüften Zahlen entgegentraten. Vgl. Dazu FN 249. 251 Vgl. Erlaß des Innenministers Graf von Schwerin-Putzar an sämtliche Königliche Regierung der sechs östlichen Provinzen bezüglich der statistischen Materialien, die mit Erlaß von 1859 erhoben wurden, vom 8. Februar 1862. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 84 dann nach den Bestimmungen des Entwurfes der Regierung von 1862 verteilt werden. Die Kommission des Herrenhauses schlug unter dem maßgeblichen Einfluß von KleistRetzow vor, denjenigen Rittergütern eine Virilstimme zu belassen, die einen Reinertrag, den verschiedenen Verhältnissen der Landesteile angepaßt, von 2000 bis 5000 Thalern gewähren, unter Voraussetzung eines 10-jährigen Besitzes. Außerdem sollte dem großen Grundbesitz überhaupt mindestens die Hälfte der Kreisvertretung zugestanden werden. 252 Gleichzeitig sollte die Wählbarkeit wieder auf die derzeitigen und ehemaligen Mitglieder des Magistrats sowie Stadtverordnetenversammlung bzw. Schulzen, Schöffen und Mitglieder einer Landgemeindevertretung beschränkt werden. Bezüglich der Präsentation des Landrates sollte im § 51 wieder die Bestimmung aufgenommen werden, daß das Präsentationsrecht von drei Kandidaten durch den Kreistag ausgeübt werden könne, wobei die zu präsentierenden Kandidaten aus den Reihen der großen Grundbesitzer kommen sollten. 4.3 Rücktritt der Regierung Hohenzollern-Sigmaringen und die Weiterführung der Kreisreformen Die zunehmende Unzufriedenheit der Vertreter der Fortschrittspartei fand in dem Spezialisierungsantrag des Abgeordneten Hagen vom 6. März 1862 in der Budgetfrage seinen Ausdruck, der keinerlei Rücksichten mehr auf die liberalen Minister nahm und dessen Annahme durch das linke Zentrum und die Fortschrittspartei auch äußerlich den Hoffnungen der »Neuen Ära« ein Ende setzte. 253 Die Hauptursache für diese Entwicklung lag darin, daß nach den Wahlen vom November/Dezember 1861 den Altliberalen in der Regierung der notwendige Rückhalt im Abgeordnetenhaus fehlte. Denn nun wurde die Fortschrittspartei, die erst wenige Monate vorher gegründet worden war, zur stärksten Fraktion, die wiederum nicht mehr bereit war, sich an die Spielregeln im Umgang mit dem Monarchen und der Regierung zu halten, wie dies unter Vincke doch recht erfolgreich praktiziert wurde. Vincke hatte es noch verstanden, den König mittels des wohldosierten Einsatzes des Finanzhebels zu Reformen zu drängen, ohne dabei die 252 Vgl. Denkschrift, die den Provinziallandtagen zur Begutachtung der Vorschläge der Regierung , des Grafen von Dönhoff und des Entwurfes der Kommission des Herrenhauses beigegeben werden sollte. Diese Denkschrift wurde vom Regierungsrat Hobrecht ausgearbeitet und mit einigen Veränderungen vom Staatsrat in dessen Sitzung vom 20.10.1862 verabschiedet. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 9. Vgl. Auch Denkschrift des GehRR von Wolff. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 227 ff. 253 Vgl. u.a. Wahl, Adalbert: Beiträge zur Geschichte der Konfliktzeit. Tübingen 1914. S. 3 f. Der Antrag Hagen wurde mit 171 gegen 143 Stimmen im Abgeordnetenhaus angenommen. 85 Grenze des für Wilhelm Zumutbaren zu überschreiten. 254 In Folge dieser Zuspitzung reichte das gesamte Ministerium am 8. März 1862 die Entlassung ein, was vom König aber noch nicht angenommen wurde. Die von der Mehrheit des Abgeordnetenhauses geforderten liberalen Zugeständnisse, ohne die die Mehrheit der Minister eine Auflösung des Landtages nach der Annahme des Antrages Hagen nicht mehr auf sich nehmen wollte, konnte der König dem Ministerium nicht machen. 255 Die Fortschrittspartei, die innerhalb kürzester Zeit so viele liberale Forderungen als möglich durchsetzen und in der Budgetfrage ihre Möglichkeiten austesten wollte, hatte mit diesem Antrag die eigenen Möglichkeiten überschätzt. In den gemäßigt liberalen Preußischen Jahrbüchern wurde diese Politik der Fortschrittspartei entsprechend ironisch gerügt. „Die Politik des Drängens hat ihre Früchte getragen, die Partei des Fortschritts hat gerade den Theil des Ministeriums gestürzt, dessen Unterstützung bei den Wahlen sie so oft und so feierlich angelobt hatte.“ 256 Das Abgeordnetenhaus wurde am 11. März aufgelöst; gleichzeitig wurde der Prinz von Hohenlohe-Ingolfingen, bisher Präsident des Herrenhauses, zum interimistischen Vorsitzenden des Staatsministeriums ernannt. Zum 17. März erhielten dann die liberalen Minister von Auerswald, Graf von Schwerin, von Patow, Graf von Pückler und von Bernuth ihre Entlassung. Die altliberale Regierung wurde durch konservativ eingestellte Minister ersetzt. Die drei Minister von Roon, Bernstorff und von der Heydt verblieben im Amt. Letzterer bekam das Ressort des Finanzministers und behielt interi-mistisch das Handelsministerium. Neu hinzu kamen als Innenminister der Polizeipräsident von Breslau Jagow, der Oberstaatsanwalt am Kammergericht Graf zur Lippe als Justiz-minister, Graf Itzenblitz als Landwirtschaftsminister sowie der Oberkonsistorialrat von Mühler als Kultusminister. 257 254 Vgl. Haupts, Leo: Die liberale Regierung in Preußen in der Zeit der „Neuen Ära“. Zur Geschichte des preußischen Konstitutionalismus. In: Historische Zeitschrift 227(1978). S. 64. siehe auch Pyta, Wolfram: Liberale Regierungspolitik im Preußen der „Neuen Ära“ vor dem Heereskonflikt. Die preußische Grundsteuerreform von 1861. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge 2(1992). S. 245. 255 Vgl. Hartung, Fritz: Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierung im konstitutionellen Preußen 1848-1918. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44(1932). S. 27. Siehe dazu auch die Randbemerkungen des Königs zur Denkschrift der liberalen Minister Auerswald, Patow, Pückler, Schwerin und Bernuth vom 14.3.1862 durch den König. In: Bernstorff, Graf Albrecht von: Im Kampfe für Preußens Ehre. Aus dem Nachlaß des Grafen Albrecht von Bernstorff. Hrsg. von Karl Ringhoffer. Berlin 1906. S. 523. 256 Politische Correspondenz, Berlin, 25. März 1862. In: Preußische Jahrbücher 9(1862). S. 356. 257 Vgl. Die Innere Politik der preußischen Regierung von 1862-1866. Sammlung der amtlichen Kundgebungen und halbamtlichen Äußerungen. Berlin 1866. S. 8 f. 86 In einem Erlaß des Königs an die neue Regierung machte dieser noch einmal seine Haltung zu Reformen der inneren Staatsverfassung deutlich. Hier sagte er deutlich, daß seine Ausführungen in der Staatsministeriumssitzung vom Herbst 1858 mißverstanden wurden und als deren Folge dann Verwicklungen auftraten, deren Lösung er als Aufgabe der neuen Regierung bezeichnete. „Es kann aber ein heilbringender Fortschritt nur gedacht werden, wenn man nach besonnener und ruhiger Prüfung der Zeitlage die wirklichen Bedürfnisse zu befriedigen und die lebensfähigen Elemente in den bestehenden Einrichtungen zu benutzen weiß. Dann werden die Reformen der Gesetzgebung einen wahrhaft conservativen Charakter tragen, während sie bei Uebereilung und Ueberstürzung nur zerstörend wirken.“ 258 Die lebensfähigen Elemente waren natürlich die Vertreter des großen Grundbesitzes, die mit ihrer Intelligenz und ihrem materiellen wie auch sozialem Einfluß in den Kreisen nach Meinung Wilhelms die Führungsrolle auf den Kreisversammlungen beanspruchen konnten und auch mußten. Aus den angesetzten Neuwahlen im Mai 1862 ging die Fortschrittspartei wieder als eindeutiger Sieger hervor, und da das sogenannte linke Zentrum in den Hauptfragen mit ihnen zusammenging, hatte die liberale Opposition die entscheidende Mehrheit im Abgeordnetenhaus. 259 Dieses lehnte nun die Mehrausgaben für die Militärreform, die bisher zeitweilig bewilligt worden waren, rundweg ab und verschärfte damit die politische Situation. Indem der König an der Heeresreform festhielt, spitzte sich der Streit um die Heeresfrage auf das Budgetrecht zu und erweiterte sich damit zu einem ernsten Verfassungskonflikt. 260 Trotz dieses Konfliktes wurde weiter an einer Reorganisation der Kreisordnung gearbeitet, wenn auch nicht mehr mit solch einem Nachdruck, wie unter der Federführung von Graf von Schwerin-Putzar. In der Eröffnungsrede des Ministerpräsidenten von Bismarck-Schönhausen auf der Sitzung der Vereinigten beiden Häuser des Landtages am 14.1.1863 schilderte dieser die 258 Denkschrift des GehRR von Wolff von 1863. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 232. Der erste Satz des Zitates ist in den Akten unterstrichen, wahrscheinlich von Wolff bei der Wiedervorlage im Jahre 1868. Dies würde bedeuten, daß die »konservativen Grundlagen« ebenfalls Kernpunkt der Bemühungen des Ministeriums Grafen zu Eulenburg waren, dessen Referent Wolff war. 259 Vgl. Conrad, Horst; Haunfelder, Bernd [Hrsg.]: Preußische Parlamentarier. Ein Photoalbum 18591867. Düsseldorf 1986. S. 23. Während des Militärkonfliktes arbeiteten beide Fraktionen eng zusammen; häufig wurden gemeinsame Fraktionssitzungen und Beratungen abgehalten. Auch bei den Wahlkämpfen im Mai 1862, Oktober 1863 und im Juli 1866 stützen sich beide Gruppierungen gegenseitig und einigten sich über die Kandidaten. 260 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 414. Sowie Pyta, Wolfram: Liberale Regierungspolitik im Preußen der „Neuen Ära“ vor dem Heereskonflikt. Die preußische Grundsteuerreform von 1861. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge 2(1992). S. 244 ff. 87 Schwierigkeiten bei der Vorlage eines Entwurfes zu einer neuen Kreisordnung folgendermaßen: „Die Lage der Verhandlungen über den Entwurf einer Kreis-Ordnung, welcher im vorigen Jahre dem Landtage der Monarchie vorgelegt wurde, hat es rathsam erscheinen lassen, zur näheren Erörterung provinzieller Verhältnisse auf diesem Gebiet zuvörderst noch die Provinzialstände zu vernehmen. An diese Gutachten werden sich weitere Vorberathungen knüpfen, welche es jetzt nicht übersehen lassen, ob ein GesetzEntwurf über diesen wichtigen Gegenstand alsbald wird vorgelegt werden können.“ 261 Dies ließ sehr deutlich erkennen, daß mit dem Wechsel der Regierung eine Verzögerung der neuen Kreisordnung eintrat, obgleich Bismarck zu Beginn seiner Amtszeit einer Reorganisation der Kreisverfassung im Schwerin’schem Sinne gar nicht so ablehnend gegenüber stand. Gerlach vermerkte dazu in seinen Aufzeichnungen, daß Bismarck geneigt gewesen sei, in die „Fußstapfen“ von Schwerin und Jagow zu treten. 262 Bismarck selbst sagte, daß die Verfolgung der Kreisordnung eine Bedingung gewesen sei, die ihm der König bei der Übernahme des Ministeriums gestellt habe und erklärte sich gegen die Virilstimmen der Rittergutsbesitzer auf den Kreistagen. 263 Für Bismarck bedeutete die ablehnende Haltung des Landtages bezüglich des Budgets ein echtes Ärgernis und er wollte mit der Kreisordnungsvorlage Bewegung in die parlamentarischen Debatten bringen. In dieser Hinsicht äußerte er sich auf der Sitzung des Staatsrates am 20. Oktober 1862. 264 Wenn diese Vorlage überhaupt nur politische Bewegung brächte, würde er es absolut begrüßen. Außerdem werde sie „überwiegend eine conservative sein und sie werde das Land wieder daran erinnern, daß es noch andere Organe habe, in denen seine Wünsche und Bedürfnisse gründlich erörtert würden, als die Häuser des Allgemeinen Landtages.“ 265 Zunächst wurde mit der Befragung der Provinziallandtage zu den Entwürfen der Regierung und der Kommission des Herrenhauses die Arbeit vorangetrieben, wie es der Handelsminister von der Heydt in der vergangenen Regierung mehrmals gefordert hatte. In den Sitzungen der Kommission des Herrenhauses waren vielfach die fehlenden Beratungen in den einzelnen 261 Vgl. Stenographische Berichte. Herrenhaus . Berlin 1863. S. 3. Vgl. Tagebuchaufzeichnungen E.L.v. Gerlach vom 25.9.1862. In: Diwald, Helmut [Hrsg.]: Von der Revolution zum Norddeutschen Bund. Politik und Ideengut der preußischen Hochkonservativen 18481866. Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach. 1. Teil. Briefe, Denkschriften, Aufzeichnungen. Göttingen 1970. S. 435 263 Vgl. Tagebuchaufzeichnungen E.L.v. Gerlach vom 11.11.1862. Ebd. S. 437. 264 Vgl. Abschrift des Protokolls der Sitzung des Staatsministeriums vom 20.10.1862, wo alle Staatsminister (außer Kriegsminister von Roon, der nachträglich das Protokoll zeichnete) anwesend waren. Als Referent des Innenministers nahm auch der RR Hobrecht teil. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 9. 265 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums vom 20.10.1862. ebd. 262 88 Provinziallandtagen gegen die Regierung geltend gemacht worden. Auch um diesen Vorwürfen zu begegnen, wurde es für ratsam angesehen, den Landtagen die Entwürfe zur Begutachtung zu überweisen. Gerade die westlichen Provinziallandtage hatten bisher auch noch gar nicht die Möglichkeit bekommen, über die Kreisordnungen zu beraten, während die im Osten wenigstens bereits 1851 diese Möglichkeit eingeräumt bekommen hatten. 266 Zuvor sollten jedoch die Regierungen und Oberpräsidenten der sechs östlichen Provinzen zu den beiden Vorschlägen der Kommission des Herrenhauses und dem Regierungsentwurf von 1862 mit ihren Gutachten gehört werden. 267 Die Regierungen und die Oberpräsidenten der beiden westlichen Provinzen wurden ja schon 1860/61 zu den Vorschlägen der Staatsregierung gehört und hatten die Möglichkeit, eigene Vorschläge und Gutachten vorzubringen. Diese ganze Prozedur dauerte den Liberalen im Abgeordnetenhaus jedoch entschieden zu lange. Im Jahre 1863 legte Wilhelm Adolf Lette einen Entwurf einer Kreisordnung dem Abgeordnetenhause vor, der im wesentlichen mit dem von Graf von SchwerinPutzar von 1862 übereinstimmte. Nur die Bestimmung, daß den erblichen Pairs des Herrenhauses eine Virilstimme zugebilligt wäre, wurde von ihm aus diesem Entwurf entfernt. Im daraufhin gefertigten Bericht der Kommission des Abgeordnetenhauses wurden zum Teil erhebliche Änderungen an diesem Entwurf vorgenommen. So sollten die Befugnisse der Kreise zum Erlaß statuarischer Anordnungen wegfallen, Rittergüter mit weniger als 2000 Thaler Reinertrag aus dem Verband des großen Grundbesitzes herausfallen, die Gesamtzahl der Abgeordneten sich auf die drei Wahlverbände nach dem Verhältnis der direkten Staatssteuern ergeben, die Sitzungen des Kreistages sollten öffentlich sein und schließlich sollte der Landrat das Recht erhalten, jederzeit gehört zu werden. 268 Wegen des Schlusses der Session kam auch dieser Bericht nicht mehr zur Beratung im Plenum des Abgeordnetenhauses. Im März 1865 brachte Lette zum zweiten Mal den Entwurf einer Kreisordnung ein. Dieser Entwurf, der sich im Wesentlichen den Vorschlägen der Kommission von 1863 anschloß 269, wurde der 266 Vgl. Bericht des Staatsministeriums an den König vom 22.10.1862 um die Zustimmung zur Überweisung der Entwürfe und Vorschläge an die Provinziallandtage zu erhalten. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 9. 267 Vgl. Zirkularerlaß des Innenministers von Jagow an die Regierungen und Oberpräsidenten der sechs östlichen Provinzen vom 8. August 1862. Siehe Denkschrift des GehRR von Wolff. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11, Bl. 228. Die Berichte der Regierungen bzw. Oberpräsidenten der östlichen Provinzen finden sich in: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Adh. 1. 268 Vgl. Entwurf einer Kreisordnung durch die Abgeordneten Lette, von Benda und Jordan. In: Drucksachen. Haus der Abgeordneten. Berlin 1863. N° 60. Bericht der Kommission vom 6.5.1863. 269 Vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Phil. Diss. Berlin 1910. S. 20. 89 Gemeindekommission zur Beratung übergeben. Als Regierungskommissarius wurde vom Innenminister der GehRR von Wolff ernannt, der in der Sitzung der Kommission vom 25. März 1865 im Namen der Regierung erklärte: „Die Staatsregierung wird mit der durch das Bedürfnis sich ergebenden Fortbildung der Kreisverfassungen, wenn auch nicht in dem Umfange und in der Richtung, wie der vorliegende Entwurf sie in Aussicht nimmt, seiner Zeit vorgehen; sie hält aber den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für geeignet, um wichtige Reformen auf dem Gebiete der organischen Gesetzgebung mit Erfolg anzubahnen und durchzuführen.“ 270 Das Abgeordnetenhaus entsprach der Empfehlung der Kommission und trat nicht in die Beratung dieses Antrages ein. Der seit 1862 herrschende Streit zwischen der Staatsregierung und dem Abgeordnetenhaus zur Heeresreform wird wohl der Hauptgrund dafür gewesen sein, daß der innere Ausbau Preußens für die folgenden Jahre unterlassen wurde. Dies waren wohl die „obwaltenden politischen Gründe“ von denen der Regierungskommissarius von Wolff gesprochen hatte und die die Behandlung der Entwürfe bzw. die Einbringung eigener Entwürfe durch die Regierung nicht als wünschenswert erschienen ließen. 271 Die Fortschritte und Ziele der preußischen Außenpoli- tik hatten „vorrübergehend eine weitverbreitete, lange und tiefe Mißstimmung in dem weitaus zahlreichsten, in dem ländlichen Theile der Bevölkerung über die bestehende Kreis- und Gemeindeverfassung in den Hintergrund treten lassen.“ 272 Nach 1866 ging es in der preußischen Verwaltung um die Neuorganisation von drei neuen Provinzen - Hannover, Hessen-Nassau und Schleswig-Holstein. Die Lösung dieser Probleme erhielt in den folgenden Jahren einen enorm hohen Stellenwert in der inneren Politik. 273 In den neuen Provinzen gab es erhebliche Widerstände gegen die Einführung der preußischen Ordnungen. So konnte z.B. die Einführung der Verordnung über die Amts- und Kreisverfassung in Hannover nur durch massive Intervention zustande kommen. „Bei der Organisation der neuen Provinzen hatte sich gezeigt, wie 270 Vgl. Dekret des Innenministers Graf zu Eulenburg vom 21. März 1865, indem er den GehRR von Wolff wegen des Antrages des Abgeordneten Lette zum Regierungskommissarius ernennt. Auf diesem Dekret ist der Vermerk aufgebracht: „In der heutigen Sitzung ist die von mir beiliegend formulirte Erklärung abgegeben worden, und beschloß die Commission mit 17 gegen 1 Stimme, dem Hause zu empfehlen, auf die Berathung des Letteschen Antrages unter den obwaltenden politischen Umständen zur Zeit nicht einzugehen.“ gez. von Wolff, 25.3.65. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 10, Bl. 78 f. 271 Vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Phil. Diss. Berlin 1910. S. 21 f. 272 Vgl. Lette, Wilhelm Adolf: Zur Reform der Kreisordnung und ländlichen Polizeiverfassung. Berlin 1868. S. 3. 273 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 474. 90 sehr die preußische Ministerialbürokratie sich noch in den alten Gleisen bewegte. Immerhin gab sie eine Reformbedürftigkeit der bisherigen Verwaltungsordnung zu, und noch mehr suchte Bismarck eine gewisse Dezentralisation anzubahnen.“ 274 Man konnte diesen neu gewonnenen Gebieten, die vor kurzem noch selbständige Staaten waren, nicht einfach die alten bisher gültigen preußischen Verwaltungsgesetze überstülpen. Die Rechte ihrer alten Verwaltung wurden ihnen daher bis zu einem gewissen Grade belassen und was vor allem die auf sie übertragene Kreisverfassung anbelangt, wurde ihnen darin so manches gewährt, was den östlichen Provinzen verwehrt wurde. Aufgrund dieser Vorgänge in den neuen Provinzen regte sich in den alten der Wunsch nach einer ähnlichen Gestaltung der Verhältnisse. 275 Die Initiative zu durchgreifender Erneuerung des preußischen Verwaltungssystems ging von den Mittelparteien aus, von den Nationalliberalen und den Freikonservativen, die damit die freiheitliche Ergänzung des Verfassungskompromisses anstrebten. Im Vorfeld der Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus im Jahre 1867 wurde die Forderung nach einer Verwaltungsreform artikuliert.276 Bereits im Frühjahr 1867 hatte Forckenbeck von Bismarck als Ausgleich für die Kompromißpolitik seiner Partei bei der norddeutschen Bundesverfassung eine liberale Kreisordnung aushandeln wollen. 277 Am 11. Dezember 1867 erklärte Innenminister Graf zu Eulenburg im Abgeordnetenhaus, zuerst eine Reform der Kreisordnung vornehmen zu wollen, bevor er an eine allgemeine Verwaltungsreform herangehen wollte. Dabei hatte er kaum mehr als eine stärkere bäuerliche und städtische Vertretung im Kreistag im Auge. Eine Aufhebung der gutsherrlichen Polizei hielt er nicht für notwendig oder gar angebracht, auch wenn er gewisse Mängel derselben anerkannte. In allen Vorschlägen und 274 Ebd. S. 497 f. Vgl. Schmitz, S. 33 sowie Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 113. 276 Vgl. Gründungsprogramm der Nationalliberalen: „Nach wie vor verlangen wir ... die Reform des Herrenhauses als Vorbedingung aller Reformen. Von diesen stehen weit voran: die Entfernung des ständischen Prinzips aus den Gemeinde-, Kreis- und Provinzialverfassungen und die Reform derselben nach den Grundsätzen der Gleichberechtigung und Selbstverwaltung; die Aufhebung der gutsherrlichen Obrigkeit und gutsherrlichen Polizei.“ In: Franz, Günther; Mommsen, Wilhelm [Hrsg.]: Die deutschen Parteiprogramme. Bd. I. Berlin, Leipzig 1932. S. 151 ff. Zitiert nach Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 499. Auch die Freikonservativen erklärten in ihrem Programm vom 27.10.1867 die Selbstverwaltung zur Hauptaufgabe der kommenden Jahre. Sogar die Altkonservative Partei bekannte die Notwendigkeit einer Reform der Kreis- und Provinzialordnungen der östlichen Provinzen. 277 Vgl. Heffter, S. 500. 275 91 Argumenten, die bisher gemacht wurden, sah er keine echte Alternative. 278 Viel weiter als die Reformvorstellungen der Regierung ging das Selbstverwaltungsprogramm der Nationalliberalen. Unter ihnen war Lette der Wortführer des Kampfes gegen die feudale Herrschaft in den ostelbischen Grundherrschaften. Er verfaßte 1867 2 Reformschriften zu dieser Problematik. Darin betonte er den Vorrang der Kreise gegenüber den Provinzen. Er wollte die Kreisver-fassung so gut wie ganz kommunalisieren; der Kreisausschuß und auch dessen Vorsit-zender, der Landrat, sollten vom Kreistag gewählt werden. 279 In der Thronrede vom 15. November 1867 wurde vom König die Zusage gemacht, daß sich die Regierung der Frage einer Reform der Kreisordnung zuwenden werde. Auch der Innenminister Eulenburg anerkannte in dieser Beratung des Abgeordnetenhauses gewisse Mängel der Kreisverfassung auf dem Lande. Er wollte sich den Rat von Abgeordneten für eine einzubringende Vorlage einholen. An diesen Beratungen, die sich allerdings ziemlich lange hinzogen, nahm auch Rudolf von Gneist teil. 280 Die doktrinären Grundzüge der Lehre Gneists, die dieser schon 1859/60 entwickelt hatte, bestanden weiterhin fort. Nur in einem Punkt schwächte er seine Doktrin etwas ab. Er paßte sich dem wachsenden Widerstand gerade der Nationalliberalen gegen seine Präferenz des englischen Selfgovernments an, „indem er sich nun [...] viel mehr auf die preußische Tradition der Stein’schen Städteordnung und des monarchischen Beamtenstaats berief als bisher.“ 281 „Wenn nun Gneist auf die politischen und sozialen Kräfte im damaligen Preußen blickte, so mußte er feststellen, daß unter den Liberalen immer noch der von ihm so scharf bekämpfte Selbstverwaltungsgedanke der Achtundvierziger Bewegung vorherrschte, unter den Konservativen dagegen das Streben, die überlieferte junkerliche Macht zu behaupten, und daß Eulenburg und seine Geheimräte zunächst noch mit großem bürokratisch-konservativem Mißtrauen der Reform gegenüberstanden.“ 282 278 Vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Phil. Diss. Berlin 1910. S. 36. Hier werden die Äußerungen des Innenministers in der Sitzung des Abgeordnetenhaus teilweise zitiert. 279 Vgl. Heffter, S. 502. Siehe die Schrift von Lette: Lette, Wilhelm Adolf: Die Reorganisation der Staatsund Selbstverwaltung in Preußen. In: Preußische Jahrbücher. Bd. 22 (1968). S. 139 ff. vgl. auch Lette, Wilhelm Adolf: Zur Reform der Kreisordnung und ländlichen Polizeiverwaltung. Berlin 1868. S.1 ff. 280 Vgl. Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 115 f. 281 Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 504. Zu den Ideen von Gneist vgl. u.a. Schmitz, Paul: Die Entstehung der Preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Dissertation. Berlin 1910. S. 26 ff. 282 Heffter, S. 507. 92 Bereits auf den ersten Regierungsentwurf zu einer Kreisordnung hatte Gneist versucht, Einfluß durch eine Denkschrift auszuüben. Dieser Entwurf war jedoch so konservativ ausgefallen, daß Bismarck ihn sogleich wieder verwarf. Bismarck setzte erhebliche Änderungen durch, insbesondere die Aufhebung der Virilstimmen im Kreistag. 283 Da diese Entwürfe somit ausgeschaltet waren, versprach der König in seiner Thronrede zur Eröffnung der Sitzungsperiode des Landtages am 4. November 1868 neue Entwürfe und Vorlagen. Gleichzeitig wurde hervorgehoben, daß mit der Vergrößerung der Monarchie „diejenigen Zweige der öffentlichen Tätigkeit, welche nicht vermöge eines unmittelbaren Staatsinteresses der Leitung und Fürsorge der Staatsbehörden notwendig vorbehalten bleiben müssen, allmählich geeigneten provinziellen und kommunalen Körperschaften zur selbständigen Wahrnehmung zu überweisen. ... Um auch in den alten Provinzen den Boden dafür zu bereiten, ist vor allem die Fortbildung der Kreisverfassung erforderlich.“ 284 Hier wird zum ersten Mal von der Regierung ausgesprochen, was Rudolf von Gneist in seinen Schriften schon immer forderte: die Übertragung von Staatsaufgaben an Organe der Provinzen und Kommunen, mithin die Umsetzung der Selbstverwaltung. Im Innenministerium wurde daraufhin ein zweiter Entwurf ausgearbeitet, dessen Fertigstellung sich vor allem durch eine Erkrankung Eulenburgs länger hinzog. Die Liberalen sprachen schon von »Eulenburgs böswilliger Passivität oder impotenter Faulheit«. Auch Bismarck richtete die schwersten Vorwürfe gegen seinen Minister und dessen Geheimrat von Wolff. 285 In dem Augenblick, als sich der Ministerpräsident der Angelegenheit zuwandte, trat der bedeutende Umschwung ein. Im Januar 1869 ließ Bismarck Gneist zu einer Konferenz bezüglich der Reformangelegenheit am 2.2.1869 einladen. Hier konnte Gneist seine Vorstellungen entwickeln. 286 Der Geheime Regierungsrat von Wolff wurde ausgetauscht und die Angelegenheit anderen, fähigeren, v.a. willigeren Beamten übertragen. Am Entwurf der endgültigen Regierungsvorlage hatten Friedenthal und der Geheimrat Persius den Hauptanteil. 287 „Weniger Eulenburg 283 Vgl. Heffter, S. 502. Zitiert nach Schmitz S. 37 f. 285 Vgl. Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 510. 286 Diese Vorstellungen und Vorschläge finden sich sehr ausführlich dargelegt und interpretiert bei: Schmitz, Paul: Die Entstehung der Preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Phil. Diss. Berlin 1910. S. 42 f. Vgl. auch Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 127. 287 Rudolf Friedenthal war ein schlesischer Freikonservativer, „der aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Breslau stammte, von seinem Vater ein Rittergut erbte, als langjähriger Landrat des Nachbarkreises praktische Verwaltungserfahrung erwarb und als Abgeordneter durch seine Rührigkeit und Arbeitsamkeit 284 93 als vielmehr jene bürokratischen Helfer des Ministers sind es gewesen, die nun in der Tat den Gneist’schen Ideen Zugang zum Reformwerk gewährten.“ 288 4.4 Die Kreisordnung von 1872 - der Abschluß der Reformbemühungen als Fortsetzung der Stein’schen Städteordnung Als der Regierungsentwurf am 8. Oktober 1869 durch den Innenminister im Abgeordnetenhaus vorgelegt wurde 289, waren die Parteien der Rechten einverstanden: die Altkonservativen, weil ihnen die Amtshauptleute und die immer noch sehr starke Vertretung des Großgrundbesitzes im Kreistag das junkerliche Machtinteresse auch in moderneren Formen zu sichern schien; und die Freikonservativen, weil sie besonders im Kreisausschuß eine wesentliche Errungenschaft der Selbstverwaltung sahen. Diesen Reformgewinn erkannten die Nationalliberalen ebenfalls an. 290 Als die Session des Landtages am 12. Februar 1870 geschlossen wurde, war der Entwurf erst zur Hälfte durchberaten und blieb damit unerledigt. 291 Der Schluß der Session bedeutete jedoch nicht das Ende der Reform, sondern nur deren Verschiebung. Der Wille nahezu aller Verfahrensbeteiligter nach einer Modernisierung der überholten Kreisverfassung war bereits außerordentlich verfestigt. „Die Liberalen waren an die Grenze der praktischen Möglichkeiten ihrer weitreichenden Wünsche gestoßen. Andererseits nahm doch die Reformbereitschaft in den preußischen Regierungskreisen noch sichtlich zu.“ 292 Graf Eulenburg setzte in der Folge seinen ganzen staatsmännischen Ehrgeiz daran, die Reform durchzusetzen, welche er bisher nur sehr zögernd betrieben hatte. 293 Der Ausbruch des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 machte den Abschluß der parlamentarischen Arbeit an der Kreisordnung vor dem Ende der Legislaturperiode unmöglich. Eulenburg schwenkte nach dem erfolgreichen Abschluß des Krieges gegen Frankreich ganz in die Linie der in seiner Partei rasch“ einen erheblichen Einfluß gewann. Vgl. Heffter, S. 511 sowie Lange, S. 120 in Fußnote 119. Persius, ausgebildeter Jurist, war seit 1854 im preußischen Verwaltungsdienst, 1859 Landrat in Kyritz/Ostpriegnitz und seit 1869, mit der Umformierung des Innenministeriums, Vortragender Rat in diesem Ministerium. Vgl. Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. IV. Struktur und Krisen des Kaiserreichs. Berlin u.a.1982. S. 353, Fußnote 7. 288 Heffter, S. 512. 289 Für den Gang der Beratungen vom Entwurf des Innenministers vom Februar 1869, den dieser an Bismarck und die anderen Staatsminister, sowie an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, von Forckenbeck, gesandt hatte, vgl. Lange, S. 128 ff. 290 Vgl. Heffter, S. 514. 291 Die Diskussion war nur bis zum § 53 gekommen. Vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der Preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Berlin 1910. Sowie Heffter, S. 516. 292 Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 517. 293 Vgl. ebd. 94 Verständigung mit den Nationalliberalen ein. Er verfolgte zumindest eine freikonservative Reformpolitik, ohne dabei das bürokratische Herrschaftsinteresse gegenüber den radikalen Forderungen der liberalen Selbstverwaltungsidee preiszugeben. 294 Bismarck, der 1869 noch das Innenministerium vorwärtsgedrängt und selbst Initiativen entwickelt hatte, geriet nun zum „Gegenspieler Eulenburgs innerhalb der Regierung, kritisch gegenüber dessen liberalisierendes Reformgesetz und selber anderen Zielen zugewandt.“ 295 Am 21. Dezember 1871 wurde von der Regierung erneut ein Entwurf zur Kreisordnung eingebracht. Neben der Regierung zeigten sich auch die Nationalliberalen und auch ein Teil der Konservativen, vertreten durch Rauchhaupt und Brauchitsch sehr reformfreundlich. Die Nationalliberalen erklärten offen, daß der Entwurf der Regierung weit genug gehen würde und eine ehrliche Verwirklichung der Selbstverwaltung sei. Die Regierung hatte an ihrem neuerlichen Entwurf einige liberale Änderungen vorgenommen. 296 Das Abgeordnetenhaus folgte im Wesentlichen den Beschlüssen der Kommission, dessen Bericht Friedenthal erstattete und nahm am 23. März 1872 die Kreisordnung an. „Die Nationalliberalen und die Freikonservativen, die ein förmliches Bündnis geschlossen hatten, waren der Kern der Mehrheit.“ 297 Doch auch die Fortschrittspartei stimmte geschlossen für das Gesetz, schon um den Zwiespalt zwischen der Regierung und der konservativen Junkerpartei zu verstärken. Der konservative Widerstand im Abgeordnetenhaus war viel schwächer als im Herrenhaus, wo sich Kleist-Retzow an die Spitze des Widerstandes stellte und jener rechnete dabei auf den persönlichen Widerspruch zwischen Bismarck und Eulenburg. 298 Im Herrenhaus verfügte die streng konservative Fraktion »Stahl« gegenüber der aus freikonservativen Abgeordneten und liberalen Bürgermeistern gebildeten »neuen Fraktion« über eine solide Mehrheit und verzögerte sehr stark die Verhandlungen über die Kreisreform. „In den Reden Kleist-Retzows, des ehemaligen Justizministers Lippe und anderer Heißsporne kam noch einmal der ganze Anspruch des alten Feudalismus“ 299 zum Vorschein. Man verteidigte vehement das Prinzip des alten Ständetums, das historische Vorrecht der Rittergutsbesitzer, sogar die patrimoniale 294 Vgl. Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 151. 295 Vgl. Heffter, S. 546 ff. Zitat auf S. 548 und zu den „anderen Zielen“ S. 551. 296 Vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der Preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Berlin 1910. S. 58 ff. 297 Schmitz S. 62 f. Vgl. auch Heffter, S. 550 f. 256 Abgeordnete stimmten für, 61 gegen das Gesetz und 11 enthielten sich der Stimme. Vgl. Lange, S. 164. 298 Vgl. Heffter, S. 551. 299 Ebd. 95 Gutshoheit. Am 31. Oktober wurde dann das gesamte Gesetz abgelehnt. 300 Der Landtag wurde daraufhin sofort geschlossen und nach zwei Wochen zu einer neuen Session einberufen. Um das Gesetz im Herrenhaus durchzubringen wollte Eulenburg den Widerstand des Herrenhauses durch einen Pairsschub brechen. 301 Bereits am 20. November hatten im Abgeordnetenhaus die Beratungen zur Kreisordnung begonnen. In einer dritten, nur in wenigen Punkten veränderten Fassung nahm das Haus die Kreisordnung am 26. November in der Schlußabstimmung an. Am 5. Dezember machte dann Eulenburg dem Herrenhaus die Mitteilung von der Allerhöchsten Ernennung der neuen Mitglieder und legte den von der Regierung und dem Abgeordnetenhaus vereinbarten Entwurf abermals vor. Bei der Schlußabstimmung zeigte sich, daß die Zahl der durch den Pairsschub neu eingetretenen Mitglieder den Ausschlag gab. 302 Erst mit der Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 gelang es, die Konsequenzen aus dem Edikt vom Oktober 1807 zu ziehen und die Verknüpfung obrigkeitlicher und repräsentativer Befugnisse mit dem Besitze bestimmter Güter zu lösen. 303 Die Kreisordnung, die später in einigen Teilen novelliert wurde 304, bildete eines der wichtigsten Gesetze über den Verwaltungsaufbau in Preußen. Sie ging wesentlich über eine eigentliche Kreisverfassung hinaus und regelte zugleich die Amtsverfassung und in wesentlichen Teilen auch die Gemeindeverfassung. Charakteristisch für sie war, daß sie einerseits die kommunale Selbstverwaltung und andererseits auch die staatliche Verwaltung stärkte. Die Doppelstellung der Kreise als staatliche Verwaltungsbezirke und als Selbstverwaltungskörperschaften trat damit deutlicher hervor als bisher. 305 Das kommt auch in der Stellung des Landrates zum Ausdruck. Er wurde nun zu einem vom König ernannten Beamten, der im Kreis staatliche Aufgaben zu erfüllen hatte, und andererseits war er als 300 Im Abgeordnetenhaus stimmten 256 Abgeordnete für den und 61 Abgeordnete gegen den Entwurf der Regierung. Im Herrenhaus waren 118 für und 148 gegen den Entwurf. vgl. Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. IV. Struktur und Krisen des Kaiserreichs. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1982. S. 355 f. 301 Vgl. Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 176. 302 Nun stimmten 116 für und 91 Abgeordnete gegen den Entwurf der Regierung. vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der Preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Dissertation. Berlin 1910. S. 75. 303 Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Der Kreis im 19. Jahrhundert zwischen Staat und Gesellschaft. In: Croon, Helmuth; Hofmann, Wolfgang; Unruh, Georg-Christoph von [Hrsg.]: Kommunale Selbstverwaltung im Zeitalter der Industriealisierung. Stuttgart, Berlin u.a. 1971. S. 100 f. sowie Brauchitsch, Max von: Die Organisationsgesetze der inneren Verwaltung in Preußen. Materialien. Bd. 2. Berlin 1895. 304 Vgl. Kreisordnungsnovelle vom 19.3.1881. GSS 1881, S. 155 ff. Sowie Maull, Heinz: Die Kreis- und Provinzialordnungen in Preußen. (Stand vom 1. November 1927). Berlin 1928. 305 Vgl. Rüfner, Wolfgang: Kommunale Selbstverwaltung. In: Jeserich, Kurt G.A./ Unruh, GeorgChristoph von und Pohl, Hans [Hrsg.]: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 3. Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie. Stuttgart 1984. S. 693 f. 96 Vorsitzender des Kreisausschusses und des Kreistages auch Repräsentant der kommunalen Selbstverwaltung. Der Kreistag hatte das Repräsentationsrecht bei der Auswahl geeigneter Kandidaten für den Landratsposten. 306 Eine Bindung an diese Vorgaben bestand jedoch wie bisher nicht. Der Kreis stellte nun einen staatlichen Verwaltungsbezirk dar, der vom Landrat bürokratisch geleitet wurde. Der Kreisverband war als selbstverwaltungsmäßig aufgebaute und geleitete Gebietskörperschaft, deren Hauptorgane der Kreistag und der Kreisausschuß waren, gedacht. Zu den Aufgaben des Kreisverbandes gehörten die Armenfürsorge und das Schulwesen. Eine wichtige Aufgabe der Kreise war der Straßenbau und teilweise auch der Bau von Kleinbahnen, um den Kreis auch wirtschaftlich zu erschließen, wobei es hier naturgemäß große Unterschiede zwischen den östlichen und den westlichen Provinzen gab. „In Preußen unterschied sich der östliche vom westlichen Landrat dadurch, daß jener Chausseen und Kleinbahnen baute, während dieser sich oft mit kleineren Verwaltungsaufgaben begnügen mußte.“ 307 Die kreisständischen Befugnisse der Rittergüter, die gutsherrliche Polizeigewalt, das Aufsichtsrecht der Gutsherren über die Landgemeinden, sowie die mit dem Besitze gewisser Grundstücke verbundene Berechtigung und Verpflichtung zur Verwaltung des Schulzenamtes wurden aufgehoben. Die Landgemeinden erhielten das Recht, ihre Schulzen und Schöffen, vorbehaltlich der Bestätigung durch den Landrat, selbst zu wählen. Daneben bestanden aber die Gutsbezirke als selbständig verwaltete Einheiten weiter fort. Bezüglich des Ersatzes der gutsherrlichen Polizei griff man auf Vorschläge zurück, die bereits in unmittelbaren Anschluß an das Oktoberedikt gemacht wurden. Man wollte zwar auch das platte Land nach dem Grundsatz der Selbstverwaltung organisieren, jedoch in der durch die Städteordnung vom 19. November 1808 begründeten Form der Übertragung obrigkeitlicher Befugnisse und Obliegenheiten an gewählte Gemeindeorgane. 308 „Diese Differenz wurde, als der Entwurf im Jahre 1871 zum zweiten Mal dem Landtag vorgelegt worden war, dahin ausgeglichen, daß zwar die Amtsbezirke, welche nach dem Regierungsentwurf lediglich als Polizeibezirke gedacht 306 Zunächst war nur die Ansässigkeit der Person im Kreis als Voraussetzung genannt, sei es durch Wohnsitz oder durch Grundbesitz. Im § 74 hieß es lediglich „..., für die Besetzung eines erledigten Landratsamtes aus der Zahl der Grundbesitzer und der Amtsvorsteher des Kreises geeignete Personen in Vorschlag zu bringen.“ Durch die Novelle von 1881 wurde vom Landrat die Befähigung zum höheren Verwaltungs- bzw. Justizdienst verlangt. Auch mußte er nicht mehr unbedingt Wohnsitz oder Grundbesitz im Kreis haben. Mehr und mehr wurde der Landratsposten zu einer Durchgangsstation für höhere Aufgaben im Verwaltungsdienst des Staates. 307 Braun, Magnus von: Von Ostpreußen bis Texas. Stollham 1955. S. 89. 308 Vgl. Brauchitsch, Max von: Die Organisationsgesetze der inneren Verwaltung in Preußen. Materialien. Bd. 2. Berlin 1895. S. 5. 97 waren, einen kommunalen Charakter und in dem Amtsvorsteher und dem Amtsausschuß kommunale Organe erhielten, daß die Überweisung gemeinsamer Angelegenheiten an den Amtsbezirk der freien Entschließung der zu demselben gehörigen Gemeinden und Gutsbezirke vorbehalten blieb, und daß der Amtsvorsteher nicht gewählt, sondern von dem Oberpräsidenten auf Grund einer vom Kreistag aufzustellenden Vorschlagsliste der zu dem Amt befähigten Amtsangehörigen ernannt werden sollte.“ 309 Die Amtsbezirke waren trotz der gewählten Amtsausschüsse keine Bezirke der Selbstverwaltung, sondern letzte Untergliederungen der staatlichen Verwaltung im Landkreis. 310 Aus dem Wegfall der Repräsentationsbefugnisse der Rittergüter ergab sich die Notwendigkeit einer anderen Zusammensetzung des Kreistages. Man ging davon aus, daß innerhalb der Kreise der große Grundbesitz, die Städte und die Landgemeinden gesellschaftliche Gruppen bildeten, welche sich voneinander durch charakteristische Merkmale wirtschaftlicher und intellektueller Natur unterschieden. Deshalb wurden drei Wahlverbände gebildet. 311 Auf diese wurde die nach der Bevölkerungszahl normierte Gesamtzahl der Abgeordneten verteilt. Hier finden sich also die drei Wahlverbände wieder, die auch schon Graf von Schwerin-Putzar in seinen Entwürfen verankert hatte. Die bisherigen Schranken in Bezug auf die passive Wählbarkeit, sowie die dem ständischen System eigentümliche Sonderung in Teile (itio in partes) wurden aufgehoben; die Abgeordneten sollten fortan, unabhängig aus welchem Wahlverbande sie hervorgingen, Vertreter des gesamten Kreises und seiner Angehörigen sein. 312 Die Kreisordnung beschränkte sich nicht, wie frühere Reformversuche, auf die Umgestaltung der Kreisvertretung, sondern verfolgte das weitergreifende Ziel, den Kreisverbund durch entsprechende Organisation seiner Verwaltung zugleich zum Träger obrigkeitlicher Funktionen zu gestalten. Außer diesen Gesichtspunkten lag der Bildung des Kreisausschusses und der Übertragung wichtiger, bisher zum Geschäftskreise der 309 Ebd. Die Amtsbezirke waren in den östlichen Provinzen Träger der örtlichen Polizeigewalt. In Hannover lag sie beim Landrat und in den anderen westlichen Provinzen beim Gemeindevorsteher. Vgl. Holtz, Dietrich: Verfassungs- und Verwaltungsreform in Reich und Ländern. Berlin 1928. S. 59. 311 I. Wahlverband: Größere Grundbesitzer (mind. 75 Thaler Grund- und Gebäudesteuer, II. Wahlverband: Landgemeinden: a) sämtliche Landgemeinden; b) sämtliche Besitzer selbständiger Güter; c) diejenigen Gewerbetreibenden, die wegen ihrer auf dem platten Land, innerhalb des Kreises betriebenen gewerblichen Unternehmungen in der Steuerklasse A.I unter dem Mittelsatze veranlagt sind, III. Wahlverband: Städte (alle Stadtgemeinden des Kreises) vgl. Kreisordnung vom 13. Dez. 1872. In: Altmann, Wilhelm: Ausgewählte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. II. Teil. 19. Jahrhundert. Berlin 1897. §§ 84-88. S. 229 f. 312 Vgl. Brauchitsch, Max von: Die Organisationsgesetze der inneren Verwaltung in Preußen. Materialien. Bd. 2. Berlin 1895. S. 6. 310 98 Bezirksregierungen gehörenden Aufgaben der allgemeinen Landesverwaltung an denselben, auch das Bedürfnis der Dezentralisation zugrunde. Um eine Entlastung der Zentralstellen von dem Detail der Verwaltung herbeizuführen, sollte der Schwerpunkt der Verwaltung in den Kreis verlegt werden. Im Laufe der Verhandlungen über die Kreisreform gelangte zu diesen legislativen Motiven noch das Verlangen nach einer Kontrolle der Verwaltung zur Verhütung einer parteiischen Handhabung derselben. Diese Kontrolle glaubte man sowohl in den Instituten der Kreisausschüsse und in höherer Instanz der neben den Bezirksregierungen gebildeten Verwaltungsgerichte, als auch darin zu finden, daß man für das Verfahren dieser Behörden bei Entscheidung über Beschwerden wegen polizeilicher Zwangsverfügungen, sowie in anderen Verwaltungssachen, die , sei es durch Beschwerde, sei es durch das Hervortreten divergierender Interessen mehrerer Beteiligter, den Charakter von »streitigen« anzunehmen, bestimmte Formen, insbesondere öffentlich-mündliche kontradiktatorische Verhandlung vorschrieb. Hieraus hat sich später das Institut der Verwaltungsgerichtsbarkeit herausgebildet, wie denn überhaupt die in der Kreisordnung vorhandenen Ansätze im weiteren Verlauf der Reformgesetzgebung zu einer Umgestaltung der allgemeinen Landesverwaltung geführt haben, welche mehrfach über die Grenzen des ursprünglich Beabsichtigten hinausging. 313 Der Kreisausschuß war der eigentliche Verwalter der Kreiskommunalangelegenheiten. Als Hilfsorgan des Kreistages bereitete er Beschlüsse desselben vor und führte sie dann auch aus. Er hatte die laufenden Kommunalangelegenheiten des Kreises nach Maßgabe der Gesetze und der Beschlüsse des Kreistages zu verwalten. Der Kreisausschuß selbst hatte allerdings keinen Einfluß auf die Gestaltung der Tagesordnung, diese wurde im Wesentlichen vom Landrat bestimmt. 314 Im gewissen Sinne war der Kreisausschuß auch staatliches Organ, indem er nämlich die ihm per Gesetz übertragenen, bzw. noch zu übertragenden Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung ausführte. 315 313 Vgl. Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 215 f. 314 Vgl. zu den Aufgaben und der Funktionsweise des Kreistages, des Kreisausschusses und des Landrates u.a. Stier-Somlo, Fritz: Handbuch der kommunalen Verfassungsrechts in Preußen. Systematisch für Wissenschaft und Praxis dargestellt. Mannheim, Berlin, Leipzig 1928. S. 543-574 315 Vgl. Kreisordnung vom 13.12.1872, § 134 (5). In: Altmann, Wilhelm: Ausgewählte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. II. Teil. 19. Jahrhundert. Berlin 1897. S. 209-257. 99 100 5 Schlußbemerkungen 5.1 Warum scheiterte die Kreisreform in den 60er Jahren? „Die Konfliktsituation während der 60er Jahre verdeutlichte, daß gewonnene Wahlen und das Insistieren auf angeblich eindeutigen oder schlicht »logischen« Rechtspositionen nicht ausreichten, um von Krone und Regierung die Preisgabe für unverzichtbar erachteter, jedenfalls für unaufgebbar erklärter Machtpositionen erzwingen zu können.“ 316 Trotz der überwältigenden Mehrheit im Abgeordnetenhaus nach den Wahlen im Herbst 1858 setzten sich die liberalen Ideen nicht in Preußen durch. In gewisser Weise wurde durch die zögerliche Haltung der liberalen Fraktion im Abgeordnetenhause unter Georg von Vincke eine Reihe von Gesetzentwürfen nicht realisiert. Die Vorstellung, daß sich liberaler Fortschritt quasi naturgesetzlich durchsetzen müsse, erwies sich in der Realität des politischen Alltags als irrig. Über diese zögerliche Politik kam es zunehmend innerhalb der liberalen Fraktion zu Zerwürfnissen und schließlich zu Separationen. 317 Andererseits war aber auch die radikalere Politik der Fortschrittspartei nicht geeignet, Reformen bei der Regierung und beim Regenten durchzusetzen. Außerdem war laut Verfassung auch die Zustimmung beider Kammern des Landtages notwendig und somit ein Ausgleich der unterschiedlichsten Interessen erforderlich. Maximalforderungen waren keineswegs durchsetzbar. Seitens der Staatsregierung war man der Meinung, daß das Ministerium freiwillig das tun wolle, was förderlich für das Vaterland und das Königshaus sei. Es wurde nicht gesehen, daß die liberale Bewegung mehr als nur das wollte und deshalb die Forderungen nach weitergehenden Reformen mehr und mehr laut wurden. In jedem neuen vorgebrachten Verlangen sah die Regierung und mit ihr auch Schwerin eine Form der Undankbarkeit gegenüber der Tätigkeit des Staatsministeriums und des Regenten und „einen kräftigen Versuch die Regierung forttreiben zu wollen.“ 318 Schwerin und das übrige Ministerium der »Neuen Ära« hatten viel für die Wiederherstellung der 316 Grünthal, Günther: Grundlagen konstitutionellen Regiments in Preußen 1848-1867. Zum Verhältnis von Regierung, Bürokratie und Parlament zwischen Revolution und Reichsgründung. In: Ritter, Gerhard A. [Hrsg.]: Regierung, Bürokratie und Parlament in Preußen und Deutschland von 1848 bis zur Gegenwart. Düsseldorf 1983. S. 43. 317 Vgl. hier v.a. Conrad, Horst; Haunfelder, Bernd [Hrsg.]: Preußische Parlamentarier. Ein Photoalbum 1859-1867. Düsseldorf 1986. Die zunehmende Zersplitterung der Liberalen wird an Hand des Nachlasses von Bockum-Dolffs in dieser Arbeit recht überzeugend dargestellt. 318 Schmidt-Weißenfels, E.: Preußische Landtagsmänner. Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte in Preußen. Breslau 1862. S. 175. 101 Rechtsgrundlagen, die in der Reaktionsära vielfach unterhöhlt worden waren, aber relativ wenig zur Erfüllung des Breslauer Programms der Liberalen getan, deren Repräsentanten sie doch sein wollten. 319 Hierin liegen wesentliche Ursachen für das Auseinanderdriften von Liberalen im Abgeordnetenhaus und der Regierung, was letztlich zu deren Scheitern führte. Die Demokratenfurcht von 1848 ließ Schwerin und auch viele seiner Mitstreiter übersehen, daß sich die Demokratie seit 1848 entscheidend gewandelt und mit der Fortschrittspartei ihre Protagonisten im Abgeordnetenhaus gefunden hatte. „Während Graf Schwerin es erleben mußte, daß der Landrat seines eigenen Kreises 1858 in einem offenen Schreiben vor seiner Wahl zum Abgeordneten warnte, nahm er seinerseits als Minister keinen Anstand, einen Kreuzzeitungsmann zum Abgeordneten zu empfehlen, um nur keinen Demokraten mehr durchkommen zu sehen.“ 320 Für das Verständnis von Demokratie in der postrevolutionären Zeit, das auch Schwerin teilte, ist die Einschätzung bezeichnend, die Gadebusch, ein Wahlmann des Usedomer Kreises aus Swinemünde, in einem Artikel in der Hinsicht äußerte, daß die „Bestrebungen der Demokratie nicht gegen die Mißbräuche und die Thyrannei, sondern gegen das Eigentum, das Vermögen, das Talent und gegen die Freiheit selbst gerichtet sind, daß die soziale Frage von den Demokraten oder Republikanern nur als Deckmantel ihrer ergeizigen und verbrecherischen Absichten benutzt wird.“ 321 Eine weitere wesentliche Ursache für das Scheitern der Schwerin’schen Entwürfe für eine neue Kreisordnung lag in der Person des Königs Wilhelm I. und dessen Stellung 319 Das „Schlesische Wahlprogramm“, das 1858 in Breslau verabschiedet wurde, stellte das weithin akzeptierte Programm der vereinigten liberalen Fraktionen dar. Vgl. Haupts, Leo: Die liberale Regierung in Preußen in der Zeit der „Neuen Ära“. Zur Geschichte des preußischen Konstitutionalismus. In: Historische Zeitschrift 227(1978). S. 75. Die neun aufgestellten Forderungen erreichten einen breiten liberalen Konsens: Sicherstellung der Freiheit der Wahlen, Umbildung der Provinzial- und Kreisverfassung, der Gemeinde- und Städteordnung im Sinne freier Selbstverwaltung, Aufhebung der gutsherrlichen Polizei, Beseitigung der bisher bestehenden Befreiung von der Grundsteuer, Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit, Revision des Preßgesetzes gegen die bisherige Anwendung der Gewerbeordnung von 1845, Erlaß eines Unterrichtsgesetzes, Ausführung des Artikels 12 der Verfassung sowie Revision der Gesetzgebung über die Zulässigkeit des Rechtsweges. Vgl. Die Legislaturperiode des Hauses der Abgeordneten 1859-1861. Ein Rechenschaftsbericht. In: Preußische Jahrbücher 8(1861). S. 316. 320 Schmidt-Weißenfels, E.: Preußische Landtagsmänner. Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte in Preußen. Breslau 1862. S. 176. Genauso verfuhr Graf von Schwerin-Putzar 1860, als er den Leuten von Anklam zu wissen gab, daß, wenn sie dem Herrn Schulze-Delitzsch ihre Stimme gäben, er daran zweifeln müßte, ob er selbst überhaupt noch ihr Vertrauen besäße. Dieser »Terrorismus des guten Herzens« versuchte seine Wähler unter Druck zu setzen. Vgl. Wagener, Herrmann [Hrsg.]: Neues Conversations-Lexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon. 18. Band. Beitrag zu Maximilian Heinrich Graf von Schwerin-Putzar. Berlin 1865. S. 679. 321 Hier wird die das gesamte Jahrhundert hindurch anhaltende Revolutionsangst des Bürgertums außerordentlich deutlich. Gadebusch, Wilhelm Ferdinand: Wie Graf Max von Schwerin-Putzar zum ersten Abgeordneten für Anklam gewählt wurde. In: Heimatskalender für den Kreis Anklam. Hrsg. von Max Sander. 7(1912), S. 68. 102 zum Ministerium. Graf von Schwerin-Putzar und die Mehrheit der liberalen Minister sahen ihr Ideal in einer konstitutionell-parlamentarischen Regierung und glaubten sich durch die liberale Mehrheit im Abgeordnetenhaus gestützt. Hier traten sie jedoch in einen Widerspruch zu ihrem königlichen Herren, wie dies auch in seiner Ansprache vor dem Staatsministerium von 1858 schon zum Ausdruck kam. 322 Dieser Gegensatz trat zum ersten Mal sehr deutlich in der Huldigungsfrage im Sommer 1861 zum Vorschein; der Konflikt wurde derzeit nur vermieden, weil der König die Krönung wählte. In der Quintessenz liefen die Krönungsfeierlichkeiten auf die These vom Gottesgnadentum der preußischen Monarchie hinaus, die eine konsequentere Durchsetzung konstitutioneller Ziele nicht dulden konnte. 323 Im Vergleich zur erfolgreich vollbrachten Grundsteuerreform stand der König mit seiner Autorität nicht voll hinter der neuen Kreisordnung, ja in manchen Punkten gingen ihm die Intentionen seines Ministers des Innern und der Mehrheit des Staatsministeriums einfach zu weit, und er bremste sogar die Reform. Dies beweisen seine mehrfachen Marginalien auf Berichten der Staatsregierung zur Kreisordnung, womit er die Einbringung einer Vorlage ins Abgeordnetenhaus und die Kreisordnung insgesamt hinausschieben konnte. Die Person des Königs, mit der ganzen Autorität des Königshauses, spielte in dieser Phase des parlamentarischen und innerministeriellen Kampfes eine sehr große Rolle. Die Macht und das Ansehen des Königshauses war im Preußen der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts, gestützt auf Heer und Bürokratie, aber auch auf weite Teile der Bevölkerung, ungebrochen. Die Stellung des König war von entscheidendem Gewicht für die Beurteilung der inneren Lage. 324 Zwar war ihm das höchst renitente Herrenhaus in seiner dauernden Verweigerungshaltung gegenüber Reformprojekten suspekt, in der Frage einer Kreisreform trafen sich aber weitgehend die Vorstellungen desselben mit denen des Königs. 325 Wie oben schon einmal erwähnt, wollte der König auf keinen Fall eine Abschaffung der ständischen Gliederung der Gesellschaft, sondern nur eine Besserung bestehender Mißstände. In der Frage der Kreisordnung kam es zunehmend zu einer Verschärfung des Verhältnisses zwischen König und Regierung und erlebte einen vorläufigen Höhepunkt mit der Vorlage der 322 Vgl. FN 164. Vgl. Conrad, Horst; Haunfelder, Bernd [Hrsg.]: Preußische Parlamentarier. Ein Photoalbum 18591867. Düsseldorf 1986. S. 19 f. 324 Max Duncker schrieb an den Leiter der liberalen Regierung in Baden Franz von Roggenbach am 4. Juli 1861: „Das Königtum gibt und wird auch in Zukunft die Entscheidung für die Seite geben, welcher es sich zuwendet, ...“ zitiert nach Haupts, Leo: Die liberale Regierung in Preußen in der Zeit der „Neuen Ära“. Zur Geschichte des preußischen Konstitutionalismus. In: Historische Zeitschrift 227(1978). S. 82. 325 Vgl. Schreiben des Königs an Handelsminister von der Heydt vom 9.2.1862. siehe FN 249. 323 103 Regierung vom Februar 1861. „Die Krisis spitzte sich zu, als Anfang 1861 die neue Session begann, die nach dem Provisorium von 1860 die endgültige Lösung bringen sollte. Das Ministerium begnügte sich nicht allein mit der erneuten Vorlegung der im Vorjahr nicht erledigten Kreisordnung, sondern stellte in ganz parlamentarischer Weise an den Regenten die Vertrauensfrage.“ 326 Diese Denkschrift hatte den König in Inhalt und Form sehr erregt, wie die Marginalien auf dieser belegen, jedoch verzichtete der König auf eine Antwort. Am 28. Februar erteilte er seine Ermächtigung zur Vorlage, die er noch am 23. verweigert hatte. Nach Fritz Hartung setzte nun der Kampf des Militärs gegen die Regierung ein, was seinen sichtbaren Ausdruck in der nachträglichen Verweigerung der Vollziehung des Protokolls der Konzilssitzung vom 28. Februar 1861 und dem Befehl, die Kreisordnung zu verschieben, fand. 327 Die Militärkaste hatte in Preußen einen wesentlichen Einfluß behalten, stand allen liberalen Neuerungen ablehnend gegenüber und hatte in Roon einen ihrer Protagonisten in der Regierung. Auf den Staatsratssitzungen widersetzte sich dieser oftmals den Reformbestrebungen seiner liberalen Kollegen, wobei er häufig vom Handelsminister von der Heydt unterstützt wurde. Ein weiter Grund für das Scheitern lag auch in der Person des Grafen von SchwerinPutzar selbst. Er war kein schöpferischer Geist, der wie Stein den inneren Verhältnissen eine neue Ordnung geben und Visionen entwickeln konnte. 328 Er betrachtete sich zwar gern als Fortsetzer der Ideen der großen Reformer in Gesetzgebung und Landesverwaltung, was er auch oft verkündet hat, war jedoch den Anforderungen an eine solche Aufgabe nicht gewachsen. 329 Überall traten bei Schwerin ideale Auffassungen hervor und diese versuchte er auch in der politischen Realität umzusetzen. „Der Graf hat sich den Ruf eines billig denkenden, biedern Edelmanns erworben, der, von der Aufrichtigkeit seiner Wohlmeinendheit überzeugt, aller Welt dieselbe Bravheit und Biederkeit der Gesinnung zutraut und von ihr die gleiche Billigkeit in ihren Entschlüssen und Handlungen erwartet.“ 330 Am deutlichsten wurde dies in seiner schon 326 Hartung, Fritz: Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierung im konstitutionellen Preußen 1848-1918. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44(1932). S. 24. In einem Schreiben der gesamten Ministeriumsmitglieder (außer von Roon) vom 25.2.1861 wurde dem König die Demission angeboten. 327 Vgl. ebd. S. 25. 328 Vgl. Schwerin-Krosigk, Lutz Graf von: Der „rote“ Graf. Graf Max Schwerin-Putzar. Maschinenschriftlicher Vortrag. Ohne Datum. S. 6. 329 Vgl. Schwebel, Oskar: Die Herren und Grafen von Schwerin. Abschnitt XII. Graf Maximilian von Schwerin-Putzar. S. 374-399. Berlin 1865. S. 385. 330 Wagener, Herrmann [Hrsg.]: Neues Conversations-Lexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon. 18. Band. Beitrag zu Maximilian Heinrich Graf von Schwerin-Putzar. Berlin 1865. S. 677. 104 erwähnten Schrift an seine Wähler von 1858, wo er seine Auffassungen zu den unterschiedlichsten Problemen darlegte. Ihm fehlten Visionen, die Kraft und auch Brutalität, um diese dann durchzusetzen. Mit dem Vertrauen in die Gerechtigkeit, der schon fast an Starrheit grenzenden eigenen Rechtsphilosophie und der allgemeinen Haltung: »nur nichts um jeden Preis erzwingen«, mußte Graf von Schwerin-Putzar ebenso wie das Ministerium mit seinen Reformprojekten im Wesentlichen scheitern. Zumal sich nach einer anfänglichen Stagnation und Resignation die Konservativen festigten und den Widerstand gegen das Ministerium organisierten. Das Staatsministerium selbst vertrat kaum einmal eine einheitliche abgestimmte Linie, was hauptsächlich an einer fehlenden starken Führung durch den Ministerpräsidenten lag. Dieser hatte zu einer solchen Stellung auch gar keine verfassungsmäßige Grundlage und der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen war auch nicht die Persönlichkeit, eine solche mit der Überzeugungskraft seiner Person zu fordern und zu erreichen. 331 Mit dem Ausscheiden des Kriegsministers von Bonin und des Eintritts von Roons an dessen Stelle in das Ministerium gleich zu Beginn der »Neuen Ära« verlor jenes seine einheitliche politische Linie.Von Roon charakterisierte in einem Schreiben an Bernhardi einmal treffend die Schwäche des Ministeriums der »Neuen Ära«. „Dem Ministerium fehlt ein Haupt, das Einheit in die Sache und eine bestimmte Auslegung des Programms zu allgemeiner Geltung brächte. Ein Mann, der auch der höchsten Stelle gegenüber das einmal angenommene Programm aufrechtzuerhalten wüßte, der dem Lande imponierte und auch den übrigen Ministern gegenüber die Einheit herbeiführte ...“ 332 Gerade Roon und dazu noch von der Heydt traten den Reformprojekten der liberalen Minister im Staatsministerium oft genug ablehnend gegenüber. Ein starker liberal gesinnter Ministerpräsident hätte hier ein auch nach außen hin sichtbares einheitliches Vorgehen der Regierung sichern können. Die Preußischen Jahrbücher schrieben treffend über das gescheiterte Ministerium, daß dieses eine zu geringe positive Initiative gezeigt hätte. „Der Mangel an dieser Initiative hat es die Dinge aus der Hand verlieren lassen; seine Politik war mehr eine Politik des Freigebens und des Geschehenlassens als eine Politik der spontanen Thätigkeit. Es verstand überdies nicht, den langsamen Weg seiner inneren Politik durch eine entschlossenere auswärtige Politik zu decken. So war es nicht in der Lage, die Geister zu sammeln und zu führen, und die natürliche Folge war, daß 331 Vgl. Haupts, Leo: Die liberale Regierung in Preußen in der Zeit der „Neuen Ära“. Zur Geschichte des preußischen Konstitutionalismus. In: Historische Zeitschrift 227(1978). S. 83 f. 332 Kriegsminister von Roon an Theodor von Bernhardi in einem Schreiben vom 22.12.1861. In: Bernhardi, Theodor von: Aus dem Leben. Bd. 4. Berlin 1895. S. 173. 105 satt seiner die Parteien die Initiative ergriffen. Der Mangel eines leitenden Kopfes, eines die Zügel fest und sicher in die Hand nehmenden Geschäftsmannes an der Spitze, ließ frühzeitig eine starke Reibung der Individualitäten innerhalb des Ministeriums hervortreten, welche sich durch den Rücktritt des Fürsten Hohenzollern und durch die Krankheit des Herrn von Auerswald zu offenem Antagonismus steigerte.“ 333 Dieser Einschätzung der Regierung läßt sich im Prinzip nichts hinzufügen. Nicht nur ihre Gegner, sondern auch die eigenen Jünger erkannten diese Schwäche des Ministeriums, die eine erfolgreichere Politik verhinderte. Mit der außenpolitischen Schwäche war die Tatsache gemeint, daß es die Regierung nicht verstanden hatte, die deutsche Frage im preußischen Sinn endgültig zu lösen bzw. überhaupt anzugehen. 334 Aber nicht nur in der obersten Etage der Regierung der »Neuen Ära« lief nicht alles entsprechend den Forderungen der Liberalen an die Regierung. Mit der Übernahme der Macht durch das Ministerium wurde es versäumt, konservativ gesonnene Beamten durch liberalere Beamte zu ersetzen. Nur in Einzelfällen konnte sich das neue Ministerium dazu durchringen, wie dies z.B. der Graf von Schwerin-Putzar im Fall des Landrates von Winter getan hatte. Als besonders offenkundiges Versäumnis war der fehlende Wechsel an der Spitze der Berliner Polizei anzusehen, deren „Vorsteher im Interesse der feudalen Partei seinen Posten hartnäckig behaupten zu müssen glaubte, ...“ 335 Erst ein politischer Skandal und entsprechende parlamentarische Debatten veranlaßten den Innenminister Graf von Schwerin dazu, die betreffenden Beamtem auszuwechseln. In Beziehung auf die Reform der bestehenden Kreisordnungen war es nicht sehr förderlich, daß vor allem in den östlichen Provinzen die konservativen Beamten in den Regierungen und die größtenteils konservativ eingestellten Oberpräsidenten in ihren Ämtern verblieben. Besonders hier, wo sich das Mißverhältnis zwischen bestehender Verfassung und gesellschaftlichen Realitäten am meisten fühlbar machte, gingen die Regierungen und Oberpräsidenten nicht von einem unbedingten Bedürfnis nach solch durchgreifenden Reformen in der organischen Gesetzgebung aus. Ganz im Gegensatz zu den staatlichen Instanzen in den einzelnen Provinzen urteilten die Provinziallandtage, welche neue Kreisordnungen geradezu forderten. 336 333 Politische Correspondenz, Berlin, 25. März 1862. In: Preußische Jahrbücher 9(1862). S. 358. Vgl. ebd. 335 ebd. 359. 336 Vgl. z.B. die Denkschrift des 16. Provinziallandtages der Provinz Preußen vom 8.12.1862. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Adh. 1. ohne Blattzählung. Das Gutachten der Provinziallandtage war durch die Staatsregierung angefordert worden und diese hatten nach 4 Punkten zu berichten. Vgl. FN 252 und 264. 334 106 Letztendlich war in meinen Augen die Form der parlamentarischen Arbeit in halbjährlichen Sessionen nicht dazu angetan, sonderlich viel Neues zu bewegen, zumal es sich z.B. bei der Kreisordnung um eine so umstrittene und tiefgreifende Reform handelte. Oftmals war die Zeit einfach zu kurz, um einen entsprechenden Entwurf in beiden Häusern endgültig durchzuberaten, da die beiden Häuser die Entwürfe vor einer Beratung im Plenum auch noch an entsprechende Kommissionen überwiesen. Sehr viele Gesetzentwürfe mußten in der neuen Session wiederholt eingebracht werden, wenn die Session vor Abschluß der Beratungen beendet wurde. Dabei begann der Gesetzgebungsvorgang jedesmal von Neuem. Eingedenk dieser Verfassungsgegebenheit wurde z.B. im Herbst 1872 die Session der beiden Häuser verlängert, um die bis dahin erreichten Ergebnisse zu sichern. 337 Für die Kreisordnungsentwürfe von 1860 bzw. 1862 bedeutete diese Bestimmung das Aus, da die Widerstände zu groß und der Druck der Regierung zu gering war, um sie in dieser Zeit durchzubringen. 338 Die Frage, ob die Reformentwürfe unter Schwerin eine Alternative zu den bis dato gültigen Gesetzen auf Kreisebene gewesen wären, ist eindeutig positiv zu beantworten. Auch wenn die Bedürfnisfrage vor allem von den Konservativen auf das heftigste bestritten wurde, muß konstatiert werden, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse den gesetzlichen Realitäten weit enteilt waren. Vor allem im Vertretungsverhältnis manifestierte sich die Rückschrittlichkeit der bestehenden Gesetze. Besonders die Städte hatten auf den Kreistagen eine ungenügende Vertretung, die ihrem tatsächlichen Einfluß in der Gesellschaft und ihrem materiellen Beitrag in keiner Weise entsprach. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch der Werdegang der beiden Referenten, die unter Graf von Schwerin-Putzar für die Kreisordnung verantwortlich waren. Der Geheime Regierungsrat Leopold von Winter war nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst lange Jahre Oberbürgermeister von Danzig, während der Regierungsrat Arthur Hobrecht zuerst Bürgermeister von Breslau und 1872 Oberbürgermeister von Berlin wurde. Die Städte der damaligen Zeit waren eindeutig die Hauptträger des Liberalismus und folgerichtig nach dem Ende der »Neuen Ära« auch die neue politische Heimstatt der beiden liberal gesonnenen Referenten des 337 Vgl. Schmitz, Paul: Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. Phil. Diss. Berlin 1910. S. 64 f. 338 Bei den beiden eingebrachten Gesetzentwürfen standen nur ca. 2 Monate zur Verfügung; 1860 - nur vom 21. März bis 23. Mai; 1862 - vom 23. Januar bis 11. März. Diese kurze Zeit konnte bei der Problematik des Sachverhalts keinesfalls ausreichen. 107 Ministeriums Schwerin. Andererseits blieb der konservativ gesonnene von Wolff im Staatsdienst und stieg hier bis zum Oberpräsidenten auf. Es würde zu kurz greifen, wenn daraus die Schlußfolgerung gezogen würde, daß im Beamtentum nur konservativ eingestellte Personen verankert waren. Für gewisse politische Zeitabschnitte, wie z.B. die Reaktionsära unter Manteuffel oder die Zeit unmittelbar nach der »Neuen Ära«, kann man dies m.E. auf jeden Fall konstatieren. Die Städte waren im 19. Jahrhundert die Hauptträger der liberalen Bewegung; mit den Städteordnungen war die kommunale Selbstverwaltung auch am weitesten innerhalb der preußischen Monarchie entwickelt. Und „ ... schließlich bezog der Liberalismus in dieser Zeitspanne seine wirksamste Unterstützung zum größten Teil aus den Ratskollegien großer und kleinerer Städte überall in Deutschland, und diese Kollegien repräsentierten Andere in der Landwirtschaft Beschäftigte 11% 14% Rittergutsbesitzer 2% Verschieden Berufe oder unbekannt 5% Geschäftsleute, Rentiers Beamte in der Verwaltung die wirtschaftliche Elite der jeweiligen Stadt.“ 339 Ungeachtet 13% oft der bedeutenden Rolle, die die Wirtschaftsspitzen Schriftsteller, Redakteure Ärzte und sonstige Akademiker 1% 5% Rechtsanwälte 28% Beamte in Justiz in vielen Regionen zu spielen begannen, bezog der Liberalismus 6% Professoren 4% Beamte im Ruhestand 6% 5% Beamte in Kommunen Abbildung 6: Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus nach der Wahl vom Mai 1862. seine Wortführer weiterhin aus der Gruppe der Intellektuellen. Schlagendstes Beispiel dafür war das preußische Abgeordnetenhaus von 1862, in dem das Übergewicht der Gebildeten so deutlich wie in keinem anderen deutschen Parlament war. 340 Jedoch war der politische Einfluß der Städte und des Wirtschaftsbürgertums noch lange nicht so stark, daß die entsprechenden Reformgesetze durchgesetzt werden konnten. 5.2 Ausblick Die in Preußen „geschaffene organisatorische Verbundenheit von gewählten Repräsentanten der Bürgerschaft mit einem vom Staat bestellten Organwalter widersprach der Vorstellung von kommunaler Selbstverwaltung derjenigen Zeitgenossen, die Staat und Gesellschaft begrifflich als antagonistische Begriffe voneinander trennten und dabei die gemeindliche Selbstverwaltung als eine gesellschaftliche Einrichtung und Ordnung ver339 Sheehan, James J.: Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg 1770-1914. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Siber. München 1983. S. 97. 340 Vgl. ebd. Tabelle 6.1. S. 99. 108 standen, die demnach auch organisatorisch wie funktional Unabhängigkeit vom Staat genießen mußte, um sich nach ihrem Wesen und ihrem Zweck entfalten zu können.“ 341 Dieses Sinnverständnis der Selbstverwaltung wurde im Zeitalter des Vormärz, von Süddeutschland ausgehend, politisch vor allem vom liberal gesonnenen Bürgertum in den Städten vertreten. Ihm schien die »Beimischung« demokratischer Elemente in der Selbstverwaltung der Kommunen mit den übrigen organischen Staatseinrichtungen unerträglich zu sein. Die für ursprünglich gehaltene Gemeinde sollte deshalb »Freiheit vom Staat« besitzen, woraus sich konsequent auch eine Trennung der finanziellen Haushalte ergab. Um 1835 hatten sich die Wirkungen des industriell-technischen Prozesses immer stärker auf die politischen und sozialen Verhältnisse auszuwirken begonnen. Dies führte zwangsläufig zu einer funktionalen Kooperation der verschiedenen Verwaltungsträger, im Sozial-, Bildungs- und Verkehrswesen. Die Kraft des Faktischen schwächte die Bedeutung der unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Staat und Kommunen zunehmend ab, so daß die kommunale Selbstverwaltung die politische Entwicklung im Kaiserreich in erheblichen Maße prägte. Ihre Hauptverwaltungsbeamten, Bürgermeister und Landräte, spielten in Staat und Gesellschaft eine maßgebende Rolle. 342 Daß im Kampf um die Kreisordnung die konservative Partei in offenen Konflikt mit der Regierung geriet und 1872 eine schwere parlamentarische Niederlage einstecken mußte, nährte bei den Liberalen die Hoffnung, ihre eigene Machtstellung festigen zu können. Das trug viel dazu bei, daß sie sich über den wirklichen Gewinn ebenso täuschten wie die stockkonservativen Junker, die schon das Gespenst der Republik und der sozialen Revolution am Horizont heraufziehen sahen. „Von den neuen Institutionen war besonders der Kreisausschuß ein echter Erfolg des liberalen Reformstrebens, als Träger einer erheblich vermehrten Dezentralisation und Selbstverwaltung, als Aufsichtsinstanz gegenüber den Ortsgemeinden und als Verwaltungsgericht.“ 343 Aber der alte ständische Charakter der ostelbischen Kreise war nicht endgültig beseitigt. Namentlich zeigte der Kreistag eine, wenn auch modernisierte Form der ständischen Zusammensetzung. Vor allem war nach wie vor der Einfluß des Staates in den Kreisen nicht unerheblich. In den Landkreisen war der Landrat, anders als der Bürgermeister in den Städten, der 341 Unruh, Georg-Christoph von: Kommunale Selbstverwaltung 1833 und 1983. Göttingen 1989. S.13 f. Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Kommunale Selbstverwaltung 1833 und 1983. Göttingen 1989. S. 13 f. 343 Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 554. 342 109 Vorsitzende des Kreistages und des Kreisausschusses und er hatte im Allgemeinen die unumstrittene Führung behauptet. Der Landrat war und blieb die zentrale Figur in der Verwaltung des Kreises. Da er durch den Kreistag präsentiert wurde und auch im Kreis ansässig war, vertrat er im Wesentlichen die Interessen des Kreises. Jedoch war er ebenfalls der Regierung verpflichtet, denn er waren ja gleichzeitig Vertreter von Kommunal- und Staatsinteressen. Mit der Disziplinarordnung von 1852 hatte der Staat auch das Mittel in der Hand, seine Interessen notfalls mit Gewalt zu wahren. 344 Mit der Novellierung der Kreisordnung von 1881 wurde der Landratsposten immer mehr zu einer Sprosse auf der Karriereleiter in der Verwaltung. Ein Beamter konnte nun nur dann zu leitenden Staatsstellungen aufsteigen, wenn er vorher den Posten des Landrates für eine bestimmte Zeit innegehabt hatte. Das zeigt aber auch, daß in dieser Position Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Verwaltungsarbeit erworben werden konnten und auch wurden. „Der einzige bescheidene Erfolg einer politischen Bauernbefreiung in Ostelbien, nachdem die wirtschaftlich-soziale mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor mit den SteinHardenberg’schen Reformen begonnen hatte, war die freie Wahl der dörflichen Schulzen und Schöffen. Aber neben den Bauerndörfern blieben die Rittergüter als Kommunal- und Ortspolizeibezirke selbständig.“ 345 Bis zu diesem zugegebenermaßen bescheidenen Erfolg war die Landbevölkerung in den östlichen Provinzen den gutsobrigkeitlichen Polizei- und Aufsichtsrechten einer kleinen Zahl von Rittergutsbesitzern unterworfen, obwohl seit der Stein’schen Gesetzgebung Personen, Grundeigentum und Gewerbe von den feudalen Fesseln befreit und die persönlichen und dinglichen Beschränkungen der Bauern beseitigt waren. Insbesondere in den Vertretungen der Kreise und Provinzen besaßen die Rittergutsbesitzer ein politisches Übergewicht, „das ihren Leistungen und Pflichten für jene communalen Verbände, häufig selbst mit dem Umfange ihres Besitzthums, im größten Mißverhältniß“ stand. 346 Die preußische Verwaltungsreform der Bismarckzeit erfaßte zwar wichtige Teilbereiche, ließ aber in anderen Bereichen älteres Recht fortbestehen. Am weitesten 344 Als Beispiel dafür können die sogenannten Kanalrebellen dienen, die als Abgeordnete im Landtag 1893 gegen den Bau des Mittellandkanals votierten, weil dies den Interessen ihrer Kreise widersprach. Daraufhin wurden sie suspendiert. Vgl. Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. IV. Struktur und Krisen des Kaiserreichs. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1982. S. 1098 ff. 345 Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950. S. 555. 346 Vgl. Die Legislaturperiode des Hauses der Abgeordneten 1859-1861. Ein Rechenschaftsbericht. In: Preußische Jahrbücher 8(1861). S. 354. 110 ging die Reform hinsichtlich der Kreis- und Provinzialordnungen, die nur die Provinz Posen aussparte. 347 Das Wesen der Selbstverwaltung wurde in der Kreisordnung von 1872 weniger als eine Freiheit kommunaler Verbände sondern als ein Unterbau von Staat und Gesellschaft verstanden, um beide zu einer Einheit zu verschmelzen. Mit der Verabschiedung wurde nicht nur eine Dezentralisation der Verwaltung mit der Übertragung von Verantwortung für die Erledigung von Staatsaufgaben erreicht, sondern zugleich mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit das rechtsstaatliche Prinzip vollendet, da nun Verwaltungsakte justiziabel wurden. In Form der Kreisausschüsse wurde eine erste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen und damit die absolute Willkür von Entscheidungen, wenn nicht ausgeschlossen, so doch wenigstens eingeschränkt. Die Grundlagen der Preußischen Verwaltung standen nach der Kreisreform von 1872 im Einklang mit den Forderungen eines modernen Staates und nach Begründung der obrigkeitlichen Selbstverwaltung für das platte Land und einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit Rechtsstaates. insbesondere mit den Forderungen eines Verfassungs- und 348 Die Kreisordnung von 1872 und die Nachfolgeordnungen haben einiges zur Überwindung des Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft beigetragen, wie es auch Gneist plante. Die Bereitschaft der Bürger zur Mitwirkung im öffentlichen Dienst wuchs in dem Maße, in dem das Ansehen der Landräte, der Kreisdeputierten und der Mitglieder des Kreisausschusses wuchs und Erfolge der Selbstverwaltung in Strukturverbesserungen sichtbar wurden. Letzteres zeigte sich insbesondere in der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, was wiederum zur Steigerung des Güteraustausches und der Produktion führte. Nicht unerheblich zur Verminderung der oben erwähnten Gegensätze trugen die Anstrengungen auf dem Gebiet der Sozialfürsorge bei. 349 Nicht unerwähnt bleiben darf die Tatsache, daß auch mit der Kreisordnung von 1872 nicht alle Staatsangehörigen einbezogen waren. Durch den Zensus im Wahlmodus 347 Vgl. Rüfner, Wolfgang: Kommunale Selbstverwaltung. In: Jeserich, Kurt G.A./ Unruh, Georg-Christoph von und Pohl, Hans [Hrsg.]: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 3. Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie. Stuttgart 1984. S. 691. 348 Vgl. Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 274. 349 Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Die Bedeutung der preußischen Kreisordnung von 1872. In: Jeserich, Kurt G. A.; Pohl, Hans; Unruh, Georg-Christoph [Hrsg.]: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 3. Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie. Stuttgart 1984. S. 103 f. 111 waren von vornherein bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer Teilnahme an der Selbstverwaltung ausgeschlossen. Der stark gestiegene Bildungsstand, auch in der ländlichen Bevölkerung, führte dazu, daß die wahre Demokratie in den Gemeinden gesehen wurde und starke politische Kräfte für eine weitgehende Unabhängigkeit der Gemeinden eintraten. 350 Die Kreisordnung ging zwar in dieser Hinsicht weiter als die bisher bestehenden, blieb aber in dieser Fassung schon hinter den gegebenen Umständen zurück. Die Möglichkeiten, die der Kreis als Kommunalverband hatte, formulierte Graf Eulenburg bei der Generaldebatte zur Kreisordnung im Herrenhaus am 22. Oktober 1872. „Es steckt in der Abgrenzung unserer Kreise, in der Art, wie die Kreiseingesessenen miteinander in Berührung kommen, in der Gemeinschaftlichkeit ihres Wirkens, in der gemeinschaftlichen patriotischen Aufopferung, die sie oft im Fall gewesen sind, an den Tag legen zu müssen, ein Bindemittel, welches die Kreiskorporationen zu ausgezeichneten Leistungen befähigt, und zwar zu viel größeren und nachhaltigeren, als sie ihnen bisher zugemutet worden sind.“ 351 Auch wenn die Kreisordnung nicht alle Erwartungen erfüllen konnte, war sie doch mit einigen Modifizierungen bis zur Außerkraftsetzung der kommunalen Gesetzgebung im Jahre 1933 in Kraft. Die Vorstellung vom Heimatkreis war in den östlichen Provinzen zweifellos sehr viel stärker ausgeprägt als in den westlichen, doch auch dort läßt sich anhand der Wahlbeteiligung bei den Kreiswahlen ein wachsendes kommunales Interesse feststellen. 352 Die Lösung des Widerspruchs zwischen der Tendenz der Monopolisierung der Macht in der Hand des Staates und der Tendenz zur Individualisierung war eines der Hauptprobleme bei der Reform der Kommunalordnung im 19. Jahrhundert. Die Reformzeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird als eine entscheidende Etappe zu verstehen sein, „auf der sich der Differenzierungs- und Transformationsprozeß historisch konkret vollzog. Was sich einerseits als abstrakter Evolutionsprozeß beschreiben läßt, wurde andererseits zu jeder Zeit von bestimmten sozialen und Interessenkonstellationen erst geplant und 350 Vgl. Unruh, Georg Christoph von: Der Kreis im 19. Jahrhundert zwischen Staat und Gesellschaft. In: Croon, Helmuth; Hofmann, Wolfgang; Unruh, Georg-Christoph von [Hrsg.]: Kommunale Selbstverwaltung im Zeitalter der Industrialisierung. Stuttgart, Berlin u.a. 1971. S. 103 f. 351 Zitiert nach Stempel, Kurt von [Hrsg.]: Regionalreform und Kreisverfassung. Gedanken und Vorschläge des Preußischen Landkreistages zur kommunalen Verwaltungsreform. Berlin 1928. S. 1. 352 Vgl. Unruh, Georg-Christoph von: Der Kreis im 19. Jahrhundert zwischen Staat und Gesellschaft. In: Croon, Helmuth; Hofmann, Wolfgang; Unruh, Georg-Christoph von [Hrsg.]: Kommunale Selbstverwaltung im Zeitalter der Industrialisierung. Stuttgart, Berlin u.a. 1971. S. 110. 112 durchgesetzt, von anderen bekämpft und aufzuhalten versucht. Auf sehr lange Sicht ist der Erfolg unübersehbar, wenn wir auf die Gegenwart unserer parlamentarisch-demokratischen Staaten blicken: mit dem Gewaltmonopol des Staates auf der einen Seite, der konkurrierende Herrschaftsträger dauerhaft ausschalten konnte, und der Abhängigkeit des Staates von der Gesellschaft, die sich im Staat repräsentiert und ihn so eigentlich erst konstituiert, auf der anderen. Ohne Kenntnis der Reformzeit ist die Entstehung dieser fundamentalen politisch-sozialen Konstellation, zu der eine Alternative bis heute nicht erkennbar ist, kaum verständlich.“ 353 Vor allem mit der Modifizierung der Kreisordnung von 1872 im Jahre 1881 wurde die Funktion des Landrates als die eines Staatsbeamten zementiert. Immer mehr wurde diese Stelle als Ausgangspunkt für eine Karriere im preußischen Staat. Mit den neuen Bestimmungen kamen die Landräte auch zunehmend außerhalb der Kreiseingesessenen und wurden oftmals vom König ohne Berücksichtigung der Vorschläge der Kreisversammlung ernannt. Damit löste sich die Funktion des Landrates von der ständischen Gliederung im Kreis und nahm im Prinzip die heute praktizierte Stellung ein, wobei die Aufgaben desselben doch sehr unterschiedliche geworden sind. Auch wenn der Landrat schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts ein vorwiegend staatlicher Beamter war, sah er sich in seinem Selbstverständnis zumindest bis in die Zeit der Reichsgründungszeit als Vertreter der Kreisstände und der Landschaft aus der er stammte, was sich auch in zum Teil abweichenden Meinungen zu denen der Staatsregierung dokumentiert. Für die untersuchte Zeit manifestiert sich dies z.B. in dem Streit um die Standschaft für jüdische Rittergutsbesitzer, wo sich ein Großteil der Landräte und auch der Beamten in den Regierungen auf einen von der Meinung der Regierung abweichenden Standpunkt stellte und solches im Verbund mit den alteingesessenen Rittergutsbesitzern ablehnte. Die Abhängigkeit der Landräte von der Regierung wird aber auch hier deutlich; selbst das liberale Ministerium der »Neuen Ära« maßregelte die so handelnden Beamten und erblickte in dieser Handlungsweise einen Akt der Illoyalität. Abschließend möchte ich behaupten, daß die Kämpfe um eine Kreisordnung in den einzelnen Phasen im 19. Jahrhundert bis heute die kommunalen Verhältnisse prägen. Der Geist der Reformer zu Beginn und der Liberalen in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts lebt in den heutigen Kreisen fort. Das Verständnis des Freiherrn vom Stein von 353 Vgl. Nolte, Paul: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800 - 1820. Frankfurt a.M. 1990. S. 17. 113 Selbstverwaltung als Freiheit im Staat wird heute auf kommunaler Ebene praktiziert, auch wenn heute noch so mancher Kommunalpolitiker die andere, damals vor allem in den westlichen Provinzen Preußens vorherrschenden Auffassung: Freiheit vom Staat, propagiert. „Die kommmunale Selbstverwaltung bedeutet nach dem Grundgesetz nichts anderes als die Vollendung des politischen Konzepts des Freiherrn vom Stein, der damit die Tätigkeit aller Staatsbürger bei der Staatsverwaltung in Anspruch nehmen wollte.“ 354 354 Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat. Berlin 1993. S. 272. 114 6 Anlagen 6.1 Anlage 1: Schema Kreisordnung 1825 355 Oberpräsident König Ernennung Dienstaufsicht Landrat Bezirksregierung Zustimmung zu Bechlüssen notwendig Die Abgeordneten des Bauernstandes können nur aus "wirklich im Dienste befindlichen Schulzen oder Dorfrichtern" Vorsitz Präsentationsrecht gewählt werden. Kreisversammlung 3 Vertreter Virilstimmen Rittergutsbesitzer Bauern Stimmen laut gesondertem Verzeichnis Städte Die städtischen Abgeordneten müssen "wirklich fungierende Magistratspersonen" sein. 355 Kreisordnung der Kur- und Neumark Brandenburg vom 17.8.1825. In: GSS 1825, 203-206. 115 6.2 Anlage 2: Schema Kreisordnung 1850 356 Vorsitzender König Wahl Teilnahme Provinzialversammlung ( -landtag) Provinz Oberpräsident Wahl von 4 Deputierten Regierungsbezirk Vorsitz Bezirksrat Reg.-Präsident Wahl auf 6 Jahre Kreis Landrat Öffentlichkeit der Sitzungen Teilnahme Vorsitz Wahl von 4 Deputierten Kreisversammlung Mindestens die Hälfte Grundbesitzer Kreisausschuß Wahl Gemeinde Vorsitzender 356 Wahl auf 6 Jahre Gemeinderat Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung für den Preußischen Staat vom 11.3.1850. In: GSS 1850, 251265. 116 6.3 Anlage 3: Schema Kreisordnung 1860 357 König Ernennun g Oberpräsident Wahlverbände Regierung Oberaufsicht Städte Landrat Vorsit z Wahl auf 6 Jahre Landgemeinden Kreistag Präsentation Vorsit z 4 Kreis-Deputierte - aus den wählbaren Kreisangehörigen mind. die Hälfte Kreisausschuß Großer Grundbesitz Kommissionen Vorsit z 357 Kreisordnungsentwurf von Graf von Schwerin-Putzar, dem Abgeordnetenhaus mittelst Allerhöchster Ermächtigung am 21.3.1860 vorgelegt. In: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. Bd. 3. Berlin 1860. N° 149. In der Systematik unterscheidet sich der Entwurf von 1862 nur unwesentlich von seinem Vorläufer. 117 6.4 Anlage 4: Schema Kreisordnung 1872 358 Preußischer König Einsetzung Reg.-Bezirk Reg.-Präsident Vereidigung Kreis Landrat Präsentationsrecht Kreistag Provinz Oberpräsident Bestätigung und Vereidigung der Gemeindevorsteher Amtsbezirk Amtsvorsteher Vorsitz Kreisausschuß Verwaltungsgericht Amtsausschuß Aus allen Gemeinden und Gutsbezirken Können aus Kreisverband ausscheiden, wenn mehr als 25.000 Einwohner Landgemeinde Gutsbezirk Gutsbesitzer Stadtgemeinden Drei Wahlverbände: großer Grundbesitz, Landgemeinden, Städte 358 Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen vom 13.12.1872. In: Altmann, Wilhelm: Ausgewählte Urkunden zu Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. II. Teil. 19. Jahrhundert. Berlin 1897. S. 209-257. 118 6.4 Anlage 5: Statistische Übersicht zur Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den sechs östlichen Provinzen 359 359 Nach den Statistischen Nachweisungen zum Entwurf von 1860 für die sechs östlichen Provinzen. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Bd. 7; sowie nach den Zahlen des Statistischen Büros, zusammengestellt von Dr. Schwabe. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Bd. 8 119 6.5 Anlage 6: Statistische Übersicht zur Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den beiden westlichen Provinzen 360 360 Anlagen zu den Berichten des Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 10.11.1860, 24.1.1861; des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen vom 26.11.1860, 9.1.1861. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Bd. 7 sowie Zahlen des Statistischen Büros, zusammengestellt von Dr. Schwabe. In: GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. 772, Bd. 8. 120 7 Quellenverzeichnis 7.1 Archivalische Quellen Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (GStA): 1. I. Hauptabteilung (HA), Rep. 77, Titel (Tit.) 183 d, N° 7. Angelegenheiten des Herrn Ministers Grafen von Schwerin. 2. I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 7. Die Entwerfung einer Kreisordnung und die kreisständische Verfassung des Staates überhaupt. 3. I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 8. 4. I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 9. 5. I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 10. 6. I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Bd. 11. 7. I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 1, Adh. 1. Die über den Entwurf der neuen Kreisordnung ad. Resc. vom 08.08.1862 eingegangenen Regierungs- und Oberpräsidialberichte. 8. I. HA, Rep. 77, Tit. 772, N° 11, Bd. 3. Die Einrichtung der Kreisständeverfassung des Preußischen Staates vom Erlaß der Kreisordnung vom 11.03.1850 ab und die Reaktivierung der früheren Kreistage. 9. I. HA, Rep. 77, Tit. 867, N° 2, Bd. 1. Acta betreffend den Antrag des Abgeordneten Grafen von Schwerin vom 9. Decmeber 1855 auf Untersuchung einer von Seiten der Regierung auf die Wahlen zum Hause der Abgeordneten geübten Einwirkung, und die hieran geknüpften Verhandlungen. 10.I. HA, Rep. 90, N° 2322, Bd. 1. Das politische Verhalten der Beamten, insbesondere als Mitglieder des Landtages und des Reichstages sowie die Annahme von Mandaten für die letzteren. Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam (BLHA): 1. Rep. 37, Herrschaft Boitzenburg, N° 4051. Gutachten Graf Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg über die Kreisverfassung, 1856. 2. Rep. 37, Herrschaft Boitzenburg, N° 4063. Entwürfe und Ausarbeitungen über die Kreisverfassung. 3. Rep. 37, Herrschaft Boitzenburg, N° 4064. Aufsatz über die Kreisordnung in Preußen, 1860. 4. Rep. 37, Herrschaft Boitzenburg, N° 4103. Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg als Abgeordneter der 1. Kammer. Enth. u.a. Schriftwechsel und Unterlagen zur Kreisordnung. 5. Rep. 37, Herrschaft Boitzenburg, N° 4121. Plenar- und Kommissionssitzungen des Herrenhauses. Enth. vorbereitenden organisatorischen Schriftwechsel, u.a. Schreiben von Arnim-Boitzenburg Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin (Uniarchiv Berlin): 1. Matrikel der Universität 15. Rektorat und 17. Rektorat. 2. Abgangszeugnisse Graf Maximilian von Schwerin vom 7.9.1825 und 4.3.1828. 121 7.2 Gedruckte Quellen 1. Altmann, Wilhelm: Ausgewählte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. II. Teil. 19. Jahrhundert. Berlin 1897. 2. Berner, Ernst [Hrsg.]: Kaiser Wilhelms des Großen Briefe, Reden und Schriften. 1. Band: 1797-1860. Berlin 1906. 3. Bernhardi, Theodor von: Aus dem Leben. Bd. 4. Die ersten Regierungsjahre Wilhelms I. Berlin 1895. 4. Botzenhart, Erich: Freiherr vom Stein. Aufzeichnungen. 2. Band. Berlin [1936]. Briefwechsel, Denkschriften und 5. Die Innere Politik der preußischen Regierung von 1862-1866. Sammlung der amtlichen Kundgebungen und halbamtlichen Äußerungen. Berlin 1866. 6. 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Berlin 1860. 122 20.Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. 7. Legislaturperiode. 2. Session 1863. Berlin 1863. 21.Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Herrenhauses. Sitzungsperiode von 18611862. Nr. 1-20. Berlin 1862. 22.Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten. 2. Band. Berlin 1860. 23.Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten. 5. Band. Anlagen zu den Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten. Berlin 1860. 24.Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Herrenhaus. 1. Band. Berlin 1860. 25.Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 27. Dezember 1860 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Abgeordnetenhaus. 1. Band . Berlin 1861. 26.Verhandlungen der deutschen verfassunggebenden Reichsversammlung zu Frankfurt am Main. Hrsg. von der Redactions-Commission und in deren Auftrag durch K. D. Haßler. 3. Band, Protokolle der 181.-234. Sitzung. Frankfurt a.M. 1849. 123 8 Literaturverzeichnis 1. Bahne, Siegfried: Vor dem Konflikt. Die Altliberalen in der Regentschaftsperiode der „Neuen Ära“. In: Engelhardt, Ulrich; Sellin, Volker und Stuke, Horst [Hrsg.]: Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Stuttgart 1976. S. 154-196. (= Industrielle Welt, Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, Sonderband) 2. Becker, Erich: Einflüsse der englischen Lokalverwaltung auf die preußische Verwaltungsreform durch Rudolf von Gneist im Jahre 1872. In: ders.: Gemeindliche Selbstverwaltung in Deutschland. 1. Teil: Grundzüge der gemeindlichen Verfassungsgeschichte. Berlin 1941. 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Berlin 1932. 128 9 Verzeichnis der Abbildungen Bild auf Titel: Gollmert, Dr. L.: Wilhelm Grafen von Schwerin und Leonhard Grafen von Schwerin: Geschichte des Geschlechts von Schwerin. Wilhelm Gronau's Buchdruckerei, Berlin 1878 Abbildung 1: Porträt des Grafen Maximilian von Schwerin-Putzar ............................... 31 Abbildung 2: Anteil der einzelnen Stände an den Kreistagen der östlichen Provinzen nach der bisherigen Kreisverfassung ...............................................................................59 Abbildung 3: Verteilung der Kreistagsabgeordneten nach dem Entwurf der Regierung vom 21.3.1860 .................................................................................................................65 Abbildung 4: Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den westlichen Provinzen nach der bisherigen Verfassung ............................................................................................... 75 Abbildung 5: Verteilung der Kreistagsabgeordneten in den westlichen Provinzen nach dem Entwurf von 1861 ....................................................................................................75 Abbildung 6: Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus nach der Wahl vom Mai 1862. ....107