4. Vorlesung: Metalepsie II: Ludwig Tiecks Der Gestiefelte Kater I
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4. Vorlesung: Metalepsie II: Ludwig Tiecks Der Gestiefelte Kater I
4. Vorlesung: Metalepsie II: Ludwig Tiecks Der Gestiefelte Kater I. „Man soll nicht lachen!“ – Ein kurzer Blick auf die Zumutungen und die Misserfolgsgeschichte des romantischen Dramas II. Tiecks Gestiefelter Kater – Eine romantische Beobachtung aufgeklärter Romantikbeobachtung II.1 „Es kömmt ja kein Publikum in dem Stücke vor“ – Progressive Universalmetalepsie II.2 „Der Regenbogen B. III S. 43 umarmt nicht den Horizont, sondern (embrace) umspannt ihn“ – Tiecks Gestiefelter Kater als Ausweitung der literarischen Kampfzone II.3 Lob des Unsinns "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Es ist wirklich ein merkwürdiges Produkt für den Beobachter einer Geisteskrankheit. Man sieht das peinliche Streben, bei gänzlichem Mangel an Phantasie, aus allgemeinen Begriffen ein Kunstwerk hervorzubringen […] Man sieht, es war völliger Ernst, seine ganze Kraft aufzubieten, und doch hat das Ganze so etwas Possierliches, dass man oft versucht wird, es für eine Parodie zu halten […] In dem Stil ist es ein Gemisch von Schwulst und Gemeinheit. (Bode, W. (Hrsg.): Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen, Berlin/Weimar 1979, S. 220, Nr. 1165) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Fischer: Ohne Musik ist es abgeschmackt, denn, lieber Freund, über solche Kindereien, über solchen Aberglauben sind wir weg, die Aufklärung hat ihre gehörigen Früchte getragen. (5) Fischer: […] Ich muß wenigstens gestehn, dass ich nie an Hexen oder Gespenster habe glauben können, viel weniger an den gestiefelten Kater. Schlosser: Es ist das Zeitalter für diese Phantome nicht mehr. (6) Fischer: Aber wollen wir uns denn wirklich solch Zeug vorspielen lassen? Wir sind zwar aus Neugier hergekommen, aber wir haben doch Geschmack. (7) Leutner: Wir haben bezahlt, wir machen das Publikum aus, und darum wollen wir auch unsern eigenen guten Geschmack haben und keine Possen. (7) Die Kunstrichter (im Parterre): Der Kater spricht? – Was ist denn das? Fischer: Unmöglich kann ich so in eine vernünftige Illusion hineinkommen. (11) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Nathanael: Sein sie doch ja damit ruhig, denn sonst merkt es ja am Ende das Publikum da unten, dass es eben sehr unnatürlich ist. König: Schadet nichts, es hat vorher geklatscht und da kann ich ihm schon etwas bieten. Nathanael: Sehn Sie, es geschieht ja bloß dem Drama zu Gefallen, dass ich Ihre Sprache rede, denn sonst ist es allerdings unbegreiflich. König: Ah so! – Nun kommen Sie, Prinz, der Tisch ist gedeckt. (21) […] Fischer: Verfluchte Unnatürlichkeiten sind da in dem Stück! (ebd.) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Hanswurst: Jetzt rede ich ja aber zu Ihnen, als bloßer Schauspieler zu den Zuschauern. Schlosser: Leute, nun bin ich hin, ich bin verrückt. (43) […] Hanswurst: Der Vorhang war zu früh aufgezogen. Es war eine Privatunterredung, die gar nicht auf dem Theater vorgefallen wäre, wenn es zwischen den Kulissen nicht so abscheulich eng gewesen wäre. Sind Sie also illudiert gewesen, so ist es wahrlich umso schlimmer, sein Sie dann nur so gütig, dieser Täuschung aus sich wieder auszurotten […] (43f.) […] Hanswurst: Lassen Sie uns heut das miserable Stück zu Ende spielen, tun Sie, als merken Sie gar nicht wie schlecht es ist. (45) […] Fischer: Das Publikum? Es kömmt ja kein Publikum in dem Stücke vor. (49) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung KARL AUGUST BÖTTIGER (1760-1835) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Nachbar: Sehr hübsch, in der Tat hübsch; ein großer Mann, der Dichter, - hat die Zauberflöte gut nachgeahmt. Wiesener: Die Husaren gefielen mir besonders, es riskieren die leute selten, Pferde aufs Theater zu bringen, - und warum nicht? […] Ich mag lieber ein gutes Pferd sehn, als so manchen Menschen in den neueren Stücken. Nachbar: Im Kotzebue die Mohren, - ein Pferd ist am Ende nichts, als eine andere Art von Mohren. […] Leutner (zu Bötticher): Was sagen Sie zu dem allen? Bötticher: Ich habe nur immer noch das vortreffliche Spiel des Mannes im Kopfe, der den Kater darstellt. – Welches Studium! welche Feinheit! welche Beobachtung! welcher Anzug! Schlosser: Das ist wahr, er sieht natürlich aus, wie ein großer Kater. "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Bötticher: Und bemerken Sie nur seine ganze Maske, wie ich seinen Anzug lieber nennen möchte, denn da er so ganz sein natürliches Aussehn verstellt hat, so ist dieser Ausdruck weit passender. Gott segne mir doch auch bei der Gelegenheit die Alten! Sie wissen wahrscheinlich nicht, dass diese Alten alle Rollen ohne Ausnahme in Masken spielten, wie Sie im Athenäus, Pollux und andern finden werden. Es ist schwer, sehn Sie, das alles so genau zu wissen, weil man mitunter diese Bücher deswegen selber nachschlagen muss. Doch hat man dann nebenher den Vorteil, dass man sie anführen kann. Es ist eine schwierige Stelle im Pausanias, Fischer: Sie wollten so gut sein, von dem Kater zu sprechen. Bötticher: Ja so, - ich will auch alles Vorhergehende nur so nebenher gesagt haben, ich bitte Sie daher alle inständigst, es als eine Note anzusehn,- und, um wieder auf den Kater zu kommen:- haben Sie wohl bemerkt, dass es nicht einer von den schwarzen Katern ist? Nein, im Gegenteil, er ist fast ganz weiß und hat nur einige schwarze Flecke, das drückt seine Gutmütigkeit ganz vortrefflich aus, man sieht gleichsam den Gang des ganzen Stücks, alle Empfindungen, die es erregen soll, schon in diesem Pelze. Leutner: Das ist wahr. Fischer: Der Vorhang geht wieder auf! (24ff.) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Willkommen sey also dem Verfasser und brüderlich gegrüßt jeder Leser, jede Leserin dieser Scenen, deren wange von Schaam und Unmut erglühet, wenn sie die hier aufgestellten Schilderungen üppiger Grausamkeit und frecher Prunksucht lesen. (Böttiger, Karl August: Sabina oder Morgenscenen im Putzzimmer einer reichen Römerin, Leipzig 1803, S. XII) „Der Regenbogen B. III S. 43 umarmt nicht den Horizont, sondern (embrace) umspannt ihn.“ (Böttiger, Karl August: Rezension zu William Lovell [1795], hier zit. nach: Ludwig Tieck: William Lovell, Stuttgart 1980, S. 705) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Sein [Ifflands, G.K.] Spiel war fein und verständlich und empfahl sich den Gutmeinenden, die gern alles mit dem Verstande auffassen und erklären wollen, weil er von jeder Geberde, jedem Uebergange Rechenschaft zu geben wusste, und alles mithin Bedeutung und Vernunft zu haben schien. Als Iffland sich nun mit seinem wahren aber beschränkten Talent an das große und die Tragödie wagte, bewunderten ihn jene halb Philosophirenden auch hier, welche immer das scheinbare Verständniß der Poesie und Kunst höher achten, als Poesie und Kunst selbst, dagegen derjenige, der mit dem Sinn für diese hohen Dinge begabt ist, unmittelbar ergriffen wird und mit seinem ahndenden Gefühl weiter sieht und tiefer eindringt, als jene, die mehr Freude am Räsonniren haben, weil sie der Begeisterung und Entzückung nicht fähig sind. Diese von der Kunst Begeisterten ließen sich von Iffland niemals täuschen, wie sie von den künstlichen Erklärungen und Entwicklungen des Spiels dieses Meisters nicht hintergangen werden konnten, da sie das Bessere und Aechte gesehen hatten. (Tieck, Ludwig: Die Geschichtliche Entwicklung der neueren Bühne und Friedrich Ludwig Schroeder, in: ders.: Kritische Schriften, Bd. II, S. 313-374, hier: S. 345f.; Hervorh. GK) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung Kotzebue, der mit dem allgemeinsten Beifall gleich in seinem ersten Schauspiel war belohnt worden, verdarb durch süßliche, falsche Moral, durch weichliche, nichtsnutzige Charaktere, und dadurch dass er der Menge im Verzärteln aller ihrer Schwächen schmeichelte, die Sache noch mehr [als Iffland]. […] In dieser Situation kam mir und meinen Freunden ein Buch über die Darstellungen Ifflands in die Hände. Wir erstaunten, dass alle diese Kleinigkeiten, diese Nebensachen, die höchstens einen kleinen epigrammatischen Witz aussprechen konnten, so hoch angeschlagen, ja für das Wesen der Kunst ausgegeben wurden. Alle meine Erinnerungen, was ich zu verschiedenen Zeiten im Parterre, in den Logen, oder den Salons gehört hatte, erwachten wieder, und so entstand und ward in einigen heitern Stunden dieser Kater ausgeführt. Es kam mir nicht darauf an, irgend jemand durch Bitterkeit erniedrigen zu wollen, einen Satz eigensinnig durchzufechten, oder das Bessere nur anzupreisen, sondern das, was mir als das Alberne und Abgeschmackte erschien, wurde als solches mit all seinen Widersprüchen und lächerlichen Anmaßungen hingestellt, und an einem ebenso albernen, aber lustigen Kindermärchen deutlich gemacht. (zit. nach Ludwig Tieck: Phantasus, hrsg. von Manfred Frank, Frankfurt am Main, S. 1389f.) "Literatur der Romantik" (PD Dr. Gerhard Kaiser); 4. Vorlesung