Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Schmerzbehandlung von
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Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Schmerzbehandlung von
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE L. Hesse1, B. Monse2, R. Heinrich-Weltzien1 Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Schmerzbehandlung von philippinischen Grundschülern Utilization of oral health care services by public elementary school children in the Philippines Die Untersuchung bewertet das Inanspruchnahmeverhalten philippinischer Grundschüler, denen in einem schulzahnärztlichen Programm die Behandlung auf eigenen Wunsch („Treatment on Demand“) ermöglicht wurde. Nach 2-jähriger Laufzeit des Programms wurden 468 12-Jährige nach WHO-Standard [27] untersucht. Klinisch sichtbare Pulpaeröffnungen (P), Ulzerationen (U) der Zunge, Gingiva und Wange durch kariöse Zahnfragmente, Fistelbildungen (F) und Abszesse (A) wurden als dentogene Infektionen (PUFA) registriert. Die Kariesprävalenz betrug 67 %, der Kariesbefall 2,3 DMFT und der PUFA 0,6. 28 % der kariös betroffenen Schüler nahmen das Behandlungsangebot wahr. Bei 20 % der Schüler mit Karieserfahrung erfolgten Zahnextraktionen und bei 10 % eine Füllungstherapie; 2 % erhielten beide Behandlungsformen. Die Ergebnisse belegen, dass bei Schülern, die vom Angebot der Schmerzbehandlung durch Extraktionen Gebrauch machten, ein sehr hoher Karies- und Infektionsbefall vorlag, während Schüler, denen eine Füllungstherapie zuteil wurde, einen signifikant niedrigeren Kariesbefall und ausnahmslos keine Infektionen aufwiesen. Um in ressourcenarmen Settings eine dringend notwendige Schmerzbehandlung zu gewährleisten, sollte auf zeitaufwendige Reihenuntersuchungen zugunsten eines „Treatment on Demand“ verzichtet werden. Dies erfordert klare Behandlungsprioritäten, um Prinzipien zahnärztlicher Ethik gerecht zu werden. The study examines the utilization of oral health care services by public elementary school children in the Philippines. Treatment was only provided on demand. Program evaluation took place after two years, examining 468 12-year-old-children using WHO basic methods [27] and recoding dentogenic infections, such as open pulp (P), ulceration (U) in soft tissues caused by carious tooth fragments, fistula (F) and abscess (A). Caries prevalence was 67 %, caries experience was 2.3 DMFT and 0.6 PUFA. 28 % of students with caries experience seek for treatment, with 20 % receiving extractions, 10 % received restorative treatment and 2 % received extractions and restorations. The results reflect that children with highest caries experience and infection levels utilize access to tooth extractions, while children who received restorations had lower caries experience and no dental infections. In order to ensure access to oral urgent treatment for children suffering pain and infection in resource poor settings, “treatment on demand” without prior dental screening is appropriate. The approach is based on ethical principles of the dental profession and needs clear treatment guidelines and proper priority setting. Keywords: Oral health; pain relief; children; developing countries Schlüsselwörter: Mundgesundheit; Schmerzbehandlung; Kinder; Entwicklungsländer 1 Poliklinik fürPräventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde am Universitätsklinikum Jena, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Bachstr. 18, 07743 Jena Department of Education, Health and Nutrition Centre, City Division, Cagayan de Oro, Philippines DOI 10.3238/OPKZH.2010.0012 2 12 © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 Foto: R. Heinrich-Weltzien L. Hesse et al.: Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Schmerzbehandlung von philippinischen Grundschülern Utilization of oral health care services by public elementary school children in the Philippines Abbildung 1 Zahnärztliche Untersuchung der philippinischen Grundschüler auf dem Schulgelände. handlungen werden dann auf Grund limitierter Zeit und langfristig mangelnder Routine nicht durchgeführt. Kernstück des BPOC ist daher das nachfrageorientierte Angebot („Treatment on Demand“) einer Schmerzbehandlung, der die restaurative Therapie nachgeordnet ist. Das Konzept basiert auf dem Prinzip, dass subjektiv wahrgenommener Zahnschmerz und der daraus resultierende Behandlungswunsch des Patienten ein angepasstes patientenorientiertes Screeningverfahren darstellen. Ein Screening durch den Zahnarzt zur Feststellung des Behandlungsbedarfes ist explizit nicht vorgesehen. 2 Zielstellung Figure 1 Dental examination of Filipino elementary school children in the schoolyard. 1 Einleitung Während in den vergangenen 30 Jahren in den Industrienationen auf Grund der breiten Verfügbarkeit von fluoridhaltiger Zahnpaste ein deutlicher Kariesrückgang in der bleibenden Dentition eingetreten ist [12], bleibt die Karies weltweit, insbesondere in den Entwicklungsländern ein großes Gesundheitsproblem. Der Kariesbefall im Milchgebiss ist jedoch auch in den Industrienationen nach wie vor hoch, und die Behandlung der Milchzahnkaries ist unzureichend [2, 6, 21]. In den Schwellen- und Entwicklungsländern ist generell ein niedriger Sanierungsgrad zu beobachten; mehr als 90 % aller kariösen Läsionen sind unbehandelt [3]. Nach der jüngsten nationalen philippinischen Mundgesundheitsstudie aus dem Jahr 2006 wiesen 6-Jährige einen Kariesbefall von 8,4 dmft und 12-Jährige einen Kariesbefall von 2,9 DMFT auf [16. 96 % (6-Jährige) bzw. 93 % (12-Jährige) der kariösen Zähne waren unbehandelt; der Care-Index (ft/ dmft bzw. FT/DMFT) betrug für beide Altersgruppen 0 %. Unbehandelte kariöse Läsionen verursachen häufig Schmerzen und entwickeln dentogene Infektionen. Die mundbezogene und allgemeine Lebensqualität, die Nahrungsaufnahme, die Arbeits- und Lernfähigkeit, der tägliche Schulbesuch und die Teilnahme am gesellschaftlichen Le© Deutscher Ärzte-Verlag, Köln ben werden durch unbehandelte Karies und ihre Folgeerscheinungen erheblich beeinträchtigt [1, 11, 22, 24, 25]. Im Jahr 2002 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) allen Regierungen die Umsetzung eines „Basic Package of Oral Care“ (BPOC), welches allen Bevölkerungsgruppen Zugang zur zahnärztlichen Mindestversorgung ermöglichen soll [9]. Dieses Mundgesundheitsprogramm beinhaltet neben der Schmerzbehandlung (Oral Urgent Treatment – OUT) die restaurative Behandlung kariöser Zähne mit Handinstrumenten (Atraumatic Restorative Treatment – ART) und die Bereitstellung einer bezahlbaren fluoridhaltigen Zahnpaste. Auf Grund der untergeordneten Bedeutung, die der Mundgesundheit in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zuteil wird, ist in den meisten Ländern mit begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen die Umsetzung dieses Programms nicht gelungen. Vielmehr ist festzustellen, dass weltweit gut ausgebildetes Personal gerade im schulzahnärztlichen Dienst den Großteil der Arbeitszeit mit dem Durchführen von Reihenuntersuchungen verbringt. Da diese für sich genommen nicht zu einer Verbesserung der Mundgesundheit der Schüler führen, wird ihr Nutzen derzeit auch in Ländern, die über ausreichende Ressourcen verfügen, kontrovers diskutiert [14]. Dringend notwendige Be- Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, eine Bewertung des Inanspruchnahmeverhaltens von zahnärztlichen Behandlungsmöglichkeiten durch philippinische Grundschüler vorzunehmen. Es sollte beurteilt werden, ob das Konzept des „Treatment on Demand“ geeignet ist, Kinder mit dringendem Behandlungsbedarf zu identifizieren. 3 Probandengut und Methoden Von 1998 bis 2003 hat das philippinische Erziehungsministerium in Kooperation mit der deutschen Nichtregierungsorganisation (NGO) „Komitee Ärzte für die Dritte Welt“ ein umfangreiches zahnärztliches Mundgesundheitsprogramm in der Provinz Misamis Oriental in Mindanao durchgeführt [18]. Im Rahmen der ersten Evaluation (2001) dieses Programmes wurden Schüler anderer Grundschulen derselben Provinz als Vergleichsgruppe herangezogen. Ihnen wurde in den darauf folgenden zwei Jahren Zugang zu einem im Umfang reduzierten, an den personellen und finanziellen Ressourcen der Philippinen orientierten, schulzahnärztlichen Basisprogramm angeboten. Von 2001 bis 2003 wurden diese sieben Schulen für jeweils einen Tag von einem mobilen schulzahnärztlichen Team (eine philippinische Zahnärztin, eine Nurse, ein Health Worker) aufgesucht. Schüler der Klassen 1 bis 6, insgesamt etwa 4300 Kinder, hatten an jeweils einem Tag im Abstand von vier 13 Quelle: B. Monse L. Hesse et al.: Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Schmerzbehandlung von philippinischen Grundschülern Utilization of oral health care services by public elementary school children in the Philippines Abbildung 2 Klinische Situation zur Beschreibung des PUFA-Index; P = Pulpainfektion, U = Ulzeration, F = Fistel, A = Abszess. Figure 2 Clinical picture to illustrate the PUFA index; P = open pulp, U = ulceration, F = fistula, A = abscess. Monaten Zugang zur zahnärztlichen Behandlung in ihrer Schule. Das Programm beinhaltete die Anleitung zum täglichen Zähneputzen, Mundgesundheitsaufklärung durch die Lehrer und das Angebot von chirurgisch–restaurativen Behandlungsmaßnahmen im Rahmen des BPOC für diejenigen Schüler, die eine Behandlung ersuchten. Ein vorheriges Screening der Schüler durch den Zahnarzt fand nicht statt. Die zahnärztliche Behandlung umfasste die Extraktion schmerzender und unter Feldbedingungen nicht erhaltungsfähiger Zähne und die Füllungstherapie in MRT-Technik. Die MRT-Technik ist eine rein handinstrumentelle Füllungstherapie mit Amalgam oder Glasionomerzement, die von ausgebildeten Nurses unter Supervision der Zahnärztin durchgeführt wurde [19]. Keines der untersuchten Kinder hat eine Behandlung außerhalb der Schule erfahren. Nach 2-jähriger Laufzeit wurden nur die Schüler der 6. Klassen, insgesamt 468 12-jährige Kinder, durch neun kalibrierte Zahnärzte nach WHO-Standard untersucht [27]. Vor der zahnärztlichen Untersuchung putzten die Schüler unter Anleitung der Lehrer ihre Zähne. Die Untersuchung der Kinder wurde auf dem Schulhof auf einer Bank liegend bei na- 14 türlichem optimalen Tageslicht durchgeführt (Abb. 1). Um detailliertere Informationen zum Schweregrad des Kariesbefalls zu erhalten, wurden neben dem DMFT-Index und seinen Einzelkomponenten auch dentogene Infektionen unter Verwendung des PUFA-Index erfasst [15]. Der PUFA-Index ist wie der DMFT ein zusammengesetzter Index, wobei die Komponente „P“ einen Zahn mit einer kariös bedingten Pulpaeröffnung, die mit bloßem Auge diagnostizierbar ist, charakterisiert; „U“ steht für traumatische Ulzerationen durch dislozierte kariöse Zähne oder Wurzelfragmente, „F“ charakterisiert einen Zahn mit kariös bedingter Fistelbildung und „A“ einen Zahn mit kariös bedingter Abszedierung (Abb. 2). Der prozentuale Anteil des PUFA an der D-Komponente wurde als sogenannter „Notbehandlungswert“ (Caries Emergency Value) definiert. Für die statistische Prüfung von Unterschieden zwischen den ordinal skalierten Daten des Kariesbefalls (DMFT und seine Einzelkomponenten) und der dentogenen Infektionen (PUFA) wurde der Mann-Whitney-U-Test herangezogen [10]. Für die Ermittlung signifikanter Unterschiede wurde ein Signifikanzniveau von 5 % zugrunde gelegt. © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 4 Ergebnisse Das durchschnittliche Alter der Studienpopulation (n = 468) betrug 11,9 (± 1,1) Jahre. Sie wies eine Kariesprävalenz von 67 % und einen mittleren Kariesbefall von 2,3 DMFT auf, wobei nahezu der gesamte Kariesbefall auf die D-Komponente (2,0 DT) entfiel (Tab. 1). Für die dentogenen Infektionen wurde eine Prävalenz von 29 % ermittelt. Die mittlere Anzahl dentogener Infektionen lag bei 0,6 PUFA. Von den kariös betroffenen Kindern (n = 312) nahmen insgesamt 28 % (n = 86) die ihnen angebotene Behandlung in Anspruch. 20 % der Kinder (n = 61) erhielten Extraktionen, 10 % (n = 31) eine Füllungstherapie und bei 2 % (n = 6) wurden beide Behandlungsformen durchgeführt. Letztere wurden auf Grund der geringen Stichprobengröße nicht in die Analyse einbezogen. Bei den unbehandelten Kindern wurde ein mittlerer Kariesbefall von 1,9 DMFT und 0,6 PUFA beobachtet (Tab. 1). Kinder mit Extraktionstherapie (OUT) wiesen im Vergleich zu den unbehandelten Kindern einen signifikant höheren PUFA auf (Tab. 1). Ihr Kariesbefall betrug 5,1 DMFT und war mehr als doppelt so hoch wie der der Kinder ohne Behandlungswunsch. Die M-Komponente von 1,5 reflektierte deutlich Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 L. Hesse et al.: Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Schmerzbehandlung von philippinischen Grundschülern Utilization of oral health care services by public elementary school children in the Philippines Gesamtgruppe (n = 468) Unbehandelte Kinder (n = 382) DMFT (± SD) 2,3 (± 2,8) 1,9 (± 2,5)°* DT (± SD) 2,0 (± 2,6) 1,9 (± 2,5)° MT (± SD) 0,2 (± 0,6) 0,0 (± 0,0)° FT (± SD) 0,1 (± 0,4) 29 Prävalenz dentogener Infektionen (%) PUFA (± SD) PUFA/DT (%) Kinder mit OUT (n = 55) Kinder mit MRT (n = 25) 0,0 (± 0,0)* . 5,1 (± 3,1)° . 3,6 (± 3,1)° . 1,5 (± 0,9)° . 0,0 (± 0,0) . 2,3 (± 1,1) * . 0,9 (± 0,9) . 0,0 (± 0,0) . 1,4 (± 0,7) * 28 54 0 0,6 (± 1,3) 0,6 (± 1,3)°* . 1,1 (± 1,4)° . 0,0 (± 0,0) * 30 32 31 0 Tabelle 1 Kariesbefall, dentogene Infektionen und Notbehandlungswert bei 12-jährigen philippinischen Kindern mit unterschiedlichem Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Behandlungsmaßnahmen. Table 1 Caries experience, dentogenic infections and caries emergency value of 12-year-old Filipino school children with different utilization of dental treatment. ° (Signifikante Unterschiede zwischen unbehandelten Kindern und Kindern mit OUT, p < 0,05) * (Signifikante Unterschiede zwischen unbehandelten Kindern und Kindern mit MRT, p < 0,05) . (Signifikante Unterschiede zwischen Kindern mit OUT und Kindern mit MRT, p < 0,05) die Notwendigkeit eines „Treatment on Demand“. Die Schüler, die eine Füllungstherapie (MRT) in Anspruch nahmen (Tab. 1), wiesen keine dentogenen Infektionen auf (0,0 PUFA). Ihr Kariesbefall betrug 2,3 DMFT und war im Vergleich zu den unbehandelten Kindern signifikant höher. 5 Diskussion Neben der Schmerzbehandlung wird mit der indikationsgerechten Extraktion nicht erhaltungsfähiger Zähne auch kariös bedingten Komplikationen und Folgeschäden vorgebeugt. So können apikale Infektionen der Milchzähne zu Strukturstörungen der permanenten Zähne führen [4, 13, 26], lokale Abszesse können sich zu Logenabszessen ausweiten, die die Orbita befallen [23] und zu lebensbedrohlichen Hirnabszessen führen [7, 20]. In British Columbia/Canada ist die zahnärztliche Notbehandlung der häufigste Grund für Krankenhauseinweisungen von Kindern [5]. Der Zugang zur Schmerzbehandlung ist daher als zahnärztliche Minimalversorgung anzusehen, deren Realisierung in jedem nationalen Gesundheitsplan oberste Priorität eingeräumt werden sollte. In der vorliegenden Studie sollte untersucht werden, ob eine Selektion © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln durch die Patienten selbst („Treatment on Demand“) geeignet ist, Patienten mit dringendem Behandlungsbedarf zu identifizieren und durch den Verzicht auf zahnärztliche Reihenuntersuchungen personelle Ressourcen einzusparen. Der im Vergleich zur unbehandelten Gruppe mehr als doppelt so hohe Kariesbefall (DMFT) und der signifikant höhere PUFA (Tab. 1) der Kinder mit Extraktionstherapie zeigen, dass die Kinder, die sich auf eigenen Wunsch zur Behandlung vorstellten, offensichtlich einen sehr hohen und dringenden Behandlungsbedarf aufwiesen. Trotz einer durchschnittlichen Extraktionsrate von 1,5 Zähnen pro Kind haben diese Schüler immer noch 1,1 Zähne mit dentogenen Infektionen. Die Addition des PUFA-Wertes und der M-Komponente ergibt eine Summe von 2,6 Zähnen, die zum Untersuchungszeitpunkt bereits extrahiert waren oder extraktionswürdig sind. Demgegenüber haben die Kinder der Vergleichsgruppe ohne Behandlung nur 0,6 Zähne mit Extraktionsindikation (0,6 PUFA, 0,0 MT), was die Diskrepanz im Behandlungsbedarf ebenfalls verdeutlicht. Durch die angebotene Schmerzbehandlung konnte der Notbehandlungswert (PUFA/DT) in der Gruppe der Kinder mit Extraktionen von 51 % zu Beginn des Präventionsprogramms auf 31 % nach 2-jähriger Betreuung reduziert werden (zur nach- Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 träglichen Berechnung des Notbehandlungswertes zu Beginn des Präventionsprogramms muss die M-Komponente sowohl zur D-Komponente als auch zum PUFA hinzu addiert werden: 2,6/5,1·100 = 51 %). Die Schüler, die eine Behandlung wünschten und eine restaurative Therapie erhielten, wiesen neben einer F-Komponente von 1,4 einen geringfügig höheren DMFT als Kinder ohne Intervention (2,3 vs. 1,9 DMFT) auf. Sie waren aber frei von dentogenen Infektionen und zeigten damit einen deutlich besseren Mundgesundheitszustand als unbehandelte Kinder. Somit werden durch das Konzept des „Treatment on Demand“ auch präventiv orientierte Kinder unterstützt. Dringend erforderliche chirurgische Maßnahmen müssen jedoch immer Vorrang vor der restaurativen Therapie besitzen. 6 Schlussfolgerungen Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Betreuungsstrategie eines „Treatment on Demand“ diejenigen Kinder einer Behandlung zuführte, die den höchsten Karies- und Infektionsbefall aufwiesen. Dennoch ist hervorzuheben, dass das Behandlungsangebot den bestehenden Behandlungsbedarf an dringend notwendigen Extraktionen nicht gedeckt hat. 15 L. Hesse et al.: Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Schmerzbehandlung von philippinischen Grundschülern Utilization of oral health care services by public elementary school children in the Philippines Weiterhin ist die Betreuungsstrategie eines „Treatment on Demand“ geeignet, um bei präventiv orientierten Kindern das Präventionsverhalten zu fördern und ihnen zahnerhaltende Maßnahmen zuteil werden zu lassen. Nach den ethischen Grundsätzen wie sie die Féderation Dentaire Internationale (FDI) 2007 in ihrem Manual [8] formulierte, ist die Schmerzbehandlung die erste Pflicht der Zahnärzteschaft. Um den Prinzipien zahnärztlicher Ethik gerecht zu werden, muss eine klare Prioritätensetzung für Untersuchungs- und Behandlungsprinzipien erfolgen. Es muss gewährleistet sein, dass die restaurative Therapie nur bei zusätzlichen Ressourcen angeboten wird. Folglich sollte sichergestellt sein, dass eine restaurative Therapie erst dann erfolgt, wenn alle Patienten, die eine Schmerztherapie ersuchten, auch behandelt worden sind. Selbstkritisch ist anzumerken, dass die Bemühungen im präventiven Bereich (isolierte Mundgesundheitsaufklärung zum täglichen Zähneputzen und Ernährungslenkung im Rahmen von Gesundheitserziehung) nicht den gewünschten Erfolg zeigten. Daher setzen die neuen Strategien des Erziehungsministeriums („Fit for School“) [16] auf den sogenannten „Setting approach“. Dieser zielt darauf ab das „Setting Schule“ mit den vorhandenen Strukturen für die Implementierung von Gesundheitsstrategien zu nutzen. Evidenz basierte Präventionsmaßnahmen wie tägliches Zähneputzen mit einer Fluoridzahnpaste und Händewaschen mit Seife werden nicht nur theoretisch vermittelt, sondern als tägliche gemeinschaftliche Schulaktivität praktiziert und institutionalisiert. Auf diesem Weg werden gesundheitsfördernde Verhaltensänderungen herbeigeführt, die sowohl die Mundgesundheit als auch die Allgemeingesundheit der philippinischen Kinder nachhaltig verbessern. In einem nächsten Schritt ist die Implementierung der Schmerzbehandlung im Rahmen eines „Treatment on Demand“ geplant, die unter den gegebenen Bedingungen das bestmögliche Konzept darstellt, um Zahnschmerzen zu reduzieren und Folgeschäden zu verhindern. Interessenskonflikt: keine angegeben 16 Literaturverzeichnis PUFA – an Index of clinical consequences of untreated dental decay. Community Dent 1. 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