Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz
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Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz
Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz H. Schikora, M. Mai, A. Siegel Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik, Universität Essen Kurzfassung Am Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik der Universität Essen wird seit sieben Jahren auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Stirling-Kältemaschinen geforscht. Auf Basis theoretischer und praktischer Untersuchungen wurde in einem abgeschlossenen Forschungsvorhaben eine Stirling-Kältemaschine für Temperaturen der Kältebereitstellung unterhalb von –40°C entwickelt. Da die messtechnisch nachgewiesenen Leistungsdaten als konkurrenzfähig zu denen der üblicherweise eingesetzten Kaltdampf-Kältemaschinen angesehen werden können und die Betriebserfahrungen äußerst positiv sind, soll die entwickelte Solo 161 Stirling-Kältemaschine im nächsten Schritt unter industriellen Bedingungen getestet werden. Da verschiedene interessante Anwendungsfelder für diesen Maschinentyp erkennbar sind, ist im Anschluss an den Industrietest eine Serienfertigung vorgesehen. Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 2 Einleitung Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in der herkömmlichen Kältetechnik überwiegend Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) als Kältemittel in Kaltdampf-Kältemaschinen eingesetzt. Nach damaligem Wissenstand besaßen diese Stoffe in allen Belangen ideale Eigenschaften. Da sie weder brennbar noch giftig sind, wurden sie auch als Sicherheitskältemittel bezeichnet. Für verschiedene Anwendungsbereiche (Temperatur der Kälteerzeugung und Leistungsgröße) wurden jeweils unterschiedliche FCKW entwickelt, woraus sich eine Vielzahl von Kältemitteln ergab. Doch spätestens seit 1974 sind FCKW nicht mehr unumstritten. Inzwischen ist ihre ozonzerstörende Wirkung unter seriösen Wissenschaftlern anerkannt. Aus diesem Grund wurden auf nationaler und internationaler Ebene zahlreiche Verordnungen und Gesetze erlassen, die den Ausstieg aus der Verwendung von FCKW regeln. In der deutschen FCKW-Halon-Verbots-Verordnung [1] sind neben den erlaubten „Restverwendungszeiten“ der einzelnen Kältemittel auch Ersatzstoffe für die bisher verwendeten FCKW angegeben. Als Alternativen kommen u.a. chlorfreie synthetische FluorKohlenwasserstoffe (FKW) bzw. Mischungen verschiedener FKW oder natürliche Kältemittel (z.B. Propan, Propen, Butan, Ammoniak oder Kohlendioxid) in Frage. Ein wesentlicher Nachteil der FKW liegt in deren teilweise sehr hohem Treibhauspotential, weshalb sie als langfristige Alternativen nur bedingt geeignet sind. Der Beitrag natürlicher Kältemittel zum Treibhauseffekt ist wesentlich geringer, diese Stoffe sind jedoch häufig brennbar. Aus den beschriebenen Gründen konnten in manchen Bereichen bisher noch keine zufriedenstellenden Alternativen gefunden werden. So wurde als Übergangsalternative zum Tieftemperaturkältemittel R12 das FCKW R22 angegeben, das einen geringeren Chloranteil besitzt. Eine chlorfreie Alternative für den gesamten Einsatzbereich von R12 konnte bisher nicht gefunden werden. Aufgrund seines Chlor-Anteils ist der Einsatz von R22 seit dem 01.01.2000 in Neuanlagen verboten. Die Frage der langfristigen Alternativen ist bis heute nicht abschließend geklärt. Anstatt nach alternativen Kältemitteln für den Einsatz in Kaltdampf-Kältemaschinen zu suchen, wäre auch die Verwendung alternativer Verfahren der Kälteerzeugung denkbar. Hier bieten sich vor allem Stirling-Kältemaschinen an, die meist das umweltunschädliche Edelgas Helium als Arbeitsmedium verwenden. Ein weiterer Vorteil von Stirling-Maschinen liegt darin, dass im Gegensatz zu Kaltdampf-Kältemaschinen kein Phasenwechsel des Arbeitsmediums stattfindet und somit die Temperaturen der Kälteerzeugung und der Wärmeabgabe in Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 3 weiten Grenzen variiert werden können. Solch eine Flexibilität bieten Kaltdampf-Kältemaschinen nicht. Hier liegen beide Temperaturen für jeden Maschinenaufbau aufgrund der vorgegebenen Drucklagen nahezu fest. Theoretische Grundlagen Der ideale Stirling-Prozeß ist ein reiner Gaskreisprozess, der sich aus zwei isothermen und zwei isochoren Zustandsänderungen zusammensetzt. Das Arbeitsgas wird periodisch auf unterschiedlichen Temperaturniveaus komprimiert und expandiert. Im einfachsten Fall besteht eine Stirling-Maschine aus zwei Kolben, zwischen denen ein Arbeitsgas eingeschlossen ist, und einem Regenerator. Um die Funktionsweise zu verdeutlichen, ist in Bild 1 eine mögliche Realisierung des idealen Stirling-Kälteprozesses gezeigt. Expansionsraum Regenerator Kompressionsraum (1) 1 → 2: isotherme Verdichtung (2) 2 → 3: isochore Abkühlung (3) 3 → 4: isotherme Entspannung (4) 4→1: isochore Erwärmung Bild 1: Mögliche Realisierung des idealen Stirling-Kälteprozesses [3] Im Zustandspunkt (1) befindet sich das gesamte Arbeitsgas im warmen Kompressionsraum. Von (1) nach (2) wird das Arbeitsgas bei konstanter Temperatur (isotherm) verdichtet und gibt dabei Wärme über die Zylinderwandung an die Umgebung ab. Von (2) nach (3) wird das Arbeitsgas bei konstantem Volumen (isochor) durch den Regenerator geschoben und kühlt sich dabei auf die niedrige Temperatur des Expansionsraums ab. Die vom Arbeitsgas abgegeInstitut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 4 bene Wärme wird im Regenerator zwischengespeichert. Von (3) nach (4) wird das Arbeitsgas bei niedriger Temperatur im Expansionsraum isotherm entspannt und nimmt dabei über die Zylinderwandung aus der Umgebung Wärme auf. Hier findet die Kälteerzeugung statt. Der Kreisprozess ist geschlossen, wenn das Arbeitsgas durch den Regenerator isochor in den warmen Kompressionsraum geschoben wird ((4) nach (1)). Dabei nimmt es die von (2) nach (3) gespeicherte Wärme wieder auf und erwärmt sich auf die höhere Temperatur des Kompressionsraums. In Bild 2 sind die beschriebenen Zustandsänderungen im p,v- und T,s-Diagramm dargestellt. Die Temperaturen der Kälteerzeugung T0 bzw. der Wärmeabgabe Tab stellen die unter bzw. die obere Prozesstemperatur dar. p T 2 3 Tab 2 1 1 4 T0 3 4 V s Bild 2: Idealer Stirling-Kälteprozess im p,v- und T,s-Diagramm Als Maß zur Beurteilung eines Kälteprozesses wird die Kälteleistungszahl εK verwendet, die analog zu einem Wirkungsgrad als Verhältnis zwischen Nutzen und Aufwand definiert ist. & , der Aufwand besteht in der Der Nutzen einer Kältemaschine liegt in der Kälteleistung Q 0 erforderlichen Antriebsleistung Pzu. Man kann herleiten, dass die Kälteleistungszahl des idealen Stirling-Prozesses der des Carnot-Prozesses εC entspricht. εK = & Q T0 Nutzen = 0 = = εC Aufwand Pzu Tab − T0 Die Besonderheit des Stirling-Prozesses liegt im Regenerator, der häufig als das wichtigste Bauteil einer Stirling-Maschine bezeichnet wird. Er dient zur Zwischenspeicherung von Wärme. Er stellt gewissermaßen die Trennung zwischen Kalt- und Warmteil der Maschine dar. Ohne Regenerator würden die Leistungsdaten erheblich schlechter ausfallen. Der reale Stirling-Prozess weicht aus zahlreichen Gründen von dem idealen Stirling-Prozess Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 5 ab. An dieser Stelle sollen nur die wichtigsten Abweichungen realer Stirling-Maschinen vom idealen Vergleichsprozess kurz erläutert werden. Die beschriebene diskontinuierliche Kolbenbewegung ist nicht praktisch erreichbar, da sich sonst unendlich große Beschleunigungskräfte ergeben würden. Daher werden die Kolben meist über einen Kurbelmechanismus angetrieben. Weiterhin ist die Übertragung der erforderlichen Wärmemengen über die Zylinderwandungen nicht möglich, da die vorhandenen Wärmeübertragungsflächen zu klein sind. Zur Abhilfe werden zusätzliche Wärmeübertrager zur Wärmeaufnahme und –abgabe zwischen Regenerator und Expansions- bzw. Kompressionsraum vorgesehen. Die Zustandsänderungen in den Arbeitsräumen verlaufen nun eher adiabat als isotherm. Zusätzlich ist zur Übertragung eines Wärmestroms stets eine Temperaturdifferenz erforderlich, die die Temperaturspreizung in der Maschine erhöht und die Leistungsdaten verringert. Eine weitere Abweichung vom idealen Prozess stellt Totvolumen innerhalb der Maschine dar. Als Totvolumen werden all jene Bereiche bezeichnet, die nicht von den Kolben überstrichen werden. Man unterscheidet zwischen „nützlichem“ und „schädlichem“ Totraum. Nützlichen Totraum stellt das innere Volumen der Wärmeübertrager dar, da sie eine thermodynamisch wichtige Funktion erfüllen. Eine Vergrößerung dieser Volumina kann sich teilweise sogar positiv auf die Leistungsdaten auswirken. Zusätzlich sind jedoch auch Verbindungselemente zwischen den einzelnen Bauteilen vorhanden. Diese sind nur aus konstruktiven Gründen vorhanden und erfüllen keine thermodynamische Funktion. Ihr inneres Volumen verschlechtert in jedem Fall die Leistungsdaten. Weitere Verluste entstehen durch Druckverluste in der Gasströmung und mechanische Reibung zwischen Kolben und Zylinder sowie im Kurbeltrieb. Die beschriebenen und verschiedene weitere Abweichungen realer Stirling-Kältemaschinen vom idealen Vergleichsprozess lassen die erreichbare Kälteleistungszahl absinken. Eine Beurteilung dieser Verluste kann über den Gütegrad ηG erfolgen, der das Verhältnis zwischen der Kälteleistungszahl εK einer Kältemaschine und der Kälteleistungszahl εC des CarnotProzesses darstellt. ηG = εK εC Der Gütegrad gibt somit an, wie nah eine reale Kältemaschine am theoretischen Optimum arbeitet. Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 6 Mögliche Anwendungsgebiete für Stirling-Kältemaschinen Bislang werden Stirling-Kältemaschinen lediglich in Randbereichen der Kältetechnik bei Temperaturen zwischen 20 und 80 K (-253 und –193°C) eingesetzt. Theoretische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass Stirling-Kältemaschinen auch bei höheren Temperaturen konkurrenzfähig zu Kaltdampf-Kältemaschinen sein könnten. In Bild 3 sind die mit verschiedenen Kältemitteln in einer Kaltdampf-Kältemaschine erreichbaren Gütegrade in Abhängigkeit von der Temperatur der Kälteerzeugung dargestellt. Zum Vergleich ist auch der Gütegrad einer Stirling-Kältemaschine eingetragen. 0,40 R22 R134a NH3 Kaltluft Stirling TU = 17°C äußerer Gütegrad εΚ/εC [-] 0,35 0,30 0,25 0,20 0,15 0,10 0,05 0,00 -80 -60 -40 -20 0 20 Temperatur der Kältebereitstellung [°C] Bild 3: Vergleich verschiedener Kälteerzeugungsverfahren [2] Im Temperaturbereich zwischen –30°C und +10°C erreichen Kaltdampf-Kältemaschinen unabhängig vom Kältemittel höhere Gütegrade als Stirling-Kältemaschinen. Ab Temperaturen unterhalb von –30°C wird der Einsatz von Stirling-Maschinen mit sinkender Temperatur der Kälteerzeugung immer interessanter. Bei einer Temperatur der Kälteerzeugung von –50°C liegen die erreichbaren Gütegrade von Stirling-Maschinen schon deutlich über den Gütegraden aller einstufigen Kaltdampf-Kältemaschinen. Bei diesem Diagramm ist unbedingt zu beachten, dass in [2] eine Umgebungstemperatur von 17°C gewählt wurde. Im Sommerfall wird diese Temperatur sicherlich überschritten werden und dann wäre der Einsatz von Stirling-Kältemaschinen auch bei höheren Temperaturen der Kältebereitstellung denkbar. Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 7 Generell kann für Stirling-Kältemaschinen behauptet werden, dass ihr Einsatz bei einem Temperaturhub zwischen der Temperatur der Kältebereitstellung und der Wärmeabgabe von über 60 K energetisch sinnvoll ist. Der in Bild 3 dargestellte Bereich der Temperatur der Kälteerzeugung endet zwar bei –80°C, aber dies stellt keinesfalls die Einsatzgrenze von Stirling-Kältemaschinen dar. Wie bereits erwähnt, erreicht man heute mit Stirling-Kältemaschinen Temperaturen von 20 K. Hierdurch wird deutlich, dass ein großer Vorteil von Stirling-Kältemaschinen in der nahezu unbegrenzten Wahl der Temperatur der Kälteerzeugung liegt. Hinzu kommt noch, dass man auch die Abwärme auf beliebigem Temperaturniveau nutzten kann. Bei Kaltdampf-Kältemaschinen liegen die Temperaturen der Kälteerzeugung bzw. der Wärmeabgabe aufgrund der vorgegebenen Drucklagen bei der Verdampfung bzw. der Verflüssigung nahezu fest. Weiterhin sind auch die erreichbaren Temperaturen der Kälteerzeugung nach unten begrenzt. So können Temperaturen unterhalb von –80°C mit Kaltdampf-Kältemaschinen nur noch mit einem unpraktikabel hohen apparativen Aufwand und sehr schlechten Kälteleistungszahlen erreicht werden. In der Praxis gibt es sogar nur wenige Kaltdampf-Kälteanlagen für Temperaturen unterhalb von –50°C. Die Regelung von Stirling-Kältemaschinen über den Arbeitsgasdruck und die Drehzahl erlaubt ein einfache Variation der Kälteleistung im Bereich von 10-100% der Nennleistung. Da es nur wenige bewegte Teile in einer Stirling-Kältemaschine gibt, weisen diese Maschinen eine äußerst geringe Störanfälligkeit auf. Lediglich die trockenlaufenden Kolbenringe (Teflonkolbenringe mit Einlagerungen zur Erhöhung der Verschleißfestigkeit) müssen nach ca. 10.000 Betriebsstunden ausgetauscht werden. Hierdurch sind Stirling-Kältemaschinen für komplett wartungsfreie Anwendungen ungeeignet (z.B. Haushaltskühlschrank). Ein weiterer großer Vorteil von Stirling-Kältemaschinen liegt hingegen in ihrem Arbeitsgas Helium, das als Arbeitsstoff in jeder Hinsicht völlig unbedenklich ist. Aus den grundlegenden Eigenschaften von Stirling-Kältemaschinen kann man ohne Berücksichtigung der Anschaffungskosten Anwendungsgebiete ausmachen, in denen StirlingKältemaschinen energetisch sinnvoll eingesetzt werden könnten. In Bild 4 sind diese Anwendungsgebiete in Abhängigkeit von der Temperatur des Kältebedarfs grün gekennzeichnet. Die roten Bereiche stellen Anwendungen dar, in denen der Einsatz von Stirling-Maschinen als nicht sinnvoll angesehen werden muss. Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 8 350 Temperatur [K] . 300 250 200 150 100 50 ch ha l K lim tung aa nl ag en Fr is er en Sc hn el lg ef ri iz in ry om ed K Su pr al ei tu ng 0 Bild 4: Anwendungsgebiete der Kältetechnik [4] Verflüssigung von Neon und Wasserstoff (20 bis 50 K) Diese Überschrift täuscht ein wenig über die „wahren“ Anwendungen von Stirling-Maschinen in diesem Temperaturbereich hinweg, für den die Verflüssigung von Neon und Wasserstoff allerdings als „klassische“ Anwendungen bezeichnet werden können. Stirling-Maschinen und die ihnen verwandten Gifford-McMahon-Maschinen werden in diesem Temperaturbereich vorwiegend zur Kühlung von mikroelektronischen Bauteilen und in der Spektroskopie eingesetzt. Dieser Markt scheint zwar sehr klein und unbedeutend zu sein, allerdings handelt es sich um einen Wachstumsmarkt, der vor allem in der Medizintechnik eine große Bedeutung erlangt hat. Mit verschiedenen Arten von Spektroskopen ist man heute in der Lage, Krankheiten, wie z.B. Hirntumore oder Herzfehler, schmerzlos von außen - also ohne Operation - zu diagnostizieren. Diese High-Tech-Geräte werden in immer stärkerem Maße von Ärzten genutzt, so dass in Europa derzeit etwa 1000 Spektroskope pro Jahr im Bereich der Medizintechnik verkauft werden. Verflüssigung von Luft und Hochtemperatursupraleitung (HTSL) (50 bis 100 K) Die Verflüssigung von Luft ist die erste kältetechnische Anwendung, in der Stirling-Kältemaschinen zum Einsatz gekommen sind. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 9 wurde von der Firma Philips in den Niederlanden eine Stirling-Kältemaschine zur Luftverflüssigung entwickelt. Dieser Maschinentyp wird bis heute produziert und von einer niederländischen Firma vertrieben. Die gefertigten Stückzahlen dieser Maschinen liegen jedoch bei unter 100 pro Jahr. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die sogenannten Miniatur-Kryokühler deutlich von den Luftverflüssigungsanlagen. Miniatur-Kryokühler, die auf dem Stirling-Prozess basieren, werden derzeit in Stückzahlen von über 100.000 pro Jahr verkauft [5]. Hauptabnehmer ist hierbei das Militär, da man diese Kühler dazu nutzt die Infrarotsensoren von Lenkwaffen zu kühlen. Allerdings gibt es auch ein zunehmendes Interesse der zivilen Industrie an diesen Kleinkühlern. Begründet ist dies durch die Ausweitung von Anwendungen im Bereich der Hochtemperatursupraleitung. Hierzu zählen beispielsweise die zerstörungsfreie Werkstoffprüfung, Übertragungsvorgänge in der Telekommunikation oder die reibungsfreie magnetische Lagerung von Wellen. Eine Besonderheit stellt der Aufbau eines MiniaturKryokühlers dar, da der Kalt- und der Warmteil voneinander entkoppelt und nur durch eine dünne Überströmleitung verbunden sind. Durch diese Anordnung erreicht man beim Betrieb der Maschine eine wesentlich verringerte Vibration des Kaltteils der Stirling-Kältemaschine. Die Kälteleistung von Miniatur-Kryokühlern liegt bei einer Temperatur der Kältebereitstellung von 77 K bei ca. 1 bis 2 Watt. Dies bedeutet, dass die Kühler im eigentlichen Sinne keine Kälte bereitstellen, sondern lediglich eine bestimmte Temperatur aufrechterhalten können. Verflüssigung von Erdgas (100 bis 150 K) Stirling-Kältemaschinen, wie die bereits erwähnte Philips-Kältemaschine, eignen sich prinzipiell hervorragend für die Verflüssigung von Erdgas. In diesem Temperaturbereich gibt es kein anderes Kälteerzeugungsverfahren, mit dem man bei ähnlich einfachem Aufbau vergleichbare Gütegrade der Kälteerzeugung erreichen kann. Allerdings wird die Erdgasverflüssigung meist in großindustriellem Maßstab betrieben, so dass dort LindeVerfahren mit mehrfacher Zwischenkühlung zum Einsatz kommen. Diese Anlagen weisen spezifische Anlagenkosten auf, die weit unterhalb der spezifischen Kosten von StirlingKältemaschinen liegen. Darüber hinaus trifft man Stirling-Kältemaschinen in diesem Anwendungsgebiet kaum, weil auch ihre Kälteleistung, bedingt durch ihre Ausführung als Kolbenmaschine, begrenzt ist. In diesem Temperaturfenster kann man von maximal möglichen 50 kW Kälteleistung einer Stirling-Kältemaschine ausgehen. Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 10 Kryomedizin (150 bis 200 K) Die Fortschritte, die man in den letzten Jahren im Bereich der Kryomedizin gemacht hat, lassen darauf schließen, dass einzelne Behandlungsverfahren sich immer stärker durchsetzen werden. In einem solchen Fall wird man den heute überwiegend eingesetzten flüssigen Stickstoff durch geeignete maschinelle Kälteerzeugungsverfahren ersetzen müssen. Die geforderten Temperaturen des Kältebedarfs sind jedoch so gering, dass übliche KaltdampfKälteanlagen nur unzureichend zur Kälteerzeugung geeignet sind. Allgemein eignen sich Stirling-Kältemaschinen für das gesamte Anwendungsfeld sehr gut. Ob zum Gefrieren bzw. zur Lagerung von Blutplasma oder auch zur Schmerz- und Tumorbehandlung, StirlingKältemaschinen können in diesem Temperaturbereich alle für diese Anwendungen vorstellbaren Kälteleistungen bereitstellen. Darüber hinaus würden sich Stirling-Maschinen, die man in diesem Temperaturbereich einsetzen könnte, durch ihre besondere Einfachheit und damit durch geringe Investitionskosten auszeichnen. Industriekälte (170 bis 230 K) Der Bereich der Industriekälte ist der größte potentielle Anwendungsbereich von StirlingKältemaschinen. Hierunter fallen Anwendungen, wie die Gefriertrocknung, die Rekondensation von Lösemitteln und die Kältebereitstellung für unterschiedlichste chemische und physikalische Prozesse. Bei der Verwendung von Kaltdampf-Kältemaschinen könnten die tieferen Temperaturen lediglich mit großem apparativem Aufwand erreicht werden. Außerdem fällt der Gütegrad von Kaltdampf-Kältemaschinen in diesem Temperaturfenster im Vergleich zu Stirling-Kältemaschinen relativ schlecht aus (vgl. Bild 3). Hier erscheint also der Einsatz von Stirling-Kältemaschinen u.U. als sinnvoll. Schnellgefrieren (220 bis 240 K) Hierzu zählen alle Anlagen, bei denen durch schnelles Einfrieren die Qualität eines Produktes auf hohem Niveau gehalten werden kann. Die Einfriergeschwindigkeit bestimmt maßgeblich die physikalischen Vorgänge beim Einfrieren. Beim schnellen Einfrieren werden die Zellhüllen nicht zerstört und z.B. die Geschmacksstoffe nicht vom Zellwasser getrennt. Deshalb gilt: je schneller gefroren werden kann, desto höher ist die Produktqualität. Die Einfriergeschwindigkeit wird nun wiederum von der Temperaturdifferenz zwischen Kühlgut und Kältebereitstellung bestimmt. Je größer diese ausfällt, desto höher ist die EinfriergeschwinInstitut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 11 digkeit. Da Stirling-Kältemaschinen die Temperatur der Kältebereitstellung sehr weit herabsetzen können, sind sie für dieses Anwendungsgebiet gut geeignet. Der Markt ist ein Wachstumsmarkt, weil heute die Produktqualität immer höher bewertet wird als die reine Konservierung. Tiefkühlung (230 bis 265 K) Die Tiefkühlung von Lebensmitteln als Anwendungsgebiet der Kältetechnik stellt einen sehr großen Markt dar. Hier könnten Stirling-Kältemaschinen zum Einsatz kommen, deren Gütegrad mit dem der marktbeherrschenden Kaltdampf-Kältemaschinen konkurrenzfähig ist. Allerdings ist auch der Preisdruck der Konkurrenz in diesem Anwendungsfeld erheblich größer als bei tieferen Temperaturen, so dass nur sehr einfach aufgebaute Maschinen wirtschaftlich sein können. Dieses Anwendungsgebiet ist somit für die Stirling-Kältemaschine in der nahen Zukunft nicht erreichbar, obwohl es aufgrund der großen produzierten Stückzahlen sehr interessant wäre. Bisherige Forschungsergebnisse Am Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik der Universität Essen (IATK) wurde im Rahmen eines Forschungsvorhabens eine Stirling-Kältemaschine entwickelt und deren Leistungsdaten messtechnisch bestimmt. Das Forschungsvorhaben wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) finanziell gefördert (Förderkennzeichen 0327213). Die erste Version der Stirling-Maschine wurde mit einem im Rahmen eines früheren Forschungsvorhabens entwickelten Simulationsprogramms ausgelegt und basiert auf dem bereits kurz vor der Serienreife stehenden Solo 161 Stirling-Motor der Firma Solo Kleinmotoren GmbH, Sindelfingen. Von diesem Motor wurden verschiedene Baugruppen, wie z.B. die Antriebseinheit, übernommen. Der für dieses Forschungsvorhaben aufgebaute Leistungsprüfstand wurde mit aufwendiger Messtechnik ausgestattet und erlaubt u.a. die Messung von Gastemperatur- sowie von Druckverläufen über einer Kurbelumdrehung. Auf Basis von ermittelten p,V-Diagrammen konnten Schwachstellen der ersten Maschinenvariante lokalisiert und die Wärmeübertrager optimiert werden. Nach weiteren Verbesserungsmaßnahmen konnten mit einer neuen Wärmeübertragereinheit Steigerungen des Gütegrades von bis zu 30% gegenüber der ersten Variante erreicht werden. Die Kälteleistung der Solo 161 Stirling-Kältemaschine beträgt nun ca. 6 kW bei einer Temperatur der Kältebereitstellung von Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 12 –40°C. Auch in Bezug auf die Betriebseigenschaften der Solo 161 Stirling-Kältemaschine konnten Verbesserungen erzielt werden, so dass die Maschine zum jetzigen Zeitpunkt als sehr betriebssicher eingestuft werden kann. Die entwickelte Kältemaschine ist in Bild 5 gezeigt. Bild 5: Solo 161 Stirling-Kältemaschine Entgegen der bisherigen Praxis, Stirling-Kältemaschinen nur für die Kälteerzeugung bei Temperaturen unterhalb von 80K einzusetzen, kann anhand der Ergebnisse dieses Forschungsvorhabens nachgewiesen werden, dass auch ein Einsatz bei deutlich höheren Temperaturen energetisch sinnvoll sein kann. So können die Leistungsdaten der entwickelten Stirling-Kältemaschine, insbesondere deren Energieeffizienz, bei Temperaturen der Kältebereitstellung von ca. –40°C als konkurrenzfähig mit denen der derzeitig eingesetzten Kaltdampf-Kältemaschinen angesehen werden. Bei tieferen Temperaturen steigen die Vorteile der Stirling-Kältemaschine stark an. So können Temperaturen der Kältebereitstellung unterhalb von -80°C mit herkömmlichen Kaltdampf-Kälteanlagen gar nicht mehr oder nur mit sehr schlechten Leistungsdaten erreicht werden. Solche Temperaturen stellen für die entwickelte Solo 161 Stirling-Kältemaschine kein Hindernis dar. Im Verlauf des Forschungsvorhabens konnten aufgrund des verwendeten Kälteträgers nur Temperaturen oberhalb von –80°C Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 13 eingestellt werden. Das Erreichen tieferer Temperaturen war nicht Inhalt des Forschungsvorhabens, ist jedoch mit einem anderen Kälteträger problemlos möglich. Industrieller Einsatz der Solo 161 Stirling-Kältemaschine Da die Leistungsdaten der entwickelten Solo 161 Stirling-Kältemaschine als zufriedenstellend angesehen werden können, soll im nächsten Schritt der industrielle Einsatz dieser Maschine praktisch untersucht werden. Dazu wird in einem neuen vom BMWi geförderten Forschungsvorhaben auf Basis der Solo 161 Stirling-Kältemaschine eine Kälteanlage zur Rekondensation von Lösungsmitteln entwickelt (Förderkennzeichen 0329831A). Als Industriepartner sind neben dem Maschinenhersteller Solo Kleinmotoren GmbH, Sindelfingen, die Firmen Pero AG, Königsbrunn, und Erba Kälte GmbH, Magstadt, beteiligt. In diesem Forschungsvorhaben soll eine Solo 161 Stirling-Kältemaschine zur Reinigung der Abluft einer Oberflächenentfettungsanlage eingesetzt werden. Oberflächenentfettungsanlagen werden überall dort eingesetzt, wo Werkstücke von Öl- oder Schmierstoffresten gereinigt werden müssen. Dazu werden Lösemittel eingesetzt, die bis auf einen sehr geringen Restgehalt aus der Abluft wieder entfernt werden müssen, um die Grenzwerte der 2.BImSchV einzuhalten. Bisher wird die Abluft üblicherweise mit einer herkömmlichen Kältemaschine auf Temperaturen um –50°C abgekühlt, so dass ein Teil der enthaltenen Lösemittel auskondensiert. In einem zweiten Schritt wird dann der Lösemittelgehalt mit Aktivkohlefiltern unter die erforderlichen Grenzwerte abgesenkt. Durch den Einsatz einer Stirling-Kältemaschine könnte die Temperatur der Abluft direkt soweit abgesenkt werden, dass auf Aktivkohlefilter verzichtet werden kann. Dafür sind voraussichtlich Temperaturen um -120°C erforderlich. Das Forschungsvorhaben umfasst die Anpassung der Stirling-Kältemaschine an die erforderlichen Temperaturen der Kälteerzeugung sowie die Integration der Kältemaschine in die Gesamtanlage. Auch ein geeignetes Regelkonzept muss entwickelt und in das der Entfettungsanlage integriert werden . Die Anlage soll unter industriellen Bedingungen über ca. ein Jahr praktisch untersucht werden. Dabei sollen die Regelparameter optimiert und die Betriebssicherheit getestet und gegebenenfalls verbessert werden. Am Ende der Untersuchungen soll eine Serienfertigung der Solo 161 Stirling-Kältemaschine beginnen. Neben dem Einsatz in Oberflächenentfettungsanlagen sind auch verschiedene andere Anwendungen möglich. Dazu zählen beispielsweise die Lösemittel-Rekondensation in Textilreinigungsanlagen oder andere bereits beschriebene Anwendungsfelder. Auch erscheint ein Einsatz bei Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen Stirling-Kältemaschine für den industriellen Einsatz 14 höheren Temperaturen möglich, da im Falle einer Markteinführung die Fertigungskosten der Stirling-Kältemaschine stark reduziert werden können. Literatur [1] Bundesministerium der Justiz FCKW-Halon-Verbots-Verordnung Bundesgesetzblatt I, S. 1090, 06.05.1991 [2] Institut für Luft- und Kältetechnik gGmbH (ILK) Studie zur Recherche und Bewertung von Verfahren zur Kälteerzeugung Dresden, 1991 [3] Schikora, H. Die Bestimmung des Wärmeübergangs im Regenerator einer Stirling-Maschine Dissertation, Universität Essen, 2002 [4] Steimle, F., Siegel, A., Schikora, H. Stirling-Maschinen in der Kältetechnik Tagungsband des Europäischen Stirling Forums, Osnabrück, 1998 [5] Walker, G., Reader, G., Fauvel, R., Bingham, E. Stirling, near-ambient temperature Refrigerators: Innovative compact designs Proc. 27th IECEC, No. 929035, San Diego, 1992 Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. F. Steimle Universität Essen