Musterheft

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Musterheft
6
Agrar-Steuern
Agrar-Recht
AgrB
Agrarbetrieb
Agrar-Taxation
1. Jahrgang 2015
ISSN 2199-9376
2015
Gossert Ohne besonderes Format: Saisonarbeitskräfte als Zankapfel für die
große Erbschaftsteuerreform
Stephany Der Tierwohlzuschuss und seine steuerliche Behandlung
Beer Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme
Hoffmann Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der Landwirtschaft
Marburger Besonderheiten im Leistungsbereich der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung
Wenzl / Steinhorst / Thummert 60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen
Sachverständigentätigkeit
Spinda / Thummert / Uherek
Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen
bei den Gutachterausschüssen
Herausgeber-Beirat:
Prof. Dr. E. Bahrs
Dipl.-Ing. M. Biederbeck
RA Dr. M. von Bockum
RA, Notar Dr. P. Fiedler
RA I. Glas
StB E. Gossert
Notar Prof. Dr. Dr. H. Grziwotz
RA, vBP Dr. Th. Hahn
Dipl.-Ing. agr. Dr. H. P. Jennissen
Dipl.-Ing. agr. Prof. Dr. A. Mährlein
RA Prof. Dr. D. J. Piltz
StB W. Stalbold
RA, StB R. Stephany
RiBFH M. Wittwer
Herausgeber:
Zeitschrift für das gesamte Recht der Land- und Forstwirtschaft, die Wirtschaftsund Steuerberatung sowie das Sachverständigenwesen im ländlichen Raum
r & Partner, Sachverständige
ist durch eine Vielzahl von
ichungen und Vorträgen
der Wertermittlung hervor-
bs.de
Erbauseinandersetzung zur Pflichtteilsermittlung
Matthias Biederbeck,
Erbauseinandersetzung zur
Pflichtteilsermittlung
Schriftenreihe
AGRAR-TAX
Ertragswertermittlung gemäß § 2049 BGB
Sachverständigen-Gutachten
Biederbeck
Dipl.-Ing. Matthias Biederbeck, ö.b.v. SV
Erbauseinandersetzung zur
Pflichtteilsermittlung
Ertragswertermittlung gemäß § 2049 BGB
Biederbeck
r:
NEUERSCHEINUNG
Heft 120
Sachverständigen-Gutachten
04.09.2015 10:05:53
NEUAUFLAGE
Landwirtschaftliche Betriebsgemeinschaft
in der Rechtsform einer Gesellschaft des
bürgerlichen Rechts
HLBS-Musterverträge
Mustervertrag mit Erläuterungen
Vertragsklauseln auf CD-ROM
utor:
er Fiedler, Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Handels- und
schaftsrecht, Fachanwalt für
enrecht;
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anwälte und Notare, Elze
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Landwirtschaftliche
Betriebsgemeinschaft
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von Rechtsanwalt und Notar Dr. Peter Fiedler
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Bestellungen an: HLBS Verlag GmbH
Engeldamm 70 • 10179 Berlin • Telefon 030/2008 967-50 • Telefax 030/2008 967-59 • [email protected]
www.hlbs.de unter Medien/Bücher
Editorial
Agrarbetrieb
Editorial
Ohne besonderes Format: Saisonarbeitskräfte als Zankapfel für die große Erbschaftsteuerreform
Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater Ernst Gossert, ECOVIS BayLa-Union GmbH
Steuerberatungsgesellschaft, München; Vorsitzender HLBS-Fachausschuss Steuerberatung
D
ie durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 ausgelöste dritte
Erbschaftsteuerreform biegt auf die Zielgerade ein. Nachdem das Eckpunktepapier von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble als Regierungsentwurf abgeändert und in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurde, liegt zwischenzeitlich die erste Stellungnahme des Bundesrats und
die Gegenäußerung der Bundesregierung hierzu vor.
Nach der Anhörung der Verbände am 17. Oktober 2015 sind die Ausschüsse nunmehr mit der Feinabstimmung beauftragt, um parallel dazu einen politischen Konsens zu den noch offenen Differenzen
zwischen Bundestag und Bundesrat herbeiführen zu können. Was zunächst als redaktioneller Fehler im
Gesetzgebungsverfahren vom Bundesfinanzministerium abgetan wurde, hat sich jedoch zwischenzeitlich
zu einem äußerst kritischen Punkt entwickelt. Während die große Erbschaftsteuerreform vorher keine
unmittelbaren Auswirkungen auf die Besteuerung der landwirtschaftlichen Hofübergaben hatte, kann
sich nunmehr die Schwierigkeit der Lohnsummenregelung durchaus für künftige Hofübergaben zu einem echten Problemfall entwickeln. Wie ich bereits erläutert habe, bleiben die Bewertungsregelungen
für land- und forstwirtschaftliche Betriebe ebenso unverändert wie die grundsätzliche Begünstigung des
land- und forstwirtschaftlichen Vermögens im bewertungsrechtlichen Sinne und der selbstbewirtschafteten Grundstücke des Grundvermögens.
Der ganze Änderungsbedarf rund um die Frage des schädlichen Verwaltungsvermögens oder die Neudefinition des begünstigten Vermögens betrifft daher die Masse der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe nicht. Lediglich die Betriebe, welche ertragsteuerlich als Gewerbebetriebe einzustufen sind, können
hiervon betroffen sein. Vermögen, das bewertungsrechtlich nicht als begünstigtes land- und forstwirtschaftliches Vermögen einzustufen ist, wie zum Beispiel fremdvermietete Immobilien, ist auch bislang
schon im landwirtschaftlichen Erbschaftsteuerrecht voll zu versteuern. Die Problematik der Mitbegünstigung von Verwaltungsvermögen ist daher kein Thema für die Land- und Forstwirtschaft. Auch aufgrund der günstigen Bewertung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe werden die zusätzlichen
Verschonungsbedarfsprüfungen oder die Abschmelzmodelle bei Übertragung von Großunternehmen mit
Unternehmenswerten von mehr als 26 Millionen Euro für die wenigsten land- und forstwirtschaftlichen
Betriebe in Zukunft eine umstrittene Herausforderung darstellen.
Auch bei der Lohnsummenregelung war nach bisherigem Recht der Betriebsinhaber nicht gefordert, da
insbesondere nicht ganzjährig beschäftigte Arbeitnehmer wie Saisonarbeitskräfte hierbei nicht mit einzurechnen waren. Nachdem im Gesetzesentwurf dieser Halbsatz gestrichen wurde und damit auch nicht
ganzjährig Beschäftigte bei der Ermittlung der Lohnsumme mit zu berücksichtigen sind, hat sich hier jedoch eine Wende ergeben. Aus diesem redaktionellen Versehen bei Erstellung des Gesetzestextes wurde
dies zu einer Grundsatzfrage hochstilisiert, nachdem ein entsprechender Antrag im Bundesrat, Saisonarbeitskräfte auch weiterhin auszunehmen, mit 15 zu 1 Stimmen abgewiesen wurde. Nach unbestätigten
Gerüchten soll der Streitpunkt der Einbeziehung der Saisonarbeitskräfte vonseiten des Bundesrats dazu
AgrB 6-2015
Editorial
Agrarbetrieb
dienen, entsprechende Verhandlungspositionen für die finale Debatte über die letzten offenen Punkte der
Erbschaftsteuerreform zu schaffen.
Es bleibt an dieser Stelle nur zu hoffen, dass die Thematik der Saisonarbeitskräfte nicht ein Bauernopfer in den politischen Rangeleien zur Erbschaftsteuerreform wird. Denn die Einbeziehung von Saisonarbeitskräften führt dazu, dass eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe für die Erlangung der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen auf die Einhaltung der Lohnsummen achten müssen. Und gerade
die Thematik der Saisonarbeitskräfte zeigt deutlich, welchen Schwankungen hier die Beschäftigtenzahlen
und als Folge daraus auch die Lohnsummen unterliegen. Die für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft im Prinzip leicht zugängliche Optionsverschonung mit vollständiger Freistellung des land- und
forstwirtschaftlichen Vermögens von Erbschaft- und Schenkungsteuerzahlungen hätte dann zur Folge, dass der Übernehmer des landwirtschaftlichen Betriebs in den nachfolgenden sieben Jahren jeweils
100 %, in Summe 700 % der durchschnittlichen Lohnsumme aufzubringen hätte. Alleine durch den Aspekt
der steigenden Mindestlöhne im Bereich der Land- und Forstwirtschaft wird den Landwirten mit dieser
Forderung eine sehr schwer realisierbare Pflicht auferlegt.
So ist zu hoffen, dass die entsprechenden Eingaben des HLBS und des Deutschen Bauernverbands zur
Herstellung der ursprünglichen Rechtslage, aber auch zur Nichteinbeziehung von mitarbeitenden Familienangehörigen, bei der Gesetzesbeschlussfassung Berücksichtigung finden.
In der Hoffnung, mit meinem Appell keine Fehlbitte an die Politiker geleistet zu haben, wünsche ich
Ihnen noch eine spannende Lektüre der neuen Ausgabe unserer Zeitschrift „Agrarbetrieb“.
München, im November 2015
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AgrB 6-2015
Agrarbetrieb
Inhalt
Inhalt
Meldungen........................................................................................................................................................................................................................................... 4
Aufsätze und Urteile......................................................................................................................................................................................................................... 9
Agrar-Steuern
Stephany, Der Tierwohlzuschuss und seine steuerliche Behandlung................................................................................................................................ 9
Beer, Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme.........................................................................................................................................13
BFH, Bewertung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben bei gemeinschaftlicher Tierhaltung (Kretz) .................................................18
BFH, Anforderungen an eine Schätzung durch Zeitreihenvergleich (Beer)..................................................................................................................19
Hessisches FG, Keine Erbschaftsteuerbefreiung für das Familienheim bei unentgeltlicher Überlassung (Hettenhausen)...........................22
BFH, Unentgeltliche Übertragung eines Kommanditanteils unter Nießbrauchsvorbehalt (Beer).........................................................................23
BFH, Einspruch durch einfache E-Mail (Glas)..........................................................................................................................................................................24
FG Köln, Keine Fristverlängerung für die Abgabe einer Einkommensteuererklärung bei ausstehenden Grundlagenbescheiden (Beer).....26
FG Schleswig-Holstein, Umsätze eines gemeinnützigen Pferdesportvereins aus Pferdepensionleistungen unterliegen dem
Regelsteuersatz (Horn)....................................................................................................................................................................................................................27
BFH, Auflösung einer Ansparrücklage kann zur Überschreitung der Gewinngrenze nach § 7g EStG führen (Barkhaus).............................29
BayLfSt, Altenteilsleistungen: aktuelle Veranlagungshinweise, Nichtbeanstandungsgrenzen (König)...............................................................31
Agrar-Recht
Hoffmann, Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der Landwirtschaft.....33
Marburger, Besonderheiten im Leistungsbereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung.......................................................................38
BSG, Hauptberuflichkeit einer Beschäftigung oder einer landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit (Marburger)......................................43
OVG Lüneburg, Zwingende Rückforderung von Fördermitteln bei fehlenden schriftlichen Mitteilungen über
Vorhabensänderungen (Leibold)..................................................................................................................................................................................................44
VG Trier, Privilegiertes Bauvorhaben beim landwirtschaftlichen Nebenerwerb (von Bockum)..............................................................................46
BVerwG, Gemeinden dürfen Pferdesteuer erheben (Riegler)............................................................................................................................................47
OLG Jena, Erbteilsübertragung als Umgehung der Genehmigungspflicht nach dem Grundstückverkehrsgesetz (Grziwotz)....................48
BGH, Enteignung zugunsten der Errichtung eines Windparks (von Bockum)..............................................................................................................49
AG Cottbus, Beanstandung von Landpachtverträgen nach dem Landpachtverkehrsgesetz (Nehls)..................................................................50
OLG Hamm, Tücken bei der Hoferbfolge (Lückemeier)........................................................................................................................................................51
LG Berlin, EHEC-Krise: Kein Schadensersatz wegen Umsatzeinbußen (von Bockum)................................................................................................53
Agrar-Taxation
Wenzl, Steinhorst, Thummert, 60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit....................55
Spinda, Thummert, Uherek, Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen bei den Gutachterausschüssen ........63
OLG Zweibrücken, Kein Vergütungsanspruch des Sachverständigen bei Schätzung des Verkehrswerts (Leisse)...........................................68
OLG Oldenburg, Keine Haftung des Verkäufers für Befunderhebungsfehler des Tierarztes bei Ankaufsuntersuchung (Leisse)...............68
Medien.................................................................................................................................................................................................................................................70
Impressum
Die Zeitschrift Agrarbetrieb erscheint zweimonatlich (Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember); Zitierweise: AgrB Ausgabe/Jahrgang/Seite, z.B. AgrB 6-2015 S. 34
Herausgeber: Hauptverband der landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen e.V. – HLBS e.V., Berlin
Herausgeber-Beirat: Prof. Dr. Enno Bahrs, Universität Hohenheim; Dipl.-Ing. Matthias Biederbeck, ö.b.v. SV; Rechtsanwalt Dr. Modest von Bockum; Rechtsanwalt Dr. Peter Fiedler, Notar;
Rechtsanwalt Ingo Glas; Dipl.-Finw. (FH) Ernst Gossert, Steuerberater; Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz, Notar; Rechtsanwalt Dr. Thomas Hahn, vereidigter Buchprüfer; Dipl.-Ing. agr. Dr.
Heinz Peter Jennissen, ö.b.v. SV; Dipl.-Ing. agr. Prof. Dr. Albrecht Mährlein, ö.b.v. SV; Rechtsanwalt Prof. Dr. Detlev J. Piltz; Dipl.-Ing. agr. Walter Stalbold, Steuerberater; Rechtsanwalt
Ralf Stephany, Steuerberater; Richter am Bundesfinanzhof Meinhard Wittwer
Verlag: HLBS Verlag GmbH, Engeldamm 70, 10179 Berlin, Telefon: 030/200 89 67 50 Telefax: 030/200 89 67 59, E-Mail: [email protected], Internet: [email protected]
Redaktion: Diplom-Kaufmann Udo Reuß, Philipp-Stöhr-Weg 18, 97447 Gerolzhofen, Telefon: 0170/467 41 67, E-Mail: [email protected]; Rechtsanwalt Stefan Wiemuth, HLBS Verlag
Anzeigenkoordination: ServiceCenter Herrmann GmbH, Oppenhoffallee 115, 52066 Aachen, Telefon: 0241/997 634 11, Telefax: 0241/997 634 12, E-Mail: [email protected]
Layout/Satz: Satzkasten, Stuttgart
Druck: Ludwig Austermeier Offsetdruck OHG, Berlin
Bezugspreis: Der Abonnement-Preis für ein Jahr beträgt 198,- €, für Mitglieder des HLBS e.V. 134,- €, jeweils zzgl. Versandkosten. Für Neuzugänge innerhalb des laufenden Kalender­
jahres erfolgt die Berechnung anteilig. Die Kündigung des Zeitschriftenabonnements ist mit einer Frist von 6 Wochen zum Ende eines Kalenderjahres möglich.
ISSN: 2199–9376
AgrB 6-2015
4
Meldungen
Steueränderungsgesetz 2015,
Abfärberegelung, Umsatzsteuer
und Erbschaftsteuerreform sorgten
für rege Diskussionen bei der
66. HLBS-Steuerfachtagung
Rund 300 Teilnehmer erlebten am 29./30. Oktober eine interessante und spannende 66. HLBS-Steuerfachtagung in Berlin. Wie jedes Jahr wurden aktuelle und problematische Themenfelder aus der Besteuerung von Land- und Forstwirten
fundiert dargestellt. Bei einigen Themen wurden engagierte
Diskussionsbeiträge eingebracht. So sorgte insbesondere
die gewerbliche Infektion landwirtschaftlicher Einkünfte für
zahlreiche Nachfragen. Auch die umsatzsteuerliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen gab Anlass zur Diskussion, da die steuerlichen Konsequenzen in der
Praxis noch nicht eingängig zur Kenntnis genommen wurden.
Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wird
derzeit erarbeitet
Mit einem Impulsvortrag über die Chancen und Risiken einer
Automatisierung des Besteuerungsverfahrens für den Berufsstand befasste sich WP/StB Dr. Ferdinand Rüchardt. Auf Basis
des Beziehungs- und Kommunikationsdreiecks Mandanten,
Steuerberater und Finanzamt beleuchtete er bisherige IT-Projekte der Finanzverwaltung und konzentrierte sich dann auf
die Vollmachtsdatenbank, die vorausgefüllte Steuererklärung,
elektronische Belege sowie auf die anstehenden Änderungen
der Abgabenordnung
Voraussichtlich im nächsten Jahr wird das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ verabschiedet,
welches dann ab 2017 umgesetzt wird. Voraussichtlich im ersten Halbjahr wird das Gesetzgebungsverfahren hierzu wahrscheinlich abgeschlossen sein. Viele Eckpunkte sind regelungsbedürftig:
●● Vollmachtsdatenbank und Zugriffsrechte werden in § 80a
Abgabenordnung normiert; ein darin registrierter Steuerberater darf dann die dort hinterlegten Daten für die
Besteuerung abrufen;
●● elektronische Belege;
●● Rückübermittlung von Bescheiddaten;
●● Abfrage von Daten Dritter.
Derzeitiger Diskussionsentwurf stellt Rationalisierungsmöglichkeiten in der Finanzverwaltung in den Mittelpunkt
Besonders kritisch setzte sich Dr. Rüchardt in seinem sehr visuell einprägsamen und informativen Vortrag mit der Zielstruktur
des Risikomanagementsystems der Finanzverwaltung auseinander. Neben der maschinellen Veranlagung wird es – unter Beachtung bestimmter Risikokriterien – auch künftig persönliche
Veranlagungen durch Finanzbeamte geben. Die Methodik dahinter müsse jedoch transparent und rechtsstaatlich überprüfbar sein, mahnte der Steuerberater: „Bei Zweifelsfällen muss
der Amtsermittlungsgrundsatz gelten.“ Derzeit dränge sich der
Eindruck auf, dass die Optimierungsmöglichkeiten der Digitalisierung nur einseitig für die Finanzverwaltung geschaffen würden, stellte HLBS-Präsident Dr. Jürgen Jaeschke im Rahmen
seiner Eröffnungsansprache fest. Auch die Steuerberater und
Mandanten müssten hiervon stärker profitieren, forderte er.
Dr. Rüchardt ergänzte: „Es muss ausgeschlossen werden,
dass gesetzlich festgeschrieben wird, was nicht technisch umgesetzt werden kann“. Hierzu wies er auf die verpflichtende
Übermittlung der E-Bilanz hin, die das Finanzamt noch nicht
nutzen kann. Eine verpflichtende Umsetzung dürfe frühestens
nach den Erfahrungen einer Pilotphase vorgeschrieben werden. Zudem „muss der Schutz der persönlichen Daten gewährleistet sein“.
Dr. Rüchardt: „Beratung statt Datentypisten“
Der Geschäftsführer der Ecovis BLB Steuerberatungsgesellschaft in München folgerte aus den Digitalisierungsentwicklungen, dass „Steuerberatung 4.0 nicht auf die leichte Schulter
genommen werden darf“. Steuerberater müssten sich jetzt organisatorisch entsprechend aufstellen. Eine reine Datentypistentätigkeit sei nicht mehr zeitgemäß. Die softwaretechnische
Bearbeitung von Rechnungswesen- und Steuerdaten würde
jedenfalls weiterhin enorm fortschreiten. Die voranschreitende
Digitalisierung könnte letztlich viele Steuerberater und Buchhalter in der Existenz gefährden, wenn sie sich nicht rechtzeitig
darauf einstellen würden. Dr. Rüchardt: „Beratung statt analoge
Dateneingabe“ sei das Gebot der Stunde und sichere die Daseinsberechtigung. Jaeschke antwortete auf Rüchardts aufrüttelnde Hinweise mit den Worten „Die Zukunft hat begonnen
und wird immer schneller.“
Heftige Kritik am aktuellen Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuerreform
Für richtigen Unmut sorgt der Fiskus bei einem anderen Gesetzgebungsverfahren. In einem Parforceritt stellte StB Ernst
Gossert den aktuellen Sachstand der bis zum 30.6.2016 umzusetzenden Erbschaftsteuerreform nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil dar. Der aktuelle Gesetzesentwurf wurde
im Finanzausschuss des Bundestags von den meisten Sachverständigen regelrecht zerrissen. Folge: Der bisherige Zeitplan
der Gesetzgebung wurde außer Kraft gesetzt. Eine rechtzeitige
Umsetzung der verfassungsrechtlich gebotenen Änderungen
ist derzeit unsicher. Andererseits ist der Problemdruck hoch,
weil die Erbschaftsteuer vermutlich ab dem 1.7.2016 nicht
mehr erhoben werden dürfte, bliebe sie unverändert. Umso
größer sei die Gefahr, dass nicht sachgerechte Lösungen Gesetz werden könnten, um Ausfälle für die Länder zu vermeiden.
Gossert, der Vorsitzender des HLBS-Steuerausschusses ist,
schlussfolgerte: „Unter der Annahme, dass die Saisonarbeitskräfte wie bisher aus der Lohnsummenregelung ausscheiden,
dürfte die Erbschaftsteuerreform die große Masse der landund forstwirtschaftlichen Betriebe nach heutiger Sicht nicht
betreffen. Es ist trotzdem unverzichtbar, dass die Verbände
auf der Zielgeraden diese aus der Sicht der Landwirtschaft
noch erforderlichen Änderungen am Gesetz einfordern. Sollte dies gelingen, besteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf,
AgrB 6-2015
Meldungen
noch überstürzt Vermögen auf die nachfolgende Generation
zu übertragen. Ohnehin sollte eine Übergabe niemals aus rein
steuerlichen Gründen erfolgen. Erst wenn sichergestellt ist,
dass auch die übrigen, außersteuerlichen Aspekte der Betriebsübertragung geklärt sind, kann das Thema Hofübergabe angegangen werden.“ Mehr zum aktuellen Stand in Gosserts Editorial
ab Seite 1 in diesem Heft.
Steueränderungsgesetz 2015 im Bundesrat verabschiedet
Beim Steueränderungsgesetz 2015 (StÄndG) wurde hingegen bereits der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen. Am
16.10.2015 hat der Bundesrat zugestimmt. Erst kurz zuvor erhielt das Restantengesetz einen neuen Namen. Zuvor hieß es
noch „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur
Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“.
RA Stefan Walter, Referatsleiter Steuerpolitik/Steuerrecht
beim Deutschen Bauernverband, stellte die wichtigsten Inhalte
dieses Gesetzes für Land- und Forstwirte vor:
●● Investitionsabzugsbetrag (§ 7g EStG): Abschaffung der
Funktionsbenennungserfordernisse ab 2016: Künftig ist
weder Funktionsangabe noch Investitionsabsicht notwendig; der Abzugsbetrag ist dann für bewegliche Wirtschaftsgüter frei verwendbar. Eine Hinzurechnung für ein
beliebiges Wirtschaftsgut kann erfolgen (Abs. 2). Eingeführt wird eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung
der Abzugsbeträge, die nur bei unbilligen Härten auf Antrag ausgenommen werden kann.
●● Bereits für Umwandlungen seit dem 31.12.2014 wurden
Besteuerungslücken in den §§ 20-24 Umwandlungssteuergesetz geschlossen: Einschränkung der Möglichkeiten
zur Erbringung steuerneutraler sonstiger Gegenleistungen bei Einbringung von Betriebsvermögen (Hintergrund:
„Porsche-Deal“); Begrenzung der Zuzahlungsmöglichkeiten auf 25 % des Buchwerts und maximal 500.000 €
(höchstens aber den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens); Grenzen gelten auch für den qualifizierten Anteilstausch.
●● Anpassung des Sachwertverfahrens an die Sachwertrichtlinie (§ 190 BewG): Reduzierung der Nutzungsdauern von
Gebäuden; Anpassung der Regelherstellkosten (Anlage
24 Bewertungsgesetz) an den Baukostenindex des Statistischen Bundesamts.
●● Vor allem Gartenbaubetriebe sind vom neu eingefügten § 2b UStG zur Umsatzsteuerbefreiung von Leistungen der öffentlichen Hand betroffen: Neuregelung der
Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand (keine
Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts, jPdöR, bei Tätigkeiten im Rahmen der
öffentlichen Gewalt; Leistungen auf privatrechtlicher Basis bleiben umsatzsteuerpflichtig); keine Befreiung, wenn
die Umsatzsteuerfreiheit zu „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ führt; dies ist z. B. nicht der Fall, wenn der
Jahresumsatz der jPdöR aus gleichartigen Tätigkeiten
voraussichtlich nicht mehr als 17.500 € Umsatz beträgt
und vergleichbare Leistungen privater Unternehmen
AgrB 6-2015
5
aufgrund von Steuerbefreiungen nicht steuerbar sind. Interkommunale Zusammenarbeit wird in § 2b Abs. 3 UStG
umsatzsteuerbefreit. Keine Veränderung gibt es bei den
Tätigkeiten juristischer Personen des öffentlichen Rechts
i.S.d. § 2 Abs. 3 UStG a.F. (BLE-Tätigkeit, Notare in BadenWürttemberg, Leistungen der Vermessungsbehörden
usw.).
●● Ausgeweitet wird voraussichtlich bereits in diesem Jahr
die Möglichkeit der Übertragung stiller Reserven nach
§ 6b EStG: Reinvestition in Wirtschaftsgüter einer ausländischen Betriebsstätte war bislang nicht begünstigt;
nach dem EuGH-Urteil vom 16.4.2015 – Rs. C 591/13 wird
§ 6b EStG dementsprechend angepasst. Bei Ersatzinvestitionen in Betriebsstätten im EU/EWR-Raum gibt es ein
Wahlrecht: gleichmäßige Gewinnverteilung auf fünf Jahre
oder sofortige Besteuerung des Buchgewinns: Dies soll
auf alle offenen Fälle rückwirkend anwendbar sein.
●● Neuregelung der Ersatzbemessungsgrundlage bei
der Grunderwerbsteuer: Anpassung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Beschlüsse vom
23.6.2015 – 1 BvL 13/11 und 1 BvL 14/11; vgl. Urteilskommentierung von Beer in Agrarbetrieb 5/2015, S. 29 ff.;
Unvereinbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage §§ 8
Abs. 2 GrEStG, 138 ff. BewG mit dem Grundgesetz; Bewertung künftig nach §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m.
§§ 157 ff. BewG; Grundbesitzbewertungen nach dem „gemeinen Wert“ (für Erbschaft- und Schenkungsteuer seit
2009); Anwendung rückwirkend für Erwerbsvorgänge,
die seit dem 31.12.2008 realisiert wurden; keine rückwirkende Änderung von vorläufigen Steuerbescheiden
(§§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO);
Anwendung der Neuregelung rückwirkend nur möglich,
wenn noch keine Steuerfestsetzung erfolgt ist, gegen
eine Steuerfestsetzung Einspruch eingelegt wurde, über
den noch nicht entschieden wurde (Rücknahme möglich)
oder ein Klageverfahren anhängig ist.
Die meisten der weiteren Änderungen des StÄndG gelten
ab 2016.
Walter fasste auch die weiteren in diesem Jahr bereits beschlossenen Gesetzesänderungen zusammen: Bürokratieentlastungsgesetz sowie Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des
Kinderzuschlags. Dargestellt sind diese Änderungen in Agrarbetrieb 4/2015, Seite 16-20.
Zudem gab der Referatsleiter vom Bauernverband einen
Ausblick auf das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“, die Erbschaftsteuerreform und die geplante
Neuregelung der Grundsteuer. Detaillierter dargestellt werden
das Steueränderungsgesetz und die aktuellen Gesetzesvorhaben
in Agrarbetrieb 1/2016.
Ebenfalls in den nächsten Heften ausführlich dargestellt werden die Probleme rund um den Nießbrauch im Betriebsvermögen. Prof. Dr. Marcel Krumm von der Universität Münster
thematisierte diese aus ertrag- und erbschaftsteuerlicher Sicht,
RA/FAStR/StB Arno Ruffer von der BSB-GmbH in Münster aus
umsatzsteuerlicher Sicht.
6
Meldungen
Wichtige Rechtsprechung für den LuF-Bereich
Aktuelle Rechtsprechung im Bereich der landwirtschaftlichen
Ertragsbesteuerung stellte Meinhard Wittwer, Richter am IV.
Senat des Bundesfinanzhofs, vor. Die angesprochenen Probleme waren:
●● Investitionsabzugsbetrag in Gründungsfällen,
●● Buchwertabspaltung bei Holzeinschlag,
●● Wegfall der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen
ohne vorherige Mitteilung,
●● keine Pflicht zur Aktivierung eines Instandhaltungsanspruchs,
●● Behandlung von Darlehen einer KG an ihre Kommanditisten,
●● Zuordnung eines Angehörigen-Darlehens zum Betriebsvermögen,
●● Gesamtplanrechtsprechung aus Sicht des IV. Senats:
Buchwertübertragung eines Mitunternehmeranteils trotz
vorheriger Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen,
Tarifbegünstigung des Gewinns aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils und Tarifbegünstigung des
Betriebsaufgabegewinns trotz vorheriger Ausgliederung
einer 100 %-Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft,
●● Abschreibungen in Ergänzungsbilanz bei Anteilserwerb.
Investitionsabzugsbetrag
Auf die Rechtsprechungsentwicklung zum Investitionsabzugsbetrag nach § 7g EStG konzentriert hat sich StBin Brigitte
Barkhaus von der LBH Steuerberatungsgesellschaft im hessischen Friedrichsdorf. Erst wenige Tage vor ihrem Vortrag veröffentlichte der BFH seinen Beschluss des Großen Senats vom
14.4.2015 – GrS 2/12. Im nächsten Heft wird Frau Barkhaus diesen Beschluss ausführlich darstellen und kommentieren.
Probleme bei Mitunternehmerschaften
Ebenfalls drei aktuelle, wegweisende – aber noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlichte – BFH-Urteile gaben den Anstoß
für das Referat von RA/StB Ralf Stephany, Geschäftsführer der
Bonner PARTA Buchstelle für Landwirtschaft und Gartenbau.
Dabei geht es um die neuen Geringfügigkeitsregeln des BFH,
ab wann gewerbliche Einkünfte LuF-Einkünfte infizieren. Stephany stellte eine nachvollziehbare Prüfungssystematik vor.
Demnach ist auf der ersten Stufe bei der Zuordnung gewerblicher Aktivitäten zu differenzieren zwischen LuF-nahe gewerblichen Tätigkeiten (R 15.5 EStR) und originär gewerblicher Tätigkeit (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG). Auf der zweiten Stufe sind die
neuen Größenmerkmale des BFH (absolut und relativ) bezüglich des Umsatzes zu prüfen. Beide Grenzen sind nebeneinander anzuwenden und selbstständig zu prüfen.
Stephanys Aussagen zur faktischen Ehegatten-Gemeinschaft
trafen auf heftigen Widerspruch von Oberamtsrat a.D. Gerhard
Hiller und Steueroberamtsrat Hans-Wilhelm Giere vom Niedersächsischen Finanzministerium. Beide sehen darin eine GbR,
sodass eine Ehegatten-Gemeinschaft abfärben könne. Es gäbe
keine faktischen Gesellschaften. Stephany vertritt hingegen die
Ansicht, dass Abfärberegelungen für faktische LuF-EhegattenGemeinschaften nicht anwendbar seien.
Konkretisierende Rechtsprechung zur buchwertverknüpften
Übertragung von Wirtschaftsgütern im Anwendungsbereich
des § 6 Abs. 5 EStG und bei Realteilung nach § 16 Abs. 3 Satz 2
EStG führte StB Stefan Heins von der Kieler Wetreu aus.
Mit forstwirtschaftlichen Steuerfragen setzte sich StB Dr. Richard Moser von Dr. Moser & Collegen aus Göttingen auseinander.
Der Kieler StB Helmut Wienroth beantwortete Praxisfragen zur Wohnhausentnahme und zur steuerfreien Entnahme
von Grundstücken zur Errichtung von Betriebsleiter- und Altenteilerwohnungen gemäß § 13 Abs. 4 und 5 EStG. In diesem
Zusammenhang stellte er u. a. das missliebige Urteil des FG
Baden-Württemberg vom 15.5.2012 (EFG 2012, S. 1545) vor.
Derzeit ist beim BFH die Revision anhängig (Az. IV R 21/12).
Umsatzsteuerliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern
Anforderungen an die Entscheidung zur umsatzsteuerlichen
Zuordnung von Gegenständen zum Unternehmensvermögen
und ihre rechtliche Konsequenzen erläuterte Oberamtsrätin
Nicola Reiling vom Umsatzsteuerreferat der OFD Karlsruhe.
Die Probleme der Praxis ergäben sich vor allem aus den teils
privat und betrieblich genutzten Wirtschaftsgütern. Sie mahnte
eindrücklich den 31. Mai des Folgejahres als verbindliche Frist
für die Zuordnung gegenüber dem Finanzamt an. Zu dokumentieren sei dies entweder im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldung in Form eines Vorsteuerabzugs oder per schriftliche
Erklärung. Bei einer bilanziellen Behandlung sei die Gefahr des
Fristversäumnisses hoch. Konsequenz: Mindestens für ein Jahr
könnte der Vorsteuerabzug verloren gehen. Bei einer teilweisen
Nutzung bei Durchschnittssatzbesteuerung und privater Zwecke verbleibe nur die schriftliche Erklärung als nachvollziehbare Dokumentation. Reilings Tipp: Grundstücke sollten immer
komplett dem betrieblichen Bereich zugeordnet werden, weil
diese steuerfrei veräußert werden können. In einem Aufsatz
können die weiteren Ausführungen der Umsatzsteuerexpertin
demnächst im Agrarbetrieb nachgelesen werden.
Mindestlohn und Mindestlohndokumentations-Verordnung
Bereits in dieser Ausgabe zu finden sind die wichtigsten Informationen und ersten Urteile zur Anwendung der Mindestlohnregelung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die RA
Romana Hoffmann, Justiziarin des Zentralverbands Gartenbau,
gab. Ausführlich ging sie auch auf die Dokumentationserleichterungen ein. Demnach gibt es keine Aufzeichnungspflichten
mehr für Ehegatten oder Lebenspartner, Eltern und Kinder des
Arbeitsgebers. Die weiteren Erleichterungen der Mindestlohndokumentations-Verordnung gelten jedoch nicht für Betriebe,
die unter den Geltungsbereich des Mindestentgelttarifvertrags
fallen. Dazu zählen aber bäuerliche Betriebe.
Fachausstellung
Neben den umfassenden Fachvorträgen konnten sich die Besucher in der Ausstellung über spezielle Software für das
Rechnungswesen und die Besteuerung land- und forstwirtschaftlicher Unternehmen, Verlagslösungen und weitere Dienstleistungen informieren. Es stellten aus: HLBS Verlag, Addison
AgrB 6-2015
Meldungen
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Agrosoft, Datev, Formatic, Neue Landbuch Gesellschaft (nlb),
Land-Data, Atikon und Simba.
Rahmenprogramm
Am Abend des ersten Tags der Steuerfachtagung konnten die
Teilnehmer Teilbereiche des Deutschen Technikmuseums während einer Führung kennenlernen, etwa den Bereich Flugzeug,
Auto oder Eisenbahn. Im Hauptstadtrestaurant Gendarmerie
fand der Tag einen stilvollen und angenehmen Ausklang bei
einem ansprechenden Abendessen.
Insgesamt überzeugte die 66. HLBS-Steuerfachtagung mit
profunden Fachvorträgen und den Möglichkeiten untereinander zu netzwerken. Davon machten viele der 300 Besucher
regen Gebrauch und hatten so doppelten Gewinn aus dieser
Jahresveranstaltung für Steuerexperten im Agrarbereich.
Autor: Udo Reuß, verantwortlicher Redakteur Agrarbetrieb
Umsatzsteuer für
Pferdepensionsleistungen
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit Schreiben vom 27.8.2015 zur „Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung (§ 24 UStG) auf Umsätze an Nichtlandwirte“
Stellung genommen.
Das Schreiben nimmt Bezug auf die Urteile des BFH vom
10.9.2014 – XI R 33/13 und vom 21.1.2015 – XI R 13/13. In
dem Schreiben wird geregelt, wann eine begünstigte landwirtschaftliche und eine nicht begünstigte gewerbliche Pferdepension vorliegt.
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Quelle: www.bundesfinanzministerium.de
Neue Vordrucke für die landwirtschaftliche Gewinnermittlung
In einem Schreiben vom 22.10.2015 hat das BMF die Vordrucke „Anlage 13a“ und „Anlage AV 13a“ für das Wirtschaftsjahr 2015 bzw. die abweichenden Wirtschaftsjahre 2015/2016
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Steuerliche Hilfen für süddeutsche
Landwirte
Durch die Trockenheit und die Hitze geschädigte landwirtschaftliche Betriebe in Süddeutschland erhalten Hilfe im
steuerlichen Bereich: Baden-Württemberg und Bayern haben
die Finanzämter angewiesen, das steuerrechtliche Instrumentarium soweit wie möglich auszuschöpfen.
AgrB 6-2015
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8
Meldungen
Damit soll dabei geholfen werden, die teilweise erheblichen
finanziellen Belastungen und Ernteeinbußen abzufedern. Infrage kommen insbesondere Maßnahmen wie Steuerstundungen
ohne Stundungszinsen, Herabsetzungen der Vorauszahlungen
für Einkommen- und Körperschaftsteuer oder auch ein vorübergehender Aufschub von Vollstreckungsmaßnahmen unter
Verzicht auf Säumniszuschläge.
Voraussetzung ist, dass die Betroffenen das zuständige Finanzamt durch entsprechende Anträge über die durch die Trockenheit hervorgerufenen Belastungen informieren. In begründeten Fällen werde den Betroffenen umgehend geholfen, so
Schmid. Auf die steuerlichen Hilfsmaßnahmen in Bayern soll
durch Presseveröffentlichungen, Aushang im Finanzamt oder
in anderer geeigneter Weise hingewiesen werden.
Quellen: Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg und Bayerisches Finanzministerium
Informeller EU-Agrarrat:
Hogan verteilt Hilfen
Deutschland soll 69 Mio. € aus dem EU-Agrarhaushalt für
notleidende Landwirte bekommen. Die EU-Kommission legt
vor allem die nationale Milcherzeugung für die Verteilung
der Mittel zugrunde.
EU-Agrarkommissar Phil Hogan verteilte 420 Mio. € an die 28
EU-Mitgliedstaaten als wesentlichen Bestandteil seines Hilfspakets. Für Deutschland sind 69 Mio. € vorgesehen, für Frankreich
62 Mio. €, für das Vereinigte Königreich 36 Mio. €, für die Niederlande 30 Mio. €, Polen 29 Mio. €, für Spanien und Italien jeweils 25 Mio. € und für Österreich 7 Mio. €. Die EU-Kommission
musste schnell handeln, um den zusätzlichen Finanzbedarf noch
im EU-Haushalt 2016 zu verankern. In Deutschland soll das Geld
für zinsverbilligte Kredite für Landwirte mit Liquiditätsschwierigkeiten verwendet werden. Hogan will die Kontrollen für die
Direktzahlungen einschränken, damit die EU-Mitgliedstaaten
pünktlich zum 16. Oktober den Landwirten eine Abschlagszahlung von 70 % gewähren können. Auf Vor-Ort-Kontrollen will die
EU-Kommission eventuell verzichten. Weiterhin soll die private
Lagerhaltung (PLH) für Milchpulver verbessert werden. Längere
Einlagerungen von bis zu einem Jahr sind vorgesehen, wobei
sich die monatlichen Lagerbeihilfen verdoppeln sollen. Für die
PLH-Schweinefleisch soll die Einlagerung von Speck zugelassen
werden, was bisher nicht möglich war.
Quelle: Agrarzeitung.de vom 15.9.2015
EU-Agrarministerrat:
Schmidt gegen Lagerhilfen
Die private Lagerhaltung für Schweinefleisch soll bald wieder
bezuschusst werden. Die EU-Kommission will damit den Markt
entlasten. Agrarminister Christian Schmidt widerspricht.
Eine breite Mehrheit im EU-Agrarrat begrüßte die Entscheidung, die private Lagerhaltung insbesondere für Schweinefleisch (PLH) wieder zu öffnen. Bundeslandwirtschaftsminister
Christian Schmidt gehörte zu den wenigen, die die Lagerhilfen
für Schweinefleisch ablehnen. Die Auslagerung der im Frühjahr
abgeschlossenen PLH-Verträge habe die übliche Belebung in
der Grillsaison im Sommer deutlich gebremst, kritisierte der
deutsche Minister die mangelnde Wirksamkeit der Maßnahme. Längere Einlagerungszeiten seien für Schweinefleisch aber
nicht möglich, weil darunter der Qualität der Ware leide.
Die PLH-Schweinefleisch kann nun mit einem Beschluss im
Verwaltungsausschuss kurzfristig wieder geöffnet werden. Verbesserungen sieht die EU-Kommission auch für die Einlagerung
von Magermilchpulver und Käse vor. Höhere Beihilfesätze und
längere Einlagerungsperioden sieht die EU-Kommission für Molkereiprodukte vor, um einen Bumerangeffekt zu vermeiden. Die
PLH-Käse beschränkte sich bisher auf Sorten mit geschützten
Herkunftsbezeichnungen. Sie soll jetzt auch auf andere haltbare
Sorten ausgeweitet werden. Für die PLH-Maßnahmen schätzt die
EU-Kommission den Finanzbedarf auf ungefähr 50 Mio. €.
Quelle: Agrarzeitung.de vom 8.9.2015
Investitionsförderung in
Brandenburg: Ställe müssen mehr
fürs Tierwohl bieten
In Brandenburg sollen Stallneubauten nur noch dann staatlich bezuschusst werden, wenn besonders hohe Tierwohlstandards eingehalten werden.
Landwirte, die in Brandenburg für einen Stallneubau Subventionen in Anspruch nehmen wollen, müssen ab 2017 besonders hohe Tierwohlstandards einhalten. Schon heute
würden bei zwei Dritteln der Anträge die Höchstkriterien der
Premiumförderung erfüllt, teilte das Landwirtschaftsministerium mit. Die Basisförderung, für die auch über die gesetzlichen
Forderungen hinausgehende Kriterien festgelegt wurden, solle
ab 2017 entfallen, erklärte Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger. Die Entscheidung sorge für Planungssicherheit und
stärke das Tierwohl, so der Minister.
Quelle: Agrarzeitung.de vom 7.9.2015
Bildung: Thüringen fördert
den Agrarbereich
Bis 2020 stellt der Freistaat 4 Mio. € für Bildungsmaßnahmen
in der Forst- und Agrarbranche bereit. Besonders im Fokus
stehen Auszubildende sowie der Ökosektor.
In Thüringen hat die Antragsfrist auf Unterstützung von Bildungsmaßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft begonnen.
In der neuen Förderperiode bis 2020 stehen dafür insgesamt
4 Mio. € zur Verfügung. Betriebsinhaber und Beschäftigte der
Land- und Forstwirtschaft können für Weiterbildungsmaßnahmen Zuschüsse von bis zu 70 % erhalten. Besonders im Fokus
stehen Vorhaben zum ökologischen Landbau und Bildungsmaßnahmen, die sich ausschließlich an Auszubildende richten.
Hier wird ein erhöhter Fördersatz von 90 % gewährt.
Quelle: Agrarzeitung.de vom 24.8.2015
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Der Tierwohlzuschuss und seine steuerliche Behandlung
Aufsatz
9
Der Tierwohlzuschuss und seine steuerliche Behandlung
von Rechtsanwalt, Steuerberater Ralph Stephany, Bonn
D
ie Grüne Woche 2015 war der Startschuss für die Initiative Tierwohl. Es handelt sich dabei um
eine von Institutionen und Verbänden aus der Landwirtschaft, der Fleischwirtschaft und des
Lebensmitteleinzelhandels getragene Initiative mit dem Ziel, Maßnahmen für Schweine und
Geflügel in der Tierhaltung, der Tiergesundheit und dem Tierschutz zu verbessern. Die von den Landwirten zusätzlich ergriffenen Maßnahmen werden dadurch vergütet, dass die Verbraucher einen um
4 Cent pro Kilogramm höheren Preis an der Ladentheke zahlen. Mittlerweile sind schweinehaltende
Betriebe zertifiziert worden und das Verfahren bei Geflügelbetrieben läuft an. Die Finanzverwaltung
hat sich bereits zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Zahlung des Tierwohlzuschusses geäußert.
Übersicht
1. Funktionsweise der Initiative Tierwohl
2. Steuerliche Beurteilung des Tierwohl-Zuschusses
2.1. Abwicklung der Auszahlung
2.2. Ertragsteuerliche Behandlung
2.3. Umsatzsteuerliche Behandlung
3.Fazit
1.Funktionsweise der Initiative Tierwohl
Trägergesellschaft der Initiative Tierwohl ist die Gesellschaft zur
Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH (GmbH)
mit Sitz in Bonn. Gesellschafter sind Verbände und Institutionen der Land- und Ernährungswirtschaft sowie aufseiten des
Lebensmitteleinzelhandels (LEH) u. a. die großen bekannten
Ketten. Die GmbH nutzt eine Clearingstelle, die das Liquiditätsmanagement und die Zahlungsabwicklung durchführt.
Der Tierwohl-Zuschuss wird vom LEH aufgebracht. Dieser
zahlt bereits seit dem 1.1.2015 je kg verkauftem Schweine- und
Geflügelfleisch 4 Cent in einen Tierwohl-Fonds ein. Zugesagt
ist vom LEH ein garantierter Betrag von 255 Mio. € für die ersten drei Jahre, also 85 Mio. € pro Jahr. Die Zahlung des LEH in
den Fonds erfolgt unabhängig davon, ob das jeweils verkaufte Schweine- oder Geflügelfleisch von Tierhaltern stammt, die
sich der Initiative Tierwohl angeschlossen haben oder nicht.
Ebenfalls erfolgt die Zahlung von 4 Cent/kg losgelöst vom jeweiligen Marktpreis für Schweine- oder Geflügelfleisch.
Für die Initiative Tierwohl war es beim Start nicht planbar, wie viele Landwirte sich an den jeweiligen Verfahren im
Schweine- und Geflügelbereich beteiligen, sodass nur so viele
Tierhalter zugelassen werden können, wie prognostizierte Einnahmen vonseiten des LEH zu erwarten sind. Deshalb ist es
dazu gekommen, dass viele Landwirte trotz einer Bewerbung
nicht für eine Teilnahme zugelassen worden sind.
Landwirte als Tierhalter mussten sich für eine Teilnahme an
der Initiative Tierwohl bewerben und dafür ein Registrierungs-
AgrB 6-2015
und Zulassungsverfahren, das sog. Audit, durchlaufen. Die landwirtschaftlichen Betriebe kennen diese Zertifizierungsverfahren
bereits aus dem QS-Prüfsystem. Von den 2.142 teilnehmenden
Betrieben mit Schweinehaltung haben 1.989 Betriebe das Erstaudit bestanden und sind nunmehr anspruchsberechtigt. Die
Teilnahme der Landwirte ist unbefristet und kann mit sechsmonatiger Frist gekündigt werden, wobei eine Kündigung erst nach
Ablauf von drei Jahren möglich ist. Mit der Teilnahme geht jeder
Landwirt Verpflichtungen ein, die ihm von der Initiative Tierwohl
entsprechend der Ausrichtung seines Betriebs (Schweinemast,
Sauenhaltung, Ferkelerzeugung) auferlegt werden. Es handelt
sich dabei um Grund- und Wahlpflichtkriterien (Tierwohlkriterien). Diese Kriterien müssen mindestens drei Jahre eingehalten werden. Sie werden von der Trägergesellschaft kontrolliert.
Die teilnehmenden Landwirte erhalten für die Erfüllung der
Tierwohlkriterien einen Tierwohl-Zuschuss. Dieser besteht für
schweinehaltende Betriebe aus einem pauschalen Grundbetrag
von 500 €/Jahr pro Standort sowie einem individuellen Zuschlag, der entsprechend der Wahlpflichtkriterien vergütet wird.
Die Grundanforderungen für schweinehaltende Betriebe differieren geringfügig je nach Ausrichtung des Betriebs (Schweinemast, Ferkelaufzucht, Sauenbetrieb) und umfassen im Wesentlichen Kriterien zur Tierhaltung, Hygiene, Tiergesundheit,
die Teilnahme am Antibiotika-Monitoring, ein Stallklimacheck
mit Tränkewassercheck sowie die Erfüllung von Tageslichtanforderungen. Bei den Wahlpflichtkriterien muss eines der beiden Kriterien „10 % mehr Platzangebot“ oder „ständiger Zugang zu gesundheitlich unbedenklichem Raufutter“ verbindlich
gewählt werden. Zudem können Landwirte wahlweise weitere
Kriterien, wie z. B. zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial, eine weitere Anhebung des Platzangebots um 20 % oder
40 %, mehr Auslauf oder Außenklimareize wählen.
Geflügelhaltende Betriebe konnten sich im Juni 2015 erstmals registrieren lassen und werden derzeit auditiert. Es handelt sich dabei um Hähnchen- und Putenmastbetriebe. Der
Tierwohl-Zuschuss beträgt hier eine noch zu bestimmende
Summe pro kg Lebendgewicht der verkauften Tiere, gestaffelt
nach Hähnchenmast- und Putenmastbetrieben.
Landwirte kennen Zertifizierungsstellen, Bündler und Auditoren bereits seit einigen Jahren. Es ist also kein neues Verfahren,
10
Aufsatz
Der Tierwohlzuschuss und seine steuerliche Behandlung
was hier auf die Beine gestellt wird, sondern es wird auf bekannte Verfahren in der Landwirtschaft zurückgegriffen. Neu an
diesem Verfahren ist, dass der LEH sich verbindlich verpflichtet
hat, 4 Cent/kg gekauften Schweine- oder Geflügelfleisch einzubehalten, unabhängig vom tatsächlichen Marktpreis. Dieser Aufschlag auf den Marktpreis ist für den Verbraucher erkennbar und
transparent, und dieser weiß somit, dass der von ihm entrichtete
Betrag unmittelbar in die Verbesserung der Tierhaltung fließt.
2.Steuerliche Beurteilung des TierwohlZuschusses
Die steuerliche Beurteilung des Tierwohl-Zuschusses hängt im
Wesentlichen von der Art der Leistungsbeziehung zwischen
dem landwirtschaftlichen Betrieb und insbesondere der Initiative Tierwohl ab. Landwirte haben zu Beginn einen zusätzlichen
Aufwand, der sich in höheren Betriebsausgaben niederschlägt.
Diese Aufwendungen werden erbracht, um auf der Einnahmenseite ein zusätzliches Entgelt, nämlich den Tierwohl-Zuschuss,
für die veräußerten Tiere unabhängig vom Marktpreis zu erzielen. Der individuelle Tierwohl-Zuschuss jedes einzelnen Betriebs stellt sich demnach als Festbetrag dar, der zusätzlich zum
Marktpreis für das verkaufte Tier in definierter Höhe gezahlt
wird.
Die Auszahlung selber wickelt die Initiative Tierwohl im Gutschriftsverfahren ab. Der Tierwohl-Zuschuss ist ein Nettobetrag, sodass die Umsatzsteuer auf die genannten Nettobeträge
zusätzlich aufgeschlagen wird.
2.1 Abwicklung der Auszahlung
Die Initiative Tierwohl hat sich ein relativ kompliziertes Verfahren zur Auszahlung ausgedacht, um die sich erst langsam
aufbauende Liquidität des Fonds zu berücksichtigen. So stellt
die Initiative Tierwohl bzw. die Clearingstelle nach Ablauf eines
Quartals am 1. Kalendertag des Folgequartals fest, wie hoch
der jeweilige Tierwohl-Zuschuss des teilnehmenden Betriebs
ist. Die Auszahlung dieses so festgestellten Tierwohl-Zuschusses erfolgt aber erst sechs Monate nach der Festsetzung, also
zwei Quartale später.
Agrar-Steuern
Beispiel: Schweinehalter S hat sich im Rahmen der Anmeldefrist beworben und hat am 2.5.2015 die Mitteilung erhalten, dass er teilnehmen kann. Ab diesem Zeitpunkt beginnt auch die Frist zur Einhaltung der Tierwohl-Kriterien.
Am 1.7.2015 teilt ihm die Clearingstelle mit, wie hoch sein
Anspruch auf Auszahlung seines Tierwohl-Zuschusses für
das 2. Quartal 2015 ist. Der Tierwohl-Zuschuss wird dann
am 2.1.2016 ausgezahlt.
Danach ergibt sich folgende Feststellungs- und Auszahlungstabelle:
Erfüllung der
Feststellung
Auszahlung
Tierwohl-Kriterien des Auszahlungsanspruchs
I. Quartal
1. April
1. Oktober
II. Quartal
1. Juli
1. Januar des
Folgejahres
III. Quartal
1. Oktober
1. April des
Folgejahres
IV. Quartal
1. Januar
1. Juli
2.2 Ertragsteuerliche Behandlung
Zu differenzieren sind hier die Betriebsausgaben sowie die Betriebseinnahmen.
2.2.1.Betriebsausgaben
Sämtliche Maßnahmen, die der landwirtschaftliche Unternehmer ergreift, sind ohne Weiteres als Betriebsaufwand geltend
zu machen. Soweit Wirtschaftsgüter angeschafft werden, wird
es sich im Wesentlichen um geringfügige Wirtschaftsgüter wie
z. B. das zusätzliche organische Beschäftigungsmaterial handeln. Gegebenenfalls ist darauf zu achten, ob durch Veränderungen an der Gebäudesubstanz Erhaltensaufwand oder aktivierungspflichtiger Aufwand entsteht.
Bei der Gewinnermittlung gem. § 13a EStG sind solche Aufwendungen mit dem Grundbetrag abgegolten und können daher nicht gesondert in Abzug gebracht werden.
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
2.2.2.Betriebseinnahmen
Die Zahlungen der Initiative Tierwohl bzw. der Clearingstelle
an die beteiligten Landwirte stellen zusätzliches Entgelt für die
Erzeugung und Veräußerung von Tieren dar. Es handelt sich
um Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft gem. § 13 EStG.
Betriebe mit gewerblicher Tierhaltung, die also die Vieheinheitengrenzen überschritten haben, werden generell nicht zur
Teilnahme zugelassen, da die Flächen-Tier-Relationen nicht
eingehalten werden.
Abhängig von den einzelnen Gewinnermittlungsarten für
landwirtschaftliche Betriebe ist der Tierwohl-Zuschuss ertragsteuerlich folgendermaßen zu behandeln:
Gewinnermittlung gem. § 13a EStG
Auch nach der Neufassung des § 13a EStG ist der TierwohlZuschuss mit dem Grundbetrag abgegolten. Der TierwohlZuschuss ist übliches Entgelt für die Tierzucht und die Tierhaltung und fließt damit bereits in die Grundbetragsermittlung
ein. Die zusätzlichen Maßnahmen, die die landwirtschaftlichen
Betriebe zur Erfüllung der Tierwohl-Kriterien ergriffen haben,
können bei dieser Gewinnermittlungsart nicht als Betriebsaufwand geltend gemacht werden. Die Ausgaben sind ebenfalls
mit dem Grundbetrag abgegolten. Zu berücksichtigen ist bei
§ 13a EStG, dass ab dem Wirtschaftsjahr (WJ) 2015/2016 ab der
26. VE/Betrieb ein Zuschlag von 300 € je weitere VE zu erfolgen
hat (Anlage 1a zu § 13a EStG).
Gewinnermittlung gem. § 4 Abs. 3 EStG
Erfolgt die Gewinnermittlung gem. § 4 Abs. 3 EStG, gilt das Zufluss- und Abflussprinzip des § 11 EStG. Der Tierwohl-Zuschuss
ist daher erst bei Zufluss zu erfassen. Die Zuflusstermine ergeben sich aus der vorgenannten Tabelle.
Gewinnermittlung gem. § 4 Abs. 1 EStG
Soweit die Betriebe gem. § 141 AO zur Buchführung verpflichtet sind oder freiwillig Bücher führen, ist zu prüfen, ob zum
Ende des jeweiligen WJ am 30.4. oder 30.6 eines Jahres eventuell entstandene und bereits festgesetzte Quartale durch die
Initiative Tierwohl gewinnerhöhend als Forderung zu erfassen
sind.
Für das Regelwirtschaftsjahr in der Land- und Forstwirtschaft vom 1.7. bis zum 30.6. werden dies das IV. Quartal und
das I. Quartal sein, weil hier zum 1.1. bzw. 1.4. Zahlungen festgesetzt werden, die aber erst sechs Monate, also nach Ablauf
des WJ, zur Auszahlung gebracht werden.
Greift das Weidewirtschaftsjahr vom 1.5. bis zum 30.4., betrifft dies ebenfalls das IV. und I. Quartal, da auch hier zwar die
Festsetzung des auszuzahlenden Tierwohl-Zuschusses am 1.1.
bzw. 1.4. erfolgt, die Auszahlung selber jedoch erst sechs Monate später, also nach Ablauf des WJ, vollzogen wird.
Der jeweilige Tierwohl-Zuschuss für das II. und III. Quartal
fällt sowohl hinsichtlich der Festsetzung als auch der Auszahlung in das jeweilige WJ, sodass insoweit keine Abgrenzung zu
erfolgen hat. Die am 1.7. bzw. am 1.10. festgesetzten Beträge
werden am 2.1. bzw. 1.4. des Folgejahres ausgezahlt, aber innerhalb des laufenden WJ.
AgrB 6-2015
Der Tierwohlzuschuss und seine steuerliche Behandlung
Aufsatz
11
2.3 Umsatzsteuerliche Behandlung
Die Initiative Tierwohl ist so konzipiert, dass die GmbH im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelt. Dadurch sollen
teilnehmende Landwirte einen individuellen Zahlungsanspruch
gegenüber der GmbH erhalten. Ebenso hat die GmbH einen
unmittelbaren Zahlungsanspruch gegenüber dem LEH. Leistungsbeziehungen der GmbH (Trägergesellschaft) bestehen
daher einerseits mit dem LEH, andererseits mit dem Tierhalter.
2.3.1. Leistungsbeziehung mit dem LEH
Die Leistungsbeziehung zwischen der GmbH und dem LEH ist
davon gekennzeichnet, dass sich die Initiative Tierwohl verpflichtet hat, die teilnehmenden Landwirte als Tierhalter regelmäßig zu kontrollieren, Öffentlichkeitsarbeit durchzuführen und das Markenzeichen „Initiative Tierwohl“ dem LEH zur
Verfügung zu stellen. Als Gegenleistung dafür entrichtet der
LEH den bereits genannten Betrag von 4 Cent/kg verkauften
Schweine- und Geflügelfleisch.
Nach Auffassung der Finanzverwaltung (Schreiben des BMF
vom 12.8.2015 an die Initiative Tierwohl, n.v.) erfolgt die Zahlung des LEH als Gegenleistung für sonstige Leistungen der
GmbH. Deshalb unterliegen die Leistungen der GmbH dem
Regelsteuersatz, sodass der LEH den Betrag von 4 Cent/kg verkauften Schweine- und Geflügelfleisch zuzüglich Umsatzsteuer
abzuführen hat. Anzusetzen ist der Regelsteuersatz von 19 %.
Diese Behandlung erscheint auch sachgerecht, weil ein entsprechender Leistungsaustausch zwischen der Trägergesellschaft und dem LEH dem Rahmen eines gegenseitig geschlossenen Vertrags vorliegt, in dem Leistung und Gegenleistung
definiert werden.
2.3.2. Leistungsbeziehung mit den
landwirtschaftlichen Betrieben
Zunächst ist zu prüfen, ob überhaupt ein umsatzsteuerbarer
Leistungsaustausch im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG gegeben
ist. So fehlt es z. B. bei Zahlungen aus öffentlichen Kassen an
einem Leistungsaustausch, wenn die Zahlung der Förderung
der Tätigkeit des Empfängers aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen dient (FG
Düsseldorf vom 23.5.2014 – 1 K 4581/12 U, EFG 2014 S. 1519).
Solche Zuschüsse werden zur Förderung des leistenden Empfängers erbracht und nicht im überwiegenden Interesse des
Leistungsempfängers. Auch eine Erfolgskontrolle führt allein
nicht zu einem Leistungsaustausch. Allerdings hat der BFH auch
entschieden, dass bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die
Vertragsparteien in einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet
haben, immer von einem Leistungsaustausch auszugehen ist
(BFH vom 18.12.2006 – V R 38/06, BStBl II 2009 S. 749). Von daher ist hier von einem Leistungsaustausch auszugehen, zumal
die Zahlungen nicht von der öffentlichen Hand, sondern von
einem privaten Unternehmen stammen.
Bei dem steuerbaren und – mangels Steuerbefreiung – steuerpflichtigen Tierwohlzuschuss kann es sich um eine Zahlung
von dritter Seite gem. § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG oder ggf. um
einen Zuschuss als zusätzliches Entgelt eines Dritten gem. Ab-
12
Aufsatz
Der Tierwohlzuschuss und seine steuerliche Behandlung
schn. 10.2 Abs. 4 UStAE handeln. Dies deshalb, weil die beteiligten Landwirte unabhängig von der Teilnahme an der Initia­
tive Tierwohl die von ihnen erzeugten Tiere an die nächste
Erzeugerstufe oder die Schlachtbetriebe veräußern wollen und
werden. Die beteiligten Landwirte erhalten daher mit dem
Tierwohl-Zuschuss ein zusätzliches Entgelt für die von ihnen
veräußerten Tiere. In der Sache spielt die Unterscheidung aber
keine Rolle, denn es ist jedenfalls von einem steuerbaren und
steuerpflichtigen Leistungsaustausch auszugehen.
Aus Sicht der teilnehmenden Landwirte ist aber von entscheidender Bedeutung, ob auf diese Leistungsbeziehung die
Sonderregelung der Umsatzsteuerpauschalierung gem. § 24
UStG angewendet werden kann oder nicht.
Die Finanzverwaltung (Schreiben des BMF vom 12.8.2015 an
die Initiative Tierwohl, n.v.) ist der Auffassung, dass die Zahlungen der GmbH an die beteiligten landwirtschaftlichen Betriebe
nicht in den Anwendungsbereich der Durchschnittssatzbesteuerung gem. § 24 UStG fallen und daher den allgemeinen Regeln
des UStG zu unterwerfen sind. Die Finanzverwaltung begründet dies damit, dass die von der GmbH empfangene Leistung in
deren Sphäre nicht zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken
genutzt wird. Aufgrund der Stellungnahme der Finanzverwaltung wird die Initiative Tierwohl den Tierwohl-Zuschuss bei der
Auszahlung nicht der Umsatzsteuerpauschalierung gem. § 24
UStG unterwerfen, sondern den allgemeinen Regeln des UStG.
Die Auffassung der Finanzverwaltung hinsichtlich des
Tierwohl-Zuschusses steht im Widerspruch zur Regelung des
§ 24 UStG sowie Art. 295 MwStSystRL. In den Anwendungsbereich der Umsatzsteuerpauschalierung gem. § 24 UStG fällt
die Vermarktung der typischen Erzeugnisse eines land- und
forstwirtschaftlichen Betriebs. Dies folgt aus Anhang VII, dem
Verzeichnis der Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung
i.S.d. Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 MwStSystRL. Maßnahmen der Tierproduktion, also der Tierzucht und der Tierhaltung i.V.m. der
Bodenbewirtschaftung, fallen danach ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Umsatzsteuerpauschalierung.
Nach den vertraglichen Vereinbarungen verpflichten sich die
teilnehmenden landwirtschaftlichen Betriebe gegenüber der
Initiative Tierwohl, einen bestimmten Mehraufwand zu tragen,
um einen höheren Veräußerungserlös für die von ihnen produzierten und zum Verkauf vorgesehenen Tiere zu erzielen. Es
spielt dabei keine Rolle, dass dieser zusätzliche Veräußerungserlös unabhängig vom Marktpreis ausgeglichen wird. Die teilnehmenden Betriebe erhalten daher für die Gesamtmenge der
von ihnen veräußerten Tiere den Tierwohl-Zuschuss und zusätzlich für jedes verkaufte Tier den entsprechenden individuell
errechneten Verkaufserlös, der zum Stichtag des Verkaufs am
Markt erzielbar ist und von den Schlachthöfen ausgekehrt wird.
Die von den beteiligten landwirtschaftlichen Betrieben ergriffenen Tierwohl-Maßnahmen stehen in einem unmittelbaren
Zusammenhang zu Maßnahmen der Tierzucht und Tierhaltung,
also der Tierproduktion insgesamt, sodass insoweit die Umsatzsteuerpauschalierung gem. § 24 UStG greift. Dies steht auch im
Einklang mit der Rechtsprechung des BFH zur Frage der Unmittelbarkeit der Leistungen eines Land- und Forstwirts (BFH, Urteil
vom 16.1.2014 – V R 26/13, BStBl. II S. 350). So hat der BFH aus-
Agrar-Steuern
geführt, dass die Unmittelbarkeit voraussetzt, dass die von der
Vorschrift begünstigten Zwecke durch die jeweilige Leistung
selbst gefördert oder begünstigt werden. Dies ist hier gewährleistet, denn die Vergütungen, die die teilnehmenden Betriebe
für die Umsetzung der Tierwohl-Kriterien erhalten, dienen unmittelbar der Veräußerung der durch Tierzucht und Tierhaltung
gewonnenen tierischen Produkte. Die Investitionen der landwirtschaftlichen Betriebe gemäß den Kriterienkatalogen, z. B.
Verbesserung der Tierhaltung, Hygiene und Tiergesundheit,
fördern den Zweck der Tierhaltung direkt und unmittelbar, sodass es sich um hierauf gerichtete Leistungen (BFH, Urteil vom
18.12.1996 – XI R 19/96, BStBl. II 1997 S. 334) handelt.
Bei den Leistungen der landwirtschaftlichen Betriebe im Zusammenhang mit dem Tierwohl-Zuschuss handelt es sich daher
um eine klassische und typische Tätigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung, die gem. § 24 UStG i.V.m. Art. 295 Abs. 1 Nr. 4,
Anhang VII der MwStSystRL in den Anwendungsbereich der
Umsatzsteuerpauschalierung fällt. Soweit der Betrieb zur Regelbesteuerung optiert hat, ist gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG
i.V.m. Anlage 2 von einem ermäßigten Umsatzsteuersatz i.H.v.
7 % auszugehen.
2.3.3Vorsteuerabzug
Soweit nach der Auffassung des BMF von einem den allgemeinen Regeln des UStG zu unterwerfenden Umsatz auszugehen
ist, haben die Betriebe im Gegenzug einen entsprechenden
Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 UStG. Dies gilt in den Fällen,
in denen der landwirtschaftliche Betrieb die Durchschnittssatzbesteuerung abgewählt und zur Regelbesteuerung optiert hat,
oder auch in allen anderen Fällen, falls die Auffassung der Finanzverwaltung in dem BMF-Schreiben vom 12.8.2015 zutreffend sein sollte.
Zum Vorsteuerabzug zuzulassen sind all die Maßnahmen,
die unmittelbar ergriffen werden, um den Kriterienkatalog der
Initiative Tierwohl zu erfüllen. Darüber hinaus ist aus den mittelbar angefallenen Kosten ebenfalls ein anteiliger Vorsteuerabzug geltend zu machen. Dabei handelt es sich insbesondere
um die Maßnahmen, die für die Grundanforderungen des Kriterienkatalogs der Initiative Tierwohl zu erfüllen sind. Ohne die
Einhaltung dieser Grundanforderungen, deren Rechtsgrundlage sich auch aus anderen Gesetzen ergibt, können die Betriebe
aber nicht den Tierwohl-Zuschuss empfangen. Daher sind diese
Kosten – anteilig – ebenfalls zum Vorsteuerabzug zuzulassen.
In der Praxis wird es schwierig sein, eine genaue Abgrenzung zu finden. Deshalb wäre hier vorzuschlagen, einen pauschalen Vorsteuerabzug in Höhe von 10,7 % der Bruttozahlung
der Initiative Tierwohl anzusetzen. Bekannterweise handelt es
sich bei dem Satz von 10,7 % um die makroökonomisch berechnete Vorsteuerbelastung des Sektors Land- und Forstwirtschaft (Riegler, Besteuerung landwirtschaftlicher Umsätze
nach Durchschnittssätzen, UR 2015, 329). Da alle Maßnahmen
der tierhaltenden Betriebe mit der Erlangung des TierwohlZuschusses im Zusammenhang stehen, also z. B. auch der Einbau von Lüftungs- und Fütterungseinrichtungen in den Ställen,
sodass ein anteiliger Vorsteuerabzug auch für diese Kosten zu
erfolgen hätte.
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme
3.Fazit
Land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die an der Initiative
Tierwohl teilnehmen und einen entsprechenden TierwohlZuschuss erhalten, haben diese Zahlung entsprechend ihrer
individuellen Gewinnermittlung ertragsteuerlich zu erfassen.
Bilanzierende Landwirte gem. § 4 Abs. 1 EStG müssen insbesondere entstandene Forderungen im Jahresabschluss bereits
berücksichtigen, die erst im Folgewirtschaftsjahr ausgezahlt
werden.
Umsatzsteuerlich ordnet die Finanzverwaltung die Zahlung
den allgemeinen Grundsätzen zu und lehnt die Anwendung
der Durchschnittssatzbesteuerung gem. § 24 UStG ab. Diese
Auffassung ist, wie aufgezeigt, nicht zutreffend, denn es handelt sich bei der Leistung der landwirtschaftlichen Betriebe um
eine typische Erzeugertätigkeit im Rahmen von Tierzucht und
Tierproduktion, auf welche die Umsatzsteuerpauschalierung
Aufsatz
13
Anwendung findet. Für regelbesteuernde Betriebe greift der
ermäßigte Steuersatz von 7 %.
Aufgrund des Antwortschreibens des BMF an die Initiative
Tierwohl ist gleichwohl davon auszugehen, dass die Auszahlung zunächst nicht mit dem Pauschalierungssatz gem. § 24
UStG erfolgt. Landwirte und ihre steuerlichen Berater sollten
daher abwägen, ob gegen entsprechende Gutschriften ein Widerspruch gem. § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG einlegt wird. Soweit die
Regelbesteuerung zur Anwendung kommt, darf auf keinen Fall
ein entsprechender Vorsteuerabzug aus den durchgeführten
Maßnahmen versäumt werden.
Ralf Stephany, Rechtsanwalt, Fachanwalt für
Steuerrecht und Agrarrecht, Steuerberater
Geschäftsführer der PARTA Buchstelle für
Landwirtschaft und Gartenbau, Bonn
Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme
von Diplom-Finanzwirt, Steuerberater Matthias Beer, Lüneburg
E
ntnahmewerte für die Abgabe von Wärme haben sowohl für die Einkommensteuer als auch für
die Umsatzsteuer Bedeutung. Durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12.12.2012 – XI
R 3/10, Bundessteuerblatt 2014, Teil II, Seite 809, und durch Verwaltungsanweisung (BMF-Schreiben vom 19.9.2014, Bundessteuerblatt 2014, Teil I, Seite 1287) ist diese Frage vorrangig für umsatzsteuerliche Zwecke beleuchtet worden. In einer kritischen Prüfung geht der Beitrag der Frage nach,
welche Folgen in einkommensteuerlicher und umsatzsteuerlicher Hinsicht aus dieser Rechtsentwicklung erwachsen, und fordert eine pragmatische Besteuerung auf der Grundlage des Menschenbilds
vom „mündigen Bürger“ ein.
Übersicht
1.Einführung
1.Einführung
Nach der einkommensteuerlichen Dogmatik dürfen Entnahmen die betrieblichen Einkünfte, den „Gewinn“, nicht mindern. Nach R 4.3 Abs. 2 Satz 1 EStR wird ein Wirtschaftsgut
entnommen, wenn es aus dem betrieblichen in den privaten
oder einen anderen betriebsfremden Bereich übergeht. Abs. 3
dieser Fundstelle regelt, dass eine Entnahme regelmäßig eine
Entnahmehandlung erfordert, die von einem Entnahmewillen
getragen wird.
Umsatzsteuerlich werden Entnahmen eines Gegenstands
durch einen Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, einer entgeltlichen Lieferung gleichgestellt (§ 3 Abs. 1b Nr. 1 UStG). Wärme
gilt als Gegenstand im Sinne des Umsatzsteuerrechts (Art. 5
Abs. 2 der 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rats vom 17. Mai 1977
zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuer – Richtlinie 77/388/EWG).
2. Grundsatzentscheidung des BFH vom 12.12.2012
3.Umsetzung dieses Urteils durch das BMF-Schreiben vom
19.9.2014
4. Fallgruppe 1: Entnahme von Wärme bei Lieferung an Dritte
gegen marktübliches Entgelt
5. Fallgruppe 2: Entnahme von Wärme ohne Lieferung an Dritte
6.Fallgruppe 3: Lieferung von Wärme an verbundene/nahestehende Personen ohne Entgelt bzw. ohne marktübliches
Entgelt
7. Kritisches Fazit
AgrB 6-2015
14
Aufsatz
Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme
§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG verlangt, dass bei unentgeltlichen Wertabgaben im Sinne des § 3 Abs. 1b UStG die Selbstkosten anzusetzen sind, wenn es an einem Einkaufspreis mangelt. Die Selbstkosten lassen sich anhand der vom Unternehmer
konkret getroffenen Investitionen hinlänglich sicher ermitteln.
Daher verwundert es nicht, dass sich Rechtsprechung und Verwaltung gerade aus umsatzsteuerlicher Sicht mit der Bewertung „entnommener“ Wärme befasst haben. In praxi schlägt
der für umsatzsteuerliche Zwecke nach Selbstkosten ermittelte
Entnahmewert für Wärme auch auf die Einkommensbesteuerung durch. Hier ergibt sich oft eine von der Finanzverwaltung
angenommene Gleichstellung von einkommensteuerlichem
Teilwert und umsatzsteuerlichen Selbstkosten.
2. Grundsatzentscheidung des BFH vom
12.12.2012
Der für umsatzsteuerliche Zwecke beurteilte Fall betraf den Betreiber eines Blockheizkraftwerks. Dieses war in seinem Einfamilienhaus installiert und erzeugte neben Wärme auch Strom,
der teilweise in das allgemeine Stromnetz eingespeist wurde.
Der Kläger hatte das Blockheizkraftwerk zu 100 % seinem
Unternehmensvermögen zugeordnet und dementsprechend
aus den Eingangsleistungen zur Herstellung dieses Unternehmensgegenstands eine vollständige Vorsteuererstattung
erlangt. Für die Verwendung der bei der Stromerzeugung erzeugten Wärme in seinem Einfamilienhaus setzte der Kläger
einen deutlich unterhalb der Selbstkosten liegenden Entnahmewert an. In der Betriebsprüfung und auch im nachfolgenden Klageverfahren hatte das Finanzamt aber die Selbstkosten
als umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage verlangt. Diesen Ansatz hielt das Finanzamt für geboten, weil der Kläger
die Wärme nicht eingekauft, sondern selbst hergestellt habe.
Schon deshalb – so der Verwaltungsansatz – könnten als umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche
Wertabgabe keine auf dem Energiemarkt angebotenen Preise anzusetzen sein. Ansonsten könne der von dem sich selbst
versorgenden Unternehmer vorgenommene Vorsteuerabzug
nicht in der Weise neutralisiert werden, dass dieser hinsichtlich der unentgeltlich abgegebenen Gegenstände wie ein vom
Vorsteuerabzug ausgeschlossener privater Konsument behandelt werde. Eine Umsatzbesteuerung liefe nach den vom Gesetz vorgesehenen Selbstkosten ins Leere.
Außerdem argumentierte das Finanzamt weiter, für mit
Blockheizkraftwerken erzeugte Wärme lägen „mangels Markt“
überhaupt keine Einkaufspreise vor.
In seiner Revisionsentscheidung hat der BFH vor seiner Prüfung des Entnahmewerts für Wärme eine grundsätzliche Beurteilung getroffen. Soweit bei der Wärmeenergiegewinnung
aus technischen Gründen nicht zur Heizung nutzbare Abwärme anfällt, können diese Energiemengen nach Ansicht der
Richter nicht als unentgeltliche Wertabgabe im Sinne von § 3
Abs. 1b UStG behandelt werden, weil insoweit keine willentliche Entnahme aus dem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, gegeben ist (vergleiche dazu
Agrar-Steuern
BFH-Urteil vom 3.11.1983 – V R 4-5/73, Bundessteuerblatt, Teil
II, 1984,169).
In der Wertfrage selbst verweist der BFH darauf, dass nach
§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG vorrangig der Einkaufspreis anzusetzen ist; die Bewertung der unentgeltlichen Wertabgabe
mit den Selbstkosten ist nur subsidiär vorzunehmen. Grundsätzlich soll der Unternehmer, der einen Gegenstand aus seinem Unternehmen für Zwecke entnimmt, die außerhalb des
Unternehmens liegen, mit der Umsatzsteuer belastet werden,
die im Zeitpunkt des Verbrauchs tatsächlich auf einem derartigen Gegenstand oder einem gleichartigen Gegenstand
gemäß der aktuellen Marktsituation lastet. Danach wird auch
der sich selbst versorgende Unternehmer wie ein sich fremd
versorgender Käufer behandelt, der den ( je nach Marktsituation niedrigeren oder höheren) aktuellen Preis bezahlen müsste. Auch, so die Richter, gebe Art. 74 der Richtlinie 2006/112/
EG des Rats vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht her, dass immer die Selbstkosten anzusetzen sind, wenn der Unternehmer Gegenstände entnimmt,
die im Unternehmen selbst hergestellt wurden. Grundsätzlich
ist nach dieser europäischen Rechtsquelle die unentgeltliche
Wertabgabe nach einem vergleichbaren Einkaufspreis zu bemessen.
Dabei ist der BFH auch der Ansicht des beklagten Finanzamts entgegengetreten. Dieses hatte vorgetragen, dass der
Ansatz von Einkaufspreisen schon daran scheitere, dass solche Preise für die vom Kläger produzierte Wärme nicht vorlägen, weil ausschließlich mit Blockheizkraftwerken produzierte
Wärme am Markt nicht angeboten würde. In ihrer Gegenargumentation verwiesen die Richter auf die Behandlung von
Wärme als vertretbare Sache. Diese unterscheide sich in physikalischer und technischer Hinsicht nicht von Wärme, die in
anderen Kraftwerken erzeugt würde. Bei vertretbaren Gütern,
so der BFH, sei es grundsätzlich unerheblich, in welchem Produktionsprozess sie geschaffen wurden.
Für den Ansatz des Einkaufspreises als Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe verlangten die höchsten Finanzrichter allerdings eine Marktsituation. Der Kläger
hatte vorgetragen, die unentgeltliche Wertabgabe für umsatzsteuerliche Zwecke anhand der Preise zu bemessen, die
von dem örtlichen Fernwärmeanbieter verlangt würden. Dazu
urteilten die Richter, dass die von einem Fernwärmeversorger
produzierte und angebotene Fernwärme nur dann als „gleichartiger Gegenstand“ im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
UStG angesehen werden könne, wenn sie für den betroffenen
Verbraucher zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Wertabgabe grundsätzlich ebenso erreichbar und einsetzbar wäre wie
die selbst erzeugte Wärme. An dieser Stelle forderte der BFH
einen Anschluss des Klägers an das Fernwärmenetz (welcher
höchstwahrscheinlich nicht vorhanden war).
Auch eine Bemessung des Umsatzes nach den Einkaufspreisen anderer Energieträger (etwa Heizöl oder Gas) lehnte der
BFH ab, weil eine Wärmeerzeugung auf deren Basis weitere
aufwändige Investitionen in Form der Heizungsanlage voraussetzen würde.
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
In der Sache selbst hat der BFH allerdings den Entnahmewert für die im Einfamilienhaus des Klägers verwendete Wärme
auf die Selbstkosten nicht fixiert, sondern die Sache an das Finanzgericht zur weiteren Aufhellung des Sachverhaltes zurückverwiesen.
3. Umsetzung dieses Urteils durch das BMFSchreiben vom 19.9.2014
In Unterabschnitt IV (umsatzsteuerrechtliche Behandlung von
KWK-Anlagen) greift die Finanzverwaltung das BFH-Urteil vom
12.12.2012 (a.a.O.) auf. Unter Bezugnahme auf den Urteilssachverhalt fordert auch die Finanzverwaltung für den Ansatz
eines Einkaufspreises den tatsächlichen Anschluss an das Fernwärmenetz eines Energieversorgungsunternehmens.
Die Ableitung des Einkaufspreises aus anderen Energieträgern (etwa Heizöl oder Gas) kommt nach Ansicht der Finanzverwaltung nur dann in Betracht, wenn eine darauf basierende Wärmeerzeugung keine aufwändigen Investitionen
voraussetzt, d. h. die Inbetriebnahme der anderen Wärmeerzeugungsanlage muss jederzeit möglich sein.
Nach umfangreicher Beschreibung, welche Aufwendungen Bestandteil der Selbstkosten im umsatzsteuerlichen Sinne
sind, bietet die Finanzverwaltung eine Vereinfachungsregelung an: So heißt es unter Abschnitt IV Tz. 2 letzter Satz, es
sei aus Vereinfachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn
der Unternehmer die unentgeltliche Wärmeabgabe nach dem
bundesweit einheitlichen durchschnittlichen Fernwärme- oder
Heizölpreis des jeweiligen Vorjahres auf Basis der jährlichen
Veröffentlichungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Energie (sogenannte Energiedaten) bemisst. Ein Blick auf die
Webseite des Bundesministeriums für Wirtschaft, welches diesen Datenbestand pflegt, offenbart etwa für 2011 einen Einkaufspreis von 0,84 € für einen Liter Heizöl.
Unter Berücksichtigung einer physikalischen Energieausbeute von etwa 11 kWh je Liter Heizöl resultiert daraus ein Einkaufspreis für Wärme von ca.7,6 Cent je Kilowattstunde.
Nach Tz. 3 letzter Satz dieser Rechtsquelle soll diese Vereinfachungsregel auch für Sachverhalte im Sinne von § 10 Abs. 5
UStG gelten, wenn Wärme an nahestehende Personen abgegeben wird und demnach die Mindestbemessungsgrundlage
zu prüfen ist.
Dieses BMF-Schreiben und auch die darin enthaltene vorstehend beschriebene Vereinfachungsregelung hat die Finanzverwaltung in den Anwendungserlass zur Umsatzsteuer übernommen.
4. Fallgruppe 1: Entnahme von Wärme bei
Lieferung an Dritte gegen marktübliches
Entgelt
Der Betreiber einer Biogasanlage erzeugt Strom über ein
Blockheizkraftwerk. Dieses versorgt über ein Nahwärmenetz
nahe gelegene Ein- und Mehrfamilienhäuser. Mit den Wärmekunden hat der Anlagenbetreiber einen Preis von 0,05 € netto
je Kilowattstunde Wärmeabnahme vereinbart. Auch das private
AgrB 6-2015
Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme
Aufsatz
15
Wohnhaus des Anlagenbetreibers ist an das Wärmenetz angeschlossen. Es wird unentgeltlich mit Wärme versorgt.
Einkommensteuerlich liegt unstreitig ein Fall der Entnahme
vor, da die betrieblich erzeugte und dem gewerblichen Betriebsvermögen zuzurechnende Wärme für außerbetriebliche
(private) Zwecke verwendet wird. In der einkommensteuerlichen Gewinnermittlung ist daher der Teilwertansatz geboten.
Umsatzsteuerlich liegt unentgeltliche Wertabgabe nach § 3
Abs. 1b Nr. 1 UStG vor, da die Beheizung des Privatwohnhauses
außerhalb des Unternehmens liegt.
Nach den vorstehend in Tz. 2 und 3 beschriebenen Rechtsquellen kommt umsatzsteuerlich der Einkaufspreis von hier
0,05 € je Kilowattstunde als Bemessungsgrundlage in Betracht.
Bei einem für ein Einfamilienhaus angenommenen Wärmeverbrauch von etwa 25.000 kWh jährlich ergebe sich nach der
Formel 25.000 kWh x 0,05 € je Kilowattstunde eine jährliche
umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage von 1.250 €.
Nach dem auf die Wiederbeschaffungskosten abzielenden
Teilwertbegriff dürfte auch einkommensteuerlich kein Hinderungsgrund bestehen, diesen Wert für Zwecke der Gewinnermittlung zu übernehmen.
5. Fallgruppe 2: Entnahme von Wärme ohne
Lieferung an Dritte
Hier sei an den Sachverhalt zu vorstehend 4. gedacht, allerdings
mit der Maßgabe, dass abgesehen von der Wärmeversorgung
des privaten Einfamilienhauses ein weiteres Wärmenutzungskonzept nicht besteht. In dem Fall kann der Unternehmer die
konkrete Ermittlung der Selbstkosten durch Anwendung der
Vereinfachungsregelung vermeiden.
Nach dem in Tz. 3 genannten Rechenbeispiel der Energiepreise für 2011 ergibt sich eine umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage von rund 7,6 Cent je Kilowattstunde.
Auch einkommensteuerlich dürfte dieser Wert als Teilwert
zu übernehmen sein.
6. Fallgruppe 3: Lieferung von Wärme an
verbundene/nahestehende Personen ohne
Entgelt bzw. ohne marktübliches Entgelt
Hier sei der Biogasanlagenbetreiber vorgestellt, der die Anlage in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG auf der Hofstelle
seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs betreibt. Die
bei der Verstromung anfallende Wärme nutzt er zum einen
durch den Betrieb einer gesellschaftseigenen Trocknungsanlage und zum anderen durch unentgeltliche Lieferung an den
Schweinemaststall seines land- und forstwirtschaftlichen Einzelbetriebs.
Einkommensteuerlich liegt unstrittig Entnahme im Sinne von
R 4.3 Abs. 2 EStR vor, da die Wärme für einen anderen betriebsfremden Bereich entnommen wird. Dafür ist der Teilwert anzusetzen. Für diese Betrachtung ist ebenfalls die umsatzsteuerliche Sicht hilfreich, da das in Tz. 3 vorgestellte BMF-Schreiben
vom 19.9.2014 auch hier die Vereinfachungsregelung zulässt.
Somit kann der durchschnittliche Fernwärme- oder Heizölpreis
16
Aufsatz
Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme
angesetzt werden. Es ergibt sich in diesem Fall nach Selbstkostenansatz eine Bemessungsgrundlage im Sinne von § 10 Abs. 5
UStG von etwa 7,6 Cent je Kilowattstunde.
Mangels Entgeltlichkeit und damit verbundener ordnungsgemäßer Rechnungsstellung steht der sich aus dieser unentgeltlichen Wärmeabgabe für außerunternehmerische Zwecke
entstehenden Umsatzsteuerschuld kein korrespondierender
Vorsteuerabzug beim empfangenden Einzelunternehmen gegenüber.
Gegen eine Übernahme dieses Werts für Zwecke des einkommensteuerlich für die Entnahme anzusetzenden Teilwerts
bestehen – soweit ersichtlich – keine Bedenken.
In diesem Zusammenhang sei noch die Fallvariante untersucht, wonach der Biogasanlagenbetreiber die Wärme an „sein“
Einzelunternehmen zwar gegen Entgelt liefert, dieses Entgelt
jedoch deutlich unter dem Wert gemäß der Vereinfachungsregelung der Finanzverwaltung liegt. Das tatsächlich berechnete Entgelt soll 0,02 € netto je Kilowattstunde betragen. Aus
umsatzsteuerrechtlicher Sicht vertritt das Finanzamt hier die
Auffassung, aufgrund des Selbstkostenverweises in § 10 Abs. 5
Nr. 1 UStG sei ebenfalls die schon mehrfach beschriebene Vereinfachungsregelung anzuwenden, d. h. im Beispiel seien etwa
7,6 Cent je Kilowattstunde als umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage anzusetzen. Bei dieser Einschätzung schuldet der
Biogasanlagenbetreiber die (höhere) Umsatzsteuer nach dieser Bemessungsgrundlage, während der Leistungsempfänger
aufgrund der geringeren In-Rechnung-Stellung einen deutlich
niedrigeren Vorsteuerabzug hat.
Problematisch ist, ob der für umsatzsteuerliche Zwecke laut
Vereinfachungsregelung gefundene Entnahmewert auch als
einkommensteuerlicher Teilwert angesehen werden kann. So
stellt sich, aus der Sicht des Biogasanlagenbetreibers, die Frage der „Wiederbeschaffung“ nicht, da er aus seiner Perspektive die für den Schweinestall abgezweigte Wärme für seine
Trocknungsanlage nicht benötigt und diese somit Abwärme
darstellt. Mangels anderweitigen betrieblichen Nutzens dieser Wärme wäre folglich deren Wiederbeschaffungswert aus
betriebswirtschaftlicher Sicht gleich Null. Gemäß der dem Einkommensteuerrecht innewohnenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise müsste das durchaus beachtet werden. Gleichwohl
besteht die Vermutung, dass die Finanzverwaltung auch hier
den nach der umsatzsteuerlichen Vereinfachungsregelung gefundenen Wert als Teilwert ansetzen will.
7. Kritisches Fazit
Nach Einschätzung des Autors sind umsatzsteuerlich in jedem
Fall und wohl auch einkommensteuerlich die Sachverhalte nach
den beschriebenen Fallgruppen 1 und 2 geklärt. Sie sind vor allem praktisch zu handhaben, da der Steuerpflichtige bzw. sein
Berater mit der Vereinfachungsregelung eine aufwändige Ermittlung der Selbstkosten vermeiden kann.
Nach der umfänglichen Beschreibung zu Selbstkostenermittlung in Abschnitt IV Tz. 2 des BMF-Schreibens vom
19.9.2014 wird der Praktiker durch die anschließend angebotene Vereinfachungsregelung der Finanzverwaltung überrascht.
Agrar-Steuern
Aus einer Vielzahl von Betriebsprüfungen und sicherlich auch
durch hausinterne Berechnungen dürfte dem Fiskus allerdings
bekannt sein, zu welchen zum Teil abstrusen Ergebnissen die
Bemessung der Umsatzsteuer für unentgeltliche Wertabgaben beziehungsweise Wertabgaben an nahestehende Personen nach den Selbstkosten führt. Dem Autor selbst sind aus
der Praxis konkrete Sachverhalte bekannt, wonach der Ansatz
der Selbstkosten zu einer umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage für die Abgabe von Wärme von 60 oder mehr Cent
je Kilowattstunde geführt hat. Diese Wertvorstellungen sind
wirtschaftenden und am Markt tätigen Betriebsleitern und Unternehmern nach allgemeinen Denkgesetzen nicht vermittelbar.
Insbesondere aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht besteht
dazu auch überhaupt keine Veranlassung. Einerseits lässt die
europäische Prägung des Umsatzsteuerrechts zu, dass auch
teilweise für unternehmensfremde Zwecke genutzte Unternehmensgegenstände insgesamt dem Unternehmen zugeordnet
und ein vollständiger Vorsteuerabzug aus deren Beschaffung
oder Herstellung geltend gemacht werden kann. Über die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b
Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten kann die Umsatzbesteuerung andererseits nicht zu einer Strafsteuer führen, soweit diese gedanklich auf den bei Anschaffung oder Herstellung dieses
Unternehmensgegenstands geltend gemachten Vorsteueranspruch auf dessen privaten Anteil entfällt.
Diese Sicht des Autors hofiert dem Grundsatz, dass die Umsatzbesteuerung nicht nach fiskalischer Gewinnorientierung
vorzunehmen ist. Eine Umsatzsteuerschuld steht dem Finanzamt nur dann zu, wenn eine Wertabgabe aus der unternehmerischen Sphäre in die Privatsphäre erfolgt; die davorliegenden
Leistungsketten im unternehmerischen Bereich sind grundsätzlich umsatzsteuerlich aufkommensneutral. Hier gilt der Grundsatz: „Die Umsatzsteuerschuld des einen ist die Vorsteuer des
anderen Unternehmers“.
Diese Rechtsauffassung führt den Verfasser insbesondere zu
einer kritischen Sicht der Fallvariante 3 (zu Tz. 6), bei welcher
der Biogasanlagenbetreiber die Wärme zu einem „verbilligten“ Preis an sein Einzelunternehmen liefert. An dieser Stelle
ist ausschließlich die Unternehmenssphäre (und nicht der Privatbereich) betroffen. Hier ist es Aufgabe von Verwaltung und
Rechtsprechung, den betroffenen Unternehmern gestalterische
Freiheit zu gewähren. Die Ausgestaltung einer verbilligten Lieferung von Wärme an nahestehende Personen innerhalb des
umsatzsteuerlichen Unternehmensbereichs führt einerseits
zwar zu höheren Umsatzsteuerschulden des leistenden, jedoch
korrespondierend zu einer Erhöhung des Vorsteueranspruchs
beim empfangenden Unternehmer. Der Vorgang ist also – egal
wie abgerechnet wird – umsatzsteuerneutral.
An dieser Stelle ist die grundsätzliche Kritik angebracht,
dass § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG auf Leistungen an die dort genannten Personen überhaupt nicht anwendbar ist, soweit sich
diese Leistungen ausschließlich im unternehmerischen Bereich
des Umsatzsteuergesetzes abspielen. Da das Umsatzsteueraufkommen bei diesen Sachverhalten nicht betroffen ist, muss den
beteiligten Unternehmern auch eine entsprechende („mündi-
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Steuerliche Entnahmewerte für die Abgabe von Wärme
ge“) Freiheit zur Gestaltung ihrer betrieblichen Sachverhalte
gewährt und respektiert werden.
Abschließend sei noch auf eine drohende Konterkarierung
der durch die Verwaltungsvereinfachung laut BMF-Schreiben
vom 19.9.2014 eingetretenen praktischen Handhabung verwiesen. Diese ist durch das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 28.11.2013 – 16 K 247/12, eingetreten. Dort wurde
entschieden, dass der dem Betreiber eines Blockheizkraftwerks
gewährte KWK-Bonus als Entgelt eines Dritten für die Wärmelieferung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG zu behandeln sei.
Nach dieser Dogmatik müssten die Sachverhalte der vorstehenden Fallgruppen 2 und 3 komplett anders gelöst und
als voll entgeltliche Vorgänge behandelt werden. Einer umsatzsteuerlichen Diskussion über unentgeltliche Wertabgabe
im Sinne von § 3 Abs. 1b Nr. 1 UStG entzieht diese Rechtsprechung vollständig den Boden. Soweit ersichtlich, ist die gegen
dieses Urteil eingelegte Revision beim Bundesfinanzhof unter
dem Aktenzeichen XI R 2/14 noch anhängig. Der Verfasser hat
Zweifel an der Sichtweise des Niedersächsischen Finanzgerichts, wonach der dortige Kläger die Wärme nur deshalb zu
0 € an Dritte abgegeben habe, weil er dafür den KWK-Bonus
Aufsatz
17
erhielt. Ist diese Auffassung richtig, müsste aufgrund der so gesehenen engen Verknüpfung zwischen der Zahlung des KWKBonus einerseits und der Wärmelieferung andererseits auch in
den Fällen, in denen tatsächlich ein Markt für Wärmelieferungen im Umfeld eines Blockheizkrafttags besteht, der Unternehmer aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten auf eine gesonderte Vergütung der Wärmelieferung verzichten. Dies erscheint
wirklichkeitsfern. Natürlich lässt sich der Betreiber eines Blockheizkraftwerks bei vorhandener örtlicher Marktlage seine Wärmelieferung ordentlich vergüten, obwohl er den KWK-Bonus
erhält. Die Trennung dieser Vorgänge erfordert m. E. auch eine
vom KWK-Bonus losgelöste umsatzsteuerliche Beurteilung der
unentgeltlichen Wertabgabe bei außerunternehmerischer Lieferung von Wärme.
Mit Spannung bleibt abzuwarten, ob sich der BFH der Sichtweise des Niedersächsischen Finanzgerichtes
anschließen wird.
Diplom-Finanzwirt, Steuerberater, Landwirtschaftliche Buchstelle Matthias Beer, Lüneburg;
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18
Urteil
Bewertung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben bei gemeinschaftlicher Tierhaltung
Agrar-Steuern
Rechtsprechung
Bewertung von land- und forstwirtschaftlichen
Betrieben bei gemeinschaftlicher Tierhaltung
Leitzsatz
Der land- und forstwirtschaftliche Betrieb bei gemeinschaftlicher Tierhaltung (§ 51a BewG) ist auch dann im sog. vergleichenden Verfahren gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 BewG zu
bewerten, wenn die Eigenfläche ausschließlich als Hof- und
Gebäudefläche genutzt wird und der Tierhaltungsgemeinschaft nicht als zivilrechtliche Eigentümerin gehört, sondern
gem. § 34 Abs. 6 BewG zuzurechnen ist. Hierbei sind zudem
die für die Eigenfläche anzusetzenden Vergleichswerte von
0,00 DM Viehzuschläge wegen überhöhter Tierbestände vorzunehmen.
Mit diesem Urteil bestätigt der BFH die Entscheidung der Vorinstanz (Finanzgericht Hannover vom 30.5.2013 – 1 K 268/12 –
EFG 2013, 1473).
BFH, Urteil vom 9.3.2015 – II R 23/13
Der Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Kommanditgesellschaft (KG), wurde zum 1. Juni 2007 von den Landwirten A
als Komplementär und B als Kommanditist errichtet. Ein weiterer
Landwirt C ist als atypisch stiller Gesellschafter an der KG beteiligt.
A, B und C, die die Voraussetzungen des § 51a Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 des Bewertungsgesetzes erfüllen, verpflichteten sich,
jährlich eine bestimmte Anzahl von Vieheinheiten (§ 51 Abs. 1a
BewG) auf die Klägerin zu übertragen. Die KG betrieb einen
Ferkelaufzuchtstall. Sie verfügte über keine regelmäßig landwirtschaftlich genutzten Eigenflächen. Die Stallgebäude, welche auf fremdem Grund und Boden errichtet waren, einschließlich der Einrichtungen und Betriebsvorrichtungen hat die KG
zur alleinigen Nutzung vom Komplementär A gepachtet. Weiterhin wurden Güllebehälter und notwendiger Hofraum vom
Komplementär A angepachtet. Der Stall sowie Güllebehälter
und Hofraum des Komplementär-Gesellschafters wurden der
Tierhaltungsgemeinschaft gem. § 34 Abs. 6 BewG zugerechnet.
Im Rahmen der Einheitsbewertung des Betriebs erfolgte seitens des Finanzamts eine Bewertung gem. den §§ 36 i. V. m.
§ 37 Abs. 2 BewG im Einzelertragswertverfahren. Das Finanzamt
legte dabei die im Wirtschaftsjahr 2007/2008 erzeugten Tiere
zugrunde und setzte gem. dem bundeseinheitlich abgestimmten Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom
26.06.1975 einen Ausgangswert von 500,00 DM je Vieheinheit an. Der daraus resultierende Einheitswert wurde in Höhe
von abgerundet 58.000,00 DM, entspricht 29.654,00 €, festgesetzt. Das Finanzgericht Hannover (Urteil vom 30.05.2013 – 1 K
268/12 – EFG 2013, 1473) gab der eingereichten Klage gegen
die Einheitswertfeststellung statt.
In seinem Urteil vertrat das Finanzgericht die Auffassung,
dass der Betrieb nicht im Einzelertragswertverfahren zu bewerten sei. Vielmehr hat eine Bewertung des Betriebs im verglei-
chenden Verfahren gem. den §§ 36 i. V. m. § 37 Abs. 1 BewG
zu erfolgen. Der Vergleichswert sei hierbei mit 0,00 DM anzusetzen. Weiterhin sei an diesem Vergleichswert ein Zuschlag
gem. § 41 Abs. 1 Nr. 1 BewG wegen des Überbestands an Vieh
vorzunehmen. Der Wertansatz für den Viehbestand betrage
je Vieheinheit 650 DM (gem. Abschnitt 2.20 Abs. 2 Nr. 3 der
allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Richtlinien zur Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens vom
17.11.1967). Dieser Ansatz sei weiterhin gem. § 41 Abs. 2a BewG
um 50 % zu vermindern. Der Einheitswert sei somit auf 116,04
Vieheinheiten x 325 DM/Vieheinheit = abgerundet 37.700 DM
(=19.725 €) festzusetzen.
Das dagegen gerichtete Revisionsverfahren des Finanzamts
hatte keinen Erfolg. Der BFH bestätigte die Auffassung des Niedersächsischen FG.
Das Urteil
Der land- und forstwirtschaftliche Betrieb sei bei gemeinschaftlicher Tierhaltung (gem. § 51a BewG) auch dann im vergleichenden Verfahren gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 BewG zu bewerten,
wenn die Eigenflächen ausschließlich als Hof- und Gebäudeflächen genutzt werden und nicht der Tierhaltungsgemeinschaft
als zivilrechtlichem Eigentümer gehören, sondern lediglich
nach § 34 Abs. 6 BewG zuzurechnen sind.
Gemäß § 51a Abs. 2 BewG kann abweichend von dem § 13
Abs. 1 EStG und 51 BewG ein Betrieb der land- und forstwirtschaftlichen Tierhaltung auch ohne Bewirtschaftung eigener
land- und forstwirtschaftlicher Flächen vorliegen. Voraussetzung ist, dass alle Gesellschafter bzw. Mitglieder der Tierhaltungsgemeinschaft die persönlichen Voraussetzungen des
§ 51a Abs. 1 BewG erfüllen. Ist dies nicht der Fall, so liegt eine
gewerbliche Tierhaltung vor.
Bei der Einheitsbewertung von landwirtschaftlichen Betrieben zu Zwecken der Grundsteuererhebung ist zunächst grundsätzlich das vergleichende Verfahren gem. §§ 36 i. V. m. 37
Abs. 1 BewG anzuwenden, wenn dieses durchführbar ist. Hier
besteht ein Anwendungsvorrang gegenüber dem Einzelertragswertverfahren gem. §§ 36 i. V. m. 37 Abs. 2 BewG. Beim
vergleichenden Verfahren handelt es sich um ein flächenbezogenes, an die planmäßige Nutzung der natürlichen Kräfte
des Bodens zur Erzeugung und Gewinn von lebenden Pflanzen
und Tieren angeknüpftes Wertermittlungsverfahren. Diese Voraussetzungen werden von Mastbetrieben (hier ein Ferkelaufzuchtstall) in der Regel nicht erfüllt. Allerdings führte der BFH
in seiner Urteilsbegründung aus, dass land- und forstwirtschaftliche Betriebe bei gemeinschaftlicher Tierhaltung auch
dann im vergleichenden Verfahren zu bewerten sind, wenn die
Eigenflächen ausschließlich als Hof- und Gebäudefläche genutzt werden und nicht der Tierhaltungsgemeinschaft als zivilrechtlichem Eigentümer gehören. Es könne für die Anwendbarkeit des vergleichenden Verfahrens keine Rolle spielen, ob
der Grund und Boden bei der Einheitsbewertung einer Tierhaltungsgemeinschaft als Eigentümerin oder gemäß § 34 Abs. 6
BewG als Eigenflächen zuzurechnen ist. Der BFH sieht hierfür
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Anforderungen an eine Schätzung durch Zeitreihenvergleich
keine gesetzliche Grundlage für eine unterschiedliche Bewertung und sieht demnach die Anwendung des vergleichenden
Verfahrens als gegeben.
Gemäß der Regelung des § 34 Abs. 6 EStG sind Wirtschaftsgüter, die einem oder mehreren Gesellschaftern gehören, in
die Einheitsbewertung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs mit einzubeziehen, wenn der Betrieb von einer Gesellschaft oder Gemeinschaft des bürgerlichen Rechts betrieben
wird. Dies soll der neueren Entwicklung in der Landwirtschaft
Rechnung tragen und die Bildung von wirtschaftlichen Einheiten erleichtern.
Weiter führte der BFH aus, dass das Finanzamt sowie das
Bundesministerium der Finanzen (dieses ist dem Verfahren
beigetreten) im Revisionsverfahren nicht dargelegt haben, aus
welchen Gründen es sachlich gerechtfertigt sein solle, für einen
land- und forstwirtschaftlichen Betrieb der Tierhaltungsgemeinschaft deshalb einen höheren Einheitswert festzusetzen,
weil der von ihr für den Stall genutzte Grund und Boden nicht
ihr, sondern einem Gesellschafter der Tierhaltungsgemeinschaft als zivilrechtlichem Eigentümer gehöre.
Darüber hinaus bestätigte der BFH die Auffassung der Vorinstanz, dass der Vergleichswert der Eigenflächen ohne landwirtschaftliche Nutzung 0,00 DM betrage. Dies entspreche
dem vom Gesetzgeber geforderten Maßstab der entsprechenden Ertragsfähigkeit solcher Flächen. Der Vergleichswert betrage 0,00 €, weil er aufgrund seiner Nutzung keine natürliche Ertragsfähigkeit aufweist. Zu diesem Vergleichswert von 0,00 DM
ist gem. § 41 BewG ein Zuschlag wegen verstärkter Tierhaltung
zu machen. Bei der Bemessung des Zuschlags sei im vorliegenden Fall ein gegendüblicher Bestand von „0“ zugrunde zu legen
und diesem der Viehbestand der Tierhaltungsgemeinschaft in
vollem Umfang gegenüberzustellen. Der Wertansatz des FG für
den Viehbestand nach der zutreffenden Regelung in Abschnitt
2.20 Abs. 2 Nr. 3 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift über
Richtlinien zur Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen
Vermögens (vom 17.11.1967) und der darin enthaltenen Tabelle L 30 beträgt je Vieheinheit 650,00 DM. Weiterhin sei der Ansatz des Vergleichswerts nach § 41 Abs. 2a BewG um 50 % zu
mindern. Auch dem hat der BFH zugestimmt.
Urteilsanmerkungen
von Marius Kretz, Steuerberater,
Landwirtschaftliche Buchstelle bei Burkart
Völlinger & Partner in Karlsruhe,
www.burkart-voellinger.de
Die Halbierung der vorzunehmenden Viehzuchtzuschläge nach § 41 Abs. 2a BewG bewirkt einen
niedrigeren Einheitswert für den landwirtschaftlichen Betrieb, was sodann eine niedrigere Grundsteuerbelastung
zur Folge hat. Mit seiner Entscheidung stellt sich der BFH
erneut gegen die Auffassung der Finanzverwaltung.
Im Urteil des BFH blieb allerdings die Frage offen, wie
der Fall zu entscheiden wäre, wenn sich die Nutzflächen
AgrB 6-2015
Urteil
19
nicht im Eigentum der Tierhaltungsgemeinschaft befinden würden und auch keine Zurechnung der Nutzflächen
als Eigenfläche gem. § 34 Abs. 6 BewG (Eigentum der Gesellschafter bzw. Beteiligten) gegeben wäre.
Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung ihre
Auffassung nunmehr insoweit ändert und der BFH-Entscheidung folgt. Dies hätte zur Folge, dass die Notwendigkeit des Vorhandenseins von Eigentumsflächen mit
landwirtschaftlicher Nutzung bei Tiermastbetrieben entfällt. Folgt die Finanzverwaltung der BFH-Entscheidung
nicht, so könnten betroffene Steuerpflichtige die Anwendung des (günstigeren) vergleichenden Verfahrens erst
im Klageweg erwirken.
Anforderungen an eine Schätzung durch
Zeitreihenvergleich
Leitsätze (gekürzt)
1. Die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs setzt voraus,
dass im Betrieb das Verhältnis zwischen dem Wareneinsatz
und den Erlösen im betrachteten Zeitraum weitgehend
konstant ist. Es darf zudem im maßgebenden Zeitraum
nicht zu solchen Änderungen in der Betriebsstruktur gekommen sein, die – nicht anderweitig behebbare – wesentliche Unsicherheiten bei der Aufstellung und Interpretation des Zahlenwerks mit sich bringen.
2. Bei einer Buchführung, die formell ordnungsgemäß ist
oder nur geringfügige formelle Mängel aufweist, kann
der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich
nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden.
3. Ist die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß, sind
aber materielle Unrichtigkeiten der Einnahmenerfassung
nicht konkret nachgewiesen, können die Ergebnisse eines
Zeitreihenvergleichs nur dann einen Anhaltspunkt für die
Höhe der erforderlichen Zuschätzung bilden, wenn andere
Schätzungsmethoden, die auf betriebsinternen Daten aufbauen, nicht sinnvoll einsetzbar sind.
BFH, Urteil vom 25.3.2015 – X R 20/13
Der Sachverhalt
Im Fokus der BFH-Entscheidung stand der Betreiber einer
Schank- und Speisewirtschaft. Dieser ermittelte seinen gewerblichen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Den
überwiegenden Teil seiner baren Einnahmen rechnete er über
eine elektronische Registrierkasse ab. Bei einer Außenprüfung
beanstandete das Finanzamt die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung und wies auf folgende Mängel hin:
●● Für ein geprüftes Jahr lagen zwar vollständige Tagesendsummenbons vor; diese waren jedoch nicht laufend
durchnummeriert.
●● Für ein anderes geprüftes Jahr konnte der Gastwirt nur
Tagesendsummenbons ohne Datum vorlegen.
20
Urteil
Anforderungen an eine Schätzung durch Zeitreihenvergleich
●● Programmierprotokolle der Registrierkasse und Speisekarten waren nicht vorhanden.
●● Die Warenendbestände hatte der Gastwirt durch Schätzung statt Inventur ermittelt.
Der Prüfer erhöhte die erklärten Betriebseinnahmen um
Hinzuschätzungen, die er durch einen sogenannten „Zeitreihenvergleich“ ermittelte. Dabei ermittelte er aus Liefer- bzw.
Eingangsdatum der Eingangsrechnungen den Wareneinkauf
für jede Kalenderwoche des Prüfungszeitraums. Nach Abzug
der Sachentnahmen der Klägerfamilie und Verteilung des
vom Kläger geschätzten Warenendbestands des letzten Prüfungsjahres auf die einzelnen Kalenderwochen ergab sich ein
konkreter wöchentlicher Wareneinsatz. Diesen verglich der
Prüfer mit den deklarierten Betriebseinnahmen. Aus diesem
Vergleich ergab sich für jede Woche des Prüfungszeitraums
ein Rohgewinnaufschlagsatz. Sodann berechnete der Prüfer für jede Kalenderwoche den Durchschnittswert aus den
Rohgewinnaufschlagsätzen dieser Woche und der 9 vorangehenden Wochen. In seiner Schätzung berücksichtigte der
Prüfer den höchsten 10-Wochen-Durchschnittswert, der sich
im jeweiligen Kalenderjahr ergab. Für das letzte Prüfungsjahr
waren dies die Kalenderwochen 28 bis 37 mit einem Rohgewinnaufschlagsatz von rund 263 %. Diese Rohgewinnaufschlagsätze wendete der Prüfer für das gesamte jeweilige
Prüfungsjahr auf den tatsächlich vom Kläger erklärten Wareneinsatz an. Seine Ergebnisse präsentierte der Prüfer in Form
von umfänglichen Excel-Tabellen. Für jedes Prüfungsjahr beinhalteten diese etwa 1.100 Zeilen zu je 10 Spalten, d. h. insgesamt ca. 11.000 Eintragungen.
Im vorangegangenen Einspruchs- und Klageverfahren
kritisierte der Kläger, dass für die Durchführung des Zeitreihenvergleichs die exakte Zuordnung des wöchentlichen Wareneinsatzes zu den Erlösen der jeweiligen Woche von entscheidender Bedeutung sei. Ein Schluss von dem (gesetzlich
aufzeichnungspflichtigen) Wareneinkauf auf den wöchentlichen Wareneinsatz sei aber wegen des Fehlens einer Verpflichtung zu wöchentlichen Inventuren mit großen Unsicherheiten
belastet. Insbesondere könnten zufällige Verschiebungen
am Anfang oder Ende eines solchen 10-Wochen-Zeitraums
erhebliche rechnerische Auswirkungen auf den Rohgewinnaufschlagsatz haben. Ferner würden bereits die betriebs- und
saisonüblichen Schwankungen in der Lagerhaltung sowie
hinsichtlich der Ein- und Verkaufspreise nach der Systematik
des Zeitreihenvergleichs zwingend zu rechnerischen Mehrergebnissen führen. Ihm – dem Kläger – erschließe sich weder
Ablauf noch das Ergebnis dieser Schätzungsmethode, welche
damit gegen das Begründungserfordernis des § 121 AO und
den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verstoße. Das Finanzamt hielt dem entgegen, dass der Zeitreihenvergleich auf
betrieblichen Daten des geprüften Betriebes beruhe und daher eine geeignete Schätzungsmethode darstelle. Daraus sich
ergebende Unschärfen gingen zulasten des Klägers.
Das Urteil
Der BFH gab der vom Kläger eingelegten Revision statt und
verwies den Fall an die Vorinstanz zurück. Grundsätzlich be-
Agrar-Steuern
jahten die Richter eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts
wegen der Mängel in der Buchführung. Wegen der besonderen Problembereiche sei der Zeitreihenvergleich sowohl dem
Grunde als auch der Höhe nach im Urteilsfall nicht die geeignete Schätzungsmethode gewesen. In der Urteilsbegründung
wägte der BFH zunächst die festgestellten Buchführungsmängel ab. Die teilweise Unvollständigkeit der Tagesendsummenbons sahen die Richter als gravierenden Mangel an – obwohl
das Finanzamt dem Kläger keine konkreten Einnahmeverkürzungen hatte nachweisen können. Die fehlende Datierung der
Tagesendsummenbons eines anderen Prüfungsjahres werteten die Richter dagegen als geringfügigen formellen Mangel.
Aus der lückenlosen Nummerierung der Bons ergäbe sich
zumindest ihre zeitliche Reihenfolge. In der fehlenden Dokumentation zur Kassenprogrammierung erblickten die Richter
wiederum einen schweren Verstoß gegen die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung. Schließlich verwies der BFH auf den
Grundsatz, wonach formelle Buchführungsmängel nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung aber nur insoweit
zur Schätzung berechtigen, als sie Anlass geben, die sachliche
Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.
Vor diesem Hintergrund untersuchte der BFH sodann den
vom Finanzamt konkret angewandten Zeitreihenvergleich unter methodischen Aspekten sowie unter dem Gesichtspunkt
des Rechtsschutzes. Das im Urteilsfall angewendete Schätzungsverfahren ermittelte den wöchentlichen Wareneinsatz
sowie auch den Betrag der wöchentlichen Einnahmen, ohne
dass in der Buchführung des Klägers Daten vorhanden waren,
aus denen sich die wöchentlichen Wareneinsätze konkret entnehmen ließen. Die Richter beanstandeten die Schlussfolgerung des Finanzamts, den höchsten Rohgewinnaufschlagsatz,
der sich für einen beliebigen 10-Wochen-Zeitraum eines Kalenderjahres ergibt, als maßgebend für das Gesamtjahr zu behandeln. Auch bei einer formell und materiell ordnungsmäßigen baren Kasse führe ein so eingesetzter Zeitreihenvergleich
zwingend logisch immer zu einem Mehrergebnis gegenüber
der Buchführung, da der höchste Rohgewinnaufschlagsatz aller 10-Wochen-Perioden des Jahres auf den Wareneinsatz für
das gesamte Jahr angewendet wird. Wegen der unterjährigen
Veränderung der Rohgewinnaufschlagsätze muss der höchste Rohgewinnaufschlagsatz aller 10-Wochen-Perioden eines
Jahres denknotwendig über dem durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsatz des Gesamtjahres liegen, selbst wenn
dieser sich aus einer zutreffenden Buchführung ergibt. Aus
den sich so rechnerisch ergebenden Mehrerlösen könne noch
nicht mit der erforderlichen Sicherheit darauf geschlossen
werden, dass diese rechnerische Differenz auf dem Verschweigen von Betriebseinnahmen beruhe. Hier widersprechen die
BFH-Richter deutlich der finanzgerichtlichen Vorinstanz.
Ganz konkret untersuchte der BFH sodann die mathematischen Hebelwirkungen, welche im Urteilsfall die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs beeinflussten. Zu Beginn und am
Ende der vom Finanzamt ermittelten 10-Wochen-Periode ergaben sich sehr hohe rechnerische Rohgewinnaufschlagsätze.
Diese trieben den 10-Wochen-Durchschnitt in die Höhe. In
seiner Alternativbetrachtung verschob der BFH den Betrach-
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Anforderungen an eine Schätzung durch Zeitreihenvergleich
tungszeitraum um nur 2 Wochen. Dadurch ergab sich ein um
rund 32 % niedrigerer Rohgewinnaufschlagsatz. Nach dem
in den Urteilsgründen hierzu konkret ermittelten Zahlenwerk
hatte diese Verschiebung erhebliche Auswirkung auf die
Höhe der Hinzuschätzungen. Mit der aufgezeigten Hebelwirkung insbesondere hoher rechnerischer Wochen-Rohgewinnaufschlagsätze zu Beginn und am Ende der herausgegriffenen 10-Wochen-Periode machen die Richter deutlich,
wie wesentlich eine sorgfältige Ermittlung der Schätzungsgrundlagen (hier des Wareneinkaufs und seine Verteilung
zum Zwecke der Gewinnung des Wareneinsatzes) für eine
methodisch korrekte Durchführung des Zeitreihenvergleichs
ist. Die Richter hielten dem beklagten Fiskus vor, dass der
nach dieser Schätzungsmethode grundlegende Wareneinsatz eben nicht den eigenen Buchführungsdaten des Klägers
entnommen worden sei.
Weiterhin forderte der BFH von der Finanzbehörde eine
nachprüfbare Darlegung ihrer Schätzungsgrundlagen. Dies
betrifft insbesondere auch eine Schlüssigkeitsprüfung des
Zahlenwerks der Schätzung. Hierzu verlangten die Richter, es
müssen sowohl die Kalkulationsgrundlage, die Ergebnisse der
Kalkulation sowie auch die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, offen gelegt werden. Die im Zeitreihenvergleich anfallenden umfangreichen Datenmengen seien für
Steuerpflichtige, Berater und Finanzgerichte nur beschränkt
nachprüfbar. Im Urteilsfall verwiesen die Richter das Finanzamt darauf, noch nicht einmal das vollständige Zahlenwerk
der Betriebsprüfung vorgelegt zu haben. Der fehlende Einblick in den Verteilungsvorgang hindere letztendlich auch das
Gericht daran, Erkenntnisse über die Größenordnung der im
konkreten Fall anzunehmenden Fehlermarge des Zeitreihenvergleichs zu gewinnen.
Auch gewinne das Finanzamt – so der BFH – durch die Anwendung mathematisch-statistischer Methoden aufgrund der
ihnen innewohnenden Datenmengen eine gewisse technischrechnerische Überlegenheit gegenüber dem Steuerpflichtigen. Diesen zwinge das Finanzamt damit in die Pflicht, „Auffälligkeiten“ in den Ergebnissen des Zahlenwerks zu erklären
bzw. zu widerlegen, ohne dass dieser – rechtlich nicht vorwerfbar – möglicherweise gar nicht über das umfangreiche
Zahlenmaterial bzw. über das statistisch-methodische Wissen
verfüge, um seinerseits eine sachgerechte Analyse der Datenmengen vornehmen zu können. In dieser Konstellation verletze das Finanzamt seine Darlegungspflicht, sodass ein angemessener Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nach Ansicht
des BFH nicht gewährleistet sei.
Aus diesen Betrachtungen schlussfolgern die Richter, dass
das Finanzamt in der Wahl seiner Schätzungsmethode nicht
frei ist. Der im Urteilsfall angewendete Zeitreihenvergleich
beruhte auf der Annahme, dass im Betrieb des Klägers das
Verhältnis zwischen Wareneinsatz und den Erlösen im betrachteten Zeitraum weitgehend konstant war. Dieses sah der
BFH als nicht gegeben an.
Nach seiner Ansicht steht es dem Finanzamt zwar frei,
moderne Prüfungsmethoden zu nutzen – bei der Auswahl
zwischen verschiedenen Schätzungsmethoden ist laut BFH
AgrB 6-2015
Urteil
21
jedoch das pflichtgemäße Ermessen beachtlich. Ermessensleitend ist dabei das Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch
Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie
der Wirklichkeit möglichst nahe kommen. Im Urteilssachverhalt war die Buchführung zwar formell nicht ordnungsgemäß,
materielle Unrichtigkeiten in der Einnahmenerfassung konnten dem Kläger aber nicht konkret nachgewiesen werden.
Grundsätzlich – so der BFH – ist das Finanzamt bei diesem
Sachverhalt gemäß § 162 AO zur Vornahme von Hinzuschätzungen berechtigt gewesen, weil eine Richtigkeitsvermutung
der Buchführung nach § 158 AO nicht gilt. Allein die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs – so das Fazit der Richter – lassen aufgrund der dieser Verprobungsart innewohnenden methodenbedingten Unsicherheiten aber noch keinen sicheren
Schluss auf das Vorliegen und den Umfang auch materieller
Unrichtigkeiten der Buchführung zu. Im Urteilsfall – so der
BFH – hätte aufgrund der Unschärfen des Zeitreihenvergleichs
eine Vergleichsrechnung vorgenommen werden müssen.
Urteilsanmerkungen
von Diplom-Finanzwirt, Steuerberater,
Landwirtschaftliche Buchstelle Matthias Beer,
Lüneburg; www.beer-steuerberatung.de
Soweit ersichtlich, liegt jetzt erstmalig ein
tiefgreifend analytisches höchstrichterliches Urteil zur Besteuerung nach dem Zeitreihenvergleich vor. Der Urteilstenor überzeugt durch die Widerlegung des Grundsatzes „juris non calculat“ – der rund
30 Druckseiten umfassende Umfang der Entscheidung
ist wesentlich dem Umstand geschuldet, dass sich die
Richter auch intensiv mathematisch mit dem im Klagefall angewendeten Zeitreihenvergleich auseinandersetzen und auch der zurückverwiesenen Vorinstanz
entsprechende Prüfungsauflagen machen. Durch die
perspektivische Verwerfung der im Zeitreihenvergleich
gewonnenen Besteuerungsgrundlagen gewinnen die
vom BFH herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze zur
Schätzungsmethodik und zur Gewährung von Rechtsschutz für den betroffenen Steuerpflichtigen eine nicht
widerlegbare Schärfe. Einer Betriebsprüfungspraxis,
wonach den Steuerpflichtigen auf „einer Seite“ die Prüfungsfeststellung zu Buchführungsmängeln und sodann
auf weiteren „49 Seiten“ auf Zeitreihenvergleich basierende umfassende „Eintragungen“ präsentiert werden,
sind jetzt enge Grenzen gesetzt worden. Mit Spannung
bleibt abzuwarten, ob und wie die Finanzverwaltung den
sich nach diesem Urteil ergebenden Anpassungsbedarf
bei der Prüfung von buchführungsmängelbehafteten
Betrieben umsetzen wird. Dem steuerlichen Praktiker sei
hiermit ein intensives Studium der Entscheidung empfohlen.
22
Urteil
Keine Erbschaftsteuerbefreiung für das Familienheim bei unentgeltlicher Überlassung
Keine Erbschaftsteuerbefreiung für das
Familienheim bei unentgeltlicher Überlassung
und nur gelegentlicher Nutzung
Die Gewährung der Steuerbefreiung wegen Erwerbs eines
Familienheims greift ein, wenn die Wohnung beim Erwerber
unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken
bestimmt ist und die erworbene Wohnung den Mittelpunkt
des familiären Lebens darstellt. Die gelegentliche Nutzung
zweier Räume stellt ebenso wie die unentgeltliche Überlassung zu Wohnzwecken an Angehörige keine Selbstnutzung
zu eigenen Wohnzwecken i.S. der Norm dar.
Hessisches FG, Urteil vom 24.3.2015 – 1 K 118/15
Der Sachverhalt
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres im Jahre 2010 verstorbenen
Vaters, nachdem ihre Mutter als testamentarisch eingesetzte
Erbin die Erbschaft ausgeschlagen hat. Nach dem Erbfall überließ die Klägerin ihrer Mutter den zum Nachlass gehörenden
Miteigentumsanteil von ½ an dem Wohnungseigentum unentgeltlich zur Nutzung. Vor dem Erbfall hatten beide Eltern dort
gewohnt.
Da die Klägerin der Ansicht war, die unentgeltliche Überlassung des Miteigentumsanteils an ihre Mutter stelle eine
Nutzung zu eigenen Wohnzwecken dar, machte sie in der Erbschaftsteuererklärung eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1
Nr. 4 ErbStG geltend.
Bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer berücksichtigte das
Finanzamt die beantragte Steuerbefreiung nicht, da es die Voraussetzungen dafür als nicht gegeben ansah.
In ihrer Einspruchsbegründung bezog sich die Klägerin auf
alte Rechtsprechung zu § 10e EStG a.F., nach der eine Selbstnutzung nicht grundsätzlich anders zu sehen sei als eine unentgeltliche Überlassung. Weiterhin war sie der Auffassung,
dass der Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 Nr. 4a-c ErbStG keine
zu enge Auslegung des Begriffs des Familienheims rechtfertige. So dürfe das bisher bestehende Familienheim seine Einordnung nicht allein deswegen verlieren, weil die Klägerin ihrer
Mutter, die ihrerseits, wenn sie nicht die Erbschaft ausgeschlagen hätte, die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in
Anspruch hätte nehmen können, die Wohnung zur Nutzung
unentgeltlich überlasse. Hinzu komme, dass sie selbst zwei
Räume der Wohnung regelmäßig zur Betreuung ihrer Mutter
sowie zur Verwaltung des Nachlasses des Vaters nutze.
Das Finanzamt wies den Einspruch zurück und begründete
dies damit, dass die Voraussetzung der Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken auf die Person des Erwerbers bezogen
sei und nicht auf Familienangehörige. Dass sowohl die Klägerin
als auch ihre Mutter jede für sich die Voraussetzung nach § 13
Abs. 1 Nr. 4b und c ErbStG erfüllen, reiche für das Vorliegen
einer Selbstnutzung durch die Klägerin nicht aus.
In der Begründung der nun folgenden Klage ergänzt die
Klägerin, dass sie als Erbin nur einen Miteigentumsanteil erworben habe und daher auch nur zu einer gemeinschaftlichen
Nutzung von höchstens 50 % berechtigt sei.
Agrar-Steuern
Das Urteil
Das Finanzgericht hält die Klage für unbegründet und argumentiert wie folgt:
1. Nach dem Gesetzestext ist die Steuerfreiheit bei Erwerb eines Familienheims sowohl durch Kinder (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c
ErbStG) als auch durch den Ehegatten (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a und
b ErbStG) immer davon abhängig, dass die Wohnung „beim
Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist“ bzw. – beim Erwerb unter Lebenden –,
dass die Wohnung „zu eigenen Wohnzwecken“ genutzt wird.
Der BFH hat mit seinem Urteil vom 18.7.2013 – II R 35/11 darüber hinaus gesagt, dass sich in der erworbenen Wohnung
der Mittelpunkt des familiären Lebens befinden muss.
2.Allein die gelegentliche Nutzung von zwei Räumen durch
die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung, da damit das Kriterium „Lebensmittelpunkt“ gerade nicht vorliegt. Da der Gesetzeswortlaut nicht zwischen
Alleineigentum und Miteigentum unterscheide, sei auch für
den Fall, dass nur Miteigentum vorliege, zur Erlangung der
Steuerbefreiung erforderlich, dass die Wohnung den Mittelpunkt des familiären Lebens bilde.
3.Auch die unentgeltliche Überlassung zu Wohnzwecken an
ihre Mutter stellt keine „Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken“ der Klägerin dar. Eine entsprechende Anwendung
der Regelung des § 4 Satz 2 EigZulG komme bereits deswegen nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber – abweichend
von § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG – im EigZulG die unentgeltliche
Überlassung an Angehörige als Sonderfall geregelt habe.
Auch eine planwidrige Regelungslücke sieht das Finanzgericht nicht.
Urteilsanmerkungen
von Steuerberaterin Kirsten Hettenhausen,
Wetreu LBB Betriebs- und Steuerberatungsgesellschaft KG, Oldenburg (Holstein),
www.LBB-Oldenburg.wetreu.de
Dieses Urteil fügt sich ein in eine Reihe
von Urteilen, mit denen sowohl die Finanzgerichte als
auch der BFH der Steuerbefreiung für das selbstgenutzte
Familienheim nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a–c ErbStG enge Grenzen setzen: BFH vom 18.7.2013 – II R 35/11 (Mittelpunkt
des familiären Lebens, keine Begünstigung von Zweitoder Ferienwohnungen); BFH vom 3.6.2014 – II R 45/12
(zivilrechtliches Eigentum erforderlich); FG München vom
22.10.2014 – 4 K 2517/12 (besuchsweise Nutzung nicht
ausreichend). Der BFH spricht sich damit klar für eine einschränkende Auslegung der Steuerbefreiungsvorschriften für Familienheime aus.
In seiner Begründung führt das Hessische Finanzgericht noch aus, dass es zwar Sinn und Zweck der Steuerbefreiung sei, den gemeinsamen familiären Lebensraum
nicht nur bei Ehegatten, sondern auch bei Hausgemeinschaften von Eltern und Kindern krisenfest zu erhalten
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Unentgeltliche Übertragung eines Kommanditanteils unter Nießbrauchsvorbehalt
(Bundestagsdrucksache 16/11107, S. 9) und dass es diesem Zweck nicht widersprechen würde, wenn nicht das
erwerbende Kind, sondern der – bei eigenem Erwerb
ebenfalls steuerfrei zu stellende Ehegatte – das Familienheim zu eigenen Wohnzwecken nutzen würde. Gleichwohl kommt das Finanzgericht zu dem Schluss, dass der
Gesetzgeber bewusst entschieden hat, nur die in § 13
Abs. 1 Nr. 4a–c ErbStG genannten Alternativen zu begünstigen. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt
(Az.: BFH – II R 32/15).
Der Referentenentwurf zur Neuregelung der Erbschaftsteuer sieht für die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1
Nr. 4a–c ErbStG keine Änderungen vor. Somit wird die
Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten eines neuen
ErbStG von Bedeutung bleiben.
Unentgeltliche Übertragung eines
Kommanditanteils unter Nießbrauchsvorbehalt
Leitsätze
1. Die freigebige Zuwendung eines Kommanditanteils unter
Nießbrauchsvorbehalt ist nach § 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG
a. F. nur steuerbegünstigt, wenn der Bedachte Mitunternehmer wird.
2. Behält sich der Schenker die Ausübung der Stimmrechte
auch in Grundlagengeschäften der Gesellschaft vor, kann
der Bedachte keine Mitunternehmerinitiative entfalten.
3. Für die Beurteilung, ob der Beschenkte mit der Übertragung des Gesellschaftsanteils Mitunternehmer geworden
ist, ist der Zeitpunkt der Übertragung maßgeblich.
BFH, Urteile vom 6.5.2015 – II R 34/13, II R 35/13 und II R 36/13
Der Sachverhalt
Alle drei Entscheidungen betreffen offensichtlich denselben Sachverhalt. Der Kläger hatte von seinem Vater in 2005
Kommanditanteile einer GmbH & Co. KG unentgeltlich und
unter Vorbehalt eines Nießbrauchs erhalten. Nach dem Gesellschaftsvertrag der KG war an dieser die KomplementärGmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger bereits war,
nicht beteiligt. Ihr oblag jedoch die Geschäftsführung für die
KG. Allerdings benötigte die Komplementär-GmbH nach dem
Gesellschaftsvertrag der KG die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung bei näher definierten außergewöhnlichen Geschäften. Zudem sah der KG-Vertrag vor, dass die Gesellschafterversammlung für die Überwachung und Entlastung
der Geschäftsführung, für die Vorstellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung, für Satzungsänderungen, die
Aufnahme und Ausschluss von Gesellschaftern und auch die
Liquidation der Gesellschaft zuständig war. Die Nießbrauchsregelung in der Abtretungsvereinbarung zum Kommanditanteil
sah vor, dass der Übertragsgeber als Nießbrauchsberechtigter
weiterhin vollumfänglich das Stimmrecht ausübte. Insoweit erteilte der Kläger dem Übertragsgeber Stimmrechtsvollmacht,
AgrB 6-2015
Urteil
23
welche ausdrücklich auch alle oben genannten außergewöhnlichen Geschäfte gemäß Gesellschaftsvertrag der KG umfasste.
In der Schenkungsteuererklärung machte der Übertragsgeber den Freibetrag und den geminderten Wertansatz nach
§ 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG in voller Höhe zugunsten des Übertragsnehmers und Klägers geltend. Das Finanzamt und auch
das Finanzgericht Münster als Vorinstanz lehnten die Gewährung dieser Vergünstigungen ab. Sie argumentierten, der Kläger sei mangels Mitunternehmerinitiative bei Übertragung
des Kommanditanteils nicht in eine Mitunternehmerstellung
eingerückt. Dem Vortrag des Klägers, die im Nießbrauch geregelte Stimmrechtsübertragung „per Vollmacht“ beinhalte keine
unmittelbare Stimmrechtszuordnung auf den Vorbehaltsnießbraucher, folgten die Richter nicht.
Das Urteil
Der Bundesfinanzhof hat diese Rechtsauffassung bestätigt.
Dabei unterschieden die Richter genau zwischen dem Gegenstand der Schenkung einerseits und der Steuerbegünstigung
des § 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG a. F. andererseits.
Die unentgeltliche Zuwendung von Anteilen an Personengesellschaften umfasst die Vermögensverschiebung zwischen
Schenker und Beschenktem. Eine solche Schenkung setzt voraus, dass dem Empfänger das Mitgliedschaftsrecht an der Gesellschaft zivilrechtlich wirksam übertragen wird – anderenfalls
erlangt der Beschenkte keinen Anteil am Gesellschaftsvermögen. Dafür sahen es die BFH-Richter als unbeachtlich an, ob
dem Beschenkten mit der Abtretung der Anteile auch ertragsteuerlich eine Unternehmerstellung im Sinne des § 15 EStG
verschafft wurde.
Folglich bejahte der BFH eine Bereicherung des Klägers auf
Kosten des Übertragsgebers in Höhe des Werts des Kommanditanteils sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach.
Im weiteren Verlauf der Urteilsgründe untersuchte der BFH
sodann konkret die Voraussetzungen der Steuervergünstigung
nach § 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG. Diese – bis Ende 2008 geltende – Vorschrift sah vor, dass der Beschenkte zur Inanspruchnahme des dort geregelten Freibetrags bei Erlangung eines
Anteils an einer Gesellschaft auch ausdrücklich Mitunternehmer im ertragssteuerrechtlichen Sinne werden musste. Danach
ist Mitunternehmer derjenige, der Mitunternehmerinitiative
entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt. In dem Zusammenhang verweist der BFH auf seine frühere Rechtsprechung,
wonach Mitunternehmerinitiative Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen zumindest in dem Umfang der Stimm-,
Kontroll- und Widerspruchsrechte eines Kommanditisten nach
den Regelungen des Handelsgesetzbuches oder der gesellschaftlichen Kontrollrechte nach § 716 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuches bedeutet.
Nach Auffassung der Richter war mit der Gewährung der
Steuervergünstigung des § 13 Abs. 4 Nr. 1 ErbStG durchaus
vereinbar, dass der Übertragsgeber sich einen Nießbrauch
am übertragenen Gesellschaftsanteil vorbehielt. Verbleiben
allerdings nach den Regelungen des Nießbrauchsvorbehalts
sämtliche Stimmrechte beim Schenker, führt dies dazu, dass
der Bedachte nicht Mitunternehmer im einkommensteuerli-
24
Urteil
Agrar-Steuern
Einspruch durch einfache E-Mail
chen Sinne wird. An dieser Stelle verweist der BFH auf frühere
höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der die Freibetragsregelung des § 13a Abs. 4 ErbStG in diesen Fällen nicht gewährt werden kann. Diese Rechtslage soll laut BFH jedenfalls
immer dann gelten, wenn der Gesellschafter die Ausübung der
Stimmrechte dem Nießbraucher umfassend überlassen hat und
dies auch für die Grundlagengeschäfte der Gesellschaft gilt.
Im Urteilsfall fehlte es im Abtretungsvertrag über die KGAnteile an einer Regelung zur „Verteilung“ der Stimmrechte
auf Beschenkten und Vorbehaltsnießbraucher. Die dem Schenker im Urteilssachverhalt erteilte Vollmacht umfasste vielmehr
sämtliche Stimmrechte und somit auch die, welche die Grundlagengeschäfte der Gesellschaft berührten.
Für die Beurteilung, ob der Beschenkte mit der Übertragung des Gesellschaftsanteils Mitunternehmer im ertragssteuerrechtlichen Sinne geworden sei, sahen die Richter den
Zeitpunkt der Übertragung, d. h. hier der wirksamen Abtretungsvereinbarung aus 2005, an. Eine wirtschaftlich davon
abweichende tatsächliche Ausübung der Stimmrechte in der
Folgezeit werteten die Richter ausdrücklich als unbeachtlich.
Für die schenkungsteuerrechtliche Beurteilung seien auch
allein die vertraglichen Regelungen im Zeitpunkt der Übertragung und nicht das tatsächliche Verhalten der Beteiligten
nach Übertragung des Gesellschaftsanteils maßgeblich. Da der
Kläger nach dem Wortlaut der Abtretungsvereinbarung zum
KG-Anteil durch den vollumfänglichen Vorbehaltsnießbrauch
zugunsten des Schenkers praktisch seine Gesellschafterrechte
überhaupt nicht wahrnehmen und dementsprechend auch keine Mitunternehmerinitiative entfalten konnte, verneinten die
Richter das nach § 13 Abs. 4 a. F. erforderliche Tatbestandsmerkmal der Mitunternehmerschaft.
Ausdrücklich weist der BFH darauf hin, dass eine Mitunternehmerstellung auch nicht durch die Stellung des Klägers als
Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH herbeigeführt
werden konnte. Nach Ansicht der Richter musste der geschenkte Kommanditanteil selbst dem Übertragsnehmer seine Stellung als Mitunternehmer im ertragsteuerlichen Sinn vermitteln.
Urteilsanmerkungen
von Diplom-Finanzwirt, Steuerberater,
Landwirtschaftliche Buchstelle Matthias Beer,
Lüneburg; www.beer-steuerberatung.de
Im vorliegenden Fall ist der Kläger an der
im Erbschaftsteuergesetz scheinbar vorgenommenen Vermengung von zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Betrachtungen gescheitert. Erbschaft- bzw.
schenkungsteuerrechtlich gilt über § 7 ErbStG der Grundsatz, dass eine Bereicherung dem Grunde und der Höhe
nach über das Zivilrecht zu beurteilen ist. Klassisch etwa
ist in diesem Zusammenhang die gemeinhin bekannte
Wertung, wonach eine unentgeltliche Grundstücksübertragung bereits dann ausgeführt ist, wenn der Schenkungsvertrag rechtswirksam abgeschlossen wurde und
die Beteiligten die Auflassung erklärt haben. In dem
Moment hat der Übertragsgeber „alles getan“, um dem
Übertragsnehmer das Eigentum am Grundstück zu verschaffen. Auf die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums am Grundstück (oft) zu einem späteren Zeitpunkt
kommt es für den für den Tatbestand der Bereicherung
nach ErbStG nicht an. So urteilt der BFH im Besprechungsfall nur konsequent, dass die Schenkung der KG-Anteile
unabhängig von der Verschaffung einer Mitunternehmerstellung zugunsten des Beschenkten dem Grunde und der
Höhe nach schon bei Abtretung in 2005 erfolgt war.
Losgelöst von diesen zivilrechtlichen Grundlagen für
eine Bereicherung nach ErbStG hatte der Gesetzgeber in
§ 13 Abs. 4 ErbStG a. F. eine Freibetragsregelung aufgenommen, die an die Gewährung einer Mitunternehmerstellung anknüpft. Diese Regelung mag der Rechtsanwender auf den ersten Blick als steuerlichen Systembruch
brandmarken – wird doch die Mitunternehmerstellung im
Ertragsteuerrecht insbesondere nach wirtschaftlich tatsächlichen Gegebenheiten und nicht nach bloßem Vertrag beurteilt. Hier geht das ErbStG jedoch seinen eigenen – zivilrechtlich ausgerichteten – Weg und bestimmt
die Mitunternehmerstellung ausschließlich nach den
vertraglichen Vereinbarungen und unabhängig vom tatsächlichen Verhalten der Beteiligten. Ab 2009 wurde die
Freibetragsregelung des § 13a Abs. 4 ErbStG durch den
Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 5 ErbStG ersetzt.
Diese einstweilen noch heute anzuwendende Vorschrift
verweist wiederum auf § 15 EStG und die dort geregelten
mitunternehmerschaftlichen Grundsätze. Somit haben
die BFH-Entscheidungen vom 6.5.2015 auch für die aktuelle Rechtsanwendung und die spätestens zum 30.6.2016
anstehende Neuregelung von Teilen des ErbStG m. E.
systematische Bedeutung. Bei der steuerlichen Beratung
solcher Übertragungsfälle sollte bei der Vertragsgestaltung darauf geachtet werden, dass der Beschenkte zumindest in den Grundlagengeschäften der Gesellschaft
sein Stimmrecht ausüben und dadurch Mitunternehmer
nach Vertrag werden kann.
Einspruch durch einfache E-Mail
Auch nach der bis zum 31.7.2013 geltenden Fassung des
§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO kann ein Einspruch mit einfacher EMail eingelegt werden, ohne dass diese mit qualifizierter
elektronischer Signatur versehen werden muss, sofern die
Finanzbehörde einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet hat.
BFH, Urteil vom 13.5.2015 – III R 26/14
Der Sachverhalt
Nach Beendigung der schulischen Ausbildung stritten die Mutter des Kinds und die Familienkasse über die Berechtigung zum
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
weiteren Bezug von Kindergeld. Mit Bescheid vom 17.1.2013
hob die Familienkasse (Beklagte) die Kindergeldfestsetzung
für die Monate August bis November 2012 auf und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld von der Mutter (Klägerin) zurück. Im Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid
der Familienkasse war deren E-Mail-Adresse angegeben.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin mit einfacher E-Mail
vom 23.1.2013 Einspruch ein, den die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 17.7.2013 als unbegründet zurückwies. Im hiergegen geführten Klageverfahren wies das Finanzgericht die Parteien erstmalig darauf hin, dass nach seiner
Ansicht kein wirksamer Einspruch erhoben worden sei, da für
eine Einspruchseinlegung durch E-Mail nach § 87a Abs. 3 AO
eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich gewesen
sei. Mit dieser Begründung wurde die Klage in erster Instanz
vom Hessischen Finanzgericht mit Urteil vom 2.7.2014 – 8 K
1658/13 als unbegründet abgewiesen.
Das Urteil
Der BFH hob die Entscheidung des Finanzgerichts mit der Begründung auf, dass ein Einspruch auch in der bis zum 31.7.2013
geltenden Fassung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO mittels E-Mail
ohne qualifizierte elektronische Signatur eingelegt werden
kann. Voraussetzung ist, dass die Finanzbehörde ein E-MailPostfach eröffnet und dieses bekannt gegeben hat, und dass
aus dem Schriftstück hervorgeht, wer ihn eingelegt hat.
Gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 AO in der bis zum 31.7.2013 gültigen Fassung war ein Einspruch schriftlich einzureichen oder
zur Niederschrift zu erklären. Anders als das Schriftformerfordernis nach § 126 Abs. 1 BGB erfordert die Schriftlichkeit des
§ 357 AO a.F. keine eigenhändige Unterschrift des Einspruchsführers. Das bedeutet, dass der schriftliche Einspruch auch
ohne Unterschrift des Einspruchsführers wirksam ist, sofern
das Schriftstück aus seinem sonstigen Inhalt den Einspruchsführer und den Gegenstand des Einspruchs erkennen lässt.
Aus dem Begriff „schriftlich“ kann nicht ohne Weiteres auf
ein die eigenhändige Unterschrift umfassendes „Schriftform“Erfordernis geschlossen werden. Vielmehr ist in den Fällen,
in denen das Gesetz Begriffe wie „Schriftstück“ oder „schriftlich“ verwendet, im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die
schriftliche Erklärung eine der Funktionen wie Abschluss-,
Perpetuierungs-, Identitäts-, Echtheits-, Verifikations-, Beweisund Warnfunktion erfüllen muss.
Wird der Einspruch elektronisch eingelegt, setzt dessen
Wirksamkeit keine qualifizierte elektronische Signatur nach
dem Signaturgesetz voraus. Dem steht nicht die Regelung in
§ 87a Abs. 3 Satz 1 AO entgegen. Bei dieser Vorschrift wird lediglich geregelt, dass eine durch Gesetz angeordnete „Schriftform“ durch die „elektronische Form“ ersetzt werden kann. Nur
in diesen Fällen wird eine qualifizierte elektronische Signatur
nach dem Signaturgesetz gefordert. Nach dem gesetzgeberischen Willen sollte es immer dann, wenn keine „Schriftform“
oder „elektronische Form“ gefordert wird, die Nutzung einer
einfachen elektronischen Kommunikation ermöglicht wird, soweit der Schriftlichkeit keine weitere rechtliche Bedeutung beizumessen ist, als der Dokumentations- und Nachweis­charakter.
AgrB 6-2015
Einspruch durch einfache E-Mail
Urteil
25
Auch aus der Regelung in § 357 Abs. 1 AO in der ab dem
1.8.2013 gültigen Fassung ergibt sich nichts anderes. Die dort
aufgenommene Ergänzung, dass der Einspruch auch „elektronisch“ eingereicht werden kann, stellt lediglich eine Klarstellung und keine Rechtsänderung dar. Die Verwendung des Begriffs „elektronisch“ macht deutlich, dass keine „elektronische
Form“ gefordert wird. Nur bei dieser Form wäre eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich gewesen.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwalt/Fachanwalt für
Steuerrecht und Agrarrecht Ingo Glas,
Geiersberger Glas & Partner mbB,
Rechtsanwälte und Fachanwälte, Rostock
und Schwerin, www.geiersberger.de
Das Urteil setzt konsequent eine Linie in der Rechtsprechung fort, wonach zwischen einem Formerfordernis
und der Art der Kommunikation differenziert wird. Nur
wenn das Gesetz bestimmte Formanforderungen an
die Abgabe von Willenserklärungen oder das Zustandekommen von Verträgen knüpft, sind diese für deren
Wirksamkeit zu beachten. Verwendet das Gesetz hingegen Begriffe wie „schriftlich“ oder „elektronisch“, handelt es sich um die Art und Weise der Übermittlung der
Erklärungen.
Die Entscheidung erging zwar zum § 357 Abs. 1 AO in
der Fassung bis 31.7.2013, sie hat aber auch eine Klarstellung für die Zeit ab dem 1.8.2013 mit sich gebracht.
Sowohl in Alt- als auch in Neufällen können Einsprüche
gegenüber Finanzbehörden mittels einer einfachen EMail eingelegt werden, ohne dass es der qualifizierten
elektronischen Signatur bedarf. Der BFH weist allerdings
darauf hin, dass eine E-Mail-Übermittlung voraussetzt,
dass die Finanzbehörde einen „Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente“ eröffnet hat. Gemeint
ist hiermit, dass die Behörde ein für den Empfang von
E-Mails zuständiges E-Mail-Postfach eingerichtet haben
muss und den Willen besitzen muss, hierüber Erklärungen zu empfangen. Diesen Willen dokumentiert die Behörde regelmäßig dadurch, dass sie ihre E-Mail-Adresse
in ihrem Briefkopf oder in ihren Bescheiden aufnimmt.
Weiterhin wird gefordert, dass aus der E-Mail hervorgehen muss, wer den Einspruch einlegt.
Zu beachten ist weiterhin, dass durch Gesetz auch
andere Anforderungen gestellt werden können, wie die
Verwendung amtlich vorgeschriebener Vordrucke oder
die Verpflichtung, gewisse Steuererklärungen elektronisch zu übermitteln. Auch die Erhebung einer Klage
beim Finanzgericht ist per E-Mail nur zulässig, wenn diese mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist und das betreffende Bundesland diese Signatur
in einer Verordnung vorgeschrieben hat.
26
Urteil
Keine Fristverlängerung für die Abgabe einer Einkommensteuererklärung bei ausstehenden Grundlagenbescheiden
Keine Fristverlängerung für die Abgabe einer
Einkommensteuererklärung bei ausstehenden
Grundlagenbescheiden
Die Pflicht zur fristgerechten Abgabe der persönlichen Einkommensteuererklärung besteht auch dann fort, wenn in der
Steuererklärung Angaben über gesondert festzustellende
Einkünfte zu machen sind und die Feststellungserklärungen
noch nicht fertiggestellt sind bzw. die Grundlagenbescheide
noch nicht vorliegen.
FG Köln, Urteil vom 23.4.2015 – 11 K 3742/14
Der Sachverhalt
Der verheiratete Kläger war als Arzt freiberuflich tätig. Seine
Einkünfte aus selbstständiger Arbeit wurden gesondert festgestellt. Daneben erzielte der Kläger aus diversen Beteiligungen
an Personengesellschaften weitere gesondert und einheitlich
festzustellende Einkünfte.
Im März 2014 forderte das Finanzamt den Kläger auf, die
Einkommensteuererklärung für 2013 bis spätestens zum
31.10.2014 einzureichen.
Noch im Oktober 2014 beantragte der Kläger eine Fristverlängerung für die Abgabe der Einkommensteuererklärung
2013 bis Februar 2015. Den Antrag begründete er damit, dass
die dafür erforderlichen Angaben von Grundlagenbescheiden
der jeweiligen Feststellungsfinanzämter abhängig seien und
diese Grundlagenbescheide noch nicht vorlägen. Daher könne
er keine „korrekte“ Einkommensteuererklärung abgeben. Das
Finanzamt lehnte diesen Antrag ab. In der Einspruchsentscheidung aus Dezember 2014 verwies es darauf, dass die Einkommensteuererklärung grundsätzlich mit den vom Steuerpflichtigen erklärten Besteuerungsgrundlagen veranlagt werde. Dies
gelte auch hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen. Sollte sich bei Durchführung der gesonderten Feststellung herausstellen, dass die insoweit vorab erklärten
Einkünfte unzutreffend seien, werde der Einkommensteuerbescheid gemäß § 175 AO geändert. Auch stehe das öffentliche
Interesse an einer zeitnahen und zügigen Durchführung des
einkommensteuerlichen Veranlagungsverfahrens der vom Kläger begehrten Fristverlängerung entgegen.
Das Urteil
Das Finanzgericht Köln wies die vergleichbar begründete Klage
gegen die Einspruchsentscheidung rechtskräftig ab.
Gemäß § 102 FGO könne – so die Richter – nur überprüft
werden, ob das Finanzamt sein Ermessen bei der Entscheidung
über den Fristverlängerungsantrag richtig ausgeübt und insbesondere die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten habe.
Dabei verwiesen die Richter auf die Grundsatznorm des
§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO. Danach endet die Abgabefrist für jahresbezogene Steuererklärungen jeweils am 31. Mai des Folgejahres. Diese Frist kann nach § 109 Abs. 1 Satz 1 AO verlängert
werden. Dazu zitiert das Finanzgericht Köln die koordinierten
Ländererlasse vom 2.1.2014. Nach dieser Rechtsquelle werden
Agrar-Steuern
die Abgabefristen für Steuererklärungen 2013, die von Angehörigen der steuerberatenden Berufe angefertigt werden,
grundsätzlich bis zum 31.12.2014 verlängert. In begründeten Einzelanträgen – so das Gericht – könne die Frist bis zum
28.2.2015 ausgedehnt werden. Diese Handhabung dient nach
Ansicht der Finanzrichter einem sachgerechten Interessenausgleich zwischen dem Steuerpflichtigen bzw. seinem Steuerberater einerseits und den Finanzbehörden andererseits. In seiner
Entscheidung hebt das Finanzgericht Köln die verfahrensmäßige Eigenständigkeit des für die Erteilung eines Grundlagenbescheids maßgeblichen Feststellungsverfahrens hervor. Nach
dieser Besteuerungssystematik werden „an sich“ unselbstständige Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer in einem
gesonderten Feststellungsverfahren ermittelt. Dieses Vorgehen
bringe es regelmäßig mit sich, dass das Ergebnis eines Grundlagenbescheids mitunter auch erst dann vorliegen kann, wenn
die Abgabefrist für die Steuererklärung des Folgebescheids
bereits abgelaufen ist oder die Steuerfestsetzung für den Folgebescheid bereits durchgeführt wurde. Diese vom Gesetzgeber gewollte Systematik offenbare sich insbesondere in § 155
Abs. 2 AO, wonach ein Folgebescheid auch dann erteilt werden
kann, wenn noch kein Grundlagenbescheid existiert. In diesem
Fall trifft den Steuerpflichtigen nach Meinung der Richter die
Verpflichtung, die ihm noch nicht bekannten gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen in der Einkommensteuererklärung nach § 162 Abs. 5 AO zu schätzen. Aus dieser klaren
Gesetzesvorgabe erwächst auch die Bindung des Steuerpflichtigen an die Abgabefrist der Einkommensteuererklärung. Ausdrücklich räumen die Finanzrichter deshalb dem öffentlichen
Interesse an einer zeitnahen und zügigen Durchführung der
Einkommensteuerveranlagung den Vorrang vor einer möglichen Vermeidung oder Reduzierung von Folgeänderungen
bei der Einkommensteuerfestsetzung ein. Die Richter werteten
es auch als unbeachtlich, dass der Kläger in seinem Vortrag
eine andere Vorgehensweise für „ökonomisch sinnvoller“ hielt.
Daraus ergebe sich keine Auswirkung auf die als sachgerecht
anzusehende Ermessensentscheidung des Finanzamts bei der
Ablehnung des Fristverlängerungsantrags.
Urteilsanmerkungen
von Diplom-Finanzwirt, Steuerberater,
Landwirtschaftliche Buchstelle Matthias Beer,
Lüneburg; www.beer-steuerberatung.de
Nach der Gesetzessystematik, wonach für
die Abgabe von persönlichen Steuererklärungen einerseits und Feststellungserklärungen andererseits jeweils gesonderte Abgabenfristen gelten, war
dieses Urteil schlicht so zu erwarten. In der Praxis trifft
es jedoch auf eine oft völlig anders gestaltete Mentalität und Handhabung der Steuerdeklaration. Der Steuerpflichtige bzw. sein Steuerberater möchte die Einkommensteuererklärung gern erst dann abgeben, nachdem
er alle Besteuerungsgrundlagen – ob verfahrensmäßig
gesondert festzustellen oder nicht – kennt. Gerade bei
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Umsätze eines gemeinnützigen Pferdesportvereins aus Pferdepensionleistungen unterliegen dem Regelsteuersatz
betrieblichen Einkünften ergeben sich aus der Klaviatur
zahlreicher Bilanzierungswahlrechte häufig wesentliche
Auswirkungen auf die festzusetzende Einkommensteuerschuld. Die Palette der in der Praxis vorkommenden
Sachverhalte umfasst zum einen die Fälle, in denen der
Steuerpflichtige bzw. Steuerberater die gesondert festzustellenden Einkünfte ebenfalls selbst ermittelt. Zum
anderen sind Sachverhalte betroffen, in denen sich der
Steuerpflichtige bzw. sein Berater die gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen von Dritten für Zwecke der Einkommensteuererklärung erst beschaffen muss.
Im Urteilssachverhalt war vermutlich der Gewinnermittlungszeitraum für die freiberufliche Tätigkeit des Arztes
mit dem Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) identisch.
Praktisch hätte der Steuerpflichtige bzw. sein Steuerberater innerhalb der vom Finanzamt mit Schreiben aus März
2014 gesetzten Abgabefrist für die Einkommensteuererklärung 2013 bis Ende Oktober 2014 ausreichend (zehn
Monate) Zeit gehabt, die gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen insbesondere aus der Arztpraxis
gemäß § 162 Abs. 5 AO sachgerecht zu schätzen oder auch
schon abschließend zu ermitteln. Der Urteilsbegründung
ist leider nicht zu entnehmen, ob die Finanzrichter den
Kläger oder dessen Berater darauf hingewiesen haben.
In der land- und forstwirtschaftlichen Besteuerungspraxis kommt es nicht selten vor, dass die Finanzverwaltung im Frühjahr die Einkommensteuererklärung für den
abgelaufenen Veranlagungszeitraum zu einem Zeitpunkt
im Herbst (des Folgejahres) anfordert. Nach § 4a Abs. 2
Nr. 1 EStG ist aber der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, der regelmäßig für den Zeitraum vom 1. Juli bis
zum 30. Juni des jeweiligen Folgejahres zu ermitteln ist,
noch hälftig in die Einkommensteuerveranlagung des
Vorjahres einzubeziehen. Daraus folgt, dass sich der
Steuerberater mit der Ermittlung der gesondert festzustellenden Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft beispielsweise für 2014 erst nach dem 30.6.2015 zielführend
befassen kann. Hat das Finanzamt den Abgabetermin für
die Einkommensteuererklärung 2014 bis zum 31.10.2015
gesetzt, verbleiben ihm nur vier Monate, die Einkünfte aus
Land- und Forstwirtschaft mindestens überschlägig zu ermitteln, damit der nach § 162 Abs. 5 AO gebotene Eintrag
dieses Werts in die persönliche Einkommensteuererklärung 2014 erfolgen kann.
Bei einem Forstbetrieb mit dem dafür gemäß § 8c
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStDV geltenden Gewinnermittlungszeitraum vom 1. Oktober bis 30. September verkürzt sich
diese „Prüffrist“ sogar auf nur einen Kalendermonat. Das
Finanzgericht Köln schreibt aber den Steuerpflichtigen
und deren Steuerberatern, die an einem solchen mehrstufigen Besteuerungsverfahren beteiligt sind, dieses
Vorgehen ganz klar ins Stammbuch. Die Betroffenen sind
deshalb gut beraten, statt der Stellung von Fristverlängerungsanträgen organisatorisch und arbeitswirtschaftlich
AgrB 6-2015
Urteil
27
dafür Sorge zu tragen, dass die gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen zumindest überschlägig für
Zwecke der vorab angeforderten Einkommensteuererklärung ermittelt werden können.
Das gilt umso mehr, wenn das Finanzamt – wie in der
Praxis regelmäßig – bereits im Frühjahr auf die zeitnah
endende Abgabefrist für die Einkommensteuererklärung
hinweist. Dadurch schafft es für den betroffenen Steuerpflichtigen und seinen Steuerberater ein – wenn auch
gelegentliches knappes – Zeitfenster, um sich darauf einzustellen. Eigentlich bietet die Entscheidung des Finanzgerichts Köln insbesondere den Steuerberatern eine Bühne,
auf der sie in Kenntnis dieser Rechtslage ihren Mandanten
mit einer angepassten Kanzleiorganisation eine optimale
steuerliche Deklarationsleistung bieten können.
Umsätze eines gemeinnützigen
Pferdesportvereins aus Pferdepensionleistungen
unterliegen dem Regelsteuersatz
Eine unionsrechtliche Steuerbefreiung kommt nicht in Betracht.
Leitsätze
1. Die Umsätze eines der Förderung des Reitsports dienenden
gemeinnützigen Vereins aus Verträgen über die Einstellung
von Pferden, welche neben der Zurverfügungstellung der
Pferdebox weitere Leistungen (Fütterung, Reinigung der
Box, Nutzung der Reitanlage etc.) beinhalten, sind nicht
nach Unionsrecht von der Umsatzsteuer befreit, wenn eine
schädliche Wettbewerbssituation vorliegt.
2. Die unionsrechtlichen Begrifflichkeiten der Unerlässlichkeit
und der Kernbereichs-relevanz sind notwendig voneinander abzugrenzen, wobei die Kernbereichsrelevanz enger
als die Unerlässlichkeit verstanden werden muss.
FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.2.2015 – 4 K 27/14
Der Sachverhalt
Der „Reitverein e.V.“ (V) erfüllt nach der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit, weil er ausschließlich und unmittelbar der
Förderung des (Reit-)Sports dient. Zur Verwirklichung des
Satzungszwecks verfügt V über eine Reithalle, einen Dressurplatz, einen Springplatz, Sandpaddocks, Grasweiden sowie
Stallungen, in denen sich 32 Boxen zum Einstellen von Pferden
befinden. V, der nicht über eigene Pferde und einen eigenen
Reitlehrer verfügt, obliegt die Organisation des Reitunterrichts
und die Organisation von Reitturnieren. Die Nutzung der Reitsporteinrichtungen durch die Mitglieder erfordert die Zahlung
eines individuellen Nutzungsentgelts oder den Abschluss eines Pensionsvertrags.
Gegen Zahlung eines monatlichen Pensionspreises von
250,00 € (brutto) für ein Pferd bzw. 185,00 € (brutto) für ein
Pony erbringt V folgende Leistungen:
28
Urteil
Umsätze eines gemeinnützigen Pferdesportvereins aus Pferdepensionleistungen unterliegen dem Regelsteuersatz
●● Bereitstellung einer Box zum Einstellen des Pferds einschließlich Stroh und Ausmisten,
●● Bereitstellung von Futtermitteln (Heu, Rau- und Ergänzungsfutter),
●● Haltung des Pferds mit der Sorgfalt eines ordentlichen,
gewissenhaften Pflegers (Meldung von Krankheiten und
besonderen Vorkommnissen),
●● Vergabe tierärztliche Leistungen (Kostentragung durch
den Einsteller),
●● Überlassung der Reitanlagen zur Nutzung durch den Einsteller.
Der Einzugsbereich des V beläuft sich auf einen Umkreis
von etwa 20 km. In diesem Umkreis befinden sich mehrere
privatwirtschaftlich betriebene Pferdehöfe in unterschiedlicher
Größe und mit unterschiedlichen Reitsporteinrichtungen. Zu
monatlichen Preisen zwischen 170,00 € und 300,00 € werden
neben der Boxenvermietung auch weitere mit der Pensionstierhaltung verbundene Dienstleistungen wie Füttern, Pflegen,
Ausmisten etc. erbracht. Der Abschluss eines Pensionsvertrags
vermittelt auch bei diesen Höfen das Recht zur Nutzung der in
unterschiedlicher Ausprägung vorhandenen Reitanlagen.
Nachdem das Finanzamt die Umsatzsteuer für die Pferdepensionsleistungen unter Anwendung des Regelsteuersatzes
festgesetzt hatte, beantragte V für diese Umsätze die unionsrechtliche Steuerbefreiung für Dienstleistungen in engem Zusammenhang mit Sport. Der BFH habe in einem nahezu gleichgelagerten Sachverhalt dargelegt, dass die Dienstleistungen
eines gemeinnützigen Reitsportvereins im Rahmen einer Pferdepension von der Umsatzsteuer befreit sein können (Urteil
vom 16.10.2013 – XI R 34/11, HFR 2014, 336).
Das Urteil
Einrichtungen ohne Gewinnstreben, die in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung
ausüben, können sich grundsätzlich auf die unionsrechtliche
Steuerbefreiung des Sports berufen. V kann sich nach den tat­
richterlichen Feststellungen des FG auf diese Steuerbefreiung
nicht berufen, weil die von ihm erbrachten Pferdepensionsleistungen
●● zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;
●● im Wesentlichen dazu bestimmt sind, V zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit der Umsatzsteuer unterliegenden
Tätigkeiten anderer Unternehmer durchgeführt werden.
Zu a) Bei der für Steuerbefreiungen gebotenen engen Auslegung erstreckt sich Art. 13 Teil A Abs. 1m der Richtlinie 77/388/
EWG nur auf Leistungen an Personen, die den Sport ausüben
und die bei diesen Personen für die Sportausübung unerlässlich
sind (Art. 13 Teil A Abs. 2b – 1. Gedankenstrich – der Richtlinie
77/388/EWG). Für die Sportausübung unerlässlich sind nach
hierzu bereits vorliegender Rechtsprechung die Überlassung
von Sportstätten und Sportgeräten oder das Zurverfügungstellen eines Schiedsrichters sowie die Erteilung von Sportunterricht. Nach Auffassung des FG kann dahinstehen, ob die Pferde-
Agrar-Steuern
pensionsleistungen des V mit Sport in engem Zusammenhang
stehen und für die Sportausübung durch die Mitglieder unerlässlich sind, da eine Steuerbefreiung nicht in Betracht kommt,
weil die Pensionsleistungen nicht den Kernbereich der Steuerbefreiung betreffen.
Zu b) Der Begriff der Kernbereichsrelevanz (Art. 13 Teil A
Abs. 2b – 2. Gedankenstrich – der Richtlinie 77/388/EWG) ist
ein eigenständiger Ausschlusstatbestand (BFH-Urteil vom
3.4.2008 – V R 74/07, HFR 2008, 956). Bei Dienstleistungen, welche die Ausübung von Sport und Körperertüchtigung ermöglichen (sollen), ist der Kernbereich der Steuerbefreiung betroffen,
●● wenn die Leistungen unmittelbar oder mittelbar gegenüber den die körperliche Ertüchtigung ausübenden Personen erbracht werden und
●● diese Leistungen ihrem Wesen nach dergestalt der Sportausübung dienen, dass sie direkt zur sportlichen Ertüchtigung in Anspruch genommen werden
●● und die Ertüchtigung bei Fehlen der Dienstleistung nicht
durchgeführt werden könnte.
Nach diesen Grundsätzen (siehe hierzu FG Köln, Urteil vom
20.2.2008 – 7 K 4943/05, EFG 2008, 892) könnte das isolierte
Bereitstellen von Reitanlagen „Kernbereichsrelevanz“ haben.
Die von V als Leistungsbündel erbrachten Pferdepensionsleistungen bieten zwar gute Rahmenbedingungen für den Reitsport; sie sind aber nicht – wie die Überlassung von Reitsporteinrichtungen – unmittelbar für die Ausübung des Reitsports
erforderlich. Die Pensionsleistung des V wird – auch aus Sicht
des Durchschnittsverbrauchers – nicht durch die Überlassung
von Sportanlagen geprägt, sondern durch die Versorgung und
Unterbringung der Pferde und damit den Bereich der die Sportausübung vorbereitenden Leistungen. Mit den nur mittelbar
der Ausübung des Reitsports dienenden Leistungen erzielt V
außerdem Einnahmen aus Tätigkeiten, die in unmittelbarem
Wettbewerb zu steuerpflichtigen Leistungen gewerblicher
Unternehmen stehen. Zum Ausschlusstatbestand des Wettbewerbs hat das FG festgestellt, dass von V und den im Umkreis
tätigen Anbietern gleiche oder gleichartige Dienstleistungen
ausgeführt werden und geringe Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder andere dieser Dienstleistungen zu wählen, nicht erheblich beeinflussen
(BFH, Urteil vom 25.1.2006 – V R 46/04, BStBl II 2006, 481 und
Urteil vom 16.10.2013 – XI R 34/11, a.a.O.). Die zur Problematik
„Kernbereichsrelevanz“ zugelassene Revision wurde eingelegt
(Az. des BFH: V R 14/15).
Urteilsanmerkungen
von Oberregierungsrat a.D. Wolfgang
Horn, Weil der Stadt, Mitkommentator bei
Rüttinger, Umsatzsteuer in der Land- und
Forstwirtschaft
Das Urteil bestätigt, dass die Pferdepen­
sion – auch aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers – eine
wirtschaftlich einheitliche Leistung ist, die im Interesse ei-
AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Auflösung einer Ansparrücklage kann zur Überschreitung der Gewinngrenze nach § 7g EStG führen
nes funktionierenden MwSt.-Systems nicht künstlich aufgespalten werden kann (Abschn. 3.10 UStAE und BFH-Urt.
vom 25.6.2009, BStBl II 2010, 239). Bei der Abgrenzung
wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb oder Zweckbetrieb bestätigt das FG unter Berufung auf bereits vorliegende
Rechtsprechung die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung. Der Aussage, dass eine weite Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs der „Unerlässlichkeit“ nicht auf
§ 65 Nr. 2 AO übertragbar ist, wird zugestimmt. Auch die
Ausführungen zur Schutzwirkung des § 65 Nr. 3 AO – insbesondere die Feststellung, dass bei Steuerbegünstigung
der Pferdepension das Maß des unvermeidbaren Wettbewerbseingriffs überschritten würde – sind überzeugend
begründet.
Den Urteilsschwerpunkt bilden die Ausführungen zur
Frage, ob die Einnahmen aus Pferdepensionsleistungen
bei V (Einrichtung ohne Gewinnstreben) unter die unionsrechtliche Steuerbefreiung des Sports fallen. Die zur
6. EG-Richtlinie ergangene Entscheidung kann m. E. uneingeschränkt auf Art. 132 Abs. 1m MwStSystRL und die
eingrenzenden Regelungen in Art. 133 und 134 MwStSystRL übertragen werden. Unter Fortführung und Konkretisierung bereits vorhandener Rechtsprechung hat das FG
entschieden, dass zwar für Tätigkeiten, die den „Kernbereich“ einer unionsrechtlichen Steuerbefreiung betreffen,
ein Ausschluss nach Art. 133 und 134 MwStSystRL nicht
in Betracht kommt, den Pferdepensionsleistungen für
den Reitsport aber keine solche Kernbereichsrelevanz zukommt. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH hierzu im Revisionsverfahren eine andere Rechtsauffassung vertritt und
dann (folgerichtig) die tatrichterlichen Feststellungen
hinsichtlich des Merkmals der Unerlässlichkeit bewertet.
Zu überzeugen vermag auch die finanzgerichtliche
Feststellung und Würdigung der Wettbewerbssituation
gegenüber Unternehmern, die im Einzugsbereich des
Vereins Leistungen anbieten, die den Vereinsleistungen
zumindest ähnlich sind und der Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz unterliegen (siehe hierzu Rüttinger, USt in
der LuF, B 279/4 und C 122–124/1). M. E. kommt es bei
der Feststellung einer schädlichen Wettbewerbssituation
jedoch nicht auf den tatsächlichen lokalen Markt an, sondern lediglich auf den potenziellen Wettbewerb (so FG
Münster, Urt. vom 25.9.2014 – 5 K 3700/10, Juris). Eine
Begrenzung auf Fälle des tatsächlichen Wettbewerbs verletzt den Neutralitätsgrundsatz des Unionsrechts, weil
Marktzutrittsschranken errichtet und dadurch private Unternehmen gehindert werden, entsprechende Leistungen
anzubieten.
Das BMF-Schreiben vom 25.8.2015 zur Anwendung
der BFH-Urteile vom 10.9.2014 – XI R 33/13, und vom
21.1.2015 – XI R 13/13) ist für V ohne Bedeutung, da bei
einem Reitverein allein durch Pferdepensionsleistungen
keine landwirtschaftliche Erzeugertätigkeit im Sinne des
§ 24 UStG begründet wird. Dies wäre aber Voraussetzung
AgrB 6-2015
Urteil
29
dafür, Pferdepensionsleistungen an Nichtlandwirte im
Einzelfall als landwirtschaftliche Dienstleistungen anzuerkennen, wenn der Leistungsempfänger außerhalb eines
land- und forstwirtschaftlichen Betriebs eine Tierzucht
oder Tierhaltung in Verbindung mit der Bodenbewirtschaftung betreibt und diese nicht lediglich aus privaten
Gründen zu Freizeitzwecken erfolgt.
Über den Begriff der Unerlässlichkeit ist auch im Verfahren V R 46/14 zu entscheiden, denn das FG Rheinland-Pfalz hat Mensaessen einer privaten Kantine als
unerlässliche Dienstleistung in Zusammenhang mit dem
Hochschulunterricht des Landes angesehen (Urteil vom
7.8.2014, EFG 2014, 2090).
Auflösung einer Ansparrücklage kann zur
Überschreitung der Gewinngrenze nach
§ 7g EStG führen
Wenn der Gewinn eines Betriebs, der diesen nach § 4 Abs. 3
EStG ermittelt, durch die Auflösung einer Ansparrücklage die
Gewinngrenze von 100.000 € überschreitet, kann ein Investitionsabzugsbetrag nicht in Anspruch genommen werden.
BFH, Urteil vom 15.5.2015 – VIII R 29/13
Der Sachverhalt
Ein selbstständig tätiger Arzt erklärte im VZ 2008 einen Gewinn in Höhe von rund 64.000 €. Darin enthalten waren sowohl
die Auflösung einer Ansparrücklage aus dem Jahre 2006 in
Höhe von rund 90.000 € (zuzüglich Gewinnzuschlag von rund
10.000 €) als auch ein neu in Anspruch genommener Investitionsabzugsbetrag in Höhe von rund 122.000 €.
Das Finanzamt berücksichtigte den geltend gemachten Investitionsbetrag nicht, da der Gesamtgewinn die Grenze nach
§ 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1c EStG überschreite. Demgegenüber
vertrat der Steuerpflichtige die Auffassung, die maßgebliche
Gewinngrenze sei unterschritten, denn weder der Investitionsabzugsbetrag noch seine Auflösung beeinflusse die Gewinngrenze. Dies müsse entsprechend für die Ansparrücklage gelten.
Das Finanzgericht Köln hatte der Klage mit Gerichtsbescheid
vom 10.4.2013 stattgegeben und dies mit dem Sinn und Zweck
der Vorschrift begründet.
Das Urteil
Dem widersprach nun der BFH. Nach Auffassung der Richter
sind für die Frage der Überschreitung der Gewinngrenze die
Auflösung der „alten“ Ansparabschreibung und der Gewinnzuschlag gewinnerhöhend als Betriebseinnahme zu berücksichtigen. Der Investitionsabzugsbetrag könne bei einem Betrieb,
der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittele, dann in Anspruch genommen werden, wenn der Betrieb am Schluss des
Wirtschaftsjahres, in dem der Abzug vorgenommen werde,
ohne Berücksichtigung des Investitionsbetrags einen Gewinn
von 100.000 € nicht überschreite. Entgegen der Auffassung des
30
Urteil
Auflösung einer Ansparrücklage kann zur Überschreitung der Gewinngrenze nach § 7g EStG führen
Finanzgerichts seien jedoch die Auflösung der Ansparrücklage
und ggf. der vorzunehmende Gewinnzuschlag gewinnerhöhend zu berücksichtigen. Dementsprechend sei die Gewinngrenze hier überschritten.
Der BFH begründet sein Urteil damit, dass § 7g EStG keine
eigenständige Gewinndefinition enthalte. Dies könne weder
dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien entnommen werden. Dass sich der Gesetzgeber von der handels- und
steuerrechtlichen Gewinndefinition im Rahmen des § 7g Abs. 1
Satz 2 Nr. 1c EStG zugunsten eines „real wirtschaftlich erzielten
Gewinns“ nach der allgemeinen Leistungskraft des Unternehmens habe lösen wollen, sei nicht ersichtlich.
Urteilsanmerkungen
von Dipl.-Ing. agr., Steuerberaterin
Brigitte Barkhaus, LBH-Steuerberatungsgesellschaft mbH, Friedrichsdorf,
www.lbh.de
Agrar-Steuern
Abs. 3 EStG ermitteln – also im Wesentlichen freiberuflich
tätige Steuerpflichtige. Nach dem BMF-Schreiben vom
20.11.2013, BStBl. 2013 I S. 1493, Rz 12 reicht es bei nach
§ 4 Abs. 3 EStG ermittelten Einkünften aus Land- und
Forstwirtschaft nämlich aus, wenn entweder die Gewinngrenze von 100.000 € oder der Wirtschaftswert/Ersatzwirtschaftswert nicht überschritten wird.
Zum anderen ist das Urteil auch nur noch für Altfälle
relevant, in denen sich das alte Recht zur Ansparrücklage und das neue Recht zum Investitionsabzugsbetrag
überschneiden. Nach neuem Recht kann die Auflösung
von Investitionsabzugsbeträgen nämlich nicht mehr
dazu führen, dass die Gewinngrenze überschritten wird,
da nach 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1c EStG Gewinn der Betrag
ist, der ohne Berücksichtigung des Investitionsabzugsbetrags der Besteuerung zugrunde zu legen ist.
Das Urteil hat zum einen nur für Steuerpflichtige Relevanz, die ihren Gewinn tatsächlich nach § 4
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AgrB 6-2015
Agrar-Steuern
Altenteilsleistungen: aktuelle Veranlagungshinweise, Nichtbeanstandungsgrenzen
Urteil
31
Finanzverwaltung
Altenteilsleistungen: aktuelle Veranlagungshinweise, Nichtbeanstandungsgrenzen
Anmerkungen zur Verfügung des Landesamts für Steuern
Bayern vom 9.2.2015 – S 2221.1.1 – 10/32 St 32
In der Land- und Forstwirtschaft wird im Rahmen der Betriebsübergabe neben einem Baraltenteil häufig eine Wohnung unentgeltlich überlassen und kostenlose Verpflegung gewährt.
Mit der Verfügung vom 9.2.2015 hat das Landesamt zur steuerlichen Behandlung dieser Altenteilsleistungen Stellung genommen und insbesondere die aktuellen Nichtbeanstandungsgrenzen für unbare Altenteilsleistungen veröffentlicht. Die Werte für
die Verpflegung werden bundeseinheitlich aus der Sozialversicherungsentgeltverordnung abgeleitet und sind gegenüber
dem Veranlagungszeitraum 2014 unverändert geblieben. Sie
sind beim Altenteilsverpflichteten als Sonderausgabe abziehbar
und bei den Altenteilern als sonstige Einkünfte zu versteuern.
Wird im Rahmen eines Übergabevertrags eine Wohnung
unentgeltlich überlassen, ist der Nutzungswert der Wohnung – mit Ausnahme der noch der Nutzungswertbesteuerung
unterliegenden Baudenkmalen – weder beim Altenteilsverpflichteten als dauernde Last noch beim Altenteiler als wiederkehrender Bezug zu erfassen. In diesem Fall sind jedoch die
mit der Wohnungsüberlassung verbundenen Aufwendungen
als dauernde Last abzugsfähig und beim Altenteiler als wiederkehrender Bezug zu berücksichtigen. Zu den dem Altenteiler
als wiederkehrende Sachleistungen zufließenden und mit der
Wohnungsüberlassung verbundenen Aufwendungen gehören
insbesondere Aufwendungen für Strom, Heizung, Schönheitsreparaturen sowie ggfs. Instandhaltungsaufwendungen. Nicht
dazu gehören Aufwendungen für AfA, Zinsen, Grundsteuer und
Hausversicherungen, die der Verpflichtete als Grundstückseigentümer schuldet (BFH-Urteil vom 25.3.1992 – BStBl 1992 II
S. 1012). Für die Gewährung freier Heizung, Beleuchtung und
andere Nebenkosten sind von der Finanzverwaltung ebenfalls
Nichtbeanstandungswerte festgelegt worden. Diese Werte
sind für die Steuerpflichtigen – anders als die aus der Sozialversicherungsentgeltverordnung abgeleiteten Werte für die
Verpflegung – nicht bindend; die Steuerpflichtigen können die
Aufwendungen auch im Einzelnen ermitteln und die Aufwendungen für Heizung und Beleuchtung im Verhältnis der Wohnflächen und die sonstigen Kosten (Wasser, Abwasser, Müllabfuhr) nach der Zahl der Bewohner aufteilen (Niedersächsisches
FG vom 31.3.2010 – EFG 2010 S. 1610).
Für die VZ 2014 und 2015 sind vom Landesamt für Steuern
folgende Nichtbeanstandungsgrenzen festgelegt worden:
Einzelperson
Altenteiler-Ehepaar/
Lebenspartnerschaft
AgrB 6-2015
Für Schönheitsreparaturen und Instandhaltungsaufwendungen gibt es keine Nichtbeanstandungsgrenzen. Der Betriebsübernehmer darf Modernisierungsaufwendungen für die vom
Hofeigentümer beibehaltene Wohnung als dauernde Last abziehen, wenn er sich im Übergabevertrag dazu verpflichtet hat
oder sich diese Verpflichtung aus der Rechtsnatur des Übergabevertrags als Altenteilsvertrag ergibt.
Weitere Voraussetzung ist allerdings, dass die geschuldete Leistung den Charakter von Versorgungsleistungen hat.
Dies ist immer dann der Fall, wenn die Aufwendungen der
Erhaltung des im Zeitpunkt der Übergabe vertragsmäßigen Zustandes der Wohnung dienen. Nicht schädlich ist die
Maßnahme, wenn sie neben der Erhaltung gleichzeitig eine
zeitgemäße Modernisierung bewirkt. Außergewöhnliche Instandhaltungsaufwendungen, die über die Erhaltung des im
Zeitpunkt der Übergabe vertragsgemäßen Zustandes hinausgehen, sind dagegen keine Leistungen zur Versorgung des
Vermögensübergebers und dürfen daher nicht als dauernde
Last abgezogen werden. Diese Rechtsfolgen ergeben sich aus
den Fundstellen, auf die in der Verfügung des Landesamts
hingewiesen wird.
Hat der Vermögensübergeber in diesem Rahmen Handwerksleistungen oder haushaltsnahe Dienstleistungen als
wiederkehrende Bezüge versteuert, weil sie der Vermögensübernehmer als Altenteilsleistungen erbracht hat, kann er für
diese Zahlungen die Steuerermäßigung nach § 35a EStG in
Anspruch nehmen, wenn beim Altenteilsverpflichteten alle
Voraussetzungen der Steuerermäßigung vorliegen.
Bei der Beurteilung der Versorgungsleistungen sind unterschiedliche Anwendungs- und Übergangsregelungen zu beachten, die sich nach dem Zeitpunkt des ursprünglichen Vertragsabschlusses richten. Zu unterscheiden sind dabei Verträge
vor dem 1.11.2004, bei denen die Versorgungsleistungen unter
Umständen auch als Sonderausgaben zu berücksichtigen waren, wenn die erzielbaren Nettoerträge nicht ausgereicht haben, die Altenteilsleistungen zu erbringen (Typus 2). Die weitere
Fallgruppe betrifft Verträge, die nach dem 31.10.2004 und vor
dem 1.1.2008 abgeschlossen worden sind. Bei Hofübergaben
nach neuem Recht sind die Grundsätze des BMF-Schreibens
vom 11.3.2010 (BStBl 2010 I S. 227) anzuwenden.
Die Finanzämter werden im Übrigen darauf hingewiesen,
dass die abziehbaren Altenteilsleistungen korrespondierend
zu den sonstigen Einkünften des Altenteilsberechtigten anzusetzen sind und ein Abzug als Versorgungsleistungen nicht
in Betracht kommt, wenn sich der Vermögensübergeber die
Nutzungsbefugnis am gesamten übertragenen Vermögen
vorbehalten hat.
Verpflegung Heizung, Beleuchtung,
gesamt
andere Nebenkosten
EUR
EUR
EUR
2.748
612
3.360
5.496
1.224
6.720
Jürgen König, Regierungsdirektor im
Niedersächsischen Finanzministerium
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Agrar-Recht
Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der Landwirtschaft
Aufsatz
33
Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung
der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der
Landwirtschaft
von Rechtsanwältin Romana Hoffmann, Bonn
S
chon im Rahmen der Diskussion um den Gesetzentwurf wurden vonseiten der Arbeitgeberverbände viele Fragen angesprochen, die im Gesetz nicht ausreichend geregelt sind. So wundert es
nicht, dass auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 1. Januar 2015 viele Fragen noch
nicht endgültig geklärt sind und den Betrieben, aber auch den Steuerberatern im Rahmen der Lohnbuchhaltung, Schwierigkeiten bei der Umsetzung bereiten. Wer in der Fachliteratur sucht, wird eine
Vielzahl von Veröffentlichungen finden, die sich mit dem Thema Mindestlohn beschäftigen. In diesem
Beitrag liegt der Schwerpunkt auf den Fragestellungen, die gartenbauliche und landwirtschaftliche
Betriebe besonders betreffen.
Übersicht
1. Geringerer Mindestlohn aufgrund des Mindestentgelttarifvertrags für Gartenbau und Landwirtschaft
2. Welche Lohnbestandteile sind überhaupt auf den Mindestlohn anzurechnen?
3. Anrechnung von Kost und Logis
4. Welche Aufzeichnungspflichten müssen Gartenbau und
Landwirtschaft erfüllen?
5.Fazit
1.Geringerer Mindestlohn aufgrund
des Mindestentgelttarifvertrags für
Gartenbau und Landwirtschaft
Speziell für Betriebe des Gartenbaus und der Landwirtschaft
gibt es einen „Tarifvertrag zur Regelung der Mindestentgelte
für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft sowie im
Gartenbau der Bundesrepublik Deutschland“ („TV-Mindestentgelt“; veröffentlicht im Bundesanzeiger am 19.12.2014, BAnz AT
1912.2014 V 1), der Mindestlöhne festlegt, die derzeit unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegen. Obwohl auf diesen Tarifvertrag auf den Internetseiten des Zolls ausdrücklich
hingewiesen wird, hat sich in der einen oder anderen Kontrolle
durch den Zoll doch gezeigt, dass der Tarifvertrag nicht allen
Prüfern präsent ist.
Der tarifliche Mindestlohn beträgt:
Mindestentgelt-Tarifvertrag
West
Ost1)
Ab 1. Januar 2015
7,40 Euro
7,20 Euro
Ab 1. Januar 2016
8,00 Euro
7,90 Euro
AgrB 6-2015
Ab 1. Januar 2017
8,60 Euro
8,60 Euro
Ab 1. November 2017 9,10 Euro
9,10 Euro
Ab 1. Januar 2018 gilt der gesetzliche Mindestlohn.
1) Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen
Räumlich gilt dieser Tarifvertrag für das gesamte Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland.
Vom betrieblichen Geltungsbereich her unterfallen dem
Tarifvertrag alle Betriebe und selbstständigen Betriebsabteilungen, die arbeitszeitlich überwiegend landwirtschaftliche,
gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Tätigkeiten verrichten.
Die im Tarifvertrag aufgezählten gartenbaulichen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten sind den Überschriften der einzelnen
Ziffern der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts entnommen und umfassen neben den ausdrücklich aufgezählten Tätigkeiten auch alle weiteren Tätigkeiten, die sich in den darunter subsummierten Ziffern befinden.
Ferner ist im Mindestentgelttarifvertrag ausdrücklich festgelegt,
dass Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen immer
dann als Betriebe gelten, die unter den Geltungsbereich des
TV-Mindestentgelt fallen, wenn für diese Betriebe die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG)
gemäß der §§ 123 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 und 7 sowie 131 SGB VI
zuständig ist. Dies bedeutet, dass von den Versicherten für die
die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft der SVLG zuständig ist, nur die Landwirtschaftskammern und die dort versicherten Berufsverbände sowie die SVLG selbst vom Geltungsbereich
ausgenommen sind. Mit dem Hinweis auf § 131 SGB VII ist ferner sichergestellt, dass auch Hilfs- und Nebenunternehmen, des
jeweiligen gartenbaulichen oder landwirtschaftlichen Betriebs,
die bei der SVLFG versichert sind, dem Geltungsbereich unterliegen. Damit ist in der Praxis gewährleistet, dass der Nachweis,
ob auf einen Betrieb oder selbstständigen Betriebsteil grundsätzlich der TV-Mindestentgelt anzuwenden ist, durch einen
entsprechenden Beitragsbescheid der SVLFG nachweisbar. Der
Hinweis darauf, dass dies auch für Betriebe gilt, für die die SVLFG zuständig wäre, wenn sie ihren Sitz in Deutschland hätten,
34
Aufsatz
Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der Landwirtschaft
stellt sicher, dass es keine Benachteiligung von Betrieben aus
anderen Ländern der Europäischen Union gibt.
Eine weitere Abgrenzungsnotwendigkeit ergibt sich aber
noch gegenüber dem Bundesrahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau
in der Bundesrepublik in der Fassung vom 7. März 2007. Unterfällt ein Betrieb dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrags, so
ist der TV-Mindestentgelt trotz einer Versicherung des Betriebs
in der Unfallversicherung der SVLVG, nicht auf diesen Betrieb
oder einen selbstständigen Betriebsteil des Betriebs anwendbar. Hierbei handelt es sich um eine klare Abgrenzung zu einem
ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach
dem Tarifvertragsgesetz, dessen Geltungsbereich nicht angetastet wird.
Auch im persönlichen Geltungsbereich unterscheidet sich
der TV-Mindestentgelt vom Personenkreis, der vom Mindestlohngesetz erfasst wird. Dem TV-Mindestentgelt unterfallen
Langzeitarbeitslose auch in den ersten sechs Monaten ihres
Beschäftigungsverhältnisses, anders als dies in § 22 Abs. 4 Mindestlohngesetz (MiLoG) geregelt ist. Auch Jugendliche unter
18 Jahren ohne Berufsabschluss unterfallen dem TV-Mindestentgelt. Dies gilt nur dann nicht, wenn diese Jugendlichen eine
allgemeinbildende Schule besuchen.
Weiß der Betrieb, dass er dem Geltungsbereich des TV-Mindestentgelts unterfällt, dann kennt er auch die für ihn jeweils
maßgeblichen Lohnhöhen bis zum 31. Dezember 2017. Danach
unterliegt der Betrieb dem gesetzlichen Mindestlohn.
2.Welche Lohnbestandteile sind überhaupt
auf den Mindestlohn anzurechnen?
Diese Frage beschäftigt die Betriebe besonders intensiv bei
der Entlohnung von Saisonarbeitskräften, aber auch mit Blick
auf die ständig beschäftigten Mitarbeiter. Bei diesen Fragen
herrscht große Unsicherheit. Zwischenzeitlich gibt es die ersten Gerichtsurteile, die zu diesem Thema ergangen sind. Sie
schaffen nicht unbedingt in allen Fällen Klarheit.
Recht eindeutig ist bisher die Rechtsprechung hinsichtlich
der Frage, ob Urlaubsgeld oder jährliche Sonderzahlungen
auf den Mindestlohn anrechenbar sind. Eine solche Anrechnung wird bisher durchgängig verneint. Bei der Anrechnung
von Leistungen auf den Mindestlohn sei darauf abzustellen,
ob die vom Arbeitgeber erbrachte Leistung ihrem Zweck nach
diejenige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten soll, die
mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten ist. Zusätzliches
Urlaubsgeld werde nicht für die Normalleistung des Arbeitgebers gezahlt, so das Arbeitsgericht Berlin in einem ebenfalls
nicht rechtskräftigen Urteil (ArbG Berlin, Urteil vom 4.3.2015 –
54 Ca 14420/14 – Juris). In demselben Urteil wird die Anrechnung einer einmaligen am Jahresende rückwirkend für das
ganze Jahr geleisteten Sonderzahlung auf den Mindestlohn
mit dem Argument abgelehnt, dass solche Zahlungen weit
außerhalb des letzten Fälligkeitszeitpunkts nach dem Mindestlohngesetz geleistet würden. Ferner führt das Arbeitsgericht
Berlin in diesem Urteil aus, dass, wenn Vergütungsbestandteile
auf den Mindestlohn nicht anrechenbar sind, auch alle Hand-
Agrar-Recht
lungen, die darauf gerichtet sind, gleichwohl eine Anrechnung
zu erreichen, unzulässig sind. Denn es handele sich letztlich um
den Versuch, den gesetzlichen Mindestlohn zu umgehen. Mit
dieser Begründung wird jede Änderungskündigung mit einem
solchen Ziel schon als unzulässig angesehen.
Auch die Frage der Anrechenbarkeit von Leistungsboni war
schon Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. Im Streitfall
ging es darum, dass ein Mitarbeiter bisher einen Grundlohn
von 8,10 € pro Stunde und einen Leistungsbonus von maximal 1 € pro Stunde erhalten hat. Mit einer Änderungskündigung wollte der Arbeitgeber erreichen, dass der Grundlohn auf
8,50 € erhöht und der Leistungslohn im Gegenzug auf maximal
0,60 € pro Stunde gekürzt wird. Dieser Änderungskündigung
hat der Mitarbeiter nicht zugestimmt. Der Arbeitgeber blieb
daher bei der alten Verteilung, zahlte aber die Leistungszulage
über den gesamten Zeitraum in voller Höhe aus, sodass letztlich ein Stundenlohn von 9,10 € gezahlt wurde. Mit der Klage
vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf wollte der Mitarbeiter erreichen, dass er einen Grundlohn von 8,50 € pro Stunde zuzüglich
einer Leistungszulage von 1 € pro Stunde erhielt. Diese Klage
hat das Arbeitsgericht Düsseldorf abgewiesen.
In dem konkreten Fall hat das Arbeitsgericht Düsseldorf
entschieden, dass die Berechnung des Leistungsbonus in die
Berechnung des Mindestlohns einbezogen werden darf (ArbG
Düsseldorf, Urteil vom 20.4.2015 – 5 Ca 1675/15 – Juris, noch
nicht rechtskräftig). Auf der anderen Seite sind nach dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und auch nach
den Ausführungen des Zolls Zahlungen für vertraglich nicht
geschuldete Zusatzleistungen eines Mitarbeiters nicht Bestandteil des Mindestlohns. Hintergrund dieser Auffassung ist
die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) zu Mindestlohnfragen.
Die zu diesen Fragen ergangenen Entscheidungen des EuGH
beziehen sich natürlich noch nicht konkret auf das zum 1. Januar 2015 erst in Kraft getretene Mindestlohngesetz, sondern auf
andere allgemeinverbindliche Mindestlohnregelungen, etwa
aufgrund eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags
nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz. Im Kern besagt diese
Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber grundsätzlich nur solche Zahlungen beim Mindestlohn berücksichtigen darf, die
eine Gegenleistung für die vertraglich vereinbarte „Normalleistungen“ des Arbeitnehmers darstellen. Nach dieser Rechtsprechung dürften Leistungszulagen nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, wenn es denn tatsächlich Leistungszulagen
im engeren Sinne sind.
Für diese Interpretation sprechen auch die Ausführungen
in dem schon zitierten Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG
Berlin, Urteil vom 4.3.2015 – 54 Ca 14420/14), in dem ein Gehaltsbestandteil auf den Mindestlohn angerechnet wurde, der
als Leistungszuschlag bezeichnet wurde. Allerdings gab es für
diese „Leistungszulage“ überhaupt keine Leistungskriterien.
Zudem wurde die Zulage seit einem längeren Zeitraum immer
in voller Höhe gezahlt.
Die Düsseldorfer Richter haben die Anrechnung der Leistungszulage in ihrem Streitfall allerdings mit einer anderen Begründung vorgenommen und dabei auch auf die Zwecksetzung
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der Landwirtschaft
des Mindestlohngesetzes abgestellt, nämlich sicherzustellen,
dass ein Lohn pro Zeitstunde gezahlt wird, der ein Einkommen
oberhalb der Pfändungsfreigrenze ermöglicht. Es käme daher
nur auf den tatsächlich pro Zeitstunde gezahlten Lohn und die
Einhaltung des Zahlungszeitpunkts an. Wie die Zahlung bezeichnet werde, sei irrelevant. Nach der Auffassung der Düsseldorfer
Richter hatte in ihrem zu entscheidenden Streitfall der als Leistungszulage bezeichnete Gehaltsbestandteil Entgeltcharakter.
Diese Auffassung ist aufgrund des Sachverhalts, der diesem
Urteil zugrunde liegt, sicher vertretbar. Denn auch hier wurde
die Leistungszulage regelmäßig tatsächlich ausgezahlt. Neben
der Tatsache, dass diese Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, ist nach meiner Auffassung das Urteil aber kein Freibrief
dafür, echte Leistungszulagen im Sinne eines Akkord- oder
Leistungslohns auf den Mindestlohn anzurechnen. Wenn tatsächlich eine Zulage für Mehrleistung gezahlt wird, ist dies
gerade kein „Entgelt“ für die „Normalleistung“ mehr, sondern
ein Zuschlag für eine höhere Arbeitsleistung im Vergleich zur
Grundleistung. Wird dies auch konkret so gehandhabt, so ist
das Risiko sehr hoch, dass die Leistungszulagen nicht auf den
gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können.
Rechtssicherheit wird es aber erst geben, wenn es eine
Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu
dieser Fragestellung gibt, die letztlich dann auch nochmals
durch den EuGH überprüft werden könnte.
Festzuhalten bleibt auch, dass der Gesetzgeber dieses Problem durchaus hätte lösen können, wenn im Mindestlohngesetz selbst definiert worden wäre, was auf den gesetzlichen
Mindestlohn anzurechnen ist und was nicht. Dies wäre auch
mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbar gewesen, der die
grundsätzliche Linie aufgestellt hat, dass für die Frage, was auf
den jeweiligen Mindestlohn in einem Mitgliedsstaat anzurechnen ist, die Regelungen der Mitgliedsstaaten maßgebend sind.
Zu einer solchen grundsätzlichen Entscheidung konnte sich der
Gesetzgeber in Deutschland aber nicht durchringen. Ein Punkt,
der in den meisten Entscheidungen der Arbeitsgerichte kritisch
erwähnt wird. In der Konsequenz bedeutet dies, dass jede Beratung der Betriebe nur in Richtung Risikominimierung erfolgen
kann; vor allem deshalb, weil viele Entscheidungen zum neuen
Mindestlohgesetz sich an Urteilen orientieren, die zu Mindestentgelten ergangen sind, die auf allgemeinverbindlichen Tarifverträgen beruhen. In diesen Tarifverträgen ist in der Regel ein
Mindestlohn festgelegt und gleichzeitig geregelt, dass die übrigen Zulagen on Top zu leisten sind, wenn die entsprechenden
Kriterien erfüllt werden. Ein weiterer Grund, warum der Gesetzgeber eigentlich selbst hätte regeln sollen, was auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet wird und was nicht, und damit
den Betrieben eine rechtssichere Handhabung ermöglicht hätte.
Aufsatz
35
ten umgegangen wurde, ist so vielfältig wie die Betriebe selbst.
Die Bandbreite geht von kostenloser Unterkunft und Verpflegung bis hin zu Abrechnung der Kosten im Einzelfall.
Auch zu dieser Frage gibt es keine Regelung im Gesetz. Da
es sich aber nicht um klassischen Arbeitslohn handelt, ist eine
Anrechnung von Kost und Logis auf den gesetzlichen Mindestlohn grundsätzlich nicht möglich. Eine Ausnahmeregelung gilt
nur für Saisonarbeitskräfte. Dabei wird unterschieden, ob die
Branche unter die Regelungen des Mindestlohngesetzes fällt
oder der Regelungskreis des Arbeitnehmerentsendegesetzes
anzuwenden ist.
Aufgrund der Veröffentlichungen auf den Seiten des Zolls
(www.zoll.de) gilt Folgendes: Fällt der Betrieb unter den Anwendungsbereich des MiLoG, wird für Saisonarbeiter die Anrechnung von Kost und Logis nach § 107 Abs. 2 Gewerbeordnung (GewO) auf den gesetzlichen Mindestlohn zugelassen.
Dabei gelten als Saisonarbeitnehmer Arbeitnehmer, die befristet bei einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber angestellt
sind und Tätigkeiten ausüben, die aufgrund eines immer wiederkehrenden saisonbedingten Ereignisses oder einer immer
wiederkehrenden Abfolge saisonbedingter Ereignisse an eine
Jahreszeit gebunden sind, während der der Bedarf an Arbeitskräften den für gewöhnlich durchgeführte Tätigkeiten erforderlichen Bedarf in erheblichem Maße übersteigt.
Dies sind insbesondere Beschäftigte
●● in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau,
insbesondere Erntehelfer in Sonderkulturbetrieben wie
Obst-, Gemüse- und Weinanbau,
●● im Tourismus, insbesondere in Gaststätten und Hotels
(z. B. Kellner, Küchenpersonal und Zimmermädchen) und
in Betrieben oder Teilen von Betrieben, die ihrer Natur
nach nicht ganzjährig geöffnet sind (z. B. Biergärten, Skihütten) oder die während bestimmter befristeter Zeiträume Arbeitsspitzen und erhöhten Arbeitskräftebedarf
abdecken müssen (z. B. Ausflugslokale).
Für die Berücksichtigung von Kost und Logis soll deshalb
im Hinblick auf Saisonarbeitnehmer für die Kontrolle des
Mindestlohns § 107 Abs. 2 GewO herangezogen werden. Die
nachfolgenden Voraussetzungen müssen vorliegen, um die
Kosten für Kost und Logis auf den Mindestlohn anrechnen zu
können.
3.Anrechnung von Kost und Logis
●● Vorliegen einer Vereinbarung
Die Anrechnung kann nicht einseitig durch den Arbeitgeber erfolgen; sie bedarf einer entsprechenden Vereinbarung
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Da es insoweit um
die Zusammensetzung des Arbeitsentgelts geht, muss der Inhalt der Vereinbarung im Arbeitsvertrag niedergelegt sein, § 2
Abs. 1 Nr. 6 Nachweisgesetz (NachwG).
Im Bereich der Beschäftigung von Saisonarbeitskräften ist die
Frage, ob Kost und Logis auf den Mindestlohn anzurechnen
sind, für viele gartenbauliche und landwirtschaftliche Betriebe von erheblicher Bedeutung. Die Gestaltungen, wie mit den
Kosten für Unterkunft und Verpflegung von Saisonarbeitskräf-
●● Allgemeine Anforderungen
Die Anrechnung muss dem Interesse des Arbeitnehmers
oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entsprechen. Davon
kann in der Regel bei einem Saisonarbeitsverhältnis ausgegangen werden.
AgrB 6-2015
36
Aufsatz
Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der Landwirtschaft
●● Maximalbeträge für die Anrechnung
Bei der Anrechnung sind zwei Grenzen zu beachten. Zum
einen darf die Anrechnung der Sachleistungen in allen Fällen die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht
übersteigen (§ 107 Abs. 2 Satz 5 GewO, Pfändungsfreigrenze).
Dabei wird im Rahmen der Kontrolle der für eine ledige, nicht
unterhaltspflichtige Person maßgebliche Betrag zugrunde gelegt. Nach der Anlage zu § 850c Zivilprozessordnung (ZPO)
beträgt der pfändungsfreie Betrag für eine ledige, nicht unterhaltspflichtige Person ab dem 1. Juli 2015 1.079,99 € netto; bis
zum 30. Juni 2015 betrug er 1.045,04 € netto. Dies bedeutet,
dass durch die Anrechnung der Sachleistungen dem Arbeitnehmer zumindest der jeweilige Betrag netto verbleiben muss.
Zum anderen gelten hinsichtlich einzelner Leistungen neben
der Pfändungsfreigrenze zusätzlich folgende Höchstgrenzen:
Die Anrechnung vom Arbeitgeber gewährter Verpflegungsleistungen darf den Betrag von monatlich 229 € nicht überschreiten. Dieser Wert setzt sich zusammen aus dem Wert für:
●● Frühstück 49 €,
●● Mittagessen 90 € und
●● Abendessen 90 €.
Die Anrechnung einer als Sachbezug zur Verfügung gestellten Unterkunft ist – bis zur Höhe von monatlich 223 € – zulässig.
Der Wert der Unterkunft vermindert sich:
●● bei Aufnahme des Beschäftigten in den Haushalt des
Arbeitgebers oder bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft um 15 %,
●● für Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres
um 15 % und
●● bei der Belegung mit zwei Beschäftigten um 40 %, mit
drei Beschäftigten um 50 % und mit mehr als drei Beschäftigten um 60 %.
●● Qualität der Sachleistung
Die vom Arbeitgeber gewährte Sachleistung muss von
„mittlerer Art und Güte“ sein; d. h. Unterkunft und Verpflegung dürfen qualitativ nicht zu beanstanden sein. Als Maßstab für die Bewertung können die Richtlinien für die Unterkünfte ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik
Deutschland vom 29. März 1971 herangezogen werden.
Um es aber nochmals deutlich zu sagen, die hier dargestellte Anrechnung von Kost und Logis auf den gesetzlichen
Mindestlohn gilt nur für den Bereich des MiLoG.
Da aber die Branche Landwirtschaft und Gartenbau aufgrund des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags unter die
Rechtsvorschriften des Arbeitnehmerentsende-Gesetzes (AEntG) fällt, sind die Regelungen für die Anrechnung für diese
Betriebe derzeit nicht anwendbar. Hier kann keine Anrechnung erfolgen, sondern lediglich die allgemeinen Regelungen
der Aufrechnung können angewandt werden. Auch hierzu
gibt es keine Regelung im Gesetz, sondern lediglich Veröffentlichungen auf der Internetseite des Zolls.
Anders als bei der Anrechnung, bei der die Gewährung
von Kost und Logis nach entsprechender Vereinbarung als
unmittelbarer Lohnbestandteil berücksichtigt wird, werden
Agrar-Recht
bei der Aufrechnung wechselseitige Forderungen miteinander verrechnet. Die Aufrechnung erfordert daher eine separate Forderung über die entgeltliche Gewährung von Kost
und Logis oder sonstiger Leistungen des Arbeitgebers.
Um das Aufrechnungsverfahren für die Prüfpraxis des
Zolls möglichst transparent und unbürokratisch auszugestalten, wird – soweit mit Blick auf die rechtlichen Unterschiede
möglich – auf zentrale Elemente der Festlegungen zum allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn (insbesondere konkrete Beträge aus der Sozialversicherungsentgeltverordnung
(SvEV) und die Grundwertungen des § 107 GewO) zurückgegriffen. Die entsprechende Handhabung wird den Mindestlohnprüfungen der Behörden der Zollverwaltung nach dem
AEntG und dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zugrunde gelegt.
Der Anwendung gesetzlicher Vorschriften im Übrigen, wie
z. B. des Steuerrechts, des Mietrechts sowie von öffentlichrechtlichen Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen –
soweit einschlägig –, kann eine Aufrechnung selbstverständlich nicht entgegenstehen.
Im Einzelnen wird den Mindestlohnprüfungen der Behörden der Zollverwaltung Folgendes zugrunde gelegt: Nach
der Aufrechnung muss dem Arbeitnehmer ein Nettobetrag in
Höhe des unpfändbaren Teils des Arbeitsentgelts verbleiben
(§ 107 Abs. 2 Satz 5 GewO, Pfändungsfreigrenze). Dabei wird
der für eine ledige, nicht unterhaltspflichtige Person maßgebliche Betrag zugrunde gelegt. Ebenso werden die Maximalbeträge für Verpflegungsleistungen und Unterkunft nach
der SvEV berücksichtigt. Letztlich ist also – nach den Prüfkriterien des Zolls – auch hier nur eine Aufrechnung bis zu den
Grenzen möglich, die im Rahmen der Anrechnung nach dem
MiLoG als richtig angesehen werden. Auch diese Regelungen
gehen nicht auf das Gesetz zurück und sind bisher auch noch
nicht durch Rechtsprechung untermauert oder auch verworfen worden.
Neben diesen Möglichkeiten, die auf die Veröffentlichungen auf der Internetseite des Zolls basieren, ist es selbstverständlich möglich, getrennte Verträge abzuschließen,
deren Inhalt dann von den jeweiligen Vertragspartnern erfüllt werden müssen. Der Arbeitnehmer – auch die Saisonarbeitskraft – hat in erster Linie Anspruch auf den jeweils einschlägigen Mindestlohn. Eine arbeitsvertragliche Pflicht des
Arbeitgebers, für Unterkunft und Verpflegung aufkommen
zu müssen, besteht nur in engen gesetzlichen Grenzen, etwa
bei entsandten Arbeitnehmern. Die Bereiche Unterkunft und
Verpflegung gehören zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten, die letztlich aus dem Lohn bestritten werden müssen.
Insofern kann das Vertragsverhältnis für die Unterkunft oder
auch Verpflegung gänzlich losgelöst vom Arbeitsverhältnis
abgeschlossen werden. Schließlich hat die Saisonarbeitskraft
das Recht, sich außerhalb der vom Arbeitgeber angebotenen
Möglichkeiten eine Unterkunft zu besorgen oder sich selbst
zu verpflegen. Allerdings bedarf es in solchen Fällen nicht
nur einer genauen Vertragsgestaltung, sondern auch einer
tatsächlichen Durchführung, die dem jeweiligen Vertrag entspricht.
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Erste praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Mindestlohnregelung im Gartenbau und in der Landwirtschaft
4.Welche Aufzeichnungspflichten müssen
Gartenbau und Landwirtschaft erfüllen?
Alle gesetzlichen Aufzeichnungspflichten, z. B. nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG), gelten auch weiterhin. Darüber hinaus gilt die arbeitgeberseitige Aufzeichnungspflicht des MiLoG für alle geringfügig Beschäftigten nach § 8 SGB IV.
Zum 1. August 2015 ist eine neue Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung (MiLoDokV) in Kraft getreten.
Die schon zu Beginn des Jahres 2015 erfolgten Festlegungen, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ein
verstetigtes Arbeitsentgelt von mehr als 2.958 € monatlich
beziehen und für die der Arbeitgeber seine nach § 16 Abs. 2
ArbZG bestehenden Verpflichtungen zur Aufzeichnung der
Arbeitszeit (über acht Arbeitsstunden an Werktagen sowie
Sonn- und Feiertagsarbeit insgesamt) und zur Aufbewahrung
dieser Aufzeichnungen tatsächlich erfüllt, die Arbeitszeitaufzeichnungen nach dem MiLoG (täglich Beginn, Ende und
Dauer der Arbeitszeit) entbehrlich ist, bleibt bestehen.
Erhält der Arbeitnehmer ein verstetigtes Bruttoeinkommen
von mehr als 2.000 € und wurde diese Einkommen in den letzten zwölf Monaten auch tatsächlich vom Arbeitgeber gezahlt,
so entfällt die Verpflichtung zur Aufzeichnung der täglichen
Arbeitszeit nach dem MiLoG ebenfalls. Voraussetzung ist aber
auch hier, dass die Pflichten zur Aufzeichnung der Arbeitszeit
nach dem ArbZG eingehalten werden (§ 1 Abs. 1 MiLoDokV).
Für die Branche Landwirtschaft und Gartenbau gilt jedoch
ein für allgemeinverbindlich erklärter Mindestentgelttarifvertrag. Vor diesem Hintergrund vertreten alle beteiligten Ministerien die Auffassung, die zumindest rechtlich auch vertretbar ist, dass damit Gartenbau und Landwirtschaft unter die
Regelungen des AEntG fallen. Danach betrifft die Aufzeichnungspflicht alle Arbeitnehmer in den Betrieben, die unter
den Geltungsbereich des Mindestentgelttarifvertrags fallen
und zwar solange der Mindestentgelttarifvertrag allgemeinverbindlich ist.
●● Erleichterungen bei der Aufzeichnungspflicht für bestimmte Familienangehörige des Arbeitgebers
Mit der am 1. August 2015 in Kraft getretenen neuen MiLoDokV hat es aber eine weitere Erleichterung gegeben, die für
alle Betriebe gilt, also sowohl für diejenigen, die die Aufzeichnungspflichten nach dem MiLoG erfüllen müssen, als auch für
diejenigen, die die Aufzeichnungspflichten nach dem AEntG zu
erfüllen haben. Für im Betrieb des Arbeitgebers mitarbeitende Ehegatten, Lebenspartner, Kinder und Eltern des Arbeitgebers gelten die Aufzeichnungspflichten nach dem MiLoG und
dem AEntG nicht mehr. Dies gilt auch für Familienangehörige, wenn der Arbeitgeber eine juristische Person oder eine
rechtsfähige Personengesellschaft ist. Hier muss es sich um die
AgrB 6-2015
Aufsatz
37
entsprechenden Familienmitglieder des vertretungsberechtigten Organs oder ein Mitglied eines solchen Organs oder eines
vertretungsberechtigten Gesellschafters der rechtsfähigen Personengesellschaft handeln (§ 1 Abs. 2 MiLoDokV). Selbstverständlich bleiben aber auch für diese Familienmitglieder sofern
einschlägig, die übrigen gesetzliche Aufzeichnungspflichten
beispielsweise nach dem Arbeitszeitgesetz oder anderen rechtlichen Regelungen bestehen. Für alle übrigen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter gelten die Aufzeichnungspflichten nach dem
AEntG. Grundsätzlich genügt auch hier die Aufzeichnung in
dem Umfang, wie das MiLoG dies vorsieht. Damit sind folgende Anforderungen zu erfüllen:
●● Aufzuzeichnen sind Beginn, Dauer und Ende der täglichen Arbeitszeit.
●● Die Aufzeichnung muss spätestens bis zum Ablauf des 7.
auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages
erfolgen.
●● Die Aufzeichnungen müssen mindestens zwei Jahre lang
aufbewahrt werden.
●● Auf Verlangen des Zolls müssen die Unterlagen auch am
Ort der Beschäftigung bereitgehalten werden. Die Aufbewahrung der Unterlagen beim Steuerberater oder im
Lohnbüro ist ausreichend.
Die Aufzeichnungen sind an keine Form gebunden. Handschriftliche Aufzeichnungen reichen aus. Sie müssen nicht vom
Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer unterschrieben werden.
Aufgrund der Nachweisbarkeit ist dies jedoch zu empfehlen.
5.Fazit
Schon diese Übersicht über einige für Gartenbau und Landwirtschaft wesentlichen Punkte im Zusammenhang mit der
Umsetzung des Mindestlohngesetzes – die im Übrigen keinen
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt – macht deutlich, dass
auf die Betriebe und ihre Berater ein deutlicher Mehraufwand
zukommt. Oft stößt die Lohnbuchhaltung so langsam an ihre
Grenzen. Wer sich die Regelungen für die Berücksichtigung
von Kost und Logis ansieht, wird dem nur zustimmen können.
Als Fazit bleibt: Für die Betriebe nimmt die Bürokratie zu, aller
Entbürokratisierungsbeteuerungen zum Trotz. Und Rechtssicherheit gibt es für viele Fragestellungen im Zusammenhang
mit dem Mindestlohn ebenfalls noch nicht. Das Thema wird
also alle Beteiligten weiter beschäftigen.
© Reiner Freese
Romana Hoffmann, Rechtsanwältin und
Mediatorin, Justiziarin des Zentralverbands
Gartenbau e.V. in Bonn
38
Aufsatz
Besonderheiten im Leistungsbereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung
Agrar-Recht
Besonderheiten im Leistungsbereich der
landwirtschaftlichen Krankenversicherung
von Horst Marburger, Geislingen
D
ie Leistungen in der allgemeinen und in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung entsprechen sich meist, aber es gibt einige Ausnahmen.
Übersicht
 1. Grundsätze
 2. Familienversicherung
 3. Krankengeld
  4. Ruhen der Leistungsansprüche
 5. Organspende
 6. Belastungsgrenze
 7. Mutterschaftsgeld
 8. Betriebshilfe
  9. Häusliche Krankenpflege
10.Haushaltshilfe
11. Kostenerstattung und Wahltarife
12. Zusätzliche Satzungsleistungen
13.Fazit
1.Grundsätze
In der allgemeinen Krankenversicherung sind die Leistungen
dieses Sozialversicherungszweigs im Sozialgesetzbuch-Fünftes
Buch geregelt. In der landwirtschaftlichen Krankenversicherung
sind zunächst die Vorschriften des Zweiten Gesetzes über die
Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) maßgebend.
Dort wird aber meist auf die Vorschriften des SGB V (Drittes
Kapitel, §§ 11-66) verwiesen.
Ein weiterer Verweis findet sich in § 1 KVLG 1989. Dort wird
bestimmt, dass die §§ 1 bis 2a und 4 Abs. 4 Satz 1 SGB V entsprechend gelten.
Außerdem wird in § 1 KVLG 1989 vorgeschrieben, dass die
landwirtschaftliche Krankenkasse als Solidargemeinschaft die
Aufgabe hat, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wie-
derherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.
Sie erbringt Leistungen zur Verhütung von Krankheiten, zur
betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention arbeitsbedingter Gefahren, zur Förderung der Selbsthilfe, zur Früherkennung von Krankheiten sowie bei Krankheit.
In dem in § 1 KVLG 1989 erwähnten § 1 SGB V wird die Aufgabe der Solidargemeinschaft betont, eine Regelung, die § 1
KVLG 1989 entspricht. Wie oben erwähnt, gelten auch die weiteren Bestimmungen des § 1 SGB V für die landwirtschaftliche
Krankenversicherung. Dies bedeutet, dass auch hier die Versicherten für ihre Gesundheit mitverantwortlich sind. Sie sollen
durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen
sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und
Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und
Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden.
Dabei haben die Krankenkassen den Versicherten durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde
Lebensführung hinzuweisen.
Die Verweisung in § 1 KVLG 1989 auf § 2 SGB V stellt klar,
dass die Krankenkassen den Versicherten die im Dritten Kapitel des SGB V genannten Leistungen unter Beachtung des
Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellen, soweit diese
Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten
zugerechnet werden. Bezüglich des Wirtschaftlichkeitsgebots
verweist § 2 Abs. 1 SGB V auf § 12 SGB V. Die dortigen Regelungen gelten ebenfalls für die landwirtschaftliche Krankenversicherung. Danach müssen die Leistungen ausreichend,
zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des
Notwendigen nicht überschreiten, Leistungen, die nicht notwendig oder wirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und
die Krankenkassen nicht bewilligen.
In § 2 Abs. 1 SGB V wird weiter zum Ausdruck gebracht, dass
Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtung nicht ausgeschlossen sind. Qualität und
Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechend und
den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.
§ 2 Abs. 1a SGB V ist von besonderer Bedeutung für schwerkranke Menschen. Hiernach kann von den Regelungen über die
medizinischen Erkenntnisse und den medizinischen Fortschritt
abgewichen werden. Dies hat bei Versicherten zu geschehen, die
an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkran-
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Besonderheiten im Leistungsbereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung
kung oder an einer Erkrankung mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung leiden, für die eine allgemein
anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht. Voraussetzung für den Leistungsanspruch ist allerdings, dass eine nicht ganz entfernt liegende
Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung
auf den Krankheitsverlauf besteht. Die landwirtschaftliche Krankenkasse erteilt für solche Leistungen vor Behandlungsbeginn
eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer (z. B. Ärzte) dies beantragen. Mit der
Kostenübernahmeerklärung wird für den Leistungserbringer die
Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt.
Die Leistungen werden als Sach- oder Dienstleistungen gewährt. Sie können aber auf Antrag auch als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets erbracht werden. Zur
Möglichkeit, anstelle der Sachleistungen die Kostenerstattung
zu wählen vgl. die Ausführungen unter 11.
Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu
beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist
Rechnung zu tragen. Letztere Regelung hat insbesondere in
Zusammenhang mit stationären Behandlungen Bedeutung.
Nach § 2a SGB V ist den besonderen Belangen behinderter
und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen.
2.Familienversicherung
Nach § 7 KVLG 1989 gilt für die Familienversicherung § 10 SGB
V entsprechend. Sie ist im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung von besonderer Bedeutung, vor allem deshalb,
weil sie für die Versicherten kostenlos ist. Das gilt auch in der
landwirtschaftlichen Krankenversicherung. Die Familienversicherung der landwirtschaftlichen Krankenversicherung ist in
Agrarbetrieb 3/2015, S. 39 ff. ausführlich erläutert worden.
3.Krankengeld
Krankengeld ist eine bedeutsame Leistung der allgemeinen
Krankenversicherung. In der landwirtschaftlichen Krankenversicherung wird es nach ausdrücklicher Vorschrift in § 8 Abs. 2
KVLG 1989 nur gewährt, wenn dies in den §§ 12 und 13 KVLG
1989 vorgesehen ist. In § 12 KVLG 1989 wird auf das Krankengeld
nach dem SGB V verwiesen. Zunächst erhalten die nach § 2 Abs. 1
Nr. 3 KVLG 1989 versicherungspflichtigen mitarbeitenden Familienangehörigen, die rentenversicherungspflichtig sind, Krankengeld. Der Krankengeldberechnung wird nur das Arbeitsentgelt
zugrunde gelegt. Dies bedeutet, dass die üblichen Grundsätze
der allgemeinen Krankenversicherung gelten.
Nicht rentenversicherungspflichtige mitarbeitende Familienangehörige erhalten gem. § 13 Abs. 1 KVLG 1989 Krankengeld
in Höhe eines Achtels der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Krankenversicherung (§ 223 Abs. 3 SGB V).
2015 gelten im gesamten Bundesgebiet kalendertäglich
25,21 €. Die Satzung kann das Krankengeld bis auf ein Viertel der Beitragsbemessungsgrenze erhöhen. 2015 sind hier
50,42 € maßgebend.
AgrB 6-2015
Aufsatz
39
Das Krankengeld wird für den Personenkreis des § 13 KVLG
1989 wegen derselben Krankheit für längstens 78 Wochen gewährt, auch wenn während der Bezugszeit von Krankengeld eine
weitere Krankheit hinzutritt (vgl. dazu auch § 48 SGB V).
Nach § 13 Abs. 3 KVLG 1989 ruht der Anspruch auf Krankengeld, wenn und soweit der Versicherte während der Arbeitsunfähigkeit Arbeitsentgelt erhalten würde, wenn er als Arbeitnehmer
einen gesetzlichen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle hätte.
Da Einmalzahlungen an mitarbeitende Familienangehörige
in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung nicht beitragspflichtig sind, sind sie bei der Krankengeldberechnung für mitarbeitende Familienangehörige nicht zu berücksichtigen. Dabei
geht es beispielsweise um Weihnachtsgeld.
Einmalzahlungen sind aber dann bei der Krankengeldberechnung zu beachten, wenn sie aus einer weiteren Beschäftigung
oder aus einer „Vorbeschäftigung“ innerhalb der letzten 12 Kalendermonate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit gezahlt werden.
Anspruch auf Krankengeld besteht auch für Personen, die
nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVLG 1989 versichert sind. Angesprochen
sind hier Arbeitslosengeldbezieher. Gemeint ist das sog. Arbeitslosengeld I nach dem Sozialgesetzbuch-Drittes Buch (SGB III).
Das gilt auch dann, wenn die betroffene Person Arbeitslosengeld
I nur deshalb nicht bezieht, weil der Anspruch ab Beginn des
zweiten Monats bis zu zwölften Woche einer Sperrzeit oder ab
Beginn des zweiten Monats wegen einer Urlaubsabgeltung ruht.
Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung, die zum Bezug des
Arbeitslosengelds geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder
die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist.
Krankengeldanspruch hat auch, wer nach § 3 Abs. 2 Nr. 1
KVLG 1989 versichert ist. Es handelt sich hier um Arbeitnehmer, die eine Beschäftigung für die Dauer von voraussichtlich
höchstens 25 Wochen aufnehmen und als versicherungspflichtige Unternehmer in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versichert sind. Voraussetzung für den Krankengeldanspruch ist, dass die Arbeitsunfähigkeit während
der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eingetreten ist.
Der Bemessung des Krankengelds wird hier nur das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt. Die Gewährung von Krankengeld
schließt die Gewährung von Betriebshilfe (vgl. dazu die Ausführungen unter 8.) nicht aus. Das Gleiche gilt für freiwillig
versicherte Arbeitnehmer (§ 12 Satz 1 Nr. 4 KVLG 1989). Um
einen Krankengeldanspruch zu haben, müssen diese Personen
die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfüllen. In
dieser Vorschrift geht es um höherverdienende Arbeiter und
Angestellte, um Personen also, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt. Dabei
bleiben Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand
gezahlt werden, unberücksichtigt.
Die Jahresarbeitsentgeltgrenze beläuft sich 2015 auf
54.900 €. Dies entspricht einem Monatsbeitrag von 4.575 €.
Aufgrund einer Übergangsregelung in § 6 Abs. 7 SGB V gibt
es eine besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze für Arbeiter und
Angestellte, die am 31.12.2002 wegen Überschreitens der an
diesem Tag geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei und bei einem privaten Krankenversicherungsunter-
40
Aufsatz
Besonderheiten im Leistungsbereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung
nehmen in einer substitutiven Krankenversicherung versichert
waren. 2015 gilt in diesen Übergangsfällen eine Jahresarbeitsentgeltgrenze von 49.500 € (monatlich 4.125 €).
4.Ruhen der Leistungsansprüche
Der Anspruch auf Leistungen ruht für Mitglieder, die mit einem
Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen. Ausgenommen vom
Ruhen sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach §§ 25, 26 SGB V. Das Gleiche gilt für Leistungen, die zur
Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie
bei Schwanger- und Mutterschaft erforderlich sind.
Das Ruhen endet, wenn alle rückständigen und die auf die
Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind. Das
Ruhen tritt nicht ein oder endet, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II oder SGB XII) werden (Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. Sozialhilfeempfänger).
Ist eine wirksame Ratenzahlungsvereinbarung zustande gekommen, hat das Mitglied ab diesem Zeitpunkt wieder Anspruch
auf Leistungen, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet
werden.
5.Organspende
§ 8 Abs. 2b KVLG 1989 beschäftigt sich mit Leistungen, die in
Zusammenhang mit einer Organtransplantation erforderlich
werden. Es geht hier um die Spende von Organen oder Geweben bzw. um Leistungen in Zusammenhang mit einer erfolgten Spende von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder
anderen Blutbestandteilen. Hier gilt zwar § 27 Abs. 1a SGB V,
allerdings mit einer Maßgabe. Die vorstehende Vorschrift sieht
Leistungsansprüche in den geschilderten Fällen vor. Die angesprochene Maßgabe bedeutet, dass bei einer Spende eines
landwirtschaftlichen Unternehmers anstelle des Krankengelds
Betriebshilfe nach § 9 KVLG 1989 (vgl. dazu die Ausführungen
unter 8.) gewährt wird. Die Kosten der Betriebshilfe werden der
landwirtschaftlichen Krankenkasse von der Stelle erstattet, die
für den Empfänger der Organe, Gewebe oder Blutstammzellen
oder anderen Blutbestandteilen zuständig ist.
6.Belastungsgrenze
Sowohl in der allgemeinen als auch in der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung sind für bestimmte Leistungen (wie z. B.
Arzneimittel) Zuzahlungen zu entrichten. Dies hat aber nur bis
zu einer Belastungsgrenze zu geschehen, die 2 %, bei chronisch
Kranken 1 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt beträgt. In Bezug auf die Belastungsgrenze enthält § 8
Abs. 4 KVLG 1989 die Besonderheit, dass in Zusammenhang
mit der Berechnung der Belastungsgrenze und der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt auch Familienversicherte und
versicherungspflichtige mitarbeitende Familienangehörige, die
nicht rentenversicherungspflichtig sind, als Angehörige zu berücksichtigen sind.
Agrar-Recht
7.Mutterschaftsgeld
Nach § 14 KVLG 1989 wird an bestimmte Personen Mutterschaftsgeld nach § 24i SGB V gezahlt. Diese Personengruppen sind
●● versicherungspflichtige mitarbeitende Familienangehörige, die zwar rentenversicherungspflichtig sind, jedoch die
oben erwähnten Voraussetzungen des § 24i Abs. 2 SGB
V nicht erfüllt haben (also nicht Arbeitnehmerinnen oder
Heimarbeiterinnen sind),
●● mitarbeitende Familienangehörige, die nicht rentenversicherungspflichtig sind,
●● Arbeitslose.
8.Betriebshilfe
Versicherungspflichtige landwirtschaftliche Unternehmer erhalten anstelle von Krankengeld oder Mutterschaftsgeld Betriebshilfe (§ 9 Abs. 1 KVLG 1989). Betriebshilfe wird während
der Krankenhausbehandlung des landwirtschaftlichen Unternehmers oder während einer medizinischen Kurmaßnahme
gewährt, wenn in dem Unternehmen keine Arbeitnehmer und
keine versicherungspflichtigen mitarbeitenden Familienangehörigen ständig beschäftigt werden.
Aufgrund entsprechender Ermächtigungen in § 9 KVLG 1989
enthält die Satzung der Sozialversicherung für Landwirtschaft,
Forsten und Gartenbau mehrere Vorschriften über die Gewährung von Betriebshilfe. So beschäftigt sich § 111 der Satzung
mit der Betriebshilfe während stationärer Behandlung. Dauert danach die Krankenhausbehandlung oder die stationäre
Behandlung in einer Rehabilitationseinrichtung länger als 13
Wochen, so ist Betriebshilfe bis zu weiteren vier Wochen zu erbringen, solange besondere Verhältnisse im Unternehmen dies
erfordern. Darüber hinaus kann eine Verlängerung nur erfolgen, wenn und solange außergewöhnliche Erschwernisse vorliegen. Der Einsatzzeitraum umfasst auch die Tage der Anreise
und der Rückkehr zum und vom Ort der Leistung.
Während einer Krankheit erbringt die landwirtschaftliche
Krankenkasse dem versicherten landwirtschaftlichen Unternehmer Betriebshilfe längstens bis zu vier Wochen.
Voraussetzung ist, dass
●● die Krankheit ärztlich bescheinigt,
●● durch die Krankheit die Bewirtschaftung des Unternehmens gefährdet und
●● keine stationäre Behandlung durchgeführt wird (§ 112
der Satzung).
Dauert die Krankheit länger, so ist Betriebshilfe bis zu weiteren vier Wochen zu erbringen, solange besondere Verhältnisse
im Unternehmen dies erfordern. Darüber hinaus kann eine Verlängerung nur erfolgen, wenn und solange außergewöhnliche
Erschwernisse vorliegen.
§ 112 Abs. 3 der Satzung sieht eine Beschränkung der Betriebshilfe aus Anlass derselben Krankheitsursache vor. Die
Leistung wird hier für längstens 16 Wochen innerhalb von je
drei Jahren, gerechnet vom Tage des ersten Einsatzes an, bewilligt.
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Besonderheiten im Leistungsbereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung
Wichtig: Der Anspruch erneuert sich jeweils mit Beginn eines neuen Drei-Jahres-Zeitraumes.
Ist die Bewirtschaftung des Unternehmens durch die
Schwangerschaft bzw. Entbindung der Unternehmerin gefährdet, wird Betriebshilfe während der Schwangerschaft und bis
zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung (Schutzfrist) gewährt (§ 113 der Satzung). Bei Frühgeburten und sonstigen vorzeitigen Entbindungen verlängern sich diese Fristen
zusätzlich um den Zeitraum, für den Betriebshilfe in den letzten
sechs Wochen vor der Entbindung nicht in Anspruch genommen werden konnte. Während der Schwangerschaft bis zum
Beginn von sechs Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung ist weitere Voraussetzung, dass Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt ist.
§ 114 der Satzung erstreckt die Betriebshilfe als Mehrleistung auf weitere Personengruppen. Dabei handelt es sich um
●● den versicherten mitarbeitenden Ehegatten des landwirtschaftlichen Unternehmers,
●● den versicherten mitarbeitenden Lebenspartner des versicherten landwirtschaftlichen Unternehmers,
●● versicherte mitarbeitende Familienangehörige, wenn sie
die Aufgaben des Unternehmers oder seines Ehegatten
bzw. Lebenspartners ständig wahrnehmen,
●● Unternehmen, in den Arbeitnehmer oder mitarbeitende
Familienangehörige ständig beschäftigt werden, soweit
die Weiterführung des Unternehmens ohne den Einsatz
einer Betriebshilfe nicht sichergestellt ist.
Als Betriebshilfe wird eine Ersatzkraft eingestellt (§ 100 der
Satzung). Ist dies nicht möglich oder besteht Grund, davon
abzusehen, erstattet die landwirtschaftliche Krankenkasse die
Kosten für eine selbstbeschaffte betriebsfremde Ersatzkraft in
angemessener Höhe. Die für den Einsatz erforderlichen Tatsachenangaben und Gründe sind der landwirtschaftlichen Krankenkasse vor Einsatzbeginn mitzuteilen. Im Übrigen ist der
Antrag auf Betriebshilfe vor Einsatzbeginn zu stellen (§ 119 in
Verbindung mit § 101 der Satzung).
9.Häusliche Krankenpflege
§ 110 der Satzung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung
sieht ergänzend zum anwendbaren § 37 SGB V eine Mehrleistung
vor. Diese Leistung wird beispielsweise erbracht, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn
sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt
werden kann. Als Mehrleistung gewährt die landwirtschaftliche
Krankenkasse Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung
für längstens drei Monate. Allerdings besteht dieser Anspruch
nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem
erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.
10.Haushaltshilfe
Nach § 38 SGB V erhalten Versicherte Haushaltshilfe, wenn
ihnen wegen Krankenhausbehandlung oder einer sonstigen
stationären Leistung die Weiterführung des Haushalts nicht
AgrB 6-2015
Aufsatz
41
möglich ist. Voraussetzung ist außerdem, dass im Haushalt ein
Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf
Hilfe angewiesen ist. Der Anspruch auf Haushaltshilfe besteht
nur, wenn und soweit eine im Haushalt lebende Person den
Haushalt nicht weiterführen kann.
Die Satzung soll bestimmen, dass die Krankenkasse in anderen als den vorstehend genannten Fällen Haushaltshilfe erbringt, wenn Versicherten wegen Krankheit die Weiterführung
des Haushalts nicht möglich ist. Sie kann u. a. auch Umfang
und Dauer der Leistung bestimmen.
Nach § 115 der Satzung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung erbringt die landwirtschaftliche Krankenkasse
Haushaltshilfe. Dabei wird auf die §§ 111 bis 113 der Satzung
verwiesen (vgl. dazu die Ausführungen unter 8.). Allerdings erfolgt die Leistungsgewährung mit der Maßgabe, dass an die
Stelle der Gefährdung der Bewirtschaftung des Unternehmens
die Unmöglichkeit der Weiterführung des landwirtschaftlichen
Haushalts tritt und seine Weiterführung auf andere Weise nicht
sicherzustellen ist.
Die landwirtschaftliche Krankenkasse erbringt für versicherte landwirtschaftliche Unternehmen sowie für ihre versicherten
mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner Haushaltshilfe.
Voraussetzung ist, dass keine Betriebshilfe (vgl. dazu die Ausführungen unter 8.) erbracht wird und kein landwirtschaftlicher
Haushalt besteht. Diese Haushaltshilfe wird für längstens vier
Wochen gewährt.
Sonstigen Personen wird auch Haushaltshilfe erbracht, wenn
nach ärztlicher Bescheinigung die Weiterführung des Haushalts durch die versicherte Person wegen akuter Erkrankung
oder akuter Verschlimmerung einer Krankheit nicht möglich ist.
In diesen Fällen wird Haushaltshilfe längstens bis zur Dauer von
vier Wochen erbracht.
Bezüglich der Ersatzkräfte gelten die Ausführungen unter 8.
entsprechend. Das gilt auch hinsichtlich des Antrags.
11.Kostenerstattung und Wahltarife
Wie die allgemeine Krankenversicherung, so kennt auch die
landwirtschaftliche Krankenversicherung die Möglichkeit, anstelle der Sach- und Dienstleistungen Kostenerstattung zu wählen
(vgl. für die allgemeine Krankenversicherung § 13 SGB V). Einzelheiten regelt für die landwirtschaftliche Krankenversicherung
§ 122 der Satzung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung.
§ 53 SGB V sieht für die allgemeine Krankenversicherung bestimmte Wahltarife vor. Die Vorschrift ist nach § 8 Abs. 3 KVLG
1989 auch in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung anzuwenden.
Wahltarife gibt es
●● für Versicherte, die an einem besonderen Versorgungsprogramm teilnehmen,
●● für Versicherte, die einen Teil der von der Krankenkasse
zu tragenden Kosten selbst übernehmen (Selbstbehalt),
●● in Zusammenhang mit Kostenerstattung,
●● für die Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen,
●● für Leistungen, die die Regelversorgung nicht vorsieht.
42
Aufsatz
Besonderheiten im Leistungsbereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung
Besondere Tarife gibt es in der allgemeinen Krankenversicherung auch für freiwillig Versicherte sowie für pflichtversicherte
selbstständige Künstler und Publizisten (§ 52 Abs. 6 SGB V).
Diese Regelung ist in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung nicht anzuwenden (§ 8 Abs. 3 KVLG 1989).
Für die Tarife gelten Mindestbindungsfristen. Hier gibt es
Ausnahmen für die landwirtschaftliche Krankenversicherung.
Die Möglichkeit, sich mit Wahltarifen zu versichern, die § 53
SGB V für die allgemeine Krankenversicherung vorsieht, wird in
den §§ 124 bis 129 der Satzung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung geregelt.
Dabei geht es insbesondere um
●● Prämienzahlungen bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen,
●● Bonus für gesundheitsbewusstes Verhalten und
●● Prämienzahlung bei Teilnahme an besonderen Versorgungsformen.
Den Bonus für gesundheitsbewusstes Verhalten erhalten
Versicherte, wenn sie oder ihre mitversicherten Angehörigen
sich gesundheitsbewusst verhalten. Voraussetzung ist die regelmäßige Inanspruchnahme von Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten und von qualitätsgesicherten Leistungen zur primären Prävention.
Den einzelnen Leistungen zur Krankheitsfrüherkennung
und der primären Prävention sind Bonuspunkte zugeordnet.
So werden beispielsweise für jede in Anspruch genommene
Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen 10
Bonuspunkte gewährt.
Agrar-Recht
12.Zusätzliche Satzungsleistungen
Nach § 130a der Satzung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung können Versicherte osteopathische Leistungen als
zusätzliche Satzungsleistungen in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist, dass die Behandlung medizinisch geeignet ist, um
eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten
oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Außerdem darf diese
Behandlungsmethode nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausgeschlossen werden.
Versicherten werden die tatsächlich entstandenen Kosten in
Höhe von 80 % je Sitzung erstattet, jedoch nicht mehr als 80 €
pro Sitzung. Insgesamt ist der Erstattungsbetrag auf insgesamt
250 € je Kalenderjahr und Versicherten begrenzt.
13.Fazit
Wenn sich auch das Leistungsrecht der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung stark an das der allgemeinen Krankenversicherung anlehnt, so gibt es doch zahlreiche gesetzliche
Abweichungen. Vor allem ist aber zu beachten, dass die Satzung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung erhebliche
Einzelregelungen enthält. Insgesamt gesehen befindet sich das
Leistungswesen auf einem hohen Niveau.
von Horst Marburger, Geislingen, ehem.
Abteilungsleiter und heute Dozent bei der AOK
Baden-Württemberg sowie Lehrbeauftragter an
der Hagen Law School
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1
Agrar-Steuern
Agrar-Recht
AgrB
Agrarbetrieb
Agrar-Taxation
1. Jahrgang 2015
ISSN 2199-9376
2016
Wiegand
Die Abfärbewirkung bei land- und forstwirtschaftlichen Personengesellschaften unter Berücksichtigung der neuen Bagatellgrenzen
Bahrs
Konsequenzen erhöhter Grunderwerbsteuern in der Landwirtschaft
Bunzol
Scheidung in der Landwirtschaft
Wenzel
Das Schriftformerfordernis im Landpachtrecht – die Auflockerung der
Auflockerungsrechtsprechung
Böhme
Kaufwerte und Pachtpreise für landwirtschaftliche Nutzflächen –
Aktuelle statistische Daten und Fragen ihrer Ermittlung
Bahrs / Roß / Menzel / Back
Bodenrichtwerte für landwirtschaftliche Nutzflächen in
Deutschland – Status quo und Ausblick
Herausgeber-Beirat:
Prof. Dr. E. Bahrs
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Notar Prof. Dr. Dr. H. Grziwotz
RA, vBP Dr. Th. Hahn
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Dipl.-Ing. agr. Prof. Dr. A. Mährlein
RA Prof. Dr. D. J. Piltz
StB W. Stalbold
RA, StB R. Stephany
RiBFH M. Wittwer
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AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Hauptberuflichkeit einer Beschäftigung oder einer landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit
Urteil
43
Rechtsprechung
Hauptberuflichkeit einer Beschäftigung
oder einer landwirtschaftlichen
Unternehmertätigkeit
Ist die Hauptberuflichkeit einer Beschäftigung oder einer landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit fraglich, so bestimmt
sich die wirtschaftliche Bedeutung der Tätigkeit grundsätzlich
nach dem Arbeitseinkommen und nicht nach dem korrigierten
Wirtschaftswert; für den Vergleich der aufgewandten Arbeitszeit kommt es nur auf die des Unternehmers persönlich an.
BSG, Urteil vom 23.7.2014 – B 12 KR 16/12 R
Der Sachverhalt
Die klagende Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und
Gartenbau (SVLFG) begehrt die Feststellung, dass die selbstständige Landwirtin in der Krankenversicherung der Landwirte (KVdL)
und nicht bei der beklagten AOK versicherungspflichtig ist.
Die 1976 geborene Landwirtin ist seit 1.6.2005 bei der AOK
nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V pflichtversichert. Zunächst war sie
insoweit bei einem Landwirt mit einer Wochenarbeitszeit von 25
Stunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.083,30 €
beschäftigt. Ab 30.7.2007 wechselte sie zu einem anderen Arbeitgeber. Bei gleicher Arbeitszeit betrug das monatliche Bruttoarbeitsentgelt nunmehr 1.050 €.
Bereits am 1.1.2007 hatte sie daneben als selbstständige
Landwirtin den landwirtschaftlichen Betrieb ihres Vaters mit einer Größe von rund 90 ha und einem Bestand an Milch- und
Mutterkühen, Kälbern/Färsen sowie Deckbullen von bis zu 232
Tieren (Oktober 2007) übernommen. Auf diesem Hof arbeitete
sie selbst in der Regel 15 Stunden wöchentlich, die weiteren
notwendigen Arbeiten wurden im Wesentlichen von ihren Angehörigen übernommen. Laut Einkommensteuerbescheid für
2007 erzielte sie aus Land- und Forstwirtschaft einen Gewinn
von 4.395 € und Einkünfte von 12.799 € aus nichtselbstständiger Arbeit. Für 2008 wurden Verluste von 29.489 € und Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit von 12.600 € festgestellt.
Auch im Wirtschaftsjahr Mai 2009 bis April 2010 entstand ein
Verlust aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 29.000 €.
Im April 2007 zeigte die Rechtsvorgängerin der SVLFG der
Beklagten an, ab 1.1.2007 die Krankenversicherung als landwirtschaftliche Unternehmerin durchführen zu wollen. Dem trat
die AOK entgegen. Das SG hat die daraufhin erhobene Klage
als unzulässig abgewiesen. Nur die die Versicherung tatsächlich
durchführende Beklagte sei als Einzugsstelle berechtigt, Statusentscheidungen gegenüber den am Versicherungsverhältnis
Beteiligten zu treffen; Dritten gegenüber hätten diese eine Tatbestandswirkung, die nicht mittels Feststellungsklage umgangen werden könne (Urteil vom 8.10.2010).
Die Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen,
weil die Feststellungsklage zwar zulässig, im Ergebnis jedoch
unbegründet sei. Die Landwirtin sei als Beschäftigte in der allgemeinen Krankenversicherung und nicht in der KVdL versicherungspflichtig. Sie sei nicht i. S. von § 5 Abs. 5 SGB V als
AgrB 6-2015
landwirtschaftliche Unternehmerin hauptberuflich selbstständig tätig. Diese Tätigkeit überwiege weder in Bezug auf die
wirtschaftliche Bedeutung noch auf den zeitlichen Aufwand die
übrige Erwerbstätigkeit und stelle somit nicht den Mittelpunkt
der Erwerbstätigkeit dar.
Das Urteil
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht
hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das die Klage
verwerfende Urteil des SG zurückgewiesen, weil die Klage zwar
zulässig, aber unbegründet ist. Die betroffene Frau war in dem
vom Senat zu beurteilenden Zeitraum 1.1.2007 bis zu dem mit
der Revision angefochtenen Beschluss des LSG vom 10.8.2011
nicht als landwirtschaftliche Unternehmerin versicherungspflichtig in der KVdL.
Die Revision ist jedoch unbegründet, weil die Betroffene
nicht seit 1.1.2007 als landwirtschaftliche Unternehmerin in der
KVdL, sondern weiterhin als Beschäftigte in der allgemeinen
Krankenversicherung versicherungspflichtig ist (hierzu a). Hiervon ist die Frau nicht wegen hauptberuflich selbstständiger Erwerbstätigkeit ausgeschlossen (hierzu b).
a) Versicherungspflichtig in der KVdL sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 3
SGB V i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 – allein dieser
Tatbestand kommt vorliegend in Betracht – landwirtschaftliche Unternehmer, deren Unternehmen unabhängig vom
jeweiligen Unternehmer, auf Bodenbewirtschaftung beruht.
Außerdem muss das Unternehmen – was hier der Fall ist –
eine bestimmte Mindestgröße erreichen. Nicht nach dem
KVLG 1989 versicherungspflichtig ist jedoch, wer nach anderen gesetzlichen Vorschriften versicherungspflichtig ist (§ 3
Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989).
Die betroffene Frau ist als Beschäftigte (vgl. § 7 Abs. 1 SGB
IV) des Beigeladenen zu 2. bzw. ab 30.7.2007 des Beigeladenen zu 3. nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V außerhalb der KVdL in
der allgemeinen Krankenversicherung versicherungspflichtig. Der nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 1a KVLG 1989 (i. d. F.
durch Gesetz vom 29.7.1994, BGBl I 1890) in Bezug auf die
Versicherungspflicht wegen Beschäftigung bestehende Vorrang zugunsten der KVdL greift nicht ein. Nach den nicht
mit Revisionsrügen angegriffenen und für den Senat daher
bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG
wurden ihre Beschäftigungen bei den Beigeladenen zu 2.
und 3. jeweils über mehrere Jahre ausgeübt. Auf eine solche,
26 Wochen übersteigende Dauer waren die Beschäftigungen
nach den vorliegenden Umständen von vornherein angelegt,
was zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist. Zugleich
besteht keine Versicherungspflicht der Frau als mitarbeitende Familienangehörige i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 KVLG 1989.
b)Die Versicherungspflicht der Frau als Beschäftigte (§ 5 Abs. 1
Nr. 1 SGB V) ist – anders als die Klägerin meint – nicht nach
§ 5 Abs. 5 SGB V ausgeschlossen, weil sie ihre selbstständige Tätigkeit als landwirtschaftliche Unternehmerin im Sinne dieser Norm etwa hauptberuflich ausübte. Wann eine
selbstständige Tätigkeit i. S. d. § 5 Abs. 5 SGB V „hauptbe-
44
Urteil
Zwingende Rückforderung von Fördermitteln bei fehlenden schriftlichen Mitteilungen über Vorhabensänderungen
ruflich“ ausgeübt wird, ist weder gesetzlich ausdrücklich bestimmt noch nach dem Wortsinn eindeutig. Jedoch hat das
BSG in ständiger Rechtsprechung unter Bezugnahme auf die
Gesetzesmaterialien Hauptberuflichkeit dann angenommen,
wenn die selbstständige Tätigkeit von der wirtschaftlichen
Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt. Außerdem
muss sie – ohne dass diesem Merkmal eine eigenständige
Bedeutung zukäme – den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit
darstellen. Diesen Ausgangspunkt teilt auch die Klägerin.
Der Klägerin kann jedoch im Weiteren nicht darin gefolgt
werden, dass bei dem nach § 5 Abs. 5 SGB V anzustellenden
gewichtenden Vergleich von Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit bezüglich der wirtschaftlichen Bedeutung einer Tätigkeit stets auf den korrigierten Wirtschaftswert nach
§ 32 Abs. 6 ALG abzustellen sei. Ebenso wenig ist für den
Vergleich des jeweiligen zeitlichen Aufwands die Arbeitszeit
von im Unternehmen eingesetzten Familienangehörigen,
Arbeitskräften oder Lohnunternehmern dem Unternehmer
zuzurechnen. Vielmehr hat das LSG aufgrund der von ihm
festgestellten Tatsachen zu Recht angenommen, dass die
betroffene Frau die Tätigkeit einer landwirtschaftlichen Unternehmerin unter Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Arbeitseinkommens und ihrer persönlich aufgewandten
Arbeitszeit nicht hauptberuflich ausübte.
Urteilsanmerkungen
von Horst Marburger, Geislingen, ehem.
Abteilungsleiter und Dozent bei der AOK
Baden-Württemberg; heute: Lehrbeauftragter an der Hagen Law School und sozialrechtlicher Fachautor
Das BSG stellt in seiner Urteilsbegründung auf § 15 SGB
IV ab. Nach dieser Vorschrift ist Arbeitseinkommen der
nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften
des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer
selbstständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist.
Bei Landwirten, deren Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13a EStG) ermittelt wird, ist als Arbeitseinkommen der sich aus § 32 Abs. 6 des Gesetzes über die
Alterssicherung der Landwirte (GAL) entstehende Wert
anzusetzen (§ 15 Abs. 2 SGB IV).
Das BSG weist in seiner Begründung zum vorliegenden Urteil darauf hin, dass der korrigierte Wirtschaftswert nach § 32 Abs. 6 ALG – anders als die Regelungen in
§§ 14, 15 SGB IV – nicht davon abhängt, was dem Betroffenen aufgrund der Beschäftigung bzw. selbstständigen
Tätigkeit im obigen Sinne für seinen Lebensunterhalt tatsächlich (vor Steuern und Sozialbeiträgen) zur Verfügung
steht. Der korrigierte Wirtschaftswert nach § 32 Abs. 6
ALG repräsentiert vielmehr nur das aus Erfahrungswerten
Agrar-Recht
der für den Agrarbericht ausgewerteten landwirtschaftlichen Testberichte ermittelte Einkommenspotenzial eines
landwirtschaftlichen Betriebs. Er entspricht somit dem,
was bei einer bestimmten Wirtschaftsweise aus dem Betrieb als Einkommen erzielt werden „könnte“, nicht aber
demjenigen, was einem Betroffenen tatsächlich zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht und dadurch seine
wirtschaftliche Lage prüft.
Das BSG stellt bei der Prüfung des Merkmals „hauptberuflich“ alle auf die vom Betroffenen persönlich aufgewandte Arbeitszeit ab. Es kommt zu dem Schluss, dass
keine hauptberufliche Beschäftigung in der Landwirtschaft vorliege und deshalb von der Zuständigkeit der
AOK ausgegangen werden müsse.
Hinweis: Vgl. zur hauptberuflichen Selbstständigkeit
in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung auch die
Ausführungen in „Agrarbetrieb“ 3/2015, S. 39 ff.
Zwingende Rückforderung von Fördermitteln
bei fehlenden schriftlichen Mitteilungen über
Vorhabensänderungen
Wird ein förderfähiges Projekt, für das eine Investitionsförderung zur Entwicklung des ländlichen Raumes beantragt
wurde nach Stellung des Ursprungsantrags abgeändert, so
ist es nicht ausreichend, diese Änderungen mündlich oder
telefonisch gegenüber der zuständigen Behörde anzuzeigen,
wenn gleichzeitig in den schriftlichen Folgeanträgen erklärt
wird, dass es keine Änderungen am Projekt gegeben hätte.
OVG Lüneburg, Urteil vom 21.4.2015 – 10 LB 31/13
Der Sachverhalt
Am 19.3.2002 beantragte die Klägerin einen Zuschuss im Rahmen der Projektförderung nach Art. 25 ff. der Verordnung (EG)
Nr. 1257/1999, dem Niedersächsischen Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums (PROLAND) sowie der Richtlinie
des Niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums über die
Förderung von Projekten zur Marktstrukturverbesserung vom
28.9.2000.
Die Klägerin betrieb ein Unternehmen, dessen Gegenstand
die Herstellung und der Vertrieb von tiefgefrorenen Kartoffelprodukten war. Im Jahr 2002 wurde der Neubau einer Produktionshalle zur Herstellung von Veredelungsprodukten aus
Kartoffeln und einer Tiefkühl-Lagereinrichtung mit einem Investitionsvolumen von ca. 4,1 Mio. € geplant.
Im Ursprungsantrag erklärte die Klägerin, dass ihr die Verpflichtung bekannt sei, der bewilligenden Stelle unverzüglich
die Tatsachen mitzuteilen, die der Bewilligung, Weitergewährung, Inanspruchnahme oder dem Belassen der Zuwendung
entgegenstehen würden. Dazu gehörten auch solche Tatsachen,
die zur Beurteilung der Notwendigkeit und Angemessenheit der
Zuwendung von Bedeutung sind. Des Weiteren verpflichtete sie
sich „jede Nichteinhaltung von Beihilfevoraussetzungen – auch
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Zwingende Rückforderung von Fördermitteln bei fehlenden schriftlichen Mitteilungen über Vorhabensänderungen
in Fällen höherer Gewalt – der zuständigen Behörde unter Angabe der Gründe unverzüglich schriftlich mitzuteilen“.
Mit Zuwendungsbescheid vom 28.1.2003 wurde die Förderung schließlich bewilligt. Die Zuwendung war „ausschließlich
zur Finanzierung des Vorhabens/Projekts Neubau einer Produktionsanlage zur Herstellung von Veredelungsprodukten
aus Kartoffeln nebst einer Tiefkühl-Lagereinrichtung zu verwenden“. Diesbezüglich wurden die Antragsunterlagen zu verbindlichen Bestandteilen des Bescheids erklärt.
Am 29.7.2004 reichte die Klägerin einen Zwischenverwendungsnachweis ein, woraufhin der Klägerin im August 2004
weitere Mittel ausgezahlt wurden.
Mit einem zweiten Zwischenverwendungsnachweis vom
26.7.2005 beantragte die Klägerin einen weiteren Zuschuss und
kreuzte im Vordruck an, dass sich gegenüber den Antragsunterlagen keine Änderungen ergeben hätten. Mit Datum vom gleichen
Tage wurde ein Sachbericht des zuständigen Sachbearbeiters der
Bewilligungsstelle gefertigt, in dem jedoch vermerkt war, dass
die Produktionshalle nunmehr doch nicht erweitert werden solle,
sondern in den vorhandenen Hallen eine Leistungserweiterung
erfolgen wird. Bei einer Vor-Ort-Kontrolle am 2. und 3.8.2005
wurde durch die Prüfer festgestellt, dass die Produktionshalle
tatsächlich nicht erweitert wurde, sondern eine Leistungssteigerung in den vorhandenen Produktionshallen durchgeführt wurde.
Auch bei einer ergänzenden Verwaltungskontrolle am 8.8.2005
wurde die Frage zu Abweichungen oder Änderungen des Projekts nicht beantwortet. Es würde keine Beanstandungen geben.
Am gleichen Tage wurde ein weiterer Förderbetrag bewilligt.
Im Zuwendungsbescheid wurde vermerkt, dass die Auszahlung des Betrags zweckgebunden sei und nur für die im Antrag
bezeichnete Maßnahme – aufgrund des Antrags vom 12.3.2002
und des Zuwendungsbescheids vom 28.1.2003 – verwendet
werden dürfe. Von angezeigten Änderungen war in diesem Zuwendungsbescheid keine Rede.
Der Bewilligungszeitraum wurde schließlich verlängert. Es
wurde eine weitere Zuwendung von der Klägerin beantragt. In
diesem Antrag bejahte die Klägerin abermals durch Ankreuzen
im Formular, dass gegenüber den ursprünglichen Antragsunterlagen keine Änderungen eingetreten seien und die im Verwendungsnachweis gemachten Angaben mit dem Zuwendungsbescheid übereinstimmen würden. Nicht angekreuzt wurde jedoch,
dass gegenüber den Antragsunterlagen folgende Änderungen
eingetreten sind, die der Bewilligungsstelle mitgeteilt wurden.
Im Rahmen der Verwaltungskontrolle vom 22.6.2006 wurde
vom Sachbearbeiter bejaht, dass Abweichungen der Maßnahme
angezeigt worden seien, die sich in der Vor-Ort-Kontrolle am 14.
und 15.8.2006 wieder einmal dadurch bestätigt, dass die Produktionshalle nicht erweitert, sondern die vorhandenen Hallen in
ihrer Leistung gesteigert wurden. Am 17.8.2006 wurde ein weiterer Zuschuss bewilligt, der sich abermals auf den Antrag vom
12.3.2002 sowie den Zuwendungsbescheid vom 28.1.2003 bezog.
Der interne Revisionsdienst nahm sich der Angelegenheit
im März 2007 an und bemängelte, dass die Klägerin ihr Projekt selbstständig geändert habe, ohne auf Abweichungen
vom Ursprungsantrag hinzuweisen. Die Sachbearbeiter der
bewilligenden Behörde verwiesen diesbezüglich jedoch auf
AgrB 6-2015
Urteil
45
die fernmündlichen Absprachen. Der Sachbearbeiter, der vornehmlich mit der Angelegenheit betraut war, legte schließlich
am 4.12.2007 ein vermeintlich vom 11.1.2005 stammendes
Schreiben vor, nachdem die Klägerin die Änderung des Projekts fernmündlich mit ihm abgesprochen und am 10.1.2005
telefonisch mitgeteilt habe.
Bei einer weiteren Prüfung stellte sich jedoch heraus, dass
das Schreiben des vornehmlich mit dem Fall betrauten Sachbearbeiters erst am 29.11.2007 erstellt und am 4.12.2007 gedruckt worden war. Es war jedoch der Eingangsstempel der
Klägerin mit Datum vom 14.1.2005 auf dem Schreiben aufgebracht. Zudem war die erst seit Ende Juni 2005 geltende neue
Adresse angegeben.
Nach erfolgter Anhörung wurden die Bescheide sowie Änderungsbescheide aufgehoben und die Klägerin zur Rückzahlung
des ausgezahlten Betrags in Höhe von insgesamt 104.053,18 €
zzgl. Zinsen aufgefordert. Ebenso wurde die Klägerin für das
Folgejahr von der Beihilfegewährung ausgeschlossen.
Gegen diesen Aufhebungsbescheid wandte sich die Klägerin mit Klage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg und trug
vor, dass sie sämtliche Änderungen – wenn auch zum Teil fernmündlich – den zuständigen Sachbearbeitern unverzüglich
mitgeteilt bzw. mit diesen abgesprochen hätte. Wie der Eingangsstempel ihrer Firma mit Datum vom 14.1.2005 auf das
erst im Dezember 2007 erstellte Schreiben des Sachbearbeiters
gekommen sei, sei ihr nicht erklärlich.
Die beklagte Behörde beantragte die Klage abzuweisen, da
formelle Fördervoraussetzungen verletzt worden seien, da mit
falschen Daten eine absichtliche Falschangabe gemacht worden
sei, indem ein vermeintliches Schreiben vom 11.1.2005 eingereicht worden wäre. Des Weiteren hätte die Klägerin die Bewilligungsstelle nicht rechtzeitig über Änderungen informiert.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg gab mit Urteil vom
18.10.2012 der Klage teilweise statt und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung eines Teilbetrags. Durch die Einreichung
des Schreibens vom 11.1.2005 sei eine absichtliche Falschangabe nicht erfolgt, da dieses Schreiben nicht für die Bewilligung
entscheidungserheblich war. Der vollständige Ausschluss von
Fördermaßnahmen könne nicht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 817/2004 gestützt werden.
Mit Beschluss vom 25.3.2013 wurde die Berufung zugelassen. Die Bewilligungsbehörde berief sich weiterhin darauf, dass
die Schriftform zur Anzeige von Änderungen der förderfähigen
Projekte erforderlich sei.
Das Urteil
Das OVG Lüneburg entschied schließlich mit Urteil vom
21.4.2015, dass sämtliche gezahlten Förderungen vollumfänglich zurückzubezahlen seien und die Bewilligung sowie die
Auszahlungsbescheide zwingend aufzuheben sind.
Die Klägerin hätte durch ihre von den Absprachen mit den zuständigen Sachbearbeitern der Bewilligungsbehörde schriftlich
abgegebenen Erklärungen absichtliche Falschangaben gemacht.
Aufgrund der Abweichungen des tatsächlichen Projektumfangs
von dem im Ursprungsantrag angegebenen Projekt sei der Zweck
verfehlt worden. Zweck sei ausschließlich der Neubau einer Pro-
46
Urteil
Privilegiertes Bauvorhaben beim landwirtschaftlichen Nebenerwerb
duktionsanlage zur Herstellung von Veredelungsprodukten aus
Kartoffeln nebst einer Tiefkühl-Lagereinrichtung gewesen. Der
so verstandene Zweck ist durch die lediglich fernmündlichen
Absprachen mit den Sachbearbeitern der Bewilligungsbehörde
nicht nachträglich wirksam geändert worden. Auch die schriftlichen Sachstandsberichte der Sachbearbeiter stellen keine formwirksame Änderung des Ursprungsantrags dar.
Die Klägerin hätte spätestens im Frühjahr 2005 nach ihren
eigenen Angaben im Ortstermin den Entschluss zum Neubau
einer Produktionshalle aufgegeben bzw. zumindest auf einen
späteren ungewissen Zeitpunkt nach dem Auslaufen des Förderungszeitraums verschoben. Diese Vorhabensänderung ist
nicht mehr als bloßes Minus anzusehen, sondern vielmehr als
aliud. Eine schriftliche Information gegenüber der zuständigen Behörde, dass der Beihilfeantrag fehlerhaft geworden ist,
gab es nicht, sodass Kürzungen und Ausschlüsse gem. Art. 71
Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 817/2004 i. V. mit Art. 44 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 zwingend seien. Die Klägerin hätte
sogar vorsätzlich falsche förderrelevante Angaben gemacht, indem sie die Übereinstimmung des Projekts mit den Plänen im
Ursprungsantrag durch Ankreuzen bestätigt hatte.
Mildere Mittel als die zwingende Rückforderung der gezahlten
Förderbeträge seien nicht gegeben. Das europäische Recht hat
hier Vorrang. Für sämtliche in Rede stehenden Beihilfen gilt, dass
im Falle von zu Unrecht gezahlten Beträgen der betreffende Einzelbegünstigte einer Maßnahme zur Entwicklung des ländlichen
Raums verpflichtet ist, diese Beträge gemäß den Bestimmungen
von Art. 49 der Verordnung (EG) Nr. 241/2001 zurückzuzahlen
hat. Ausnahmetatbestände sind nicht gegeben. Daran ändern
auch die rechtswidrigen mündlichen Auskünfte einzelner Mitarbeiter der zuständigen nationalen Behörde gegen die erkennbar
anderslautenden Verpflichtungen des Zuwendungsempfängers
nichts und begründen auch nicht die Annahme eines schuldlosen Verhaltens des Zuwendungsempfängers, insbesondere wenn
dieser trotz schriftlicher Nachfrage in den Formularen für den
Auszahlungsantrag hierauf nicht verwiesen hatte. Der Fehler lag
vollumfänglich im Verantwortungsbereich der Klägerin.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwältin Meike Anna Leibold.
Sie ist seit Juli 2011 in der Kanzlei Burkart
Völlinger & Partner in Karlsruhe insbesondere im agrarrechtlichen Bereich tätig. Zu
Beginn des Jahres 2015 wurde ihr als erster
Rechtsanwältin im OLG-Bezirk Karlsruhe der
Fachanwaltstitel für Agrarrecht verliehen.
Zusammenfassend ist der Entscheidung des OVG Lüneburg vom 21.4.2015 anzumerken, dass man sich in der
Praxis keinesfalls auf mündliche Absprachen oder Auskünfte von Sachbearbeitern der Behörden verlassen
sollte. Vielmehr sollte eindringlich der schriftlich vorgegebene Antragsvordruck studiert und der tatsächliche
Sachverhalt schriftlich korrekt wiedergegeben werden.
Agrar-Recht
Auch das Vorliegen einer schriftlichen Bestätigung
vonseiten der Behörde, dass die mündlichen Absprachen
entgegen der schriftlichen Erklärungen in den Anträgen
den Vorrang haben würden, hätte wohl nicht dazu geführt, dass die gewährten Beihilfen nicht zurückzubezahlen gewesen wären.
Im Zweifel gilt folglich immer das geschriebene Gesetz
sowie das eigenhändig schriftlich Erklärte, auch wenn lediglich ein formularmäßiger Antrag ausgefüllt wurde.
Privilegiertes Bauvorhaben beim
landwirtschaftlichen Nebenerwerb
Auch ein Bauvorhaben, das einem erst im Aufbau befindlichen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb dient, kann
als privilegiertes Vorhaben im Außenbereich zulässig sein.
VG Trier, Urteil vom 10.6.2015 – 5 K 2149/14.TR
Der Sachverhalt
Der Kläger begehrte mit einer Bauvoranfrage die bauplanungsrechtliche Zulassung einer Mehrzweckhalle zur Unterstellung von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten. Bei
dem Kläger handelt es sich um einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der diese Tätigkeit als Vollzeitbeschäftigung ausübt.
Gleichzeitig übt er eine rein bauliche Tätigkeit aus. Er trug vor,
dass er durch ökologische Bewirtschaftung und insbesondere den Einsatz von CO2-neutral hergestelltem Kultursubstrat
sogenannten Null-Emissions-Wein herstellen wolle. Seinen
weinbaulichen Nebenerwerbsbetrieb hatte er erst kurz vor Antragsstellung gegründet und verfügte zum Antragszeitpunkt
über eigene Weinbergsflächen in der Größe von 0,1 ha und
hinzugepachtete Flächen von 0,3 ha. Diese waren langfristig
(ca. 15 Jahre) gepachtet. Der Standort der Mehrzweckhalle, wo
später auch das Keltern und Abfüllen von Wein stattfinden soll,
befindet sich am Rande der Ortslage und liegt im gedachten
Zentrum seiner umliegenden Betriebsflächen. Der Kläger hatte
bereits geringe Gewinne im Rahmen seiner Nebenerwerbsbewirtschaftung erzielt, er erwartete jährlich steigende Gewinne.
Er legte Absatzverträge über erhebliche Mengen von Wein vor.
Der Kläger hatte sich in seiner Familie langjährig mit dem Weinbau befasst. Im Januar 2015 hatte er seine Gesellenprüfung im
Weinbau abgelegt und ist nun staatlich geprüfter Winzer.
Das Urteil
Das Verwaltungsgericht Trier gab dem Kläger Recht. Für dieses stand es bei dem Weinbaubetrieb des Klägers außer Frage,
dass es sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne
von § 201 BauGB handele, auch wenn die Betriebsflächen noch
sehr gering seien. Dem Eingriff in den naturbelassenen Außenbereich müsse ein auf Dauer angelegter Betrieb gegenüberstehen, dem das geplante Vorhaben zu dienen bestimmt sein.
Erforderlich sei eine Organisation, die auf Nachhaltigkeit der
Bewirtschaftung ausgerichtet sei. Weiterhin müsse es sich hier-
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Gemeinden dürfen Pferdesteuer erheben
bei um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer lebensfähiges
Unternehmen handeln. Der Kläger betreibe seinen Weinbaubetrieb nicht nur zu Hobbyzwecken, sondern mit einer Ernsthaftigkeit, die weit über eine Hobbytätigkeit hinausgehe. Dieses
sei auch aus der nunmehr abgelegten Winzerprüfung erkennbar. Auch die zu erwartenden Gewinne, welche derzeit zwar nur
im vierstelligen Bereich seien, zeigten eine deutliche Gewinnerzielung seit Betriebsaufnahme.
Weiterhin diene das Vorhaben auch dem Betrieb. Anders als im
Bereich der Acker- und Weidewirtschaft und der Viehhaltung sei
es in Weinbaubetrieben durchaus üblich, dass die bewirtschafteten Weinbergsflächen sich über mehrere Gemarkungen erstreckten und nicht vorwiegend in einem einheitlich zusammenhängenden Gebiet liegen. Hierbei habe der Kläger den Standort
sinnvoll gesucht und nach Auffassung der Kammer war es vernünftig, das Vorhaben auf diesem Grundstück zu verwirklichen.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwalt/Fachanwalt für
Agrarrecht, Dr. Modest von Bockum,
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Kiel, www.cornelius-krage.de
Das Verwaltungsgericht Trier weist darauf
hin, dass auch für ein im Aufbau befindlicher land- und
forstwirtschaftlicher Betrieb die Privilegierung des § 35
BauGB greift. Es muss sich um ein auf Dauer gedachtes
und auf Dauer lebensfähiges Unternehmen handeln. Es
erfolgt eine Gesamtbetrachtung. Auf die Betriebsgröße
allein kommt es nicht an. Der Betriebsinhaber muss eine
Organisation nachweisen, die auf Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung ausgerichtet ist.
Aus dem vorliegenden Fall lässt sich jedenfalls darstellen, dass auch bei üblichen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben bereits in der Aufbauphase Bauvorhaben
genehmigungsfähig sind. Inwieweit dabei eine Mindestgröße erforderlich ist, wird eine Baubehörde bzw. das
zuständige Gericht jeweils nach dem Einzelfall festlegen
müssen. Dass dieses bei einem Ackerbaubetrieb und/
oder einem Forstbetrieb andere Werte sein werden, ist
nachvollziehbar. Entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Trier ist es allerdings nach hiesiger
Einschätzung auch bei Betrieben der Acker- und Weidewirtschaft und der Viehhaltung sowie von Forstbetrieben
nicht als unüblich anzusehen, dass die bewirtschafteten
Flächen sich über mehrere Gemarkungen erstrecken und
nicht vorwiegend in einem einheitlich zusammenhängenden Gebiet liegen. Dieses muss auch bei dem Standort
eines möglichen Bauvorhabens berücksichtigt werden.
Bei der Beantragung von privilegierten Bauvorhaben
bleibt der konkrete Einzelfall maßgeblich. Im Rahmen
der Gesamtbetrachtung aller Umstände sind die entsprechenden Nachweise, insbesondere zur Nachhaltigkeit der
Bewirtschaftung, darzulegen.
AgrB 6-2015
Urteil
47
Gemeinden dürfen Pferdesteuer erheben
Gemeinden sind grundsätzlich berechtigt, auf das Halten und
das entgeltliche Benutzen von Pferden für den persönlichen
Lebensbedarf eine örtliche Aufwandsteuer (Pferdesteuer) zu
erheben.
BVerwG, Beschluss vom 18.8.2015 – 9 BN 2.15
Der Sachverhalt
Der Hessische VGH hatte die Pferdesteuersatzung der beklagten Stadt Bad Sooden-Allendorf im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens überprüft und für rechtmäßig gehalten (vgl.
Beschluss vom 8.12.2014 – 5 C 2008/13.N, ZKF 2015, S. 41). Die
Revision zum BVerwG hatte er nicht zugelassen. Die hiergegen
gerichteten Nichtzulassungsbeschwerden der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V. (FN) und mehrerer Einzelkläger hat
das BVerwG nun zurückgewiesen.
Das Urteil
Nach Auffassung des BVerwG bedarf es zur Beantwortung
der Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Pferdesteuer nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, da
schon nach den bisher entwickelten Maßstäben eine örtliche
Aufwandsteuer auf das Halten und entgeltliche Benutzen von
Pferden erhoben werden darf, soweit es sich um eine Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf handelt. Das Halten bzw. die entgeltliche Benutzung eines Pferds
geht – vergleichbar der Hundehaltung oder dem Innehaben
einer Zweitwohnung – über die Befriedigung des allgemeinen
Lebensbedarfs hinaus und erfordert einen zusätzlichen Vermögensaufwand. Im Hinblick darauf, dass nur die Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf besteuert
werden darf, beschränkt die Satzung der Stadt Bad SoodenAllendorf die Steuer auf das Halten und Benutzen von Pferden
„zur Freizeitgestaltung“ und nimmt Pferde, die nachweislich
zum Haupterwerb im Rahmen der Berufsausübung eingesetzt
werden, aus.
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48
Urteil
Erbteilsübertragung als Umgehung der Genehmigungspflicht nach dem Grundstückverkehrsgesetz
Entscheidungsanmerkungen
von Ministerialrat Bernhard Riegler,
Bundesministerium für Landwirtschaft und
Ernährung, Bonn
Mit seinem Beschluss bestätigte das BVerwG den Beschluss des Hessischen VGH.
Mit der Entscheidung des BVerwG hat das Urteil des
Hessischen VGH Bestand. Damit ist den Gemeinden der
Weg zur Einführung einer Pferdesteuer endgültig geebnet. Zum Beschluss des Hessischen VGH aus Sicht der
Land- und Forstwirtschaft siehe Urteilsanmerkung Riegler, AgrB 2/2015, S. 47. Es muss damit gerechnet werden,
dass nunmehr weitere Gemeinden dem Beispiel der Stadt
Bad Sooden-Allendorf folgen und zur Konsolidierung ihres Haushalts eine Pferdesteuer einführen. Die rechtlichen
Möglichkeiten sind damit ausgeschöpft. Eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG wird wenig Aussicht auf Erfolg
haben. Das BVerwG wie auch der Hessische VGH hatten
aber lediglich über die rechtliche Zulässigkeit der Erhebung einer Pferdesteuer zu befinden und sind zu einem
nachvollziehbaren Ergebnis gekommen. Volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche und gesellschaftspolitische
Auswirkungen einer Pferdesteuer, wie sie insbesondere
von den Verbänden vorgetragen wurden, mussten die
Gerichte bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigen.
Diese Aspekte müssen aber die Gemeinden, die eine Pferdesteuer einführen wollen, bedenken. Hierauf müssen
künftig die Schwerpunkte der Argumentation gegen die
Einführung einer Pferdesteuer gelegt werden.
Erbteilsübertragung als Umgehung
der Genehmigungspflicht nach dem
Grundstückverkehrsgesetz
Leitsatz des Autors: Eine Erbteilsveräußerung kann, auch wenn
die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 GrdstVG nicht vorliegen, dann genehmigungsbedürftig sein, wenn diese Vertragsform allein deshalb gewählt wird, um die Genehmigungspflicht
einer von den Vertragsparteien bezweckten Veräußerung
landwirtschaftlich genutzter Grundstücke zu umgehen. An
die Feststellung eines solchen Umgehungsgeschäfts sind
hohe Anforderungen zu stellen (im Anschluss an BGH, Senat
für Landwirtschaftsflächen, Beschluss vom 23.11.2012 – BLw
13/11).
OLG Jena, Beschluss vom 24.2.2015 – 3 W 591/14
Der Sachverhalt
Drei Erben veräußerten ihren Erbanteil nach dem Erblasser an
einen Erwerber und übertrugen ihn mit sofortiger dinglicher
Wirkung. Sie bewilligten die Eintragung der Erbteilsübertragung im Wege der Berichtigung im Grundbuch. Zum Nachlass
gehört eine Vielzahl in der Urkunde im Einzelnen bezeichneter
Agrar-Recht
landwirtschaftlicher Grundstücke, die teilweise größer, teilweise kleiner als 0,25 ha sind. Auf ein als Amtshilfeersuchen
bezeichnetes Schreiben des Landwirtschaftsamts, wonach der
Verdacht der Umgehung der Genehmigungspflicht nach dem
Grundstückverkehrsgesetz bestünde, da der Erwerber an einer
Vielzahl von Erbteilsübertragungen beteiligt sei, forderte das
Grundbuchamt mit Zwischenverfügung die Vorlage der Genehmigung nach § 2 GrdstVG bzw. ein entsprechendes Negativattest und drohte für den Fall der Nichtvorlage die Zurückweisung des Antrags an. Der Urkundsnotar legte hiergegen
Beschwerde ein, da die Übertragung von Erbanteilen nur genehmigungsbedürftig sei, wenn der Nachlass im Wesentlichen
aus einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb bestehe,
was nicht der Fall sei.
Die Entscheidung
Das OLG gab der Beschwerde Recht und wies das Grundbuchamt an, die beantragte Grundbuchberichtigung vorzunehmen.
Die Berichtigung des Grundbuchs erfordert lediglich die
schlüssige Darlegung, dass das Grundbuch derzeit falsch ist
und durch die beantragte Berichtigung richtig wird. Schlüssig
dargelegt in diesem Sinne ist ein Berichtigungsantrag, wenn
das tatsächliche Vorbringen, die Richtigkeit unterstellt, den
Antrag rechtfertigt. Dies ist durch die Vorlage der Urkunde
über die Erbteilsübertragung erfolgt. Bei ihr vollzieht sich
der Rechtsübergang außerhalb des Grundbuchs. Es handelt
sich dabei um die Übertragung des Anteils eines Miterben
am gesamten Nachlass und nicht an den in ihm befindlichen
Einzelgegenständen. Das Grundbuchamt darf die beantragte
Berichtigung nur ablehnen, wenn es auf Tatsachen gegründete sichere Kenntnis bzw. zumindest durch konkrete Tatsachen oder Tatsachenbehauptungen begründete Zweifel hat,
dass das Grundbuch entweder nicht unrichtig ist oder durch
die beantragte Berichtigung nicht richtig wird. Bloße Zweifel
und Vermutungen genügen dagegen nicht.
Erbteilsveräußerungen sind nur dann nach § 2 Abs. 2 Nr. 2
GrdstVG bzw. § 3 Abs. 2 Nr. 2 ASVG genehmigungsbedürftig,
wenn sie an einen anderen als einen Miterben erfolgen und
der Nachlass im Wesentlichen aus einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb besteht. Allein aus der Zahl oder aus
der Größe der zum Nachlass gehörenden Grundstücke lässt
sich für die Voraussetzung der Genehmigungsbedürftigkeit
noch nicht einmal eine Vermutung ableiten. Allerdings kann,
auch wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 GrdstVG
nicht vorliegen, die Erbteilsveräußerung genehmigungsbedürftig sein, wenn diese Vertragsform allein deshalb gewählt
wird, um die Genehmigungspflicht einer von den Vertragsparteien bezweckten Veräußerung landwirtschaftlich genutzter Grundstücke zu umgehen. Im Hinblick darauf, dass der
Gesetzgeber die Erbteilsveräußerung nur unter bestimmten
Voraussetzungen für genehmigungsbedürftig erklärt hat,
sind an die Feststellung eines Umgehungsgeschäfts hohe
Anforderungen zu stellen. Der Umstand, dass sich land- oder
forstwirtschaftliche Grundstücke im Nachlass befinden, reicht
hierfür nicht aus.
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Enteignung zugunsten der Errichtung eines Windparks
Entscheidungsanmerkungen
von Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz, Notar in
Regen und Zwiesel und Honorarprofessor
an der Universität Regensburg
Die Entscheidung des OLG Jena knüpft an
die Rechtsprechung des BGH (Beschluss
vom 23.11.2012 – BLw 13/11) an, wonach über die „Hintertür“ des Umgehungsgeschäfts nicht eine Genehmigungspflicht für von der Genehmigung freigestellte
Erbteilsübertragungen eingeführt werden darf. Das Gesetz sieht sie nur bei einer Veräußerung an einen Nichtmiterben vor, wenn der Nachlass im Wesentlichen aus
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb besteht
(§ 3 Abs. 2 Nr. 2 ASVG: landwirtschaftlicher Betrieb). Ein
im Nachlass befindlicher land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb erfordert regelmäßig eine noch betriebene Landwirtschaft mit einem selbstständigen Hof, der
zudem dem Betreiber eine Lebensgrundlage bietet.
Deshalb scheiden Betriebe aus, die die Landwirtschaft
als Hobby oder als nicht leistungsfähige Nebenerwerbslandwirtschaft betreiben.
Im BGH-Fall waren an einen auch als Forstwirt tätigen
Notar landwirtschaftlich genutzte Flächen einer Erbengemeinschaft veräußert worden. Später wurde dieses
Rechtsgeschäft aufgehoben und im gleichen Vertrag eine
Erbteilsübertragung vorgenommen. Dieser Vertrag war
inhaltlich wie der ursprüngliche Grundstückskauf gestaltet, insbesondere die Haftung für Verbindlichkeiten des
Nachlasses schuldrechtlich abbedungen worden. Auch
der Kaufpreis blieb unverändert. Von einem Umgehungsgeschäft kann auch ausgegangen werden, wenn Grundstücke zunächst geteilt werden, um die landesrechtlichen
Mindestgrößen nicht zu erreichen, oder wenn statt einer
Veräußerung ein langfristiger Pachtvertrag einer Einmalzahlung in Höhe des Kaufpreises vereinbart wird.
Enteignung zugunsten der Errichtung eines
Windparks
BGH, Urteil vom 12.3.2015 – III ZR 36/14
Leitsätze
1.Eine Enteignung ist nur für ein Vorhaben zulässig, für
das die notwendigen Gestattungen und Genehmigungen
vorliegen oder bei dem es zumindest keinem ernsthaften
Zweifel unterliegen kann, dass etwaige erforderliche Genehmigungen erteilt werden. Ist eine erforderliche Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz für den
Betrieb einer Windkraftanlage erteilt, aber angefochten
worden, so kann einem Antrag für eine Enteignung nach
§ 45 I Nr. 2 EnWG, auch wenn die Genehmigung für sofort
vollziehbar erklärt worden ist, nur stattgegeben werden,
wenn die Enteignungsbehörde in eigenverantwortlicher
AgrB 6-2015
Urteil
49
Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen.
2. Die Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung durch die
nach § 45 II 3 EnWG zuständige Behörde unterliegt der
(beschränkten) gerichtlichen Kontrolle.
3. Zu den Anforderungen an die Feststellung der Zulässigkeit
einer Enteignung nach § 45 I Nr. 2 EnWG.
Der Sachverhalt
Ein Windparkprojektierer/Vorhabenträger plante auf Grundstücken einer Gemeinde einen Windpark, der inzwischen auch
errichtet wurde. Der Windpark lag in einem im regionalen
Raumordnungsplan Mittelthüringen (Stand 1999) ausgewiesenen Vorbehaltsgebiet zur Nutzung der Windenergie. Das Thüringer Landesverwaltungsamt genehmigte im Mai 2006 den
Windpark immissionsschutzrechtlich und ordnete im November 2006 die sofortige Vollziehung der Genehmigung an. Die
Gemeinde hat Klage gegen die Genehmigung beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht und die Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage beantragt.
Dieses Verfahren ist von dem zuständigen Verwaltungsgericht
bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Enteignungsverfahrens ausgesetzt worden.
Für die Realisierung des Windparks war es erforderlich, sowohl Zuwegungen zu den einzelnen Windenergieanlagen als
auch Kabeltrassen anzulegen bzw. zu errichten. Die Zuwegungen
und Kabeltrassen führten über einige Grundstücke, die im Eigentum der Gemeinde standen. Diese weigerte sich, die Nutzung –
unabhängig von einer angebotenen Vergütung – zu gestatten.
Daraufhin betrieb der Vorhabenträger ein Enteignungsverfahren gemäß § 45 Energiewirtschaftsgesetz in Form von Dienstbarkeiten zu ihren Gunsten. Die zuständige Energieaufsichtsbehörde erklärte die Zulässigkeit der Enteignung, setzte eine
Entschädigung fest und nahm die vorzeitige Besitzeinweisung
des Vorhabenträgers vor. Hiergegen wandte sich die Gemeinde.
Das Landgericht hatte den Antrag der Gemeinde zurückgewiesen. Auf die Berufung der Gemeinde hatte das Oberlandesgericht Jena den Enteignungsbeschluss über die Bestellung
einer beschränkt persönlichen Wege-Dienstbarkeit aufgehoben
und den festgesetzten Entschädigungsbetrag deutlich reduziert.
Im Übrigen, insbesondere mit Blick auf die beschränkt persönliche Kabel-Dienstbarkeit, hatte es die Berufung zurückgewiesen.
Das Urteil
Der Bundesgerichtshof stellte nunmehr fest, dass die Bestellung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zur Errichtung und dauerhaften Nutzung der unterirdischen Kabeltrasse
nicht bestehe. Er begründet dieses damit, dass die Voraussetzungen für eine Enteignung nicht vorlägen. Für den maßgeblichen Zeitpunkt lasse sich nicht feststellen, dass die Enteignung
dem Wohl der Allgemeinheit diene. Dieses sei nur dann der Fall
und eine Enteignung damit gesetzmäßig, wenn das Vorhaben
mit dem geltenden Recht vereinbar sei. Dieses bedinge allerdings, dass die notwendigen Gestattungen und Genehmigungen für das Vorhaben vorliegen müssten oder es zumindest
keinen ernsthaften Zweifel unterliegen könne, dass etwaige er-
50
Urteil
Beanstandung von Landpachtverträgen nach dem Landpachtverkehrsgesetz
forderliche Genehmigungen erteilt werden. Die Genehmigung
sei vorliegend erteilt worden, sie habe aber bisher noch keine
Bestandskraft erlangt, weil das hierauf bezogene verwaltungsgerichtliche Verfahren ausgesetzt sei.
Es sei zwar keine unabdingbare Voraussetzung für eine Enteignung, dass ein entsprechendes verwaltungsgerichtliches
Verfahren beendet sei. Mit Blick auf die besonderen Voraussetzungen des Artikels 14 Grundgesetz (der jedenfalls bedingt
auch für eine Gemeinde gelte) müsse die Enteignungsbehörde
in eigenverantwortlicher Prüfung zu dem Ergebnis kommen,
dass dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Wenn, wie vorliegend, eine notwendige
Genehmigung angefochten, aber für sofort vollziehbar erklärt worden sei, müsse eine abschließende Prüfung der Enteignungsbehörde erfolgen. Diese Voraussetzungen seien im
vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Enteignung sei zwar
grundsätzlich zulässig, jedoch Ultima Ratio. Sie sei dann nicht
zulässig, wenn der Zweck auch anders erreicht werden könne.
Die Enteignungsbehörde hätte das „Gesamtvorhaben“ in den
Blick nehmen müssen. Vorhandene Versorgungslücken oder
positive Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit hätten
dabei genauso berücksichtigt werden müssen, wie mögliche
technische Alternativen für die Bedarfsdeckung. Die bloße Darlegung, dass ein Großteil des in Thüringen verbrauchten Stroms
nicht im Land selbst gewonnen werde, rechtfertige nicht ohne
Weiteres den Schluss auf das Bestehen einer Versorgungslücke.
Strom könne ggf. genauso sicher und zuverlässig aus anderen,
außerhalb Thüringens stammenden Quellen bezogen werden.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwalt / Fachanwalt für
Agrarrecht, Dr. Modest von Bockum,
Cornelius + Krage Rechtsanwälte + Notare,
Kiel, www.cornelius-krage.de
Die Regelung des § 45 EnWG ist in der
Praxis als Ultima Ratio nicht zu unterschätzen; sollte eine
Gestattung im Zusammenhang mit Projekten der erneuerbaren Energien nicht eingeholt werden können, ist regelmäßig an ein Enteignungsverfahren zu denken.
Der Bundesgerichtshof hat den Umfang der Enteignungsrechte gemäß § 45 EnWG klargestellt. Gleichzeitig
hat er für die Begründung eines Enteignungsfalls die Voraussetzungen konkretisiert und für die Praxis schwerer
gemacht.
Zunächst hat der BGH festgestellt, dass auch Zuwegungen und/oder die Windenergieanlagen selbst vom Anwendungsbereich des Enteignungsrechts umfasst sind. Der
Wortlaut sei weit gefasst und schließe ohne Weiteres die
Windenergieanlagen ein. Eine Unterscheidung zwischen
der Kabeltrasse und der Zuwegung bzw. den Windenergieanlagen muss daher nicht erfolgen.
Bei den Voraussetzungen für eine Enteignung sind vom
BGH hohe Anforderungen in das Urteil aufgenommen wor-
Agrar-Recht
den. Es muss nunmehr eine weitgehende Alternativprüfung
erfolgen, bevor eine Enteignung in Betracht kommt. Auch
wenn dieses mit Blick auf den Eigentumsschutz nachvollziehbar ist, bleibt im Ergebnis zu hoffen, dass sich im Rahmen des Ermessens und der entsprechenden Prüfungsmöglichkeiten der Energieaufsichtsbehörden eine praktikable
Umsetzung dieser Voraussetzungen herausstellt.
Sicher wird die Enteignung auch weiterhin nur in Ausnahmefällen erfolgen; sie bleibt aber möglich und bezieht sich nicht nur auf die Kabeltrasse, sondern ist viel
weiter zu verstehen.
Beanstandung von Landpachtverträgen nach
dem Landpachtverkehrsgesetz
Bei dem vorliegenden Beschluss handelt es sich um einen der
wenigen Fälle zu Beanstandungen nach dem bisher nicht viel
beachteten Landpachtverkehrsgesetz (LPachtVG).
AG Cottbus, Beschluss vom 9.7.2015 – 34 Lw 21/14
Der Sachverhalt (Auszug)
Ein Landwirtschaftsbetrieb bewirtschaftet ca. 2.300 ha und hat
1.100 Tiere inklusive 500 Milchkühe. Zudem betreibt er eine
25 kWw Biogasanlage. Der Landwirtschaftsbetrieb schloss als
Pächter mit einem Grundstückseigentümer zwei zeitlich gestaffelte Landpachtverträge über insgesamt 15,0761 ha. Der erste
Vertrag galt für den Zeitraum vom 1.10.2014 bis zum 30.9.2019
und sah einen jährlichen Pachtzins von 3.316,74 € vor, was einem Nettopachtzins von 220,00€/ha/Jahr entsprach. In dem
zweiten Vertrag vereinbarten die Pachtvertragsparteien eine
Laufzeit vom 1.10.2019 bis zum 30.9.2027. Der Pachtzins betrug jährlich 3.618,26 €, mithin 240,00 €/ha/Jahr.
Der Landwirtschaftsbetrieb reichte die Pachtverträge entsprechend den Bestimmungen des LPachtVG mit der Bitte um
Registrierung bei der zuständigen Behörde ein. Die Behörde
beanstandete die beiden Landpachtverträge und forderte den
Landwirtschaftsbetrieb auf, den Pachtpreis binnen eines Monats so zu ändern, dass er den ortsüblichen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten entspricht. Für die Ermittlung
der durchschnittlichen ortsüblichen Pachtpreise griff sie auf
eine Gesamtauswertung aller aktuellen Pachtverträge zurück.
Die Behörde hat sodann ausgehend von den zurückliegenden
Jahresabschlüssen des Landwirtschaftsbetriebs und der damit
berücksichtigten Ertragslage einen Reinertrag von 164,19 €/ha
ermittelt. Sie begründete die Beanstandung des Pachtvertrags
damit, dass der vereinbarte Pachtpreis doppelt so hoch sei wie
der bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung zu erzielende Ertragsanteil. Damit sei der Pachtpreis objektiv erhöht und stehe
nicht in angemessenem Verhältnis zu dem Ertrag, der bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung nachhaltig zu erzielen sei.
Der Landwirtschaftsbetrieb beantragte gegen den Beanstandungsbescheid der Behörde vor dem Amtsgericht Cottbus/Landwirtschaftsgericht die gerichtliche Entscheidung.
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
Tücken bei der Hoferbfolge
Der Beschluss
Das Amtsgericht Cottbus hat dem Antrag des Landwirtschaftsbetriebs entsprochen und festgestellt, dass die angezeigten
Landpachtverträge nicht zu beanstanden sind. Es hat den Beanstandungsbescheid aufgehoben.
Das Amtsgericht Cottbus wies darauf hin, dass die zuständige Behörde einen Landpachtvertrag nach § 4 Abs. 1 Nr. 3
LPachtVG beanstanden kann, wenn die Pacht nicht in einem
angemessenen Verhältnis zu dem Ertrag steht, der bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung nachhaltig zu erzielen sei. Die
Beanstandung müsse grundsätzlich im Zusammenhang mit
dem Schutz der Agrarstruktur stehen und durch sie gerechtfertigt sein. Der Schutz der Agrarstruktur stelle dabei vorrangig
auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe und nicht auf die einzelnen Grundstücke ab. Maßgeblich sei damit, ob die Pacht der
Flächen für den gesamten Betrieb des Pächters einen betriebswirtschaftlichen Nutzen bringe. Aus der Gesamtwürdigung aller betriebswirtschaftlichen Umstände müsse ermittelt werden,
ob der vereinbarte Pachtzins untragbar hoch sei oder nicht.
Das Amtsgericht Cottbus beanstandete in seinem Beschluss,
dass sich die zuständige Behörde lediglich auf den Vergleich
des ortsüblichen Pachtpreise und der aus den Pachtverträgen
errechneten Nettopachtpreisen beschränkt habe. Die Behörde
habe aber nicht dargelegt, dass die Anpachtung der Flächen für
den Landwirtschaftsbetrieb keinen besonderen betriebswirtschaftlichen Nutzen bringe, d. h. sich aus einer Gesamtschau
aller betriebswirtschaftlichen Faktoren ergebe, dass der Pachtzins untragbar hoch sei. Das Amtsgericht Cottbus wies darauf
hin, dass bei der Prüfung eines angemessenen Pachtzinses alle
Umstände des Einzelfalles Berücksichtigung finden müssen,
beispielsweise die Erlangung steuerlicher Vorteile für den Betrieb durch die Zupacht, die bessere Ausnutzung vorhandener
Maschinenkapazitäten oder die Vorhaltung von zugepachtetem
Land zur Aufbringung der im Betrieb anfallenden Gülle etc. Bei
der Gesamtabwägung sei auch die Pachtlaufzeit zu berücksichtigen. Da die Behörde die vorgenannten Kriterien nicht berücksichtigt habe, sei der Beanstandungsbescheid aufzuheben.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwältin, Fachanwältin für
Agrarrecht Constanze Nehls, BTR Rechtsanwälte Berlin, www.btr-rechtsanwaelte.de
Bei dem vorliegenden Beschluss handelt
es sich um einen der wenigen Fälle zu
Beanstandungen nach dem bisher nicht viel beachteten
LPachtVG. In der Praxis sind häufiger Fälle der versagten
Grundstücksverkehrsgenehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz anzutreffen. Im Hinblick auf steigende Pachtpreise ist jedoch davon auszugehen, dass
die Pachtvertragsbeanstandungen in Zukunft zunehmen werden. Die zuständigen Behörden haben durch
die Pachtvertragsbeanstandung die Möglichkeit, in den
Pachtmarkt preisregulierend einzugreifen. Aus diesem
AgrB 6-2015
Urteil
51
Grund verdient die Entscheidung des Amtsgerichts Cottbus Aufmerksamkeit, da sie für alle Beteiligten die Prüfkriterien klar definiert.
Tücken bei der Hoferbfolge
Leitsätze
Ein Hofprätendent ist nicht wirtschaftsfähig, wenn er den
Hof zwar Jahre lang bewirtschaftet hat, sich dabei jedoch
eklatante Defizite sowohl im landwirtschaftlich-technischen
Bereich als auch im kalkulatorisch-organisatorischen Bereich
ergeben haben, die dazu führten, dass die Verschuldung des
Hofs immer weiter angewachsen ist.
Die für eine formlose Hoferbenbestimmung gemäß § 6
Abs. 1 Nr. 1 Höfeordnung (HöfeO) vorausgesetzte dauerhafte Übertragung der Bewirtschaftung muss durch den testierfähigen Hofeigentümer höchstpersönlich erfolgen. Der
Abschluss eines Pachtvertrags mit dem Betreuer des Hofeigentümers reicht dafür nicht aus.
OLG Hamm, Beschluss des 10. Zivilsenats – Senat für Landwirtschaftssachen – vom 24.8.2015 – 10 W 5/15
Der Sachverhalt
Die am Verfahren beteiligten Geschwister streiten über die Hoferbfolge eines im Delbrücker Land gelegenen Hofs im Sinne
der HöfeO. Dieser stand zunächst im Eigentum des 1989 vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin. Nach dem Tod des Vaters
ging der Hof dann in das Alleineigentum der Mutter über, die
ihrerseits im Jahre 2014 im Alter von 90 Jahren verstarb.
Schon 1965 hatten die Eltern der Beteiligten in einem Eheund Erbvertrag Gütergemeinschaft vereinbart, sodass der Hof
damals ein Ehegattenhof im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 HöfeO
wurde. Weiter setzten sich die Eheleute gegenseitig zu Hoferben ein, wobei die Ehefrau im Falle des Vorversterbens ihres
Mannes aber nur Hofvorerbin werden sollte, jedoch den Nacherben aus dem Kreis ihrer gemeinschaftlichen Abkömmlinge
auswählen durfte. Dementsprechend wurde nach dem Tod des
Ehemannes der Erblasserin vom Landwirtschaftsgericht – unter Verkennung des inzwischen in Kraft getretenen § 8 Abs. 1
HöfeO n.F. – ein Hoffolgezeugnis erteilt, das sie als Hofvorerbin auswies. Im Jahre 2011 zog das Landwirtschaftsgericht das
Hoffolgezeugnis dann jedoch als unrichtig sowie von Amts
wegen ein und erteilte ein neues Hoffolgezeugnis, das die
Erblasserin erst jetzt als Hofvollerbin auswies.
Noch zu Lebzeiten des Vaters hatten die Eltern den Hof an
den Zweitbeteiligten verpachtet, den die Mutter mit notariellem
Vertrag aus dem Jahre 1993 zum Hoferben bestimmte. Wirtschaftliche Schwierigkeiten veranlassten den Zweitbeteiligten im
Jahre 2003, die defizitär gewordene Milchviehhaltung aufzugeben und eine zuvor begonnene Pferdezucht und -haltung fortzuführen. 2004 veräußerte die Mutter die Milchquote und 2005
landwirtschaftlichen Grundbesitz, um betriebliche Schulden des
Zweitbeteiligten zu tilgen. In der Folgezeit erhielt der Zweitbe-
52
Urteil
Tücken bei der Hoferbfolge
teiligte die finanzielle Unterstützung weiterer Geschwister, um
die Zwangsversteigerung und den Verkauf von Hofgrundstücken
zu vermeiden. Anfang des Jahres 2014 verpachtete der für die
Mutter bestellte Betreuer den Hof zur Eigenbewirtschaftung an
den Erstbeteiligten. Dieser vertrat nach dem Tode der Mutter
die Auffassung, durch den Abschluss des Pachtvertrags habe die
Mutter ihm die dauerhafte Bewirtschaftung des Hofs übertragen
und ihn so zum Hoferben bestimmt, während der Zweitbeteiligte
der Ansicht war, aufgrund des notariellen Vertrags aus dem Jahre 1993 Hoferbe geworden zu sein.
Der Beschluss
Unter Bestätigung der Entscheidung des Amtsgerichts – Landwirtschaftsgericht – Paderborn hat das OLG Hamm entschieden,
dass der Erstbeteiligte als jüngster Miterbe gemäß § 6 Abs. 1
Nr. 3 HöfeO zum Hoferben berufen sei. Der Hof liege in einem
Gebiet, in dem das Jüngstenrecht gelte. Nach dem Erbverzicht
weiterer jüngerer Geschwister sei der Erstbeteiligte als jüngster
verbliebener gesetzlicher Miterbe der Hoferbe geworden.
Seine Hoferbenbestimmung folge nicht bereits aus § 6 Abs. 1
Nr. 1 HöfeO. Die Regelung setze voraus, dass einem Miterben die
Bewirtschaftung des Hofs auf Dauer übertragen worden sei. Die
Überlassung eines Hofs im Rahmen eines langfristigen Pachtvertrags könne unter Umständen als dauerhafte Übertragung der Bewirtschaftung gelten, wenn sie vom „Erblasser“ erfolgt sei. Hierzu
müsse ein testierfähiger Hofeigentümer aber höchstpersönlich
handeln. Eine Übertragung durch einen Betreuer genüge nicht,
wenn – wie im vorliegenden Fall – nicht feststehe, dass sie einem
zuvor erklärten, frei gebildeten Willen des Erblassers entspreche.
Die gesetzliche Erbfolge sei auch nicht dadurch ausgeschlossen worden, dass die Mutter mit notariellem Vertrag aus dem
Jahre 1993 den Zweitbeteiligten zum Hoferben bestimmt habe.
Der Zweitbeteiligte sei als Hoferbe ausgeschlossen, weil ihm
zum Zeitpunkt des Erbfalls die Wirtschaftsfähigkeit gefehlt habe.
Um im Sinne der HöfeO wirtschaftsfähig zu sein, müsse ein Hoferbe landwirtschaftlich-technische Kenntnisse und Fähigkeiten
haben. Mit Blick auf die vom Gesetz geforderte selbstständige
Bewirtschaftung müsse er zudem organisatorisch-kalkulatorische Kenntnisse und Fähigkeiten vorweisen können. Bezüglich
beider Bereiche bestünden beim Zweitbeteiligten nach den gerichtlichen Feststellungen erster und zweiter Instanz durchgreifende Bedenken. Defizite in beiden Fertigkeits- und Kenntnisbereichen hätten auch der Verlauf der ca. 30 Jahre dauernden
Bewirtschaftung des Hofs durch den Zweitbeteiligten offenbart.
Beschlussanmerkungen
von Gerald Lückemeier, Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Agrarrecht, Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB,
Hamm, www.wolter-hoppenberg.de
Die Beschwerdeentscheidung des Landwirtschaftssenats des OLG Hamm ist über den Einzelfall
hinaus für die höferechtliche Praxis von Bedeutung. Ihr
Agrar-Recht
liegt ein Sachverhalt zugrunde, der zunächst anschaulich
belegt, auf welch tönernen Füßen ein Hoffolgezeugnis stehen kann.
Die von den Eltern der Beteiligten angeordnete Vorund Nacherbschaft entsprach der damaligen Fassung des
§ 8 HöfeO, womit sichergestellt werden sollte, dass der Hof
in der Familie des Ehegatten blieb, von dem er stammte.
Allerdings wurde diese Regelung (sog. Beerbung bei lebendigem Leibe) mit der Neufassung der HöfeO im Jahre
1976 abgeschafft. Bei Erbfällen ab dem 1.7.1976 wird der
überlebende Ehegatte stets Hofvollerbe, gleich wie die
Eheleute testiert haben und von wem der Hof stammt (sog.
Zwangserbrecht des § 8 Abs. 1 HöfeO n.F.).
Was in den nachfolgenden Jahren allerdings häufig passierte, geschah auch im vorliegenden Fall. Vom Landwirtschaftsgericht wurde zunächst ein Hoffolgezeugnis erteilt,
das die Ehefrau nur als Hofvorerbin auswies. Die Änderung der HöfeO ließ es also unberücksichtigt. Folgerichtig,
aber materiell-rechtlich falsch, bestimmte die Erblasserin
ihren ältesten Sohn, den Zweitbeteiligten, daraufhin zum
Hofnacherben nach ihrem Ehemann. Bei der Beurkundung dieser Erklärung verkannte auch der Notar die neue
Rechtslage. Erst annähernd 22 Jahre später zog das Landwirtschaftsgericht das unrichtige Hoffolgezeugnis von
Amts wegen ein und erteilte ein neues Hoffolgezeugnis,
das die Erblasserin jetzt als Hofvollerbin auswies. Das war
rechtlich zulässig und geboten. Denn ein Hoffolgezeugnis
begründet wie jeder andere Erbschein nur eine stets widerlegbare Vermutung dafür, dass der in ihm als Hoferbe bezeichneten Person dieses Recht auch zusteht (§ 2365 BGB).
Insbesondere im Höferecht sollte ein „ungünstiges“
Hoffolgezeugnis stets kritisch auf seine Richtigkeit überprüft werden. Dafür ist ein Grundbuchauszug, der auch
bei jedem anderen Nachlass mit Grundbesitz stets angefordert werden sollte, eine gute und unverzichtbare Hilfe.
Die fehlerhafte Rechtsberatung der Erblasserin durch
den Notar bei der Beurkundung der Bestimmung ihres ältesten Sohnes zum Hofnacherben hat das OLG im vorliegenden Fall dadurch wieder „ausgebügelt“, dass es – recht
großzügig, aber vertretbar – diese Erklärung im Wege der
ergänzenden Testamentsauslegung als eine testamentarische Hofschlusserbeneinsetzung dieses Sohnes nach der
Erblasserin ausgelegt hat.
Hoferbe wurde er aber trotzdem nicht. Denn dieser
Sohn scheidet nach Ansicht des Gerichts sowohl als gesetzlicher als auch als testamentarischer Hoferbe aus, weil
er nicht wirtschaftsfähig im Sinne des § 6 Abs. 6 Sat. 1 HöfeO ist. Dies haben beide Instanzen zu Recht vor allem daraus geschlossen, dass er als langjähriger Pächter und späterer Nutzungsberechtigter des Hofes völlig versagt hat.
Er hat sich und den Hof unter anderem durch eine
wirtschaftlich unvernünftige Umstellung von der Milchviehhaltung auf eine nie gewinnbringende Pferdezucht
im Laufe der Jahre immer mehr verschuldet, was dadurch
AgrB 6-2015
Agrar-Recht
begünstigt wurde, dass die Bank immer wieder großzügige Kredite gab, weil sich die Erblasserin jeweils dazu
überreden ließ, die dafür notwendigen Sicherheiten in
Form von Grundschulden zu geben. Trotzdem mussten
Erlöse aus dem Verkauf der Milchquote und von Hofgrundstücken zur Schuldentilgung verwandt werden. Im
Übrigen wurden die Wohnverhältnisse auf dem Hof für
die Erblasserin mehr und mehr unzumutbar.
In Sorge um seine Mutter und um den Fortbestand des
elterlichen Hofes beantragte dann der Erstbeteiligte, die
Erblasserin unter Betreuung zu stellen. Der Betreuer sorgte für die Heimunterbringung der Erblasserin, kündigte
den Nutzungsüberlassungsvertrag fristlos wegen des seit
Jahren nicht gezahlten Nutzungsentgelts, bewirkte einen
Räumungstitel und verpachtete den Hof an den Erstbeteiligten, einen Agraringenieur mit Hochschulabschluss.
Der sich nach dem Tod der Erblasserin zwischen dem
Erst- und dem Zweitbeteiligten anbahnende Streit wurde
von beiden Parteien nicht in einem Hoffolgezeugniserteilungsverfahren, sondern mit widerstreitenden Anträgen in
einem Feststellungsverfahren nach § 11 Abs. 1g HöfeVfO
ausgetragen, da nur hier eine rechtskraftfähige Entscheidung nach Maßgabe des § 12 HöfeVfO erwirkt werden
konnte. Bei Streit über die Hoferbfolge sollte einem solchen Feststellungsverfahren in der Regel der Vorzug gegeben werden.
Zwei Geschwister hatten mit der Erblasserin einen umfassenden Erb- und Pflichtteilsvertrag geschlossen, sodass
sie nicht nur als Hoferben ausschieden, sondern ihnen
auch keine Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche
nach §§ 12, 13 HöfeO zustehen. Andererseits erhöhte
sich – was gelegentlich nicht bedacht wird – durch den
Erbverzicht die Ab- und Nachabfindungsquote der anderen weichenden Erben. Ist dies zum Schutze des Hoferben
nicht gewollt, muss der Verzicht auf das Pflichtteilsrecht
beschränkt werden (§ 2346 Abs. 2 BGB).
Der Landwirtschaftssenat des OLG Hamm hat in dem
von dem Betreuer mit dem Erstbeteiligten geschlossenen
Pachtvertrag keine bindende Bewirtschaftungsübertragung im Sinne der §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1 HöfeO gesehen. Wird eine solche Bindungswirkung gewollt, muss
der betreute Hofeigentümer am Pachtvertrag beteiligt
werden und testierfähig sein, also die Bedeutung der
höfe(erb)rechtlichen Bindungswirkung erfassen können.
Deshalb sollte er den Pachtvertrag mitunterzeichnen und
sollte darin klar und unmissverständlich formuliert werden, ob er sich die Hoferbenbestimmung vorbehalten will.
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 HöfeO verlangt, dass sich bei Abschluss
eines solchen Pachtvertrags der Erblasser gegenüber dem
Pächter die Bestimmung des Hoferben ausdrücklich, d. h.
unmissverständlich, vorbehalten muss, wenn er den Eintritt einer Bindungswirkung verhindern will. Auch hier wird
in Pachtverträgen oft „geschludert“, sodass ein späterer
Streit um die Hoferbfolge vorprogrammiert ist.
AgrB 6-2015
EHEC-Krise: Kein Schadensersatz wegen Umsatzeinbußen
Urteil
53
EHEC-Krise: Kein Schadensersatz wegen
Umsatzeinbußen
Landwirtschaftliche Betriebe erhalten keinen Schadensersatz wegen Umsatzeinbußen bei Rucola nach behördlicher
Warnung von Salatverzehr.
LG Berlin, Urteile vom 6.6.2014, 28 O 158/13 und 28 O 104/13
Der Sachverhalt
Das Kammergericht Berlin hat sich mit Schadensersatzansprüchen von landwirtschaftlichen Betrieben gegen die Bundesrepublik, einer staatlichen Stelle und einer weiteren Beklagten aufgrund ihres Informationsverhaltens in der EHEC-Krise
befasst. Hierbei hatte es den beiden unterlegenen landwirtschaftlichen Betrieben deutlich zu erkennen gegeben, dass es
die von diesem gegen die erstinstanzlichen Urteile eingelegte
Berufung zurückweisen werde.
Grundlage des Verfahrens waren in 2011 von Behörden
mehrfach ausgesprochene Warnungen vor dem Verzehr von
Blattsalaten und anderem Gemüse in rohem Zustand, insbesondere aus Norddeutschland. Diese Warnung war Folge des
in Deutschland in jenem Frühsommer gehäuften Auftreten von
Erkrankungsfällen mit schwersten Verläufen bis hin zu zahlreichen Todesfällen aufgrund einer Infektion durch Echerichia
Coli-Bakterien (nachfolgend EHEC). Im Nachhinein hatte sich
herausgestellt, dass importierte Boxhornkleesamen die Quelle
der Infektionen waren.
Die Europäische Union hatte im Nachgang landwirtschaftlichen Betrieben eine pauschale Entschädigung für Umsatzeinbußen gezahlt, soweit der Anbau von Blattsalaten, Tomaten
und Gurken betroffen war. Auch die Klägerinnen erhielten für
ihre landwirtschaftlichen Betriebe entsprechende Entschädigungen. Nicht entschädigt wurden allerdings Umsatzeinbußen bei Rucola, Feldsalat und Chinakohl, die nicht zu der Familie der Salate gehören.
Die Klägerinnen machten in dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung sowohl gegen die Bundesrepublik Deutschland als auch gegen
das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geltend.
Das Landgericht Berlin hatte die Klage abgewiesen. Es sah
keinerlei Amtspflichtverletzung, weil die streitgegenständlichen Warnungen sachlich zutreffend gewesen seien. Auch
ohne entsprechende Ermächtigung seien die Beklagten berechtigt gewesen, solche Warnungen zu erklären. In Anbetracht der erheblichen Gefährdung der Bevölkerung durch die
aggressive Infektion sei aus der „ex ante“-Sicht rechtmäßig
verfahren worden. Unabhängig sei, dass sich später herausgestellt habe, dass Sprossen der Grund der Infektionen gewesen
seien. Weiterhin hätten die Beklagten ordnungsgemäß die Ursachen der Erkrankungen erforscht und die Verzehrempfehlungen rechtzeitig zurückgenommen.
Die Klägerinnen gingen in die Berufung und verfolgten ihr
Ziel vor dem Kammergericht Berlin weiter.
54
Urteil
Agrar-Recht
EHEC-Krise: Kein Schadensersatz wegen Umsatzeinbußen
Anzeige
Die Urteile
Das Kammergericht Berlin hat deutlich gemacht, dass es ebenso wie das Landgericht Berlin keine Amtspflichtverletzung
sehe. Auf der Grundlage einer vom Bundesverfassungsgericht
für entsprechende Fälle anwendbare Sonderdogmatik seien
die Informationen und Warnungen der Beklagten trotz ihrer
einschneidenden Folgen für die landwirtschaftlichen Betriebe
rechtmäßig. Eine Amtspflichtverletzung sei nicht zu erkennen.
Das Kammergericht erläuterte, es habe sich um eine Staatsleitungsaufgabe der Bundesregierung gehandelt, in einer nationalen Krise die Bevölkerung über die Infektionsrisiken aufzuklären und vor Gesundheitsschäden zu warnen. Hierbei seien
die Anforderungen an die Sachlichkeit und die inhaltliche Richtigkeit bei den jeweiligen Warnungen gewahrt gewesen. Das
Kammergericht ging davon aus, dass die Warnungen zwar auf
unsicheren und sich stetig entwickelnden Informationsgrundlagen beruhten, dass die Tatsachen jedoch sorgfältig ermittelt
und gründlich ausgewertet worden seien. Letztendlich berief
sich das Kammergericht darauf, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gegeben gewesen sei.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwalt / Fachanwalt für
Agrarrecht, Dr. Modest von Bockum,
Cornelius + Krage Rechtsanwälte + Notare,
Kiel, www.cornelius-krage.de
Nachdem das Kammergericht den Klägerinnen deutlich zu erkennen gegeben hat, dass die Berufung zurückgewiesen würde, haben die beiden Klägerinnen die Klagen zurückgenommen. Die erstinstanzlichen
Urteile sind mithin rechtskräftig.
Das Kammergericht sah zwar erhebliche Einschnitte
für die Landwirtschaftsbetriebe als gegeben an, gleichzeitig machte es aber deutlich, dass der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, auch aufgrund der hohen gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung, inklusive zahlreicher Todesfälle, eingehalten sei.
Es bleibt mithin weiterhin das Risiko eines jeden, dass
Warnungen, die zwar auf unsicheren und sich stetig entwickelnden Informationsgrundlagen beruhen, gleichzeitig
allerdings sorgfältig ermittelt und gründlich ausgewertet
sind, keinen Schadensersatzanspruch gegenüber Behörden begründen, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Tatsachen und Warnungen falsch gewesen
sind. Auch die Einbeziehung des BfR und des RobertKoch-Instituts hat sicherlich dazu beigetragen, dass das
Kammergericht die Tatsachen als sorgfältig ermittelt und
gründlich ausgewertet betrachtet hat.
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AgrB 6-2015
Agrar-Taxation
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
Aufsatz
55
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der
landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
von Dr. Dieter Wenzl, ö. b. v. SV, Dr. Martin Philipp Steinhorst und
Heinrich Thummert, ö. b. v. SV, alle München
D
as 60. Jubiläum der HLBS-Sachverständigentagung war ein besonderer Anlass zurückzublicken,
Entwicklungslinien herauszuarbeiten und einen Blick auf die künftigen Anforderungen zu wagen. Kürzlich fand im November 2015 die 61. Tagung in Göttingen statt.
Übersicht
1.Einleitung
2. Die Fachtagung im Kontext der Entwicklungen des HLBS
3. Einflüsse auf die Entwicklung der landwirtschaftlichen
Sachverständigentätigkeit von außen und von innen
3.1 Gesellschaftliche und (land)wirtschaftliche
Veränderungen
3.2 Dynamische rechtliche Rahmenbedingungen
3.3 Weiterentwicklung und Umsetzung des Bewertungs-
instrumentariums durch kluge und kreative Köpfe
4. Chronologie der HLBS-Tagung als Spiegelbild der inneren
und äußeren Einflüsse
5. Ausblick auf mögliche künftige Entwicklungstendenzen des
landwirtschaftlichen Sachverständigenwesens
1.Einleitung
Jede der 60 vergangenen Tagungen war von einem hohen Maß
an Aktualität und Kontinuität geprägt. Damit wurde die Tagung
quasi zu einem Spiegelbild der Entwicklung des landwirtschaftlichen Sachverständigenwesens im deutschsprachigen Raum.
Für viele Sachverständige ist die Tagung heute eine feste
Größe im Jahreskalender. Sie ist der entscheidende Ort, um
Einblicke in die Aktualität von Bewertungsanlässen und -methoden zu gewinnen und zu vermitteln. Sie ist der Ort, an dem
wichtige Denkanstöße gesetzt und Lösungsansätze diskutiert
werden. Auch bietet die Tagung Gelegenheit für das bei einer
erfolgreichen Gutachtertätigkeit wichtige Netzwerken.
2.Die Fachtagung im Kontext der
Entwicklungen des HLBS
Zur Einordnung der Bedeutung der Sachverständigentagung
sei ein kurzer Rückblick auf Gründung und Entwicklung des
HLBS erlaubt:
Kurz nach Schaffung der Reichsabgabenordnung im Jahr
1919, die auch erstmals eine explizite Vertretungsregelung für
AgrB 6-2015
Steuerpflichtige schuf, wurde 1922 der Vorläufer des heutigen
HLBS, der „Reichsverband landwirtschaftlicher Privatbuchstellen“ gegründet. Bereits im Jahr 1934 wurde dann das landwirtschaftliche Sachverständigenwesen in die Verbandsarbeit integriert. In den Nachkriegsjahren 1948/49 erfolgte ein Neuanfang
unter dem Namen „Hauptverband für landwirtschaftliche Buchführung und Beratung“ und seit dem Jahr 1956 firmiert der HLBS
unter dem heutigen Namen, der die integrale Verbandsmitgliedschaft der landwirtschaftlichen Sachverständigen unterstreicht.
Als weiterer Akzent ist herauszustellen, dass es 1961 gelang,
die Bezeichnung „Landwirtschaftliche Buchstelle“ als Zusatz zur
Berufsbezeichnung in das Steuerberatungsgesetz zu integrieren. Ab 1977 nahm der HLBS erfolgreich die Seminartätigkeit
auf. Seit 1994 ergänzt auch die Sparte Unternehmensberatung
die beiden Fachsparten Steuerberatung und Sachverständigentätigkeit.
Heute ist der HLBS ein professionell geführter Fachverband,
der sich zum Ziel gesetzt hat, die berufsständischen Interessen seiner Mitglieder zu vertreten, erster Kontaktpartner für
Aus- und Fortbildung durch Tagungen, Seminare oder Veröffentlichungen zu sein, und als Kompetenzbasis stets die methodischen Weiterentwicklungen von Beratungs- und Bewertungsansätzen zu fördern.
Dass diese Ziele sukzessive realisiert werden konnten, aber
auch künftig die Arbeit des Verbands prägen, zeigt die Professionalität, die sich auch an der Basis der Mitglieder vollzogen hat.
Während in den ersten Jahrzehnten des Verbandsbestehens erfahrene Schätzer und Praktiker Bewertungsaufgaben wahrnahmen und auch das Plenum der HLBS-Sachverständigentagung
bestimmten, ergänzt heute ein breites methodisches Fundament die Sachverständigentätigkeit. Der landwirtschaftliche
Sachverständige ist zwischenzeitlich zum methodisch geschulten, mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vertrauten Experten und Spezialisten für Fragen der landwirtschaftlichen
Bewertung geworden.
3.Einflüsse auf die Entwicklung der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit von
außen und von innen
Abzugrenzen sind im Wesentlichen zwei Einflusssphären:
Erstens, die Einflüsse von außen auf die Landwirtschaft im
Allgemeinen und die landwirtschaftliche Sachverständigentä-
56
Aufsatz
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
tigkeit im Speziellen, worunter insbesondere die sich im Zeitablauf
●● permanent ergebenden Veränderungen der Gesamtwirtschaft und vor allem des landwirtschaftlichen Sektors und
●● die sich kontinuierlich ausprägenden und erneuernden
rechtlichen Rahmenbedingungen durch Rechtsprechung,
Gesetze, Verordnungen und Richtlinien zu subsumieren
sind.
Zweitens, die aktiven Beeinflussungen und Gestaltungen
von innen in Form der laufenden methodischen Weiterentwicklung des Bewertungsinstrumentariums und dessen Umsetzung
in die Bewertungspraxis durch kluge und kreative Köpfe, die
in den letzten Jahrzehnten vorwiegend aus dem HLBS-Umfeld
stammen.
3.1.Gesellschaftliche und (land)wirtschaftliche
Veränderungen
Da die landwirtschaftliche Taxation untrennbar mit den verschiedenen Formen der Landnutzung verbunden ist, sind die
wichtigsten äußeren Einflüsse auf die zu bewertenden Objekte
und die Bewertungsanlässe der Sachverständigentätigkeit im
Kontext der sich im Zeitablauf permanent ergebenden Veränderungen der Gesamtwirtschaft und insbesondere des landwirtschaftlichen Sektors unserer Volkswirtschaft zu sehen.
Die gewaltigen Veränderungen dieses wirtschaftlichen
Rahmens in den zurückliegenden Jahrzehnten lassen sich nur
schwer alleine in statistischen Zahlen abbilden. Der Leser ist
daher eingeladen, auch seine eigenen Erfahrungen oder aus
Erzählungen bekannte Momentaufnahmen anhand der folgenden akzentuierten Darstellung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Erinnerung zu rufen.
Beispielsweise ist die Bevölkerung der Bundesrepublik seit
1953, in dem die HLBS-Sachverständigentagung erstmals
stattfand, formal von ca. 49 Millionen Personen auf gegenwärtig ca. 81 Millionen gewachsen (Statistisches Bundesamt 1956
und 2014). Hinter diesem Anstieg verbergen sich jedoch gewaltige Umbrüche, die von den Wirtschaftswunderjahren über
die Generation der Babyboomer bis hin zur Wiedervereinigung
reichen.
Im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum und einer Reindustrialisierung des kriegszerstörten Deutschlands ist
der enorme Ausbau der Infrastruktur zu sehen, der unser Land
und auch die Arbeit der landwirtschaftlichen Sachverständigen
bis in die Gegenwart prägt.
Allerdings hat sich nicht nur die Zahl der Einwohner erhöht,
sondern auch ihre räumliche Verteilung verändert. Dies wird
deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass zu Beginn der
1950er-Jahre noch mehr als jeder vierte Einwohner der Republik in dörflichen Strukturen beheimatet war, wohingegen heute
noch nicht einmal einer von 15 Bundesbürgern in einem Ort
mit weniger als 2.000 Einwohnern lebt (Statistisches Bundesamt 1956, 2014). Die Bevölkerung Deutschlands ist also zunehmend eine städtische geworden – mit den Folgen veränderter
Konsumgewohnheiten aber auch einer z. T. beobachtbaren
Entfremdung von modernen landwirtschaftlichen Produkti-
Agrar-Taxation
onstechniken. Besonders stark ausgeprägt war die Landflucht
im Übrigen in den 1960er- und 1970er-Jahren, als die Einkommensmöglichkeiten sich in den Städten zunehmend dynamischer entwickelten als in den ländlichen Regionen (Kermer,
2007, S. 65 ff.).
Auch die Formen des Zusammenlebens haben sich in den
zurückliegenden Jahrzehnten z. T. stark gewandelt (Huinink,
2009). Bewertungen im Kontext von Ehescheidungen und Erbauseinandersetzungen haben beispielsweise im Aufgabenspektrum des landwirtschaftlichen Sachverständigen deshalb
stark an Bedeutung gewonnen.
Die nachfolgende Abbildung 1 zeigt einige wichtige Kenngrößen des Primärsektors Landwirtschaft in Deutschland.
Akzentuiert ist jeweils die Situation zum Zeitpunkt jeder
10. HLBS-Sachverständigentagung. Die angesprochene Zunahme der Einkommensdisparitäten zwischen ländlichen Gebieten
auf der einen Seite und Städten auf der anderen Seite wird
beispielsweise im Vergleich des Bruttoinlandsprodukts je Erwerbstätigem im Allgemeinen und dem Wert der Waren- und
Dienstleistungen (unter Berücksichtigung des Wertverzehrs an
Produktionsfaktoren) deutlich, die von einem durchschnittlichen Beschäftigten im landwirtschaftlichen Sektor erbracht
werden (vgl. in Abbildung 1die Kenngrößen BIP/Erwerbstätigem allg. und BIP/AK in LDW).
Abbildung 1: Primärsektor Landwirtschaft
7,0 Mio.
70.000 €
6,0 Mio.
60.000 €
5,0 Mio.
50.000 €
4,0 Mio.
40.000 €
3,0 Mio.
30.000 €
2,0 Mio.
20.000 €
1,0 Mio.
0,0 Mio.
10.000 €
7 ha
9 ha
12 ha
16 ha
29 ha
44 ha
61 ha
0€
1.
10.
20.
30.
40.
50.
60.
Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung
Arbeitskräfte (AK) in der LDW
Anzahl der ldw. Betriebe
BIP / AK in LDW
BIP / Erwerbstätigem allg.
Quelle: Eigene Darstellung nach Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL, Hrsg.): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. div. Jg.
Dennoch hat die Landwirtschaft zeitgleich zu den 60 HLBSTagungen eine multiplikative Effizienzsteigerung erfahren.
Während im Jahr 1953 noch ca. 6,1 Millionen Arbeitskräfte
(22 % der Erwerbstätigen) in der deutschen Landwirtschaft beschäftigt waren, ist die Zahl der landwirtschaftlichen Beschäftigten auf weniger als 0,5 Millionen Personen (1,2 %) gesunken (BMELF 1957; BMEL 2013). Gleichzeitig hat sich die Zahl
der landwirtschaftlichen Betriebe von ca. 2 Millionen auf unter
0,3 Millionen verringert, und ein landwirtschaftlicher Durchschnittsbetrieb bewirtschaftet heute mehr als die 8,5-fache
Fläche (vgl. Abbildung 1).
AgrB 6-2015
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
Agrar-Taxation
Aus Abbildung 2 wird deutlich, dass das Betriebswachstum
aber keineswegs nur auf ein Ausscheiden kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe zurückzuführen ist. Die dargestellten
Lorenz-Kurven bilden dabei ab, welcher Anteil der Landwirtschaftsfläche in den Jahren 1953 bzw. 2013 auf welchen Anteil
der landwirtschaftlichen Betriebe entfiel.
% LF
Abbildung 2: Lorenz-Kurve der Größenstrukturen der landwirtschaftlichen
Betriebe für die Jahre 1953 und 2013
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1953
2013
0%
20%
40%
60%
% Betriebe
80%
100%
Quelle: Eigene Darstellung nach Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, 2013; Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
(Hrsg.): Statistisches Handbuch über Landwirtschaft und Ernährung der Bundesrepublik Deutschland, 1957
Abbildung 3: Mechanisierungs- und Produktivitätskennziffern
45,0
8.000 kg
40,0
7.000 kg
35,0
6.000 kg
30,0
5.000 kg
25,0
4.000 kg
20,0
3.000 kg
15,0
10,0
2.000 kg
5,0
1.000 kg
0,0
0 kg
1.
10.
20.
30.
40.
50.
60.
Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung
Milchleistung/MK
AK / 100 ha LF
Ertrag WW / ha
Schlepper / 100 ha LF
Quelle: Eigene Darstellung nach Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, div. Jg.
Beim Vergleich der Kurven fällt auf, dass der Strukturwandel alle Betriebsgrößen ungefähr im selben Umfang geprägt
hat. Ursächlich könnte sein, dass die Subventionspolitik die
kleineren Betriebe so stützte, dass die größeren Betriebe ihre
komparativen Vorteile nur wenig ausspielen konnten (Heißenhuber und Gandorfer, 2012; Pannell, 2006, S. 553–566). Mit der
Liberalisierung der Agrarpolitik kann sich das zukünftig ändern.
Größere Betriebe könnten stärker als bisher profitieren. Allerdings gibt es auch politische Tendenzen gegen eine solche
Entwicklung.
AgrB 6-2015
Aufsatz
57
Der skizzierte Strukturwandel war immer eine wichtige
Begleitgröße für die landwirtschaftliche Sachverständigentätigkeit und mittelbar Ursache vieler Bewertungsanlässe, wie
beispielsweise steuerlich relevante Wertfeststellungen in Verbindung mit Betriebsaufgaben, Betriebsneu- und -umgründungen oder auch Entnahmen einzelner Wirtschaftsgüter.
Hand in Hand mit dem Strukturwandel schritt auch die Entwicklung der Produktivität des landwirtschaftlichen Sektors
voran. Die nachfolgende Abbildung 3 zeigt exemplarisch die
enorme Entwicklung der Naturalerträge und die Veränderungen der Mechanisierung der Landwirtschaft, die sich in der
Zeitspanne der vergangenen 60 HLBS-Sachverständigentagungen vollzogen haben.
Besonders anschaulich wird die zwischenzeitlich erheblich gewandelte Arbeitswelt auch bei der Auswertung einiger
Kenngrößen zur Mechanisierung der Landwirtschaft: Bis in die
1960er-Jahre wurden die landwirtschaftlichen Flächen Deutschlands beispielsweise zu einem nicht unerheblichen Anteil noch
mit Zugtieren bearbeitet. Erst in den späten 1970er-Jahren erreichte die Anzahl der Schlepper in etwa das heutige Niveau
(BMELF, 1975; BMEL, 2013). Selbstredend ist die Mechanisierung seit dieser Zeit nicht stehengeblieben, sondern war und
ist beispielsweise durch einen Trend zu leistungsstärkeren Maschinen geprägt. Dies wird indirekt z. B. am Arbeitskräftebedarf je 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche deutlich, der sich
heute gegenüber der Situation im Jahr 1953 um mehr als 90 %
verringert hat (vgl. Abbildung 3).
Auch die Bedeutung der Feldfrüchte, die der landwirtschaftliche Sachverständige damals und heute z. B. im Zusammenhang
mit Aufwuchsschäden bewertet, hat sich verändert. Feldfrüchte wie Mais und Raps waren züchterisch zur Zeit der ersten
HLBS-Sachverständigentagungen noch nicht hinreichend entwickelt und in Deutschland praktisch unbedeutend (BMELF,
1957; Miedaner, 2014, S. 151 ff.). Heute machen sie zusammen
fast ein Drittel der Fruchtfolgen aus (BMEL, 2013). Andererseits
sind beispielsweise die Flächenanteile von Kartoffeln, Roggen
und Hafer um jeweils etwa 85 % gegenüber den frühen 1950erJahren gesunken.
Abbildung 4: Ausgewählte Preise und Indizes der deutschen Landwirtschaft
1200
1100
1000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
25.000 €/ha
20.000 €/ha
15.000 €/ha
10.000 €/ha
5.000 €/ha
0 €/ha
1.
10.
20.
30.
40.
50.
60.
Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung Tagung
Bodenpreis alte Bundesländer
Erzeugerpreisindex
Tariflohnindex
Bodenpreis neue Bundesländer
Betriebsmittelpreisindex
Quelle: Eigene Darstellung nach Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, div. Jg.
58
Aufsatz
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
Motor und gleichzeitig Resultat vieler aufgezeigter Entwicklungen war und wird auch zukünftig die Entwicklung der Preise
der landwirtschaftlichen Erzeugnisse sowie der Produktionsfaktoren sein. In Abbildung 4 fällt auf, dass die Erzeugerpreise – auch unter Berücksichtigung der jüngsten Belebungen der
internationalen Agrarrohstoffmärkte – relativ zu den Preisen für
Betriebsmittel und Arbeit in den vergangenen gut sechs Jahrzehnten nur unwesentlich gestiegen sind. Ohne Effizienzsteigerungen und Wachstum wird deshalb auch weiterhin keine dauerhafte Existenz aus dem Betrieb einer Landwirtschaft gesichert
werden können. Was nicht bedeutet, dass nicht z. B. in stadtnahen Gebieten durch effektive Vermarktungsformen auch höhere
und steigende Wertschöpfungen erzielt werden können.
Neben der Vermarktung wird auch ein Anhalten der Spezialisierung in der landwirtschaftlichen Produktion zu beobachten
sein. Diese führte bereits während der letzten sechs Jahrzehnte zum einen zu einer räumlichen Konzentration der Tierhaltung – mit zusätzlichen Bewertungsaufgaben z. B. im Kontext
des Immissionsschutzes – und zum anderen zu einer Zunahme
viehloser Marktfruchtbaubetriebe. Für die landwirtschaftliche
Sachverständigentätigkeit bedeutete dies eine Zunahme der
Bewertungsfälle i.V.m. Umnutzungen von Gebäuden oder Betriebsaufgaben.
Daneben hat gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten
die Einkommensdiversifizierung durch außerlandwirtschaftliche Tätigkeiten stark zugenommen (z. B. Biogas, Photovoltaik,
Windkraft, Urlaub auf dem Bauernhof, kommunale Pflege). Dies
erfordert z. T. eine Erweiterung des Aufgabenspektrums des
landwirtschaftlichen Sachverständigen, kann aber auch den
Bedarf einer klaren Abgrenzung zu anderen Sachgebieten bedeuten.
Zudem war und ist eine starke Dynamisierung der Bodenpreise zu beobachten (vgl. Abbildung 4). Diese Entwicklung
führte insbesondere in Verbindung mit der Zunahme der Betriebsaufgaben in den letzten Jahrzehnten zu vielfachen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Interessengruppen (z. B.
weichende Erben) mit dem Ertragswertprivileg der Landwirtschaft. Zudem verliert die Entschädigungsposition Erwerbsverlust an relativer Bedeutung.
In der Gesamtschau haben sich also fortwährend neue Betätigungsfelder ergeben. Die Bewertungsaufgaben sind zudem
heute deutlich vielseitiger und anspruchsvoller als früher. Der
landwirtschaftliche Sachverständige muss deshalb seine Datenund Kalkulationsgrundlagen permanent anpassen und fortschreiben. Zudem erfordert die Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion auch innerhalb der landwirtschaftlichen
Sachverständigentätigkeit zunehmend eine Spezialisierung.
3.2.Dynamische rechtliche Rahmenbedingungen
Die zweite sehr gewichtige Einflussgröße ist im rechtlichen
Rahmen und dessen Veränderungen im Zeitablauf zu sehen.
Initial für einen Großteil der rechtlichen Auseinandersetzungen und Regelungen waren Fragen der angemessenen
Entschädigung im Falle des Landentzugs für öffentliche Zwecke. Bereits im Jahr der ersten HLBS-Sachverständigentagung,
Agrar-Taxation
1953, wurden durch das Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten Richtlinien für Entschädigungen
erlassen. Im Jahr 1963 wurden diese Verwaltungsanweisungen
durch Richtlinien zur Einschätzung von Entschädigungen bei
Landentzug für öffentliche Zwecke weiter konkretisiert. Diese
LandR 1963 sah insbesondere eine Kalkulation der Positionen
Restbetriebsbelastung und Erwerbsverlust vor, die auf Mittelwert- und nicht etwa auf Grenzwertüberlegungen beruhten.
Das brachte den Richtlinien vermehrt Kritik von Ökonomen ein
(vgl. z. B. Köhne, 1973, S. 341–354).
In seinen Urteilen in den 1970er-Jahren folgte der Bundesgerichtshof (BGH) dieser Kritik und formulierte eine Gliederung
der Entschädigungspositionen und Regeln ihres Zusammenwirkens. Die Berechnung des Erwerbsverlusts kann demnach
über eine Deckungsbeitragsrechnung erfolgen (vgl. auch Bewer, 1973). Eine Restbetriebsbelastung ist Bestandteil des Erwerbsverlusts und keine Substanzgröße. Ferner ist eine Gegenrechnung von Zinserträgen auf den Substanzverlust unzulässig.
Diese Grundsätze fanden dann Eingang in die LandR 1978.
Von Interesse für viele Sachverständige war auch die Frage,
inwieweit Bauerwartungen und öffentliche Wegenetze Entschädigungspositionen darstellen. Grundlage zur Beantwortung dieser Fragen bildet der vom BGH entwickelte Grundsatz,
dass nur Eingriffe in Rechtspositionen entschädigungsfähig
sind. Die Nutzung eines öffentlichen Wegs in einem bestimmten Verlauf als Zufahrt zu einem Grundstück stellt demnach
ebenso keine Rechtsposition dar, wie die unsichere Erwartung
einer zukünftig eventuell möglichen Bebaubarkeit für ein in
Ortsnähe gelegenes landwirtschaftliches Grundstück.
Auch der Aspekt der Arrondierung als möglicher Entschädigungsposition wurde im Zusammenhang mit BGH-Urteilen
zwischen 1975 und 1982 intensiv im landwirtschaftlichen Sachverständigenwesen diskutiert. Als betrieblicher Sonderwert
wurde infolge der Entscheidungen des BGHs nunmehr ein „Hofanschluss“ und nicht eine „Hofnähe“ angesehen.
Weitere wichtige Impulse für die Bewertung von Entschädigungen insbesondere im Zusammenhang mit Leitungsrechten
wurden ebenfalls in den 1980er-Jahren durch die Rechtsprechung geschaffen (BGH vom 1.2.1982 – III ZR 100/80). Im Zuge
des technologischen Wandels bleibt die Beurteilung von Entschädigungen für die Mehrheit der Sachverständigen jedoch
auch infolge von Rahmenvereinbarungen eine beständige Aufgabe und Quelle methodischer Weiterentwicklung. In jüngerer
Zeit wurde in der Rechtsprechung beispielsweise der Ausbau
der Telekommunikationsnetze thematisiert.
Wie an den Beispielen deutlich wird, war die Rechtsprechung
vielfach von intensiven fachlichen Diskussionen im Kreise der
Sachverständigen begleitet, deren Ergebnisse sie oft bestätigte. In einigen Ausnahmen wurden jedoch auch ganz neue Entschädigungsmethoden durch die Gerichte angestoßen. Als Beispiel ist hier die Parallelverschiebungstheorie zu nennen, nach
der Wertminderungen durch Straßenbau (Emissionen) außer
Betracht bleiben müssen, die den Geschädigten auch bei einem Eingriff entlang der Grundstücksgrenzen getroffen hätten.
Im Rahmen von Entschädigungsfällen – und weit darüber
hinaus – ist neben der Bewertung von unbebauten Grundstü-
AgrB 6-2015
Agrar-Taxation
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
cken insbesondere auch die Taxation von Gebäuden eine Aufgabe des landwirtschaftlichen Sachverständigen. Als rechtlicher Rahmen fungieren dabei z. B. das BauGB, die WertV und
ImmoWertV sowie abgeleitete Orientierungshilfen, wie beispielsweise Tabellen zu Normalherstellungskosten. Auch dieser
rechtliche Rahmen unterlag in den vergangenen gut 60 Jahren
einer vielfältigen Veränderung. Da es der landwirtschaftliche
Sachverständige jedoch überwiegend nicht mit klassischen Gebäuden zu tun hat, wie sie vermutlich gedanklich bei der Entwicklung der genannten Rechtsquellen angenommen wurden,
konnte und wird auch zukünftig abermals die Rechtsprechung
wichtige Leitlinien vorgeben. Diese Urteile wurden, beginnend
in den 1980er-Jahren, überwiegend in den späten 1990er- und
in den 2000er-Jahren gefällt, beispielsweise mit Entscheidungen zur Grundstücksqualität, Bauen im Außenbereich, Zeitwertminderung, Umnutzungen, Denkmalschutz oder Altlasten.
Neben dem Entschädigungs- und Baurecht war und ist
das Erb- und Familienrecht eine wichtige Größe in der Arbeit
der Sachverständigen. Auch in diesem Bereich war die Rechtsprechung für die Sachverständigentätigkeit prägend (neben
den gesetzlichen Grundlagen, die aufgrund unterschiedlicher
Territorialgeschichte von Bundesland zu Bundesland z. T. sehr
verschieden sind). Das Gros dieser gerichtlichen Entscheidungen wurde in den 1980er- und den 1990er-Jahren getroffen,
wenngleich dieser sensible Rechtsbereich auch danach durch
weitere Urteile stetigen Einfluss auf die Sachverständigentätigkeit genommen hat und ebenfalls zukünftig nehmen wird.
So wurde beispielsweise eine konsequente methodische Umsetzung des Ertragswertprivilegs durch die Rechtsprechung
substantiiert und die besonderen Umstände definiert, die eine
Bewertung nach dem Verkehrswert geboten erscheinen lassen.
Daneben wurden als weitere wichtige Rahmengrößen die Bedingungen des Zugewinnausgleichs und Verpflichtungen aus
Übergabeverträgen gerichtlich in vielen Aspekten präzisiert.
Ein weiterer Rechtsbereich, von dem zukünftig wahrscheinlich ein weiter verstärkter Einfluss zu erwarten ist, ist das Umweltschutzrecht. Gesetzlich wurden die ersten nationalen Regelungen zum Umweltschutz ab dem Jahr 1972 verabschiedet,
als die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch auf die
Bereiche Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung erweitert wurden. Beispielhaft zu nennen sind das Bundesimmissionsschutzgesetz, das Bundesnaturschutzgesetz
oder die Aufnahme des Abschnitts „Straftaten gegen die Umwelt“ im Strafgesetzbuch. Insbesondere in den 1990er-Jahren
ist der umweltrechtliche Rahmen dann in weiteren Gesetzen
gefasst worden, die sowohl den Schutz einzelner Umweltgüter konkretisieren als auch den Informationsfluss bei Umweltschutzmaßnahmen verbessern. Der Umweltschutz ist heute ein
gesellschaftlich hochrelevantes Thema, das in viele Aufgaben
des landwirtschaftlichen Sachverständigen hinein wirkt, was
auch an der Verknüpfung mit anderen Rechtsbereichen deutlich wird.
Beispielsweise ist auch in der Agrarpolitik eine allmähliche
Verankerung des Umweltschutzgedankens zu beobachten.
Während als Ziele der EG- bzw. EU-Agrarpolitik lange die Sicherung des Einkommens der Landwirte und eine Verhinderung der
AgrB 6-2015
Aufsatz
59
Landflucht sowie eine Versorgungssicherheit durch Mittel der
Preisstützung (Interventionspreise, Importabschöpfung, Exporterstattungen) im Vordergrund standen, wurde die öffentliche
Kritik an hohen Marktordnungskosten spätestens Anfang der
1990er-Jahre immer deutlicher. Es entstand die Forderung, öffentliche Einkommensbeihilfen mit Bewirtschaftungsauflagen
zu verknüpfen. Dem wurde z. T. mit der MacSharry-Reform im
Jahr 1992 Rechnung getragen, die eine Verringerung der Preisstützung, die Einführung von Produktprämien, Schlachtprämien und umfangreiche Flächenstilllegungen einführte. Dass sich
im Zuge dieser Reform die Kalkulationsgrundlagen des landwirtschaftlichen Sachverständigen grundlegend änderten, liegt
auf der Hand. Allerdings führte die Einführung des vielschichtigen Prämiensystems nicht nur zu einer Verkomplizierung der
Sachverständigentätigkeit. Sie wurde auch z. B. durch detailliertere Erfassung quasi jedes Feldstücks und jedes Nutztiers in
der EU hinsichtlich der Datengrundlagen verbessert.
In der anschließenden Phase der gemeinsamen Agrarpolitik
wurden infolge der Luxemburger Beschlüsse vom 26.6.2003 die
Entkoppelung der Direktzahlungen, eine schrittweise Kürzung
der Prämien und mit dem Cross-Compliance-Ansatz die Einhaltung bestimmter Standards als Fördervoraussetzungen in der
landwirtschaftlichen Produktion umgesetzt.
In der nun aktuell zu realisierenden Agrarreform wird abermals ein völlig verändertes Prämiensystem in der Arbeit des
landwirtschaftlichen Sachverständigen zu berücksichtigen sein.
Das Prämiensystem verdeutlicht insbesondere in den EU-weiten Greeningauflagen, aber auch in nationalen Agrarumweltförderprogrammen, die skizzierte Tendenz, den Umweltschutzgedanken durch Bewirtschaftungsauflagen als Voraussetzung
für Einkommensbeihilfen rechtlich zu verankern.
3.3.Weiterentwicklung und Umsetzung des
Bewertungsinstrumentariums durch kluge
und kreative Köpfe
Die Entwicklung des landwirtschaftlichen Sachverständigenwesens ist nicht vorstellbar ohne die aktive Beeinflussung und
Gestaltung von innen, in Form von Forschung und Entwicklung
auf dem Gebiet der Taxationslehre, durch laufende Weiterentwicklung des Bewertungsinstrumentariums und dessen Umsetzung in die praktische Taxation.
Impulsgeber für die Entwicklungen des landwirtschaftlichen
Sachverständigenwesens waren einige kluge und kreative Personen. Die Wichtigsten wurden umfassend von Köhne in seinem Beitrag „Bedeutung und Entwicklung der landwirtschaftlichen Taxationslehre in Deutschland von ihren Anfängen bis
zur Gegenwart“ gewürdigt (Köhne, 2005, S. 9–43). Daraus kann
abgeleitet werden, dass der landwirtschaftlichen Taxationslehre zum Zeitpunkt der ersten HLBS-Sachverständigentagung
1953 nur sehr wenige, teilweise veraltete und überwiegend der
allgemeinen Agrarökonomie zugehörige Literaturquellen zur
Verfügung standen.
Als aktuelle Literatur der frühen 1950er-Jahre können denn
auch die Arbeiten Friedrich Aereboes, Professor in Bonn, Breslau, Hohenheim und Berlin angesehen werden. Er brachte 1912,
60
Aufsatz
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
1919 und 1928 eine Taxationslehre mit dem Titel „Beurteilung
von Landgütern und Grundstücken“ heraus.
In seinen Auflagen 1947 und 1952 brachte Walter Rothkegel eine „Landwirtschaftliche Schätzungslehre“ heraus. Er ist
außerdem Schöpfer des Bodenschätzungsgesetzes und darauf
aufbauend der Einheitsbewertung.
Alexander Fritzen veröffentlichte 1961 und 1966 sein stark
praxisorientiertes Werk über „Entschädigungsregelungen beim
Landentzug“, das die Weiterentwicklung der Entschädigungsrichtlinien Landwirtschaft maßgeblich beeinflusst hat.
In der Rückschau auf die letzten etwa 45 Jahre und Tagungen fällt schließlich eine Persönlichkeit in besonderem Maße
auf, die wie keine andere das landwirtschaftliche Sachverständigen- und Taxationswesen über den gesamten Zeitraum geprägt, gestaltet und weiterentwickelt hat: Professor Dr. Manfred
Köhne. Er hat nicht nur aktuelle Themen aufgegriffen, analysiert und systematisiert, er hat auch viele der HLBS-Sachverständigentagungen und der Seminare durch Vorträge bereichert. Seine Veröffentlichungen zeigten stets Wirkung.
Mit seinen Lehrbüchern, der „landwirtschaftlichen Bewertungslehre“, erschienen im Jahr 1978, sowie der „Landwirtschaftlichen Taxationslehre“, erschienen in vier Auflagen in den
Jahren 1987, 1993, 2000 und 2007, hat er zur wissenschaftlichen Durchdringung der landwirtschaftlichen Taxation, zur laufenden methodischen Weiterentwicklung des Bewertungsinstrumentariums und dessen Umsetzung in der Bewertungspraxis
Unvergleichliches geleistet. Ohne seine Initiative und Arbeit
wäre das landwirtschaftliche Sachverständigenwesen heute um
viele Problemlösungen und methodische Ansätze ärmer.
Zwei weitere Personen sind in diesem Zeitabschnitt noch zu
erwähnen, nämlich zum einen Dr. Clemens Bewer, der bereits
vor und in der Zeit Köhnes wertvolle praktische Bewertungsansätze entwickelte, so z. B. zur Arrondierungsbewertung, zur
Zinsanrechnungsproblematik, zu Hofnähe- und Hofanschlusszuschlägen, zu Pachtentschädigungen oder zum merkantilen
Minderwert. Zum anderen Dierk-Wilfried Moser, der in der gesamten Zeit die praktische und methodische Verkörperung für
landwirtschaftliche Pachtfragen war.
4.Chronologie der HLBS-Tagung als
Spiegelbild der inneren und äußeren
Einflüsse
So zeitlos der Impetus der Sachverständigentätigkeit ist, so interessant ist es dennoch, einen Rückblick darauf zu werfen, wie
er im Kontext des jeweiligen Zeitgeistes in der Organisation
und den Inhalten der vergangenen 60 Fachtagungen interpretiert wurde.
Die Idee, eine „Sachverständigentagung“ zu veranstalten,
entstand bereits 1952 und konnte dann im August 1953 realisiert werden. Tagungsort war damals Goslar und die Organisation der Veranstaltung sah neben einer Vorstandssitzung,
Vorträgen und Diskussionen auch eine Exkursion vor. Der heute bewährte Aufbau der Tagung deutete sich also bereits an,
wenngleich gerade die Exkursionen noch bis ins Jahr 1966 ein
wesentlicher Bestandteil der Tagungen blieben.
Agrar-Taxation
Im Zeitraum 1953 bis 1963 fand die Tagung insgesamt je
dreimal in Goslar und Bad Oeynhausen sowie je einmal in Bad
Godesberg, Bad Salzuflen, Berlin und Oldenburg statt. Thematisch bestimmten die Vorträge und Diskussionen dieser ersten
zehn Tagungen betriebswirtschaftliche Themen, aber auch zunehmende Konflikte der Landwirtschaft mit anderen Zweigen
des primären und auch des sekundären Sektors. Dieser thematische Fokus spiegelte genau die damals drängenden Fragen und Folgen der Wirtschaftswunderjahre wider. Während
die landwirtschaftliche Produktion enorme Effektivitäts- und
Effizienzsteigerungen erfuhr, priorisierte ein gesellschaftlicher
Hunger nach Wohlstand insbesondere ein Wachstum der Industrie. Dieser Prozess berücksichtigte die Auswirkungen von
Immissionen und Abwässern auf die Landwirtschaft kaum.
Landwirtschaftliche Betriebe, die bereits damals vor besonderen Herausforderungen der Spezialisierung, Rationalisierung
und Finanzierung standen, waren somit z. T. auch zunehmend
durch Industrieschäden betroffen. Immissionen wurden also –
konträr zu vielen Debatten der Gegenwart – im Kontext der
Betroffenheit und nicht etwa der Verursachung diskutiert.
Auch in der Periode von 1964 bis 1974 (11. bis 20. Tagung)
wirkte der landwirtschaftliche Strukturwandel thematisch auf
die HLBS-Sachverständigentagung. In diesem Zusammenhang
wurden Chancen für bäuerliche Familienbetriebe, Aspekte der
Betriebsplanung und überbetrieblichen Zusammenarbeit sowie Betriebspachten diskutiert. Daneben prägten die Tagung,
die nach Stationen in Freudenstadt, Münster, Bad Oeynhausen und Würzburg schließlich ab dem Jahr 1969 fest am Tagungsort Göttingen etabliert war, zunehmend auch juristisch
geprägte Entschädigungsfragen. Exemplarisch zu nennen sind
die Schlagworte Arrondierungsschäden, Erwerbsverlust, Restbetriebsbelastung oder merkantiler Minderwert.
Die 1970er- und 1980er-Jahre und somit im Wesentlichen
der Zeitraum der 21. bis 30. Tagung (1975-1984) waren gesellschaftlich insbesondere durch einen Wandel des Umweltverständnisses geprägt. Zunehmend wurden nun Immissionen im
Zusammenhang mit der Landwirtschaft auch unter dem Verursachergedanken diskutiert bzw. durch Bewirtschaftungsrestriktionen rechtlich im Natur- und Wasserschutz verankert. Diesen
Entwicklungen folgend wurden in der Weender Festhalle, in
der die Sachverständigen des HLBS noch bis 1988 tagten, auch
methodische Erweiterungen und neue Anlässe der Entschädigungsermittlung thematisiert.
Während der Jahre 1985 bis 1994 (31. bis 40. Tagung) griffen
die Sachverständigen die Folgen des Strukturwandels abermals
und gleich in mehrfacher Hinsicht auf: Zum einen drängte eine
zunehmende Spezialisierung ganzer Agrarregionen und insbesondere die Aufgabe vieler kleinerer viehhaltender Betriebe die
Frage auf, wie der resultierende Gebäudeüberhang sinnvoll genutzt werden könnte und zu bewerten ist. Zum anderen stellte dann die Wiedervereinigung den wohl wichtigsten gesellschaftlichen Wandel mit gleichzeitig enormem Einfluss auf das
Sachverständigenwesen dar, als auch aus landwirtschaftlicher
Perspektive zwei nunmehr vollkommen unterschiedlich strukturierte Gebiete eine gemeinsame Republik werden sollten. Die
HLBS-Tagung griff die sich vor dieser Herausforderung drän-
AgrB 6-2015
Agrar-Taxation
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
genden Fragen der Vermögensbewertung und -zuordnung,
aber auch der im Osten relativ bedeutenderen Landpacht auf.
Im weiteren Zeitverlauf war insbesondere die Arbeit der
BVVG bedeutend für die Sachverständigentätigkeit in den östlichen Bundesländern. Mit der Wiedervereinigung wurden zudem gesellschaftliche Veränderungen forciert, die indirekt auf
das Sachverständigenwesen wirkten. Auch stieg in dieser Zeit
die Anzahl der Ehescheidungen weiter an, sodass Bewertungsaufgaben in familienrechtlichen Zusammenhängen zunahmen.
Nicht den politischen Umbrüchen der Zeit geschuldet war hingegen der Ortswechsel, den die Sachverständigentagung 1989
vollzog. Noch bis ins Jahr 2006 tagte man nun im Hotel Freizeit
In, wo neben den genannten gesellschaftlichen Herausforderungen und agrarstrukturellen Folgen auch weiterhin Umweltschutzauflagen sowie Wirkungen der EU-Agrarpolitik thematisch aufgegriffen wurden.
Diese beiden letztgenannten Bewertungsaufgaben des
Sachverständigenwesens kennzeichneten auch den Zeitraum
der 41. bis 50. Tagung (1995-2004). Zudem wurde insbesondere die Novellierung der Entschädigungsrichtlinien Landwirtschaft thematisiert, die es an die veränderten technischen
Produktionsmöglichkeiten anzupassen galt. Daneben spielte
die Immobilienbewertung beispielsweise in Diskussionen über
Normalherstellungskosten von Gebäuden oder Rahmenbedingungen für Bauvorhaben in der Landwirtschaft auf der HLBSTagung eine bedeutende Rolle. Weitere aktuelle Themen waren
Bewertungen im Zusammenhang mit Versicherungsfällen, ökologischem Landbau und regenerativer Energien. In einem Umfeld, das beispielsweise durch sehr dynamische Entwicklungen
im EDV-Bereich (Internet, Satellitenfernerkundung, Datenbanksysteme) neue Wege der Büroorganisation ermöglichte, stand
schließlich im Jahr 1998 im Rahmen der Tagung eine Reflexion
der grundsätzlichen Anforderungen an das landwirtschaftliche
Sachverständigenwesen in Deutschland im Mittelpunkt der
Diskussion. Hierbei wurden bereits weitsichtig Trends der Vernetzung und Spezialisierung aufgezeigt.
Prägend für das letzte Jahrzehnt und mithin die Tagungen
51 bis 60 war aus landwirtschaftlicher Perspektive insbesondere der Trend zur Liberalisierung der Agrarmärkte und die z. T.
exzessiven und rasanten Veränderungen auf den Agrarrohstoff- und -faktormärkten. Die HLBS-Tagung, die nun seit dem
Jahr 2007 in der Göttinger Stadthalle verortet ist, griff sowohl
die hierdurch entstandenen Unsicherheiten in der Ableitung
marktgerechter Wertansätze und die Verwerfungen am Bodenmarkt als auch forcierte Konflikte bei Nutzungseinschränkungen und Landentzug auf.
5.Ausblick auf mögliche künftige
Entwicklungstendenzen des landwirtschaftlichen Sachverständigenwesens
Drei Trends unserer Gesellschaft seien hier herausgestellt und
ihre Folgen für mögliche künftige Entwicklungstendenzen des
landwirtschaftlichen Sachverständigenwesens dargestellt. Es
sind zu nennen:
●● der Trend zur Individualisierung,
AgrB 6-2015
Aufsatz
61
●● die Globalisierung und
●● der Trend zur Wissensgesellschaft.
Individualisierungstendenzen werden insbesondere im Bereich der Rechtsprechung, den Konsumgewohnheiten und in
der Vermögensbildung auf das landwirtschaftliche Sachverständigenwesen wirken. Auch wird der gesellschaftliche Trend
zu einer individuelleren Lebensführung weiter anhalten. Diese Individualisierung wird durch die Aufforderungen begleitet
werden, Bewertungen noch differenzierter als bisher vorzunehmen. Ebenso wird die Landwirtschaft die steigenden Wünsche
nach individuelleren Produkten und Qualitäten bedienen und
sich die Produktionsformen somit weiter differenzieren.
Das eröffnet Sachverständigen die Chance, in Teilen des
mittlerweile breiten methodischen Spektrums der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit, besondere Expertise
aufzubauen. Auch ist eine Annäherung des landwirtschaftlichen Sektors an die gewerbliche Wirtschaft wahrscheinlich. Der
Individualisierungstrend wird deshalb eine Einkommens- und
Vermögensdiversifizierung in vielen landwirtschaftlichen Betrieben forcieren. Will der landwirtschaftliche Sachverständige
hierbei kompetenter Ansprechpartner für ein breites Spektrum
an Bewertungsobjekten bleiben, so ist zu prüfen, wie originär
landwirtschaftliche Mandate bei einem erweiterten Aufgabenfeld betreut werden können.
Die Globalisierung ist für das landwirtschaftliche Sachverständigenwesen durch eine Zunahme der Vernetzung der Waren- und Informationsströme in der Agrarwirtschaft von mittelbarer Bedeutung. Bereits in jüngerer Vergangenheit war zu
beobachten, dass die globale Vernetzung auch zu einer Erhöhung der Abhängigkeiten und der Störanfälligkeiten der Agrarrohstoffmärke führen kann. Dies wird sich beispielsweise in
steigenden Preisvolatilitäten zeigen. Hierdurch können in der
Taxation steigende Unsicherheiten bezüglich der Angemessenheit von Bewertungsansätzen entstehen. Der landwirtschaftliche Sachverständige wird deshalb zum einen zukünftig in noch
höherem Maße als bisher die aktuellen und mittelfristigen Entwicklungen auf den Agrarrohstoffmärkten verfolgen müssen.
Zum anderen ist eine weitere methodische Fundierung der
Gutachtertätigkeit unabdingbar, welche die Transparenz der
Bewertungsergebnisse im Kontext der verwendeten Daten und
getroffenen Annahmen betont.
Unsere Gesellschaft entwickelt sich zudem zu einer Wissensgesellschaft. Da Informationen dabei zunehmend leichter
verfügbar sind, aber auch in immer kürzeren Abständen durch
neue Informationen ergänzt oder überholt werden, muss der
Sachverständige zukünftig neben Faktenwissen insbesondere
in der Darstellung von Zusammenhängen der landwirtschaftlichen Produktion methodisch glänzen. Zusätzlich werden Informationsvorsprünge entscheidend für die Behauptung am Markt
sein. Dies erfordert einen ständigen methodischen Austausch
und eine proaktive Offenheit zu neuen Bewertungsthemen und
auch zu angrenzenden Berufsgruppen, wie sie beispielsweise in
einigen anderen Ländern, die über ein professionelles Angebot
an Sachverständigen- und Beraterdienstleistungen verfügen,
bereits selbstverständlich praktiziert werden (Schlieckau und
62
Aufsatz
60 HLBS-Tagungen: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigentätigkeit
Köhne, 2010, S. 13–22). Der Sachverständige sollte somit auch
in Deutschland um einen intensiven Austausch mit Rechtsanwälten, Steuer- und Unternehmensberatern bemüht sein. Auch
ein Wissensaustausch mit seriösen Immobilienmaklern kann
die Entwicklung marktgerechter Bewertungsmethoden fördern.
Alleine wird der landwirtschaftliche Sachverständige diese
Herausforderungen wahrscheinlich weniger gut bewältigen.
Neben Kooperationen wird deshalb der Zusammenschluss zu
größeren Büroeinheiten weiter an Bedeutung gewinnen. Ebenso werden nebenberufliche Sachverständigentätigkeiten nur
noch in wenigen und methodisch stark standardisierten Bewertungsfällen erfolgreich sein können. Eine Konzentration auf
hauptberufliche Sachverständige erscheint angebracht.
Kontakt und Kooperation mit spezialisierten Sachverständigen und anderen Berufsgruppen sollten jedoch nicht als Auflösungstendenzen der Zuständigkeit des landwirtschaftlichen
Sachverständigen verstanden werden. Dieser kann sich weiterhin als unabhängige Instanz zur Bewertung in Streitfragen aus
der Lebenswirklichkeit landwirtschaftlicher Betriebe verstehen.
Wenn er akzeptiert, dass sich diese im gesamtgesellschaftlichen
Kontext fortwährend ändert, dann wird die Aufnahme weiterer
Bewertungsanlässe diese Lebenswirklichkeit realistischer abbilden. Zu denken ist hier beispielsweise an die Bewertung von
Immobilien oder Anlagen der regenerativen Energien.
Angesichts dieser Herausforderungen ist es dem landwirtschaftlichen Sachverständigenwesen zu wünschen, dass auch
weiterhin v. a. mit der Göttinger Tagung der Mut zu einer kritischen Reflexion der praktizierten Bewertungsansätze stetig
erneuert wird und ein Geist der Offenheit die Tagungsthemen
und Diskussionen fortwährend belebt.
Literatur:
Bewer, C.: Restbetriebsbelastung. Schriftenreihe des HLBS,
Heft 11, HLBS Verlag, 1973
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
(Hrsg.): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Münster: Landwirtschaftsverlag
Münster Hiltrup, 2013
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten (Hrsg.): Statistisches Handbuch über Landwirtschaft und Ernährung der Bundesrepublik Deutschland.
Hamburg und Berlin: Verlag Paul Parey, 1957 und 1975
Heißenhuber, A. und M. Gandorfer: Landwirtschaftliche Betriebslehre: Skaleneffekte – sind sie ein realitätsnaher Erklärungsansatz. Beitrag zur Organized session:
„Brauchen wir eine post-autistische Agrarökonomie?“ im
Rahmen der 52. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e.V.,
2012
Huinink, J.: Wandel der Familienentwicklung: Ursachen
und Folgen. In: Informationen zur politischen Bildung
Nr. 301/2009, abrufbar unter: www.bpb.de/izpb/8036/wandel-der-familienentwicklung-ursachen-und-folgen?p=all
Agrar-Taxation
Kermer, S.: Verstädterung, Migration und wirtschaftliche
Entwicklung. Berlin: LIT Verlag, 2007
Köhne, M.: Arrondierung als Rechtsposition. In: Agrarrecht 1983, S. 201-204
Köhne, M.: Bedeutung und Entwicklung der landwirtschaftlichen. In: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigenpraxis, Schriftenreihe des HLBS,
Heft 171, HLBS Verlag, 2005
Köhne, M.: Die „Entschädigungsrichtlinien Landwirtschaft
1963“ im Lichte ökonomischer Theorie. In: Agrarrecht
3(11), 1973, S. 341-354
Miedaner, T.: Kulturpflanzen: Botanik – Geschichte – Perspektiven. Berlin und Heidelberg: Springer Verlag, 2014
Moser, D.-W.: 50 HLBS-Fachtagungen. In: Entwicklungslinien der landwirtschaftlichen Sachverständigenpraxis,
Schriftenreihe des HLBS, Heft 171, HLBS Verlag, 2005
Pannell, D.J.: Flat Earth Economics: The Far-reaching Consequences of Flat Payoff Functions in Economic Decision
Making. In: Review of Agricultural Economics 28(4), 2006,
S. 553-566
Schlieckau, A. und M. Köhne: Organisation und Taxationsmethodik des land-wirtschaftlichen Sachverständigenwesens in ausgewählten Ländern (Vereinigtes Königreich,
USA, Niederlande) und Folgen für Deutschland. In: HLBS
Report 1/2010, S. 13-22
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch
für die Bundesrepublik Deutschland 1955. Stuttgart und
Köln: W. Kohlhammer Verlag, 1956
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch
für die Bundesrepublik Deutschland 2014. Wiesbaden:
o.V., 2014
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für
die Bundesrepublik Deutschland 1991. Stuttgart: Metzler
und Poeschel Verlag, 1991
Dr. Dieter Wenzl, öffentlich bestellter
vereidigter Sachverständiger, HLBS-Vizepräsident a. D., München
Dr. Martin Philipp Steinhorst,
BLB Agrarberatung GmbH, München
Heinrich Thummert, öffentlich bestellter vereidigter Sachverständiger, BLB Agrarberatung
GmbH, München
AgrB 6-2015
Agrar-Taxation
Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen bei den Gutachterausschüssen
Aufsatz
63
Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche
Nutzflächen bei den Gutachterausschüssen
Synopse zur Situation in ausgewählten Bundesländern
von Dr. Jörg Spinda, Heinrich Thummert und Dr. Hans-Werner Uherek (Mitglieder der
Arbeitsgruppe Vergleichspreise des Sachverständigenausschusses des HLBS)
V
ergleichspreise sind für den mit der Grundstücksbewertung beschäftigten landwirtschaftlichen
Sachverständigen eine grundlegende Basis seiner Arbeit. Genau aus diesem Grund hat der Sachverständigenausschuss des HLBS die Arbeitsgruppe mit der Aufgabe beauftragt, die unterschiedlichen Situationen in den Bundesländern zu recherchieren und zu analysieren. Zusätzlich wurde ermittelt,
wie den Sachverständigen Informationen zum regionalen Geschehen auf dem Grundstücksmarkt über
Bodenrichtwerte mitgeteilt werden bzw. aus dem Netz zu entnehmen sind. Die Arbeitsgruppe Vergleichspreise berichtet in diesem Beitrag über die Ergebnisse ihrer umfangreichen Erhebungen.
Übersicht
1.Ausgangspunkt
2.Fragenkatalog
3. Ergebnisse der Befragung
4.Schlussbemerkungen
1.Ausgangspunkt
Ausgangspunkt der Fragestellung war der Umstand, dass im
Freistaat Bayern die „Verordnung über den Erlass des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz“ per 1.7.2012 geändert
wurde und so mindestens 20 €/Vergleichspreis entstanden.
Spitzenreiter unter den bayerischen Gutachterausschüssen
forderten einen Mindestpreis von 250 €/Auskunft einschl. acht
Vergleichspreise. Der Landesverband Bayern des HLBS hat
sich hierzu mit dem Staatsministerium des Inneren in Verbindung gesetzt und neben der Gebührenhöhe auch die weitere
Verschlechterung der Wettbewerbslage der selbstständigen
Sachverständigen gegenüber den Gutachten der Gutachterausschüsse hingewiesen. In diesem Zusammenhang entstand
im Sachverständigenausschuss des HLBS das Anliegen, einen
deutschlandweiten Überblick zum Thema zu erstellen.
2.Fragenkatalog
Mit dem vorgelegten Fragebogen wurde das Ziel, bei Befragung und Erfassung möglichst vergleichbare Informationen
einzuholen, angestrebt. Die Fragen waren:
1. Wie detailliert werden die Kaufpreise für land- und forstwirtschaftliche Flächen erfasst (Flächen getrennt nach
Ackerland und Grünland, Ausweis der Ackerzahl bzw. Grün-
AgrB 6-2015
landzahl des Kaufobjekts)? Wird bei Wald unterschieden,
ob die Fläche mit oder ohne Aufwuchs gehandelt wurde?
2. Wird die Erfassung der Kaufpreise in Ihrem Bundesland bei
allen Gutachterausschüssen – GAA einheitlich gehandhabt?
3. Welche Kosten werden für die Kaufpreisauskünfte erhoben?
(z. B. für 5, 7, 14 Kaufpreise)
4. Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert die Kostenerhebung? Bitte die Quelle genau bezeichnen oder mitliefern.
5. Welche Informationen erhält der Sachverständige über die
Kaufobjekte bezüglich ihrer regionalen Lage bei der Auskunft? (z. B. Gemarkung, Flur, Flurstück)
6. Wird bei der Herausgabe der Detailinformationen zwischen
den verschiedenen Antragstellern unterschieden? (z. B. öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gegenüber nicht bestellten Sachverständigen)
7. Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert die Auskunftserteilung? Bitte die Quelle genau bezeichnen oder mitliefern.
8. Wie können in Ihrem Bundesland Auskünfte zu den Bodenrichtwerten für land- und forstwirtschaftliche Flächen eingeholt werden? (z. B. frei im Internet zugänglich, Auskünfte
persönlich, telefonisch und/oder schriftlich)
9. Welche Kosten entstehen für die persönlichen, telefonischen oder schriftlichen Auskünfte über Bodenrichtwerte
für land- und forstwirtschaftliche Flächen?
10.Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert die Kostenerhebung für die Bodenrichtwertauskunft? Bitte die Quelle
genau bezeichnen oder mitliefern.
Nachfolgend kurze Erläuterungen zu den Fragen: Fragen 1
und 2 befassen sich mit Qualität der Datenerhebung bei landund forstwirtschaftlichen Nutzflächen einschließlich Wald
durch die GAA. Fragen 3 und 4 dienen der Ermittlung der Kosten für Kaufpreisauskünfte und der Erfassung der gesetzlichen
Grundlagen. Fragen 5 bis 7 beziehen sich auf die Lagebezogenheit der Auskunft zu Vergleichskaufpreisen sowie der Differenzierung je nach Antragsteller einschließlich der gesetzlichen
64
Aufsatz
Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen bei den Gutachterausschüssen
Agrar-Taxation
Grundlage. Fragen 8 bis 10 zielen auf Bodenrichtwerte, deren
Zugänglichkeit und der Kostenerhebung ab.
Es gelang, Informationen aus allen Bundesländern außer
Berlin, Bremen und dem Saarland zusammenzutragen. Eine
Besonderheit, die sich in der Auswertung zeigte, sind die Gegebenheiten in Baden-Württemberg. Durch die Ansiedlung
der Gutachterausschüsse auf Gemeindeebene, also ca. 900
Gutachterausschüssen (2014) im Lande, sind landesbezogene
Aussagen kaum zu erstellen und es wird deshalb nachfolgend
i. d. R. von den zwölf erfassten Bundesländern (ohne BadenWürttemberg) ausgegangen.
war nicht bekannt. In Nordrhein-Westfalen ist die Besonderheit
festzustellen, dass im Rheinland die Bonität erfasst/mitgeteilt
wird und in Westfalen hingegen nicht.
Unverständlich ist, wenn zum Beispiel in Sachsen, wo die
Gutachterausschüsse unmittelbar den Katasterämtern zugeordnet sind, kein Bonitätsausweis möglich ist, in Sachsen-Anhalt bei analoger Behördenzuordnung hingegen grundsätzlich
eine Mitteilung der Acker- und Grünlandzahl erfolgt.
3.Ergebnisse der Befragung
Vier der zwölf Länder weisen das Merkmal mit und ohne den
Bestand aus, wobei in Sachsen-Anhalt sogar nach Laub-, Mischund Nadelwald differenziert wird (und mittlerweile flächendeckend für Waldgebiete Waldbodenrichtwerte vorliegen). Sechs
Länder nehmen in der Regel keine Differenzierung vor oder
es war nicht bekannt, ob eine getrennte Erfassung erfolgte.
Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen nehmen dann
eine Differenzierung vor, wenn im Kaufvertrag oder in zurückgesandten Fragebögen eine Aufteilung zwischen Waldboden
und Waldbestand erkennbar ist.
Nachfolgend werden die Ergebnisse der Befragungen in Form
der Mitteilungen der Rückläufe aus den Fragebögen dargestellt
(Darstellung 1). Nur in Ausnahmefällen wurden die Daten von der
Arbeitsgruppe telefonisch oder anderweitig nachrecherchiert.
Darstellung 1: Informationen zur Detailliertheit der Kaufpreisauskünfte zu
land- und forstwirtschaftlichen Flächen in den erfassten Bundesländern
Länder Trennung
AL / GL
BY
i. d. R. Nein
BB
Ja
HH
Ja
HE
Ja
MV
Ja
NI
Ja
NRW
Ja
RP
Ja
SN
Ja
ST
Ja
SH
Ja
TH
Ja
Ausweis AZ / GLZ Waldfläche mit /
ohne Bestand
z. T.
i. d. R. Nein
Ja
Ja
Ja
Nein
Nein (unbekannt) Ja
Ja (überwiegend) z. T.
Ja (überwiegend) z. T.
Ja (überwiegend) Nein
Nein
Nein (unbekannt)
Nein
Ja
Ja
Ja
Ja
Nein
Ja (überwiegend) Nein
3.1 Trennung Ackerland/Grünland
In elf der zwölf erfassten Bundesländer findet nach den vorliegenden Informationen bei der Auskunft eine Trennung von
Ackerland- und Grünlandkauffällen statt. Vereinzelte Einschränkungen werden genannt, wenn auf den Kaufobjekten Ackerland
und Grünland gleichzeitig vorhanden sind. Verwunderlich ist,
dass in Bayern die Ableitung der Nutzungsart vielfach anhand
der Grundbucheintragung erfolgt und dadurch z. T. nicht der
tatsächlichen Nutzung entspricht. Dieser Mangel lässt sich aber
durch den Sachverständigen, bei Mitteilung der Flurstücksnummer, durch Nachschau im BayernAtlas-plus, beseitigen.
3.2 Ausweis Acker- und Grünlandzahl/Erfassung
in der Kaufpreissammlung
Eindeutig mit Ja wird der Ausweis der Bonität in vier Bundesländern benannt, in vier Bundesländern wird ein überwiegender Ausweis genannt (hier auch Nordrhein-Westfalen gewertet)
und in drei Ländern erfolgt keine Angabe oder der Sachverhalt
3.3 Waldflächen Differenzierung mit/ohne
Bestand
3.4 Standardisierung der Kaufpreiserfassung im
Bundesland
In sechs Bundesländern wird die Kaufpreiserfassung nach landeseinheitlichen Kriterien vorgenommen. Besonders bekannt ist
dabei die automatisierte Kaufpreissammlung in Niedersachsen,
welche z. B. auch in Brandenburg sowie eine Reihe anderer Gutachterausschüsse übernommen und landesspezifisch untersetzt
wurde. Organisatorisch interessant und bundesweit einmalig
ist, dass es in Sachsen-Anhalt seit dem 1.3.2014 nur noch einen
landesweiten Gutachterausschuss mit vier Geschäftsstellen gibt.
Diese deutliche organisatorische Straffung ermöglicht natürlich
eine sehr hohe Standardisierung der Kaufpreiserfassung. Dafür
sind andere Nachteile vorhanden, auf die später noch eingegangen wird.
In sechs Bundesländern wird angegeben, dass keine landesweite Standardisierung vorliegt. Bekannt ist dabei, dass z. B. in
Sachsen eine solche schon deshalb nicht erfolgen kann, da in den
13 bei den Landkreisen angesiedelten Gutachterausschüssen unterschiedliche EDV-Erfassungsprogramme vorliegen. Derartige
Differenzierungen beeinträchtigen bzw. verhindern leider die landesweite Auswertung von Daten, was insbesondere bei relativ selten auftretenden Kauffällen bedauerlich ist, da hier z. T. erst eine
landesweite Zusammenführung der Kauffälle einen auswertbaren
Datenbestand ergibt. Darauf hat auch der Mitte 2014 errichtete Obere Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Freistaat
Sachsen keinen Einfluss, da er diesbezüglich den Gutachterausschüssen auf Landkreisebene nicht weisungsberechtigt ist.
3.5 Kosten der Kaufpreisauskunft
Die Regelungen zur Erhebung der Kosten für Kaufpreisauskünfte sind zwischen den Ländern deutlich differenziert, wie
die Darstellungen 2 und 3 zeigen.
AgrB 6-2015
Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen bei den Gutachterausschüssen
Agrar-Taxation
Aufsatz
65
Darstellung 2: Vergleich der Kosten für Kaufpreisauskünfte in den erfassten Bundesländern
Bundesland
BY
BB
HH
HE
MV
NI
NRW
SN
ST
SH
TH
Kostenregelung
übliche Kosten einer Auskunft
5 Kauffälle
7 Kauffälle
14 Kauffälle
20 Kauffälle
in €
relat.
in €
relat.
in €
relat.
in €
relat.
landeseinheitlich mit offener Spanne
110 183 %
150 250 %
290 483 %
410 683 %
landeseinheitlich
60 100 %
80 133 %
100 167 %
120 200 %
landeseinheitlich
402 670 %
402 670 %
402 670 %
402 670 %
landeseinheitlich
75 125 %
75 125 %
95 158 %
125 208 %
landeseinheitlich
75 125 %
85 142 %
120 200 %
150 250 %
landeseinheitlich
60 100 %
60 100 %
60 100 %
60 100 %
landeseinheitlich
120 200 %
120 200 %
160 267 %
220 367 %
landkreisspezifisch
100 167 %
120 200 %
190 317 %
250 417 %
landeseinheitlich
55
92 %
65 108 %
100 167 %
130 217 %
landkreisspezifisch
65 108 %
71 118 %
92 153 %
110 183 %
landeseinheitlich
85 142 %
105 175 %
175 292 %
235 392 %
Darstellung 3: Grafische Gegenüberstellung der Kosten für Kaufpreisauskünfte
in den erfassten Bundesländern
Am klarsten ist die Kostenerhebung bei feststehenden landeseinheitlichen Regelungen, was in
8 der erfassten Länder der Fall ist.
Am klarsten ist die Kostenerhebung bei feststehenden landeseinheitlichen Regelungen, was in 8 der erfassten Länder der
Fall ist.
Am klarsten ist die Kostenerhebung bei feststehenden landeseinheitlichen Regelungen, was in acht der erfassten Länder
der Fall ist. Die Regelungen in Sachsen und Schleswig-Holstein,
die Gebühren mit feststehenden Gebührenregelungen auf
Landkreisebene festzulegen, sind ebenfalls gut für die Nachvollziehbarkeit der Kaufpreisauskunftskosten. Warum es keine
landeseinheitlichen Regelungen gibt, ist eine politische Frage bzw. Entscheidung. Zumindest in Sachsen ist in der Praxis
festzustellen, dass die Gebührenhöhe zwischen den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten weitgehend übereinstimmt.
Die landeseinheitlichen Regelung mit offenen Spannen hat
für den Nutzer die größte Unklarheit. Wenn z. B. in RheinlandPfalz in der Gebührenordnung steht: „Auskünfte aus der Kaufpreissammlung für den Bereich eines Gutachterausschusses
gedruckt oder als druckaufbereitete Datei 41,00 bis 540,00 €“,
ist es völlig unklar, was die Kaufpreisauskunft kostet. Eine solche Regelung lässt viel Raum für subjektive Entscheidungen
und selbst eine nochmalige Nachfrage beim Oberen Gutachterausschuss brachte keine für unseren Vergleich nutzbare Kostenangabe. Aus diesem Grund fehlen Angaben zu RheinlandPfalz in den Darstellungen 2 und 3.
AgrB 6-2015
In Bayern sind ebenfalls laut landesrechtlichen Vorschriften
(Kostenverzeichnis zum Kostengesetz) zwischen 20 und 350 €
je übermitteltem Vergleichswert vorgeschrieben. In der Praxis
hat sich davon jedoch je nach Gutachterausschuss eine teilweise abweichende Handhabung herausgebildet. So sind Kosten
von 20,00 € je Vergleichspreis, bei Grundgebühren von 10 € bis
90 € vorzufinden, die auch so in unsere Auswertung eingeflossen sind. Bekannt ist es aber auch, dass es noch Gutachterausschüsse gibt, die nur 5 € je Datensatz erheben.
Die oben dargestellten Erfassungen zu den Kosten von Kaufpreisauskünften sind wie folgt einzuschätzen: Die dargestellte
Auswertung zeigt eine extreme Schwankung der festgestellten
Kosten für Kaufpreisauskünfte zwischen den erfassten Bundesländern.
Der Ausgangspunkt für die Relativierung soll das Kostenniveau in Niedersachsen sein. Niedersachsen ist das positivste
Beispiel aller Bundesländer. Hier beträgt die Grundgebühr je Abfrage einschließlich 20 Vergleichsfälle 60 € und je über 20 hinausgehende Vergleichswerte werden nur 6 €/10 Werte erhoben.
In der unerfreulichen Richtung hervorstechend ist der Gutachterausschuss Hamburg. Hier werden für eine Auskunft mindestens 402 € bis 30 Vergleichsfälle und darüber hinausgehend
4 €/Vergleichswert erhoben. Bei fünf Vergleichsfällen in der
Stichprobe ergibt sich daraus, dass die Gebühr im Vergleich zu
Niedersachsen 675 % beträgt und selbst im Vergleich zu den
drei nächsthöchsten Werten in Nordrhein-Westfalen, Bayern
und Sachsen ist der Hamburger Wert fast viermal so hoch.
Bei fünf Kauffällen in der Auskunft weisen auch Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein fast gleich günstige Werte von rund 60 € wie Niedersachsen auf.
Bei 20 Kauffällen in der Auskunft, wie wir sie in der landwirtschaftlichen Bewertung doch öfters in die Stichprobe einbeziehen müssen, hat sich Bayern (in der von uns gewählten
Berechnungsvariante) mit 410 € über den Hamburger Wert von
402 € geschoben. Gefolgt werden diese Werte von denen in
Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen die bei bzw. über
220 € für die Kaufpreisauskunft liegen.
Neben den Kosten je Auskunft darf aber auch nicht die Qualität der Kaufpreisauskunft vergessen werden (Stichwort Anonymisierung der Lage). Auf diesen Punkt wird später noch eingegangen.
66
Aufsatz
Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen bei den Gutachterausschüssen
Zusammenfassend zur Auswertung der Kosten für die Kaufpreisauskünfte für land- und forstwirtschaftliche Flächen ist
festzustellen:
●● Es besteht eine enorme Differenziertheit zwischen den
Bundesländern.
●● Gebühren von über 400 € für fünf oder sieben Vergleichspreise sind nicht zu rechtfertigen.
●● Die z. T. extrem hohen Gebühren für Kaufpreisauskünfte
gefährden die Wettbewerbssituation zwischen den Sachverständigen und den Gutachterausschüssen.
Der HLBS-Landesverband Bayern hat mit dem Bayerischen
Staatsministerium des Inneren zur Begrenzung der Kostenbelastung für die landwirtschaftlichen Sachverständigen folgende
Lösung gefunden:
Die Geschäftsstelle des jeweiligen Gutachterausschusses
lässt dem Sachverständigen auf entsprechenden Antrag kostenfrei eine Vorauswahl aller Kauffälle landwirtschaftlich genutzter
Grundstücke innerhalb eines vom Sachverständigen bestimmten
angemessenen Umgriffs ohne Angabe des Kaufpreises zukommen. Der Sachverständige wählt damit die Vergleichsfälle aus, zu
denen er eine Kaufpreisauskunft benötigt und stellt einen entsprechenden Antrag. Erst die Erteilung der vollständigen Auskunft (mit Angabe des Kaufpreises) für diese Grundstücke stellt
dann die gebührenpflichtige Amtshandlung dar.
Diese Regelung, die der HLBS-Landesverband Bayern erreicht hat, ist sehr begrüßenswert.
3.6 Detailliertheit der Informationen der
Vergleichskaufpreisauskünfte
Darstellung 4 zeigt in welcher Detailliertheit zur Kaufobjektlage
und an welche Auftraggeber/Sachverständige-SV die Gutachterausschüsse Informationen übermitteln.
Darstellung 4: Detailliertheit der Kaufpreisauskünfte zur Katasterbezeichnung
und einbezogener Kreis der Antragsteller in den erfassten Bundesländern
Länder Mitteilung
Katasterbezeichnung
BY
überwiegend
ja ( z. T. nach
Antrag)
BB
ja
HH
ja
HE
ja
MV
nein / ja nur bei
Gerichtsauftrag
NI
nein / ja nur bei
Gerichtsauftrag
NRW ja
RP
ja
SN
ja
ST
nein
An welche Antragsteller?
nur an öffentlich bestellte und
vereidigte-öbv SV (gesetzliche
Schweigepflicht)
nur an öbv SV und zertifizierte SV
nur an öbv SV
nur an öbv SV und zertifizierte SV
Auskunft bei berechtigtem Interesse
Auskunft berechtigtem Interesse
nur bei berechtigtem Interesse, darunter öbv SV und zertifizierte SV
nur an öbv SV und zertifizierte SV
und vom Gericht bestellte SV
Auskunft bei berechtigtem Interesse
SH
TH
ja
ja
Agrar-Taxation
nur an öbv SV
nur an öbv SV und zertifizierte SV
Erhebliche Unterschiede bestehen zwischen den Bundesländern auch im Grad der Detailliertheit und Lagebezogenheit der
Informationen, die mit den Vergleichskaufpreisen verbunden
sind und letztlich die Qualität der Auswertung der Vergleichskaufpreise bestimmen:
●● Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige (bzw.
vergleichbare zertifizierte Sachverständige oder andere Sachverständige bei Gerichtsaufträgen) erhalten in
den Bundesländern Brandenburg, Hamburg, Hessen,
Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Schleswig-Holstein und
Thüringen die Katasterangaben oder Karten mit Einträgen zur Identifikation der Grundstücke – teilweise nur auf
entsprechende Anforderung. Das trifft nach den vorliegenden Informationen überwiegend auch auf die Gutachterausschüsse in Bayern zu.
Bei Anfragen an den Oberen GAA in Brandenburg
(Auskünfte über den Zuständigkeitsbereich eines GAA hinausgehend) sind darüber hinaus auch die Koordinaten
der Grundstücke erhältlich.
●● In Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen werden diese Daten nur bei Gerichtsaufträgen herausgegeben. Ansonsten sind die Vergleichspreise nur den
Gemarkungen zuzuordnen. Das trifft auch auf SachsenAnhalt zu. Dort ist nur bei einer gerichtlichen Anordnung
(mündliche Mitteilung) eine Katasterangabe möglich (die
Verordnung über den Gutachterausschuss für Grundstückswerte vom 18. Dezember 2013 (GVBl. LSA S. 555)
= GutVO enthält dazu keine Angaben). In diesen drei
Bundesländern ist in normalen Verkehrswertermittlungen
damit eine umfassende Vergleichswertauswertung deutlich eingeschränkt, da ggf. wertbeeinflussende Merkmale
(Lage, Ausformung u. Ä.) im Einzelfall nicht feststellbar
sind. Insofern relativiert sich an dieser Stelle die Aussage zu den Kosten einer Vergleichskaufpreisauskunft. Im
kostengünstigsten Bundesland Niedersachsen und in den
auch noch günstigen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ist die Aussagekraft der
Vergleichskaufpreise deutlich eingeschränkt. Positiv ist
für Sachsen-Anhalt hervorzuheben, dass in der Auskunft
Angaben zur Pachtbindung enthalten sind, sodass dieses
Merkmal (mit Einschränkungen) gewürdigt werden kann.
Insgesamt ist es als positiv anzusehen, dass die öffentliche
Bestellung und Vereidigung in der überwiegenden Anzahl der
Bundesländer eine auch bei der Kaufpreisauskunft besondere
Bedeutung hat. Darin kommt die herausgehobene Stellung des
öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zum
Ausdruck und ist gleichzeitig eine Anerkennung dieser Qualifikation.
Die Arbeitsgruppe ist sich trotz aller gesammelter Verordnungen und Richtlinien bewusst, dass die unmittelbare Ausführung von Vergleichspreisauskünften und von Angaben
zu diesen Vergleichskaufpreisen vor Ort sehr vom subjektiven
AgrB 6-2015
Agrar-Taxation
Auskünfte zu Vergleichspreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen bei den Gutachterausschüssen
Aufsatz
67
Für Auskünfte zu Bodenrichtwerten
per Internet werden nur in
Bundes- Auskunftsmöglichkeit zu
Kosten der Bodenrichtwertauskunft
Niedersachsen
immer Gebühren
land
Bodenrichtwerten
fällig, und zwar 5 €/15 Minuten
BY
Schriftlich und z. T. Internet
Zwischen 20 € bis 350 € je BRW
Einsicht in die BRW-Karten (einBB
Internet, schriftlich
Schriftlich i. d. R 13 €/Auskunft
schließlich Ausdrucke). Die JahresliHH
Internet, schriftlich und Telefon Telefon + schriftlich gegen Gebühr
zenz kostet 195 €. Ansonsten ist die
HE
Internet, schriftlich
Schriftlich i. d. R. 20 €/Auskunft
Internetnutzung – soweit vorhanMV
Internet, schriftlich
Schriftlich 20 €/BRW + 5 € je zus. BRW
den – kostenfrei. In Sachsen-Anhalt
NI
Internet, schriftlich, CD, Karten Kostenpfl., Internet 5€/15 min; 195 €/Jahr
NRW
Internet, schriftlich
Intern. Basisdienst kostenfrei; schriftl. 8 €/BRW ist ein Premiumdienst verfügbar für
215 €/Jahr (einschließlich Ausdruck
RP
Internet, schriftlich
Intern. Basisdienst kostenfrei, Premiumdienst
amtlicher BRW-Auskünfte und
1.100 €, schriftl. gebührenpflichtig
Flurstücks-/Adressensuchfunktion).
SN
Internet (landkreisspez.) usw.
schriftlich i. d. R. 20 €/Auskunft
Dieser Premiumdienst kostet in
ST
Internet, schriftlich
Intern. Basisdienst kostenfrei, Premiumdienst
Rheinland-Pfalz 1.100 €/Jahr (oder
215 €, schriftl. gebührenpflichtig
80 € je Landkreis).
SH
Internet, schriftlich
Gebühr für schriftliche Auskunft je LK
Schriftliche Auskünfte oder AusTH
Internet, schriftlich
Schriftlich 1. Wert 20 €/Auskunft, dann 10 €
züge aus der Bodenrichtwertkarte
Kontakt zwischen dem Sachverständigen und den Mitarbeitern
(mit beschreibenden Merkmalen) sind dagegen faktisch in alder Geschäftsstelle abhängt. Dieser in den Informationen der
len Bundesländern kostenpflichtig.
Fachkollegen häufig genannte Sachverhalt findet jedoch kei4.Schlussbemerkungen
nen Eingang in unsere Auswertungen, da dort nur objektive
Sachverhalte dargestellt werden, die für alle Sachverständige
Die Erfassung und Auswertung von Vergleichskaufpreisen hat
zutreffend sein sollen.
eine zentrale Stellung in der Arbeit des mit der BodenwertermittWie extrem der subjektive Faktor bei der Erteilung von Verlung beschäftigten landwirtschaftlichen Sachverständigen. Dabei
gleichskaufpreisauskünften sein kann, zeigt ein Beispiel aus
zeigt die Auswertung (Stand: 13.11.2014), dass hierfür zwischen
Sachsen. Obwohl Sachsen sehr gutachter-freundliche gesetzliden erfassten Bundesländern zum Teil deutliche Unterschiede bei
che Regelungen hat, wird in einem Gutachterausschuss grundder Aussagekraft der bereitgestellten Daten und den dabei entsätzlich keine Auskunft zu Kaufpreisen landwirtschaftlicher Flästehenden Kosten bestehen. Festzuhalten ist auch, dass es noch
chen gegeben, bis die jeweils neuen Bodenrichtwerte (BRW)
einige Bundesländer gibt, in denen auch öffentlich bestellten und
festgelegt sind. Dies bedeutet bei zweijährigem Turnus der
vereidigten Sachverständigen keine lagespezifischen Auskünfte
BRW-Feststellung und fast einem Jahr Bearbeitungszeit bis zur
zu den Kauffällen gegeben werden.
Herausgabe der Bodenrichtwerte, dass eine Datensperre von
Ziel muss es sein, die Regelungen zur Kaufpreisauskunft so
mindestens zwei bis drei Jahren gegenüber den landwirtschaftzu beeinflussen, dass es zu keiner Verschlechterung der Wettbelichen Sachverständigen besteht.
werbslage der selbstständigen Sachverständigen gegenüber den
3.7Bodenrichtwerte
Gutachten der Gutachterausschüsse kommt und zwar sowohl
hinsichtlich der Kosten als auch der Qualität der Informationen.
Als positiv ist festzustellen, dass in vielen der ausgewerteten
zwölf Bundesländern die Bodenrichtwerte frei im Internet verfügbar sind oder persönlich/telefonisch kostenfrei abgefragt
Dr. Jörg Spinda, Dipl.-Ing. agr., öffentlich
werden können. Die Möglichkeit, telefonisch Auskünfte über
bestellter und vereidigter Sachverständiger,
BRW zu erhalten, wird dabei offensichtlich immer mehr eingeAschersleben
schränkt. Die zum Teil verständlichen Gründe der Geschäftsstellen liegen in der Unsicherheit der Verwendung solcher teHeinrich Thummert, Dipl.-Ing. agr., öffentlich
lefonischer Angaben. Darstellung 5 zeigt eine Übersicht zu den
bestellter und beeidigter Sachverständiger
Möglichkeiten und den Kosten von Bodenrichtwertauskünften.
für landwirtschaftliche Bewertung und
Die Möglichkeit einer telefonischen oder persönlichen AusSchätzung, München, Geschäftsführer der
kunft wurde in der Zusammenstellung nicht berücksichtigt.
BLB Agrarberatung GmbH
Dort sind nur die Kosten für Internetbenutzung oder schriftliche Auskünfte genannt – mit einer Ausnahme: In Hamburg ist
eine kostenpflichtige telefonische Auskunft planmäßig möglich.
Diese Kosten betragen 0,24 €/Gesprächsminute für allgemeine
Dr. Hans-Werner Uherek, Dipl.-Ing. agr.,
Angaben und 14 € je konkrete Auskunft eines Bodenrichtwerts
öffentlich bestellter und vereidigter
(inklusive Mehrwertsteuer). Die Abbuchung erfolgt über TeleSachverständiger, Leipzig
fonrechnung (laut Gebührenordnung Hamburg für GAA).
Darstellung 5: Möglichkeiten und Kosten bei Bodenrichtwertauskünften in den erfassten Bundesländern
AgrB 6-2015
68
Urteil
Kein Vergütungsanspruch des Sachverständigen bei Schätzung des Verkehrswerts
Agrar-Taxation
Rechtsprechung
Kein Vergütungsanspruch des
Sachverständigen bei Schätzung des
Verkehrswerts
Kein Vergütungsanspruch des Sachverständigen bei der Bemerkung, er habe den Verkehrswert eines Objekts zunächst
anhand von Sachverstand und Marktkenntnissen geschätzt
und diese Schätzung danach durch die Wertermittlung „gewissermaßen plausibel“ gemacht.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.12.2014 – 6 W 64/141
Der Sachverhalt
Die Parteien, zwei Brüder, haben einen Rechtsstreit über die
Höhe einer Ausgleichszahlung geführt, die von dem Beklagten zu leisten war. Der Beklagte hatte ein Wohnanwesen im
Weg der vorweggenommenen Erbfolge vom mittlerweile verstorbenen Vater der Parteien übernommen. Im Verfahren wurde der Gutachter G mit der Erstellung eines Gutachtens, eines
Ergänzungsgutachtens und der Erläuterung beider Gutachten
in der mündlichen Verhandlung beauftragt. Dafür sind Kosten
in Höhe von insgesamt 7.286,38 € angefallen und ausgezahlt
worden.
Wegen der Äußerung des Sachverständigen, durch sein Gutachten habe er letztendlich nur eine zuvor erfolgte Schätzung
des Grundstückswerts „plausibel gemacht“, hat das Landgericht das Gutachten für ungenügend erklärt und die Einholung
eines weiteren Gutachtens durch einen anderen Sachverständigen angeordnet. Auf der Grundlage dieses weiteren Gutachtens wurde der Klage teilweise stattgegeben. Die von dem Beklagten eingelegte Berufung wurde später zurückgenommen.
Gegen den Ansatz der Kosten für den Sachverständigen G
hat der Kläger Erinnerung eingelegt. Die Erinnerung blieb beim
Landgericht ohne Erfolg. Der zulässigen Beschwerde hat das
OLG im Wesentlichen stattgegeben.
Der Beschluss
Die dem Sachverständigen G ausbezahlte Vergütung kann nur
zu einem geringen Teil zulasten des Klägers angesetzt werden,
weil die Leistung des Sachverständigen im Wesentlichen mangelhaft und damit unbrauchbar war. Daher bestand ein Vergütungsanspruch nur zu einem geringen Teil.
Für die Beurteilung war die Rechtslage vor Inkrafttreten des
§ 8a JVEG, der den Fall der Unverwertbarkeit eines Gutachtens nunmehr regelt, anzuwenden. Schon danach konnte der
Sachverständige seinen Vergütungsanspruch jedenfalls dann
verlieren, wenn das Gutachten unverwertbar war und der Sachverständige dies mindestens grob fahrlässig verschuldet hat.
Der Wegfall des Vergütungsanspruchs kann sich insbesondere
aus inhaltlichen Mängeln des Gutachtens ergeben. Diese sind
dann anzunehmen, wenn ein Gutachter bei der Erstellung seines Gutachtens seiner Pflicht zur Ermittlung der für die Wertbemessung maßgebenden Faktoren nicht nachgekommen ist.
Dies ist vorliegend der Fall.
Der Sachverständige hat mit seiner Bemerkung, er schätze
zunächst einen Verkehrswert anhand Sachverstand und Marktkenntnissen und mache diese Schätzung danach durch die
Wertermittlung „gewissermaßen plausibel“, ein Abweichen von
grundlegenden und unverzichtbaren Methoden der Wertermittlung offenbart. Er hätte in jedem Fall bereits bei der Auftragserteilung auf diesen besonderen Ansatz hinweisen müssen, damit
das Gericht und die Parteien entscheiden können, ob sie sich
auf ein solches Gutachten einlassen wollen. Dies war nicht der
Fall. Daher konnte den Parteien ein Urteil auf der Grundlage dieses Gutachtens nicht zugemutet werden. Aus dem dargestellten
Vorgehen des Gutachters G ergibt sich auch das zum Wegfall
des Vergütungsanspruches führende grobe Verschulden.
Das Gutachten ist vom Landgericht in seinem Urteil allerdings nicht völlig unverwertet gelassen worden. Nach § 8a Abs.
2 Satz 1 JVEG n.F. fällt die Vergütung nur insoweit weg, als die
Leistung unverwertbar ist. Dieser Rechtsgedanke ist nach der
Auffassung des OLG auch auf die bisherige Rechtslage anzuwenden. Daher schätzt das Gericht gem. § 287 ZPO den dem
Gutachter G zu belassenen Anteil auf 10 % der geltend gemachten Vergütung. Der Kostenansatz ist entsprechend zu berichtigen. Der überzahlte Betrag ist von dem Sachverständigen
G zurückzufordern.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwalt Jens O. Leisse,
HLL Heine Leibing Leisse Rechtsanwälte –
Fachanwälte, Schwerin, www.hll-recht.de
Dem Beschluss des OLG Zweibrücken kann
nur zugestimmt werden. Ein Gutachten, bei
dem ein Wert zunächst geschätzt und dieser Wert dann
durch eine Wertermittlung gewissermaßen plausibel gemacht wird, ist weder für das Gericht noch für die Parteien
verwertbar. Es findet keine Wertermittlung nach gutachterlichen Grundsätzen statt. Vielmehr steht das Ergebnis
schon durch die Schätzung fest, der durch die anschließende Plausibelmachung der Anstrich einer fachgerechten gutachterlichen Wertermittlung gegeben werden soll.
Keine Haftung des Verkäufers für
Befunderhebungsfehler des Tierarztes bei
Ankaufsuntersuchung
Bei einem vertraglich vereinbarten Ausschluss jedweder Mängelhaftung des Verkäufers, der explizit auch alle versteckten
Mängel zum Zeitpunkt des Verkaufs umfasst, hat der Käufer
keinen Anspruch gegen den Verkäufer auf Rückabwicklung
des Vertrags, wenn aufgrund eines Befunderhebungsfehlers
des die vertraglich vereinbarte Ankaufsuntersuchung durchführenden Tierarztes ein solcher versteckter Mangel nicht erkannt wird und sich erst später zeigt.
AgrB 6-2015
Agrar-Taxation
Keine Haftung des Verkäufers für Befunderhebungsfehler des Tierarztes bei Ankaufsuntersuchung
Urteil
69
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Ratgeber für die Praxis.
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Die Einkommensteuer bei Land- und Fortswirten
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OLG Oldenburg, Urteil vom 4.3.2015 – 5 U 159/14
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung
eines Kaufvertrags über die seinerzeit siebenjährige Stute
B wegen behaupteter Mängel des Pferds. Im Kaufvertrag ist
unter § 3.1 Beschaffenheitsvereinbarung angegeben, dass das
Pferd angeritten und bereits mit Erfolgen im Sport eingesetzt
worden ist. Zur gesundheitlichen Beschaffenheit des Pferds ist
in § 3.2 eine tierärztliche Kaufuntersuchung vereinbart worden.
Der schriftliche Bericht ist Gegenstand des Kaufvertrags.
Im Übrigen wird das Pferd gemäß § 4 des Kaufvertrags unter
Ausschluss jedweder Mängelhaftung auch für alle versteckten
Mängel zum Zeitpunkt des Verkaufs verkauft.
Die Ankaufsuntersuchung wurde drei Tage vor Abschluss
des Kaufvertrags durchgeführt. Die Ärztin hatte ausweislich
des Untersuchungsprotokolls lediglich zwei Engstände der
Dornfortsätze BWS/LWS mit Berührung in der Sattellage, sog.
„kissing spines“, befundet. Diese kissing spines beeinträchtigten nach der Feststellung der Ärztin nicht die klinische Gesundheit des Pferds zum Zeitpunkt der Untersuchung. In diesem Zusammenhang wurde auf die Bedeutung einer angemessenen
Reitweise hingewiesen.
Die Klägerin hat behauptet, bereits innerhalb der ersten 14
Tage nach der Übergabe des Pferds hätten sich zahlreiche Auffäl-
AgrB 6-2015
Klar und übersichtlich erläutern anerkannte Experten alle
wichtigen Gesetze und Verwaltungsentscheidungen wie
auch vor allem die höchstrichterliche Rechtsprechung. Von
besonderer Bedeutung sind die Regeln zur Berücksichtigung von Altenteilsleistungen sowie die novellierten Steuervergünstigungen für die Forstwirtschaft nach § 34b EStG.
Die Autoren sind seit Jahrzehnten anerkannte Fachleute auf
dem Gebiet des Ertragsteuerrechts im Allgemeinen und bei
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ligkeiten gezeigt. Das Pferd habe beim Longieren mit ordnungsgemäß eingestellten Ausbindern regelmäßig abgestoppt und
sei mit den Vorderbeinen in die Luft gestiegen. Dies habe das
Pferd auch unter dem Reiter getan. Wenn die Ausbinder entfernt
wurden, sei dieses Verhalten nicht aufgetreten. Darüber hinaus
habe das Pferd von Anfang an Auffälligkeiten beim Satteln und
Putzen, insbesondere in der Sattellage gezeigt. Das Pferd habe
versucht, auszuweichen, zu bocken und zu beißen. Diese Symptome seien typisch bei einer Fehlstellung der Dornfortsätze bzw.
Beschwerden im Rücken. Das Pferd habe sich insgesamt nur sehr
unwillig reiten lassen und habe am Ende versucht, ihren jeweiligen Reiter hinunter zu bocken. Die Rittigkeitsprobleme seien auf
die sich berührenden Dornfortsätze der Wirbelsäule zurückzuführen. Insofern liege eine eindeutige Schmerzsymptomatik vor.
Vor dem Landgericht Oldenburg erhob die Klägerin Klage
auf Rückabwicklung des Kaufvertrags. Das Landgericht hat
nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Klage weitestgehend stattgegeben. Der Sachverständige hat zu der Röntgenaufnahme der beiden Vorderhufe, zu
der es in der Ankaufsuntersuchung „ohne Befund“ heißt, festgestellt, dass dort erweiterte Strahlbeinkanäle, sog. canales
sesamoidales, der Röntgenklasse III oder IV sichtbar sind. Bei
einer Einstufung des röntgenologischen Befundes in die Klasse
III oder III-IV könne somit nicht mehr von einem Gesundheitszustand „ohne Befund“ ausgegangen werden.
70
Urteil
Keine Haftung des Verkäufers für Befunderhebungsfehler des Tierarztes bei Ankaufsuntersuchung
Das Urteil
Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte Berufung
eingelegt und vor allem die Missachtung des vertraglichen Gewährleistungsausschlusses durch das Landgericht gerügt. Das
OLG hat der Berufung stattgegeben und unter Aufhebung des
erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts die Klage insgesamt
abgewiesen.
Nach dem OLG hat die Beklagte für die von der Klägerin
behaupteten Mängel des Pferds nicht einzustehen. Dies ergibt
sich aus dem im Vertrag unter § 4 vereinbarten Gewährleistungsausschluss.
Daran ändert sich auch nichts durch die vertraglich vereinbarte Ankaufsuntersuchung. Nach dem Wortlaut der Klausel
definiert der Befund des Tierarztes die Beschaffenheit ausschließlich, soweit die Ankaufsuntersuchung vom Tierarzt
mangelfrei durchgeführt worden ist. Die Klausel weist daher
unmissverständlich das Risiko, dass der Tierarzt Mängel fälschlich nicht erkennt und sie demgemäß im Protokoll der Ankaufuntersuchung keinen Niederschlag finden, dem Käufer zu.
Eine andere Auslegung der Klausel ist vor dem Hintergrund
des eindeutigen Wortlauts nicht möglich. Die Klausel dürfte
auch den Parteiinteressen entsprechen, denn im Zweifel hat
der Verkäufer mangels weitergehender Sachkunde keinen Anlass, gegenüber dem Käufer eine Einstandspflicht über das hinaus, was der Tierarzt festgestellt hat, zu übernehmen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem mit Beschaffenheitsvereinbarung überschriebenen § 3 des Vertrages. Zum
einen ist Teil 1 der Klausel mit „Sportliche Beschaffenheit“
überschrieben, worunter die Parteien normative Standards, den
Ausbildungsstand des Pferds betreffend, festlegen können. Teil
2 der Klausel sieht für die gesundheitliche Beschaffenheit die
tierärztliche Kaufuntersuchung vor.
Urteilsanmerkungen
von Rechtsanwalt Jens O. Leisse,
HLL Heine Leibing Leisse Rechtsanwälte –
Fachanwälte, Schwerin, www.hll-recht.de
Das Urteil des OLG ist rechtlich nicht zu
beanstanden. Die Parteien haben neben
der Vereinbarung einer tierärztlichen Kaufuntersuchung
einen ausdrücklichen Gewährleistungsausschluss auch
für versteckte Mängel vereinbart. Die naheliegende Frage, ob die von der Klägerin vorgetragenen Auffälligkeiten
beim Reiten nicht auch schon von der Verkäuferin hätten
bemerkt werden müssen, also nicht „versteckt“ waren, ist
nach dem Sachverhalt und den Entscheidungsgründen
anscheinend überhaupt nicht diskutiert worden.
Darauf kommt es aber auch überhaupt nicht an. Kern
des Urteils des OLG ist, dass die Parteien einen umfassenden Gewährleistungsausschluss auch für versteckte
Mängel vereinbart haben. Da sowohl die Verkäuferin als
auch die Käuferin nicht über die erforderliche Sachkunde
verfügt haben, ist zur gesundheitlichen Beschaffenheit
Agrar-Taxation
des Pferds die tierärztliche Ankaufsuntersuchung vereinbart worden. Damit haben die Parteien das Ergebnis
dieser Ankaufsuntersuchung zum Vertragsbestandteil
gemacht. Die Ankaufsuntersuchung durchführende Tierärztin hat die Röntgenaufnahme der beiden Vorderhufe
mit „ohne Befund“ beurteilt. Nach den Feststellungen des
Sachverständigen in der ersten Instanz stellen die auf der
Röntgenaufnahme der beiden Vorderhufe sichtbaren erweiterten Strahlbeinkanäle aber einen Befund der Röntgenklasse III bis IV und damit eine deutliche Abweichung
von der im Kaufvertrag vereinbarten Sollbeschaffenheit
dar. Damit dokumentieren die Feststellungen des Sachverständigen einen Befunderhebungsfehler der die Ankaufsuntersuchung durchführenden Tierärztin. Für einen
solchen Befunderhebungsfehler wollten und konnten
die Parteien nicht einstehen, da sie sich gerade auf die
Sachkunde der Tierärztin verlassen haben. Aufgrund des
Befunderhebungsfehlers dürften der Klägerin Ansprüche
gegen die Tierärztin auf Schadensersatz zustehen.
Medien
Literaturtipps für Sachverständige
Bewertung von Wirtschafts- und Wohngebäuden, baulichen
Anlagen und Betriebseinrichtungen
Kinzer: Berechnung des merkantilen Minderwertes
in: GuG 5/2015, S. 283 ff.
Rechte und Belastungen durch Dritte und deren Bemessung
Thum: Nachteilige Folgen aus der temporären Inanspruch
nahme land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke im
Rahmen öffentlicher Infrastrukturvorhaben
in: WF 2/2015, S. 66 ff.
Berufsrecht des Sachverständigenwesens
Grossam: Aktuelle Fallstricke bei der Durchführung von
gerichtlichen Gutachtenaufträgen im Zivilprozess
in: DS 3/2015, S. 46 ff.
Schärtl: Verbraucherschutz bei Gutachteraufträgen
in: DS 6/2015, S. 140 ff.
Schlehe: Der Sachverständigenvertrag mit Verbrauchern:
Trau schau wem! – in: DS 6/2015, S. 146 ff.
Zucht, Haltung und Bewertung von Pferden
Marx:
Neuere Rechtsprechung zur Haftung bei
Pferdehaltung – in: RdL 9/2015, S. 235 ff.
Literaturtipps für die Unternehmensberatung
Agrarförderung
Schüttig: Beihilfefähigkeit von Acker- und Grünlandflächen
mit nichtlandwirtschaftlicher Zwecksetzung oder
Zweitnutzung – in: WF 2/2015, S. 78 ff.
AgrB 6-2015
Medien
Medien
Brennereien
Dorsch: Agrar-Alkohol: Markt statt Monopol
in: top agrar 8/2015, S. 38 ff.
Forstwirtschaft. Auch in die 11. Auflage setzen sie ihr wissenschaftlich-theoretisches Fachwissen verbunden mit Fällen
aus der Praxis – und vertieft durch ihre jeweilige langjährige
Referententätigkeit – ein. Die Autoren sind ihrer klaren Linie,
der messerscharfen Abgrenzung sowie ihrer abweichenden
Meinung zu bestimmten Sachverhalten treu geblieben, sodass
Verwaltung, Rechtsprechung und Beratung an der 11. Auflage dieses Werks zur Ertragsbesteuerung im Agrarbereich nicht
vorbeikommen werden.
Udo Reuß
Erneuerbare Energie
Schmid: Totgesagte leben bestens: Solarstrom
in: dlz agrarmagazin 9/2015, S. 110 ff.
Grundlagen der Betriebsanalyse
Frentrup/Theuvsen: Risikoanalyse leicht gemacht
in: DLG-Mitteilungen 2/2015, S. 14 ff.
Agrarrecht
Pachtrecht
Schmitte: Dauergrünland und Pachtrecht
in: Agrar- und Umweltrecht 3/2015, S. 93 ff.
Die Einkommensteuer bei Land- und
Forstwirten
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übersichtlich erläutern der Ministerialdirigent a.D. sowie der
Oberamtsrat a.D. alle wichtigen Gesetze und Verwaltungsschreiben wie auch vor allem die höchstrichterliche Rechtsprechung.
Von besonderer Bedeutung sind die Regeln zur Berücksichtigung von Altenteilsleistungen sowie die novellierten Steuervergünstigungen für die Forstwirtschaft nach § 34b EStG. Ein
Schwerpunkt der Überarbeitung gegenüber 2010 liegt in den
neuen Möglichkeiten der gewinnneutralen Übergänge von Höfen innerhalb des Familienverbunds. Aktualisiert wurden zudem
die Auswirkungen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes.
Die 16 Kapitel des Standardwerks beschäftigen sich mit der
Gewinnermittlung nach § 13a EStG, der Buchführungs- und
Aufzeichnungspflicht, der Gewinnschätzung, der Gewinnermittlung mittels einer Einnahmen-Überschussrechnung bzw.
durch Buchführung, der Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns, den Vorschriften für alle Gewinnermittlungsarten, mit Investitionsabzugsbeträgen, Sonderabschreibungen
und erhöhten Absetzungen, mit dem Betriebsvermögen (u.a.
auch der Wohnung des Landwirts), mit den verschiedenen
Unternehmensformen, mit der Bodengewinnbesteuerung, mit
der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs, dem Freibetrag
nach § 14a Abs. 4 EStG für Gewinne anlässlich der Abfindung
weichender Erben, mit der Übergabe von Vermögen in vorweggenommener Erbfolge, mit dem Übergang des land- und
forstwirtschaftlichen Betriebs von Todes wegen sowie mit den
Besonderheiten des Forstbetriebs.
Märkle und Hiller sind seit Jahrzehnten anerkannte Fachleute insbesondere bei den Ertragsteuern in der Land- und
von Prof. Dr. jur. Christian Grimm und
Prof. Dr. jur. Roland Norer, Verlag C.H.
Beck, 4. Auflage 2015, 330 Seiten, 59,00 €,
ISBN 978-3-406-67988-9
„Agrarrecht ist Querschnittsrecht. Die Breite des fachlichen Spektrums wird jeden
verwundern, der sich erstmals an dieses
Rechtsgebiet heranwagt“, schreibt Autor
Christian Grimm. Für die Neuauflage seines Lehrbuchs hat er
mit Roland Norer einen Co-Autor hinzugenommen.
Dieses Buch aus der Reihe der juristischen Kurzlehrbücher
für Studium und Praxis behandelt alle öffentlich-rechtliche und
zivilrechtliche Aspekte des Agrarrechts. Die 4. Auflage berücksichtigt zahlreiche nationale und EU-Novellen. Enthalten sind
der aktuelle Stand und ein Ausblick auf die gemeinsame Agrarpolitik bis 2020 (GAP), die Klimaschutznovelle, das überarbeitete Pflanzenschutzgesetz, die neue Baunutzungsverordnung sowie Änderungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung.
Nach der Klärung von Grundbegriffen werden die landwirtschaftlichen Besonderheiten beim Eigentum erklärt. Kapitel 3
widmet sich dem Pachtrecht, danach folgen das Erbrecht, schuldrechtliche Besonderheiten, das öffentliche Baurecht, das Recht
um die pflanzliche Produktion, die tierische Erzeugung, das Lebensmittelrecht, landwirtschaftliche Kooperationsformen, die
Förderung der Landwirtschaft, Marktordnung und Entwicklung
des ländlichen Raums und schließlich das Agrarumweltrecht.
Beide Autoren stammen aus der Wissenschaft. Professor Dr.
Christian Grimm ist emeritierter Professor an der Hochschule
Weihenstephan-Triesdorf. Professor Dr. Roland Norer ist Inhaber
des Lehrstuhls für öffentliches Recht und das Recht des ländlichen Raums an der Universität Luzern (Schweiz).
Udo Reuß
von Dr. Rudi W. Märkle und Gerhard Hiller,
Richard Boorberg Verlag, 2014, 838 Seiten,
82,00 €, ISBN 978-3-415-05172-0
Agricola-Verlag GmbH
E-Mail [email protected]
Internet www.agricola-verlag.de
71
Sammlung: Kommentare zu landwirtschaftlichen Gesetzen · Band 11/4
Höfeordnung
mit Höfeverfahrensordnung
Standardkommentar
4. Auflage
von
Dr. Wilhelm Steffen und Johannes Ernst
Direktor des Amtsgerichts a.D.
Direktor des Amtsgerichts a.D.
fortgeführt von Johannes Ernst
4. Auflage
Agricola-Verlag
von Dr. Wilhelm Steffen, fortgeführt von
Johannes Ernst, Agricola-Verlag, 4. Auflage
2015, Band 11/4, 595 Seiten mit CD, gebunden, 95,00 €, ISBN 978-3-920009-90-2
Agricola-Verlag GmbH
Dass nach nur 5 Jahren jetzt schon wieder
eine Neuauflage dieses Kommentars auf
den Markt kommt, bestätigt, dass er einen
festen Platz im Arsenal des Handwerkszeugs
27.07.2015 17:53:28
72
Medien
Medien
der Agrarjuristen hat. Er ist in der Tat insbesondere wegen seiner Übersichtlichkeit für den Praktiker der geeignete Kommentar des ersten Zugriffs, um sich über den Meinungsstand zu
Streitfragen der Höfeordnung zu informieren. Die dafür erforderliche Aktualität ist auch in dieser Auflage gegeben. Die richtungsweisenden höchstrichterlichen Entscheidungen des BGH
vom 29.11.2013 zum Verlust der Hofeigenschaft außerhalb des
Grundbuchs, vom 25.4.2014 zur Leistungsfähigkeit des Betriebs
als Voraussetzung für die Unwirksamkeit von Grundstücksvermächtnissen und vom 26.6.2014 zur Zuordnung von dauerhaft
landwirtschaftsfremd genutzten Flurstücken bzw. unselbstständigen Teilflächen zum hoffreien Vermögen trotz Eintragung des
Hofvermerks für das umfassendere Grundstück im Rechtssinne
sind alle aufgeführt und behandelt, allerdings mit unterschiedlicher Intensität.
Man findet mithilfe der an der Praxis orientierten Schlagworte
im Sachverzeichnis schnell und sicher die Stelle, an der die damit verbundene Problematik behandelt wird und dort den ersten
Einstieg in den rechtlichen Meinungsstand dazu. Für die vertiefte Beschäftigung und Lösung können und sollten dann die weiteren umfangreichen Kommentare hinzugezogen werden. Auch
die praxisrelevanten Fragen zum Geschäftswert und den Gebühren in den Verfahren vor dem Landwirtschaftsgericht werden mit
der gebotenen Sorgfalt dargestellt und die dazu ergangenen
jüngsten Entscheidungen der OLG Celle und Hamm aufgeführt.
Die Einfügung von kurzen und praxisnahen Beispielen in
die Kommentierung ist eine Besonderheit, die nur dieses Werk
aufweist. Sie ist von Vorteil insbesondere für die Nutzer, die
nicht täglich mit den rechtlichen Problemen der Höfeordnung
befasst sind, und erleichtern das Verständnis der einzelnen abstrakten Rechtsprobleme.
Für den Praktiker eine große Hilfe sind auch die Hinweise
jeweils am Ende der Kommentierung jedes einzelnen Paragraphen der Höfeordnung auf das dafür geltende Verfahren,
dessen Geschäftswert und die Kosten. Das ist in der konkreten
Mandatsbearbeitung ein ganz erheblicher Vorteil, den nur dieser Kommentar bietet.
Verbessert worden sind gegenüber der Vorauflage die Fundstellennachweise in den Fußnoten, die jetzt praktisch durchgängig allgemein zugängliche Quellen angeben. Dass unter
diesen einige Entscheidungen und Veröffentlichungen sind,
die schon sehr lange zurückliegen, ist wohl die Eigenart eines
jeden Kommentars. Bei der nächsten Auflage, die hoffentlich
wieder in angemessener Zeit erscheint, sollte das aktualisiert
werden.
RA Dr. Henning Wolter, Hamm
Accelerate
von John P. Kotler, Verlag Franz Vahlen,
2015, 155 Seiten, gebunden, 24,90 €,
ISBN 978-3-8006-5021-7
Kotler erhielt bereits mit 33 Jahren eine
Professur an der renommierten Harvard
Business School. Er gilt als weltweiter Experte im Change Management. In „Accelerate“ fordert er den Wandel eines Unter-
nehmens von einer rein hierarchischen Struktur hin zu einem
dual operierenden System. Dies ist nötig, um den wachsenden
Unsicherheiten, dem enormen Innovationsdruck und schnellen
Wandel auch künftig erfolgreich auf den Märkten begegnen
zu können.
Dafür braucht es eine zweite, netzwerkartig aufgebaute
Struktur, um schnell und beweglich agieren zu können. Diese ergänzt die Hierarchie einer älteren Organisation, ohne sie
zu überlasten, und setzt dadurch Kapazitäten frei. Strategische
Veränderungen werden hierdurch beschleunigt. Die Konsequenz: ein duales Betriebssystem.
Was ein solches charakterisiert, wie es aufgebaut und zu
kreieren ist, beschreibt Kotler. Er geht auch darauf ein, welche
Herausforderungen dies für Menschen bedeutet. In den letzten
drei Kapiteln des Buchs widmet er sich der Implementierung
eines dualen Systems in Unternehmen.
Udo Reuß
Meine kleine Farm
Miriam und Peter Wohlleben,
Meine kleine Farm. Anleitung für Selbstversorger, Verlag Eugen Ulmer, 2015,
272 Seiten mit 260 Farbfotos und
30 Zeichnungen, gebunden, 29,90 €,
ISBN 978-3-8001-8394-4
Mit diesem Buch liefern Miriam und Peter
Wohlleben einen aufschlussreichen Ratgeber für all diejenigen, die ihre gesunde Versorgung selbst
in die Hand nehmen möchten. Seit 25 Jahren lebt die Familie
Wohlleben in einem Forsthaus in der Eifel. Von Anfang an war
das Ziel, sich weitestgehend selbst zu versorgen. Was sich bewährte, wurde weiter angebaut, anderes wurde nach etlichen
Versuchen verworfen. Vom eigenen Gemüse über Getreide bis
hin zu Honig, Käse und Fleisch zeigen Miriam und Peter Wohlleben, was man auf der eigenen Scholle selber erzeugen kann.
Dabei sprechen sie ganz offen von Misserfolgen oder Herausforderungen bei der Kultivierung von Kartoffeln oder Pastinaken, machen deutlich, wie wichtig es ist, für welche Tierhaltung
man sich entscheidet und geben wertvolle Hinweise für die Anschaffung von Geräten oder die ertragreiche Bewirtschaftung
der Flächen. Auch die Versorgung der Tiere, das Erzeugen von
eigenem Wasser oder Strom ist Thema dieses sehr persönlichen Buchs. Besonderen Wert legen die beiden Autoren auf die
Produkte, die einen wirksamen Beitrag zur Selbstversorgung
leisten, ohne zu viel Aufwand zu erfordern.
Peter Wohlleben studierte an der Fachhochschule Rottenburg Forstwirtschaft und kündigte nach 23 Jahren seine Beamtenstelle bei der Landesforstverwaltung Rheinland-Pfalz, um
seine Vorstellungen von einer ökologischen Waldbewirtschaftung in der Gemeinde Hümmel in der Eifel umzusetzen. Seitdem
lebt er dort mit seiner Familie in einem alten Forsthaus und versorgt sich weitgehend selbst. Seine Frau Miriam leitet seit zehn
Jahren den Bürobetrieb eines Bestattungswalds. Udo Reuß
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