Future23 - Wiener Zeitung

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Future23 - Wiener Zeitung
future
Das Zukunftsmagazin der
Der gesunde
Mensch
2030
Experten geben
Einblicke in die
Zukunft der Medizin
Nr. 23 16. Juli 2014
l
FESTSPIELE DES WISSENS
Europäisches Forum Alpbach
At the Crossroads | 13. – 29.08.2014
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Inhalt
3
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
4
Die Geißeln der Menschheit:
Neue Therapien sollen die
Heilungschancen erhöhen
Gesundheit 3.0
8
Das gilt vor allem bei der relativen Ohnmacht im Umgang mit der
Volkskrankheit Nummer eins, der Diabetes Typ-2, auch „Altersdiabetes“. Sie baut sich auf wie das Vorstrafenregister eines notorisch Kleinkriminellen und endet – hier wie dort – fast immer dramatisch. „Unsere Delinquenten, die Patienten von übermorgen, sind milieugeschädigt.
Nur sind ihr Verhängnis die vollen Kühlschränke, Arbeit am Schreibtisch,
das Auto, der Lift. Sie bräuchten so etwas wie eine Überwachung von
Bewährungshelfern“, resümierte unlängst lachend mein Hausarzt.
Ersatzteile für den Mensch
Technik im Körper
10
Je intensiver im medizinischen Bereich geforscht, gesucht und gefunden
wird, umso deutlicher wird: Die eine Pille für die Rundherum-Gesundheit bleibt Schimäre - ungreifbar wie das Einhorn, der Yeti, Atlantis
oder der Nürnberger Trichter. Schlimmes tritt zu Tage: Die Zeit des
großen Fressens ohne schlechtes Gewissen ist vorbei. Hat mit dem
Wirtschaftswunder und dem Frieden in Europa ein Völlern im Stil von
Gelagen des Alten Roms begonnen, warnen nun die Forscher: „Schluss
damit, oder die Lebenserwartung sinkt.“
Biomarker sollen präzise Diagnosen
und schnellere Heilung möglich machen
Berechenbare
Hoffnung
Auch wenn es in der medizinischen Forschung keine Wunder gibt –
einige Erkenntnisse und Fortschritte sind schlichtweg umwerfend und
sorgen für bleibende Spannung: So können Forscher aus Stammzellen
Gewebe im Labor züchten, das so schlägt wie das Herz. Ob sie einmal
ganze Ersatzorgane für Herzkranke erzeugen können, muss sich weisen.
Doch neues Herzgewebe, das schwache Herzen auf Vordermann bringt,
scheint konkret machbar. Weiters haben Krebsforscher Wirkstoffe
entwickelt, die das Immunsystem dazu anregen, Tumore und Metastasen
viel effizienter zu bekämpfen als die Chemotherapie, der heutige State
of the Art. Überlebensraten, die das Wort Heilung erlauben, stehen
somit in Aussicht. Bahnbrechendes verspricht auch der Heilungsansatz
der maßgeschneiderten Medizin. Dabei werden für jeden Menschenund Krankheitstyp eigene Molekülketten von Wirkstoffen entwickelt.
Dies alles impliziert jedoch ungeheure Kosten. Soll es nicht zur Zweiklassenmedizin kommen, erfordert die Finanzierung Denkansätze, die
so revolutionär und abgehoben sein müssen wie die Forschung selbst.
Die Debatte, ob es gerecht ist, dass ein Arbeitseinkommen mit Sozialabgaben von bis zu 21 Prozent belegt wird, Gewinne aus Erbschaften,
Aktien und Zockereien aber mit null, wird kommen. Europaweit natürlich, wenn nicht gar weltweit.
Mit den besten Grüßen,
Eva Stanzl
12
14
Stress und hormonelles
Gleichgewicht
Frauen „müssen den
Pausenknopf finden“
Demographie
Shades of Grey
Telegramm................................................................................ 16
Impressum
future
erscheint als Verlagsbeilage
der Wiener Zeitung.
Medieneigentümer und Herausgeber:
Wiener Zeitung GmbH
Media Quarter Marx 3.3
Maria Jacobi-Gasse 1, 1030 Wien
Tel.: 01/20699-0
Geschäftsführung: Dr. Wolfgang Riedler
Chefredakteur: Reinhard Göweil
Redaktionelle Verantwortung Verlagsbeilagen: Prof. Paul Vécsei
Marketingleitung: Wolfgang Renner, MSc.
Anzeigenleitung: Harald Wegscheidler
Idee, Konzeption und Koordination: Eva Stanzl
Redaktion: Alexandra Grass, Cathren Landsgesell,
Helmut Ribarits
Artdirection: Richard Kienzl
Titelfoto: © fotolia/adimas
Druck: Niederösterreichisches Pressehaus
Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, Gutenbergstraße 12
A-3100 St. Pölten
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4
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Die Geißeln der Menschheit:
Neue Therapien sollen die Heilungschancen erhöhen
Gesundheit
In den Industriestaaten zählen Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt und Demenz zu den am
meisten gefürchteten Erkrankungen. Andere Krankheiten bedrohen allein schon durch
ihre Zahl: Diabetes Typ-2 ist Volkskrankheit Nummer eins. Kaum weniger Personen
leiden unter Rheumatoider Arthritis. „Future“ nimmt innovative Forschungsansätze
unter die Lupe, welche die Menschen davon befreien könnten. Auf den folgenden
Seiten geben Experten Einblicke in die Zukunft der Medizinforschung.
Von Alexandra Grass, Cathren Landsgesell und Eva Stanzl
n den kommenden 15 Jahren soll
die Zahl der Gentests explosionsartig steigen, sagt der Wiener Fachhumangenetiker Markus Hengstschläger.
„Man wird eine Unzahl von Veranlagungen günstig und mit hoher Treffsicherheit bereits im Kindesalter oder
sogar schon im Mutterleib erkennen
können. Genetische Untersuchungen
werden zum Leben gehören so wie
der Termin beim Zahnarzt oder die
Messung des Blutdrucks und des
Cholesterinspiegels.“ Das wird ermöglichen, individuelle Krankheitsrisiken klar zu erkennen und rechtzeitig dagegen anzukämpfen: So könnten
sich Menschen mit einem hohen
Diabetes-Risiko von klein auf gesund
ernähren, um der Zuckerkrankheit
keinen Nährboden zu bieten. Andererseits würde der Blick ins Erbgut
Aufschluss über Wirkung und Verträglichkeit von Medikamenten geben,
wodurch Krankheiten besser behandelt werden könnten. „Künftig werden wir mit größerer Treffsicherheit
diagnostizieren und therapieren können. Außerdem werden Medikamente
individuell auf ihre Wirkung geprüft,
bevor sie überhaupt verschrieben
werden“, erklärt Hengstschläger. Besonders Patienten, die an einer der
schweren Krankheiten leiden, welche
die Menschheit geißeln, könnten davon profitieren. Denn die Mediziner
wollen Krebs und Herzkreislauferkrankungen mit maßgeschneiderten
Therapien in den Griff bekommen.
Wer weiß, dass er genetisch anfällig
ist für Demenz, Diabetes oder Gelenkserkrankungen, könnte gezielt
durch einen gesunden Lebensstil vorbeugen.
Derzeit werden neue Wirkstoffe in
klinischen Studien an größeren Menschengruppen getestet. „Es gibt aber
Patienten, die eine vier Mal größere
Menge an Opiaten benötigen als der
Großteil der Testpersonen. Solche
Teilnehmer verzerren die Ergebnisse.
Dabei würden sie wunderbar reagieren, wenn sie bloß mehr von der
Substanz bekämen“, sagt der Wiener
Hirnforscher und Neurologe Jürgen
Sandkühler. Künftig wollen er und sei-
ne Kollegen weltweit Medikamente
für einzelne Gruppen von Patienten
aus Kombinationen von Wirkstoffmolekülen anfertigen. Er erwartet,
dass der Lebenswandel jedes einzelnen Menschen immer präziser registriert werden wird. „Eine umfassende
Kenntnis dieser Umwelteinflüsse,
kombiniert mit genauen genetischen
Untersuchungen, ergibt eine ziemlich
korrekte Prognose über das individuelle Krankheitsrisiko. Es ist wie eine
Warnung, was ich tun darf und was
ich lassen sollte – etwa, dass ich Alkohol nur in moderaten Mengen konsumieren sollte, aber das Rauchen
besser wegstecken kann als andere
Menschen“, sagt Sandkühler. Datenschutzprobleme sieht er nicht: Er vertraut auf immer bessere Sicherheitssysteme.
Jedes 10.000ste Kind benötigt eine
Aminosäure-freie Diät, damit es gesund bleibt. Menschen mit einem
Mangel eines Eiweißes namens Alpha1-Antitrypsin vertragen Zigarettenrauch um ein Vielfaches schlechter
als andere. Solche Besonderheiten
werden zunehmend berücksichtigt.
„Künftig werden Ärzte Erbgut und
Lebensgewohnheiten einer enormen
Anzahl von Menschen kennen und
Informatiker aus diesen Daten die
Wahrscheinlichkeiten für die Wirkung von Medikamenten errechnen“,
sagt Sandkühler. Die Heilungschancen
werden größer und die Risken von
unerwünschten
Nebenwirkungen
kleiner.
Und wo stehen wir heute? Hengstschläger ortet eine Diskrepanz
zwischen der Menge an Diagnosemöglichkeiten und der Zahl der
verfügbaren Therapeutika. „Derzeit
können wir mehr diagnostizieren als
therapieren“, sagt er: „Wir kennen
Leber, Niere, Herz, Lunge, Knochen,
Knorpeln, Haut und Muskulatur. Aber
wir wissen nicht, was in der Zelle
schiefläuft, wenn sie erkrankt, und
warum jemand dann einen Herzinfarkt, Parkinson, Alzheimer oder
Krebs bekommt.“ Genau hier setzt
die aktuelle Forschung verstärkt an.
Foto: fotolia/adimas
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3.0
6
Foto: Sissi Furgler
Das Herz aus dem Labor
Neues, eigenes Herzgewebe aus Stammzellen könnte schon in rund
einem Jahrzehnt das lebensspendende Organ auf Vordermann bringen.
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erzkreislauferkrankungen beginnen schleichend, häufig schon im Kindesalter. Sie
entwickeln sich über Jahrzehnte. Neben genetischen Veranlagungen wirken Bluthochdruck,
Übergewicht, Bewegungsmangel, Diabetes und
Stress negativ auf das Herzkreislaufsystem ein.
Auftretende Defekte äußern sich in Herzrhythmus-Störungen, Schlaganfällen, Herzmuskelschwächen oder Infarkten. „Die Krankheitsbilder entstehen häufig nicht dadurch, dass
etwas nicht mehr funktioniert, sondern indem
sich ganze Netzwerke verschieben“, sagt Burkert Pieske, Leiter der Klinischen Abteilung für
Kardiologie der Medizinuniversität Graz. Die
molekularen Ursachen sind noch nicht entschlüsselt
Ein von der Medizinuni Graz koordiniertes EUProjekt namens „Sys Vasc“ (Systems Biology to
Identify Molecular Targets for Vascular Disease
Treatment) hat zum Ziel, die systemischen
Einflussfaktoren im Körper zu identifizieren.
Biochemiker, Mediziner, Mathematiker und
Informatiker modellieren und simulieren, um
das Zusammenspiel im Körper verstehen und
Wirkungen vorhersagen zu können. Denn erst
wenn die spezifischen Faktoren erkannt sind,
die zur Entstehung oder der Ausbreitung einer
Herzkreislaufkrankheit geführt haben, können
maßgeschneiderte Wirksubstanzen entwickelt
werden. „Basierend auf einer umfassenden Ursachenforschung wird künftig eine bessere, auf
die individuelle Situation abgestimmte Früherkennung – und damit eine gezieltere, effektivere und nebenwirkungsärmere Behandlung
möglich sein“, sagt Pieske.
Was aber, wenn die Herzzellen nicht mehr
mitspielen? Die Forscher arbeiten an Ersatzorganen. Kontrahierendes Herzmuskelgewebe,
das so pumpt wie das Original, kann bereits
im Labor hergestellt werden. Am besten funktioniert die Züchtung von Herzgeweben mit
embryonalen Stammzellen, deren Verwendung
in Österreich allerdings verboten ist. Forscher
reprogrammieren daher Haut- oder Muskelzellen zurück zum embryonalen Status, sodass
aus ihnen wieder alle Zelltypen entstehen
können. So können aus älteren Haut- neue
Herzmuskelzellen entstehen. Die Zellschichten können auch kleine Gänge bilden, die eine
Verbindung zu den Blutgefäßen im Körper
schaffen. Laut Pieske könnte neues Herzgewebe aus eigenen Stammzellen schon in 10 bis 15
Jahren zum Einsatz kommen. Mit Herzklappen
aus körpereigenem Material werde es noch
schneller gehen. Ein ganzes, nachgezüchtetes
Herz ist allerdings noch Zukunftsmusik.
„Das A und O“, so Pieske, sei allerdings die
Prävention. Ohne gute Vorsorgeprogramme
„wird uns die Herzkreislaufmedizin finanziell
über den Kopf wachsen, und zwar nur, weil die
Leute 30 Jahre vorher geschlampt haben. Wir
müssen weg von einer Medizin, die immer nur
die Endzustände behandelt, hin zu einer Früherkennung“. Herzinfarkt, Schlaganfall & Co. sind
heute Todesursache Nummer eins - gesunde
Ernährung und Bewegung sollen gegensteuern.
In einem weiteren EU-Projekt untersuchen die
Grazer Spezialisten, wie sich Intervalltraining
mit kurzen, starken körperlichen Belastungen
auf Herzkranke auswirkt. Möglicherweise
stimuliert nämlich ein Zehn-Minuten-Powertraining das körperliche Netzwerk mit seinen
Energie-Metabolismen und antientzündlichen
Mediatoren viel effizienter als moderates Ausdauertraining. n
„Heiliger Gral der Tumortherapie“
Neue Therapien halten selbst gefährliche Tumore in
Schach. Und Metastasen könnten bald Geschichte sein.
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rebs ist die zweihäufigste Todesursache nach Herzinfarkt.
2012 forderte die Krankheit weltweit 8,2 Millionen Menschenleben Krebs führt somit öfter zum Tod als die Infektionskrankheiten Aids, Malaria und Tuberkulose zusammengenommen.
Die Krankheit kostet Österreichs Volkswirtschaft 2,4 Milliarden
Euro pro Jahr. Weltweit sind es 250 Milliarden Euro. Für 2030
befürchtet die Weltgesundheitsorganisation 13 Millionen Neuerkrankte. In kein medizinisches Forschungsgebiet fließt so viel
Geld wie in die Onkologie – sie zählt zu den sich am schnellsten
entwickelnden Fachbereichen. Das Resultat ist eine zunehmende
Anzahl an individuell maßgeschneiderten Wirkstoffe.
kungen ermöglicht“, erklärt Andreas Zimmer vom Institut für
Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Graz. Die winzigen Helfer könnten auch die Diagnose verbessern: Kombiniert
mit Stoffen, die in bildgebenden Verfahren sichtbar sind, könnten
sie bösartiges Gewebe noch früher aufspüren als bisher.
Als vielversprechend gelten auch Immuntherapien gegen Krebs.
Dabei werden die eigenen Abwehrzellen auf die Krebszellen angesetzt. „An sich bilden sich im Körper laufend Tumorzellen, die
vom Immunsystem vernichtet werden. Krebs als Krankheit entsteht nur, wenn die Tumorzellen zu schnell wachsen oder das Immunsystem außer Kraft setzen“, sagt der Molekularbiologe Josef
Penninger, Chef des Instituts für Molekulare Biotechnologie in
Wien. Für seine Forschungen wurde er eben
mit dem österreichischen „Nobelpreis“, den
Wittgenstein-Preis 2014 ausgezeichnet. Zum
Tod führt zumeist nicht der Tumor selbst,
sondern dessen Tochtergeschwülste (Metastasen), die sich ausbreiten und die Organe
befallen. „Ohne Metastasen wären die meisten Krebsarten heilbar. Dem Krebs die Metastasen zu rauben, ist der Heilige Gral der
Tumortherapie“, so Penninger.
Foto: apa/Georg Hochmuth
Jeder Mensch unterscheidet sich von anderen durch sein Erbgut. Ähnlich folgen verschiedene Krebsarten
unterschiedlichen Wachstums- und Kontrollmechanismen. „Das Entscheidende ist, den molekularbiologische Mechanismus zu verstehen, der
dazu führt, dass ein Tumor bösartig wird“, sagt
Christoph Zielinski, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der Medizinuniversität Wien.
Neue Therapien sollen genau darauf zugeschnitten sein. „Mit dem richtigen Wirkstoff wollen
wir selbst hartnäckige Karzinome in den Griff
bekommen. Kein Patient soll Arzneien erhalten,
die bei ihm gar nicht wirken können“, so Zielinski. Immer mehr kleine Tumore sollen abgetötet
und mehr größere Tumore in Schach gehalten
werden können. Krebs soll somit entweder heilbar oder zur chronischen Krankheit werden. Es
ist allerdings mit steigenden Entwicklungskosten zu rechnen: „Um ein Medikament gegen eine Krebsform, die nur bei einem
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Prozent der Bevölkerung vorkommt,
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werden.“ (Siehe auch Seite 11.)
Der Molekularbiologe und seine Kollegen
sind diesem Ziel erstaunlich nahe. Sie haben
einen Wirkstoff gegen Metastasen entwickelt,
der das Verhalten der natürlichen Killerzellen
beeinflusst. Die Killerzellen töten im Immunsystem Tumore ab. Normalerweise reguliert
ein Eiweiß namens „Cbl-b“ ihre Aktivität,
doch diese Bremse lässt sich lösen. Solcherart enthemmt, gehen die Immunzellen mit
aller Kraft gegen die Tochtergeschwülste
vor. In Mäusen konnten mit dem Wirkstoff
metastasierte Brusttumore vernichtet
werden. Nun sollen Tests mit anderen
Tumorarten folgen, bevor die natürlichen
Waffen des Körpers im Menschen enthemmt werden. Der kanadische Immunes
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Trotzdem arbeiten die Forscher daran,
forscher Ralph Steinmann erhielt für seine
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drüsenkrebs diagnostiziert worden, die Ärzte
sollen Medikamente im Inneren von bösgaben ihm ein Jahr. Eine Immuntherapie im Selbstartigen Zellen abliefern. Die Teilchen sind
versuch schenkte ihm aber weitere vier Lebensjahre. Pen100 Mal kleiner als menschliche Zellen. Mit
ninger hält eine „Pille gegen Metastasen“ für möglich, die ÜberWirkstoffen beschichtet, können sie die Zellhülle durchdringen.
lebensraten bringen könnte, „wie sie noch nie da waren. In der
„Drug Targeting“ heißt die Methode, „die bessere Wirkungen,
Pharmabranche investieren große Firmen hunderte Millionen in
eine Schonung von gesundem Gewebe und weniger Nebenwirdieses Gebiet.“ n
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Medizin
„Man könnte
gegen Rheuma
impfen“
Rheumatische Arthritis soll in 10 bis
15 Jahren heilbar sein. Die Ursachen
der Krankheit sind allerdings nach
wie vor ein Rätsel.
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s gibt rund 400 verschiedene rheumatische Erkrankungen. Die bekannteste und am weitesten
verbreitete Form ist die Chronische Polyarthritis,
auch Rheumatische Arthritis genannt. Rund 0,7
Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen, in
Österreich rund 400.000 Menschen. Die Rheumatische Arthritis, die als das klassische Rheuma gilt,
ist ein altes Leiden, wie auch archäologische Funde
vermuten lassen. Es wurde erstmals um 1800 vom
französischen Chirurgen Augustin Jacob Landré-Beauvais beschrieben. Er war der Ansicht, es handele
sich um eine bestimmte Form von Gicht. Bei der
Rheumatoiden Arthritis wendet sich das Immunsystem des Körpers gegen sich selbst, Die Autoimmunerkrankung lässt die Gelenke, oftmals zuerst an
den Händen, schmerzen. Sie schwellen an, man fühlt
sich oft müde und abgeschlagen. Wird eine Rheumatoide Arthritis nicht rechtzeitig erkannt, kann die
Gelenkszerstörung – Magrophagen lösen die Innenhaut der Gelenke auf – sehr schnell und sehr weit
fortschreiten. Im allerschlimmsten Fall werden die
Gelenke zur Gänze zerstört. Der Prozess kann allerdings inzwischen durch Medikamente aufgehalten
werden.
Aus der Sicht der Patienten bricht die Rheumatoide Arthritis mitunter sehr plötzlich aus. Antikörper
aber lassen sich bereits viele Jahre davor nachweisen,
wie Josef Smolen, Rheumatologe der Medizinischen
Universität Wien, erklärt. Nun wollen die Forscher
die relevanten Antikörper identifizieren, damit die
Krankheit erst gar nicht entsteht. „Man könnte dann
sogar gegen Rheuma impfen“, sagt Smolen.
Doch Rheumatoide Arthritis gibt der Forschung
noch weitere Rätsel auf. Das größte ist ihre Ursache.
Daher ist die Gelenkserkrankung noch nicht heilbar. Genetische Veranlagung fällt weitestgehend aus,
denn es sind sehr viele Gene beteiligt, an denen Veränderungen auftreten können. So sind viele rheumatische Erkrankungen mit humanen Leukozyten-
7
Foto: privat
Diabetes lässt sich lenken
Eine möglichst frühzeitige Diagnose ist entscheidend.
iabetes mellitus, auch „Zuckerkrankheit“ genannt, ist Volkskrankheit Nummer eins. Experten sprechen von bis zu einer Million betroffenen
Österreichern bis zum Jahr 2030. Nur wenn der
Mensch dagegensteuert, kann dieses Schicksal vermieden werden. Denn Diabetes ist eine der wenigen Krankheiten, die noch vor ihrer Entstehung
willentlich beeinflusst werden können – im Negativen wie im Positiven. Zumindest bei Diabetes Typ
2 - dem „Alterszucker“.
Foto: pressefotos.at
Durch eine Insulinresistenz gelangt der mit der
Nahrung aufgenommene und für den Körper notwendige Treibstoff Zucker nicht bis in die Zellen.
Stattdessen bleibt Glukose im Blut und richtet
- schleichend - Schäden an Gefäßen, Nerven und
Organen an. Von Diabetes Typ 2 sind mehr als 90
Prozent der 650.000 Diabetiker in Österreich betroffen. Seine Entstehung geht mit Übergewicht,
Bluthochdruck und einem erhöhten Cholesterinspiegel einher. Der Entwicklung kann allerdings mit
kalorien- und fettarmer Ernährung und regelmäßiger
Bewegung Einhalt geboten und der Krankheitsausbruch verzögert oder sogar verhindert werden. Die
Messung bestimmter Werte, wie Fettgewebshormone, Entzündungsfaktoren, Fettverteilung oder
Blutzuckerbelastung, ermöglicht eine Prognose über
das persönliche Risiko einer Diabeteserkrankung
in späteren Jahren. „Das Problem ist nur, dass die
nötige Lebensstiländerung zumeist nicht erfolgt. Jemandem im Alter von 50 Jahren zu sagen, er soll sein
Leben komplett verändern, damit er keinen Diabetes bekommt, ist schwierig“, sagt die Diabetologin
Alexandra Kautzky-Willer von der Medizinuni Wien.
Zwar führen in Studien Programme mit Personal
Trainern, Psychologen und Ernährungsberatern zum
angestrebten Ziel. „Doch diesen Aufwand können
wir in der Praxis nicht bieten“, räumt sie ein. Daher
gelte es, schon bei Kindern gesundheitsfördernde
Verhaltensweisen anzutrainieren.
Ein weiteres Ziel ist, Biomarker (körpereigene
Substanzen) zu finden, um aus der großen Gruppe von Typ 2-Diabetes kleinere genetische Untergruppen definieren zu können, die auf bestimmte
Maßnahmen besonders gut ansprechen. So könnte
ein genetischer Typus besonders stark von Bewegungstherapien profitieren, während ein anderer
mehr Erfolg mit vegetarischer Ernährung haben
könnte. Eine präzise Kenntnis dieser Typologien
wären ein Schritt zur personalisierten DiabetesVorbeugung.
Von Typ 1 sind zwar nur sieben bis acht Prozent der
Diabetiker betroffen, sie sind aber umso mehr in
ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Es handelt sich
um eine Autoimmunerkrankung, bei der eine körpereigene Zerstörung der Inselzellen Insulinmangel
verursacht. Das Hormon Insulin wird normalerweise in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Fehlt es,
kommt es zu einem ungebremsten, lebensbedrohenden Anstieg des Blutzuckers. Typ 1-Diabetiker
müssen Insulin spritzen. Mehrere Forschergruppen
arbeiten an einer Impfung, die, im Frühstadium verabreicht, die Zerstörung der Betazellen verhindern
könnte. Vor allem Virusinfektionen könnten Diabetes Typ 1 auslösen.
Die Suche nach neuen Therapien läuft auf Hochtouren. Eine vollautomatische künstliche Bauchspeicheldrüse könnte künftig unter der Haut den
Blutzucker messen und Insulin bedarfsgerecht ausschütten. Auch wird intensiv nach Möglichkeiten
gesucht, die zerstörten Inselzellen zu ersetzen.
Transplantationen von Bauchspeicheldrüse oder
Inselzellen werden bereits durchgeführt, doch es
mangelt an Spenderorganen. Neue BioreaktorSysteme könnten das Problem lösen. Auch bei der
Gewinnung von insulinproduzierenden Zellen aus
Stammzellen oder umprogrammierten Vorläuferzellen im Darm oder der Haut gibt es vielversprechende Ergebnisse. Die Gentechniker streben an,
die Insulinproduktion in anderen Organen zu ermöglichen. n
eltweit leiden 44 Millionen Menschen an Morbus
Alzheimer. Bis zum Jahr 2050 rechnet die Organisation Alzheimer Disease International (ADI) mit
einer Verdreifachung der Fälle. ADI-Chef Marc Wortmann sieht eine „Epidemie, die sich zu einer der größten Herausforderungen für Gesundheit und Soziales
entwickelt“.
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Antigenen, abgekürzt HLA, verbunden. HLA sind
Proteinkomplexe, die sich an der Oberfläche aller
Körperzellen befinden und bei der Immunantworten eine wichtige Rolle spielen. Bei vielen Polyarthritis-Patienten findet man die Gene gehäuft, die das
HLA DRB1 kodieren. Allerdings besitzen auch 20
Prozent aller Nicht-Rheumatiker diese Gene. „Die
genetischen Assoziationen sind gering“, resümiert
Smolen. Anders ist das bei der Epigenetik. Sie steht
für das Wechselspiel von Genen und Umwelt. So
könnten etwa die Mikroorganismen im und am Körper von Säugetieren eine Rolle beim Ausbruch der
Erkrankung spielen. Ratten mit einer genetischen
Disposition bekamen keine Rheumatische Arthritis,
wenn sie in einer keimfreien Umgebung aufwuchsen. Welche Keime allerdings ausschlaggebend sind,
ist bei Myriaden von Arten noch nicht bekannt. „Es
ist trotzdem die beste Hypothese“, sagt Smolen. Er
ist überzeugt, dass Rheumatische Arthritis in 10 bis
15 Jahren heilbar sein wird. Schon jetzt wurden für
ein bestimmtes Rheuma-Medikament Biomarker
(körpereigene Stoffe) identifiziert, mit denen sich
vorhersagen lässt, ob es bei einem Patienten wirken
wird oder nicht. n
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Risikopatienten können dem Ausbruch der Alzheimer-Krankheit vorbeugen,
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Gesunder Lebensstil gegen Demenz
jene auf asiatischen Speiseplänen) mit einem hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren, B-Vitaminen und Folsäure,
sowie der Verzicht auf Nikotin beugen Demenzerkrankungen vor. Außerdem tritt die Krankheit familiär gehäuft auf. Eine Kenntnis der eigenen Gene ermöglicht
daher eine Abschätzung der Alzheimer-Anfälligkeit.
„Künftig werden wir unsere Risken für neurodegeneBei der Krankheit, die zumeist Menschen über 65 Jahre
rative Erkrankungen kennen und durch äußere Maßbefällt, werden kleine, körpereigene Eiweiße toxisch. Sie
nahmen einem Ausbruch entgegenwirken können“,
lagern sich im Gehirn ab und zerstören die Nervenvererklärt Jürgen Sandkühler, Chef des Zentrums für Hirnbindungen. Fortschreitender Gedächtnisverlust ist die
forschung der Medizinuniversität Wien. Denn LebensFolge. An einer Impfung wird vielfach geforscht, aber
still und Umwelt beeinflussen die Art und Weise, wie
noch ohne bahnbrechendes Ergebdie Gene abgelesen werden. „Die
nis. Derzeit zugelassene Medikamente
Beschreibung jedes individuellen
wirken in geringem Ausmaß auf beGenoms kombiniert mit der voranstehende Symptome, können aber das
schreitenden Erfassung aller LebensVoranschreiten der Erkrankung nicht
bereiche ergibt eine ziemlich vollstoppen. Eine neue Substanz gibt nun
ständige Kenntnis der beiden großen
Anlass zu neuer Hoffnung. Das Wiener
Einflussgrößen auf die Gesundheit.
Biotech-Unternehmen Affiris hat einen
Wir werden schnell verstehen, welWirkstoff gegen die Demenzerkranche Parameter in welcher Kombinakung entdeckt, der in klinischen Tests
tion letztlich zur Demenz führen und
die Gedächtnisleistung stabilisieren
wie diese vermieden werden könkonnte und ein weiteres Schrumpfen
nen“, sagt er. Wer also bis ins hohe
des Hippocampus verhinderte. Wie
Alter Herr seiner Gedanken bleiben
die Ergebnisse der klinischen Phase-IIwill, tut gut daran, gesundheitsbeStudie zeigen, erreichte die Substanz
wusster zu leben.
AD04 bei 47 Prozent der Behandelten
Einen anderen Ansatz verfolgen spaeine Stabilisierung des Krankheitsvernische Wissenschafter. Sie berichten
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davon, bei Mäusen Alzheimer gedestens 18 Monaten. Die Wirkung
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„Wiederbelebung des Gedächteine Frage des Alters. Bei Amerihef des
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Universität in Barcelona in Aussicht. Die
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Hauptrolle spielt das Protein CRTC1. Ist es dejedoch ab 90 Jahren schon bei 50,2
fekt, setzt die Erinnerung aus. Die Neuroforscher verProzent. Bluthochdruck, zu hohe
sorgten erkrankte Mäuse mit dem genetischen Bauplan
Blutfettwerte, Rauchen, Depression, mangelnde körperfür CRTC1, um deren Gedächtnis zu reaktivieren. Eine
liche Bewegung und ein niedriges Ausbildungsniveau beGentherapie auf Basis dieses Proteins wäre laut den
günstigen laut Beobachtungsstudien rund die Hälfte der
Forschern denkbar. n
Fälle. Ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung (wie
Foto: fineprint.at
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„Hirnschrittmacher“:
Rund 75.000 Menschen tragen einen „Hirnschrittmacher“.
Der in der medizinischen Fachsprache als Tiefe Hirnstimulation bezeichnete neurochirurgische Eingriff korrigiert
krankheitsbedingte Fehlleistungen des Gehirns, die Zittern,
Steifigkeit oder Bewegungsarmut zur Folge haben. Patienten bekommen Elektroden in das Gehirn eingesetzt, die
über subkutan verlegte Kabel mit einem Impulsgeber im
Oberbauch verbunden sind. Der Impulsgeber gibt dauerhaft
elektrische Signale an die Zielregionen im Gehirn ab, um
diese zu deaktivierten oder zu stimulieren. Die Motorik läuft
wieder kontrolliert ab, behandelte Patienten tragen jedoch
das Risiko von Infektionen. Ein etabliertes Anwendungsgebiet ist die Parkinson-Krankheit.
Technik im
„Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, doch er atmet durch
durch eine künstliche Speiseröhre und betrachtet die Landsch
Auge“: Diese Vision formulierte der Autor Erwin Lausch bere
ben tausende Menschen mit körperlichen Ersatzteilen aus Me
eure können mittlerweile sogar Prothesen direkt mit dem me
sie somit zu neuen Körperteilen machen. Maschinen im Mens
Cochlea-Implantat
Schon der stark schwerhörige Ludwig van Beethoven machte sich den Mechanismus zu Nutze: Um den Klang seiner Musik hören zu können, klemmte
der Komponist einen Taktstock im Klavier ein und biss darauf. Über den
Stock vibrierten die Schallwellen in den Knochen und weiter in das Innenohr.
Heute funktionieren aktive Knochenleitungs-Implantate unter der Haut nach
diesem Prinzip. Sie nutzen den Schädelknochen zur Vibrationsleitung des
Schalls. Schwer hörgeschädigte Menschen, bei denen Töne das Innenohr
nicht auf natürlichem Weg erreichen, können mit dem System weitgehend
normal hören. Für die Erfindung erhielt das Innsbrucker Medizintechnikunternehmen MED-EL Österreichs Staatspreis für Innovation.
Ersatzhand, die auch fühlt
Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne haben eine Prothese entwickelt, die auch fühlen und ertasten kann, ob ein Objekt weich oder hart,
rund oder eckig ist. Wie bei anderen fortgeschrittenen künstlichen Gliedmaßen
steuern die Muskelbewegungen des Unterarms die Hand. Neu ist der Rückkanal,
über den der Prothesenträger merkt, wie fest er zudrückt und welche Art von
Gegenstand er hält. Das Forscherteam setzte einem Mann, der eine Hand verloren
hatte, vier feine Elektroden in den Mittelarmnerv und den Ellennerv seines Oberarms. Der Mittelnerv leitet die Empfindungen von Daumen und Zeigefinger ans
Gehirn weiter, der Ellennerv jene für den kleinen Finger. Eine Software übersetzt
die elektrischen Signale der Drucksensoren in Impulse, die von den Nerven aufgenommen und ins Gehirn weitergeleitet werden.
Gedankengesteuerte Prothesen
Gelähmte Menschen können Roboterhände mit Gedanken steuern.
Etwa haben US-Forscher in das motorische Zentrum des Gehirns
einer gelähmten Frau Mikro-Elektroden eingepflanzt, die mit
einem in alle Richtungen beweglichen künstlichen Arm, inklusive
Hand und voll beweglichen künstlichen Fingern, verbunden sind.
Schon zwei Tage nach der Operation konnte die Frau den prothetischen Arm kraft ihrer Gedanken bewegen. Nach drei Monaten
Training konnte sie Greifaufgaben zu über 90 Prozent erfüllen, ihre
Bewegungen wurden schneller und effizienter.
Nano-Roboter
Auch das superfeste, superleichte, extrem leitfähige „Wundermaterial“ Graphen
könnte sich für medizintechnische Anwendungen eignen. Nano-Roboter aus dem
Material könnten künftig im Körper Prothesen steuern, damit diese Bewegungen noch
präziser ausführen. Nano-Senoren könnten wiederum die Zuckerwerte in der Blutbahn
messen und nach außen funken, damit Diabetiker sich zur Messung nicht mehr in
den Finger stechen müssten. Auch Tumore könnten die winzigen Teilchen gezielter
bekämpfen, indem sie Medikamente direkt in wuchernden Zellen ablagern. Niederländische Forscher arbeiten nun auch am Antrieb der Nano-Bots. Sie haben einen
Mini-Roboter entwickelt, der sich wie ein Spermium bewegt.
Kabellose Schrittmacher
US-Forscher der Universität Stanford haben einen Chip entworfen, der kabellos
aufgeladen werden kann. Er ist so klein wie ein Reiskorn, könnte jedoch ähnlich wie
die Nano-Roboter Vitalfunktionen im Körper überwachen, Signale im Gehirn beeinflussen oder Medikamente in erkrankten Regionen deponieren. Damit das Gerät
stets funktioniert, wird eine Stromquelle so groß wie eine Kreditkarte außerhalb des
Körpers über den Chip gehalten. Die zentrale Herausforderung ist nun, die elektromagnetischen Wellen im Körper zu kontrollieren.
Künstliche Gelenke
„Menschen fahren mit dem Auto, bewegen sich weniger und sind dicker. Die
Gelenke werden rascher abgenutzt. Wer lange genug lebt, wird sie austauschen müssen“, sagt die plastische Chirurgin Hildegunde Piza, die 1999 an
der ersten Transplantation von Händen beteiligt war. Immer mehr Menschen
leben mit Kniegelenken aus Titan, Hüftpfannen aus Kobalt und anderen künstlichen Schulter-, Sprung-, Ellbogen- oder Fingergelenken. Statistiken zufolge
ist die Operationsfreudigkeit in reichen Gegenden am größten, arthritische
Gelenksveränderungen sind die häufigste Indikation.
Körper
künstliche Lungen, schluckt seine Nahrung
haft durch eine künstliche Linse in seinem
eits1967 in der deutschen „Zeit“. Heute leetall oder Kunststoff. Mediziner und Ingenienschlichen Nervensystem verdrahten und
schen – ein Überblick von Eva Stanzl.
9
Künstliche Netzhaut
Mediziner arbeiten an der Entwicklung künstlicher Augen. In Europa zugelassen ist bereits ein Netzhaut-Implantat, das ohne Spezialbrillen oder
Kameras auskommt. Blinde mit zerstörter Netzhaut können damit wieder
schemenhaft sehen. In einer Operation wird ein drei mal drei Millimeter
großer Mikrochip ins Auge eingesetzt. „Man kann bewegte große Objekte wie etwa Autos erkennen, sehen, ob eine Tür geschlossen ist oder
offen steht, und den Weg, auf dem man geht, besser ausmachen“, erklärt
Ursula Schmidt-Erfurth von der Wiener Universitäts-Augenklinik.
Bionische Augen
Ein kleiner Bub in China zählt zu den ersten Patienten, die die
Welt mit Hilfe von künstlichen Augäpfeln wahrnehmen. Sie
geben zwar nicht das Augenlicht zurück, doch sie helfen über
Sensoren auf Stirn und Zunge bei der Orientierung. Bereits in
fünf bis zehn Jahren könnten bionische Augen 20 bis 40 Prozent
der natürlichen Sehkraft zurückgeben. Dazu muss es gelingen,
direkte Nervenverbindungen in das Gehirn aufzubauen.
Kunstherz
Rund drei Milliarden Mal schlägt das Herz eines Menschen im Laufe
seines Lebens. In Ruhe bringt es etwa 1,5 Watt, bei Sport mindestens
zehn Watt Leistung und pumpt dabei bis zu 40 Liter Blut pro Minute
durch den Körper. Funktioniert das lebenswichtige Organ nicht mehr,
kann ein Kunstherz helfen. Spezialisten retten damit heute sogar
Säuglinge.
Herzschrittmacher ohne Batterie
Tausende Menschen müssen ihr Leben einem keinen elektronischen Gerät
anvertrauen: dem Herzschrittmacher. Zwar gilt die Operation als Routine,
doch sie zieht weitere Eingriffe nach sich, wenn die Batterie zu Ende geht.
Ein neu entwickelter Herzschrittmacher könnte damit Schluss machen. Er
braucht keine Batterie, sondern er nutzt die natürlichen Bewegungen der
Organe als Stromquelle. „Die Bewegungen von Herz und Lunge dienen als
unerschöpfliche Energiequelle während der Lebenszeit eines Patienten“,
erklären US-Wissenschafter der Universität Illinois, die die Funktionstüchtigkeit des Geräts bereits an Tieren getestet haben.
Implantat für Querschnittgelähmte
US-Forscher haben ein Implantat entwickelt, mit dem Querschnittsgelähmte die
Hüften und Knie beugen sowie Zehen bewegen können. Gehen können sie damit
zwar noch nicht, wohl aber einen Teil ihres Körpergewichts selbst halten. Das
Implantat sendet elektrische Signale an Nervenbündel im Rückenmark im unteren
Teil der Wirbelsäule, um diese zu stimulieren. Sie ersetzen die Nervensignale des
Gehirns, die normalerweise die Bewegungen der Beine steuern, jedoch nach einer
Rückenmarkverletzung nicht mehr ankommen. Die Technologie wurde an vier USPatienten getestet. Sie eröffnet die Perspektive, dass schwer verletztes Rückenmark
sich wieder erholen könnte. Gelingt dies, können eines Tages vielleicht tatsächlich
Lahme wieder gehen.
Seide flickt die Knochen
Seide assoziieren wir meist mit dünnen, feinen Stoffen. Doch das
Naturmaterial kann auch anders: Zu dickeren Platten gepresst,
lassen sich daraus Schrauben und andere Stützelemente fertigen,
die gebrochene Knochen zusammenhalten. Der Vorteil: Seidenschrauben lösen sich im Körper von selbst auf. Im Unterschied zu
Metallschrauben, Platten oder Nägeln müssen sie nicht entfernt
werden, nachdem der Knochen wieder zusammengewachsen ist.
Fotos: apa/dpa/fotolia/wikicommons
Künstliche Bauchspeicheldrüse
In der Therapie von Diabetes werden bereits Transplantationen von
Bauchspeicheldrüse oder Inselzellen durchgeführt, doch es mangelt an
Spenderorganen. Künftig könnte ein kleines Gerät unter der Haut als
vollautomatische künstliche Bauchspeicheldrüse den Blutzucker messen
und Insulin bedarfsgerecht ausschütten. Es wird auch intensiv nach
Möglichkeiten gesucht, die zerstörten Inselzellen zu ersetzen. Implantierte Bioreaktoren, die Inselzellen kultivieren, könnten dabei helfen.
10
Biomarker sollen präzise Diagnosen und schnellere Heilung möglich machen
Berechenbare Hoffnung
Zwar sind Biomarker nur aus Gewebe, Blut-Serum, Knochenmark oder bildgebenden
Verfahren gewonnene Messgrößen. Sie ermöglichen aber, individuelle Krankheitsrisiken
vorherzusagen und die richtige Therapie anzuwenden. Somit bergen sie große
Hoffnungen für die Medizin der Zukunft. Von Cathren Landsgesell
D
ie Prozesse im menschliche Körper können
auch eine erfahrene Medizinern wie Barbara Obermayer-Pietsch überraschen. Sie hat mit
ihrem Forschungsteam vor kurzem festgestellt,
dass das Hormon Vitamin D die Produktion von
Testosteron in den Hodenzellen reguliert. Das
bedeutet, dass offenbar komplexe Kommunikationsbeziehungen zwischen den Knochen, die
Vitamin D-abhängig sind, und dem Hodenstoffwechsel bestehen. „Dass Knochenhormone mit
der Fertilität von Männer zu tun haben, glaubt
man ja im Traum nicht“, sagt die Endokrinologin, die an der Medizinischen Universität Graz
das Projekt „BioPersMed“ („Biomarker für personalisierte Medizin“) leitet. Ausgestattet mit
knapp sieben Millionen Euro, haben die Forscher
im Rahmen des Programmes noch etwas mehr
als ein Jahr Zeit, die Biomarker für „Volkskrankheiten“ wie zum Beispiel Diabetes Typ I und II,
Fettleber oder Herz- Kreislauferkrankungen zu
finden, um damit individuelle Krankheitsrisiken
und Therapien zu bestimmen. Am Anfang von
BioPersMed vor vier Jahren stand die Annahme,
dass viele Körperfunktionen zusammenhängen.
Nun hat sich gezeigt, dass ganze Organsysteme
des Körpers vielfältige und sehr enge Beziehungen unterhalten. Man beginnt zu verstehen,
wie der Körper das Zusammenspiel reguliert.
Das Verständnis für die Funktionsweise kommt
von den sogenannten Biomarkern: „Sie verändern die Medizin grundlegend.Wir haben natürlich auch zuvor gewusst, dass im Körper sehr
vieles zusammenhängt.Wir haben aber das Ausmaß nicht gekannt und vor allem nicht gewusst,
wie viele Dinge zusammenhängen. Es bestätigt
sich erneut:Wenn man an einer Schraube dreht,
verändert sich alles andere“, erklärt Obermayer-Pietsch.
Foto: fotolia/Paulista
Biomarker sind zunächst nicht mehr als Messdaten, die aus Körperzellen oder am Körper
erhoben werden können, wie zum Beispiel der
HDL-Cholesterin-Spiegel oder der Blutdruck.
Zu echten Zeichen und damit validen Biomarkern werden diese Messdaten erst dann, wenn
sie verlässlich mit klinisch nachweisbaren Veränderungen in Beziehung gesetzt werden können. So kann ein niedriger Vitamin-D-Status ein
Co-Faktor für den Verlauf bei Diabetes mellitus
sein. Der Glukosestoffwechsel wiederum spielt
eine Rolle bei Hormonveränderungen wie dem
Polyzystischen Ovarialsyndrom, von dem weltweit mehr als zehn Prozent aller Frauen betroffen sind. Auch für das Risiko und die Schwere
psychischer Erkrankungen gibt es inzwischen
Biomarker: Ein dauerhaft überhöhter morgendlicher Cortisolspiegel kann bei Jugendlichen ein
Biomarker für eine schwere Depression sein. Im
Verbund mit klinischen Veränderungen – im Fall
von Diabetes mellitus zum Beispiel wäre das der
Zuckerspiegel – lässt sich mit Biomarkern das
Risiko für bestimmte Erkrankungen voraussagen.
Genau diese Eigenschaft macht die Biomarker
für die Medizin so vielversprechend. Nicht nur
Erkrankungen lassen sich damit
potenziell vorhersagen, sondern auch, ob ein Patient
auf eine Therapie ansprechen wird oder nicht. Auf
diese sogenannte Companion Diagnostik setzt
man vor allem bei Erkrankungen, deren Therapie kostspielig und für die Patienten belastend
ist, wie in der Krebstherapie oder bei bestimmten Rheumaerkrankungen. „Biomarker sind wesentlich, um die Charakteristik einer Krankheit
zu bestimmen, um Risikovoraussagen zu treffen
und um die Therapie zu finden, die für den jeweiligen Patienten wirksam ist“, fasst Obermayer-Pietsch zusammen.
Biomarker in der Forschung
Bis tatsächlich aus dem bedeutungslosen Rauschen des Körpers das signifikante Signal eines
Biomarkers isoliert werden kann, ist es oft ein
weiter Weg. Weil viele Körpersysteme zusammenhängen, kommt potenziell alles und jedes
als Biomarker in Frage: die gesamte Biochemie
und alle Bausteine des Körpers. Beispiel Diabetes: „Es gibt viele Formen und Verläufe. Bei
manchen Patienten stellen sich Komplikationen
ein, bei anderen nicht. Woran liegt das? Sind es
Gene, die Epigenetik, Hormone, die Ernährung,
Bewegung oder das Mikrobiom? Bereits für die
Ursachen einer Erkrankung gibt es viele Kandidaten und damit auch potenziell relevante Biomarker“, sagt Obermayer-Pietsch.
B
ioPersMed untersucht speziell Lebensstilerkrankungen, wie Herzkreislauferkrankungen,
Fettleber, Diabetes oder Osteoporose. Die Expertise kommt daher aus drei Fachgebieten: Endokrinologie, Hepatologie und Kardiologie, also
die Lehren von den Hormonen, der Leber und
dem Herzen. Die Hypothese lautet, dass alle
drei zusammenhängen und sich wechselseitig
beeinflussen, Biomarker für eine Herzkreislauferkrankung also auch im Knochenstoffwechsel
gefunden werden können. BioPersMed hat eine
Versuchsreihe für mehr als 1000 Personen mit
einem Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen aufgebaut, die regelmäßig kardiologisch,
hepatologisch und endokrinologisch untersucht werden. Das Ganze ist aufwendig: Zu den
Ultraschalls für Leber und Herz, EKGs, Ergometrien, Knochendichtemessungen, Glukosetoleranztests, Muskelstärke-Messungen und Gehversuchen zur Bestimmung des Muskeltonus
kommen ausführliche Hormonpanels inklusive
Speichelmessungen, Urin- und Blutuntersuchungen – um nur einige zu nennen. Weil BioPersMed auch mehr über potenzielle Lebensstil-Biomarker wissen will, gibt es Schlaf- und
Ernährungsfragebögen und Depressionsscores.
So entstehen anhand dieser detailliert dokumentierten klinischen Daten komplexe Profile,
die mit den entsprechenden Biomarkern abgeglichen werden können. So beginnt man zu
verstehen, warum nicht alle Personen, die eine
Krankheit ausweisen, den gleichen Verlauf haben oder die gleiche Behandlung benötigen.
I
n Graz können die Forscher die Daten einzelner Forschungsprojekte direkt vor Ort auch
in die größte Forschungsbiobank Europas einspeisen und die dort bei minus achtzig Grad
Celsius gelagerten fünf Millionen Proben von
Gewebe, Blut und Körperzellen nutzen. Die
Proben stammen teilweise aus den 1950er
Jahren. Somit sind umfassende Langzeitstudien
möglich. Im Frühjahr 2014 siedelte sich außerdem das europäische Koordinationszentrum
für Biobanken (BBMRI – Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure)
an der Medizinischen Universität Graz an. Die
BBMRI wird die über Europa verteilten Proben-Sammlungen zu einer einzigen virtuellen
Biobank zusammenführen.
Die Menge an Proben und Daten bedeutet kurioserweise, dass noch mehr davon gesammelt
werden müssen. Dank der Fortschritte der Bioinformatik können heute viel mehr Informationen aus einer einzigen Probe gewonnen werden
– der Nachweis eines signifikanten Zusammenhangs bedarf daher umso größerer Stichproben.
„Diese Daten muss man nicht nur auswerten,
sondern auch gut verwalten“, sagt ObermayerPietsch. Bei dem geplanten Kompetenzzentrum
CBmed – Centre for Biomarker Research in
Medicine, an dem neben der Medizinischen Universität Graz auch die MedUni Wien und zahlreiche Medizintechnik-Institute und -Firmen
beteiligt sind, wird es daher eine eigene IT-Area
geben. Diese widmet sich speziell dem Data Mining, also der Verknüpfung, Verwaltung und Auswertung von Daten.
Innovative Diagnostik
In Pharmakologie und Forschung haben die
Biomarker einen Paradigmenwechsel bewirkt.
„Auch die Pharmaindustrie ist inzwischen froh,
wenn sie weiß, welche Patienten auf welches
Medikament ansprechen“, sagt ObermayerPietsch. In der sogenannten Companion Diagnostik, bei der getestet wird, ob ein Medikament passgenau auf Erkrankung und Patient
abgestimmt ist, geht es um viel Geld, aber auch
um unnötiges Leid. So kostet die Behandlung
von Chronischer Polyarthritis, einer Autoimmunerkrankung, mit einem Biologikum rund
10.000 Euro im Jahr und mehr. Biologika sind
gentechisch hergestellte Eiweißstoffe, die zum
Einsatz kommen, wenn die Standardmedikation
wie zum Beispiel Methotrexat nicht wirkt – das
ist bei rund der Hälfte der Patienten der Fall.
Nun sprechen auch nicht alle Patienten auf dasselbe Biologikum an. Es dauert jeweils mehrere
Monate, auch nur eines durchzutesten. Ein für
Patienten sehr strapaziöser Prozess.
Das Biotechnologie-Unternehmen Genentech
scheint nun einen Biomarker gefunden zu haben, der die Unwirksamkeit der Biologika Rituximab und Ocrelizumab vorhersagen kann. Diese sind auf B-Lymphozyten spezialisiert, einem
Teil der weißen Blutkörperchen, und hindern sie
daran, Antikörper zu bilden. Die Patienten, bei
denen beide Biologika nicht wirken, weisen einen erhöhten Spiegel von lgJ mRNA auf, das ist
eine bestimmte Form der Boten-RNA, die Antikörperproduzierende Proteine codiert. Theoretisch ist es mit diesen Ergebnissen, die im Mai
im Magazin Science Translational Medicine publiziert wurden, möglich, unwirksame Biologika
auszuschließen – zumindest was Rituximab und
Ocrelizumab betrifft.
Nicht nur Patienten würde damit einiges erspart. Biomarker sollen auch dazu beitragen,
Gesundheitskosten zu reduzieren. Im Rahmen
von BioPersMed haben Forscher in Bezug auf
hormonell bedingten Bluthochdruck errechnet,
dass je Patient rund 120.000 Euro Krankheitskosten eingespart werden könnten, wenn der
Bluthochdruck sofort richtig als hormonell bedingt erkannt wird. Das macht verständlich, warum viele Hoffnungen auf den Biomarkern ruhen. Genug Lesestoff gibt es auch: Rund 50.000
neue Fachpublikationen zum Thema erscheinen
jährlich. n
Foto: fotolia/Tatyana Gladskih
11
Der richtige
Wirkstoff hat
seinen Preis
Die Entwicklung von zielgerichteten Medikamenten kostet.
Zahlen muss der Patient.
K
ünftig sollen Patienten keine Arzneien erhalten, die bei ihnen nicht wirken können.
Christoph Zielinski, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der Medizinuniversität Wien,
gilt als Verfechter der maßgeschneiderten Medizin. Er warnt jedoch vor hohen Entwicklungskosten, wenn praktisch jede Patientengruppe
ihre eigenen Wirkstoffe erhält. Medikamente
sind dann zwar wirkungsvoller, aber teurer.
Bevor eine Substanz auf den Markt kommt,
muss sie an Menschen getestet werden. Auch,
wenn sie nur bei wenigen Patienten wirkt. Soll
eine Arznei für eine Erkrankungsform erprobt
werden, die nur bei einem Prozent der Bevölkerung auftritt, muss dies an 3000 Menschen
geschehen, damit das Medikament genau so sicher ist. Die Entwicklungskosten werden daher
künftig viel höher sein als die Therapiekosten.
Zielinski sieht die Gesundheitssysteme gefährdet. „In Zukunft werden vermutlich nicht nur
die Gesunden für die Kranken zahlen, sondern
auch die Kranken dafür, dass 30 von 3000 Menschen ein Medikament erhalten.“
Eine Möglichkeit der Kosteneinsparung wäre,
die Zahl der Spitalsaufenthalte zu senken. „Es
wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir
letztlich eine völlig außerhalb des Spitals liegende Versorgungsstruktur haben. Patienten werden kommen, sich ihre Therapie in Tablettenform abholen oder spritzen lassen und wieder
nach Hause gehen. Die Zahl der stationären
Aufnahmen wird angesichts der ökonomischen
Entwicklungen sinken. Möglicherweise können
es sich die Patienten in 20 Jahren sogar nicht
einmal mehr leisten, in Krankenstand zu gehen,
weil sie sonst ihren Job verlieren“, sagt Zielinski.
Schon heute würden private Zusatzversicherer
genau hinterfragen, warum sie Spitalsaufenthalte
bezahlen sollten. n
Eva Stanzl
Foto: apa/Helmut Fohringer
Schon ab dem Babyalter für
jeden Patienten die richtige
Medizin – das ist eine Hoffnung,
die mit der Suche nach
Biomarkern verbunden ist.
Foto:Corbis/ Andrew Brookes
Der Onkologe warnt vor Unterschieden in der
Art der Behandlung. Schon heute übernehmen
manche Staaten mit weniger ausgebauten Sozialsystemen keine Kosten für Medikamente, die
mehrere tausend Euro kosten. Britische Kassenpatienten etwa müssen mit billigeren Substanzen vorlieb nehmen, selbst wenn ein teureres Präparat ihnen um ein paar Lebensmonate
mehr schenken könnte. „Das Problem ist, dass
in den Statistiken der Median verglichen wird.
Es gibt aber Leute, die mit der gleichen Therapie
noch viel länger leben könnten als der Mittelwert.“ Den Versuch wäre es also wert.
Christoph Zielinski, Leiter der
Klinischen Abteilung für Onkologie
der Medizinuniversität Wien
12
Stress und hormonelles Gleichgewicht
Frauen „müssen den
Pausenknopf finden“
Negativer Stress macht Frauen dick, gereizt, depressiv und kann sogar zu ernsten Erkrankungen wie Krebs führen, sagt die US-Medizinerin und Bestsellerautorin Sara Gottfried. Mit „Future“ sprach sie über die gesundheitlichen Herausforderungen einer zunehmend stressigen Welt und neue Wege, damit umzugehen. Interview: Cathren Landsgesell
Future: In Ihrem Buch „Die Hormonkur“ schreiben Sie, dass der gesamte
Hormonhaushalt aus den Fugen gerät,
wenn wir zu viel Distress haben, also zu
viel vom „schlechten“ Stress, der uns
besorgt und nervös macht. Wie sieht
das typische hormonelle Stressmuster
dazu aus?
Sara Gottfried: Nicht alle Frauen reagieren
auf dieselbe Art und Weise auf Stress. Aber es
gibt bestimmte Muster, die auch durch unseren
heutigen Lebensstil geprägt sind. Das klassische Muster ist ein zu hoher Cortisolspiegel,
hohes Östrogen und niedrige Werte bei den
Schilddrüsenhormonen, insbesondere bei dem
Schilddrüsenhormon T3. Das ist eine Tendenz,
die ich bei vielen meiner Patientinnen im Alter
zwischen 35 und 50 Jahren beobachte. Etwa 75
Prozent von ihnen haben diese Kombination.
Illustration: fotolia/Pétrouche
Das ist auch die Zeit der Perimenopause, die vor der eigentlichen Menopause
liegt, und gemeinhin als „Wechsel“ bezeichnet wird. Ist es nicht normal, dass
die Hormone dann aus dem Gleichgewicht kommen?
Hormonelle Veränderungen gibt es immer: Die
Übergänge zwischen den einzelnen Phasen
sind ja fließend, in gewisser Weise beginnt die
Perimenopause schon zwanzig Jahre vor dem
eigentlichen Wechsel. Stress spielt aber für die
hormonelle Verfassung eine besondere Rolle.
Wobei ich auch sagen muss: Wir brauchen ein
gewisses Maß an Stress, um uns gut zu fühlen.
Die Kunst besteht jedoch darin, nicht so viel
schlechten Stress zu bekommen, dass er einen
ganz verbraucht oder zu Brustkrebs oder anderen schweren Erkrankungen führt.
Was passiert bei zu viel schlechtem
Stress?
Ein Beispiel: Als ich als Ärztin anfing zu arbeiten, habe ich dauernd Stunden von anderen
Ärzten mitübernommen, ich kannte keine
Grenze. Nachdem ich Mutter wurde und zwei
kleine Kinder hatte, bin ich regelrecht vor eine
Wand gefahren. Ich litt unter ausgeprägtem
prämenstruellen Syndrom (PMS), legte vor
allem am Bauch etwa 12 Kilo an Gewicht
zu, hatte praktisch keine Libido mehr. Meine
Haare fielen aus, ich war permanent gereizt
und konnte nicht mehr abschalten, obwohl
ich hundemüde war. Da war ich Mitte dreißig.
Hormonell betrachtet ist Folgendes passiert:
Unter Stress hat die Produktion von Cortisol plötzlich oberste Priorität. Das Hormon
versetzt den Körper in Reaktionsbereitschaft,
erhöht den Blutdruck und erleichtert die Versorgung der Zellen mit Energie. Wenn aber
unter ständiger Anspannung immer mehr
und mehr Cortisol produziert wird, geht das
zu Lasten des Progesterons, denn beide Hormone werden aus Pregnenolon, einer Vorstufe, synthetisiert. Dies hat zur Folge, dass ein
wichtiges, beruhigendes Hormon reduziert
ist. Progesteron hält auch das Östrogen unter
Kontrolle. Fehlt es, steigt der Östrogenspiegel
an und man bekommt eine Östrogendominanz
(die im Verdacht steht, die wichtigste Ursache
für Prämenstruelles Syndrom und viele Wechseljahresbeschwerden zu sein, Anm. d. Red.).
Das hohe Cortisol verlangsamt außerdem die
Produktion der Schilddrüsen-Hormone, insbe-
sondere von T3. (Die Schilddrüsenhormone
spielen eine wichtige Rolle für den Energiestoffwechsel und das Wachstum einzelner Zellen und des Gesamtorganismus und sind somit
lebensnotwendig, Anm.).
Heißt das im Umkehrschluss, dass über
das Cortisol auch die anderen Hormone
wieder ins Gleichgewicht gebracht werden können?
Ein guter Cortisolspiegel ist wichtig für einen nachhaltigen Erfolg: Wenn man nur auf
Progesteron oder Östrogen schaut, löst man
das Problem nicht. Daher ist es wichtig, einen
integrativen Ansatz zu verfolgen, der das Gesamtbild betrachtet und auch den Lebensstil
mit berücksichtigt.
Was passiert, wenn der Cortisolspiegel
dauerhaft erhöht ist?
Im schlimmsten Fall kommt es zum Versagen
der Nebennieren, die dann aufhören, Cortisol
zu produzieren. Auch kann es zu einem Zustand kommen, bei dem der Cortisolwert im
Verlauf des Tages zu hoch oder zu niedrig sein
kann. Ich hatte morgens einen überhöhten
Cortisolspiegel und war am Abend weit unter
dem normalen Wert. Wenn ich um halb neun
meine Kinder ins Bett gebracht habe, war ich
so fertig, dass ich am liebsten auch sofort eingeschlafen wäre. Das ist typisch. Ein anderes
gesundheitlich bedenkliches Muster sind
besonders flache Cortisolkurven, wie etwa
Untersuchungen im Rahmen der Whitehall-IIStudie, bei der die langfristige Gesundheit von
Angestellten der britischen Behörden untersucht wird, gezeigt haben. Bei besonders fla-
13
Welche Lebensstile sind es Ihrer Erfahrung nach, die wirklich stressend wirken?
Die guten alten Bekannten: eine Ernährung, die
hauptsächlich aus Fertiggerichten besteht und
arm an Nährstoffen ist, und zu wenig Bewegung.
Die meisten Menschen in der westlichen Welt
sitzen heute den ganzen Tag am Schreibtisch, das
heißt, der Stoffwechsel verlangsamt sich.Wirklich
stressend ist auch, in einer gedanklichen Negativspirale hängen zu bleiben. Man fühlt sich als
Opfer und hat das Gefühl, keine Kontrolle über
das eigene Leben zu haben. Dann ist es wirklich
wichtig, die positiven Kräfte zu aktivieren - auch
wenn das jetzt sehr esoterisch klingt. Auch soziale Isolation und übermäßige Hingabe an die Familie oder die Arbeit können als Stressor wirken.
Es ist ein oft schmaler Grat, der ein als reich und
vielfältig empfundenes Leben von einem krankmachenden Leben trennt.
Wenn es letztlich nicht um den Stress an
sich geht, sondern um den Umgang damit,
dann haben Frauen aber heute schlechtere Karten. Nicht zuletzt weil der Alltag
allgemein ja viel stressiger ist. Wie bringt
man das Cortisol wieder herunter?
Die Glücksforschung zeigt tatsächlich, dass Frauen
noch nie so unglücklich waren wie heute. Die Todo-Listen werden ja auch eher länger als kürzer.
Weil nicht zu erwarten ist, dass der Stress weniger
wird, ist es umso wichtiger, gut damit umzugehen.
Das heißt nicht, dass man sich an krankmachende
Lebensumstände anpassen muss. Sondern es geht
eher darum, herauszufinden, was man weglassen
kann und den persönlichen Pausenknopf zu finden. Dieser Pausenknopf kann zum Beispiel darin
bestehen, den Parasympathikus zu aktivieren, also
den Teil des vegetativen Nervensystems, der für
Ruhe und Verdauung zuständig ist, indem man
meditiert, Yoga macht oder sich bewusste Momente der Ruhe und des Rückzugs gönnt. Auch
Bewegung und gesundes Essen helfen.
Die
Reproduktionsmedizin
versetzt
Frauen potenziell in die Lage, auch mit 50
Jahren noch Kinder bekommen zu können.
Passen moderne Medizin und natürliche
Lebenszyklen überhaupt noch zusammen?
Es ist grundsätzlich gut, wenn Frauen Wahlmöglichkeiten haben. Jedoch haben die neuen Möglichkeiten auch ihren Preis: Eine späte Schwangerschaft birgt ein höheres Risiko für Herzinfarkte
oder Präeklampsie. So wenig wir aber darüber
sprechen, was es wirklich bedeutet, mit 50 ein
Kind großzuziehen, so wenig sprechen wir ehrlich über die gesundheitlichen Risiken eines wirklich herausfordernden Berufs. Es hat einen Preis,
wenn man bis in die Nacht hinein noch Em-Mails
beantwortet und nicht den Schlaf bekommt, den
man eigentlich braucht.
Braucht eine Gesellschaft, in der es zum guten Ton gehört, E-Mails auch in der Nacht
zu beantworten, auch eine andere Medizin?
Ich beobachte zumindest in den USA eine Bewegung hin zu einer integrativen Medizin, die
schulmedizinische und komplementäre Ansätze
vereint. In Europa sind ganzheitliche Ansätze ja
sehr viel weiter verbreitet. Auch wird es immer
bedeutsamer, außerhalb der Grenzen der Fachdisziplinen zu denken, nicht zuletzt erwarten
auch die Patienten mehr und mehr einen ganzheitlichen Zugang. n
Zur Person:
Sara Gottfried studierte an der Harvard University
Medizin und arbeitet als Gynäkologin in ihrer eigenen
frauenärztlichen Praxis in Kalifornien. Sie vertritt einen
ganzheitlichen medizinischen Ansatz, bei dem der jeweilige
Lebensstil ihrer Patientinnen eine besondere Rolle spielt.
Im letzten Jahr erschien ihr Buch „Die Hormonkur“ in
den USA und wurde ein Bestseller. Es erschien im Februar
2014 auf Deutsch im VAK Verlag.
Foto: privat
chen Kurven steigt das Risiko von Herz- Kreislauferkrankungen deutlich an. Eigentlich sollte
die Kurve im Tagesverlauf einem Skihang ähneln.
Auch die Forschungsarbeiten von Nobelpreisträgerin Elisabeth Blackburn zu Telomeren haben
gezeigt, dass Stress dafür sorgt, dass wir schneller altern. Zudem scheint es Zusammenhänge
mit der Regeneration der Knochen zu geben,
das heißt die Knochendichte nimmt bei hohem
Cortisol ab.
Foto: Reuters
14
Demographie
Shades
of Grey
Die silbergraue Haarpracht der britischen Königin
Elizabeth II: Mit 88 Jahren ist die Queen betagt, aber
immer noch im Job und bei guter Gesundheit. Wohl an
kaum einem Menschen wurde für die Welt der Lauf
der Zeit so genau sichtbar.
Wirtschaftswissenschafter sehen in der Regel schwarz, wenn es um das Älterwerden
der Bevölkerung geht. Ihr Szenario: Die Produktivität sinkt, Gesundheitskosten steigen
und Pensionen sind nicht mehr finanzierbar. Aber stimmt dieses Bild? Neue Forschungen
zeigen, dass Älterwerden viele Chancen birgt. Für die Gesundheitsausgaben stellt es
außerdem keine grundlegende Bedrohung dar.
Von Cathren Landsgesell
D
er Trend ist fast überall ähnlich, aber in den reichen
Industrieländern besonders ausgeprägt: In den kommenden Jahrzehnten wird der Anteil älterer Menschen
an der Bevölkerung steigen, während der Anteil jüngerer
Menschen schrumpft. Die Ursachen dieser Entwicklung
sind, zumindest in reichen Ländern, eine höhere Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten. Im globalen Durchschnitt verlängert sich die Lebenserwartung um rund drei
Monate pro Jahr. Nach Angaben der Statistik Austria werden die Österreicherinnen im Schnitt derzeit 83,6 und die
Österreicher 81,1 Jahre alt. Die durchschnittliche Anzahl
der Kinder je Frau lag hierzulande 2013 bei 1,44.
Nach den statistischen Berechnungen wäre schon die
nächste Generation um 31 Prozent kleiner, wenn sich
das Land nur auf diese Fertilitätsrate verlassen müsste.
Diese sogenannte „Nettoreproduktionsrate“ (NPR) soll
laut den Prognosen 2030 zudem nur noch 0,65 Kinder
pro Frau betragen, 2050 lediglich 0,57. Dass es nicht
schon jetzt zu einem Bevölkerungsschwund in Österreich
kommt, ist der Zuwanderung zu verdanken.
Dies bedeutet, dass 2050 gut 21 Prozent der Weltbevölkerung über 60 Jahre alt sein werden, wie aus dem World
Population Ageing Report der UNO hervorgeht. Leben
heute 841 Millionen über 60-Jährige auf der Welt, werden
es 2050 mehr als zwei Milliarden sein. 392 Millionen von
ihnen oder dreimal so viele wie heute sind dann sogar älter als 80. In Österreich wird 2050 jeder Neunte über 80
Jahre alt sein, das entspricht 11,8 Prozent der Einwohner.
Ö
konomen richten ihr Augenmerk nun auf die sogenannte Abhängigkeitsquote: Im weltweiten Durchschnitt kamen im Jahr 2010 auf 100 Erwachsene zwischen
25 und 64 Jahren nur 16 über 65-Jährige. Im Jahr 2035
erreicht das Ungleichgewicht zwischen Alten und Jungen
seinen Höhepunkt. Dann werden es 26 sein. Einzelne Industrieländer, wie Japan, sind inzwischen berühmt für besonders ungleiche Abhängigkeitsquoten: Dort kommen
2035 auf 100 Erwachsene im erwerbsfähigen Alter 69 Personen über 65 Jahre. In Österreich bleibt die Entwicklung
vergleichsweise moderat mit 47 (2035) und 53 (2050). Ist
dies tatsächlich so ein großes Problem?
Demografen argumentieren, dass der Trend um 2035 seinen Höhepunkt erreichen und nach 2050 abflachen wird.
„Nach dieser Übergangszeit“, schreiben Fanny Kluge,
Emilio Zagheni, Elke Loichinger und Tobias Vogt vom Max
Planck Institut für demografische Forschung, „werden
wir zwar ältere, aber kleinere Bevölkerungen haben.“
Eine ältere Gesellschaft sei wohlhabender, nachhaltiger
und gesünder, lautet das Ergebnis ihrer Berechnungen
am Beispiel Deutschlands. Deutschland ist ein Vorreiter
in Sachen Älterwerden. Während Irland und Großbritannien noch relativ lang „jung“ bleiben, altert Deutschland
schneller als viele europäische Staaten und erreicht damit
den Zenit der demografischen Entwicklung schon früher.
„In der medialen Debatte konzentrieren wir uns gerne
auf das Altwerden als gesellschaftliche Bedrohung“, sagt
auch Georg Ruppe, Geschäftsführer der Österreichischen
Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen (ÖPIA): „Dabei übersehen wir, dass das Älterwerden viele Potenziale
und Chancen hat.“
Wohlstand und Ausbildung ausschlaggebend
„Die Folgen des Alterns werden nur zu einem Teil durch
die Altersstruktur einer Bevölkerung bestimmt“, schreiben
Kluge und ihre Co-Autoren. Geht es um die Produktivität
ist der Bildungsgrad entscheidend. Je höher die formale
Bildung, umso produktiver ist man auch noch im hohen
Alter. Nun wird der Anteil der Menschen mit höherer
Bildung in Zukunft steigen. Die deutsche Bevölkerung ist
2053 nicht nur älter, sondern auch gebildeter: 34 Prozent
werden einen tertiären Abschluss haben, also etwa eine
Universitätsausbildung. Der Anteil der tertiär Gebildeten
an der Erwerbsbevölkerung in Deutschland wird sogar bei
42 Prozent liegen (2008 waren es 25 Prozent).
Wer gebildeter ist, arbeitet länger, zeigt auch eine Untersuchung der Brookings Institution. Insofern bedeutet eine
ältere Bevölkerung nicht notwendigerweise eine kleinere
Erwerbsbevölkerung. Georg Ruppe: „Heute ist die Arbeit
auf die Lebensmitte konzentriert. Wir sollten aber auch
über flexiblere Modelle der Lebensarbeitszeit oder auch
der Einkommensverteilung über die Lebensspanne nachdenken. Man könnte zum Beispiel leistbare Möglichkeiten
schaffen, das Stundenausmaß zu reduzieren, wenn Kinder
klein sind, und zu erhöhen, wenn sie aus dem Haus sind.
Oder in späteren Jahren weiterhin sukzessive weniger arbeiten.“ Ruppe schlägt außerdem vor, Mehrfachqualifikationen bei körperlich belastenden Berufen zu ermöglichen
und Ausbildungsphasen nicht nur für den Anfang von Karrieren vorzusehen.
S
chon heute werden Ausbildungen später im Leben
abgeschlossen und die Erwerbsarbeitszeit wird zunehmend länger. Um nun Pensionsantrittsalter weit jenseits
der 68 zu vermeiden, empfehlen die Demografen Serguei
Scherbov, Warren Sanderson und Marija Mamolo vom Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg (IIASA), mehr Menschen in das Erwerbsleben zu integrieren:
Barrieren für Ältere sollen abgebaut und ein Verbleib im
Arbeitsleben soll möglichst attraktiv gemacht werden.
Selbst die niedrigen Geburtenziffern können sich neben
der längeren (oder verschobenen) Lebensarbeitszeit positiv auf den Wohlstand Einzelner auswirken: Die längere
Lebenserwartung, das höhere Durchschnittalter bei der
15
ersten Geburt und die sinkenden Geburtenraten verändern das Timing von Erbschaften: Die nachfolgende
Generation ist älter, wenn sie von der Vorhergehenden
erbt. Die Demografen des Max Plack Instituts vermuten,
dass die künftigen Erben selbst bereits im (heutigen) Ruhestandsalter sein werden. Die Erbschaften wiederum
könnten dann vor allem den Enkeln der vererbenden Generation zu Gute kommen – diese sind, wenn ihre Großeltern sterben, am Anfang ihrer Karrieren oder gerade in
Phasen mit geringerem Einkommen. Aufgrund der niedrigeren Kinderzahl werden die Erbschaften größer sein, so
ein weiteres Argument der Demographen.
Lebenserwartung überholt Gesundheit
Werden wir jedoch gesund genug sein, um länger arbeiten
und das längere Leben auch genießen zu können? Derzeit
sieht es so aus, als würden vor allem Lebensstilerkrankungen wie Adipositas oder Diabetes zunehmen und dem
guten Leben ab 65 einen Strich durch die Rechnung machen – zumindest in bestimmten Teilen der Erde. Heute
sind 2,1 Milliarden Menschen übergewichtig oder fettleibig. Wie eine Forschergruppe des Washington Institute
for Health Metrics and Evaluation um Marie Ng errechnet
hat, ist der Anteil der Menschen mit einem zu hohen Body
Mass Index von 29 Prozent 1980 auf rund 37 Prozent
2013 gestiegen. Die extrem Übergewichtigen sind immer
jünger, sogar immer mehr Kinder sind betroffen. Die Langzeitfolgen sind kaum untersucht, aber weltweit sterben
jährlich drei bis vier Millionen Menschen an den Folgen
von Übergewicht, sie verlieren vier gesunde Lebensjahre
im Durchschnitt. Das geht aus einer 2012 in „The Lancet“
veröffentlichten Risikoanalyse hervor.
A
uch die Zahl der an Diabetes mellitus Typ I und II
erkrankten Menschen hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten verdoppelt. Besonders betroffen sind
Entwicklungsländer, die sehr schnell einen „westlichen“
Lebensstil mit viel Zucker und wenig Bewegung übernehmen. China, Indien und die USA werden dem „Diabetes
Atlas“ der International Diabetes Federation zufolge 2035
das Ranking anführen. In manchen Gebieten Chinas haben
sich die Diabetes-Erkrankungen seit 1980 verzehnfacht;
bis 2035 wird Diabetes sich vor allem in Afrika verbreiten.
Weltweit rechnet die IDF mit einem Anstieg von 55 Prozent und für Europa mit einem Anstieg um 22 Prozent. Für
Georg Ruppe sind diese Szenarien ein weiteres Argument,
das Alter nicht als abgrenzbare Lebensphase zu begreifen,
die nur „Ältere“ betrifft: „Gesundheitsvorsorge findet
lebenslang statt. Wie wir in einem höheren Lebensalter
ankommen, hängt von den Jahren davor ab.“ Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Bernd Rechel von
der London School of Hygiene and Tropical Medicine geht
davon aus, dass neben Übergewicht und Diabetes auch
der Anteil der Menschen mit kognitiven Erkrankungen
steigen wird und dass die ältere Bevölkerung immer häufiger an mehreren Erkrankungen gleichzeitig leiden wird.
Wie viele Jahre bei guter Gesundheit verbracht werden
können, hängt nicht zuletzt von sozioökonomischen Faktoren ab. So zeigen Daten von Eurostat, dass die Gesundheit nicht mit der Lebenserwartung mithalten kann: EUweit ist sie von 2004 bis 2009 von 78,4 auf 79,7 Jahre
gestiegen – die gesunden Jahre aber lediglich von 61 auf
62 Jahre. In der Slowakei kommen Männer auf 52 gesunde
Jahre, im reicheren Schweden auf 72.
Ein niedriges Bildungsniveau kostet rund vier Lebensjahre,
wie Scherbov und Sanderson kürzlich anhand einer Sekundäranalyse von Handstärkemessungen zeigen konnten:
„Wir stellten fest, dass eine 65-jährige, weiße Frau ohne
sekundäre Schulbildung einen ebenso starken Händedruck hat wie eine 69-jährige weiße Frau mit sekundärer
Schulbildung. Das bedeutet, dass die beiden Frauen gemessen an der Stärke ihres Händedrucks gleichaltrig sind,
die 65-Jährige aber um vier Jahre schneller gealtert ist.“
Dennoch werden die Jahre, die Menschen in Europa bei
guter Gesundheit verbringen können, zahlreicher. Die
Forscher des Max Planck Instituts gehen davon aus, dass
der durchschnittliche deutsche Mann 2050 gut 84 Prozent
seiner Lebensjahre gesund ist im Vergleich zu 50 Prozent
heute. Bei den Frauen sind es 77 und 60 Prozent. Dies hat
auch Auswirkungen auf die Kosten für das Gesundheitssystem.
Das letzte Lebensjahr ist das teuerste
Die Zusammenhänge zwischen der Alterung der Bevölkerung und den Gesundheitskosten sind komplex. Zwar
birgt die Zukunft eine Reihe von Gesundheitsrisiken, die
insbesondere ältere Menschen betreffen, aber technolo-
gische Entwicklungen lindern die Kostenlast, wie die Forschungsgruppe um Bernd Rechel argumentiert. Demnach
sollen die prognostizierten Gesundheitskosten in Europa
bis 2060 nur moderat um etwa 1,5 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts steigen, gerade weil die
Menschen älter werden. Zwar entstehen die höchsten
Kosten am Ende des Lebens, vor allem im letzten Lebensjahr. Das Lebensende verschiebt sich aber weiter nach
hinten und in den Jahren ab 80 sinken die Aufwendungen
für die Gesundheit und bleiben konstant niedrig bis zum
Lebensende. Das Resümee der Forscher: „Der Anstieg
der altersbezogenen Gesundheitsausgaben ist moderat
und das Älterwerden scheint keine grundlegende Bedrohung des europäischen Wohlfahrtsstaats zu sein.“
Weniger CO2
Vielleicht sind ältere Bevölkerungen sogar eine gute Antwort auf den Klimawandel.Wie der Demograf Emilio Zagheni 2011 gezeigt hat, ist der CO2-Fußabdruck zwischen
60 und 64 Jahren am größten und wird dann langsam kleiner. Bezogen auf das Alter haben die Emissionen pro Kopf
die Form eines umgedrehten U: Amerikaner produzieren
nach Zaghenis Berechnungen weniger als zehn Tonnen
CO2 jährlich, wenn sie um die 20 sind, aber fast 15 Tonnen
in ihren frühen 60ern.
Die guten Jahre fürs Klima beginnen damit erst ab 2050,
wenn der Anteil der über 64-Jährigen weltweit deutlicher
zunimmt. Die Max-Planck-Forscher erwarten somit, dass
die Emissionen bis 2020 noch weiter steigen werden.
Nach 2050 sinken sie auf das Niveau der 1950er Jahre.
Auch wenn diese neuen Forschungsansätze dem Alter
seinen Schrecken nehmen, werden sich die positiven
Effekte nicht von selbst und automatisch einstellen. Insbesondere in den Bereichen Arbeit und Gesundheitsvorsorge müssen entsprechende Maßnahmen gesetzt
werden, damit die heutigen Generationen gut im Alter
ankommen und nicht durch Armut oder Stress vorzeitig
krank werden. „Unsere persönlichen Lebensstile müssen
wir ebenso adaptieren und gestalten wie die gesellschaftlichen Bedingungen, unter den wir alt werden“, sagt Georg Ruppe. „Wir werden ja nicht plötzlich alt, sondern jeden Tag. Daher haben wir jetzt die Chance, neue Kulturen
des Alterns zu schaffen.“
Zu guter Letzt
Forscher arbeiten noch an einigen weiteren Entwicklungen, die Probleme lösen
könnten.Wenn sie Fortschritte machen, könnte sich so mancher Wunsch erfüllen.
• Die Formel für Unsterblichkeit
Seit jeher übt die Unsterblichkeit eine Faszination auf die
Menschheit aus. Für Forscher ist der Wunsch die Machbarbeitsgrenze – für Unternehmer der größte, denkbare
Massenmarkt. Der Internet-Riese Google will das menschliche Leben verlängern, vielleicht für die Ewigkeit. Denn
wer Produkte gegen das Altern verkauft, hat so ziemlich
jeden als Kunden, der in der Früh aufsteht und sich des
Lebens erfreut. Die spannende Frage ist, wie und wieso wir
altern. Welche Vorgänge in den Zellen führen dazu, dass wir
sterben? Verschiedene Theorien konkurrieren miteinander.
Nimmt die DNA in unseren Zellen im Laufe des Lebens so
großen Schaden, dass die Reparaturmechanismen irgendwann nicht mehr nachkommen? Nach dieser Theorie führen
Schäden zu Krankheiten – und diese zum Tod. Oder sind die
Telomere schuld an unseren Abnutzungserscheinungen? Die
Enden der Chromosomen werden immer kürzer, je häufiger
eine Zelle sich geteilt hat. Sind sie zu kurz, teilt die Zelle
sich nicht mehr – sie stirbt. Der Suchmaschinenkonzern will
das Rätsel des ewigen Lebens nun mit mathematischer Kühle lösen. Google sucht nach dem Algorithmus für Unsterblichkeit. Wissenschafter der Calico durchforsten Big Data
nach verborgenen Zusammenhängen und Mustern durch
die systematische Auswertung gigantischer unstrukturierter
Datenmengen. Manche Fondsmanager treffen so milliardenschwere Kaufentscheidungen. Warum also, so wohl die
Google-Logik, sollte im Universum medizinischer Daten
nicht auch die Formel für eine Krebsheilung, den Bauplan
menschlicher Eiweiße oder eine Art Universallösung für
ewiges Leben verborgen sein?
• Zähne, die nachwachsen
Der Alligator ersetzt jeden seiner Zähne ein Mal im Jahr
durch einen neuen. Im Laufe eines Krokodol-Lebens kommt
es somit bis zu 50 Mal zur Erneuerung jedes einzelnen Kauwerkzeugs. Da das Gebiss dieser Reptilien vom Aufbau her
jenem der Säugetiere ähnelt, erforschen US-Wissenschafter
nun, ob auch beim Menschen ein laufendes Zahnwachstum
angeregt werden kann. Jeder Aligator-Zahn hat einen komplett ausgebildeten Zahn, einen kleineren, unreifen Ersatzzahn und eine spezielle Gewebsschicht, die Zahnleiste. Auch
beim Menschen entwickeln sich die Milch- und die zweiten
Zähne aus einer Zahnleiste. Doch während uns nur zwei
Reihen wachsen, rutscht beim Alligator Einheit um Einheit
nach, wenn er eines seiner 80 Kauwerkzeuge verliert. Der
Ersatzzahn entwickelt sich zum ausgewachsenen Zahn, die
Zahnleiste wird zum neuen Ersatzzahn und vom Ersatzzahn
spaltet sich eine Gewebsschicht ab, die zur neuen Zahnleiste wird. Die Forscher entdeckten an einem Ende der
Zahnleiste zudem eine Art Ausbeulung. Sie gehen davon aus,
dass es sich dabei um eine Ansammlung von Stammzellen
handelt. Außerdem fanden sie Moleküle zur Regulation der
Zahnerneuerung. Im Labor konnten sie nun Stammzellen
aus menschlichen Weisheitszähnen die richtigen Signale für
das gewünschte Gewebe und seine Struktur geben.Vielleicht
könnten also auch eimal unsere Zähne für ein ganzes Leben
lang reichen.
• Ein Gehirn aus dem Labor
Die Stammzellenforschung kommt etwas langsamer voran
als zunächst erhofft. Erst kürzlich musste eine japanische
Forscherin eine Arbeit zurückziehen, wonach ein Säurebad
Mauszellen in eine Art Embryonalzustand verjüngt, sodass
sie sich – wie Stammzellen – in alle Zelltypen entwickeln
können. Falsche Hautglättungsverheißungen der Anti-AgingIndustrie oder Betrugsversuche dubioser Firmen, die gegen
entsprechende Bezahlung versprechen, mit selbstgespritzten
Stammzellen so ziemlich jede Krankheit zu heilen, geben
dem Forschungsgebiet ein schlechtes Image. Dabei zählen
manche seiner Ergebnisse zu den Top-Erkenntnissen der Biomedizin. So konnten Wiener Forscher um Jürgen Knoblich
vom Institut für Molekulare Biotechnologie ein menschliches Gehirn züchten. In einem speziellen Bioreaktor entwickelte sich aus Stammzellen eine Miniaturversion unseres
Denkorgans, ähnlich jenem eines Embryos im Mutterleib.
Andere Forscher züchteten mit ähnlichen Methoden Leberund Nieren-Organoide. Sie alle leisten wichtige Fortschritte
im Bemühen, Ersatzorgane zu produzieren. US-Forschern
ist es außerdem gelungen, eine menschliche Körperzelle zu
klonen und daraus einen Embryo im Frühstadium zu züchten. Aus diesem gewannen sie dann humane embryonale
Stammzellen und damit die Voraussetzung für maßgeschneiderte Stammzelltherapien. Dies könnte laut Experten eine
Renaissance des therapeutischen Klonens auslösen – das ist
jedoch in Österreich verboten.
future
Telegramm von Helmut Ribarits
16
„The Beast“ steht in
den Startlöchern
Kraft durch Sonne heißt die Devise für ein Off-Road-Erlebnis
der besonderen Art. Das E-Bike „Daymak Beast“ eignet sich
außerordentlich für Routen abseits herkömmlicher Verkehrswege. Wen es also in grobes Terrain zieht, ist mit dem „Beast“
am richtigen Platz. Es ist für den Straßenverkehr zugelassen
und fährt rein elektrisch bis zu 32 Stundenkilometer schnell.
Die Solarzellen ermöglichen eine hohe Reichweite: 40
Kilometer sind problemlos zu bewältigen, ohne dass der
15-Watt-Akku aufgeladen werden müsste. Der kanadische
Anbieter Daymak hat noch keine Preisvorstellungen
bekanntgegeben. Das „Biest“ soll im Sommer 2014 seine
Markteinführung erleben.
www.daymak.com/beast/
Der neue Gips ist eine Matrix
Das Zauberwort heißt 3D-Drucker. Kleidung,
Antriebe, ja sogar Lebensmittel kann man mittlerweile einfach ausdrucken. Nun gibt es auch
eine bessere Version des herkömmlichen Gips
im Druck: Der im Rahmen des A Design Award
& Competion ausgezeichnete Designer Deniz
Karahasin hat eine Knochenmatrix entwickelt,
die mittels 3D-Druck hergestellt wird und
den Patienten, etwa bei einem gebrochenen
Arm, angepasst werden kann. Eine tragbare
Ultra-Schall-Behandlung soll den Heilungsprozess unterstützen. Bei dem Konzept handelt
es sich um eine Kombination aus exakt angepasstem Stützgerüst und pulsierendem
Ultraschall, der die Heilung des Bruchs um bis zu 40 Prozent schneller machen soll.
Die Knochenmatrix ist noch in der Probephase.
www.adesignaward.com/design.php?ID=34151
FingerReader liest
Blinden vor
Noch hat der FingerReader keine besonders
angenehme Lesestimme. Aber er scheint zu
funktionieren. Er sitzt wie ein großer Ring auf
dem Zeigefinger, gleitet dieser über die Zeilen
in einem Buch oder ausgedruckten Text liest
der FingerReader den Text vor. Wissenschafter
am Media Lab des Massachusetts Institute of
Technology (MIT) haben dieses Gerät entwickelt, das es blinden Menschen ermöglicht,
auch Texte, die nicht in Blindenschrift verfasst
sind, zu lesen. Das Ende einer Zeile signalisiert
der FingerReader durch leichtes Vibrieren.
Video des FingerReaders:
www.youtube.com/watch?v=u7pwr_xmGUQ
Media Lab des MIT: fluid.media.mit.edu
iPhone App erkennt
Veränderungen der Haut
Das iPhone ist nicht nur zum Spielen da: George Zouridakis, Professor für Ingenieurswissenschaften am MD Anderson Krebszentrum der University of Houston, hat eine
revolutionäre App für das iPhone entwickelt. „DermoScreen“ kann krankhafte Hautveränderungen erkennen und damit die Entwicklung von Hautkrebs verhindern. Zouridakis ergänzt das iPhone durch
ein Dermatoskop, ein spezielles
Mikroskop für die Haut. Vor allem
bei Muttermalen erkennt das Gerät
mit 85-prozentiger Genauigkeit, ob
Veränderungen an der Hautoberfläche gesundheitlich bedenklich
sind oder nicht. Das alles in nur
wenigen Sekunden. Der dermatoskopische Aufsatz kostet zwar 500
Dollar, könnte sich aber als nützlich
erweisen.
www.mdanderson.org/
Bremsenlos:
Crazy Cart
Nach langer Anlaufzeit soll das Razor Crazy Cart
ab Sommer 2014 auch in Europa zu haben sein. Ali
Kermani, der Erfinder des ungewöhnlichen SpaßMobils, hatte bereits vor zehn Jahren die Idee zu
diesem bemerkenswerten Vehikel. Es war eigentlich
für Kinder ab neun Jahren gedacht, begeistert aber
auch Erwachsene. Das elektrisch betriebene Kart wird
auf vier Rollen und einem mittig angeordneten Rad
rund 19 km/h schnell. Es gibt ein Gaspedal, aber keine
Bremse: Angehalten wird durch eine sogenannte Spinto-Stop-Drehung ähnlich dem Skifahren. Alternative
dazu: Fuß vom Gaspedal nehmen. Die Betätigung
eines Hebels neben dem Sitz bringt das Gefährt zum
„Driften“ – das Kart kann sich um 360 Grad drehen,
vorwärts, rückwärts und seitwärts fahren. In den USA
musste man bislang an die 450 Dollar für das Crazy
Cart berappen. Euro-Preise sind noch nicht bekannt.
www.razor.com
Das leichteste ElektroSkateboard der Welt
Die jungen Gründer des kleinen
amerikanischen Unternehmens
Marbel aus Tampa in Florida
wollen mit ihrem innovativen
Smart-Board den Markt für
Elektro-Skateboards aufmischen. Das knapp fünf Kilogramm schwere Skateboard ist
das weltweit leichteste seiner
Art. Es erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von knapp 30 Stundenkilometern. Eine „Tankladung“ reicht für 17 Kilometer. Geschwindigkeit
und Beschleunigung werden mit einem Controller gesteuert. Eine
Smartphone-Applikation stellt das Board individuell ein und zeigt an,
wann das Teil wieder an die Steckdose muss. Das Board besteht zum Teil
aus Karbon.
http://ridemarbel.com/
Leises E-Motorrad
mit lauter Optik
Ganz schön schräg, das Elektromotorrad Johammer-J1 des Österreichers Johann Hammerschmid: Der gibt sich nicht damit zufrieden, ein Zweirad mit innovativem Antrieb
auszustatten, sondern erfindet den Cruiser komplett neu. Das gewöhnungsbedürftige
Design hat es in sich: Von der Chopper-Optik blieben lediglich die abgeschrägten
Griffe, die Rückspiegel erinnern an die Stielaugen einer Weinbergschnecke, das
Hinterrad ist fast völlig verdeckt. Dazu eine nach vorne geöffnete gerippte Kunststoffverkleidung und winzige, unterschiedlich große Scheinwerfer – das muss ein
Chopper-Fan erst mal verkraften. Bei aller Opulenz verzichtet der Cruiser auf Armaturen, stattdessen zeigen Farbdisplays in den Rückspiegeln alle Informationen des
Fahrzeugs an. E-Antrieb und Regler sind wartungsfrei in das Hinterrad integriert. Den
selbst konstruierten Lithium-Ionen-Akku bietet Johammer in drei Kapazitätsstufen
an, somit sind Reichweiten von 100 bis 200
Kilometern bei einer
Höchstgeschwindigkeit von 120
Stundenkilometer
möglich. Wer also
beim fast lautlosen
Cruisen auffallen
möchte, findet im Johammer Bike das passende
Gefährt.
www.johammer.com