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Jan Eik
Jazz in den Zeiten der Cholera
Es begann mit einem Veranstaltungs-Hinweis in der Berliner Zeitung. Für einen Donnerstagabend war im FDJKlubhaus »Helmut Just« in der Gartenstraße am Nordbahnhof ein Vortrag über »Vorformen des Jazz« angekündigt. Das muß im Februar oder März 1956 gewesen sein.
Gemeinsam mit Klassenkameraden aus der Oberschule
fuhr ich zum Klubhaus. Den Vortrag hielt Tommy Hinze,
neben dem späteren Journalisten C. W. Stockfisch und
dem Bandleader Alfons Wonneberg so etwas wie der
Vorstand einer gerade etablierten »Interessengemeinschaft
Jazz«. Wonneberg, als sturmerprobter Tanzmusiker auch
von der Figur her prädestiniert, als Vorsitzender alle
Anwürfe gegen den verdächtigen Verein an sich abprallen
zu lassen, war ein Bebop-Fan, wie wir bald genug erfuhren
- eine Musik, von der wir bis dahin allenfalls den verballhornten Namen gekannt hatten.Wie es sich für einen
deutschen Verein gehört, gab es in der Interessengemeinschaft bald Mitgliedsausweise, eine orangerote
Klappkarte mit dem aufgedruckten Motto von Sidney
»Wie es sich für einen deutschen Verein gehört...«: der
»Ersatz«-Ausweis für den ursprünglichen; 10,5 x7 cm
Finckelstein: »Der Jazz ist nicht der Nabel der Welt.« Das
war natürlich bloße Mimikry, vorgetäuschter Schutz gegen die mächtig auf-, weit mehr noch niederbrandenden
Wellen der offiziellen Kulturpolitik, auf denen das
schwächliche Jazz-Schifflein gefährlich schlingerte. In
Wahrheit war der Jazz für uns sehr wohl der Nabel der
Welt. Über die verordnete Frohkost DDR-eigener Tanzmusik konnten wir uns gar nicht lustig genug machen.
Wahrscheinlich verdankte die IG Jazz ihr Dasein
überhaupt nur der unter FDJ-Funktionären aufgekommenen Unsicherheit in der Tauwetter-Periode nach einem
gewissen XX.Parteitag, die bis zu den Ereignissen in
Ungarn im Herbst 1956 anhielt. Danach vergingen immerhin zwei Jahre, bis man uns aus dem Paradies in der
Gartenstraße vertrieb - eine Zeit, die ich für meine JazzBildung optimal nutzte. Während Alfons Wonneberg uns
für Fats Navarro begeisterte und wagemutige Vorstandsmitglieder des im Westberliner Amerika-Haus beheimateten New Jazz Circle Berlin (NJCB) uns von der überragenden Qualität des Modern Jazz, insbesondere seiner
west coast-Spielarten zu überzeugen suchten, machten
uns Hinze und Werner Sellhorn mit dem echtem Oldtime
vertraut. Sellhorn brachte es erstaunlich schnell zu einer
umfassenden Plattensammlung; er war der geborene Diskograph und Ausgräber obskurster Musikanten aus New
Orleans samt Umgebung und Vororten. Einmal versuchte
er, uns die weiche Stimme des Bluessängers Josh White
nahezubringen, aber wir standen eher auf Big Bill Broonzy.
Als »Josh«, so hieß er fortan, in dessen Berliner Zimmer
in der Christburger Straße wir lautstarke Plattenparties
feierten, seine elegante Erscheinung schließlich durch die
Anschaffung eines steifen Hutes krönte, zogen Lefty
Heinicke, Wolfgang Quander - lange Jahre Jazzrezensent
der »Neuen Zeit« - und ich in die Podbielskiallee nach
Dahlem und bestellten beim AFN-Disc-Jockey Bob Rich
einen »special request for Josh and his famous hat«, den
Rich prompt am darauffolgenden Sonnabend in seiner
»Frolic in Jazz«-Stunde erfüllte.
Abgesehen von Alfons Wonneberg, der im Juni 1956
das erste Ostberliner Jazz-Konzert im Kultursaal des
Fernsprechamtes in der Wilhelmstraße organisierte und
dort neben dem Joachim Dannenberg Quartett und einer
Dixielandband verschiedene Combos seines Orchesters
präsentierte, war Josh Sellhorn der rührigste Jazzer in der
IG. Er begann, mit Vorträgen und Konzerten durch
Ostberlin und das Umland zu reisen und fand schließlich
im »Haus Berlin« am Strausberger Platz ein Domizil für
allwöchentliche Veranstaltungen mit Musikern aus beiden Teilen der Stadt, aber auch mit »Zugereisten« wie
Alfons Zschockelts Waschbrett Sechs aus Jena. Am beliebtesten waren beim Publikum die »Salty Dogs« und der
Bluessänger und Boogie-Pianist Toby Fichelscher aus
Westberlin. Der Drummer und Sänger der »Salty Dogs«,
der stimmgewaltige »Baby Ko« sprach echtes Creolisch
und hielt in der Gartenstraße Vorträge über das wahre
New Orleans.Wonneberg und Sellhorn hatten inzwischen
das volkseigene Plattenlabel »Amiga«, auf dem in den
fünfziger Jahren nur in Ausnahmefällen etwas flottere
Kurt-Henkels-Titel (darunter Lionel Hamptons »The Mess
is here«!) oder Aufnahmen von Walter Dobschinski und
Kurt Hohenberg erschienen, zu Jazz-Produktionen überredet, bei denen sie selbst die »Supervision« übernahmen.
Zschok-kelt, Fichelscher, die Orchester Gustav Brom und
Alfons Wonneberg kamen so auf 78er-Platten und mit ein
mit paar Jahren Verspätung gar auf den neumodischen 45EPs heraus.
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nur der Melodie nach kannte. Irgendwann im Verlauf der Nacht fragte ein junger Mann, ob Micky nicht
einen Blues in F spielen könne, und
sang dazu. Ich erfuhr, daß es sich um
einen unbekannten Schauspieler namens Manfred Krug handele. Ein
anderer, in gesetzterem Alter, wollte
gerne mit Micky vierhändig spielen.
Er hieß André Asriel. Die Nacht
endete übrigens damit, daß ein Betrunkener über Quanders Klarinette
stolperte und sie zerbrach. Über den
Schmerz ist Q. bis heute nicht hinweg.
Ansonsten trafen wir uns zu endlosen Platten-Sessions in »Heynickes
Festsälen«, eine Einzimmerwohnung
im zweiten Hof in der Dunckerstraße
am Prenzlauer Berg, und natürlich
bei sämtlichen Konzerten der großen Jazzer im Sportpalast und in der
Deutschlandhalle. Lionel Hampton,
Sidney Bechet, Louis Armstrong,
Count Basie, Jazz at the Philharmonic
mit Coleman Hawkins und Dizzy
Gillespie, Ella Fitzgerald und Oscar
Peterson, Dave Brubeck - den die
meisten von uns nicht sonderlich
schätzten, wir standen auf schwarzen Jazz - erlebten wir live und saßen
für 1:1 in Ost auf den besten Plätzen.
Ich erinnere mich, daß ich für das
Konzert des Modern Jazz Quartet im
Audimax der Freien Universität beim
Veranstalter Wolfgang Jänicke vom
Jam-Session im Karlshorster Kohlenkeller, 1957 (oben: Gunter Czichocki tp, NJCB etwa fünfzig Karten in den
Wolfgang Quander ts; unten: Dietrich Dickow bj, Friedel von Wangenheim tp, ersten Reihen aufkaufte. Kein Westberliner gab für so etwas zwölf Mark
aus.
In der Erinnerung war es scheinbar eine goldene Zeit
Natürlich währte unser Glück nicht ewig. Der Klub
für den Jazz, für uns jedenfalls eine Erholung von der Junger Künstler wurde geschlossen; unsere lästigen Aktizunehmenden Militarisierung an der Oberschule und der vitäten in der Gartenstraße suchte man ebenfalls zu beenVerständnislosigkeit der Lehrer und Funktionäre, die sich auf den damals üblichen
Jugendforen spreizten. Zweimal in der Woche fuhr ich zu den Vorträgen in der Gartenstraße und ins Amerika-Haus, und wenn das
Geld reichte, auch noch ins Haus Berlin.
Am liebsten natürlich zur Jam-Session, bei
der ein Instrumentenkoffer als Eintrittskarte genügte. Wir hatten inzwischen so etwa
wie eine eigene Band zusammengebracht,
mit der wir in einem Karlshorster Kohlenkeller und in einem Biesdorfer Kulturhaus
probten. Eines schönen Tages schanzte uns
jemand eine Faschings-Mugge im »Klub
Junger Künstler« in der Klosterstraße zu.
Ich durfte es übernehmen, die AWA-Listen
mit Phantasie-Übersetzungen von Jazz-Titeln auszufüllen. Es galt schon die berüchtigte 60:40-Klausel, die wir glatt unterliefen. Gespielt wurden nur eigene Kompositionen unseres Pianisten Micky Sydow, der Biesdorf, 1958 (Gene Blume dr, Dietrich Dickow bj, Rolf Hildebrandt p,
Wolfgang Quander dr, Friedel von Wangenheim tr)
die amerikanischen Original-Titel ohnehin
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den. Immer häufiger tauchten leicht
zu identifizierende Herren auf, mit
Notizblöcken auf den Knien, und
einmal - Josh Sellhorn sprach über
Jelly Roll Morton - versuchte ein
trunkener Funktionär uns über die
Lage der amerika-nischen Arbeiterklasse in den zwan-ziger Jahren zu belehren. Unsere Proteste
wurden als Provokation gegen den
ehrlichen Arbeiter gewertet.
Schließlich kam es im Mai 1958
zum Eklat; die FDJ rückte mit
einem größeren Funktionärsaufgebot an und verbot nach heftiger Diskussion jede weitere JazzVeranstaltung in ihren Räumen.
Baby Ko bot uns Asyl im Landhaus
Dahlem an. Ein paar Mal trafen
wir uns dort, dann machte jemand
das Kulturhaus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft »Erich
Franz« ausfindig, benannt nach
einem gerade verstorbenen BrechtSchauspieler. Bis zur DSF hatte
sich das Anti-Jazz-Verdikt anscheinend nicht herumgesprochen,
und so durften wir noch ein paar
Monate unsere wöchentlichen Vorträge veranstalten. Alfons Wonneberg hatte die Zeichen der Zeit
richtig gedeutet und sich zurückgezogen, Josh Sellhorn und Lefty
Heinicke waren jetzt die Vorsitzenden, und da zwei davon nicht
genügten, avancierten Jürgen
Schitthelm, damals Regie-Assistent am Berliner Ensemble und
heute Direktor der Schaubühne,
und ich zu 3. und 4. Vorsitzenden.
Überhaupt gehörten eine Menge
Leute, die später mit der Literatur
oder dem Theater zu tun hatten, zu Lionel Hampton
unserem Kreis: Klaus Schlesinger
beispielsweise, einer der Langhoff-Brüder und Friedel
von Wangenheim.
Bei unserem ersten (und letzten, aber das ahnten wir
nicht) Jazz-Fasching im »Erich Franz« wollten wir u.a.
»Lionel Hampton ... erlebten wir live und saßen für 1:1 Ost
auf den besten Plätzen.«
ein Jazz-Kabarett inszenieren, für das ich Texte verfertigte. Aus dem Programm wurde nichts; der Fasching im
heutigen Franz-Club war dennoch ein voller Erfolg. Die
AWA bedachte die Veranstalter mit einer saftigen Geldstrafe, die neben den fälligen Gebühren sofort zu zahlen war.
Das war nicht nur eine finanzielle Katastrophe - wenn
»Kein Westberliner gab für so etwas 12 Mark aus.«
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überhaupt jemand von
uns Geld besaß, dann
gab er es zum »Schwindelkurs« für Platten aus
- es bedeutete auch das
endgültige Aus für die
Interessengemeinschaft. Außerdem hatte jemand die Namen
der Vorstandsmitglieder im »NJCB Report«
veröffentlicht, der als
Beilage zum Programmheft eines Ellington-Konzertes verkauft worden war - eine
Art von Publicity, die
im »demokratischen
Sektor«
gefährlich
werden konnte.
Soweit war dieser
Beitrag bereits im
Frühjahr 1994 geschrieben. Josh Sellhorn hatte ihn für ein
dem Jazz gewidmetes
Heft von HORCH und
GUCK bestellt. Ich
hatte in meinem Archiv sogar den Kabarett-Text von 1959
aufgespürt. Das genaue Datum der Veranstaltung hätte ich
nicht mehr angeben
können. Inzwischen
weiß ich es wieder. In
der Akte 13412/65 des
MfS heißt es dazu:
»Der GI teilte noch
mit, dass der JazzClub am 28.2.59 einen Fasching durchführen will.« »Wie er
angab« - der gleiche
GI »Zirkel« nämlich
beim nächsten Treff
am 2. 3. 59 - »waren
auch Mitarbeiter der
Staatssicherheit zugegen gewesen.«
Richtig. Die Leder- Kabarett-Text von Jan Eik für den Jazz-Fasching im »Erich Franz«, 1959, 4 Seiten, maschinenmäntel hatten sie ver- schriftlich (Seite 1 bis 3, Ausrisse)
mutlich diesmal an der
Garderobe abgegeben. Daß meine diesbezüglichen Be- Beschlusses der Abteilung Kultur des Magistrats. Die
merkungen in der Kabarettszene durchaus realistisch Mehrzahl der Mitglieder stimmte der Auflösung nicht zu.
waren, bestätigt der GI: »... nehmen auch an den Club- ... Auftrag: Kontrolle des im demokratischen Sektors
abenden meist Mitarbeiter der Staatssicherheit teil. Diese aufgelösten Jazz-Clubs und der Tätigkeit der ehemaligen
sitzen meist in Ledermänteln in der hinteren Sitzreihe und Mitglieder des Clubs.«
Daß wir bespitzelt wurden, hatten wir immer angeschreiben sehr viel.«
Nach dem Fasching blieb ihnen nicht mehr viel zu nommen, nicht aber, daß der Spitzel einer von uns sein
schreiben. Am 28. Mai heißt es im Treffbericht mit könnte. Immerhin hatte sich der spätere Leiter der HA
»Zirkel«: »Weiter berichtete der GI über die Auflösung XX, Generalleutnant Paul Kienberg, im Oktober 1958
der Interessengemeinschaft der Jazzfreunde im demokra- selbst um die Werbung »Zirkels« bemüht und war dabei
tischen Sektor. Die Auflösung erfolgte aufgrund eines offensichtlich auf wenig Schwierigkeiten gestoßen: »Da
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Kabarett-Text ... (Seite 3 bis Ende, Ausrisse)
er bereits früher Verbindung zu Mitarbeitern des MfS
hatte, wandte er sich an den ihm bekannten MA Friedrich
mit dem Ersuchen um Ratschlag.«
Kienberg und sein Leutnant Ruck hatten eine gute Nase.
»Zirkel« lieferte treulich hand- und maschinengeschriebene
Vorschläge, Berichte, Einschätzungen und plauderte aus,
wenn jemand ihn vor der Stasi warnte. »Sellhorn teilte mit,
dass früher der Kapellmeister ... aktiv in den Jazz-Zirkeln
mitgearbeitet habe. Er hat sich jedoch zurückgezogen, um
Schwierigkeiten für die Arbeit seines Orchesters aus dem
Weg zu gehen. ... hat dem S. kürzlich durch eine dritte
Person mitteilen lassen, dass das Telefon des Sellhorn durch
die Staatssicher-heit
abgehört würde. ... habe
dies durch einen zuverlässigen Bekannten erfahren.«
So beflissen sich
Zirkel auch gebärdete,
die klugen Genossen
durchschauten ihn.
»Der GI hat fünf Jahre
Filosofie studiert ...
nach der bisherigen
Einschätzung besteht
das Hauptinteresse des
GI in der Zusammenarbeit darin, durch uns
eine ihm passende
leichte Arbeit zu bekommen.« Das schreibt
der gleiche Führungsoffizier, der am 2. Februar 1959 den Namen
Anton Asriel protokolliert hatte. Am 30.
11.61 meldete der neue
Führungsoffizier Leutnant Reinhardt: »Als
Beispiel wurde dem GI
die Esparanod [!]-Sprache entgegengehalten...«
»Zirkel« blieb auch
nach dem Mauerbau
aktiv. Eine »Arbeitsgruppe für Jazz« an der
Humboldt-Uni fand ein
schnelles Ende. Im
Frühjahr 1962 schwärzt
er Karlheinz Drechsel
wegen einer Jazz-Veranstaltung in Eisenach
an - »hart an der Grenze der DDR«! Doch der
niedergehaltene Jazz
bietet kaum noch relevantes Material, und so
wird »Zirkel« zum
Spitzeleinsatz gegen
die eigene Schwiegermutter, gegen Kolleginnen und Schriftsteller (darunter IMs,
aber das weiß er natürlich nicht) und gegen den Schwiegersohn des Außenministers verpflichtet, für den man sich besonders interessiert.
Zehn Jahre später schließlich erfolgt sein Einsatz »u.a. im
ZOV ‘Lyriker’«: »Sellhorn wird gleichzeitig zur Abwertung
Biermanns und Abschöpfung über ihn genutzt.«
Meine eigene »Kerblochkartenerfassung« bei der Stasi beginnt übrigens mit dem Satz: »Als am 5.12.1965 ein
Artikel im ND erschien, der mit den negativen Ansichten
und Gedichten abrechnete, wandte sich E. in einem Schreiben an das ND gegen diesen Artikel...«
Biermann hatte ich einige Zeit zuvor in »Zirkels«
Wohnung kennengelernt...
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