Konflikt durch Ideologien in der Antike und deren

Transcription

Konflikt durch Ideologien in der Antike und deren
Rainer Feldbacher
Konflikt durch Ideologien in der Antike und deren moderne
Rezeption
„Wer wäre wohl so unvernünftig, den Krieg statt des Friedens zu wählen?
Im Frieden begraben die Kinder ihre Eltern, im Kriege die Eltern ihre Kinder.“1
Einführung
Der Artikel, der anhand dreier Beispiele aus der Antike die Ursachen und
Hintergründe von Konflikten darstellen soll, versucht diese (neben den üblichen Aspekten von Machtgewinn und wirtschaftlichen Bestrebungen) auf Dieologien, aber auch oder gerade dem Schaffen von Feindbildern zurückzuführen. Trotz neuerer Untersuchungen unterliegt man weiterhin dem Fehler, die
Komplexität solcher Konflikte zu missachten. Der erste (und umfassendste)
Teil behandelt die Perserkriege, worin im Zuge der Ausführungen gezeigt
werden soll, dass es sich bei diesen Konflikten keineswegs um klar umrissene
Grenzen Ost-West, Asien-Europa, Demokratie-Despotismus handelt, wie oft
vermutet und interpretiert wird. Auch der „Gallische Krieg“ Caesars (Bellum
Gallicum) im zweiten Teil beweist noch heute den Einfluss solcher Berichte auf
den Leser. Die Konflikte zwischen Rom bzw. Byzanz mit den Nachfolgereichen der Perser (Parther, Sasaniden), auf die im dritten Teil nur in kurzen
Umrissen eingegangen wird – sind dagegen selten beachtet, und stellen doch
auch ein bemerkenswertes Beispiel von Kampf um den Absolutheitsanspruch
dar, zwei Weltkreise, deren östlicher wiederum den Nachteil hatte, sich lange
im Dunkel der Geschichte befunden zu haben bzw. nur der römischen Berichterstattung unterworfen gewesen zu sein. Mit der Darstellung jener drei
Zusammenstöße sollen drei Hauptmotivationen hervorgehoben werden: kultureller, ethnischer und religiöser Konflikt, die alle drei nicht völlig voneinander zu
trennen sind.
1. Perserkriege
Im Gegensatz zu den anderen alten Kulturen des Orients hinterließen die
Perser wenige offizielle Dokumente außer einigen Chroniken während der
Diadochenzeit. So wurde in Ermangelung eigener lange Zeit nur auf fremde
1
Worte Kroisos´ zu Kyros lt. Herodot 1,87.
31
Quellen zurückgegriffen (Herodot, Thukydides). Nachdem der Gründer der
Achämeniden-Dynastie, Kurasch (grch. Kyros) Babylon eroberte und dessen
letzten König Nabonid absetzte, versuchten sich die Perser als weltoffene
Herrscher. Er verhalf den Juden aus dem babylonischen Exil in die Freiheit,
zur Rückkehr ins Heilige Land und zum Wiederaufbau des Tempels.2 Ohne
besondere Bevorzugung vertrat Kyros die Ansicht, dass Religion eine Sache
des Rechts sei, und „da er die Gesetze eines jeden Volkes prinzipiell anerkannte, musste er auch den Göttern freie Ausübung ihrer Souveränität über
ihr Volk gewähren“ 3. Natürlich steckte bei seinen Taten ein politisches Kalkül
dahinter – der Wiederaufbau fremder Kulte brachte zufriedene Untertanen.
Für sich und sein Volk wählte er den Glauben des Zarathustra. Doch während Kyros in der Bibel positiv dargestellt wurde (2 Chr, 36; Esra 1,1 ff.; Jes
28), rückte man die Perser allgemein in ägyptischen und hauptsächlich griechischen Darstellungen in kein gutes Licht. Der uns heute durch Herodot
mehr oder weniger vertraute Barbarenbegriff bildete sich erst nach dem Sieg
der Griechen über die Perser aus. Der historische Zusammenhang ist die
politische Führung Athens im delisch-attischen Seebund, dessen erster
Zweck bei seiner Gründung die Fortführung des Kampfes gegen die Perser
war. Die Perser, zunächst noch eine reale Gefahr, wurden bald als Feindbild
zur Stabilisierung der athenischen Herrschaft gebraucht. Für die Griechen,
oder zumindest die Athener hatten sich die Koordinaten der Welt nach dem
Sieg verschoben, sie wurden zur Weltmacht. Doch trotz dieses Seebundes
gab es kein panhellenisches Wesen im eigentlichen Sinne. Es wurde zwar in
gewissen Bereichen angesichts der verschiedenen nichtgriechischen Nachbarn in manchen Bereichen stärker ausgebildet – gleiche Sprache, Heiligtümer und Orakel sowie Sitten, so dass der Name „Hellenen“ aufkam. 4 Auch im
kulturellen Bereich förderte man Gemeinsamkeiten; im politischen verwirklichte sich dieser Zusammenschluss jedoch nie. Die Eigenart der Griechen hatte
sich in den politischen Verbänden höchst unterschiedlich ausgeprägt. Es
lebten auch nicht alle in Stadtstaaten (poleis), sondern in Stämmen (ethné).
2
Wenn man einen kurzen Blick weiter in die Geschichte zurückwirft, so zeigt sich, dass es den
Kindern Israels auch in Babylon gestattet war, die eigenen Sitten und Überlieferungen zu pflegen
sowie ihre Religion weiter auszuüben. Und dennoch ging wohl aus diesem Grund Nebukadnezar
„als Urbild eine Tyrannen in die Geschichte ein, weil seine Toleranz seine Opfer imstand setzte,
von seinen Taten zu erzählen.“ Mathias 2005, 193 ff. Nebukadnezar ist zwar Werkzeug JHWHs
(1Chr 5,41), aber kein legitimer Nachfolger der Davididen. Näheres dazu u.a. bei: Beek, M.A., An
Babels Strömen. Hauptereignisse aus der Kulturgeschichte Mesopotamiens in der alttestamentlichen Zeit, München 1959.
3 Sitarz 1983, 134.
4 Einflussbereich und Bedeutung gemeinsamer Institutionen wuchsen, etwa die Spiele in
Olympia, deren panhellenischer Charakter die Teilnahme von makedonischen Königen für
lange Zeit ausschloss. Vgl. Herodot 5, 22 über Alexander I. von Makedonien (ca. 494-454 v.
Chr.).
32
Die größten Verbände und im Kampf gegen Persien wichtigsten Gegner
waren aber zweifellos die beiden bekannten Poleis Athen und Sparta:
Athen als Symbol der Demokratie schlechthin erfuhr erst langsam die Entwicklung zu einem System, das mit der so genannten heutigen Macht des
Volkes dennoch nur bedingt gleichzusetzen ist. Noch bis wenige Jahre vor den
Kriegen waren auch in dieser Stadt Tyrannen (Peisistratos, Hipparchos, Hippias) an der Macht, die trotz der heutigen negativen Konnotation ein kluges
Regime zum Erhalt inneren Friedens, Wohlstands, sowie der Rechtssicherheit
und Götterverehrung geführt hatten (Her 1,59-63). Unter deren Herrschaft
florierte die attische Konjunktur, da die Wirtschaft unter anderem mit der Einführung des Münzwesens (um 550 v. Chr.) und der Unterstützung groß angelegter Feiern angekurbelt wurde. Doch von Oppositionsführern wurde das
delphische Orakel dazu bewegt, den Spartanern den Sturz des Tyrannen
Hippias anzuraten. Nachdem ein erster Versuch, ihn zu stürzen, durch die
Hilfe von mit Athen verbündeten thessalischen Truppen zum Scheitern gebracht wurde, marschierte der Spartanerkönig Kleomenes I. schließlich unter
Aufbieten der Truppen des Peloponnesischen Bundes im Jahr 510 v. Chr. in
Athen ein. Hippias siedelte nach Sigeion über, wo er unter persischer Herrschaft regierte, in deren Dienste er dann als Berater an der Schlacht bei Marathon teilnahm. Wie schon eingangs angedeutet, waren die Grenzen verschwommener als sie immer dargestellt werden. Der zweite große Gegner der
Perser war Sparta. Dessen zuvor genannter König Kleomenes verhalf mit
seinem Zug nach Attika zur Vertreibung der Peisistratiden (der oben genannten Tyrannendynastie) gegen seine Absicht der Demokratie in Athen zum
Sieg. 492 v. Chr. sollte Kleomenes die Aigineten, welche den Gesandten des
Dareios als Zeichen ihrer Unterwerfung Erde und Wasser überreicht hatten,
bestrafen.5 Ihm folgte nach seinem Tod sein Bruder Leonidas I., der Held der
Schlacht bei den Thermopylen, auf den Thron. Widersprüche gab es zwischen
diesen beiden Poleis von Anfang an: In Beiden wurden schon in archaischer
Zeit Weichenstellungen für politische und gesellschaftliche Entwicklungen
gezogen: In Athen hatte Solon im frühen 6. Jhd. v. Chr. durch Beseitigung der
Schuldknechtschaft verhindert, dass Teile der freien Unterschicht in die Unfreiheit absanken und vom Geschehen der Polis ausgeschlossen wären.
Athen entwickelte sich zur Polis mit der größten Bürgerzahl und in einer für
das gesamte Hellenentum entscheidenden Phase die größte Flotte zur Abwehr der Perser.6 In Sparta dagegen war die Gesellschaft nicht nur durch die
allgemein übliche Dichotomie griechischer Gesellschaften in Freie und Unfreie
5
Er wollte die persischen Sympathisanten festnehmen, doch konnte er dies nicht ohne die Hilfe
seines spartanischen Mitkönigs Demaratos erreichen, der aber entmachtet wurde und nach Susa
zum Perserkönig Dareios floh sowie später ebenfalls am Zug gegen Griechenland teilnahm.
6 Welwei 2004, 125.
33
gespalten. Die Helotie als spezifische Form der Unfreiheit verhinderte die
Aufnahme größerer Bevölkerungsteile in das volle Bürgerrecht.
Nun aber kam es zum „Sturm aus dem Osten“, der die beiden für gewisse Zeit
zusammenschweißte: Der Konflikt begann in den kleinasiatischen Städten.
Das nach Westen drängende Persien hatte im 6. Jhd. v. Chr. die Kolonien und
Tochterstädte Griechenlands in diesem Raum unterworfen (Her 1,142), unter
anderem die Stadt Milet, die wirtschaftlich und kulturell zu Recht als Metropole
bezeichnet wurde.7 Doch die persische Besatzung verhinderte eine Weiterentwicklung maßgeblich. Unter dem persischen Großkönig Dareios herrschten
seine Satrapen über die ionischen Griechen. Bis 500 vor Christus kam es
immer wieder zu kleineren Aufständen, die aber schnell seitens der persischen
Besatzung unter Kontrolle gebracht werden konnten. Gerade während dieser
Zeit muss die persische Unterjochung als besondere Freiheitsberaubung verstanden worden sein, war ja wenige Jahre zuvor in Athen die Isonomie (politische Gleichheit aller Vollbürger) eingeführt worden.8 Für das griechische
Selbstverständnis war die Tyrannis der persischen Satrapen nun noch schwerer zu ertragen. Doch der ausschlaggebende Auslöser des Aufstands war in
Aristagoras zu sehen, Tyrann von Milet und Satrap des Großkönigs Dareios.
In dessen Auftrag sollte er die griechische Insel Naxos erobern, scheiterte
aber kläglich. Aus Angst vor Bestrafung sah Aristagoras im Aufstand der Ionier
seine einzige Chance. Bei der Beratung zwischen wichtigen Bürgern von Milet
und benachbarten Städten spielte Aristagoras die Stärke der Perser herunter.
Daran nahm auch Hekataios von Milet teil, der erste Geograph der Antike,
welcher auf Grund seiner geographischen Kenntnisse von einem Kampf gegen Persien abriet (Her 5,36). Auf einer Weltkarte zeigte er das große persische Reich und machte deutlich, dass man sich nicht nur auf einen Kampf mit
den Persern, sondern auch mit etlichen Verbündeten einlassen würde. Er riet
seinen Mitbürgern zum Flottenbau und zum allmählichen Abwerben der befreundeten Städte, um so nachhaltig das Machtgerüst der Perser zum Einsturz
zu bringen. Doch Aristagoras entschied sich zum sofortigen Handeln. Er war
sich aber von Vornherein bewusst, dass Ionien allein gegen die Perser nichts
ausrichten könnte. Er besuchte das griechische Mutterland. Nachdem ihn König Kleomenes von Sparta abgewiesen hatte, begab sich Aristagoras nach
Athen und erreichte, dass sein Antrag vor die Volksversammlung gebracht
wurde. Es wurde entschieden, dass man den ionischen Griechen mit zwanzig
7
Nicht nur Thales, sondern auch Anaximander, Anaximenes und Leukipp stammten aus Milet.
Anm.
8 Diese frühe Form der Demokratie war kaum mit der heutigen vergleichbar, da sie nur einen
geringen Teil der Bevölkerung traf, aber sie war natürlich ein Anfang. Andererseits muss man
entgegenhalten, dass im persischen Reich der Frau im Falle einer Scheidung dieselben Rechte
wie dem Mann eingeräumt wurden, und davon war die griechische Gesellschaft weit entfernt. Anm.
34
Schiffen zu Hilfe kommen würde.9 499 v. Chr. brach in Milet der ionische Aufstand aus und weitete sich über Kleinasien aus. Durch die Zerstörung von
Sardes, dem Zentrum der persischen Macht in Anatolien, wurden weitere
Städte zum Aufstand ermutigt. Die persische Gegenoffensive ließ aber nicht
lange auf sich warten, und bald hatten die Perser die abgefallenen Provinzen
wieder unter Kontrolle. Aufgrund der anfänglichen Erfolge des Ionischen Aufstandes hatten sich auch die kyprischen Stadtkönigtümer der Revolte gegen
die Perser angeschlossen (Her 5, 104). Wie die ionischen Griechen konnten
sich die Kyprier ebenfalls kurze Zeit gegen die Übermacht behaupten, mussten sich jedoch, nachdem ihre Städte 498/497 v. Chr. allesamt durch Belagerung gefallen waren bzw. der König von Kourion die Seiten wechselte (Hdt 5,
110-114), erneut der persischen Herrschaft unterwerfen. Lediglich Soloi und
Paphos hielten noch einige Monate stand. Es fanden sich im Zuge von Grabungen vor allem bemerkenswerte Spuren einer solchen Belagerung auf dem
Marcello-Hügel bei Paphos auf Zypern (Abb. 1).10 Siebzehn Jahre später nahmen die Kyprier am Zug des Xerxes gegen Griechenland teil, und standen bei
Salamis wieder auf der Seite der Verlierer.
Abb. 1: Unterminierungsstollen bei Paphos
9
Herodot fällte diesbezüglich das Urteil, es sei offensichtlich leichter, die Masse zu täuschen,
als nur einen einzelnen Mann. Zur ionischen Verwandtschaft Athens, worauf sich Aristagoras
berief: Her 1,143.
10 Die Paphier hatten die Stadtmauer durch eine Reihe vorgeblendeter Kalksteine verstärkt, und
Gräben vor der Mauer ausgehoben. Das Stadttor wurde durch zwei Querbastionen verengt, damit
die Angreifer einen schmaleren verwinkelten Eingang zu überwinden hatten. Alles außerhalb der
Mauern wurde seitens der Perser abgerissen, u.a. ein Heiligtum, dessen Trümmer samt Votivinventar zusammen mit Erde, Baumstämmen und Steinen benutzt wurden, um eine Rampe aufzuschütten. Entlang der Rampe beweisen Hunderte bronzene und eiserne Pfeil- und Wurfspeerspitzen,
dass die Angreifer entsprechend unter Beschuss genommen worden waren. Die Archäologen vermuten, dass griechische Söldner in persischen Diensten standen, da sich deren Helme im Füllmaterial fanden. Ebenso wurde die Mauer ringsum untergraben. Diese Technik war auch das Instrument
seitens der Verteidiger, u.a. um fahrbare Belagerungstürme zu Fall zu bringen: Die Paphier trieben
fünf Stollen unter die Mauer Richtung Rampe, der Hohlraum war mit Holzbalken abgestützt, die man
dann unter den Belagerungstürmen in Brand setzte. Doch all die Verteidigungsmaßnahmen zeigten
keine Wirkung, da die Stadt nach fünf Monaten eingenommen wurde und bis Alexander dem Großen unter pers. Oberhoheit blieb. Maier 2008, 14 ff.; Schollmeyer 2009, 43.
35
Die Aufmerksamkeit Persiens galt nach dem Fall der ionischen Städte dem
griechischen Festland. Nach Eroberungszügen über Thrakien und Makedonien landete die persische Expedition 490 v. Chr. in Attika nahe Marathon. Noch
vor Landung der Perser hatten die Athener einen Distanzläufer namens
Pheidippides nach Sparta geschickt, der sofortige Hilfe erbitten sollte (Her
6,105). Militärischer Beistand war bereits zugesagt, jedoch wollten die Spartaner gemäß einem alten Brauch nicht vor Vollmond aufbrechen.11 Als deren
Hilfskorps in der Ebene von Marathon eintraf, war die Entscheidung bereits
gefallen; die Athener und Plataeer hatten die Perser besiegt.12
480 v. Chr. startete Dareios' Nachfolger, sein Sohn Xerxes I., diesen bereits
vom Vater angelegten Feldzug. Schon im Herbst 481 hatten griechische Gesandte im Namen ihrer Wehrgemeinschaften (Her 7,145,1) geschworen, gemeinsam den Kampf gegen die Perser aufzunehmen. Alle Feindseligkeiten
und Kriege untereinander sollten beendet werden. Offenbar wurden aber noch
keine Maßnahmen gegen jene Hellenen beschlossen, die sich den Persern
unterworfen hatten.13 Eine vorausgehende diplomatische Offensive seitens der
Perser hatte die Auslieferung eines großen Teiles Zentralgriechenlands gesichert. Nach Sparta und Athen wurden keine Boten entsandt, um zu demonstrieren, wer als Hauptfeind angesehen wurde. Die Mission der Herolde des
Xerxes in Griechenland war schon Teil einer umfassenden politisch-strategischen Gesamtkonzeption, die das gesamte hellenische Mutterland umfasste,
und die auf Spaltung, Verunsicherung und Demoralisierung der abwehrbereiten griechischen Gemeinwesen abzielte.14 Die Strategie war teilweise erfolgreich, wie düstere Orakel (deren Hinweise immer für die Kriegsführung bedeutend waren) zeigten. Auch die Kooperation zwischen den Stadtstaaten blieb
mangelhaft. Die Verteidigung unterstand spartanischer Führung, deren Befehlshaber für die Landtruppen König Leonidas war. Mit der Organisation des
Widerstands war aber Sparta überfordert, da Dimensionen der erforderlichen
Planung des Widerstands den bisherigen Handlungsrahmen spartanischer Politik und Kriegsführung sprengten. Eine Bedrohung dieses Ausmaßes war aus
11
Bis heute ist nicht geklärt, ob die Unterstützung wirklich aus religiösem Skrupel ausblieb.
Anm.
12 Erst ab Plutarch kam es zu den Erzählungen des „Marathonläufers“ Philippides (Pheidippides, s.o.), (man beachte die Veränderung des Namens), der in Athen vom Sieg berichtete und
dann sterbend zusammenbrach. Und doch animierte diese Geschichte zum heute beliebten
Sportereignis. Anm.
13 Dieser Umstand steht gegen Herodots Behauptung, dass die Verbündeten die Absicht hätten,
jene Poleis und Ethné (regionale Wehrgemeinschaften) zu bestrafen, und den zehnten Teil
ihres Besitzes dem Apollon zu Delphi zu weihen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte der Perserkönig noch keine Herolde geschickt, die Wasser und Erde als Zeichen der Unterwerfung fordern
sollten. Persische Boten verließen im Sept./Okt. 481 v. Chr. Sardeis und waren vielleicht schon
im November desselben Jahres in Boiotien und Thessalien. Her 7,32.
14 Welwei 2004, 136 ff.
36
griechischer Perspektive fast unvorstellbar, als die persische Armee südwärts
stieß.15 Neben den oben genannten Mißständen waren die Spartaner außerdem nicht gewohnt, einen längeren Einsatz eines größeren Aufgebots in einem Operationsgebiet weit außerhalb der Peloponnes zu führen. Somit wurden einige gravierende taktische Fehler begangen, etwa keine Eingreifreserven zur Vereitelung persischer Umgehungstruppen, oder zwecks Ablösung der
Kombattanten bereitgestellt zu haben. Am fünften Tag befahl Xerxes den
Großangriff unter Umgehung der Gebirgspfade und des Anapeion-Passes.
Um Zeit zu gewinnen, griff Leonidas das Gros der Perser an, fiel jedoch mit
einem großen Teil seiner Truppen, als sich die restlichen Verbände der Spartiaten und Thespier auf einen Hügel beim Osttor zurückzogen.16 Kein anderes
Ereignis der Kriegsgeschichte wurde so oft gerühmt und doch kontrovers
behandelt wie jenes. Der Widerstand des Leonidas und seiner Spartiaten
wurde zu einem Opfergang für die Freiheit der Hellenen stilisiert und für die
folgenden Generationen der Spartaner geradezu ein Identifikationssymbol. In
der spartanischen Selbstdarstellung wurde das Geschehen in den
Thermopylen die Heldentat schlechthin.17 Nach dem Durchbruch durch die
Thermopylen konnte Xerxes weiter nach Attika vorstoßen.
15
Vermutlich führte diese neue Erfahrung zu den phantastischen Übertreibungen der überlieferten Stärke der feindlichen Streitkräfte (bis zu drei Mio. Kombattanten beim Dichter Simonides).
Auch bei Her 7,139 und 143,3 ist noch von Hundertausenden die Rede. Wie konnte es dazu
kommen, dass ein zahlenmäßig unterlegener Gegner den Sieg erringen konnte, sofern die
Perser wirklich in der Überzahl waren? Vielleicht boten die persischen Armeen keine überlegenen Truppenstärken. Der Grund für die erfolgreiche Verteidigung des eigenen Landes bestand
wohl in der seit Jahrhunderten bestehenden Phalanx, die sich schon in vielen Schlachten
bewährt hatte. Sie spielte sich vermutlich im Laufe des 7. Jhd. v. Chr. als kurzer Krieg zwischen
zwei Poleis ein, der im Frühsommer kurz vor Einbringen der Ernte geführt wurde. Er pflegte sich
in einer einzigen Schlacht zu konzentrieren, in welcher die Phalangen der Schwerbewaffneten,
in mehrere Glieder gestaffelt, aufeinander stießen. Wer das Feld behauptete, hatte gewonnen.
Der Gewinner errichtete als Zeichen und zum Dank an die Götter ein Tropaion („Wendemal“).
Es bezeugt die Wendung der Feinde zur Flucht: Beutewaffen wurden auf einem Holzpfahl
angeordnet. Die Unterworfenen wurden in der Regel nicht verfolgt, die ihre Niederlage bekundeten, indem sie um Herausgabe ihrer Toten baten.
16 Welwei 2004, 146 f.
17 Berühmt und bekannt ist das von Herodot (Her 7,228,2) zitierte Distichon des Simonides von
Keos. Die auf einem Gedenkstein am Kampfplatz eingemeißelten Verse lauten in der Übersetzung Friedrich Schillers: „Wanderer, kommst Du nach Sparta, verkündige dorten, Du habest uns
hier liegen sehen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“ Diese Übersetzung gewann in der europäischen und deutschen Rezeptionsgeschichte geradezu ein Eigenleben. Selbst in einer nach
dem II.WK aufgelegten „Griechenlandkunde“ (Kirsten, E. – Kraiker, W., Griechenlandkunde,
Heidelberg 1967, 231) wird gesagt, dass durch Schiller die Verse des Simonides „bis zum
heutigen Tage Besitz des deutschen Volkes geworden“ seien, offenbar nicht des Missbrauchs
während des III. Reichs bewusst, als Göring am 30. Januar 1943 in einer Rede zum 10. Jahrestag der „Machtergreifung“ Hitlers bereits den Nachruf auf die noch Überlebenden der 6. Armee
parat hatte: „Und es wird noch einmal in der Geschichte unserer Tage heißen: Kommst du nach
Deutschland, so berichte, du habest uns in Stalingrad kämpfen sehen, wie das Gesetz für die
37
Im hellenischen Kriegsrat wurde diskutiert, dass ein Entscheidungskampf vor
der Isthmos-Linie Salamis und Aigina retten könnte. Andernfalls hätte man
einige Verbündete ihrem Schicksal überlassen, die daraufhin kaum zu weiteren Kämpfen motiviert wären. Der Fall von Athen, der in die Zerstörung der
Akropolis kulminierte, war schon ein schwerer Rückschlag. Doch auch die
Perser standen unter Druck und waren zum Handeln gezwungen. Mit fortschreitender Jahreszeit stiegen die Versorgungsprobleme, und diese
schränkten strategische Optionen ein. Xerxes entschied sich zu kombinierter
Operation zu Lande und zu Wasser, wo er im Sund von Salamis zahlreiche
Trieren verlor, was zur Kampfunfähigkeit seiner Flotte führte. Man kennt die
Glorifizierung des dortigen Sieges, die nicht zuletzt athenischer Selbstdarstellung seitens Herodot über die Verdienste im Kampf um Griechenland zu
verdanken ist. Sparta stellte hierbei zwar nur ein kleines Kontingent, hatte
aber unter dem spartanischen Oberbefehlshaber Eurybiades die strategische
und taktische Konzeption inne und somit stark am Erfolg teil. Der Athener
Themistokles konnte sich anschließend nicht durchsetzen, die feindliche
Flotte bis zum Hellespont zu verfolgen und die Schiffsbrücken zu zerstören.
Xerxes war daher nicht gezwungen, sofort den Rückzug anzutreten, der das
Eingeständnis seiner Niederlage bedeutet hätte und unter Umständen seine
Herrschaft im Reich destabilisiert hätte. Durch den Teilrückzug konnte er sein
Gesicht wahren. Sein Befehlshaber Mardonios blieb im Norden Griechenlands (Thessalien) und versuchte zweimal Athen für einen Sonderfrieden zu
gewinnen, um die griechische Allianz zu sprengen. Unter anderem wurde der
Makedonenkönig Alexander I. als Vasall des Großkönigs eingesetzt, um die
Athener (in Gegenwart einer spartanischen Gesandtschaft – offenbar um sie
gegeneinander auszuspielen) zu überzeugen, dass ihnen der von ihrer Seite
begangene Schaden gegen Xerxes vergeben würde, wenn sie das Bündnisangebot annähmen (Hd. 8,140). Doch beide Großpoleis waren einander angewiesen und blieben vorerst einander solidarisch. Nach misslungener Mission Alexanders I. zog Mardonios nach Süden, woraufhin Athen ein Hilfegesuch an Sparta schickte.18 Nach der anschließenden Schlacht von Plataiai
und Mykale (Mardonius war dabei gefallen) 479 v. Chr. gingen nunmehr die
Griechen unter der Leitung Athens zum Angriff über. Ermutigt durch Xerxes'
Niederlage begannen die Griechen Asiens und der Inseln ebenfalls erneut zu
Sicherheit unseres Volkes es befohlen hat.“ Christ, K. (Hg.), Sparta, Wege der Forschung 622,
Darmstadt 1986, 51 f. (Anm.190).
18 Die athenische Gesandtschaft traf während des Festes der Hyakinthien (Juni?) in Sparta ein,
wo man aus religiösen Bedenken erst nicht auf sie einging. Herodot vermutete in diesem Vorgehen eine Ausflucht der Spartaner (Her 9,8), bis die Schanzarbeiten am Isthmos abgeschlossen wären, um die Athener nicht mehr als Bundesgenossen zu benötigen. Er nahm damit eine
spätere antispartanische Version auf, die jenen unterstellte, dass sie 479 die griechische Sache
verraten wollten. Welwei 2004, 155.
38
rebellieren. In diesem Moment zogen sich die Spartaner zurück (offenkundig
wegen Meinungsverschiedenheiten), aber Athen führte die Bildung des delischen Bundes fort.19 Dass auch zu diesem Zeitpunkt konservative Familien
Griechenlands und Kleinasiens voller Sympathie nach Osten blickten, und zur
Not auch Asyl in Persien fanden, beweist erneut die Komplexität von FreundFeind-Bildern.20 Auch die Darstellung eines Kampfes und Sieges der Demokratie gegen die persische Despotie ist nicht nur falsch in Bezug auf Athen
(von echter Volksherrschaft noch weit entfernt), sondern vorwiegend wegen
der Verbündeten, die hauptsächlich aus Tyrannen und Königen bestanden.
Der Einfluss der Perser machte sich gerade in den Folgejahren nach den großen Kriegen bemerkbar, hauptsächlich während der Zwistigkeiten innerhalb
der griechischen Welt, die in den Peloponnesischen Krieg mündeten. Dieser
fand seinen Anfang, als die Spartaner unter Pausanias nach einem Erdbeben
die Athener um Unterstützung gegen aufständische Heloten baten.21 Kimon,
der eine athen-spartan. Kooperation auf der Basis des Bündnisses aus dem
Jahre 481 als wesentliche Voraussetzung für Erfolge Athens im Kampf gegen
Persien und zur Konsolidierung der athenische Führung im Seebund sah,
setzte in einer Volkversammlung die Entsendung von Hopliten durch. 22 Sein
Heer zur Unterstützung Spartas wurde allerdings von denselben wieder
19
Zur Unterstützung eines gleichzeitigen Aufstandes in Ägypten hatte Athen sogar eine Flotte
von zweihundert Schiffe dorthin entsandt, die verloren ging, nachdem die Perser ca. 454 v. Chr.
über den Nil einen Gegenangriff in Memphis starteten.
20 Die thebanischen Kollaborateure, die sich 479 auf die Entscheidungsschlacht bei Plataiai
vorbereiteten, hielten zusammen mit den hohen Offizieren der persischen Armee ein Gastmahl
ab – fast schon ein Modell für die spätere Politik Alexanders des Großen mit der Integration
makedonischer und persischer Führungsschichten. Vgl. Herodot 9, 16 (das Gastmahl des
Attaginos). Die Angehörigen der griechischen Oberschicht trafen sich mit den persischen Aristokraten, und mancher wird sich bemüht haben, wie Pausanias von Sparta, eine persische
Prinzessin zu heiraten. Vgl. Thukydides 1, 128, 7; "bloß" eine Satrapentochter: Herodot 5, 32.
21 Während der Perserkriege gab es das Ephorat als Koordinationsstelle für Planung militärischer und diplomatischer Aktionen. Pausanias, Sieger der Schlacht von Plataia, musste als
Regent akzeptieren, dass zwei Ephoren seine Aktionen im Felde zu observieren hatten, die als
Repräsentanten des Volkes auch Fehlverhalten von Königen zu unterbinden und gegebenenfalls Anklage zu erheben hatten. Welwei 2004, 204. Ihm wurde Medismos (Kollaboration mit
den Persern) unterstellt, etwa in der Darstellung des Thukydides (1,132,4-5). Die Verhandlung
fiel zu seinen Gunsten aus, aber eine angebliche „Kollaboration mit den Heloten“ führte zu
seiner Einmauerung im Tempel der Athene in Sparta. Die Befreiung der Heloten, die generell
als Douloi (Sklaven) galten, wäre damals auf Unverständnis gestoßen, da die Fundamente der
bestehenden Gesellschaftsordnung erschüttert worden wäre. Welwei 2004, 168 ff.
22 Kimon, Sohn des Miltiades, des Siegers der Schlacht bei Marathon, war der führende Politiker und Stratege (Inhaber des staatlichen Feldherrnamtes) in den Jahren nach den Perserkriegen, so dass man die Zeit der 470er- und 460er-Jahre nach ihm auch „Kimonische Ära“ benannt hat. Als Stratege führte er große Flottenprojekte des delisch-attischen Seebundes gegen
die Perser erfolgreich durch. Er konnte etwa schon 478 v.Chr. die kyprischen Städte von den
Persern befreien, die aber 468 v.Chr. schon wieder als persische Flottenstützpunkte dienten.
39
zurückgeschickt, was zu einer Auflösung des seit 481 bestehenden Abkommens zur Waffenhilfe, und in weiterer Folge zu den offenen Auseinandersetzungen des Peloponnesischen Krieges fünfzig Jahre später führte.23 Die
Athener fühlten sich gedemütigt und verbannten im selben Jahr den
"Spartanerfreund" Kimon durch ein Scherbengericht (Ostrakismos) aus der
Stadt. Als er um 451 v. Chr. zurückkehrte, brachte er einen vorläufigen Waffenstillstand mit Sparta zustande. Er fiel 449 v. Chr. bei der Belagerung von
Kition auf Zypern (dort verweist man im heutigen Larnaca noch voller Stolz
auf ihn) (Abb. 2).
Abb. 2: Büste des Kimon
Im selben Jahr noch wurden die Perserkriege mit Unterstützung des Perikles
durch den Kalliasfrieden formell beendet. Keine zwanzig Jahre (431 v.
Chr.) später bekämpften sich die Griechen untereinander. In einer Analyse
der Entstehung des Peloponnesischen Krieges nannte Thukydides mehrere
Gründe für den Beginn der Kämpfe zwischen den beiden Großpoleis. Als
23
Es kam zum Eklat, weil die Spartaner die erbetene Hilfe nicht angenommen hatten, vermutlich aus Misstrauen gegen den athenischen Drang, politische Veränderungen herbeizuführen.
Durch einige Wechsel von Allianzen eskalierten die Spannungen 460 v. Chr. Bestehende
Machtverhältnisse führten zu Unzufriedenheit gerade in den mittleren und kleineren Gemeinwesen, die jeweils von einer dominierenden Macht abhängig waren, so dass ihre Handlungsfreiheit
entschieden eingeschränkt wurde. Die Großpoleis waren wiederum bestrebt, unter allen Umständen ihren Einfluss aufrecht zu erhalten und mit aller Entschiedenheit durchzusetzen. Zwar
war den Mitgliedern dieser Systeme freier Handel garantiert, doch sahen nicht alle von den
Großpoleis abhängigen Gemeinwesen in dieser Art von Frieden einen eigenen Vorteil. Jeder
fürchtete den Machtzuwachs des anderen.
40
einer galt wohl die Furcht der Spartaner vor zu viel Machtgewinn der Athener
(Thuk. 1,1,2). Es waren nicht völlig unüberbrückbare ideologische Gegensätze. Allerdings hatten sich im politischen Denken und Handeln schon
Entwicklungen angebahnt, die dazu beitrugen, dass nach Kriegsbeginn die
Diffamierung der Wert- und Ordnungsvorstellungen politischer Gegner zum
Instrument von Machtkämpfen werden konnte, wie Thukydides (3,82-83) in
der sog. „Pathologie des Krieges“ darzustellen versuchte. Innerhalb beider
Führungseliten waren die Meinungen geteilt, wollten doch viele eine militärische Konfrontation vermeiden. Doch zu Beginn des peloponnesischen
Kriegs hatte sich unter dem Eindruck der machtpolitischen Verhältnisse in
der griechischen Welt eine polemische Propaganda der politischen Terminologie und Typologie bemächtigt, so dass sowohl der Demokratie- als auch
der Oligarchiebegriff aus der unterschiedlichen Perspektive politischer Richtungskämpfe bereits durchaus variable Größen waren. Der Verfassungsdebatte Herodots ist zu entnehmen, dass der Terminus „Oligarchie“ einerseits
die Herrschaft der „Besten“ (Aristokratie), aber auch Cliquenherrschaft in
seiner eigentlichen Bedeutung („Herrschaft der Wenigen“) bezeichnen konnte. Hingegen wurden in tendenziöser Polemik die demokratischen Verhältnisse in Athen als negatives Gegenbild (Ochlokratie = „Pöbelherrschaft“) zu
oligarchischen Ordnungen klassifiziert, die dementsprechend aufgewertet
wurden. Verflechtungen innen- und außenpolitischer Konflikte führten zu einer Deprivation politischer Begriffe, die zu propagandistisch wirksamen Parolen wie „Gleichberechtigung der Menge“ oder Forderung nach einer „Herrschaft der Besten“ zur Verbrämung von Racheakten und hemmungslosem
Machtstreben dienten.24 In seiner Endphase nahmen die Perser beträchtlichen Einfluss auf die Auseinandersetzungen der griechischen Staaten untereinander, denn die spartanische Führung entschloss sich zur Kooperation
mit dem persischen Prinz Kyros, ohne dabei die langfristigen Auswirkungen
ihrer Entscheidung vorauszusehen. 412/11 v. Chr. gab es schon Verträge
mit ihm, und auf diesem Weg hatten sie sich den Sieg über Athen gebahnt,
jedoch außenpolitisch selbst ins Patt gesetzt, da ja die Anerkennung des Anspruchs des Großkönigs auf Herrschaft über die kleinasiatischen Griechen
24
Welwei 2004, 192 ff. u. 201 ff. Gerade während des peloponnesischen Kriegs kam es zu
Massakern, von beiden Seiten begangen (Thuk. 3,32,1) – Gefangenenhinrichtung in Myonnessos durch Spartaner, Tötung aller Mytilenaier auf Beschluß der athenischen Ekklesia. Welwei
2004, 220. Mit dem peloponnesischen Krieg kam es auch zu einer Ausweitung bis in die italienischen Kolonien: Eine der wichtigsten Schlachtaustragungen war der Kampf um Syrakus 415
v. Chr., als Athen versuchte die korinthische Kolonie auf Sizilien zu erobern. Es wurde eine
langwierige Belagerung, die immer mehr Soldaten und Ressourcen band und die Hauptstadt
schwächte. Als die Krieger der athenischen Armee nach ihrer Niederlage zum großen Teil auch
noch versklavt wurden und in Bergwerken ihr Ende fanden, war die athen. Vorherrschaft in
Griechenland beendet. Devries et al. 2007, 71.
41
sie davon abhalten sollte, als deren Schutzmacht aufzutreten. Als sich Kyros
gegen seinen älteren Bruder Artaxerxes nach dem Tod ihres Vaters Dareios
erhob, unterstützte Sparta den Aufstand, der mit der Schlacht bei Kunaxa
401 v. Chr. sein Ende fand. Somit war der erhoffte Traum einer Koexistenz
mit Persien erneut verflogen; die politische Konstellation änderte sich nun
gänzlich. Artaxerxes forderte die Unterwerfung aller ionischen Poleis ein, die
Kyros unterstützt hatten. Die Städte reagierten mit einem Hilfegesuch an
Sparta, das sich ja durch den Sieg über Athen inzwischen als „Schutzmacht
aller Griechen“ (Xe. Hell. 3,1.3) sah. Im darauf folgenden sogenannten Korinthischen Krieg verbündete sich Artaxerxes nun mit Athen und Theben gegen Sparta. Der neu ernannte spartanische König Argesilaos II. propagierte
mit zielgerichteter Symbolik den Kampf gegen Persien als panhellenischer
König.25 Die Spartaner konnten sich in Griechenland durchsetzen, aber nicht
gegen Persien. Und so kam es 387 v. Chr. zu einer Aushandlung mit dem
Großkönig, dem sogenannten „Königsfrieden“, der allen beteiligten Parteien
vorgetragen wurde, wonach die kleinasiatischen Griechenstädte und Kypros
(Zypern) dem Großkönig gehörten. Als Garant für den Frieden trat der Großkönig ein.26 Sparta wurde hierfür als eine Art Vollstrecker eingesetzt, was
praktisch bedeutete, dass die fast schon verlorene Rolle Spartas als Hegemon bestätigt wurde, was in Griechenland für viel Unmut sorgte. Persien
hatte seine alte Vormachtstellung im östlichen Mittelmeerraum wieder errungen und konnte sich als der eigentliche Sieger fühlen. Aber auch Artaxerxes
sah sich mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa dem Aufstand
des Euagoras von Salamis (Zypern), der sich mit dem ägyptischen Herrscher Akoris verbündet hatte. So war der Großkönig außerstande, aus eigener Kraft Sparta oder Athen zur Anerkennung seiner alten Herrschaftsansprüche in Westkleinasien zu zwingen, während die spartanische Führung
erkannte, dass ein Kampf um Autonomie ihrer Schutzbefohlenen der kleinasiatischen Griechen verlorene Siege waren, da die spartanischen Ressourcen für dauerhaften Schutz nicht ausreichten. So hatte Sparta v.a. Ordnungsfunktionen innerhalb der Staatenwelt des hellenischen Mutterlandes
auszuüben. Dies führte wiederum zu Misstrauen seitens Theben und Korinth, die ursprünglich auf Seiten der siegreichen Spartaner gestanden hatten, und den so genannten Heiligen Kriegen. 27 Als sich im letzten jener
25
Diese Rolle wurde ihm von versch. Seiten verwehrt, etwa in der Ausübung von Kulthandlungen
in Aulis. Dieser Ort war ja angeblich seitens König Agamemnon für den Aufbruch ins kleinasiatische Troja gewählt worden. Daran wollte er anschließen. Anm.
26 Es stellte sich die Frage, ob die in Susa getroffenen Abmachungen tatsächlich „ein vom
Großkönig gesandter Frieden“ (Xen. Hell. 5,1,35) oder ein Diktat waren, wie Autoren des 4.
Jhd.s behaupteten (Prostagma: Isokr. 4,176).
27 Hauptsächlich wurde einer dieser Kriege veranlasst, als es um 350 seitens der Lokrer um den
Vorwand ging, Delphi zu schützen und die Autorität der Amphiktyonen (Amphyktionie: Städtebund
42
Heiligen Kriege Philipp von Makedonien mit den Thessaliern und Thebanern
verbündete und deren moderne Militärtaktik anwendete 28, wurde Griechenland von ihm nach und nach erobert. Sparta war jedoch nicht zum Anschluß
an den gegründeten Hellenenbund unter der Hegemonie Philipps II. bereit.
Als dann auch noch dessen Nachfolger Alexander II. (der Große) im Beschluß des Korinthischen Bundes sich als bevollmächtigter Stratege im „panhellenischen“ Rachefeldzug gegen Persien aufschwang, weigerten sie sich,
ihre Zustimmung zu geben.29 König Agis III. schickte eine Gesandtschaft an
den persischen Königshof und verhandelte in Siphnos mit persischen Flottenführern um militärische und finanzielle Unterstützung im Kampf gegen
Makedonien. Die Hilfe blieb minimal. Alexander bestrafte Sparta nicht exemplarisch, da die Stadt ohnehin nach dem Fall der meisten Kombattanten bedeutungslos wurde. Die Eigenständigkeit hatte Sparta jedenfalls verloren.30
Und innerhalb kürzester Zeit war auch das persische Reich dem makedonischen einverleibt. Es lässt sich beobachten, dass die Drohung von persischer Seite ohnehin schon lange marginal gewesen war, und die Konflikte
um ein Heiligtum zum Schutz und zur Verwaltung, später auch Veranstaltung von Festspielen, wie
man sie von den olympischen Spielen kennt. Anm.) bewahren zu wollen. Der Rat verurteilte die
Phoker, da sie angeblich heiliges Land bestellt hatten. Da Athen und Sparta den Phokern freundlich gesinnt waren, verweigerten sie die Anerkennung des Urteils und raubten aus dem delphischen Tempelschatz 10.000 Talente, was in einem Großteil Griechenlands als außerordentlicher
Frevel und Sakrileg aufgefasst wurde. Die mit der Beute angeworbenen Söldner ermöglichten es
der an sich armen Landschaft nahezu zehn Jahre lang Krieg zu führen.
28 Die siegesgewohnten Spartaner erlitten ihre größte Niederlage in der Schlacht von Leuktra im
Jahre 371 gegen die Thebaner. Diese hatte zur Folge, dass sich Spartas unterworfene Stadtstaaten erhoben. Allgemein lässt sich immer wieder erkennen, dass Niederlagen schon allein in
Zusammenhang mit Prestigeverlust geradezu Rebellionen herausfordern. Philipps Sohn Alexander setzte die thebanische Taktik anschließend ein, um das Perserreich einzunehmen.
Devries et al. 2007, 72 ff.
29 Alexanders weltoffenes Denken widersprach seiner Tat bei Persepolis: 330 v. Chr. brannte
er, der Zerstörung der Akropolis gedenkend, die Hauptstadt des persischen Reiches nieder.
Deren Ruhm und plötzlicher Untergang widerfuhr auch Herzfeld, dem deutschen Ausgräber
(finanziell unterstützt seitens Chicago Oriental Institute, wo sich heute große Mengen an Keilschrifttexten befinden, deren Entschlüsselung noch Jahre andauern und vielleicht zusätzlich das
Bild der Perser ändern wird), dem seiner jüdischen Wurzeln wegen die Professur entzogen
wurde, als der Rassenwahn im III. Reich erstarkte. Radikalisierende Ideologien erschwerten
auch immer wieder archäologische Forschungen, zum Teil bis heute. Zu Herzfeld: G. Walser,
Zum Gedenken an Ernst Herzfeld, 1879-1948. In: Archäologische Mitteilungen aus Iran 12,
1979, 9-12; F. Krefter, Mit Ernst Herzfeld in Pasargadae und Persepolis 1928 und 1931-1934.
In: Archäologische Mitteilungen aus Iran 12, 1979, 13-25.
30 Trotz immer wieder kehrenden Erstarkens gewann Sparta nie wieder seine ehemalige Stellung zurück. Bis weit in die römische Kaiserzeit blieb Sparta zumindest eine civitas libera (freie
Stadt mit eigener Verwaltung) mit den ihnen eigenen Institutionen (Ephorat, Gerusia, Apella,
Syssitien, Agogé), und mit aufrecht erhaltener Tradition der Männerinstitutionen als Garanten
für Sicherheit, bis 267/68 n. Chr. Raubscharen der Heruler die Stadt plünderten, und 395 n. Chr.
Alarichs Truppen sie zerstörten. Welwei 2004, 324 ff.
43
oft von innen herauf beschworen. Und doch bleibt das Bild des asiatischen
Barbarenzugs nach Europa, das den griechischen Autoren zu verdanken ist.
Zum einen war es die Inszenierung des Stücks „Pérsai“ des Ayschilos im
Jahre 472 v. Chr., das jenes Kriegsgeschehen von 480 v. Chr. aufrief. 31 Bei
aller stolzen Erinnerung an Athens großen Sieg war das Stück doch als Tragödie des Perserreichs konzipiert und als Warnung davor, Grenzen zu überschreiten. Damit spielte Ayschilos darauf an, dass wider Natur und göttlichem Willen Xerxes mit dem Brückenbau über den Hellespont die beiden
Kontinente zu verbinden suchte, was einer Hybris gleichkam und bestraft
wurde (vgl. Turmbau zu Babel, Gen 11,1-9). Symbolisch furchte sich die
Grenze Asien-Europa dadurch noch tiefer ein, indem sie sich dem, der sie
überbrücken wollte – Xerxes – als letztlich unüberwindbar erwies.32 Eine
ähnliche Deutung lässt sich auch bei Herodot 33 beobachten, der als wichtigste Quelle der Perserkriege dient 34: Es ging ihm um eine andere Darstellung
des Widerspiels von Aufstieg und Fall großer Mächte. Das Reich der Lyder
hatte im 6. Jhd. v. Chr. die griechischen Kolonien unterworfen und war anschließend von den Persern vernichtet worden. Die ionischen Städte hatten
unter der Führung der Handelsmetropole Milet, die im 6. vorchristlichen Jhd.
eine politische und intellektuelle Rolle wie Athen im 5. Jhd. v. Chr. inne hatte, einen Aufstand gegen die Perser unternommen, waren besiegt und Milet
vollständig zerstört worden. Die Perser als die unbezwingbaren Herren der
Welt scheiterten beim Versuch, das kleine Griechenland zu erobern, und
nun trat Athen als neues (See)Reich auf. Herodot versuchte, auch die
Geschichte immer wieder als Kreislauf zu deuten.35 Dem geht oft eine
31
Meier 2009, 39 ff.
Die Perser standen wohl auch als eines der ersten Völker im Spannungsfeld zwischen Naturbezwingung und Naturzerstörung, zwischen ökonomischem Fortschritt und ökologischem
Rückschritt. Perserkönig Xerxes erscheint in griechische Quellen als Herrscher, zu dessen
Selbstverständnis es gehörte, sich als Beherrscher der Natur zu gerieren. Auch Iustin (2.10.24)
bewertet ihn im typisch traditionellen Bild des Westens als negativen Herrscher des Ostens.
33 Herodot stammte aus Halikarnass (heute Bodrum in der Türkei), einer alten karischen Stadt,
die Zuzug seitens griechischer Siedlern erfuhr, und um 560 unter die Herrschaft des lydischen
Königs Kroisos, sowie nach seinem Fall 546 unter die der Perser kam, die als Herrscher eine
griechisch-karische Familie einsetzten. 468 lösten die Athener bei einem Vorstoß gegen die
Perser Halikarnass aus dem persischen Reich und gliederten es ihrem Seebund ein. In dieser
Stadt wuchs Herodot auf. Seine Familie war an einem Putsch gegen den Tyrannen Lygdamis
beteiligt, und musste die Stadt verlassen, daraufhin dürfte er sich auf Reisen begeben haben und
kannte wohl das meiste Beschriebene wirklich aus eigener Anschauung. Hose 2004, 161.
34 Als Werke historischen Werts sollten noch die Geographia von Hekataios, weiters die Autoren
Dionysios von Milet, Charon and Hellanikos genannt werden.
35 Nachdem Kroisos mit der Überquerung des Flusses Halys durch den Perser Kyros gestürzt
wurde, trat er an den Großkönig warnend heran, die wilden Massageten nicht anzugreifen, doch
überschritt Kyros den Fluß Araxes und wurde auf seinem Feldzug getötet. „Glaubst Du, unsterblich zu sein und über ein Heer von Unsterblichen zu gebieten, so hätte es keinen Zweck, dir
32
44
Verfehlung voraus, eine Übertretung einer dem Menschen gesetzten Grenze, symbolisch mit einer geographischen Grenze, einem Fluss oder einer
Meerenge gleichgestellt. Wie die Könige Kroisos und Kyros erlitt auch
Dareios eine Niederlage beim Überschreiten eines Flusses, als er über der
Donau die Skythen angreifen wollte, Xerxes versagte beim Überschreiten
des Hellespont, den er mit einer Brücke zu unterjochen versuchte. Der Konflikt stellte auch den Kampf um die Vormachtstellung – Xerxes soll laut
Herodot gefunden haben, dass nur einer den anderen beherrschen kann,
einen Mittelweg gebe es nicht.36 Auch wenn Herodot als „Vater der Geschichte“ (Cicero: pater historiae) gilt, so wurde sein Ansatz schon in der
Antike oft bezweifelt.37 Auch das vorher erwähnte Bündnisangebot des
Mardonios den Athenern gegenüber, wurde bei Herodot beeinflussend dargestellt: Diese lehnten ab und erläuterten den bereits besorgten Spartanern
ihren Entschluss:
„…Ihr solltet euch solcher Furcht schämen, da ihr genau wisst, dass
wir für alles Gold der Welt und das schönste Land, das man uns geben könnte, den Persern nicht dabei helfen würden, Griechenland zu
unterwerfen. Denn auch wenn wir es wollten, würden es uns viele gewichtige Gründe unmöglich machen. Zuerst und vor allem die verbrannten und zerstörten Tempel und Götterbilder … Weiter aber sind
wir ja auch Griechen, mit Euch gleichen Blutes und gleicher Sprache.
meine Meinung zu sagen. Bist Du Dir aber bewusst, dass Du ein Mensch bist und über Menschen gebietest, so lass Dir gesagt ein, dass es ein Rad des Menschenglücks gibt. Infolge
dieser Drehung lässt es nicht zu, dass immer dieselben im Glück sind.“ Her 1,71-92; Her
1,207,2; Her 1,214. Das Schicksalsrad war auch im Mittelalter ein übliches Bild: Kýklos
anthropéion pregmáton. Anm.
36 Ein beliebter Topos war das durch Luxus verweichlichte Asien gegen die mannhafte Haltung
(areté), durch Weisheit und strenges Gesetz bewirkt. Man hat sich im Westen über die Jahrhunderte auf unterschiedlichste Weisen in diese Traditionen eingereiht. Nicht zuletzt indem man
sich auf die eigenen Qualitäten gegen die asiatischen Quantitäten bezog. So wurde aus „barbarisch“ mit der Zeit das Synonym für wild und unzivilisiert. Meier 2009, 51. Her 1,2-5. Den Konflikt
und die Kluft zwischen den beiden Kontinenten stellte Herodot schon mit der Geschichte des
Frauenraubs dar: Die Phönizier stahlen die Griechin Io, die Griechen in Gestalt von Zeus dagegen die phönizische Königstochter Europa. Es folgte der Raub der Medea aus Kolchis am
Schwarzen Meer durch die griechischen Argonauten, wenig später der Helena durch die Trojaner.
37 Thukydides schien ihn an mehreren Stellen zu korrigieren, im 4. Jhd. wurde er offen von
Historikern wie Theopomp und Ktesias kritisiert. Ktesias hatte einige Zeit als Leibarzt am Hof
des Perserkönigs verbracht und gründete sein Verdikt auf Herodots Darstellung der pers.
Geschichte, und doch wirft man auch ihm in Folge Lügen und Übertreibungen vor. Hose 2004,
154. Plutarch hatte Herodot später sogar einen "Barbarenfreund" genannt. Herodot selbst
relativiert seinen Bericht: „Ich schulde es (meinem Leser) das, was erzählt wird, zu erzählen
(légein ta legómena), brauche es freilich nicht ganz und gar zu glauben, und dieser Grundsatz
soll mir das ganze Werk gelten.“ (Her 7,152,3).
45
Wir haben dieselben Tempel und Götterbilder und dieselben Sitten…“
(Her 8,144)
Diese Darstellung von Heldenmut und Solidarität gab es aber unter den hellen.
Staaten nicht. Das Vorbringen solcher Gemeinsamkeiten wurde von ihm den
Athenern zur Erklärung ihrer strikten Weigerung in den Mund gelegt, mit den
Persern in Verhandlungen zu treten.38 Die Vorstellung von einer nicht bloß
athenischen, oder spartanischen, oder argivischen Identität, sondern von einer
gemeinsamen – modern – gesprochen, Ethnizität39 war beileibe nicht jedem
griechischen Politiker geläufig, sondern wurde von den Athenern in ihrem
Sinne instrumentalisiert. Der Begriff "Hellas" für Griechenland war vor dem
Zeitalter der Perserkriege kaum belegt und bezog sich als Name in der Frühzeit auf einen bestimmten Teil Nordgriechenlands.40 Ein rudimentäres Bewußtsein für griechische Gemeinsamkeiten jenseits des kleinstaatlichen Partikularismus bereits in der archaischen Epoche sollte jedoch nicht übersehen werden.41 Herodot brachte zwei relevante Aspekte ins Spiel: Die Athener waren
aufgerufen, Rache an ihrem zerstörten Tempel zu nehmen, andererseits brach
er die Erzählung dort ab, wo die Griechen ihrerseits den Hellespont überschreiten müssten – der Nullpunkt, der beim Überschreiten fatale Folgen haben könnte. Der Begriff historie war bei Herodot noch nicht terminus technicus,
denn er beinhaltete in seinem eigentlichen Sinne „Nachforschung“ (Her 2,444).
Er ermittelte Daten, Erklärungen, Traditionen und stellte sie nebeneinander,
dem Leser erlaubend, Schlüsse zu ziehen und entscheiden zu können.42 Aber
Herodot war natürlich vorbelastet, und die Rezeption des Lesers führt ja auch
heute oft zu falschen Schlussfolgerungen. Dieses Problem zeigte sich v.a. im
19. Jhd., als die entstehenden Wissenschaften der Assyriologie, der Iranistik
und der Ägyptologie Herodots Monopolstellung als Quelle für altorientalische
Kulturen nützten, denn die klassisch gebildete Person vermochte eher griechisch denn Keilschrifttexte zu übersetzen.43 In manchen Grundzügen konnte
man zwar seine Aussagen bekräftigen, aber sehr viele Erzählungen bleiben
38
Her 8, 144. Das "Blut" als Kriterium der griechischen Gemeinsamkeit ist ungewöhnlich; damit
sollte wohl der familiäre Zusammenhang aller Griechen betont werden.
39 Hall, Ethnicity (1997).
40 Thukydides 1,3.
41 Schon in der Ilias zeichnete sich das Heer der Griechen (Achäer, Argeier und Danaer) durch
ein im Vergleich mit den Troianern viel besser koordiniertes Auftreten aus. Anm.
42 Hose 2004, 163 und 169 ff.
43 Teilweise war man damals noch nicht mal allgemein in der Lage, Keilschriften zu übersetzen.
In lit.-histor. Perspektive wird Herodot auch heute als Historiograph gelesen, Thukydides,
Xenophon, Polybios setzten diese Gattung fort, bezogen deren Texte meist auf vorgängige.
Hier soll auch die Lydika von Xanthos, die lydische Geschichte, die mit der Eroberung der
Haupstadt Sardes durch die Perser Kroisos´ Herrschaft endete, genannt werden. War der Autor
ein hellenisierter Lyder, aus dem Übergangsbereich zwischen dem ionischen Griechentum und
Lydien stammend? Hose 2004, 158 ff.
46
doch nur Geschichten.44 Liest man die ethnographischen Kapitel über die
Perser, ist man überrascht über die hohe Einschätzung der Kultur des Gegners von 480, der doch mindestens bis zum Jahre 449 als bedrohliche Macht
empfunden wurde.45 Zu unterscheiden ist allerdings zwischen der ursprünglichen Kultur der Perser, und ihrem Zustand in der Epoche der Perserkriege
und danach. Herodot war voller Anerkennung, was die persischen Sitten im
Allgemeinen anging, aber sehr kritisch dem Regime und Verhalten des Großkönigs gegenüber. Im Spiegel des Fremden sollten die Griechen davor bewahrt werden, so zu werden wie jene, die sie doch so ablehnten. Herodot
schrieb sein Werk in der Hochphase der delisch-attischen Symmachie und in
den Krisen-Jahren vor dem Ausbruch des peloponnesischen Kriegs.46 Das
Werk endete mit der Eroberung von Sestos im Jahre 478, doch hatte Herodot
den Schlußabschnitt seines Werkes so gestaltet, dass er als Warnung an sein
athenisches Publikum gelesen werden mußte. Herodot nahm auf subtile Weise Stellung zur politischen Entwicklung im Zeitalter des Seebunds, indem er
seinen athenischen Hörern deutlich machte, dass die Perser einerseits in ihren
Sitten und Gebräuchen verschieden waren, sich andererseits aber auch sehr
vorbildlich verhalten konnten. Athen dagegen lief bei der rücksichtslosen Verfolgung seiner politischen Interessen Gefahr, sich seiner selbst zu entfremden
und so persisch-barbarisch zu werden, wie es der chauvinistischen Vorstellung von den persischen Barbaren in den Gassen Athens entsprach.47 Als
Mahner und Warner vor solchen Entwicklungen blieb Herodot offenbar so
erfolglos wie die Meisten heute.
2. „Präventivkriege“ am Beispiel Rom – Gallien: Caesars „Gallischer
Krieg“
Nach dem großen Konflikt Europa – Asien, so er zumindest immer dargestellt wird, gelangt ein sozusagen innereuropäischer Krieg zwischen der
römischen Republik und den gallischen Stämmen in den Blickwinkel der
Betrachtung. Die Gallier gelten als Teil der keltischen Kultur, die als mehr
oder weniger schriftlose, da hauptsächlich mündlich tradierte Gesellschaft
der Schriftführung ihrer Feinde und somit einseitiger Interpretation späterer
44
Kritisch werden solche Ansätze, wenn man sie für heutige außenpolitische Legitimation
benutzt, wenn man etwa den Fall Iran betrachtet (Stichwort Kampf orientalisch- religiöser Despotismus gegen westliche Demokratie). Anm.
45 Das Jahr 449 ist das Jahr des sog. "Kalliasfriedens", oder jedenfalls eines diplomatischen
Arrangements, das zu einer vorläufigen Einstellung der Feindseligkeiten führte (vgl. S.9).
46 Vgl. Bichler 2000, 367ff. über die Anspielungen Herodots auf Ereignisse nach 478 v. Chr.
47 Zur Instrumentalisierung der "fremden" Perser als warnendes Beispiel vgl. etwa Moles 1996,
262 ff. und 279: „Reading Herodotus’ History is itself a moral and political act.“
47
Forscher unterworfen waren, die selbst unser heutiges Bild noch beeinflusst. Ein ähnliches Problem wurde ja schon in Zusammenhang mit den
Persern aufgeworfen, deren Bild auch aufgrund fehlender Übersetzungen
hauptsächlich durch griechische Autoren bestimmt war. Entsprechend fielen
die Urteile, um nicht zu sagen Vorurteile aus: Die Kelten waren wild, barbarisch, gefährlich, kulturlos. Heute ist man aufgrund reicher archäologischer
Funde eines Besseren belehrt. 48 Eine Synthese aus archäologischen Grabungen und akribischer Interpretation von Caesars „Commentarii de Bello
Gallico“ (BG) sollte zu Fakten führen, einer Interaktion zwischen klassischer
Philologie und Textkritik. Caesars Bericht birgt größere Gefahren falscher
Rezeption als Herodots, da er seine eigene Kampagne beschrieb. Immerhin
stand hinter seinem Bericht zu seiner Vorgangsweise in Gallien die Intention, sich selbst in ein günstiges Licht zu stellen. Caesar hatte zwar im Laufe
der Jahre militärische Erfahrungen gesammelt, und war dadurch organisatorisch und militärisch zweifellos gefestigt. Problematisch ist dennoch, dass
wir uns heute im Großen und Ganzen nur auf die von ihm selbst verfassten
Berichte stützen können. Da der Senat seine ehrgeizigen Pläne fürchtete,
und sein Gegenspieler Pompeius schon an seine eigenen Interessen dachte49, musste Caesar die Erfahrungen möglichst erfolgreich darstellen, andererseits auch nicht gänzlich lügen. Geschehnisse mögen stimmen, aber Ursachen und Ergebnisse sowie Gesamtinterpretation können doch gewissen
Korrekturen unterworfen werden, zumal der Autor der General ist. Gerade
dieses Vorgehen muss man Caesar als Geniestreich zuerkennen. 50 Als
Proconsul der beiden Provinzen Galliens musste er sich wegen seiner militärischen Aktionen rechtfertigen – keiner der führenden Männer der späten
Republik war in solch hohem Maße davon bedroht, nach Beendigung seiner
Statthalterschaft und der Rückkehr in die Hauptstadt gerichtlich zur Verantwortung gezogen und für immer von jeglicher Machtposition ausgeschlossen zu werden.51 Nun musste sich Caesar in seinem neuen Amt in Gallien
Man denke an Hallstatt, Dürrnberg, Mont Lassois (Vix) (s. 62), um nur einige große Fundstätten
zu nennen.
49 Die beiden hatten sich u.a. entzweit, als es um Art und Ort der Bestattung von Caesars
Tochter bzw. Pompeius´ Gemahlin (die Ehe wurde zur Bekräftigung der Verbindung beider
Männer vorgenommen) nach ihrem Tod am Wochenbett ging. Goudineau et. al 2000, 12.
50 Das 4. Buch etwa dient dem Zweck, einen eindeutigen Völkerrechtsbruch gegenüber den
Usipetern und Tenkterern zu verschleiern, als er sie überfällt und weitgehend vernichtet (BG
4,14).
51 Nachdem Caesar alle Etappen des cursus honorum (Besetzung der Ämter) durchlaufen, und mit
Pompeius und Crassus ein Bündnis geschlossen hatte (das sog. Triumvirat), wurde er im Jahre 59
Consul, missbrauchte aber die ihm anvertraute Macht. Um ein zum Teil direkt seinen Interessen
dienendes Gesetzespaket zu verabschieden, war er sogar so weit gegangen, sich im Zuge dieses
Triumvirats auf Bandenterror zu stützen. Das Einsetzen jeglicher Mittel (und sei es heute über
verschiedene Medien) erinnert an heutige Mittel seitens italienischer Führungskräfte. Anm.
48
48
bewähren, und wie ließ sich das besser bewerkstelligen als mit spektakulären Erfolgen auf dem Schlachtfeld, deren Beute zusätzlich die eigene Finanzlage aufbessern konnte, die wiederum der Bestechung diente. Nach
Beendigung seiner Amtszeit hatte ihm der Senat die Statthalterschaft über
die Provinzen Gallia Cisalpina (Norditalien), Illyricum (Balkanregion) und
schließlich Gallia Transalpina (von Südfrankreich bis Toulouse) übertragen.
Wahrscheinlich wollte Caesar Richtung Donau vorstoßen. Der Zug der
Helvetier und Germanen zwang ihn jedoch dazu, die Pläne zu ändern. Von
den früheren Wanderbewegungen (der Kimbern, Teutonen und Ambronen
50 Jahre zuvor) erschüttert, musste dagegen vorgegangen und den
Hegemoniebestrebungen des Germanenführers Ariovist entgegengetreten
werden. Außerdem konnte er sein Eingreifen auch auf den Hilferuf des
gallischen Stammes der Haeduer zurück führen und somit legitimieren. Die
Helvetier und Germanen wurden vernichtet, doch Caesar verließ Gallien
nicht. Er führte seinen Feldzug fort, teilweise mit Unterstützung seitens der
Führer anderer gallischer Stämme, etwa des Averners Vercingetorix (BG
VII 4,1). Wie viele Unternehmungen jener Zeit dienten Caesars Züge neben
den oben erwähnten Gründen v.a. ökonomischen Zielen – Beute und Gefangene sowie der Erschließung neuer Märkte. Es kam bald zu einer frühen
Form von „Résistance“ als Reaktion auf seine willkürliche Vorgehensweise
in Gallien.
Als Caesar im Herbst des Jahres 53 v. Chr. nach Gallia Cisalpina zurückkehrte, im Glauben sich auf gewisse gallische Stämme stützen zu können,
standen gerade diese alten Verbündeten plötzlich gegen Caesar. Auch in
Rom selbst waren die Umstände gerade ungünstig: Die Katastrophe des
Crassus, dessen Legionen von den Parthern vernichtet worden waren (dazu
Teil 3: Römisch-Persische Kriege) führte in der Folge fast zu Anarchie in
Rom. Pompeius bekam mit voller Machtbefugnis die Aufgabe übertragen, für
Ordnung zu sorgen. Caesar berichtete in BG VII 1,2 ff., dass durch die Zustände in Rom die Gallier zur Revolte riefen. Unter anderem riss Vercingetorix im entscheidenden Jahr 52 v. Chr. in einem Staatsstreich die Macht im
Volk der Haeduer an sich, als die Abstimmung der Krieger zu seinen Gunsten entschied und er so in seiner obersten Befehlsgewalt bestätigt wurde.52
Hierbei spielte Bibracte, Haupt-stadt der Haeduer, eine große Rolle.53 Es
52
An der Spitze dieses (mit Rom durch Diktat verbündeten) Stammes standen ein prorömisch
gesinnter Senat und ein Magistrat, der Onkel des Vercingetorix, die weiter ein aristokratisches
Regime, die Allianz mit Rom und den Beginn ökonomischer Beziehungen wünschten. Natürlich
gab es auch andere Kräfte, welche die alte Regierungsform, einen König, die Unabhängigkeit
und die Rückkehr zu den Werten ihrer Väter zurück erlangen wollten.
53 Hier empfing auch Caesar im Jahre 58, die wichtigsten Stammesführer nach dem Sieg über
die Helvetier, die ihn baten, gegen den Germanen Ariovist vorzugehen. Sechs Jahre später sah
sich Caesar von dort aus einem immer mehr um sich greifenden Aufstand gallischer Stämme
49
kam zu einem Lawineneffekt, als die Verbündeten abfielen (BG 7,63,1) und
deren Führer Dumnorix (als Geisel Caesars bald darauf hingerichtet) und
Vercingetorix taktische und strategische Kenntnisse einsetzten, die sie in
seinem Umfeld erlernt hatten. Es zeigt sich, dass Caesars Talent beileibe
nicht unfehlbar war, nur wurden Rückschläge in seinen Berichten stark runter gespielt, etwa bei Gergovia und Noviodunum. In Noviodunum ließ Caesar
seine gallischen Geiseln und seine impedimenta54 auf Anraten der Haeduer
zurück, wurden ihm dann jedoch seitens seiner Gastgeber entrissen, während er Vercingetorix verfolgte. Nachdem Caesar vergeblich versucht hatte,
Gergovia einzunehmen, erlitt seine Armee schwere Verluste und musste
sich zurückziehen (BG VII 22). 55 Er und seine Befehlshaber56 kämpften an
mehreren Fronten, bis alles in der großen Schlacht von Alesia kulminierte57:
Caesar schloss Vercingetorix dort durch umfangreiche Belagerungswerke
ein. Diesem gelang es vor dem Einschluss noch, seine Reiterei fortzuschicken, da sie während einer Belagerung die Vorräte nur unnötig strapaziert
hätte. Sie erhielt zudem den Auftrag, die gallischen Stämme zur Aufstellung
eines Entsatzheeres aufzurufen, das Caesar selbst zum Belagerten machen
würde. Mit umfangreichen Schanzarbeiten stellte Caesar einen 16 km langen inneren Belagerungsring (Circumvallation) und einen zweiten, 21 km
langen, nach außen gerichteten Verteidigungsring (Contravallation) auf, um
sich auch des anrückenden Entsatzheeres zu erwehren. Diese Schanzanlangen enthielten Türme, Fallen, Gräben, Wälle, Fußangeln und Hindernisse
gegen Reitereiangriffe. Das Belagerungswerk, das gleichzeitig Verteidigung
war, wird im Bellum Gallicum (7,72,1-7,73,9) eindrücklich beschrieben (Abb.
3).
gegenüber, die er schon unterworfen oder für sich gewonnen zu haben glaubte.
54 Material, das eine Armee mit sich führen muss, das jedoch nicht den Kämpfen dient: Beute,
zum Dienst bei den Offizieren bestimmte Sklaven, Archive, Proviant, Lasttiere, Sold für Soldaten. Anm.
55 Die Hauptstadt der Averner, deren Lage aber bis heute nicht vollständig klar ist. In der Nähe
von Clermont-Ferrand wurden im Zuge archäologischer Arbeiten Überreste von Befestigungsbauten gefunden (Plateau des Côtes), die auf Gergovia deuten.
56 Zumindest sein Legat Labienus sollte erwähnt werden, der gleichzeitig gegen die Senonen
und Parisii vorging, die sich bei Lutetia, einer Stadt der Parisii, die auf einer Insel in der Seine
lag, aufhielten. Der Name der heutigen Hauptstadt Frankreichs entspringt diesem Stamm.
57 Als Caesar gegen Vercingetorix selbst marschierte, immerhin mit etwa 52 000 Soldaten (12
Legionen und Auxiliartruppen) sowie dem übrigen Tross, wofür man doch eine große Menge
Proviant brauchte, wandte Vercingetorix die im Laufe der Geschichte oft bewährte Taktik der
verbrannten Erde an. Laut Caesars Schilderungen – offensichtlich übertrieben – umfasste die
Armee des Vercingetorix 80 000 Mann, sowie in der sogenannten Entsatzarmee 240 000
Infanteristen und 8000 Reiter. Die Befehlsstruktur war aber nicht ganz so streng durchgestaltet,
denn trotz Vercingetorix´ Oberbefehl konnten auch die anderen gallischen Fürsten gegen seine
Vorschläge agieren. Dies hielt sie von einem zielgerichteten geschlossenen Vorgehen ab. Der
Kampf um das eigene Land war dagegen zu ihrem Vorteil.
50
Abb. 3: Rekonstruktion des Belagerungswerks vor Alesia
Bereits nach etwa dreißig Tagen gingen die Nahrungsmittel in Alesia zur Neige. Vercingetorix sandte alle Kampfunfähigen (Alte, Frauen, Kinder) aus der
Stadt, da sie nicht mehr ernährt werden konnten. Caesar berichtete unverblümt von seiner Entscheidung, die Zivilisten nicht durch seine Linien abziehen
zu lassen, so dass diese vor den Augen aller langsam und qualvoll starben.
Endlich hatte das gallische Entsatzheer Alesia erreicht. Für Alesia war dies
das Signal für einen Ausbruchsversuch. Durch entschlossene Vorstöße und
kluge Organisation der Truppen gelang es Caesar und seinem Stellvertreter
56
Titus Labienus (s. ), in jener „Zweifrontenschlacht“ sowohl die Ausbruchsversuche aus Alesia abzuschlagen als auch das äußere gallische Heer fernzuhalten.58 Vercingetorix zog sich, nachdem er Nachricht von der Niederlage erhielt,
nach Alesia zurück. Wenig später ergab er sich, in der Hoffnung, dass Caesar
ihn und sein Volk nicht in die Sklaverei verkaufen werde. Er hatte sich geirrt.
Nachdem Caesars germanische Reiter – auch hier war der Krieg nie gänzlich nach Ethnien
getrennt – das Entsatzheer zerstreut hatten (7,70,1 ff.), sammelte sich dieses wieder und griff
an einer Schwachstelle des äußeren Schanzwerkes an. Die gallischen Heerscharen durchbrachen die Befestigung und griffen die römischen Truppen von vorne und hinten an. Caesar
motivierte durch sein Auftreten auf dem Schlachtfeld die römischen Legionen. Auch der damalige Legat und spätere Triumvir Marc Anton verteidigte einen Abschnitt. Als die römischen Truppen den gallischen Heerscharen in den Rücken fielen, flohen diese, wurden aber noch eine
Weile von den Römern verfolgt. Le Gall 2008, 59.
58
51
Sechs Jahre später, als Caesar wieder nach Rom kam, um seine Siege in
Gallien, Ägypten, Kleinasien und Afrika in einem Triumphzug zu feiern, wurde
Vercingetorix, der bisher im Gefängnis saß, in Ketten durch Rom gezogen und
anschließend auf Befehl Caesars im Tullianum erdrosselt.
Wie weit lassen sich Caesars Berichte zu Alesia verifizieren? Beginnend mit
Napoleon III. wurde an seiner Schilderung der Schlacht gezweifelt. Terrain,
Aufstellung und Schlachtverlauf sprächen für gleich starke Armeen, keinesfalls für eine numerische Überlegenheit der Gallier. Insbesondere der Flankenmarsch mit Umgehung wäre gegen einen zahlenmäßig überlegenen
Gegner nicht möglich gewesen. Auch hätte die Schlachtordnung der Gallier
bei Cäsars Zahlen und dem Terrain über 100 Mann tief gewesen sein müssen, was eine militärische Absurdität darstellt. Es handelt sich dabei um
keinen Einzelfall. Cäsar hatte allgemein die Neigung, bei der Stärke gegnerischer Truppen zu übertreiben (man erinnere sich an die übertriebenen Zah15
len während der Perserkriege, s. ). Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass
diese letzte Schlacht bei Alesia zum Untergang des Keltentums beigetragen
hatte und die Geschicke Galliens bzw. Frankreichs bis auf den heutigen Tag
bestimmt. Diese Ideen finden sich immer wieder, etwa in den Personifikationen der Tugenden der Vaterlandsliebe wie Jeanne d´Arc, und eben
Vercingetorix, aus denen die III. Republik während der Krise 1870/71 (gegen
Bismarck, den man als neuen Caesar sah), Erlöser und unglückliche Helden
mit Symbolgehalt gemacht hatte (Abb. 4).
Abb. 4: Denkmal des Vercingetorix in Alise-Sainte-Reine
Da Bibracte und der Austragungsort der Schlacht um Alesia für die Geschichte
Frankreichs von zentraler Bedeutung waren, wurden sie zum Ort des Gedächtnisses und nationales Symbol des Widerstands gegen die Invasion.59 Als
59
Dass diese verlorene Schlacht gern heroisiert wird, konnte der Autor auch im Zuge der Grabungen in Bibracte, wo der große Aufstand mit der Bestätigung Vercingetorix´ als Stammesführer seinen Anfang nahm, erleben: Jeden Sommer veranstaltet das Départment auf dem heutigen Mont Beuvrai (Berg von Bibracte) ein Fest mit Open Air Kino, in dem der Kampf um die
52
erstes Kapitel der Geschichte Frankreichs, mit dem gewöhnlich die Schulbücher für den Unterricht beginnen, wurde gerade Alesia auch immer wieder zu
einem der Streitpunkte, die die Franzosen in ihren Bann ziehen, und die ihre
Nachbarn zugleich irritieren, weil hier Irrationales und kollektive Phantasie ins
Spiel gebracht werden. Doch gerade Alesia konnte man lange Zeit nicht wirklich orten, und hier offenbart sich der gefährliche Weg reiner Geisteswissenschaft: Seit dem II. WK diskutierte man über das Dossier von Napoléon III.,
anstatt Sondierungen und Grabungen durchzuführen. Erst im Jahre 1990 griff
das Kulturministerium selbst ein, um breit angelegte Geländeuntersuchungen
beginnen zu können.60 Während vor zweitausend Jahren Alesia von der Karte
verschwand, und den Boden für verschiedene Lokalisierungen ebnete, dämmerte Bibracte61, einst wirtschaftliche, politische und religiöse Hauptstadt der
Haeduer, in der Caesar auch seine Comentarii de Bello Gallici schrieb, nach
dem römischen Sieg über die Gallier dahin (Abb. 5).
Freiheit dargestellt wird (Film 1999: „Spartacus“) mit anschließenden Reden, wie viele Schlachten man der Freiheit willen schlagen musste, und insbesondere die Menschen für ihr geliebtes
Frankreich. Die Statue des Vercingetorix aus dem 19. Jhd. (Abb. 4) beinhaltete die Inschrift: „La
Gaule unie / Formant une seule nation / Animée d´un même esprit / Peut défier l´Univers“ (Das
vereinte Gallien / formt eine einheitliche Nation / von demselben Geist beseelt / kann der ganzen Welt trotzen). Es ist hier bis heute auch eine gewisse Subjektivität an wertender Literatur
wie „Il y a 2050 ans … L´Année terrible. 52 av.J.-C. César contre Vercingétorix” in frz. Zeitschrift
“l´Archéologue” zu diesen Vorfällen zu bemerken. Auch das alte Klischee des“ Kampfes der
Zivilisation“ gegen die Barbarei wurde immer wieder aufgenommen. Als etwa selbst Henri
Bergson 1914 betonte, der Kampf gegen Deutschland sei der Kampf gegen die Barbarei, löste
dies auf deutscher Seite, besonders in Gelehrten- und Intellektuellenkreisen eine heftige Abwehrreaktion aus. Nun wurde umgekehrt Material aus Gegenwart und Vergangenheit gesammelt, um die Gräueltaten der Feinde, namentlich der Franzosen und Engländer Umgang mit
Monumenten der Kultur aufzuzeigen – von den Erfahrungen aus dem 30jährigen Krieg über den
Vandalismus der Französischen Revolution bis hin zu Fotografien zerstörter Baudenkmäler
durch französische Artillerie. Savoy 2006, 213.
60 Reddé 2008, 48 ff.
61 An der Grenze des Départments Nièvre, ist heute ein „Site National“ und beherbergt im
Rahmen des „Parc Naturel régional du Morvan“ das „Centre archéologique européen du Mont
Beuvray“.
53
Abb. 5: Wald mit Bauresten und rekonstruierter Wall von Bibracte
Die Stadt gab langsam ihre Bedeutung an das alte Augustudunum (heutiges
Autun) ab, das näher an den Kreuzungspunkten der römischen Straßen lag,
und somit wirtschaftlich und in weiterer Folge politisch einflussreicher wurde
(Abb. 6).62
Abb. 6: Blick auf heutiges Autun
Während des Gallischen Krieges (58 bis 50 v. Chr.) bekamen die aufständischen Kelten immer wieder Hilfe aus Britannien. Dies war Grund genug für
Caesar, ein Exempel zu statuieren. Und so tauchte die Insel in Caesars
Comentarii erstmals aus dem Nebel der Vorgeschichte auf, die im Verlauf des
folgenden Jahrhunderts unterworfen und Teil des römischen Reiches wurde.63
62
Aber es muss betont werden, dass die gallischen Städte schon zuvor keineswegs isoliert
standen. Es fanden sich schon früher Einflüsse aus dem mediterranen Raum, Austausch von
Handelsbeziehungen und Entwicklungen jeglicher Art; man denke nur an den griechischen
Bronzekessel von Vix / Mont Lassois in Frankreich. Chaume et al. 2004, 30 ff.
63 So wie Judäa durch einen inneren Zwist die „Hilfe“ Roms beanspruchen musste, im Übrigen
seitens Pompeius, dem Triumvir und späteren Widersacher Caesars, und anschließend der
Status einer Provinz gegeben wurde, so führte ein solcher auch in Gallien und Britannien zur
54
Als Caesar seine zwei Expeditionen nach Britannien durchführte (55/54 v.
Chr.), stieß er auf die an der Themse beheimateten Catuvellauner, die einen
erbitterten Abwehrkrieg gegen die Römer führten. Caesar sicherte sich in der
zweiten Expedition die Freundschaft der Trinovanten, die in den Römern
willkommene Verbündete in ihrer Fehde mit den Catuvellaunern sahen. Dieses Bündnis war nicht zu ihrem Nachteil – ihre Könige wurden anschließend
reich vom Handel mit der römischen Welt.64 Doch Caesars militärische Aktionen gegen Germanien und Britannien wurden nicht zuletzt deswegen abgebrochen, da sein innenpolitischer Einfluss in Rom zu schwinden drohte, und
ihm die Entfernung während des aufkommenden Parteienstreits mit
Pompeius zu weit erschien, zumal er auch die militärischen Möglichkeiten der
jeweils von ihm angegriffenen Völker zu wenig kannte. So stellte er diese als
höchst gefährlich dar, um den Abbruch dieser Feldzüge zu rechtfertigen. Mit
seinen langen Exkursen trübte er auch allgemein die Sicht. Das vermittelte
Bild von der Wildheit, dem Freiheitsdrang und der Tapferkeit des am anderen
Ufer des großen Stromes drohenden Germanenstammes dürfte sich dem
Leser so eingeprägt haben, dass dieser sich über den Verzicht eines Waffengangs mit einem solchen Gegner nicht mehr wunderte.65 Auch ethnographische Exkurse erfüllten ihren Zweck: Germanen betrieben kaum Ackerbau,
deswegen wäre der Nachschub kaum zu bewerkstelligen. Oft sind innere
Widersprüche zu bemerken, die aber geschickt kaschiert waren.66 Bis heute
römischen Eroberung. Caesar konnte aber trotz eines gewonnenen Gefechts seinen Feldzug in
Britannien nicht zu Ende führen, da er in Gallien mit seinen Kräften gebunden war. Erst im
Jahre 43 n. Chr. ergab sich unter Kaiser Claudius die Gelegenheit: Die Söhne des Königs
Cinoboline/Cymbeline waren aufsässig, und schließlich war aufgrund von Auseinandersetzungen über Tributzahlungen ein Bürgerkrieg ausgebrochen, in dessen Verlauf ein rebellischer
Häuptling Rom um Hilfe bat. Nach der Eroberung Britanniens kam es im selben Jahrzehnt wie
in Judäa zu Aufständen seitens der keltischen Stämme unter ihrer Königin Boadicea. Doch in
beiden Fällen waren die Erhebungen aussichtslos. Der spätere Kaiser Vespasian (69 bis 79 n.
Chr.) unterwarf als Legionskommandeur ihren Stamm. Die keltische Kultur assimilierte sich
nach und nach in allen Lebensbereichen. Heute ist die keltische Sprache v. a. noch in Irland
und Wales vorhanden und eignet sich zum Studium der Sprache einer vormals typisch europäischen Ethnie.
64 Es zeigt sich wieder, dass die Römer sehr oft Hilfegesuche und Bürgerkriege zum Anlass
nahmen, in Länder einzumarschieren, diese anschließend zu okkupieren und deren Ressourcen auszubeuten. Immerhin stellte Caesar schon fest: „Krieg gibt dem Eroberer das Recht, dem
Besiegten jedes Los zu erteilen.“ Solche Aussagen erinnern an auch heutige Diktionen gegenüber „befreiten“ Ländern. Anm.
65 Holzberg 2004, 180 ff.
66 Die Einschaltung der ethnographischen Exkurse über Germanien und Britannien im Bellum
Gallicum benutzte er als Mittel seiner Erzählstrategie, um über die Tatsache hinwegzutäuschen,
dass seine Versuche, sie zu unterwerfen, ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen wären.
Deren Beschreibung war mit Hilfe der überwiegend von Wandermotiven geprägten traditionellen
Ethographien über die Nordvölker der Erde aufgebaut. Seine völkerkundlichen Darlegungen
waren Mittel einer narrativen Technik, um militärische Misserfolge zu vertuschen. Anm.
55
kann gelesen werden, dass Caesar in weiser Voraussicht den Rhein als
politisch-militärische Grenze akzeptierte. Man erweist sich also weiterhin als
Opfer von Caesars raffinierter Erzählstrategie, dessen Berichterstattung nach
über 2000 Jahren nichts von ihrer Suggestivkraft eingebüßt hat, und dessen
militärisches Genie man jedem Schüler im Lateinunterricht nahe bringt.
Als dritter abschließender Punkt soll der Blick noch einmal nach Osten gewandt werden, der auch zu einigen vorangegangenen Schilderungen führt
und den Kreis dieser Darstellungen schließen soll:
3. Römisch-Persische Kriege
Der Ausdruck Perserkriege bezeichnet auch den Jahrhunderte andauernden
Krieg des römischen und byzantinischen Reichs gegen die Parther und
Sasaniden – Mächte, die an den alten Ruhm des persischen Großreichs
ansetzten.67 Gerade der Sieg Caesars in Gallien war es, der Crassus zu
seinem Feldzug nach Osten veranlasste: Er versuchte sich nach dessen
Erfolgen in Gallien und jenen Pompeius´ gegen die Piraten des Mittelmeers,
ebenso im militärischen Erfolg, um sich in deren Triumvirat (Dreierbund) zu
behaupten.68 Crassus wählte das sagenhafte Partherreich. 69 Überflüssig zu
betonen, dass es auch hier um Ausbreitung von Macht und wirtschaftliche
Aspekte ging. Zu Beginn des römischen Feldzugs kapitulierten einige Städte
kampflos. Als parthische Gesandte anfragten, ob dies ein Raubzug auf persönliche Veranlassung des Crassus sei, oder ein vom römischen Volk erklärter Krieg, konnte Crassus als Proconsul erklären, dass es sich um einen
offiziellen Krieg handelte. Die Reaktion darauf führte zum infernalen Ende
der Legionen und zum Tod des Crassus. 70 So führte die Schlacht bei
67
Die parthische Dynastie der Arsakiden stammte aus dem Nordostiran und hatte bis 174
wieder größere Teile des alten Perserreichs, das von Alexander erobert worden war, eingenommen. Hier kann die Wissenschaft endlich aus Berichten beider Seiten schöpfen und sind
somit zum einen nicht mehr einseitig, zum anderen meist auch übereinstimmend, etwa
Theophanes (Chronographia I), Prokop (De bello Persico), Herodion, aber von der anderen
Seite des Kon
ţ-Ţabarī.
68 Im Übrigen war der noch junge Marcus Licinius Crassus auf der siegreichen Seite während
des Bürgerkriegs zwischen Marius und Sulla, und trug auch erheblich bei der zuvor in anderem
Zusammenhang (59) angesprochenen Niederschlagung des Sklavenaufstands unter Spartacus
(73-71 v. Chr.) bei.
69 Offenbar verfolgte auch Caesar Pläne, einen Feldzug gegen Parthien durchzuführen: J.
Malitz, Caesars Partherkrieg, Historia 33 (1984), 21 ff.
70 Ein Teil der Truppen wurde sogar in den fernen Osten des Partherreiches verschleppt, wo
200 von ihnen unter dem Kommando eines Nomadenfürsten namens Chi-Chi, der es geschafft
hatte, den Zorn der Chinesen zu erregen, eine Stadt in der Provinz Sogdiana zu bewachen
hatten. Einige wurden noch weiter nach Osten verschleppt, um die Stadt Li-chien in der Provinz
Kansu zu besetzen. Devries et al. 2007, 149.
56
Carrhae71 im Jahre 53 v. Chr. zu den schlimmsten militärischen Katastrophen des römischen Reiches. Rom war dennoch nicht bereit, Parthien als
gleichberechtigte Großmacht anzuerkennen. Immerhin war das Ziel römischer Außenpolitik schon in der ausgehenden Republik, Rom zum „Gebieter
über Könige, Sieger und Herrscher über alle Völker“ (dominus regnum, victor
atque imperator omnium gentium) zu machen.72 Dieser Anspruch auf Weltherrschaft verhinderte die Entstehung einer Völkerrechtsordnung, in der
neben Rom auch andere Staaten Platz hatten. Militärisch musste Rom jedoch immer wieder erkennen, dass die Grenze nicht weiter ostwärts verschoben werden konnte. Der gefährlichste Gegner der Römer erwuchs in
Shapur I.: Unter ihm fiel mit Kaiser Gordian III. erstmals ein römischer Kaiser
in der Schlacht, sein Nachfolger Philippus Arabs musste Shapur viele Zugeständnisse machen, und Kaiser Valerian geriet in Gefangenschaft (Abb. 7). 73
Abb. 7: Triumph Shapurs I. in Tang-e Chowgan mit den röm. Kaisern (aus: Fritz 2006, 22:
Abb.1)
Die Römer bzw. in späterer Zeit die Byzantiner kämpften noch bei verschiedenen Gelegenheiten gegen die Parther und Sasaniden. Immerhin beseitigten im Jahre 224 n. Chr. die Sasaniden die parthische Herrschaft im Vorderen
Orient und begründeten das neupersische Reich und wurden die neuen Gegenspieler Roms bzw. dessen Nachfolgers, Byzanz. Sie stellten eine noch
größere Bedrohung mit ihrem zentralistischen Staatsgefüge, der einheitlichen
71
Heutiges Harran, 50 km südl. von Edessa in Syrien. Anm.
Cicero, De Domo Sua 90. Dieser Umstand führte zur Schaffung eines „gerechten Krieges“
etwa unter Caracalla im 3. Jhd. (casus belli).
73 Entsprechend hatte Shapur die Möglichkeit, in alter persischer Tradition seinen Sieg in Stein
zu meißeln, mit Gordian am Boden liegend, Valerian an Händen geführt und Philippus Arabs
kniend.
72
57
Staatsreligion und der Rückbesinnung auf das persische Reich Kyros´ des
Großen dar als ihre Vorgänger. Außerdem konnten sie die desolate innenund außenpolitische Situation des Römischen Reiches für sich nutzen, dessen Truppen seitens rivalisierender Kaiser eingesetzt und somit gebunden
waren. Und obwohl sich Grenzen immer wieder verschoben, kam es fortwährend zu Annäherungen: Im Jahr 377 n. Chr. wurde Armenien, lange Zeit
Zankapfel zwischen den beiden Großmächten, geteilt: Persien erhielt den
östlich-zoroastrischen Teil, Rom den westlich-christlichen. In diesem Vertrag
erkannten sich seine jeweiligen Herrscher als gleichrangig an und rückten
erstmals von der Absolutheit ihres Weltherrschaftsanspruchs ab. Dieser bezog sich nicht nur auf weltliche, sondern auch auf göttliche Rechte. Beide
Seiten konnten als monotheistische Religionen die Existenz des jeweils anderen nicht akzeptieren. Doch gerade die Anerkennung des Christentums in
den persischen Grenzgebieten führte zu Christenverfolgungen seitens der
Sasaniden, die eine Parteinahme „ihrer“ Christen zugunsten Roms nicht
zulassen wollten.74 Als es Anfang des 7. Jhd.s in Byzanz zu Thronstreitigkeiten kam, standen die Perser einer Seite bei, nur um innerhalb weniger Jahre
den Ostteil des byzantinischen Reiches erobert zu haben, und auf diesem
Wege das alte Achämenidenreich wiederhergestellt hatten.75 Mit der Verschleppung des heiligen Kreuzes im Jahre 614 nach Ktesiphon brachten die
Perser die gesamte Christenheit gegen sich auf und riefen einen Glaubenskrieg hervor, der an die Kreuzzüge ein halbes Jahrtausend später gemahnt.76
Nach Feldzügen ins jeweils andere Land kam es mit der Rückführung des
Kreuzes nach Jerusalem (630) zum Frieden oder zumindest zum Status quo.
Die Wiederaufrichtung des Heiligen Kreuzes war für den byzantinischen
Herrscher Heraklios ein großer Prestigeerfolg und demonstrierte den Triumph
des christlichen Byzanz über das zoroastrische Sasanidenreich.
Doch schließlich stürmten die mit der neuen Kraft des islamischen Glaubens bekehrten arabischen Stämme nach Norden, und übernahmen die
persischen Gebiete, ihre Kultur und Technik. Dem byzantinischen Reich
wurden beinahe alle Besitzungen genommen 77, bis nur noch das Kernland
74
Armenien gilt im Übrigen als ältester christlicher Staat, nachdem die Arsakiden das Christentum zur Staatsreligion erhoben. Teile des Adels blieben jedoch heidnisch und sahen in der
neuen Religion eine Gefahr für ihre eigene Macht und ermöglichten es erst Shapur II., Armenien
zu erobern. Schippmann 1990, 32 ff. Gerade Minderheiten leiden, wenn sie (zumindest) formell
einer Seite angehören, wie die heutige Lage der Christen im Heiligen Land und im Irak beweist.
75 Neben der inneren Schwäche Byzanz´ war es vor allem die Unterstützung seitens der Bevölkerung in den eroberten Gebieten, die wegen der hohen Abgaben und der Verfolgung christlicher Splittergruppen neue Herrscher willkommen hießen. Anm.
76 Heraklios stieß ins persische Kernland vor und zerstörte seinerseits das zoroastrische Hauptheiligtum in Gandzak. Zu den Gemeinsamkeiten dieser Religionen: Winter – Dignas 2001, 229 ff.
77 Wobei die arabischen Eroberer oft als Befreier gefeiert wurden (etwa in Ägypten), da die
58
blieb. Diese konnten ihren Siegeszug nicht zuletzt durch den fortwährenden
gegenseitigen Konflikt der beiden alten Großreiche antreten, die dadurch
ausgeblutet waren und nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Im Jahre
1453 schaffte es dann das osmanische Reich, auch Byzanz/Konstantinopel,
den letzten Sitz römischer Macht, zu erobern.
Conclusio
Dieser Artikel sollte zum einen den alten Konflikt durch Ideologien aufgezeigt
haben, sowie die Gefahr der Instrumentalisierung bis in die heutige Zeit. Des
Weiteren wurden drei Kulturkreise bzw. „Zusammenstöße von Kulturen“ in
Betracht gezogen, die doch alle in gewisser Weise miteinander in Verbindung standen oder sich beeinflussten, unabhängig von Zeit und Raum, und
so den Kreis von Untergang und erneutem Aufstieg von Reichen schlossen,
etwa im Fall des alten und neuen Persien, aber auch jener in der römischen
bzw. byzantinischen Welt, wo der Niedergang Roms das Mittelalter bzw. der
Fall Konstantinopels die Neuzeit einläutete. Oft handelt es sich aber nicht
um den Kampf gegen eine völlig fremde Kultur.
Denn es zeigte sich in Griechenland, dass sich die Stadtstaaten ohne äußeren Feind einander wieder bekriegten wie vor der großen persischen Krise.
In bedingtem Maße hatten sie ihre Konflikte vorerst überwunden, doch nach
den Perserkriegen hatte sich ein machtpolitischer Dualismus herausgebildet,
der zur Folge hatte, dass die beiden führenden Poleis aus ihrer jeweiligen
Perspektive in der Existenz der anderen Hegemonialmacht eine Bedrohung
ihres Führungsanspruchs in ihrem eigenen Bündnissystem sahen. Besonnene Kräfte beider Poleis versuchten einen Konflikt zu vermeiden und konnten ihn doch nicht verhindern, und die griechische Welt wurde durch den
Peloponnesischen Krieg auseinander gerissen. Diesen Kampf konnten die
Spartaner letztendlich nur mit Hilfe der Perser zu ihren Gunsten entscheiden, aber gerieten vom Machtkampf mit Athen in eine Konfrontation mit den
Persern. Die Perser versuchten sich nun in einer Art "Kalten Krieges" auf diplomatischem oder ökonomischem Weg griechische Städte einzuverleiben,
bis Alexander dem Perserreich ein Ende setzte. Nachdem unter Dareios und
Xerxes „der große Krieg vom Boden Asiens nach Europa gekommen war“,
wie es in einem Gedicht des Choirilos von Samos hieß, geschah dasselbe
nun anderthalb Jahrhunderte später in umgekehrter Richtung. Alexander,
der ja nach griechischer Definition auch nichts anderes war als ein Barbar,
erkannte sehr schnell, dass er das Großreich Persiens nach seinem Sieg
koptischen Christen unter muslimischer Herrschaft zu Beginn mehr Rechte innehatten als unter
Byzanz. Anm.
59
über Dareios nicht ohne Beteiligung der Perser und anderer Einheimischer
des Reichs beherrschen konnte.78 Griechische Lebensart und Sprache,
sowie deren Philosophie verbreiteten sich nun in der alten Welt. Die hellenische Kultur wurde zur beherrschenden, die Scheidung zwischen den beiden
Erdteilen fiel, für kurze Zeit kam es wieder zu einer Fülle von Beziehungen,
wie sie früher schon vorherrschten79, bevor die Nachfolger Alexanders, die
Diadochen, das Reich wieder zerrissen. Hier lassen sich Muster erkennen,
die bis heute ihre Parallelen finden: Wo aus Feindschaft Grenzen gezogen
werden, drängt man dicht nebeneinander Liegendes oft auseinander, und
kleine Unterschiede werden zu großen. An die Stelle von Übergang und von
Vielfalt tritt Scheidung und Alternative. Differenzierungen weichen der Verallgemeinerung.
Die Unterscheidung Ost-West war für die Römer in ihrem weltumspannenden Reich – natürlich bezogen auf die Alte Welt – von noch geringerer Bedeutung. Eine solche Unterscheidung ergab sich erst aus der Spaltung und
der vollständigen Auflösung des römischen Imperiums, bzw. auch aus dem
Konflikt mit den neuen Herrschern im Osten (Parther und Sasaniden). Hier
handelte es sich aber vor allem um den Absolutheitsanspruch des Herrschers bzw. des jeweiligen monotheistischen Glaubens. Auf der politischen
Ebene akzeptierten die Herrscher der Byzantiner und Sasaniden sich gegenseitig als gleichrangig.80 Es sei auch betont, dass trotz des stärkeren
Augenmerks auf Kriege seitens der Historiker die Kontakte zwischen den
Gegnern auch wirtschaftlich-kultureller Natur waren, nicht zuletzt jedoch wiederum durch Deportationen und Umsiedlungen Kriegsgefangener, die zum
Transfer von Wissen, Kunst und Technologie führten. 81 Fest steht, dass
78
Außer Acht darf man auch nicht lassen, dass umgekehrt unter Dareios´ Elitetruppen bei der
Schlacht von Gaugamela auch eine beträchtliche Anzahl griechischer Hoplitensöldner stand –
Griechen aus Gebieten, die von Makedonien unterjocht wurden, und nun auf Seiten der Perser
gegen diese kämpften. Devries et al. 2007, 83.
79 Der orientalisierende Einfluss war schon in den Jahrhunderten zuvor stark. Als um 750 v. Chr.
die Kolonisation begann, streckten die Griechen auch zu den orientalischen Regionen ihre Fühler
aus. Sie reagierten dabei auf die Handelsfahrten der Phönizier, und steuerten nun selbst die
Levante über Rhodos und Zypern an. Sie gründeten eigene Handelsstationen (etwa Al Mina am
Orontes), und neben Handel sogen sie viele Ideen von dort auf. Zu betonen ist auch die Übernahme der Schrift, die über Umwege aus dem Phönizischen übernommen worden war. Mythen,
Formen der Musik, literarische Motive und Figuren, all das wurde angeeignet. Der im Orient verbreitete Mythos von der Abfolge der Götterdynastien hat nicht nur Hesiod geholfen, die Götterwelt
zu ordnen, sondern später auch Aischylos, die Tage nach dem Umsturz zur Demokratie zu deuten.
Mit dem Ausbrechen der Rebellion in Ionien und der Unterstützung seitens der Griechen teils aus
wirtschaftlichen, teils aus ideologischen Gründen kam es zum Bruch mit dem Osten.
80 Der sasanidische König wurde von Byzanz als Basileus (König) anerkannt, während der Titel
Qaisar (Caesar) dem römischen Herrscher zuerkannt wurde.
81 Zu Vergleichen in der Motivik zwischen römischer und persischer Kunst: Abka´i-Khavari 2006,
8 ff.
60
Geschichte und Kultur der Griechen weiterhin die römische – aber durch die
Hellenisierung auch östliche – und in weiterer Folge die europäische stark
beeinflusst hat, heute Griechenland wiederum aus ökonomischen Gründen
im Brennpunkt europäischer Politik steht. Doch die griechische Kultur brachte die ersten Ansätze freien Denkens - des Rationalen Denkens - und beeinflusste die römische und byzantinische Welt, und letztendlich die gesamte
heutige westliche Welt.
Ausgewählte Literatur:
Perserkriege:
Bichler, R. – Rollinger, R., Herodot. Hildesheim 2000.
Briant, P., From Cyrus to Alexander: A History of the Persian Empire. Winona Lake
2002.
Devries, K. – Dougherty, M., et al., Die Grossen Schlachten der Antike. Stuttgart
2007.
Herodot, Historien. Hrsg. u. übers. von J. Feix (Zweisprachig Griechisch – Deutsch).
Düsseldorf 2006.
Hose, M., Am Anfang war die Lüge? Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung“,
in: M. Hose (Hg.), Große Texte alter Kulturen. Literarische Reise von Gizeh nach
Rom. Darmstadt 2004, 153-174.
Hall, S., Old and New Identities, Old and New Ethnicities, in: A. King (Hg.), Culture,
Globalisation and the World-System: Contemporary Representation of Identity. Minneapolis 1997, 31-68.
Krech, V., Opfer und Heiliger Krieg: Gewalt aus religionswissenschaftlicher Sicht, in:
Handbuch der Gewaltforschung, Wiesbaden 2002.
Lendle, O., Kommentar zu Xenophons Anabasis. Darmstadt 1995.
Maier, F. G., Nordost-Tor und persische Belagerungsrampe in Alt-Paphos (Ausgrabungen in Alt-Paphos auf Cypern 6). Mainz 2008.
Meier, C., Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas?
München 2009.
Moles, J., Herodotus warns the Athenians, in: F. Cairns – M. Heath (Hg.), Roman
Poetry and Prose, Greek Poetry, Etymology, Historiography (Papers of the Leeds
International Latin Seminar 9), Leeds 1996, 259-284.
Savoy, Bénédicte, Krieg, Wissenschaft und Recht. Napoleons Kunstraub in der
deutschen Erinnerung um 1915. In: Kunst im Konflikt. Kriegsfolgen und Kooperationsfelder in Europa (Osteuropa – Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens
2006/01), 205-221.
Schollmeyer, Patrick, Das antike Zypern. Aphrodites Insel zwischen Orient und Okzident. Mainz am Rhein 2009.
Welwei, K.-W., Sparta. Aufstieg und Niedergang einer antiken Großmacht. Stuttgart
2004.
61
Gallischer Krieg:
Berres, T., Die geographischen Interpolationen in Caesars Bellum Gallicum, Hermes
98, 154-177, 1970.
Chaume, B. – Grübel, T. – et al., Vix/Le mont Lassois. Recherches récentes sur le
complete aristocratique, in: Bourgogne, du Paléolithique au Moyen Âge, Dossiers
o
d´Archéolgie N Hors Série 11. Dijon 2004, 30-37.
Christ, K., Caesar. Annäherungen an einen Diktator. München 1994.
Dahlheim, W., Julius Caesar. Die Ehre des Kriegers und die Not des Staates. Paderborn 2005.
Gelzer, M., Caesar. Der Politiker und Staatsmann. Stuttgart 2008.
Goudineau, C. – Guichard, V. – et.al., Caesar und Vercingetorix. (Übersetzung aus:
„Il y a 2050 ans … L´Année terrible. 52 av.J.-C. César contre Vercingétorix”
[“l´Archéologue”]. Mainz am Rhein 2000.
Holzberg, N., Der Feldherr als Erzählstratege. Caesar über Caesar und die Germanen, in: M. Hose (Hg.), Große Texte alter Kulturen. Literarische Reise von Gizeh
nach Rom. Darmstadt 2004, 175-193.
Le Gall, I., Die Schlacht von Alesia. In: Goudineau, C. – Guichard, V. – et.al., Caesar
und Vercingetorix. (Übersetzung aus: „Il y a 2050 ans … L´Année terrible. 52 av.J.-C.
César contre Vercingétorix” [“l´Archéologue”]. Mainz am Rhein 2000, 57-62.
Reddé, M., Alesia. In: Goudineau, C. – Guichard, V. – et.al., Caesar und Vercingetorix. (Übersetzung aus: „Il y a 2050 ans … L´Année terrible. 52 av.J.-C. César contre
Vercingétorix” [“l´Archéologue”]. Mainz am Rhein 2000, 47-56.
Schönberger, C., Iulius Caesar. Der Gallische Krieg. De Bello Gallico. Lateinisch5
deutsch. Studienausgabe. Düsseldorf/Zürich 2004 .
Will, W., Veni, vidi, vici. Caesar und die Kunst der Selbstdarstellung. Darmstadt 2008.
Neupersien:
Abka´i-Khavari, M., Voneinander lernen (Antike Welt 1/2006). Mainz am Rhein 2006,
8-16.
Fritz, P., Zwei Supermächte der Antike (Antike Welt 1/2006). Mainz am Rhein 2006,
22-32.
Goldman, B., The Imperial Jewel at Taq-i Bistan, in: Archaeologia iranica et orientalis. Miscellania in Honorem L. Van den Berghe (1989), 831-846.
Luschey, H., Iran und der Westen von Kyros bis Khosrow, in: Archäologische Mitteilungen Iran NF 1 (1968), 15-37.
Schippmann, K., Grundzüge der Geschichte des sasanidischen Reiches. Darmstadt
1990.
Schottky, M., Zwischen den Riesen (Antike Welt 1/2006). Mainz am Rhein 2006, 17-21.
Shahbazy, A.S., Byzantine-Iranian Relations, in: Encyclopedia Iranica IV, 5-6
(1989/90), 588-599.
Wagner, J., Die Römer am Euphrat und Tigris. Berlin 1985.
Whitby, M. – Whitby, M., Chronica Paschale 284-628 A.D. Translated with Notes and
Introduction. Liverpool 1989.
62
Wiesehöfer, J., Geteilte Minderheiten des 3. und 4. Jhd. n. Chr. im Spannungsfeld
zwischen Rom und dem sāsanidischen Iran (Klio 75), 1993, 362-382.
Wiesehöfer, J., Das antike Persien. Von 550 v. Chr. bis 650 n. Chr. Düsseldorf 2005.
Winter, E., Legitimität als Herrschaftsprinzip: Kaiser und „König der Könige“ im wechselseitigen Verkehr, in: H.J. Drexhage / J. Sünskes (Hg.), Migratio et Commutatio:
Festschrift Th. Pekary, St. Katharinen 1989, 72-92.
Winter, E. – Dignas, B., Rom und das Perserreich – Zwei Weltmächte zwischen
Konfrontation und Koexistenz. Berlin 2001.
63