Perikles – Der Staatsmann als Bürger
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Perikles – Der Staatsmann als Bürger
Institut für Klassische Archäologie Perikles – Der Staatsmann als Bürger Römische Kopie nach einem Original von ca. 425 v. Chr. Berlin, Antikensammlung, Inv. Sk 1530 Einsatzkopf (für Statue); modern in Büste eingesetzt. Perikles polarisiert, in der Antike wie in der modernen Sicht auf diese Persönlichkeit. Eine Epoche wurde nach ihm benannt, doch ob das "Perikleische Zeitalter“ eine Glanzzeit in der Geschichte Athens war oder ob ihr Namensgeber auch viel Unheit gestiftet hat, dazu gab es schon zu seiner Lebenszeit entschieden kritische Stimmen. Mit dem Namen Perikles wird die ‚Vollendung’ der athenischen Demokratie verbunden, doch hat bereits der Zeitgenosse Thukydides als hellsichtiger Historiker angemerkt, in Wirklichkeit war dieser Staat unter der "Herrschaft des ersten Mannes.“ Perikles, gegen 490 als Sohne eines politisch sehr aktiven Vaters geboren, erlebte als Knabe noch die zweite Perserinvasion und wurde ab etwa 460 selbst auf der politischen Bühne aktiv. Die sogenannte radikale Demokratie, die er mitgestaltete, erlaubte nicht, hohe politische Ämter über längere Zeit zu bekleiden. Stattdessen übte Perikles seinen bedeutenden Einfluss auf informellem Wege aus, vor allem durch seine Auftritte in der gesetzgebenden Volksversammlung, sowie durch die langjährige Übernahme des Amtes einer der 10 Strategen, der militärischen Befehlshaber. Darauf nimmt auch der Helm Bezug, den er auf seinem Porträt trägt. Zur militärischen und außenpolitischen Seite seines Wirkens gehörte ganz wesentlich, Athens Expansionspläne zu fördern, die schließlich zum Krieg mit Sparta und seinen Verbündeten führte. Kurz nach Kriegsbeginn starb Perikles im Jahr 429, inzwischen um die 70 Jahre alt, an der Pest. Die Quellen berichten auch einiges über den Menschen Perikles. Genannt wird seine Beherrschtheit im Auftreten, die strenge Orientierung des gewandten Redners an der Sache und seine Überzeugung, dass es seine höchste Pflicht sei, dem Wohl des Staates der Athener zu dienen. Manche Äußerung aus der Antike erweckt den Anschein, als sei er modern nicht nur durch seine politischen Ideen gewesen, sondern auch indem er sich ein bestimmtes „Image“ gab und seine öffentliche Erscheinung bewusst gestaltete. Berichtet wird auch über die Aufstellung einer Porträtstatue für ihn auf der Porträt des Perikles, römische Kopie. London Akropolis von Athen. Dies ist so gut wie sicher direkt nach seinem Tod erfolgt, als eine von den Hinterbliebenen initiierte Ehrung und Sicherung seines Nachruhms. Von der verlorenen Bronzestatue haben sich vier römische Marmorkopien erhalten, sämtlich reduziert auf den Kopf oder eine Büste. Zwei Namensbeischriften sichern die Identifizierung. Über die Gestalt der Statue sind kaum Aussagen möglich; denkbar wäre ein einfacher, zur angedeuteten militärischen Rüstung passender Mantel. Perikles erscheint in seinem Porträt als Mann von vielleicht vierzig Jahren, deutlich jünger also, als die Zeitgenossen ihn in Erinnerung hatten. Das Gesicht hat einen regelmäßig ovalen Umriss und zeichnet sich durch klare Konturierung von Mund, Nase und Augenpartie aus. Auffällige physiognomische Eigenheiten fehlen. Die Lippen des vollen Mundes sind leicht geöffnet, Brauen und Lider in feinen Schwüngen von geradezu graphischer Qualität ausgeführt. Der Vollbart mit seinen kleinen Locken ist knapp geschnitten. Unter dem Helm kommt etwas fülligeres Haar hervor. Eine der Büsten lässt eine leichte Wendung des Kopfes erkennen, ein Zug, der auch der Statue zueigen gewesen sein kann. Man hat die Porträtschöpfung aufgrund der Regelmäßigkeit und 'Glätte’ des Gesichts immer als nicht-individuell empfunden. Diese Einschätzung ist, auch wenn wir das tatsächliche Aussehen des Perikles nicht kennen, im Kern wohl zutreffend. Dass die Auftraggeber nicht die Absicht hatten, den Politiker mit einer ‚authentischen’ Porträtstatue zu ehren, ergibt sich schon aus der nicht der allgemeinen Bildnispraxis entsprechenden Entscheidung, eine altersmäßige ein persönliches Gepräge zu geben? Die Porträtkunst hatte sich längst dahin entwickelt, über alle nötigen bildhauerischen Gestaltungs-mittel zu verfügen. Die Antwort ist nur aus den Zeitverhältnissen heraus zu geben. In der eingangs Attisches Grabrelief aus Karystos (Euböa). Um 430 v. Chr. Porträt des Perikles, römische Kopie. Berlin Rückprojektion um etwa dreißig Jahre vorzunehmen und also nicht den hochverdient verstorbenen Mann in den Vordergrund zu rücken. Die entscheidenden Hinweise auf die Intentionen der Auftraggeber gewinnt man jedoch aus der Art der Darstellung. Nicht nur der Stil von Haar und Bart, sondern auch die Formung des Gesichts findet sich in eng verwandter Art auf vielen Monumenten der Zeit. Besonders verblüffend ist die Ähnlichkeit mit einem Kopf auf einem Grabrelief aus den Jahren um 430, der Zug für Zug mit dem Bildnis des Perikles übereinstimmt. Man hat für die Porträtstatue auf der Akropolis offenbar also eine Art Zeitgesicht gewählt, das universell für die Wiedergabe von Männern mittleren Alters eingesetzt wurde. Warum aber haben die Stifter des Porträts davon abgesehen, dem Geehrten in seiner Statue gegebenen Charakterisierung des politischen Wirkens deutet sich eine Diskrepanz an: Die herrschende politische Ideologie, die gerade auch Perikles nachdrücklich vertrat, lautete, dass alle freien athenischen Bürger mit gleichem Status nebeneinander stehen und im Interesse des Staates zu agieren haben. Für einen offiziell oder inoffiziell herausragenden "Staatsmann“ war in diesem politischen Milieu kein Platz mehr. Das Porträt akzeptiert diese Forderung und verzichtet auf eine porträthafte Gestaltung, die den Perikles in seinem tatsächlichen Aussehen und damit seiner einmaligen Erscheinung wiedergegeben hätte. Ob sich darin Bescheidenheit ausspricht, darf man bezweifeln. Eher geht es, im Leben wie im posthumen Bildnis, um die raffinierte Trennung von Image und verborgenen wahrem Ich. LITERATUR: T. Hölscher, Die Aufstellung des Perikles-Bildnisses und ihre Bedeutung, in: K. Fittschen (Hrsg.), Griechische Porträts (1988) 377-391 [zuerst publ. 1975]; R. Krumeich, Bildnisse griech. Herrscher und Staatsmänner im 5. Jh. v. Chr. (1997) 114-125. KLAUS JUNKER