Mit Karl May um die Welt - The Spirit Fanzine Berlin
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Mit Karl May um die Welt - The Spirit Fanzine Berlin
Die Bildlandschaften des selbsternannten Edelmenschen Zwischen Pathos und Fotorealismus: "Mit Karl May um die Welt" - Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover vom 11. August - 13. Oktober 2013 Von Marc Hairapetian Karl May (1842 - 1912) war Edelmensch und Chauvinist zugleich. Der gebürtige Sachse, der mit einer weltweiten Gesamtauflage von 200 Millionen Exemplaren zu den meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache gehört, dachte und schrieb in Vorurteilen. Der vom religiösen Übereifer getriebene Schreibtischtäter und notorische Besserwisser besuchte die meisten der Länder, über die er in seinen spannungsgeladenen "Lebens-Reiserzählungen" geschrieben hatte nie oder erst nach Veröffentlichung seiner Romane und kam zu merkwürdigen Vergleichen: "Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein." (Einleitung zu "Winnetou I", 1893) Obwohl May bewusst gegen die öffentliche Meinung anschrieb, traten in seinen Werken immer wieder rassistische Entgleisungen auf, die den Paradigmen seiner Zeit unterlagen: "Ein Jude überlistet zehn Christen; ein Yankee betrügt fünfzig Juden, ein Armenier aber ist hundert Yankees gewachsen: (...) Wo irgendeine Heimtücke, eine Verräterei geplant wird, da ist sicher die Habichtsnase eines Armeniers im Spiel. (...) Das Betrübendste dabei ist, dass die Armenier Christen sind." (Erzählung "Der Händler von Serdescht" aus dem Band "Auf fremden Pfaden, 1895) Andererseits schloss sein Humanismus auch die Fauna mit ein: "Wer Tiere quält, taugt nichts, wer aber Menschen unnütz wehe tut, der ist noch viel weniger wert." ("Der schwarze Mustang", 1899) Und Pazifismus war ihm oberstes Gebot: "Die Klugheit ist stärker als die Gewalt. Und die milde mächtiger als der Mord." ("Satan und Ischariot III, 1897). Wie Karl May die ihm gewidmete Ausstellung in Hannover gefunden hätte, ist rein hypothetischer Natur. Vermutlich wäre sie auf sein Wohlwollen gestoßen. Winnetous Urteil hingegen ist uns seit dem 18. September 2013 bekannt! Die lebende Leinwandlegende Pierre Brice besuchte nämlich mit seiner Frau Hella das Wilhelm Busch-Museum und war von "Mit Karl May um die Welt" ganz begeistert. Anlass für den Kurzbesuch in der niedersächsischen Landeshauptstadt war eigentlich seine Audienz beim Dalai Lama, der ebenfalls die Leinemetropole mit seiner Anwesenheit beehrte. Als man bei "Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst" (wie es offiziell heisst) davon erfuhr, wurde derPublikumsliebling natürlich eingeladen. Brice kam, sah und... scherzte. Bei der rund 45 Minuten andauernden Wiederbegegnung mit seinem eigenen Filmmythos klopfte er nicht auf Holz, sondern an die Vitrine, in der sich sein einstiges Apachen-Kostüm befand. Gut gelaunt erzählte der französische Akteur und Hundefreund, der wie der Verfasser dieser Zeilen am 6. Februar, Geburtstag feiert, allerdings mit dem Abstand von 39 Jahren, und schon dessen Husky-Labrador Hokis im berühmten Berliner Hotel Adlon mit Hähnchenbrustfilet vom Tisch fütterte, Anekdoten vom Dreh mit seinem "Blutsbruder" Old Shatterhand alias Lex Barker. Pierre Louis Baron de Bris - wie er eigentlich heisst - entdeckte auch sein Gespür für Ironie neu. Während er Michael "Bully" Herbigs Karl-May-Parodie "Der Schuh des Manitu" (2001)verabscheut ("Ein schwuler Winnetou? Merde!"), gefielen ihm die vermeintlich naiven Deckelbild-Motive des satirischen Künstlers Michael Sowa ausgesprochen gut. Karl Mays letzte, überlieferte Worte am 30. März 1912 lauteten als wären sie einem Roman entlehnt: "Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot." Rosenrot waren die Titelbilder der berühmten "Grünen Bänden" zwar nicht, dafür konnte sie in allen anderen Farben und Schattierungen aufwarten. Einige von ihnen werteten den von der zeitgenössischen Kritik als "Trivialautoren" bezeichneten Vielschreiber künstlerisch gewaltig auf. Von 1892 bis 1907 setzte Mays Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld nur auf Titelbilder. Innenillustrationen kamen danach bis 1912 in einer anspruchsvollen Sonderedition dazu. Sie stammten von Ewald Thiel, Willy Moralt und dem jungen Claus Bergen, der später zu den Lieblingsmalern Adolf Hitlers zählen sollte. Seine Bebilderung einer alptraumhaften Szene aus "Im Reich des Silbernen Löwen IV", indem Skelette aus einer Wasserhöhle auftauchen, nahm die SA-Totenkopf-Kragenspiegel vorweg und könnte auch dem Cover eines "John Sinclair"-Horror-Romans entlehnt sein. May selber schätzte die symbolistischen Deckel-Motive des Jugendstilkünstlers Sascha Schneider viel höher ein. Dessen verrätselte, pathetische und latent homoerotische Arbeiten aus den Jahren 1904 bis 1907 inspirierten gar den ehemaligen Zuchthäusler, der wegen Betrugs, Hochstaplerei und Landstreicherei dreieinhalb Jahre Haft verbüßen musste, zu seinem mehr literarischen Alterswerk, indem er in allegorischer Manier ("Ardistan und Dschinnistan", 1908-09) die "Menschheitsfragen" zu lösen gedachte. Seit 1913 setzt bis heute der Karl-May-Verlag die Sammelband-Edition fort. Die mehrfach ausgetauschten Titelbilder wurden von verschiedenen Künstlern entworfen. Der ikonenhafte und romantische Stil des Schweden Carl Lindenberg ist Generationen übergreifend prägend für die bildliche Vorstellung von Mays Werk geworden. Die Entdeckung der Ausstellung waren allerdings die - bis auf das vom Karl-May-Verlag übernommene, 1939 entstandene Indianer-Farb-Cover zu "Winnetous Erben" -hierzulande lange unbekannten Illustrationen von Zdenek Burian (1905 - 1981) für die die tschechoslowakischen May-Ausgaben. Der Meister, der für seine "Porträts" von prähistorischen Tieren und Menschen Weltruf erlangte und auch Werke von Robert Louis Stevenson und Jack London bebilderte, demonstriert vor allem in seinen ungeheuer dynamischen und fast fotorealistisch anmutenden Schwarzweiß-Gemälden mittels Trockenpinseltechnik (Dry Brush Technik) wie die späteren Winnetou-Filme tatsächlich hätten aussehen können. Ob Büffeljagd, "Aussichtlose Situation" (1940) oder der tragische Tod des edlen Häuptlings in den Armen Old Shatterhands - von Burians Arbeiten vermag sich das Auge des Betrachters kaum zu lösen. Dagegen verblassen - Pierre Brice Sympathien für sie einmal ausgeklammert -spätere Illustrationen wie die recht harmlos anmutenden Malereien von Michael Sowa für die historisch-kritischen Taschenbuch-Ausgabe der 1990er Jahre. Die exklusiv zusammengetragene Karl-May-Schau beliess es aber nicht bei den 120 Original-Illustrationen und Titelbildern von 25 internationalen Künstlern aus knapp 130 Jahren. Auch die sich ungebrochener Beliebtheit erfreuenden Filmadaptionen wurden beleuchtet: Während mittels Beamer "Der Schatz im Silbersee" (1962) in einer Dauerschleife lief, waren die eleganten WildwestKostümentwurfszeichnungen von Irms Paul zu sehen, zwei lebensgroße "Bravo"-Starschnitte von Pierre Brice als Winnetou und Marie Versini als Nscho-tschi aus den Jahren 1963 und 1964 und seltene Aushangfotos bzw. Kinoplakate: Das laszive italienische Motiv von "Il giuistieziere del Kurdstain" (1965), wo "Durch das wilde Kurdistan" brutaler mit "Der Henker von Kurdistan" übersetzt wurde, hätte auch für einen Sexstreifen werben können. Aufreizend windet sich hier eine nicht wiederzuerkennende Versini/Ingscha an einem Pfahl, an dem sie festgekettet ist. Außerdem durften natürlich Devotionalien, Spiele und Spielzeuge ebenso wenig fehlen wie die teilweise ungewöhnlichen Plakatmotive der Karl-May-Freilichtbühnen im sächsischen Rathen, sauerländischen Elspe und holsteinischen Bad Segeberg. Standfotos aus letzterem Open-Air-Theater zierten auch die legendären "Europa"-Hörspiele (1968-1969) von dem im letzten Jahr verstorbenen Konrad Halver, der Winnetou sprach, während Bad Segebergs Heinz-Ingo Hilgers auf dem Frontcover zu sehen war. Wer bisher - trotz mancher Beschreibung in den Originaltexten noch kein "Bild" von Karl Mays Alter-ego-Protagonisten Old-Shatterhand, Kara Ben Nemsi oder Carlos Hammer, seinen Verbündeten Winnetou, Hadschi Halef Omar oder Sam Hawkens, den weiblichen Protagonisten Nscho-tschi und Marah Durimeh sowie den "Todfeinden" Santer oder dem roten Cornel Brinkley hatte, konnte es sich nun beim Besuch im Wilhelm-Busch-Museum machen! Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de www.karikatur-museum.de/karl-may.html www.karikatur-museum.de/Pierre-Brice-zu-Besuch.html