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Janne Amedi Heinz Nagler Christoph Wessling Essay Die Bedeutung der Erneuerung der Altstadt für die Entwicklung von Großkairo Impressum Essay Die Bedeutung der Erneuerung der Altstadt für die Entwicklung von Großkairo von Janne Amedi, Heinz Nagler, Christoph Wessling Herausgeber: Prof. Dipl.-Ing. Heinz Nagler Lehrstuhl Städtebau und Entwerfen Brandenburgische Technische Universität Cottbus Konrad-Wachsmann-Allee 4 03046 Cottbus Layout: Christoph Wessling Stefanie Wladika Erstveröffentlichung in: Altrock, Uwe et.al., Jahrbuch Stadterneuerung 2009, Schwerpunkt „Megacities und Stadterneuerung“, Berlin 2009 Cottbus, 2010 2 Inhaltsangabe Einleitung 5 Kristallisationspunkt Altstadt 6 Altstadt Kairo - Vergessen auf dem Weg zur Megacity 9 Die Altstadt heute 13 Der Al-Azhar-Park und die Sanierung in Darb Al-Ahmar 15 Gemeinschaftsaufgabe Stadterneuerung 19 Literatur 21 3 4 ”We are losing our identity and history. Leaving Cairo in this current situation is no less tragic than the theft of lraqi heritage during the American attack in 2003” (Serageldin, 2007). Dieser dramatische Vergleich untermauert die Grundthese, dass die Altstadt ihre wichtige Rolle für Großkairo verliert. Die islamische Altstadt von Kairo, deren Ursprung auf die Dynastie der Umayyaden im 7. Jahrhundert und die Dynastie der Abbasiden im 8. Jahrhundert nach Christi zurückgeht und die im 10. Jahrhundert (969-1171) mit der Eroberung durch die Fatimiden zu Al-Qahira zusammengefasst wurden, ist heute in einem dramatisch schlechtem Zustand. Außer der Sanierung der bedeutenden Monumente wie der Al-Azhar Moschee oder der Hussein-Moschee sowie erfolgreicher Sanierungs- und Erneuerungsmaßnahmen im Quartier Darb Al-Ahmar durch den Aga Khan Trust for Culture sind weitgehende Bereiche der islamischen Altstadt durch Verfall der Bausubstanz, teilweise unbefestigte öffentliche Räume, eine sehr hohe Bevölkerungs- und Belegungsdichte vorwiegend sozial schwacher Schichten und informeller gewerblicher Strukturen gekennzeichnet. Auch die Altstadt des 19. Jahrhunderts, das so genannte Khedivien-Kairo, weist heute in Folge sozialer Segregation, extremer verkehrlicher Belastungen und einer fehlgeleiteten lmmobilienpolitik einen teilweise desolaten und stark vernachlässigten Zustand auf. Die gesamte Altstadt von Kairo, hier definiert als die islamische Altstadt innerhalb der fatimidischen und ayyubidischen Stadtmauern, sowie das moderne Kairo des 19. Jahrhunderts sind kein homogenes Gefüge. Die Stadtentwicklung während der verschiedenen Epochen hat zu Überlagerungen, Transformationen, Brüchen und Verwebungen in der Stadtstruktur geführt. ln Kairo ist die Stadtentwicklung des 19. Jahrhunderts unmittelbar angrenzend und verwoben mit der islamischen Altstadt angelegt worden. Zahlreiche Straßendurchbrüche mit neuer begleitender Bebauung wurden durch die Altstadt gelegt (Scharabi, 1989:54ff.). Trotz der Verwebungen und Transformationen der unterschiedlichen archi- tektonischen und städtebaulichen Entwicklungsstrukturen der Altstadt ist diese ein einmaliges und kulturell unglaublich wertvolles Stadtensemble, welches, je tiefer man eindringt, umso mehr fasziniert. Mohamed Scharabi schreibt hierzu: „Das heutige vielfältige, vielförmige und vieldeutige Erscheinungsbild von Kairo ist das Resultat eines außergewöhnlichen Zusammenstoßes des Orient mit dem Okzident [...] wie konnte aus diesem Zusammenstoß etwas entstehen, was wir trotz aller Veränderungen noch Kairo, die unverwechselbare Stadt AlQahira (=die Siegreiche), nennen können?“ (Scharabi, 1989:11) Und diese Altstadt ist heute trotz erster Erfolge der Stadterneuerung in ihrer Substanz und in ihrer Bedeutung als ein wichtiger Kern des Großraumes Kairo höchst gefährdet. Ziele des vorliegenden Beitrags sind die Herausarbeitung der dramatischen Gefährdung der Kairener Altstadt im gesamtstädtischen Zusammenhang Abb. 1: Grundstruktur der islamischen arabischen Altstadt und der Altstadt des 19. Jahrhunderts (Scharabi, 1989: 137) Einleitung 5 und das Aufzeigen von Handlungsansätzen zur Erneuerung der Altstadt, aufbauend auf den besonderen örtlichen Bedingungen und Erfahrungen in laufenden Projekten. Besonders wichtig erscheinen die Leitfragen: Welche Rolle kann und sollte die Entwicklung der Altstadt im Zusammenhang mit der Entwicklung des Großraumes Kairo einnehmen? Mit welchen Strategien kann die Altstadt von Kairo sowohl als bedeutender Kulturort als auch als alltäglicher Stadtraum für alle Kairener erneuert werden? Welche Handlungsbereiche und Maßnahmen sind hierfür von vorrangiger Bedeutung? Kristallisationspunkt Altstadt Die Geschichte Kairos mit verschiedenen Gründungskernen und mit heute im Großraum Kairo aufgegangenen Satellitenstädten und New Towns sowie mit den umfangreichen informellen Siedlungsentwicklungen seit den 1950er Jahren hat eine polyzentrale Stadtstruktur mit relativ starken Eigencharakteristiken der verschiedenen Stadtteile und Siedlungsbereiche hervorgebracht. ldentitätsträger von Kairo ist heute nicht nur die Altstadt, ebenso bedeutend erscheinen besondere Stadtlagen am Nil, die Pyramiden von Gizeh oder mit Einschränkungen auch die verschiedenen Stadtteilzentren der Stadtteile des zwanzigsten Jahrhunderts, wie der Gründungskern von Heliopolis oder auch das neue Zentrum „Star Center“ der größten Mall Ägyptens im selben Stadtteil. Zum besseren Verständnis der Situation der Altstadt werden im Folgenden zuerst die verschiedenen Entwicklungsphasen und Baustrukturen der Stadt Kairo dargestellt und darauf folgend die wichtigsten Daten des Stadtwachstums zu einer Megacity zusammengefasst. Die gesamtstädtische Struktur von Kairo kann in drei Bereiche gegliedert werden: erstens die Altstadt östlich des Nils mit ihren heute kernstädtischen, konzentrisch angelegten Erweiterungen zwischen Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, die auch die Nilinseln und die innerstädtischen 6 Kristallisationspunkt Altstadt Stadtteile westlich des Nils umfassen; zweitens, ein Ring von hochverdichteten, informellen Siedlungen um die Innenstadt, der zum größten Teil auf fruchtbarem Ackerland des Niltals und -deltas seit den 1960er Jahren errichtet wurde, und drittens die seit Beginn des 20. Jahrhunderts formell geplanten und gebauten Vororte, GroßsiedIungen, Satellitenstädte und New Towns, die überwiegend in östlicher und westlicher Richtung der Innenstadt in unfruchtbaren Wüstenbereichen liegen. Die Struktur der islamischen Altstadt folgt der hierarchischen Ordnung islamisch arabischer Altstädte mit einer klaren Abstufung zwischen öffentlichen und privaten Bereichen und einer klaren Funktionstrennung. Die wichtigsten öffentlichen Räume und Orte sind die Stadttore und der zentrale Moscheebereich sowie die Straßenzüge, die diese mit den Basarbereichen verbinden. Zwischen diesen Achsen liegen die einzelnen Quartiere, die wiederum ihr eigenes Zentrum mit Moschee- und Basarbereich haben. Über Sackgassen sind die einzelnen Wohnquartiere und Nachbarschaften erschlossen, die zum Teil bis heute eine geschützte private Atmosphäre aufweisen. Die Kairener Altstadt wurde jedoch nicht planmäßig angelegt. Die islamische Altstadt ist aus älteren Siedlungskernen hervorgegangen, die durch die Fatimiden (969-1171) ausgebaut wurden. Unter ayyubidischer Herrschaft (1171-1250) erfolgte eine umfangreiche Erweiterung dieser Altstadt. Innerhalb der schrittweisen Entwicklung der Altstadt ist die oben genannte Grundstruktur enthalten, wurde jedoch durch die Straßendurchbrüche mit der Stadterneuerung und -erweiterung, beginnend im Anfang des 19. Jahrhunderts unter dem Pasha Mohammad Ali zum Teil überformt. Ebenso haben zahlreiche Gebäudeaufstockungen und Ersatzbaumaßnahmen der letzten Jahrzehnte zu erheblichen Überformungen geführt. Westlich der islamischen Altstadt erfolgten die bereits erwähnten Stadterweiterungen des 19. Jahrhunderts, die durch einen weitgehend orthogonalen, an europäischen Stadtstrukturen des 19. Jahrhunderts angelehnten, rationalem Stadtgrundriss gebildet werden. Die prägende Baustruktur ist eine hochverdichtete, weitgehend geschlossene, zumeist 25 bis 30 m hohe Bebauung mit repräsentativen Stadthäusern. In der Regierungszeit von Ismail Pasha (1863-1879) wurden große Teile der heutigen Innenstadt sowie in einer weitgehend offenen Baustruktur die damaligen Villenstadtteile Zamalek auf der nördlichen Nilinsel sowie Muhandisin westlich des Nils durch europäische Architekten angelegt. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte die Errichtung des Villenquartiers Garden-City am östlichen Nilufer. Ebenso wurden in dieser Zeit die weiter vom Zentrum entfernten Vororte wie Heliopolis oder Maadi/ Helwan gegründet. Analog zur europäischen Städtebaugeschichte zogen diese neuen Siedlungsbereiche die wohlhabenderen und mittleren Einkommensgruppen der Bevölkerung an (Ifa, 2006:36). Mit den 1950er Jahren und der Gründung der Republik Ägypten 1952 setzte das bis heute anhaltende starke Bevölkerungswachstum von Kairo infolge natürlichen Bevölkerungswachstums sowie starker Landflucht ein. Unter der sozialistischen Regierung des Präsidenten Nasser (1954-1970) wurden umfangreiche soziale Wohnungsbauprogramme gestartet, die überwiegend östlich der Innenstadt angesiedelt sind und als Wohnstätte im Geschosswohnungsbau errichtet wurden. Diese Stadtentwicklungsphase von 1952 bis zum Sechstagekrieg mit Israel war die erste Stadterweiterungsphase nach der Unabhängigkeit. Mit der forcierten Industrialisierung und der zunehmenden Landflucht nach der Unabhängigkeit setzte auch die informelle Siedlungstätigkeit ein, die aufgrund des Wohnungsmangels in den 1960er Jahren stark zunahm und mit den Flüchtlingsströmen vom Sinai und aus Suez nach dem Sechstagekrieg eine weitere starke Zunahme erfuhr. Mit den 1970er Jahren begann eine umfangreiche Verdichtung der bestehenden Innenstadtquartiere (Kenawy, 2005:11). Aus ehemaligen Villenvororten wurden hochverdichtete Stadtquartiere. Fortwährender Wohnungsmangel und anhaltende Landflucht sorgen für eine weitere Ausbreitung und Verdichtung der informellen Siedlungen. 80 % der Wohneinheiten, die zwischen 1970 und 1990 errichtet wurden, liegen in informellen Siedlungen. Gleichzeitig wurde durch die Anlage von Satellitenstädten in einem Radius von 90 bis 35 km um die Innenstadt von Kairo im Rahmen von Dezentralisierungsstrategien versucht, der zunehmenden Verdichtung und Ausdehnung von Kairo entgegenzuwirken. Von diesen New Towns wurden von der Bevölkerung bis heute jedoch nur die angenommen, die einen Bezug zur Kernstadt aufweisen und heute Bestandteil des Siedlungskörpers von Großkairo sind, wie 6th of October im Westen oder 15th of May im Süden. Mitte der 1990er Jahre setzte mit der Planung von New Cairo City im Osten und der umfangreichen Erweiterung von 6th of October eine zweite Stadterweiterungsphase ein. Die Bauprojekte dieser Anlagen waren an der Marktnachfrage ausgerichtet und umfassten Gated Communities für wohlhabende Bevölkerungsgruppen, Appartementanlagen für die Mittelschicht sowie größere Büroansiedlungen, Shopping Areale und ähnliches. Eine zusammenhängende Bebauungsstruktur besteht zwischen diesen verschiedenen Be- Abb. 2: Ausdehnung der Stadtfläche von Kairo von 1800-1947 (eigene Darstellung) Kristallisationspunkt Altstadt 7 reichen nicht. Für eine weitere Annäherung an die Herausforderungen zur Erneuerung der Altstadt von Kairo ist es erforderlich, wesentliche Daten der gesellschaftlichen Entwicklung zu betrachten. Die genaue Einwohneranzahl von Großkairo heute ist nicht bekannt, die Angaben für die Megacity schwanken zwischen 15 und über 20 Millionen Einwohnern, wobei ca. acht Mio. in der Kernstadt und weitere ca. 8 Mio. Einwohner in der weiteren Agglomeration leben. Mit etwa 16 Mio. Einwohnern in Kairo leben hier ca. ein Viertel der Gesamtbevölkerung Ägyptens mit ca. 80 Mio. Einwohnern. Die Einwohnerdichte in Kairo ist mit ca. 35.000 Ew./km² eine Abb. 3: 8 Kristallisationspunkt Altstadt Ausdehnung der informellen Siedlungen von 1952-2000 (eigene Darstellung) der höchsten weltweit. Hierbei wird zugrunde gelegt, dass die Kernstadt 210 km² umfasst und acht Mio. Einwohner hat. Das jährliche Bevölkerungswachstum von ca. 4 % liegt deutlich höher als das demographische Wachstum von 2,6 %,was auf die anhaltend hohe Landflucht zurückzuführen ist. Bis 2025 prognostiziert das Ministry of Planning ein weiteres Bevölkerungswachstum für das gesamte Nildelta auf 35 Mio. Einwohner (Ministry of Planning u. a., 2004:4). Ägypten ist mit einem mittleren Pro-Kopf-Einkommen von knapp 1.300 US-Dollar pro Jahr (CIA, 2007) ein Entwicklungsland. Die Verteilung des gesamten Nationaleinkommens auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zeigt, dass die ägyptische Gesellschaft eine „zweistöckige“ Gesellschaft ist, wobei 86 % der Bevölkerung arm sind und lediglich 14 % der Bevölkerung über 75 % des Nationaleinkommens verfügen (Habashi, 1996:14). Innerhalb Kairos offenbart sich das soziale Gefälle der Zweiklassengesellschaft ebenfalls. Hier sind rund 30 % der Stadtbewohner wohlsituiert, und 70 % der Einwohner Kairos gehören dem ärmeren Bevölkerungsanteil an. Von diesen leben weitere 30 % von lediglich jeweils gut 50 Euro/Jahr (Stand 2006). Diese Gruppe unterschreitet deutlich die von der Weltbank eingeführte Armutsgrenze von 80 Cent/Tag. Neben politischen Spannungen sind Bevölkerungswachstum, Überbevölkerung der fruchtbaren Landesteile und damit verbundener Verbrauch der natürlichen Ressourcen, wirtschaftliche Schwäche sowie Bildungsarmut die größten Probleme Ägyptens. In Kairo kommen insbesondere noch die starke Luftverschmutzung, der tägliche Verkehrskollaps in der Innenstadt sowie das marode Abwassersystem und der angestiegene Grundwasserstand in der Altstadt hinzu. Betrachtet man in diesem Zusammenhang das extreme Wachstum Kairos seit den 1950er Jahren, wird deutlich, vor welchen Herausforderungen die Stadt steht. Während Ende des 19. Jahrhunderts in Kairo ca. 630.000 Einwohner lebten, waren es 1945 bereits 1,9 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 80 km². Heute leben im Raum Großkairo auf einer Fläche von 500 km² ca. 16 Mio. Einwohner. Altstadt Kairo – Vergessen auf dem Weg zur Megacity Die Bedingungen und Ursachen, die zu der desolaten Situation der Altstadt geführt haben, umfassen im Wesentlichen die Bereiche soziale Segregation, Mietpreispolitik und Vernachlässigung von Instandhaltungs- und Sanierungsarbeiten, informelle Siedlungstätigkeit, Verkehrsentwicklung sowie einen generellen Machtverlust der Stadtentwicklungspolitik. Neben dem desolaten baulichen Zustand weiterer Bereiche der Altstadt stellt der zunehmende Bedeutungsverlust der Altstadt eine alarmierende Entwicklungstendenz dar. Dies betrifft auch die Altstadt des 19. Jahrhunderts und drückt sich hier u. a. durch den vermehrten Wegzug etablierter Institutionen aus. Hierzu gehören das Behördenzentrum Mugamma am Tahrir Platz das Ägyptische Museum, die Deutsche Botschaft oder auch die American University of Cairo, die beispielsweise nach New Cairo City verlagert wird, wo bereits die German University of Cairo angesiedelt ist. Die seit den 1980er Jahren bestehende Entscheidung, das Ägyptische Museum in den Bereich der Pyramiden von Gizeh zu verlagern, folgt zwar logistischen und Platzgründen und ist nicht auf den Abstieg der Altstadt zurückzuführen, nichtsdestoweniger wird dieser dadurch weiter beschleunigt. Ferner liegen alle aktuellen wesentlichen lmmobilieninvestitionen außerhalb des Altstadtbereiches. Neue Hotels werden in den besser erreichbaren Vororten angesiedelt, wie das neue JW Marriot Hotel Cairo, das in Heliopolis errichtet wurde. Eine der Ursachen dieser Entwicklungstendenzen ist soziale Segregation. Während die Abwanderung der wohlhabenden und einflussreicheren Bevölkerung aus der islamischen Altstadt, die bereits im 19. Jahrhundert begann, setzte mit dem Bau der ersten Vororte im beginnenden 20. Jahrhundert auch die soziale Segregation in den Quartieren des 19. Jahrhunderts und eine extreme Suburbanisierungswelle der wohlhabenden Kairener Gesellschaft ein, die aus der Innenstadt in die neu gebauten Vorstädte Maadi, Garden City, Zamalek und Heliopolis zog. Gleichzeitig fand eine Land-Stadt-Migration statt. Die zugewanderte Landbevölkerung zog in die mittelalterliche Stadt. Die Folge war soziale Segregation, wobei die islamische Altstadt ein Wohnort für die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen wurde (Mayer, 2001:1001). Die schlechten Wohnbedingungen und ein maroder Zustand der Gebäude kennzeichneten schon damals diesen Stadtbereich, und die Kluft zwischen der ärmeren Bevölkerung und der privilegierten Oberschicht wurde zunehmend größer. Mit der Gründung der Republik Ägypten und der sozialistischen Politik unter Präsident Nasser veränderte sich die Stadtentwicklungspolitik durch die forcierte Industrialisierung, eine Agrar- und Landreform und durch umfangreichen sozialen Wohnungsbau sowie die Einführung einer restriktiven Mietpreisbindung grundlegend. Durch die Mietpreisbindung wurden die Altbaumieten auf dem Niveau der 1950er Jahre eingefroren. Ebenso wurden bei Neubauwohnungen restriktive Mietobergrenzen eingeführt. Die Mieten wurden staatlicherseits so niedrig gehalten, dass für die Eigentümer ein Gebäudeunterhalt nicht mehr rentierlich war und es zu einem schnellen Verfall zahlreicher Gebäude kam (Meyer, 1996:97). Diese Mietbindungsgesetze gelten bis heute und führen zu paradoxen Missständen am Wohnungsmarkt. So ist die Miete für eine Wohnung nach den Marktgesetzen 50 bis 150 mal höher als die gebundene Miete für eine vergleichbare Wohnung (Stand 1998). Zusätzlich zur Miete fordern Vermieter heute ein so genanntes „Schlüsselgeld“, oder die Wohnungen werden gleich zum Verkauf angeboten. Mit der Mietpreisbindung wurde auch ein gesetzlicher Kündigungsschutz eingeführt, was für Eigentümer eine spätere Eigennutzung unmöglich macht. Konsequenz dieser lmmobilienpolitik ist einerseits, dass sich viele „Wohlhabende“ einen „Vorrat“ an Wohnungen für einen späteren Bedarf oder zur Spekulation anlegen, welche jedoch jahrelang leer stehen (Meyer, 1996:102) und andererseits, dass sich die ärmeren Bevölkerungsgruppen auf dem formellen WohAltstadt Kairo - Vergessen auf dem Weg zur Megacity 9 nungsmarkt keine Wohnungen leisten können. Ende der 1990er Jahre standen in Großkairo ca. 1,8 Mio. Wohnungen leer, obwohl gleichzeitig Wohnungsnot herrschte und viele arme Familien unter sehr schlechten und beengten Bedingungen lebten (Habashi, 1996:14). „Stadt ohne Wohnungen, Wohnungen ohne Bewohner“ (Meyer, 1996:97) – damit sind zwei wesentliche Probleme der Stadtentwicklungspolitik identifiziert: erstens der Verfall der Altbausubstanz durch mangelnde Wartung, Instandsetzung und Sanierung sowie zweitens die umfangreiche Entwicklung informeller Siedlungen auf Ackerland. Für die zuziehende Landbevölkerung sind die informellen Siedlungsbereiche zumeist die einzige Möglichkeit eine Unterkunft zu finden. Baulich sind die informellen Siedlungen mittlerweile Abb. 4: 10 höchst verdichtet. Die typische Baustruktur weist Parzellengrößen von 60 bis 140 m² auf, die fünfgeschossig, im Extremfall auch zehn bis fünfzehngeschossig mit Stahlbetonskelettbauten mit roher Ziegelausfachung in einfachster Art bebaut sind, wobei die Überbauung der Grundstücke 100 % beträgt und die Erschließungsgassen nur zwei bis vier Meter breit sind. Heute machen die informellen Siedlungen einen Großteil der Siedlungsbereiche des ersten Stadterweiterungsgürtels aus, und ca. die Hälfte der Bevölkerung von Großkairo lebt hier. Die Bevölkerungsdichte der informellen Siedlungen von Kairo ist extrem hoch und liegt zumeist über 50.000 Ew./km², zum Teil auch deutlich über 100.000 Ew./km², in Einzelfällen bis zu 220.000 Ew./km² (Sims, 2003:21). Bis in die 1980er Jahre wurden die informellen Siedlungen von Ausdehnung der Stadtfläche von Kairo 1800-2000 (eigene Darstellung) Altstadt Kairo - Vergessen auf dem Weg zur Megacity der offiziellen Stadtentwicklungspolitik ignoriert. Befürchtungen vor politischer Radikalisierung in den informellen Siedlungen haben ab 1993 die Initiierung von Aufwertungsstrategien bewirkt. Diese konzentrieren sich zum Großteil auf die stadttechnische Versorgung. Die Lebensbedingungen in den informellen Siedlungen sind jedoch bis heute höchst ärmlich und prekär, was sich auch im Mangel von medizinischen, sozialen und bildungsbezogenen Einrichtungen ausdrückt (Ministry of Planning u. a., 2004:11f). Dauerstau und dichter Verkehrssmog bestimmen die alltägliche Verkehrssituation in weiten Teilen der gesamten Innenstadt von Kairo und sind eine weitere Ursache für den Bedeutungsverlust der Altstadt. Neben der Bevölkerungszunahme haben auch der Anteil von Pkw je Haushalt, die Anzahl der Fahrten je Einwohner und die zurückzulegenden Strecken sowie die benötigten Fahrtzeiten in den 1970er und 1980er Jahren erheblich zugenommen (Weltbank, 2000:5). Der Modal Split des Verkehrs in Kairo hat sich im gleichen Zeitraum deutlich zugunsten der Privat-Pkw, der Taxen und der Mikrobusse (Steigerung von 22 auf 61 bei einem entsprechenden Rückgang des ÖPNV-Anteils trotz Bau zweier U-Bahn-Linien, allerdings bei grober Vernachlässigung des Bus- und Straßenbahnsystems). Trotz eines Ausbaus der Hauptverkehrsstraßen mittels neuer Straßendurchbrüche und dem Bau von 45 Hochstraßen hat sich die Verkehrssituation nicht verbessert, jedoch sind die Straßen und Platzräume, über die diese Hochstraßen führen, in ihrer städtebaulichen Qualität so stark beeinträchtigt oder zerstört, dass ein Aufenthalt hier schnell unerträglich wird. Die extrem schwierige verkehrliche Situation ist heute auch die Hauptursache dafür, dass wichtige Institutionen die Altstadt verlassen, da ihre Erreichbarkeit nicht mehr zuverlässig gewährleistet ist. Die Stadtentwicklungspolitik wurde seit den 1980er Jahren auf einen Stopp der informellen Siedlungsentwicklung auf Agrarland, eine Steuerung der Stadterweiterungen auf die New Towns in Wüstengebieten sowie eine Verbesserung der Lebensbedingungen in armen und unterentwickelten Stadtbereichen beschränkt (Ministry of Planning u. a., 2004:4). Dass die Altstadterneuerung und die Innenstadtentwicklung keine Priorität in der Stadtentwicklungspolitik einnimmt, ist höchst kritisch. Es kann jedoch insgesamt ein Machtverlust der Stadtentwicklungspolitik festgestellt werden. Seit den 1990er Jahren erfolgt die zweite Stadterweiterungsphase, mit der die großen Stadterweiterungsgebiete von 6th of October im Westen ausgebaut und zu der die weit reichenden Neubaugebiete von New Cairo City im Osten der Stadt zählen, von denen bis heute erst ein erster Teil realisiert wurde. Die Masterplanung für New Cairo City konzentriert sich auf Abb. 5: Typologien der informellen Siedlungen (eigene Darstellung) Altstadt Kairo - Vergessen auf dem Weg zur Megacity 11 12 Abb. 6: Ausdehnung der formellen Stadterweiterungen (eigene Darstellung) Abb. 7: Siedlungsstruktur Großkairo (eigene Darstellung) Altstadt Kairo - Vergessen auf dem Weg zur Megacity die Definition des Hauptstraßennetzes mit einer Maschenweite von ein bis zwei Kilometern und der generellen Bodennutzung. Die Baufelder innerhalb dieses Hauptstraßennetzes von New Cairo City werden zum Großteil an private lmmobilienentwickler veräußert, die hier dann unterschiedliche Wohnanlagen für die Mittel- und Oberschicht realisieren. Größere Arbeitsstätten- und Industrieansiedlungen sind trotz der erheblichen Größe des Stadtteils nicht vorgesehen. Mit der Einrichtung der Polizeiakademie oder der German University in Cairo sowie zahlreichen weiteren privaten Schulen und Hochschulen erscheint New Cairo City als bevorzugter Standort für Bildungseinrichtungen. New Cairo City, 350 Meter über NN in der Wüste gelegen und mit gemäßigtem Klima gegenüber der Kernstadt im Niltal, soll bis 2050 für insgesamt 2,5 Mio. Einwohner ausgebaut werden. Öffentlicher Personennahverkehr ist bisher nicht vorgesehen. Für die gesamtstädtische Entwicklung Kairos kann eine zunehmende Polarisierung festgestellt werden. Die Altstadt verliert zunehmend bedeutende Institutionen und fortschreitende bauliche Vernachlässigung verstärkt die seit Jahrzehnten laufende soziale Segregation. Gleichzeitig wurden die umfangreichen informellen Siedlungen möglichst innenstadtnah an die bestehende Stadt- und Infrastruktur angegliedert, während die formellen Stadterweiterungen innenstadtfern in den westlich und östlich der Innenstadt gelegenen Wüstengebieten angesiedelt wurden. Da in den informellen Siedlungsbereichen arme Bevölkerungsschichten und in den formellen Siedlungsbereichen überwiegend Bevölkerungsschichten mittlerer und hoher Einkommen wohnen, verstärkt dies die weiteren sozialen und wirtschaftlichen Abstiegstendenzen in Altstadt und Innenstadt, die ihre Rolle als gesamtstädtisch integrierte Kernbereiche verlieren. Die Altstadt heute Die bauliche Situation der Kairener Altstadt ist insgesamt sehr schlecht, jedoch stellt sich dies für die unterschiedlichen Bereiche analog zu deren jeweiligen siedlungsstrukturellen Bedingungen und der jeweiligen räumlichen Einbindung sehr differenziert dar. Grob teilt sich die Altstadt in den mittelalterlichen Teil der islamisch arabisch geprägten Stadtquartiere sowie in den nach europäischem Vorbild erbauten Bereich des 19. Jahrhunderts. In der islamisch arabischen Altstadt haben bautechnische Probleme durch einen gestiegenen Grundwasserspiegel und das Eindringen von Schadstoffen aus dem großteils verrotteten Abwassersystem in die Fundamente sowie die hohen Schadstoffbelastungen der Luft, die bei hoher Luftfeuchtigkeit und hohen Temperaturen Gestein und Mauerwerk besonders angreifen, der Bausubstanz in den vergangenen Dekaden schwer zugesetzt. Jedoch sind die besonderen historischen Monumente, die Stadttore, die bedeutenden Moscheen und Medressen sowie der am südöstlichen Rand der mittelalterlichen Altstadt gelegene Zitadellenbereich und weitere bedeutende Sonderbauten zum Großteil instandgehalten oder saniert. Entsprechend der altstädtischen Struktur liegen zwischen diesen besonderen Einrichtungen und Bauten die Hauptwege der islamisch arabischen Altstadt, an denen auch die Basarbereiche liegen. Diese Hauptwege der Altstadt sind überwiegend in mäßigem Zustand. Während die zentralen öffentlichen Räume an diesen Hauptwegen, wie der Midan Al Hussein zwischen der Hussein- und der Al-Azhar Moschee, weitgehend erneuert sind, sind diese wichtigen historischen Achsen in ihrem weiteren Verlauf teilweise nur mit einfachem Asphalt befestigt und in einzelnen Bereichen auch unbefestigt. Besucher der mittelalterlichen Altstadt kommen beinahe ausschließlich zu den zentralen Bereichen der Altstadt sowie in die Hauptachsen. Die hier angesiedelten Basarbereiche und Händler bieten alltägliche Güter einfachen Standards sowie touristisch interessante Produkte an. Die Gebäude entlang dieser Achsen sind ebenso in mäßigem bis schlechtem Zustand. Dies gilt auch für die Nord-Süd-Hauptachse der Altstadt, für die Sharia El-Muizz Li-Din Allah vom Bab El-Futuh im Norden zum Bab EsDie Altstadt heute 13 Suweia im Süden. Besonders prekär ist die Situation jedoch in den jeweiligen Wohnquartieren abseits der Hauptachsen. Teilweise unbefestigte Gassen, Gebäudeleerstand und -verfall sowie erhebliche bauliche Überformungen durch einfache Neubauten, die zumeist mit fünf und mehr Geschossen die historischen Strukturen brechen, prägen die heutige Situation dieser Altstadtbereiche. Die Bevölkerung hier ist sehr arm. Im Beitrag von David Sims zum UN-Habitat Report on Human Settlements werden diese Bereiche teilwei- Abb. 8: Islamisch arabische Altstadt (WARNER, 2005), gelb: Quartier Darb Al-Ahmar 14 Die Altstadt heute se als informelle Siedlungen des Typs „Deteriorated Historic Core“ behandelt (Sims, 2003:6). Aufgrund der engen Gassen, der Undurchlässigkeit des traditionellen Sackgassensystems und der Armut der Bevölkerung besteht nur wenig motorisierter Verkehr innerhalb dieser Altstadtbereiche. Im Gegensatz dazu sind die Straßendurchbrüche durch die mittelalterliche Altstadt ganz besonders vom motorisierten Verkehr belastet. Extrem ist die Situation in der Sharia Al-Azhal, die den Bereich zwischen Hussein- und Al-Azhar-Moschee sowie die gesamte mittelalterliche Altstadt in Ost-West-Richtung zerschneidet und nur wenige Kreuzungsmöglichkeiten für Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer bietet. Der Straßendurchbruch der Sharia Al-Azhar ist jedoch auch eine der wenigen und die wichtigste Ost-West-Straßenverbindung in diesem Innenstadtbereich. Während die Vernachlässigung der islamisch arabischen Altstadt bereits mit der Stadterweiterung des 19. Jahrhunderts einsetzte, beginnt der Niedergang dieser heutigen Altstadt des 19. Jahrhunderts erst mit der ägyptischen Unabhängigkeit der 1950er Jahre. Heute ist ein Großteil der prächtigen Wohn- und Geschäftsgebäude des 19. Jahrhunderts infolge vernachlässigter Instandsetzung und Sanierung in schlechtem Zustand. Die Baublöcke sind teilweise von Gebäudeleerstand sowie von erheblichen baulichen Überformungen durch gesichtslose Neubauten, häufig mit fünfzehn Stockwerken und mehr, gekennzeichnet. Besondere Gebäudeensembles nehmen keinen herausragenden Stellenwert in der Altstadt des 19. Jahrhunderts ein. Einzelne Gebäude und Ensemble wurden saniert, wie das Kaufhaus Umar Efendi an der Sharia Rushdi Pasa, jedoch sind diese eine Ausnahme. Besonders mangelhaft ist der Zustand der öffentlichen Räume durch die verkehrliche Überlastung. Hier treten starke Konflikte auf, die nicht nur durch den alltäglichen Dauerstau und den extremen Smog zum Ausdruck kommen, sondern auch durch die Einzäunung von Fußgängerwegen gegenüber den Fahrbahnen den Kampf um öffentliche Flächen darstellen. Fußgängerüberwege sind hierbei, wie am Ramses-Platz vor dem Hauptbahnhof, mit Ketten gesichert, die jeweils von der Polizei geöffnet werden, wenn die Fußgängerampel auf Grün schaltet. Besonders betroffen sind die öffentlichen Plätze, die ihren Schmuck- und Aufenthaltscharakter durch den Ausbau der Hauptverkehrsstraßen durch Überbauung mit Hochstraßen sowie durch Fußgängerbrücken weitgehend verloren haben. Die Rolle der Kairener Altstadt für die gesamte Megacity Kairo definiert sich heute vorwiegend über die besonderen historischen Ensembles innerhalb der mittelalterlichen islamisch arabischen Altstadt sowie über den „DowntownCharakter“ der Altstadt des 19. Jahrhunderts mit einigen bedeutenden Institutionen, immer noch bestehenden, jedoch heute wenigen besonderen gastronomischen und kommerziellen Einrichtungen und mit Einschränkungen über den Hauptbahnhof und dessen Umfeld als wichtiger Verkehrsknoten. Eine besondere Rolle im gesamtstädtischen Gefüge nimmt seit dessen Fertigstellung 2004 auch der östlich der islamisch arabischen Altstadt angelegte Al-Azhar-Park ein. Weiterhin bestehen in der Altstadt des 19. Jahrhunderts wichtige Institutionen wie der Abdin-Palast, heute Palast der Republik, das Museum für Islamische Kunst am AhmadMaher-Platz, welches die bedeutendste Sammlung dieser Art aufweist, oder der Esbekija-Garten am Opera-Platz. Nach wie vor bestehen in der Downtown-Altstadt auch besondere gastronomische Einrichtungen, wie das Cafe Riche oder das alte Kaffeehaus Groppi, das früher häufig von Nagib Machfus besucht wurde. Auf die Größe der Stadt bezogen und im Vergleich zu weiteren Stadtteilen ist die Anzahl besonderer Cafes, Bars und Restaurants jedoch sehr spärlich. Die Altstadt des 19. Jahrhunderts ist bis heute auch ein wichtiges Geschäftszentrum, jedoch beschränkt sich der Standard der Geschäfte zum größten Teil auf billige Produktionen. Auch liegen bis heute zahlreiche Hotels in Downtown, doch auch hierbei überwiegt heute die Anzahl der Hotels sehr niedrigen bis mittleren Standards, während die teureren Hotels außerhalb der Altstadt, beispielsweise am Nilufer, liegen und neue „First-Class-Hotels“ heute außerhalb der Innenstadt gebaut werden. Der Verkehrsknotenpunkt des Ramses-Hauptbahnhofes ist zwar bis heute verkehrstechnisch wichtig, infolge mangelnder Bestandserhaltung und Übernutzung sowie der städtebaulichen Überformung des großen Ramses-Platzes vor dem Bahnhof durch Hochstraßen und Fußgängerbrücken weist dieser Bereich heute jedoch keine städtebaulichen Qualitäten mehr auf. Mit der Errichtung des Al-AzharParks durch den Aga Khan Trust for Culture hat die Kairener Altstadt aber einen neuen, gesamtstädtisch bedeutenden Anziehungspunkt erhalten, der innerhalb der Altstadtentwicklung der letzen Jahrzehnte eine bemerkenswerte Ausnahme darstellt. Die hiermit verknüpfte Entwicklung, die auch die Restaurierung der ayyubidischen Stadtmauer und einen intensiven Erneuerungsprozess des angrenzenden Darb Al-Ahmar-Quartiers betrifft, wird als besonderer Erfahrungshintergrund für weitere Stadterneuerungsmaßnahmen im Folgenden nachgegangen. Der Al-Azhar-Park und die Sanierung in Darb Al-Ahmar Aufgrund der mangelnden Freiflächen in Kairo versprach der Aga Khan auf der Konferenz „The Expanding Metropolis: Coping with the Urban Growth of Cairo” im November 1984, den Bürgern der Stadt Kairo eine Parkanlage zu schenken. Sein Aga Khan Development Network (AKDN) widmet sich bereits seit 1967 einer lokal aufgebauten Entwicklungshilfe und ist die Dachorganisation des Aga Khan Trust for Culture (AKTC), welcher der Träger des Darb-Al-Ahmar-Entwicklungsprojektes ist. Leitideen und Grundprinzipien für die Projekte des AKDN sind die drei Grundprinzipien Ausrichtung auf eine langfristige ökonomische Entwicklung, Bewahrung oder Förderung eines sozialen Gleichgewichts sowie eine generelle Verbesserung der Lebensbedingungen, unabhängig von der Herkunft und Religion der betroffenen und beteiligten Personen. Alle Projekte sind mit lokalen Gruppen verbunden, und stets wird versucht, weitere OrganisaDer Al-Azhar-Park und die Sanierung in Darb Al-Ahmar 15 tionen an den Projekten zu beteiligen, um eine kritische Masse herzustellen, die eine langfristige Projektverbundenheit gewährleistet. Innerhalb des AKDN besetzt der AGTC den Schwerpunkt der physischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Revitalisierung von Dörfern und Stadtquartieren in der islamischen Welt (AKDN, 2008). Die Programme des AKTC umfassen insbesondere den seit über 25 Jahren bestehenden Aga Khan Award for Architecture und das Aga Khan Historic Cities Programme, mit dem auch die Erneuerung des Darb-Al-Ahmar-Quartiers gefördert wird. Das Historic Cities Programme ist auf die Förderung der Restaurierung und Erneuerung historischer Bauten und öffentlicher Räume unter Wahrung des historischen Erbes ausgerichtet, wobei eine soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklung integrierter Bestandteil sein muss. Die Projekte des AKTC in der Kairener Altstadt umfassen die Anlage des AlAzhar-Stadtparks, die Sanierung von 1,5 Kilometern der ayyubidischen Stadtmauer in diesem Bereich sowie die Erneuerung des angrenzenden Altstadtquartiers Darb Al-Ahmar. Diese drei miteinander vernetzten Projekte begannen Mitte der 1990er Jahre mit der Anlage der 30 ha großen Parkanlage auf einem über Jahrzehnte brachliegenden Müllberg östlich der islamisch arabischen Altstadt. Mit den Erdarbeiten auf dem ehemaligen Müllberg wurde die ayyubidische Stadtmauer in diesem Bereich freigelegt und deren Wiederherstellung und Sanierung in das Projekt einbezogen. Die Diskussionen und Planungen zur Sanierung der Stadtmauer führten zu dem Entschluss, das unmittelbar angrenzende Darb Al-Ahmar Quartier in die Projektarbeit einzugliedern. Neben diesen Projektbausteinen ist für das Jahr 2014 der Bau eines „Urban Plaza“ nördlich des Parks vorgesehen. Mit diesem stärker kommerziell ausgerichteten Projektbaustein soll langfristig der Unterhalt der Parkanlage und der angrenzenden öffentlichen Räume sichergestellt werden (El-Mikawi u. a., 2007). Von den zuvor genannten einzelnen Sanierungs- und Erneuerungsprojekten verschiedener bedeutender Monumente und einzelner Infrastruk16 Der Al-Azhar-Park und die Sanierung in Darb Al-Ahmar turen in der Kairener Altstadt heben sich die Erneuerungsprojekte des AKTC deutlich ab, was im Besonderen für das Darb-Al-Ahmar-Erneuerungsprojekt zutrifft und auf den komplexen und integrativen Entwicklungsansatz zurückzuführen ist. Die Parkanlage ist aufgrund des extremen Mangels an öffentlichen Freiflächen in Kairo von besonderer Bedeutung. Das Gelände des Al-Azhar-Parks liegt westlich der fatimidischen Altstadt und des Wohngebiets Darb-Al-Ahmar. Die ayyubidische Stadtmauer liegt in diesem Bereich auf dem Standort der vormaligen fatimidischen Stadtmauer. Im Süden grenzt die neue Parkanlage an die Sultan-Hassan-Moschee und die Zitadelle. Östlich des Parks befindet sich die „Stadt der Toten“, ein dicht besiedelter Friedhof. Nach der Entmüllung wurde 1997 mit den Planungsarbeiten begonnen. Der öffentliche Park wurde am 25. März 2005 offiziell eröffnet (Ifa, 2006:65). Die auf der östlichen Parkseite freigeräumte ayyubidische Stadtmauer bildet die physische Grenze zwischen dem Al-Azhar-Park und dem Darb-Al-Ahmar-Quartier. Da die unter Salah ed Din ab 1176 errichtete Mauer unmittelbar mit der noch mittelalterlichen Bebauungsstruktur des Darb-Al-Ahmar-Quartiers verbunden ist, musste mit der Sanierung der Mauer eine geeignete Umgangsform mit der anschließenden Bebauung gefunden werden. Die ägyptischen Gesetze zum Umgang mit archäologischen Bauwerken schreiben jedoch vor, dass historische Monumente mit einem Abstand von 30 Metern von weiterer Bebauung freizuhalten sind. Dies widersprach jedoch dem Ansatz des Aga-Khan-Trusts, das historische Erbe zu bewahren, da die Mauer von jeher mit der angrenzende Bebauung verbunden war, zu der auch historisch bedeutende Gebäudeensembles wie der Khayer-Bek-Komplex gehörten, dessen Sanierung auch später erfolgte und in dem heute u. a. ein „Mother and Child Health Center“ untergebracht ist. So wurde das Projekt der Erneuerung des Darb-Al-AhmarQuartiers initiiert. Mit der Konzeption dieses Altstadterneuerungsprojektes konnten auch Kairener Archäologen und Denkmalschützer davon überzeugt werden, dass eine Freistellung der ay- yubidischen Stadtmauer hier nicht angemessen ist (Bianca, 2003). Das Quartier Darb Al-Ahmar gehört mit ca. 90.000 Bewohnern zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Kairos. Die Mehrzahl der Bewohner ist arm. Das durchschnittliche monatliche Haushaltseinkommen einer fünfköpfigen Familie lag im Jahr 2003 bei 500 Ägyptischen Lira (LE), was 81 US-Dollar entsprach. Die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben für die Wohnung machten lediglich 3 % des Haushaltseinkommens aus und lagen bei einer fünfköpfigen Familie bei 16,2 LE oder 2,6 US-Dollar (AKCS-E, 2003). Die Wirtschaftsstruktur des Quartiers ist weitgehend informell und weist verschiedenste einfachste Handwerksbetriebe und ähnliches auf (Ifa, 2006:65). Allein im Darb-Al-Ahmar-Quartier wurden 65 historische Gebäude und mehr als hundert architektonisch wertvolle Wohnhäuser registriert (Siravo, 2001:40). Wesentlich für das Erneuerungsprojekt ist auch, dass 39 % der Haushalte des Quartiers seit 10 Jahren oder länger in ihren Wohnungen ansässig sind; 31 % sind in ihren Wohnungen seit 21 bis 40 Jahren und lediglich 15 % sind in ihren Wohnungen erst seit bis zu zehn Jahren ansässig. Diese starke Bindung zum Quartier wird auch dadurch ausgedrückt, dass 84 % der Bewohner von Darb Al-Ahmar angeben, dass sie weiterhin im Quartier wohnen möchten (AKCS-E, 2003). In Kooperation mit dem Egyptian Swiss Fund for Development, der Ford Foundation, der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau und der World Monument Watch wurde das Stadterneuerungsprojekt für Darb Al-Ahmar gestartet. Hierbei wurde versucht, ein Maximum an Einbindung der zuständigen staatlichen ägyptischen Verwaltungen (Ciro Governorate, Supreme Council of Antiquities, The Awqaf Department) zu erreichen und gleichzeitig mit lokalen Nichtregierungsorganisationen und den Bewohnern eng zu kooperieren. Während sich die Zusammenarbeit mit den ägyptischen Verwaltungen als schwierig erwiesen hat, sich diese Zusammenarbeit bisher lediglich auf die erforderliche Genehmigung der Projekte beschränkt und die angestrebte langfristige Übernahme der Verantwortung für das Projekt durch die lokalen ägyptischen Verwaltungen zur Zeit unrealistisch ist, bildet die Zusammenarbeit mit den verschiedenen örtlichen Gruppen und den Anwohnern eine wesentliche Grundlage der Projektarbeit (El-Mikawi u. a., 2007). Das Darb-Al-Ahmar-Projekt umfasst die Restaurierung besonderer historischer Gebäude, die Instandhaltung und Sanierung von Wohnhäusern, den Ausbau und die Sanierung der technischen Infrastruktur, die Einrichtungen von medizinischen und sozialen Angeboten, Mikrokredite für Selbsthilfeprojekte und für die Erhaltung und Sanierung selbstgenutzter Gebäude, die Organisation der Müllbeseitigung sowie die Einrichtung von Aus- und Fortbildungsstätten für die Bewohner des Quartiers. Um eine ständige Einbeziehung der Einwohner des Quartiers herzustellen, ist die Aufstellung von entsprechenden Selbsthilfe-Programmen einer der wesentlichen Aspekte des Projektes. Hierzu gehören auch Projekte und Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Gemeinschaft, wie Kinder- und Kulturarbeit, Ausbildungs- und Alphabethisierungsprogramme sowie die Einrichtung eines Nachbarschaftszentrums. Bis 2004 wurden bereits ein Gesundheitszentrum fertig gestellt, ein altes Schulgebäude restauriert und zwei Minarette rekonstruiert (AKTC, 2005:32ff). Ohne weiter reichende Eingriffe in die soziale und bauliche Struktur des historischen Quartiers wurden die stadttechnische und verkehrliche Infrastruktur verbessert. Kleine Nachbarschaftsplätze werden unter Beteiligung der Anwohner neu gestaltet, nicht zuletzt um das soziale Leben im Quartier zu stärken (Schlösser, 2006:34). Durch einen ständigen Abstimmungsprozess mit den Bewohnern wurden die Bedürfnisse der Einwohner in die Planungsprozesse integriert. Auch bei der Sanierung der Wohnhäuser bildet die jeweils spezifische Situation der Bewohner eine wesentliche Grundlage für die Organisation der erforderlichen Arbeiten (Ifa, 2006:65). Bis 2005 konnten vor allem im Rahmen des Mikrokredit-Programms 19 Häuser für ca. 70 Haushalte renoviert werden. Bis 2008 Der Al-Azhar-Park und die Sanierung in Darb Al-Ahmar 17 sollten 200 Häuser saniert werden. Für die Umsetzung der Sanierungsarbeiten wurden auch die kleinteiligen Familienbetriebe (Schreinereien, Fliesenmacher, Tischler und Lederhersteller) des Quartiers eingebunden. Insgesamt wurden bis Ende 2004 mehr als 3,3 Mio. US-Dollar für die Entwicklung des Quartiers vonseiten der Förderer investiert (Ifa, 2006:66). Derzeitiges Ziel des Aga-Khan-Trusts ist es, die Sanierung einer „kritischen Masse von 25 % der Bausubstanz“ zu erreichen, verbunden mit der Erwartung, dass damit ein selbstlaufender Erneuerungsprozess entsteht (El-Mikawi u. a., 2007). Wesentliche Erfolge der dargestellten Projekte des Aga Khan Trust for Culture in Kairo haben sich durch die Verknüpfung der verschiedenen Projekte eingestellt. Mit dem Bau des Al-AzharParks hat der Bereich wieder eine gesamtstädtische Bedeutung und einen Anziehungspunkt erhalten. Gleichzeitig mit dieser Attraktivitätssteigerung des Stadtbereiches konnte auch in dem angrenzenden Altstadtquartier Darb Al-Ahmar eine Aufbruchsstimmung erzeugt werden, die auch dadurch befördert wurde, dass an den Bauarbeiten zur Parkanlage ca. 400 Arbeiter, die überwiegend aus Darb Al-Ahmar kommen, beteiligt waren und heute von den ca. 250 Personen, die im Park mit seinen zwei großen Restaurantbetrieben beschäftigt sind, 35 % aus den angrenzenden Quartieren kommen. Ebenso hat die Sanierung der ayyubidischen Stadtmauer sowie die Sanierung wichtiger weiterer baulicher Monumente, wie der Umm-As-SultanShaaban-Moschee und des Khayer-BekKomplexes wesentliche Impulse für die Beschäftigung und Ausbildung der Bevölkerung hervorgebracht. Bei den Restaurierungsmaßnahmen der ayyubidischen Stadtmauer sind ca. 200 Personen aus dem Quartier beschäftigt. Aber nicht nur diese großen Vorzeigeoder Impulsprojekte tragen den Erfolg der Erneuerungsmaßnahmen. Genauso wichtig sind die in der Tiefe der Stadtfelder gelegenen kleinen Erneuerungsprojekte privater Wohnhäuser und der Nachbarschaftsplätze. Gerade diese zeigen, dass die Maßnahmen der infrastrukturellen Verbesserung und die Projekte zur Stärkung der sozialen Gemeinschaft sowie die ernsthafte Beteiligung der Anwohner zu einer Annahme der Entwicklungstätigkeit durch die lokalen Akteure geführt hat. Bereits heute wird im Quartier eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bewohner und eine Produktivitätssteigerung der lokalen Betriebe festgestellt (Schlösser, 2006:36). Auch wenn diese Erneuerungsprojekte in Kairo nur einen kleineren Teil der islamischen Altstadt, Abb. 9: Downtown Kairo, Sharia Al-Azhar (eigenes Foto) 18 Der Al-Azhar-Park und die Sanierung in Darb Al-Ahmar nicht aber die großen Altstadtbereiche des Khedivien-Kairo umfassen, sind sie für die Erneuerung der Altstadt insgesamt ein bedeutender Impuls. Hier wird gezeigt, welche bauliche und sozioökonomische Qualität Erneuerungsmaßnahmen entfalten können und in welcher Weise bestehende soziale und wirtschaftliche Strukturen genutzt und entwickelt werden können, um eine integrierte Entwicklung herbeizuführen. Gemeinschaftsaufgabe Stadterneuerung Trotz des Bedeutungsverlustes und des schlechten baulichen Zustandes der Altstadt ist diese der einzige Stadtbereich von Großkairo, der für alle Bevölkerungsteile sowohl hinsichtlich des alltäglichen Lebens als auch bezogen auf besondere Ereignisse einen besonderen Bezugsort darstellt. Die fortschreitende Polarisierung der Stadtentwicklung mit einer Konzentration ärmerer Bevölkerungsschichten in der Innenstadt und der angrenzenden informellen Siedlungen gefährdet diese bedeutende Rolle der Altstadt jedoch zusehends. Verschiedene Initiativen und Projekte der letzten Dekaden zeigen, dass die Gefahr eines Verlustes des Weltkulturerbes der islamisch arabischen Altstadt und des Khedivien-Kairos des modernen Ägyptens des 19. Jahrhunderts erkannt wurde. Genannt sei hier das Konzept zur Sanierung der gesamten Altstadt im Rahmen des „United Nations Development Program“ 1997, welches Grundlage für ein seit dem Jahr 2000 verfolgtes Programm des ägyptischen Kulturministeriums wurde, nach dem mehr als 80 Einzelbauwerke saniert und für Besucher zugänglich gemacht werden sollten (Mayer, 2001:1001). Auch zahlreiche nationale und internationale Institutionen setzen sich für den Erhalt und die Sanierung der Baudenkmäler in Kairo ein. „[...] save the Cairo‘s magnificent buildings and its downtown architectural glory from further decay“ war eine Schwerpunktforderung der vom British Council am 23. Mai 2007 veranstalteten Versammlung zur Entwicklung von Downtown Cairo (Serageldin, 2007). Ein durchgreifendes Konzept zur Erneuerung der gesamten Altstadt, nicht nur im Sinne des bauhistorischen Wertes, sondern auch als lebendiger Stadtraum für Kairener und Besucher, ist bisher jedoch nicht erkennbar. Das Beispiel der Entwicklungs- und Erneuerungsprojekte des Aga Khan Trust for Culture zeigt jedoch, in welche Richtung eine Erneuerungsstrategie Abb. 10: Al-Azhar Park Ayyubidische Stadtmauer und Darb AI-Ahmar Quartier (eigenes Foto) Gemeinschaftsaufgabe Stadterneuerung 19 für die Altstadt gehen kann. Aus der integrativen Vorgehensweise innerhalb des Projektverbundes der Anlage des Al-Azhar-Parks, der Restaurierung der ayyubidischen Stadtmauer und der Erneuerung des Darb-Al-Ahmar-Quartiers kann ein Entwicklungsansatz abgeleitet werden, indem punktuelle, objektbezogene Investitions- und Impulsprojekte über die Erneuerung wichtiger verbindender öffentlicher Räume miteinander verbunden werden. Ausgehend von solchen „Konzentrationsachsen“ könnte sodann die Stadterneuerung in die Fläche der Stadtfelder und damit in die eher alltäglichen Quartiere oder Baubereiche ausgedehnt werden. Mit anderen Worten: Orte mit besonderer Bedeutung und die Verbindungen zwischen diesen Orten als Initial erneuern und gleichzeitig für die angrenzenden Bereiche Programme starten, um an der initiierten Entwicklung teilzuhaben und diese auch für die Entwicklung der eigenen Nachbarschaft zu nutzen und anzueignen – eine solche Strategie kann jedoch nur aufgehen, wenn diese auf viele Beine gestellt wird. Dies ist auch aus dem Grunde erforderlich, dass die Kairener Stadtverwaltung bisher nicht in der Lage war, einen integrierten und komplexen Erneuerungsprozess durchzuführen – d. h. nationale und internationale Institutionen sowie lokale Initiativen, Interessens- und Bewohnergruppen sollten beteiligt werden. Dabei sollte die Entwicklungstätigkeit nicht auf bauliche Maßnahmen beschränkt werden, sondern auch kulturelle, soziale und ökonomische Entwicklungstätigkeiten umfassen. In der Stadtentwicklung nimmt die ägyptische Stadt und die Kairener Stadtverwaltung eine immer weniger wichtige Rolle ein. Die Bevölkerung ist jedoch trainiert darauf, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dieses Potential der Selbstorganisation kann auch gezielt für die Stadterneuerung aktiviert werden. Lehrreich hierfür können auch die Erfahrungen mit der Aufwertung der informellen Siedlungen in Kairo sein. Auch hier wird in verschiedenen Projekten eine Aufwertung der miserablen Lebensbedingungen durch die Einbindung und Aktivierung der Bewohner und Gewerbetreibenden initiiert. Gerade in den informellen Siedlungen 20 Gemeinschaftsaufgabe Stadterneuerung ist die Mentalität der Selbstorganisation die Basis jeder Entwicklung. Die Aktivierung und Nutzung bestehender sozialer und ökonomischer Netzwerke für die Entwicklung der Altstadt ist eine der großen Herausforderungen für die Stadterneuerung. Dies befreit den Staat jedoch nicht von der großen Aufgabe, die Infrastruktur und die öffentlichen Räume zu erneuern und die dramatischen Verkehrsprobleme besser in den Griff zu bekommen. Der „bottom up“- Entwicklungsansatz, wie er mit Einschränkungen in Darb Al-Ahmar praktiziert wird, wird nicht ausreichen, um die Altstadt als Gesamtensemble und wichtigen Bezugsort aller gesellschaftlichen Gruppen der Megacity Großkairo zu erneuern. Wichtig ist auch, dass die nationale und die Kairener Politik die Erneuerung der Altstadt als eine Priorität der Stadtentwicklung erkennen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Die gewaltige Dimension der Aufgabe, die Altstadt von Kairo zu erneuern, übersteigt die lokalen und nationalen Möglichkeiten. Hier sollte sich auch die internationale Gemeinschaft mehr als bisher mit verantwortlich zeigen, erstens, da hier einmalige historische Werte liegen, zweitens, da die sozioökonomischen und baulichen Strukturen hier ein Zusammengehen von Orient und Okzident repräsentieren und drittens, da eine weitere soziale und kulturelle Polarisierung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Kairo eine weitere Gefahr für den sozialen Frieden in Kairo und Ägypten beinhaltet. Die Erneuerung der Altstadt von Kairo könnte ein Beispiel für einen Austausch und ein gemeinsames Miteinander einer höchst heterogenen Stadtgesellschaft und damit auch eines gemeinsamen Identifikations- und Repräsentationsortes sein. Nicht nur soziale, politische und bauliche Gründe erfordern eine Erneuerung der Altstadt, auch wirtschaftliche Aspekte sprechen in einem Land, das erheblich vom internationalen Tourismus abhängig ist, und einer Hauptstadt, die wesentliches Gewicht in der Region hat, für eine angemessene Erhaltung und Erneuerung der kulturhistorisch so wertvollen Altstadt. Literatur ABDEL-KARIM SALHEEN, Mohamed (2006): Kairo im 20. Jahrhundert. ln: IFA (Hg.): Stadtansichten Kairo. Bauen und Planen für Übermorgen. Ausstellungskatalog ifa-Galerie. Stuttgart, S.41-56 AGYPTISCHES STATISTISCHES AMT DER ARABISCHEN REPUBLIK AGYPTEN (1996): Generalerhebung der Bevölkerung und Wohnungsbau, 1960, 1966, 1976 und 1986. In: Habashi, Mamdouh: Kairo, eine Metropole zwischen Glanz und Elend. Kairo/Berlin AGA KHAN DEVELOPMENT NETWORK (AKDN) (2008): Homepage. 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