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Blickpunkt Integration
Aktueller Informationsdienst zur Integrationsarbeit in Deutschland
Thema im Fokus
Verbesserung: Anerkennung ausländischer Abschlüsse
Integrationslandschaft Deutschland
Gewinnerin: Von der Millionsten zur Millionärin
Veranstaltungen
Mutmacher: Nürnberger Tage für Integration
1/2012
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Blickpunkt Integration erscheint in einem neuen Gewand:
frischer, übersichtlicher, attraktiver – das sind die Schlagwor­
te des optischen Relaunch. In einem bewährten Themenmix
möchten wir inhaltliche Schwerpunkte auch grafisch noch
ansprechender präsentieren. Dabei setzen wir unter anderem
auf einen klar strukturierten Aufbau, Bildstrecken sowie groß­
formatige Fotos und grafische Elemente. Über Rückmeldun­
gen von Ihnen als Leserinnen und Leser freuen wir uns.
Nun zum Schwerpunktthema dieser Ausgabe: von A wie
Arzt bis Z wie Zweiradmechaniker – so buchstabiert sich
das neue ABC, das Anerkennungs-ABC des Arbeitsmarktes.
Denn Deutschland braucht mehr Fachkräfte und will sich
daher auch verstärkt qualifizierten Zuwanderern öffnen.
Viele Deutsche und nach Deutschland Zugewanderte haben
in anderen Ländern gute berufliche Qualifikationen und
Abschlüsse erworben, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt
dringend gebraucht werden.
Oft haperte es bislang daran, dass diese Abschlüsse nicht
anerkannt wurden. Ein wichtiger Meilenstein zur Verbesse­
rung der Situation ist das so genannte Anerkennungsgesetz,
das am 1. April in Kraft getreten ist. Es soll die Verfahren
vereinfachen und beschleunigen, Transparenz schaffen und
zugleich ein Zeichen der Wertschätzung und ein Signal für
Integration setzen.
Diese Ausgabe des Blickpunktes Integration widmet sich
daher dem Schwerpunkt Anerkennung von im Ausland er­
worbenen Abschlüssen. Wir beleuchten das Thema aus ver­
schiedenen Blickwinkeln und stellen Beratungsangebote
vor, die Licht bringen in den „Anerkennungsdschungel“: ein
neues Informationsportal des Bundes, eine zentrale Hot­
line und Fach- und Beratungsstellen innerhalb des bundes­
weiten Netzwerkes „Integration durch Qualifizierung“. Die
Forschungsgruppe des Bundesamtes berichtet unter dem
Schlagwort „Wissen im Gepäck“ außerdem über Potenziale
von Migranten. Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette
Schavan äußert sich im Interview zu Aspekten von A wie An­
erkennungsgesetz bis Z wie Zuwanderungsland.
Zuwanderung als Chance begreifen – so lautet das Er­
folgsmotto. Ich wünsche Ihnen eine rundum unterhaltsame
Lektüre – von A bis Z!
Claudia Möbus,
Redaktionsleitung
Impressum
Blickpunkt Integration 1/2012
Herausgeber
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Referat 313, Informationzentrum Integration,
Bürgerservice
90343 Nürnberg
Tel:
+49 (0) 911 943-5313
Fax:
+49 (0) 911 943-5007
E-Mail: [email protected]
Internet: www.bamf.de
Layout
KonzeptQuartier ® GmbH
Melli-Beese-Straße 19, 90768 Fürth
Redaktion
Claudia Möbus (verantwortliche Leiterin)
Auflage
10 000 Exemplare
Schlussredaktion
Marianne Lotter-Keim
Die Artikel von Gastautorinnen und Gastautoren drücken
deren persönliche Meinung aus und müssen nicht den
Positionen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
entsprechen.
Bildredaktion
Robert Ullinger, Marianne Lotter-Keim
Druck
Bonifatius GmbH Druck–Buch–Verlag
Karl-Schurz-Str. 26, 33100 Paderborn
Titelcollage
KonzeptQuartier ® GmbH, iStockphoto / Pamela Moore
Inhalt
6
Thema im Fokus
„Eine Frage des Respekts“ .................................................................................... 4
Die Drähte laufen heiß ............................................................................................ 6
Per Mausklick zur richtigen Ansprechperson
...................................
7
Ein Zahnrad im Netzwerk .................................................................................... 8
Berufliche Ressourcen erkennen und anerkennen
Wissen im Gepäck
16
......................
...................................................................................................
9
10
Aktuelles aus dem Bundesamt
Mit einem Dreiklang zum Erfolg
..............................................................
11
Ihre Vielfalt ist ihre Stärke ............................................................................... 12
............................................
14
....................................................................................................
16
Von der „Millionsten“ zur „Millionärin“
Wir-sind-bund.de
Integrationslandschaft Deutschland
Zuwanderung stärkt jüdisches Leben
22
.....................................................
18
Bevor der Streit eskaliert: Kulturdolmetscher
vermitteln ......................................................................................................................... 19
1:0 für die Integration: Kooperation für beide Seiten
ein Gewinn ..................................................................................................................... 20
Vielfalt in Einklang .................................................................................................. 21
Gladiator kämpft für gutes Deutsch ........................................................... 22
..................................................................
23
.......................................................................
24
Frau Sueles Gefühl für Sprache
Willkommenskultur konkret
Veranstaltungen
26
Austausch für Bildungshungrige und Ausbilder .......................... 25
Der Erfolg ist bunt ...................................................................................................... 26
Impressionen von den 3. Nürnberger Tagen für
Integration ........................................................................................................................ 28
Vielfalt muss präsenter werden – Qualifikation muss
Priorität haben ............................................................................................................ 30
Literaturhinweise
„Kein schönes Land in dieser Zeit“ ............................................................ 31
© Laurence Chaperon, BMBF
Einfacher, transparenter, schneller
Anerkennung ausländischer Abschlüsse
Seit dem 1. April 2012 soll ein neues
Bundesgesetz mit dem komplizierten
Titel „Gesetz zur Verbesserung der Fest­
stellung und Anerkennung im Ausland
erworbener Berufsqualifikationen (Be­
rufsqualifikationsfeststellungsgesetz –
BQFG) die bisher unübersichtlichen und
gleichfalls komplizierten Verfahren zur
Anerkennung ausländischer Berufsab­
schlüsse vereinfachen.
Damit hat nun jeder, der im Ausland
einen Berufsabschluss erworben hat, ei­
nen Rechtsanspruch darauf, seine Quali­
fikation auf Gleichwertigkeit mit einem
in Deutschland anerkannten Abschluss
überprüfen zu lassen.Während früher sol­
che Verfahren sehr lange dauern konnten
oder auch gar nicht durchgeführt wurden,
müssen nunmehr die zuständigen Aner­
kennungsstellen nach einer Übergangs­
frist ab dem 1. Dezember 2012 innerhalb
von drei Monaten entscheiden, ob der
ausländische Berufsabschluss dem deut­
schen Abschluss ganz, in Teilen oder nicht
entspricht. Neu ist, dass Anträge auch aus
dem Ausland gestellt werden können.
Als Eingangstür für viele Ratsuchen­
de ist die bundesweite Hotline zur Aner­
kennung ausländischer Berufsabschlüs­
se beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge ein wichtiger Wegweiser und
damit zugleich ein Erfolgsfaktor dafür,
dass das Anerkennungsgesetz seine Wir­
kung entfalten kann.
Zu den Zielen des Gesetzes und der
Rolle der Hotline hat die Redaktion des
Blickpunktes Integration ein Interview
mit Prof. Dr. Annette Schavan, Bundes­
ministerin für Bildung und Forschung,
geführt.
Erwin Schindler, Gruppenleiter Integration
Prof. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für
Bildung und Forschung
4
Thema im Fokus
„Eine Frage des Respekts“
Interview mit Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung
Welche Rolle spielt das Anerken­
nungsgesetz des Bundes für die Inte­
gration in Deutschland?
Das Anerkennungsgesetz ist ein Meilen­
stein in der Integrationspolitik: Jeder, der
hier lebt, erhält die Chance, sich mit allen
seinen Fähigkeiten einzubringen. Der
Arzt, der bisher als Taxifahrer sein Geld
verdienen musste, kann jetzt endlich als
Arzt praktizieren. Wir können erwarten,
dass er sich stärker mit unserem Land
identifizieren wird als bisher. Und Integ­
ration fällt umso leichter, je mehr Identi­
fikation mit der sogenannten Mehrheits­
gesellschaft vorhanden ist. Für mich ist
das auch eine Frage der Gerechtigkeit und
des Respekts vor der Qualifikation eines
Menschen. Und ich bin überzeugt: Wer
auf diese Weise Anerkennung erfährt,
wird eher bereit sein, sich einzubringen,
also: sich zu integrieren.
Welche Bedeutung hat die TelefonHotline des Bundesamtes für die Um­
setzung des Gesetzes?
Mit der Hotline schaffen wir erstmals eine
zentrale Anlaufstelle für alle, die ihren
im Ausland erworbenen Abschluss auf
Gleichwertigkeit prüfen lassen möchten.
Hier erfährt jeder, der seinen Abschluss
anerkennen lassen möchte, wohin er sich
wenden muss und welche Unterlagen für
sein Verfahren nötig sind. Damit hat die
Hotline eine ganz zentrale Funktion bei
der Umsetzung des Gesetzes, da sie Über­
sichtlichkeit schafft, Hilfestellung gibt
und damit für den Erfolg des Gesetzes
unabdingbar ist.
Was muss noch passieren, damit das
Gesetz auch langfristig ein voller Er­
folg wird?
Die Bundesregierung hat das Gesetz auf
den Weg gebracht, es ist am 1. April in
Kraft getreten und die ersten Anerken­
nungsbescheide konnten bereits über­
reicht werden. Auch die Länder sind da­
bei, ihre Gesetzgebung anzupassen. Bald
wird es dann auch für die Berufe ein
Recht auf ein Anerkennungsverfahren
geben, die in der Zuständigkeit der Bun­
desländer liegen.
Was muss geschehen, damit Deutsch­
land eine „Willkommenskultur“ für
Neuzuwanderer entwickelt?
In Zeiten einer schrumpfenden Bevölke­
rung gilt mehr denn je, dass wir Zuwan-
derung als Chance begreifen müssen –
und nicht als Bedrohung. Das heißt aber
auch: Wir alle müssen offen sein für den
Dialog mit anderen Kulturen und Religi­
onen. So fördern wir beispielsweise die
Etablierung von islamischer Theologie
an vier Universitäten in Deutschland, da­
mit dort islamische Religionslehrer und
Imame für die hiesigen muslimischen
Gemeinden nach wissenschaftlichen
Kriterien ausgebildet werden können.
Wie sieht das Zuwanderungsland
Deutschland in 10 Jahren aus?
Wenn wir erfolgreiche Integrations­
politik betreiben, und davon gehe ich
aus, wird die Frage, ob jemand eine Zu­
wanderungsgeschichte hat oder nicht,
eine immer geringere Rolle spielen. Es
kommt darauf an, dass wir, die wir in
Deutschland leben, uns zu den Grundwerten unserer Demokratie bekennen
und am gesellschaftlichen Leben teilha­
ben – und nicht darauf, woher die Eltern
oder Großeltern stammen.
Interview: Claudia Möbus, Referat Informations­
zentrum Integration, Bürgerservice
Potenzielle Zielgruppe – Schätzung
Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung
Inländerpotential
285 000 potenzielle Antragsteller des neuen Gesetzes
— 16 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in
Deutschland (20 % der Bevölkerung)
— 16 000 (Fach-)Hochschulabschlüsse
— Erwerbsquote der Personen mit Migrationshintergrund:
69 % zu 78 % bei Personen ohne Migrationshintergrund
— 246 000 Lehre oder sonstiger berufsqualifizierender
Abschluss
— 2,9 Mio. Personen mit beruflichen Auslandsquali­
fikationen
(Datenbasis Mikrozensus 2008)
— 23 000 Meister-/Techniker-Fachschulabschlüsse
5
Thema im Fokus
Die Drähte laufen heiß
Erfolgreicher Start für Hotline zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse
© Robert Drews / BAMF
Mehr als 3000 Anrufe in den ersten sechs Wochen: Mit dieser
beachtlichen Resonanz ist die bundesweit zentrale Hotline zur
Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse im Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge gestartet.
„Ich habe Medizin in China studiert und möchte als Ärztin in
Deutschland arbeiten – was muss ich dafür tun?“, fragt eine Chi­
nesin am Telefon eine der Beraterinnen in der Service-Hotline
des Bundesamtes. Seit einigen Jahren schon lebt die Anruferin in
Nordrhein-Westfalen und arbeitet dort als Heilpraktikerin. Nun
hofft sie, dass das Anerkennungsgesetz des Bundes für sie neue
Chancen bringt. Die 43-Jährige ist eine von mehr als 3000 Ratsu­
chenden aus dem In- und Ausland, die sich seit dem Start der Hot­
line zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse am 2. April
über das Verfahren und die Voraussetzungen informiert haben.
„Um in Deutschland uneingeschränkt als Ärztin arbeiten zu
können, brauchen Sie eine staatliche Zulassung – die Approbati­
on“, lautet zunächst die Auskunft von Hotline-Mitarbeiterin Kris­
tin Gawantka. Die Telefon-Hotline, die vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung gefördert wird, bietet unter der Num­
mer +49 30 1815-1111 montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr eine
Erstberatung zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüs­
se an – auch auf Englisch.
Die Beratung kann auch schriftlich in Anspruch genommen
werden – beispielsweise über ein Kontaktformular im Internet:
www.bamf.de/beruf-anerkennung. Außerdem stellt das Bundes­
amt Flyer in mehreren Sprachen zur Verfügung, die über das An­
erkennungsverfahren, einzureichende Unterlagen oder die Dauer
des Verfahrens informieren. „Die Hotline wird sehr gut angenom­
men – das Interesse ist groß“, betont der Präsident des Bundes­
amtes, Dr. Manfred Schmidt. „Wir tragen damit ganz praktisch zu
einer Willkommens- und Anerkennungskultur für Zuwanderer
bei und füllen sie mit Leben.“
„Der erste Anrufer überhaupt war ein Maschinenbautechni­
ker aus Kroatien“, erzählt Stefanie Bächler vom Hotline-Team.
Von seinem Berufsprofil her bestätigt er einen ersten Trend in der
Telefonberatung: es rufen vor allem Personen mit Abschlüssen in
technischen Berufen an sowie Personen aus Gesundheitsberu­
fen – sowohl Ärzte als auch Krankenpfleger – und Lehrer. „Viele
erkundigen sich auch gleich wegen ihrer Aufenthaltserlaubnis
oder haben Fragen zum Visum und Sprachkursen in Deutsch­
land“, erzählt Brigitte Kodera, die wie ihre Kolleginnen aus dem
Bürgerservice Integration die Anerkennungs-Hotline unterstützt
und gerade in diesen Fragen auf einen großen Erfahrungsschatz
zurückgreifen kann.
Die Anrufer leben zum Teil noch im Ausland und möchten
von dort aus eine Prüfung ihrer ausländischen Berufsqualifikati­
on erreichen, andere leben und arbeiten schon seit einigen Jahren
in Deutschland – wenn auch teils nicht entsprechend ihrer Quali­
fikation. Schätzungsweise bis zu 300000 Arbeitskräfte in Deutsch­
land könnten von dem Gesetz profitieren. Vielleicht auch die chi­
nesische Heilpraktikerin aus Nordrhein-Westfalen: „Ich wünsche
Ihnen noch viel Erfolg!“, sagt Kristin Gawantka zum Abschluss des
Telefonates und widmet sich gleich dem nächsten Anrufer.
Claudia Möbus,
Referat Informationszentrum Integration,
Bürgerservice
Bei Fragen zur Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses beraten die Mitarbeiter der Hotline kompetent und engagiert (von links):
Brigitte Kodera, Cindy Hamann, Manuel Welke, Kristin Gawantka, Jana Fischer, Jenny Baumbach, Stefanie Bächler, Ulrike Nitzschke, Gabriele Höllriegl,
Tina Schich, Olga Vlachou
6
Thema im Fokus
Fokus
Per Mausklick zur richtigen
Ansprechperson
Neues Online-Portal des Bundes hilft bei Suche nach Stellen für
berufliche Anerkennung
Amina lebt seit ein paar Jahren in Neuss und möchte wissen,
ob ihre iranische Krankenschwesterausbildung in Deutsch­
land anerkannt werden kann. Doch sie hat noch nicht in
Erfahrung bringen können, an wen sie sich mit ihrem Anlie­
gen wenden soll. „Bisher hatte ich echte Schwierigkeiten, im
deutschen Behörden-Dschungel die für mich richtige Stelle
herauszufinden“, sagt die junge Frau. Seit Ende März gibt es
ein neues Informationsportal des Bundes zum Anerken­
nungsgesetz, kurz Anerkennungsportal genannt, das genau
hier Unterstützung anbietet. Die Website anerkennung-in­
deutschland.de leitet Interessierte mit einem digitalen Weg­
weiser an die für ihren Berufsabschluss zuständige Stelle und
bündelt alle aktuellen Informationen zur Anerkennung von
ausländischen Berufsqualifikationen.
In Deutschland gibt es keine zentrale Stelle, die für die An­
erkennung aller ausländischen Berufsabschlüsse zuständig
ist. „Das ist einerseits natürlich gut für die Bürgerinnen und
Bürger, weil Wege dadurch verkürzt werden. Andererseits ha­
ben wir dadurch auch ein recht komplexes System an Zustän­
digkeiten, das von außen nicht leicht zu durchschauen ist“,
erläutert Claudia Moravek vom Bundesinstitut für Berufsbil­
dung (BIBB) und Projektleiterin des Portals „Anerkennung in
Deutschland“. Hier setzt die neue Website an. Auf dem Portal
„Anerkennung in Deutschland“ bekommen Menschen wie
Amina Auskunft darüber, ob, wie und bei wem ihre auslän­
dische Berufsqualifikation in Deutschland anerkannt werden
kann. Dies gilt genauso für Fachkräfte im Ausland, die zum
Arbeiten nach Deutschland kommen wollen.
Amina macht den Praxis-Test. In dem Service-Tool „An­
erkennungs-Finder“ wird sie nach ihrem Referenzberuf und
dem gewünschten Arbeitsort gefragt. Mit Hilfe einer Schlag­
wortsuche findet Amina den deutschen Beruf „Gesundheits­
und Krankenpflegerin“. Nach wenigen Klicks gibt das System
die zuständige Stelle in ihrem Bundesland mit Mail und Te­
lefonnummer aus, in Aminas Fall ist es die Bezirksregierung
Düsseldorf. Außerdem kann sie sich alle wichtigen Informa­
tionen zum Ablauf und zu ihrem Anerkennungsverfahren
ausdrucken.
Neben dem „Anerkennungs-Finder“ hält das Portal zahl­
reiche Hintergrundinfos und nützliche Tipps zum Anerken­
nungsverfahren bereit. Im Mittelpunkt steht dabei der Service
rund um die berufliche Anerkennung. Damit ist das Portal
auch eine wichtige Unterstützung und Informationsquelle
für Beraterinnen und Berater bei Fragen zur beruflichen An­
erkennung. Aber auch für die Anerkennung von Schul- und
Studienabschlüssen finden sich auf den Seiten, die seit Kur­
zem auch in Englisch verfügbar sind, Informationen und An­
laufstellen. Herausgeber von „Anerkennung in Deutschland“
ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) im Auftrag des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Das BiBB
hat die dem Portal zugrundeliegende Berufe-Datenbank in
Kooperation mit der Zentralstelle für ausländisches Bil­
dungswesen (ZAB) und der Bundesagentur für Arbeit erstellt.
Gefördert wird das Portal im Rahmen des Förderprogramms
„Integration durch Qualifizierung – IQ“, das vom Bundesmi­
nisterium für Arbeit und Soziales, dem Bundesministerium
für Bildung und Forschung und der Bundesagentur für Ar­
beit getragen wird.
Mehr Informationen unter:
www.anerkennung-in-deutschland.de
Johanna Elsässer,
Bundesinstitut für Berufsbildung
7
Thema im Fokus
Ein Zahnrad im Netzwerk
Fachstelle „Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse“ koordiniert Akteure
8
stellt, was eine bessere Orientierung in der Beratungslandschaft ermöglicht.
In Zusammenarbeit mit den Regionalen Netzwerken entwickelt und erprobt die Fachstelle „Anerkennung“ darüber
hinaus Materialien zur Unterstützung und zur Qualitätssicherung der Beratungsarbeit. Aufbauend auf den Erfahrungen der Regionalen Netzwerke ist vor allem auch der Transfer
guter Praxis ein zentrales Anliegen der Fachstelle.
Durch verschiedene Veranstaltungsformate, wie die IQFachgruppe „Anerkennung“ oder bundesweite Fachtagungen, unterstützt sie den fachlichen Austausch zwischen den
verschiedenen Akteuren der Anerkennungsberatung. Die
Erkenntnisse werden in Handlungsleitfäden, Good PracticeBroschüren, Dossiers und Schulungsmaterialien zusammengefasst und den beteiligten Akteuren zur Verfügung gestellt.
Neben Unterstützungsleistungen für die Praxis vor Ort
übernimmt die Fachstelle auch Beratungsaufgaben für politische Entscheidungsträger. Sie identifiziert Forschungs- und
Entwicklungsbedarf im Bereich der Anerkennungsberatung
und erarbeitet Handlungsempfehlungen für Politik und
Wirtschaft.
Im Netzwerk ziehen alle Akteure an einem Strang, um
den Anerkennungsprozess und Beratungsangebote für alle
Anerkennungssuchenden transparent zu machen und zu
optimieren.
Weitere Informationen über das Netzwerk IQ sowie die
Arbeit der Fachstelle „Anerkennung“ finden Sie unter:
www.netzwerk-iq.de und www.fachstelle-anerkennung.de
© Forschungsinstitut
Betriebliche Bildung
Das Ziel: Orientierung bieten. Der Weg: Koordinieren und ver­
netzen. Das Mittel: Unterstützung. Mit diesen Stichwörtern
lässt sich die Arbeit der so genannten Fachstelle „Anerken­
nung ausländischer Berufsabschlüsse“ am Forschungsinsti­
tut Betriebliche Bildung (f-bb) in Nürnberg grob skizzieren –
für den Blickpunkt Integration gibt dieses „Zahnrad im Netz­
werk“ einen tieferen Einblick in seine Aufgaben.
Das Fundament, auf dem die Fachstelle aufbaut, ist das
Netzwerk „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ – geför­
dert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die
Bundesagentur für Arbeit. Es hat zum Ziel, die Arbeitsmarkt­
integration von Menschen mit Migrationshintergrund zu
verbessern. Dabei arbeiten verschiedene Akteure Hand in
Hand: 16 Regionale Netzwerke mit bisher 30 IQ-Anlaufstel­
len zur Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund,
fünf deutschlandweit agierende Fachstellen und eine Koordi­
nierungsstelle.
Ein zentrales Handlungsfeld des Netzwerks IQ ist die An­
erkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen.
Diesem Themenbereich widmet sich die Fachstelle „Aner­
kennung“, die am f-bb angesiedelt ist.
Zentrale Aufgabe der Fachstelle ist es, die IQ-Netzwerke
beim Aufbau regionaler Beratungsstrukturen und der Ver­
netzung regional ansässiger Beratungsakteure zu begleiten
und zu unterstützen. Die Beratung vor Ort ist häufig vielfältig
und unübersichtlich: In den einzelnen Regionen beraten ganz
verschiedene Institutionen Anerkennungssuchende und auf
Anfrage auch Multiplikatoren in unterschiedlicher Tiefe. Da­
bei unterscheiden sich Gegenstand, Kontext, Reichweite und
Medien der Beratung.
Mit dem Ziel, die Schnittstellen der regional vorhande­
nen Informations- und Beratungsangebote transparent zu
machen, erarbeitete die Fachstelle ein Konzept: Aufgaben
und Beratungsinhalte der IQ-Anlaufstellen werden darin
in Abgrenzung zu weiteren Beratungseinrichtungen darge­
Ariane Baderschneider, Dr. Kinga Bogyó-Löffler, Michaela Grau,
Forschungsinstitut Betriebliche Bildung
© IQ Netzwerk Sachsen-Anhalt
Wichtiger Startimpuls für IQ: Die Landestagung zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse in Magdeburg
Berufliche Ressourcen erkennen
und anerkennen
Das Netzwerk IQ Sachsen-Anhalt will Arbeitsmarktpolitik mitgestalten
Das Anerkennungsgesetz entfaltet regional seine Wirkung – in
ganz unterschiedlichen Facetten und in ganz unterschiedlicher
Intensität. Stellvertretend für eine Vielzahl anderer und ähnli­
cher Initiativen werfen wir einen Blick nach Sachsen-Anhalt.
Dort ist das von vier Trägern initiierte Netzwerk IQ SachsenAnhalt – „Servicestelle Arbeitsmarktintegration“ ein wichtiger
Meilenstein auf dem Weg zu einer gelingenden Integration.
Das Netzwerk IQ Sachsen-Anhalt arbeitet in der ersten
Projektphase bis Ende 2012 in einem länderübergreifenden
Verbundprojekt mit Mecklenburg-Vorpommern zusammen.
Die Servicestelle „Arbeitsmarktintegration“ hat sich an zwei
Standorten, Magdeburg und Halle, mit den Arbeitsberei­
chen „Berufliche Anerkennung“ und „Interkulturelle Qua­
lifizierung“ etabliert. Träger des Projekts sind die Auslands­
gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V., SPI Soziale Stadt und Land
Entwicklungsgesellschaft mbH, die Jugendwerkstatt „Frohe
Zukunft“ Halle - Saalekreis e.V. und der Caritasverband für das
Bistum Magdeburg e.V. Die Landeskoordination hat die Caritas
übernommen. Gefördert werden die Projekte im Rahmen des
Bundesprogramms „Integration durch Qualifizierung (IQ)“.
Über Integrationsnetzwerke in den Landkreisen und kreis­
freien Städten und deren Gremien konnten und können vor
allem Migrationsdienste, Jobcenter, Arbeitsagenturen und Mi­
grantenorganisationen über die Ziele des Bundesprogramms
informiert werden.
Immer mehr Migranten und Arbeitsmarktakteure nut­
zen die Unterstützungsleistungen der Servicestellen – diese
informieren und beraten zu Anerkennungsverfahren und ar­
beiten am Ausbau der Prozesskette (von der Information bis
zum Arbeitsplatz), um die Arbeitsmarktintegration in Sach­
sen-Anhalt effizienter und nachhaltiger zu gestalten.
Der Aufklärungsbedarf und das Interesse am Anerken­
nungsgesetz des Bundes sind groß. Kooperationspartner des
Projekts unterstützen tatkräftig das Netzwerk IQ. Beispielhaft
zu nennen sind die Regionaldirektion der Bundesagentur
Sachsen-Anhalt/Thüringen, die seit dem Projektstart unter
anderem den direkten Zugang zu den Entscheidungsträgern
der Jobcenter und Arbeitsagenturen unterstützt, oder der
Landesintegrationsbeirat, der durch die AG Anerkennung
eine fachpolitische Arbeitsebene bietet.
Weitere wichtige Partner sind das Bündnis für Zuwande­
rung und Integration, das mit dem Netzwerk IQ einen landes­
weit agierenden Arbeitstisch Arbeitsmarkt initiiert, die Mar­
tin-Luther-Universität Halle/Wittenberg mit Forschung zum
Thema Demografie und Zuwanderung und die Regionalstelle
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Chemnitz –
hier spielen insbesondere Möglichkeiten der Verzahnung von
Integrationsangeboten, wie den ESF-BAMF-Kursen zum be­
rufsbezogenen Deutschlernen und der Migrationsberatung
für Erwachsene, eine Rolle.
Monika Schwenke,
Landeskoordinatorin Netzwerk IQ Sachsen-Anhalt
9
Thema im Fokus
Wissen im Gepäck
© iStockphoto.com/kristian sekulic
Forscher untersuchen Potenziale von Migranten
Wer kommt, wer bleibt, was bringen Migranten mit? Diesen
Fragen widmet sich auch die Forschergruppe des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge. Zunächst ein Blick auf die Zah­
len: 2010 sind 127 000 Menschen mehr nach Deutschland zuge­
zogen als abgewandert. Die Krise in Griechenland und Spanien
führte zu verstärkten Zuzügen aus dieser Region. Insgesamt
236 740 Beschäftigte sind aus den EU-8-Ländern, deren Arbeit­
nehmer seit dem 1. Mai 2011 volle Freizügigkeit auch in Bezug
auf Deutschland genießen, zugezogen. Darunter vor allem Ar­
beitskräfte aus Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik.
Die spezifische Kompetenz von Migranten besteht in der
Regel in sehr guten Kenntnissen einer zweiten Sprache, mit
der eine gezielte Kundenansprache möglich ist und neue
Marktsegmente entwickelt und vertieft werden können. Hin­
zu kommen eine interkulturelle Sensibilität und kulturspezi­
fische Kompetenzen, die sprachliche und kulturelle Barrieren
überwinden helfen. Zuwanderung führt zu Internationalisie­
rung, zu Kontakten in die Herkunftsländer der Zuwanderer
und zu einer Erleichterung des Exportgeschäftes, weil Märkte
gut eingeschätzt werden können.
Die Vielfalt an Erfahrungen, Sichtweisen und Arbeitsstilen
bei Zuwanderern treibt Experten zufolge einen Ideengenerie­
10
rungsprozess an und ermöglicht unterschiedliche Herange­
hensweisen an Probleme, neue Sichtweisen, Veränderung von
Abläufen und Prozessen.
Bei einem Forschertag des Bundesamtes wurde auch be­
tont, dass diese Heterogenität als Voraussetzung für Kreativität,
Innovation und Forschung erforderlich sei und sehr geschätzt
werde. Die von dem Wirtschaftsökonom Joseph A. Schumpeter
einst beschriebene „kreative Zerstörung“ werde gerade auch
durch Migranten angetrieben, da sie eher als die Ansässigen
die angestammten Verfahren, Verhaltensweisen, Produkte und
Dienstleistungen in Frage stellen und überwinden und an de­
ren Stelle etwas Neues setzen wollen.
Der Anteil von Arbeitsmigranten mit guter Qualifikation
sei in Deutschland im internationalen Vergleich hoch, hieß es.
Zudem erhöht Untersuchungen zufolge eine qualifikationso­
rientierte Einwanderungspolitik den Anteil Hochqualifizierter
signifikant, ohne das Volumen der Zuwanderung zu beeinflus­
sen. Auch die Einführung der „Blauen Karte“ in Deutschland
gehe in diese Richtung.
Dr. Hans Dietrich von Loeffelholz,
Forschungsfeld III, Wirtschaftswissenschaftliche Zusammenhänge
© VHS Delmenhorst
Aktuelles aus dem Bundesamt
Mit einem
Dreiklang zum
Erfolg
Berufsbezogene Deutschkurse als
Sprungbrett in den Arbeitsmarkt – Die Er­
folgsgeschichte zweier Teilnehmerinnen
Adama Fall
Sie alle haben ein Ziel: sie möchten besser Deutsch lernen und
auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. Für rund 55 000 Migrantin­
nen und Migranten ist dieser Wunsch dank großen Lerneifers
und eines guten Qualifizierungskonzepts schon in Erfüllung
gegangen. Sie haben an einem der berufsbezogenen Sprach­
kurse – den so genannten ESF-BAMF-Kursen – teilgenom­
men. Die Kurse, die vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und
vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisiert
werden, verbinden berufssprachliche Förderung mit fachspezi­
fischem Unterricht und einem Praktikum. Dieser „Dreiklang“
ist in vielen Fällen das Erfolgsrezept: Die Teilnehmer schaffen
den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt, in Ausbildung oder in
allgemeine Weiterbildungsmaßnahmen. Auch für Regina Lindt
und Adama Fall waren sie die Basis für den Start ins Berufsleben:
Regina Lindt: Von der Schulbank direkt ins Büro
Für sie bedeutete der Kurs die Wende: Als die 34-jährige Regina
Lindt die Chance erhielt, an einem ESF-BAMF-Kurs zur berufsbe­
zogenen Sprachförderung teilzunehmen, wurde aus dem Traum
vom Job endlich Wirklichkeit. Die studierte Betriebswirtschaftle­
rin aus Russland, deren Diplom auch in Deutschland anerkannt
wurde, wollte vor allem ihre Sprachkenntnisse verbessern.„Besser
auf der Schulbank sitzen als auf der Couch“, sagte sie sich und war
mit viel Lerneifer im Kurs dabei. Der Kursträger, ein regionaler Bil­
dungsdienstleister, bemerkte rasch, welch großes kaufmännisches
Regina Lindt
Potenzial in der Teilnehmerin steckte. Im obligatorischen Kurs­
praktikum gab Regina Lindt dann so richtig Gas und überzeugte
auf der ganzen Linie: das Unternehmen stellte sie kurzentschlos­
sen ein. Heute ist Regina Lindt laut ihrem Arbeitgeber ein unver­
zichtbarer Bestandteil des Mitarbeiter-Teams und überzeugt in
ihrer Arbeit als Buchhalterin und Projektmanagerin.
Adama Fall: Unter 200 Bewerbern durchgesetzt
„Als ich mit einem Integrationskurs bei der VHS Delmenhorst
begann, konnte ich nur Guʼn Tag sagen“, erzählt Adama Fall. Die
junge Frau aus dem Senegal nutzte den ganzen Spielraum an
Lernmöglichkeiten, den der Integrationskurs bietet, schrieb mit
Begeisterung Texte und redete ohne Scheu. So konnte sie nach
acht Monaten die B1- Prüfung im Integrationskurs ohne Mühe
bestehen und sich für eine Ausbildung anmelden.
Ein Jahr später folgte dann die Fortsetzung: der ESF-BAMFKurs, an dem sie „unbedingt mitmachen und so weiterkommen
wollte“. Die Frau mit dem sympathischen Lächeln war eine von
20 Teilnehmern, die hoch motiviert und zielgerichtet die Chance
nutzen wollten, für ihre berufliche Zukunft vorzusorgen. Adama
Fall habe sogar eigene Lernstrategien entwickelt und die Messlat­
te immer höher gelegt, berichteten die Lehrkräfte in dem Projekt.
Sie suchte sich schließlich selbst einen Praktikumsplatz in einem
Labor und arbeitete sich in vier Wochen erfolgreich in neue Ar­
beitsfelder ein. Das Engagement wurde belohnt: Nach dem Kurs
bekam sie einen Ausbildungsplatz als Kauffrau für Bürokommu­
nikation und setzte sich dabei gegen 200 weitere Bewerber durch.
Der Kontakt zu den Dozenten von einst blieb erhalten: „Jedes
Mal, wenn sie sich bei uns meldet, erzählt sie begeistert von ihrem
Berufsalltag“, sagt Marietta Anne Binner-Ehsan von der VHS Del­
menhorst. Und was sagt Adama Fall selbst? „Ohne diesen beson­
deren Kurs hätte ich das alles niemals geschafft!“
© LOESERnet.com GmbH
Nähere Informationen zu den ESF-BAMF-Kursen unter
www.bamf.de
Norbert Boldt / Michael Helbig,
ESF-Außendienstmitarbeiter
11
Aktuelles aus dem Bundesamt
Ihre Vielfalt ist
ihre Stärke
© Marion Vogel
Integrationskurse: Hohe Nachfrage und
steigende Erfolgsquote
Viele Länder, eine Sprache: Im Integrationskurs lernen derzeit Menschen aus rund 100 verschiedenen Nationen die deutsche Sprache und erfahren etwas über Deutschland,
seine Kultur und Geschichte.
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Aktuelles aus dem Bundesamt
„Mein herzlicher Glückwunsch geht an die erfolgreichen
Absolventen. Sie haben mit ihrer Leistung einen ent­
scheidenden Schritt zur erfolgreichen und nachhaltigen
Integration in Deutschland gemacht. “
Dr. Manfred Schmidt, Präsident Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Mit einem Plus an Teilnehmern und mehr erfolgreichen Ab­
schlüssen schreiben die Integrationskurse ihre Erfolgsgeschich­
te fort. Die Zahl der Prüfungsteilnehmer, die den Kurs auf dem
Sprachniveau B1 erfolgreich abschließen, ist von rund 50% in
2010 auf 56% im zweiten Halbjahr 2011 gestiegen. Mit dem er­
worbenen Sprachtestzertifikat können die Inhaber ihre Sprach­
kenntnisse im Einbürgerungsverfahren nachweisen.Alle anderen
Teilnehmer konnten zumindest ihre Sprachkenntnisse verbes­
sern. Insgesamt erreichten rund 92% der Teilnehmer in den Prü­
fungen mindestens das Sprachniveau A2.
Rund 100000 Zuwanderinnen und Zuwanderer haben im Jahr
2011 einen Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge begonnen. Dies sind rund 10 % mehr als im Vorjahr.
Einen Zuwachs gab es insbesondere bei Bürgern aus den Mitglied­
staaten der Europäischen Union – hier macht sich zum einen die
Freizügigkeit für Bürger der neu beigetretenen Mitgliedstaaten
bemerkbar, zum anderen nehmen viele Bürger aus Südeuropa an
den Integrationskursen teil.
Im Sprachkurs und einem anschließenden Orientierungskurs
lernen derzeit Menschen aus rund 100 verschiedenen Ländern, die
auf Dauer hier leben möchten, die deutsche Sprache und erwer­
ben Basiskenntnisse über Deutschland. „Diese Vielfalt ist gerade
eine Stärke der Integrationskurse“, betont Dr. Manfred Schmidt,
Präsident des Bundesamts. „Mein herzlicher Glückwunsch geht
an die erfolgreichen Absolventen. Sie haben mit ihrer Leistung
einen entscheidenden Schritt zur erfolgreichen und nachhalti­
gen Integration in Deutschland gemacht. Die Prüfungsergebnisse
zeigen zudem, dass das Angebot der Integrationskurse qualitativ
hochwertig ist. Das Bundesamt möchte diesen erfolgreichen Weg
mit allen Beteiligten weitergehen“, unterstreicht er weiter.
Die Integrationskurse werden von mehr als 1300 Trägern im
gesamten Bundesgebiet angeboten: darunter vor allem Volks­
hochschulen, Sprach- und Fachschulen, Bildungsstätten oder
kirchliche Träger.
Das ist neu bei den Integrationskursen
Zum 1. März ist eine neue Verordnung zu den Integrations­
kursen in Kraft getreten – hier die wichtigsten Änderungen
im Überblick:
— Wiederholungsmöglichkeit von 300 Stunden für alle
Teilnehmer – unabhängig vom erreichten Sprachniveau im
Abschlusstest
— Erhöhte Anforderungen an Qualität und Zuverlässigkeit
der Kursträger: Mindestpunktzahl bei Bewertung für
Zulassung nötig
— Nur noch ein Test für zwei Nachweise ab dem 1. April
2013: wer den Test „Leben in Deutschland“ besteht, kann
damit das Wissen für den erfolgreichen Abschluss des
Orientierungskurses nachweisen und gleichzeitig die er­
foderlichen Kenntnisse für eine Einbürgerung
— Höhere Anforderungen an das Prüfpersonal
Andrea Ohm / Dr. Markus Richter,
Referat Steuerung der Integrationskurse
13
Aktuelles aus dem Bundesamt
Von der „Millionsten“ zur
„Millionärin“
BILD-Zeitung kürt Integrationskursteilnehmerin zur Gewinnerin des Tages
Die italienische Künstlerin und Wahlberlinerin Maria Lucrezia Schiavarelli erhielt vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die millionste Teilnahmeberechtigung für
den Integrationskurs. Das war der BILD-Zeitung sogar eine Meldung auf der Titelseite
wert – sie kürte die 32-Jährige zur „Gewinnerin des Tages“ und kommentierte: „BILD
meint: Herzlich willkommen!“ Im Interview spricht die Italienerin über ihre Erlebnisse
in Deutschland, ihre Arbeit als Künstlerin und die Bedeutung von Sprache.
einfach Glück! Ich hatte die Zeitung
bisher noch nie gekauft, aber natür­
lich oft am Kiosk gesehen. Als ich die
Ausgabe mit der kurzen Meldung über
mich und mit meinem Foto im Integ­
rationskurs zeigte, waren alle erstaunt
und zugleich amüsiert. Von dem Tag
an war ich nicht mehr Maria Lucrezia,
© Michael Weiss, Berlin Bezirksamt Mitte
Frau Schiavarelli, die BILD machte Sie
zur „Gewinnerin des Tages“ auf ihrer Titelseite. Wie haben Sie und Ihre
Klasse darauf reagiert?
Als ich hörte, dass die „BILD” mich
auf ihre Titelseite bringen wollte, fand
ich das sehr lustig, schließlich hatte
ich nichts Besonderes getan. Ich hatte
Herzlich willkommen! Der Präsident des Bundesamtes, Dr. Manfred Schmidt, gratulierte
persönlich der millionsten Teilnahmeberechtigten, Maria Lucrezia Schiavarelli.
14
„die Einmillionste“. Jeder nannte mich
seitdem „the Millionaire!“, worauf ich
wiederum erwiderte: „Ich bin ‚Millio­
naire‘ – aber ohne Geld!“
Sie leben seit Juni letzten Jahres in
Berlin. Weshalb entschieden Sie sich
für einen Umzug von Italien nach
Deutschland?
Berlin ist für mich die wichtigste Stadt
Europas, was zeitgenössische Kunst
angeht. Zugleich ist sie eine sehr inte­
ressante Stadt, reich an Geschichte und
Möglichkeiten.
Ich bin hierher gezogen, um neue
Eindrücke und Kontakte zu erhalten.
Ich wollte mich aber auch mit einer
mir fremden Realität umgeben. Ich
war immer schon der Meinung, dass es
sehr wichtig ist, die Sprache des Lan­
des zu lernen, in dem man lebt. Selbst
dann, wenn man dort auch ganz gut
auf Englisch zurechtkommt, wie viele
es auch tun in Berlin. Allerdings kann
man nur mit Kenntnissen der Lan­
dessprache die andere Kultur und die
Leute wirklich kennen lernen. Deshalb
habe ich mich auch entschieden, an ei­
nem Integrationskurs teilzunehmen.
Welche Herausforderung bedeutete
dieser Ortswechsel für Sie?
Ich habe nicht nur meine Heimat,
sondern auch einen guten Job verlas­
sen und bin das Risiko eingegangen,
meine Gewohnheiten grundlegend zu
Aktuelles aus dem Bundesamt
„Um eine neue Sprache zu lernen, bedarf es Zeit und Mühen.
Aber nur dadurch kann man tieferes Wissen über die Gedanken­
welt einer Gesellschaft gewinnen.“
verändern. Jeder Wandel beinhaltet
zugleich Verlust wie auch Gewinn.
Die Künstlerin Schiavarelli lebt seit Juni
2011 in Berlin. Hier hat sie ein Studio
gemietet, um weiter an ihren Kunstpro­
jekten zu arbeiten. Zugleich besucht
sie auch einen Integrationskurs an einer
Berliner Volkshochschule. Es ist ihr
erster Auslandsaufenthalt. Lebensmittel­
punkt war seit ihrem 12. Lebensjahr
die norditalienische Stadt Bologna. Hier
absolvierte sie ihr Kunststudium und
arbeitete lange Zeit als Assistentin für ei­
nen Künstler. Die eigenen Werke der
Künstlerin waren bereits mehrfach aus­
gestellt. Auch in den nächsten Monaten
wird die 32-Jährige auf Ausstellungen in
Italien zu sehen sein, unter anderem im
Museum „Galleria Parmeggiani“ im Rah­
men des Festivals „Fotografia Europea
012“ in Reggio Emilia.
Mittlerweile leben Sie nun bereits seit
fast einem Jahr in Berlin – ist die Stadt
schon zu einer neuen Heimat gewor­
den?
Berlin ist tatsächlich eine internati­
onale und multikulturelle Stadt. Al­
lerdings habe ich mich erst dann hier
Zuhause gefühlt, als ich angefangen
habe, Deutsch zu lernen und mich
beispielsweise mit meinem Nachbarn
zu unterhalten.
Eine neue Sprache zu lernen ist eine
Herausforderung in vielerlei Hinsicht.
Welche Erfahrungen haben Sie dabei
gemacht?
Um eine neue Sprache zu lernen, bedarf
es Zeit und Mühen. Aber nur dadurch
kann man tieferes Wissen über die Ge­
dankenwelt einer Gesellschaft gewin­
nen. Als Künstlerin bin ich immer an
dem „warum und wie“ interessiert. Die
Unterschiede wie auch die Beschaffen­
heit in Form und Rhythmik zwischen
Deutsch und Italienisch zu analysieren,
half mir, viele Feinheiten zu erkennen:
sowohl Unterschiede wie auch Ähn­
lichkeiten in unseren Kulturen, die mir
zuvor unbekannt waren.
Das Interview wurde auf Englisch von Rochsana
Soraya geführt, Leitungsstab Bundesamt
Webseite der Künstlerin:
www.marialucreziaschiavarelli.it
Quelle: Bildzeitung 21.01.2012
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Aktuelles aus dem Bundesamt
Wir-sind-bund.de
Neue Homepage informiert über Karrierechancen in der Bundesverwaltung
© KonzeptQuartier
Interkulturelle Öffnung: Die Bundesverwaltung meint es
ernst! Denn hätten Sie es gewusst? Es gibt mehr als 130 Ausbil­
dungsberufe im öffentlichen Dienst, und das Aufgabenspek­
trum ist vielfältig und spannend. Unter dem Motto: „Mach
mit, gestalte Zukunft!“ gibt es nun eine vom Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge in enger Zusammenarbeit mit
dem Bundesminsterium des Innern entwickelte Homepage,
die sich an Jugendliche und Berufseinsteiger mit und ohne
Migrationshintergrund wendet. In peppiger Aufmachung
werden zahlreiche Tipps zu Berufswahl, Zugangsvorausset­
zungen zum öffentlichen Dienst, Berufsbeschreibungen und
Bewerbungsverfahren gegeben. Besonders attraktiv ist die ta­
16
gesaktuelle Veröffentlichung von freien Ausbildungsplätzen
bei Verwaltungen in ganz Deutschland.
Tipps für Jugendliche und Berufseinsteiger
Ziel der Homepage www.wir-sind-bund.de ist es vor allem,
Jugendliche und Berufseinsteiger für eine Tätigkeit im öf­
fentlichen Dienst zu interessieren. Oft gibt es Vorurteile
gegenüber Behörden – und viele junge Menschen kommen
gar nicht auf die Idee, dass eine Ausbildung im öffentlichen
Dienst auch für sie etwas sein könnte. Dabei gibt es neben
den klassischen Büroberufen auch viele andere Möglichkei­
ten, sich in der Verwaltung ausbilden zu lassen. Das Spek­
© Thomas Geiger
Aktuelles aus dem Bundesamt
Polizistin, Köchin, Sport- und Fitnesskaufmann: Die Bundesverwaltung bietet mehr als 130 Ausbildungsberufe an.
„Eltern, Lehrer und Behörden sind weitere Zielgruppen, an
die die Seite sich richtet. Eltern sind der entscheidende Faktor
bei der Berufswahl ihrer Kinder.“
Felizitas Graute, Personalqualifizierung Bundesamt
trum reicht von den Geomatikern über die Kfz-Serviceme­
chaniker bis hin zu den Sport- und Fitnesskaufleuten oder
auch einem Studium an der bundeseigenen Fachhochschu­
le. Stöbern doch auch Sie einmal in der Rubrik „Welche Be­
rufe gibt’s?“.
Eltern und Lehrer entscheiden mit bei der Berufswahl
der Kinder
Eltern, Lehrer und Behörden sind weitere Zielgruppen, an die
die Seite sich richtet. Eltern sind der entscheidende Faktor bei
der Berufswahl ihrer Kinder. Mit Blick auf die Menschen, die
nicht in Deutschland aufgewachsen sind und denen daher
das deutsche Bildungssystem nicht vertraut ist, werden in der
Elternrubrik zahlreiche Informationen gegeben. Dieser Teil
der Seite wird zudem in verschiedenen Übersetzungen ange­
boten, aktuell in türkischer, russischer, serbischer und engli­
scher Sprache. Weitere Sprachen sind in Planung.
Auch Lehrer haben Einfluss auf die Berufswünsche ihrer
Schülerinnen und Schüler. Sie können die Seite für beispiels­
weise die Vorbereitung einer Projektwoche zur Berufsorien­
tierung nutzen: es stehen Unterrichtsmaterialien, Checklis­
ten und viele Veranstaltungstipps bereit.
Hilfestellung für die Einstellungsbehörden
Nicht zuletzt wendet sich die Seite www.wir-sind-bund.de
auch an die Behörden selbst. Es steht ein Leitfaden zur Be­
rufsausbildung bereit, vor allem aber werden wichtige Infor­
mationen zu den ausländerrechtlichen Voraussetzungen für
eine Einstellung im öffentlichen Dienst gegeben. Denn nicht
immer ist ein deutscher Pass für eine Beschäftigung in der
Verwaltung zwingend erforderlich.
Die Bundesverwaltung benötigt das Potenzial junger
Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, um ihre
vielfältigen Aufgaben wahrnehmen zu können. Schauen Sie
sich die Seite an und überzeugen Sie sich selbst!
Felizitas Graute / Elisabeth Alescio,
Referat Personalqualifizierung
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Integrationslandschaft Deutschland
3 Fragen – 3 Antworten
© Robert Ullinger / BAMF
Zuwanderung stärkt
jüdisches Leben
Interview mit Michael Rosenbach, Gruppenleiter für Integrations­
förderung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Im Zuge des Aufnahmeverfahrens für
jüdische Zuwanderer aus der ehema­
ligen Sowjetunion sind im vergange­
nen Jahr rund 1000 Menschen nach
Deutschland eingereist. Weitere 300
haben einen Neuantrag beim Bun­
desamt für Migration und Flüchtlinge
gestellt. Vor einigen Jahren noch ging
man von mehr Zuwanderern aus – wie
ist diese Entwicklung zu erklären?
In den zurückliegenden Jahren ist die
jüdische Zuwanderung erheblich zu­
rückgegangen. Sind vor 2004 noch
rund 15 000 Personen pro Jahr einge­
reist, hat sich die Zuwanderung in den
letzten drei Jahren bei jährlich etwa
1000 Personen stabilisiert. Im Jahr 2005
wurde die Neuregelung des Verfahrens
durch die Beschlüsse der Ständigen
Konferenz der Innenminister und -se­
natoren festgelegt, die 2007 in Kraft
trat. Ursprünglich hatte die Aufnah­
me neben der Stärkung des jüdischen
Lebens in Deutschland vornehmlich
humanitäre Aspekte und Familienzu­
sammenführung im Blick. Heute ist
ein wesentliches zusätzliches Ziel die
Steuerung der Zuwanderung unter Be­
18
rücksichtigung der Integrationsmög­
lichkeiten.
Diesem Ziel dienen Aufnahmevo­
raussetzungen wie eine positive Inte­
grationsprognose, Grundkenntnisse
der deutschen Sprache sowie die Auf­
nahmemöglichkeit in einer jüdischen
Gemeinde. Wie sich diese Neurege­
lungen auf die Zahl der Antragsteller
auswirken würde, war nicht prognos­
tizierbar. Die Anzahl der Einreisenden
blieb in den ersten Jahren der Neu­
regelung auch keinesfalls konstant:
Reisten 2005 noch rund 6000 Perso­
nen ein, waren es 2006 nur rund 1000,
2007 wieder 2500.
Welche Gründe gibt es für das sin­
kende Interesse an der Zuwanderung
nach Deutschland?
Zunächst dürfen wir nicht verkennen,
dass sich die Situation in den Her­
kunftsstaaten verändert hat. Die dor­
tigen Entwicklungen haben natürlich
Auswirkungen auf die Entscheidung
des Einzelnen, seine Heimat zu verlas­
sen oder nicht. Eine von Bundesamts­
mitarbeitern in Kiew, Moskau und St.
Petersburg durchgeführte Befragung
hat zudem sehr heterogene Gründe
ermittelt: Das Erlernen der deutschen
Sprache stellt für viele potenzielle Zu­
wanderer eine Hürde dar. Schwierig­
keiten bereitet den Menschen auch
der Nachweis ihrer jüdischen Abstam­
mung. Ein weiterer Grund ist die Sorge
um die Eingliederung in die deutsche
Arbeitswelt.
Welchen Trend erwarten Sie in den
kommenden Monaten und Jahren?
Der Zuzug jüdischer Zuwanderer wird
sich in der nächsten Zeit auf etwas ge­
ringerem Niveau einpendeln. Langfris­
tig entscheidend für die Entwicklung
werden jedoch die allgemeinen Rah­
menbedingungen sein – von der An­
erkennung ausländischer Bildungsab­
schlüsse bis zur Willkommenskultur.
Kurz: Entscheidend ist die Attraktivität
Deutschlands einschließlich seiner jü­
dischen Gemeinden.
Das Interview führte Andrea Mack-Philipp,
Referat Grundsatzangelegenheiten
der Integrationsförderung
Integrationslandschaft Deutschland
Vermitteln, beraten und unterstützen: Die
Kulturdolmetscher aus Wuppertal-Unter­
barmen wollen das interkulturelle Zusam­
menleben in ihrem Stadtteil stärken
Vorbildliches Projekt „Trans-Fähre“ der Caritas Wuppertal verzeichnet Erfolge
Ein Streit wegen lauter Kinder in Nach­
bars Garten, schlechte Stimmung wegen
herumstehender Schuhe im gemeinsa­
men Treppenhaus oder eine Meinungs­
verschiedenheit über ein Projekt am
Arbeitsplatz: „Oft sind es ganz banale
Geschichten – aber wenn man nicht
darüber spricht, dann eskalieren sie“,
sagt Bogumila Sporin vom Caritasver­
band Wuppertal/Solingen. Sie ist eine
von 15 Kulturdolmetscherinnen und
Kulturdolmetschern, die bei Konflikten
vermitteln und beraten – und zwar im­
mer dann, wenn eine unterschiedliche
kulturelle Herkunft der Beteiligten eine
Rolle spielt.
Oft wirkten Sprachprobleme oder
kulturell unterschiedliche Herange­
hensweisen an solche Konflikte ver­
schärfend. „Wenn man etwas nicht
kennt aus einer anderen Kultur, kann
man es nicht respektieren“, sagt Bo­
gumila Sporin. Da sei die Hilfe und das
Wissen der Kulturdolmetscher gefragt –
einige von ihnen arbeiten ehrenamtlich
und werden von hauptamtlichen Kräf­
ten unterstützt; viele haben selbst einen
Migrationshintergrund.
„Trans-Fähre“ nennt sich das gemeinwe­
senorientierte Projekt, das im Rahmen
des Bundesprogramms „Maßnahmen
zur gesellschaftlichen und sozialen In­
tegration von Zuwanderinnen und Zu­
wanderern“ gefördert wird. Den Anlass
bildete ein Konflikt um den Umzug ei­
ner Moschee der Islamischen Gemeinde
Wuppertal e.V. in Wuppertal-Unterbar­
men. Anwohner hatten Vorbehalte und
taten dies durch Demonstrationen und
Beschwerden kund. Dabei habe sich der
Konflikt durch hohe Emotionalität aus­
gezeichnet, so dass eine sachliche, diffe­
renzierte und konstruktive Diskussion
oft nicht mehr möglich gewesen sei,
erzählen Projektbeteiligte.
In einer Mediation wurde der be­
stehende Konflikt zwischen Anwoh­
nern und der Islamischen Gemeinde
schließlich bearbeitet und so weit
geklärt, dass ein „stressfreies Mitein­
ander“ wieder möglich geworden sei.
In diesem Zusammenhang wurden
Multiplikatoren aus dem Stadtteil zu
„Kulturdolmetschern“ ausgebildet, um
den Dialog zu fördern und konkrete
Konflikte zu klären. „Interkulturelles
Zusammenleben ist keine Selbstver­
ständlichkeit, sondern eine ständige
Aufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte
im Stadtteil“, unterstreichen die Pro­
jektverantwortlichen.
DieAufgaben der Kulturdolmetscher
erstrecken sich von der interkulturellen
Konfliktbearbeitung (Einzelberatung
und Klärungsgespräche) über die Un­
terstützung und Beratung von Personen
und Institutionen bei Fragen der trans­
bzw. interkulturellen Verständigung bis
hin zu der Planung und Durchführung
von Aktivitäten zur besseren Verstän­
digung für ein interkulturelles Zusam­
menleben im Stadtteil. Das Projekt be­
inhaltet außerdem eine Jugendgruppe,
die sich auf dem Feld der Kulturpädago­
gik mit verschiedenen kulturellen und
religiösen Herkünften auseinandersetzt
und beispielsweise interkulturelle The­
aterstücke erarbeitet, die im Stadtteil,
aber auch darüber hinaus aufgeführt
werden.
Ricarda Lüttig, Caritasverband Wuppertal/Solingen e.V.
Claudia Möbus, Referat Informationszentrum Inte­
gration, Bürgerservice
19
© Caritasverband Wuppertal / Solingen e.V.
Bevor der Streit eskaliert:
Kulturdolmetscher vermitteln
Integrationslandschaft Deutschland
1:0 für die Integration: Kooperation
für beide Seiten ein Gewinn
Modellprojekte zur verstärkten Partizipation von Migrantenorganisationen
erfolgreich erprobt
Gute Kooperationen können ganz maß­
geblich zur Professionalisierung und
Stärkung von Migrantenorganisationen
beitragen. So lautet ein Ergebnis von 15
Modellprojekten zur verstärkten Parti­
zipation von Migrantenorganisationen,
die das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge über zwei Jahre gefördert hat
und die vor Kurzem endeten.
In den Projekten wurden verschiede­
ne Kooperationsmöglichkeiten zwischen
Migrantenorganisationen und anderen
Trägern – etwa Wohlfahrtsverbänden
oder Trägern der Jugendarbeit – modell­
haft erprobt. Die Bandbreite reichte dabei
von Mentoringprojekten über losere in­
haltliche Kooperationen bis hin zur en­
geren Zusammenarbeit in so genannten
Tandemprojekten, in denen beide Part­
ner gemeinsam den Projektantrag gestal­
tet haben und die geförderte Maßnah­
me zusammen durchführten. „Auf die
Plätze, Projektantrag und los“, hieß etwa
das Motto eines Projektes in Stuttgart.
Ebenso wie die Art der Zusammenarbeit
waren auch die Inhalte weit gefasst: Sie
erstreckten sich auf Stadtteilarbeit, Ge­
sundheits- und Familienberatung, Ju­
gendarbeit, interkulturelle Öffnung oder
die Stärkung des bürgerschaftlichen En­
gagements.
„Die Migrantenorganisationen, be­
sonders kleinere, haben durch die Ko­
operationen viel Selbstsicherheit und
Handlungskompetenz gewonnen“, lautet
ein Fazit der Stadtsoziologin Dr. Inge­
borg Beer, die gemeinsam mit Dr. Jörg
Ernst, Berater für Sozialmanagement,
die Projekte zwei Jahre lang eng beglei­
tet hat. Dazu haben Fortbildungen, bei­
spielsweise zu Projektantragstellung und
-management, Buchführung oder Kom­
munikation, beigetragen, aber auch per­
sönliche Gespräche, thematische Work­
© Forum der Kulturen Stuttgart e.V.
„Auf die Plätze, Projektantrag und los!“, lautete das Motto eines Kooperationsprojekts zwischen dem
Forum der Kulturen Stuttgart und dem Interkulturbüro der Landeshauptstadt. Die beteiligten
Migrantenorganisationen wurden unter anderem darin geschult, einen guten Projektantrag zu stellen.
shops sowie die Beratung durch den er­
fahrenen Kooperationspartner.
„Schön ist, wenn Kooperationen für
beide Seiten ein Gewinn sind“, betont
die Stadtsoziologin. Während die Mig­
rantenorganisationen vor allem von den
Erfahrungen ihrer Partner sowie den
Angeboten zur Professionalisierung und
Qualifizierung profitierten, hatten die
etablierten Träger die Möglichkeit, neue
Zielgruppen zu erschließen und Impulse
für die interkulturelle Öffnung der eige­
nen Strukturen zu erhalten. Dabei zeigte
sich, dass interkulturelle Öffnungspro­
zesse nicht automatisch durch die Ko­
operation mit Migrantenorganisationen
in Gang kommen, sondern systematisch
unterstützt werden müssen.
Insgesamt haben sich die Kooperati­
onsprojekte als Instrument zur Professio­
nalisierung und stärkeren Etablierung von
Migrantenorganisationen bewährt. Die
Migrantenorganisationen haben wichti­
ge Erfahrungen gesammelt, neue Kennt­
nisse und Kompetenzen erworben und
werden in der Öffentlichkeit stärker als
ernstzunehmende Akteure der Integrati­
onsarbeit wahrgenommen. Die Ergebnis­
se und Erfahrungen der Modellprojekte
werden derzeit ausgewertet. Übertragbare
Erkenntnisse zu Kooperationen zwischen
Migrantenorganisationen und anderen
Trägern werden anschließend in Form ei­
ner Abschlusspublikation mit Handlungs­
empfehlungen für interessierte Träger
und Mittelgeber bereitgestellt.
Andrea Mack-Philipp,
Referat Grundsatzangelegenheiten
der Integrationsförderung
20
Integrationslandschaft Deutschland
Vielfalt in Einklang
„Menschlichkeit bedeutet, andere Men­
schen zu respektieren und ihnen ohne
Vorbehalte entgegen zu treten“ oder
„Gemeinsam sind wir eine starke Ge­
sellschaft, eine Einheit“: Dies sind ei­
nige Beispiele der vielen Kommentare,
die die Besucher der Ausstellung im
Rathaus Zwickau „Tag der Menschen­
rechte – Aktives Eintreten für Demo­
kratie“ hinterlassen haben. Die Ausstel­
lung wurde im Rahmen des Projektes
„Vielfalt in Einklang“, das durch das
Bundesministerium des Innern und
dem Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge gefördert wird, vom Ver­
ein „Wir – Gemeinsam in Zwickau e.V.“
gestaltet. Als Wanderausstellung wurde
sie in verschiedenen Bildungseinrich­
tungen in Zwickau präsentiert.
Das Hauptziel des Projektes war und
ist es, den Zusammenhalt aller Men­
schen in einer von kultureller und eth­
nischer Vielfalt geprägten Gesellschaft
zu stärken, eine gleichberechtigte gesell­
schaftliche, politische und wirtschaftli­
che Teilhabe aller zu fördern und über
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlich­
keit und Gewalt aufzuklären. Aufgrund
der Ereignisse um die Terrorzelle in
Zwickau ist nach Ansicht der Initiatoren
eine tiefgehende Auseinandersetzung
damit noch bedeutsamer geworden.
„Es ist nötig, aktive Signale nach au­
ßen zu senden“, sind sich die Projektver­
antwortlichen einig. Denn nur durch
Aufklärung und Handeln sei es möglich,
den Zusammenhalt aller Menschen in
einer Gesellschaft zu stärken. Um die
Ziele des seit 2010 gestarteten Projek­
tes zu erreichen, wurden verschiedene
Informations- und interkulturelle Ver­
anstaltungen, Ausstellungen, Podiums­
diskussionen, Freizeit- und Bildungs­
© Dr. Maryna Opelt
Migrationszentrum engagiert sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt
Humorvoll,kurz, bündig und direkt: Das Theaterstück „Im farbigen Mosaik“ ist eines von vielen
Integrationsprojekten in Zwickau.
angebote sowie internationale Feste
organisiert. Derzeit nutzen monatlich
rund 150 Personen mit und ohne Mi­
grationshintergrund aus etwa 20 Nati­
onen die Angebote des Projektes. Und
ein wichtiges Ziel ist demnach bereits
erreicht: Zwischen Einheimischen und
Zuwanderern sind soziale Verbindungen
entstanden, die in regelmäßigen Treffen
ausgebaut und gestärkt werden.
Um das Projekt noch effektiver und
bekannter zu machen, arbeitet das Pro­
jektteam eng mit anderen Netzwerkund Kooperationspartnern zusammen.
Die Aktivitäten finden nicht nur im Mi­
grationszentrum in Zwickau-Eckersbach
statt, sondern dehnen sich auf das Um­
land von Zwickau aus. Besonders zu er­
wähnen ist hier die Aufführung des The­
aterstückes „Im farbigen Mosaik“, das in
Kooperation mit den Netzwerkpartnern
Integrative Kindertageseinrichtung „Re­
genbogenland“, Grundschule am Schef­
felberg und dem Theater Plauen-Zwi­
ckau inszeniert wurde.
Das Team des Migrationszentrums
Zwickau blickt trotz aller Probleme, die
noch zu lösen sind, optimistisch in die
Zukunft: „Es gibt eine große Bereitschaft
und Offenheit für ein gutes Zusammen­
leben von Einheimischen und Zuwan­
derern in unserem Stadtteil Eckersbach,
der Stadt und des Landkreises Zwickau.“
Ludmila Günther,
Vorsitzende „Wir – Gemeinsam in Zwickau e.V.“
21
Integrationslandschaft Deutschland
© Nadine Rupp
Start der Motivationskampagne mit Schülern und (vorne von links) Schauspieler Ralf Moeller, Bundesinnenminister
Hans-Peter Friedrich und Schulleiterin Gabriele Strehle
Gladiator kämpft für gutes Deutsch
Startschuss für Motivationskampagne zu Integrationskursen für Eltern
Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich hat gemein­
sam mit Schauspieler Ralf Moeller die bundesweite Motivati­
onskampagne „Deutsch lernen – Deutschland kennen lernen“
gestartet. Die Kampagne soll bewirken, dass die Elternintegra­
tionskurse des Bundes noch mehr Resonanz erfahren.
Innenminister Dr. Friedrich erklärte dazu: „Jedes Kind hat
mal eine Frage bei den Hausaufgaben, und jedes Kind tut sich
mal ein wenig schwer in einem Fach. Gerade dann ist es beson­
ders wichtig, dass Eltern da sind, die Hilfestellung geben oder
mit dem Lehrer oder der Lehrerin ins Gespräch kommen. Für
Eltern ohne gute Deutschkenntnisse und ohne Wissen um das
deutsche Bildungssystem ist das häufig eine immense Heraus­
forderung. Wir wollen sie mit den Kursen dabei unterstützen.“
Zur Eröffnung der Motivationskampagne fanden sich an der
Münchner Grundschule Am Hedernfeld rund 150 Kinder, El­
tern, Lehrer und Vertreter aus Politik und Schulverwaltung ein.
Der Veranstaltungsort wurde dabei bewusst ausgewählt: Schon
seit Jahren finden in den Räumen der Grundschule „Am He­
dernfeld“ Deutschkurse für Eltern mit Migrationshintergrund
statt und tragen somit direkt zu ihrer Teilhabe am schulischen
Leben bei, wie Rektorin Gabriele Strehle berichtete.
Der Schauspieler Ralf Moeller („Gladiator“) erzählte den
Kindern von seinen Karriereanfängen in Hollywood in den
22
achtziger Jahren und wie wichtig es dabei war, so schnell und
so gut wie möglich die Sprache des Aufnahmelandes zu ler­
nen: „Ohne Englisch zu lernen, hätte ich es niemals geschafft,
in Hollywood Fuß zu fassen“, betonte er dabei, bevor er daran
ging, die Kinder selbst zu interviewen und sie nach ihrem Fort­
kommen in der Schule, ihren Hobbys und ihren Träumen und
Wünschen zu befragen.
Im Februar sind die Informationsmaterialien der Motivati­
onskampagne „Deutsch lernen, Deutschland kennen lernen –
Schulen machen mit“ an alle Grundschulen in Deutschland
geschickt worden. Sie bestehen aus Hintergrundinformatio­
nen zum Elternintegrationskurs, einem Elternmagazin und
einem Elternbrief in sieben Sprachen und einer DVD, die bei­
spielhaft zeigt, wie Schulen bei der Organisation eines Eltern­
integrationskurses selbst aktiv werden können.
Die von der Zeitbild Stiftung im Auftrag des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge erarbeiteten Materialien stehen
zum Herunterladen unter www.zeitbild.de zur Verfügung oder
können bestellt werden bei der Zeitbild Stiftung.
Jens Reimann,
Referat Fragen der sprachlichen und politischen Bildung, Kurskonzepte
Integrationslandschaft Deutschland
Frau Sueles Gefühl für Sprache
Integrationskurs für blinde und sehbehinderte Migranten
Mpia Suele sitzt vor ihrer Punktschriftmaschine und streicht
fast liebevoll darüber. Sie haben sich gut miteinander arran­
giert. Die kleine Maschine ist ihr Hilfsmittel, um sich auszu­
drücken. Denn Frau Suele ist blind.
Mpia Suele ist 45 Jahre alt und ihr Geburtsland ist die
Demokratische Republik Kongo. Sie lebt seit 16 Jahren in
Deutschland und ist eine der Teilnehmerinnen an einem In­
tegrationskurs für blinde und sehbehinderte Menschen am
Sehzentrum der SFZ Förderzentrum gGmbH in Chemnitz,
den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert.
Mpia Suele ist vor den Kriegen in ihrer Heimat geflüchtet.
Dort hat sie als Lehrerin Französisch und Mathematik unter­
richtet. Eine Zwischenstation in ihrem Leben war auch Tune­
sien. Sie war dort in einer Physiotherapiepraxis tätig. Nun lebt
sie mit ihren zwei Kindern in Chemnitz. Ihre Tochter besucht
die achte Klasse eines Gymnasiums, ihr Sohn die dritte Klas­
se der Grundschule. Seit einem Jahr drückt Mpia Suele nun
selbst wieder die Schulbank – zusammen mit Integrations­
kursteilnehmern aus Russland und dem Irak.
Viermal wöchentlich kommen sie zum Deutschunterricht –
das besondere Angebot für Migranten mit Sehbehinderung
und Blindheit wurde speziell für diese Gruppe konzipiert.
Die Lerngruppe ist klein, das Arbeitstempo der Gruppe
den Lernfortschritten angepasst und die Unterrichtsmateri­
alien wurden und werden von den Lehrerinnen ständig den
Anforderungen der Teilnehmer angepasst. Blinde Menschen
arbeiten beispielsweise mit Punktschrift, Menschen mit Sehbe­
hinderung dagegen kommen mit Schriftvergrößerungen und
guten Kontrasten meist zurecht. Viele Lehrinhalte sind für das
Hören aufbereitet. Außerdem werden viele Inhalte in individu­
eller Betreuung vermittelt. Dadurch seien die Beziehungen zu
den Lehrerinnen auch sehr eng, erzählen die Beteiligten.
„Die vier Lehrerinnen, die die Gruppe betreuen, sind kreativ
und gehen auch neue Wege, um ihren Schülern die deutsche
Sprache zu vermitteln“, betont das Förderzentrum. Ihre Erfolge
geben ihnen Recht: zum Teil konnten anvisierte Sprachprü­
fungen bereits erfolgreich absolviert werden, zum Teil stehen
sie kurz bevor – wie bei Mpia Suele. Die zweifache Mutter
kann sich mittlerweile gut in deutscher Sprache unterhalten
und dadurch viel besser ihren Alltag bewältigen. Sie hat viel
an Selbstbewusstsein gewonnen, kann sie doch Arztbesuche
oder den Gang aufs Amt jetzt allein erledigen.
„Darüber freue ich mich sehr“, sagt Mpia Suele und strahlt
dabei über das ganze Gesicht.
Bald wird der Kurs zu Ende sein, dann werden die Teilneh­
mer wieder ein Stück mehr Teil ihrer neuen Heimat „erspüren“
und in der Gesellschaft aktiver agieren können.
Der Integrationskurs Deutsch für blinde und sehbehin­
derte Migranten wird von der SFZ Förderzentrum gGmbH
außer in Chemnitz auch im Sehzentrum Berlin angeboten.
Informationen sind unter www.sfz-chemnitz.de zu allen An­
geboten zu erhalten.
Cornelia Knorr,
SFZ Förderzentrum gGmbH
23
© SFZ Förderzentrum gGmbH
Die Punktschriftmaschine ist für Mpia Suele im Integrationskurs das
notwendige Hilfsmittel sich auszudrücken.
Integrationslandschaft Deutschland
„Runder Tisch Aufnahmegesellschaft“:
Vorschläge für attraktiveres Deutschland
Der Begriff der „Willkommens- und Anerkennungskultur“ ist in
aller Munde: Deutschland macht sich auf, um für Menschen mit
Migrationshintergrund attraktiver zu werden. Das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge hat dazu zwei Arbeitsgruppen
mit Experten zu den Themenbereichen „Interkulturelle Öffnung
durch Politische Bildung“ und „Willkommenskultur“ eingerich­
tet. Diese erarbeiten ganz praktische Tipps und entwickeln kon­
krete Maßnahmen. Präsident Dr. Manfred Schmidt: „Wir müssen
endlich von der Theorie zur Praxis kommen. Das wird uns mit
diesen Ideen gelingen.“
Die Experten der Arbeitsgruppe „Willkommenskultur“ schla­
gen vor, Kooperationen der am Einwanderungsprozess beteiligten
Akteure zu verbessern und die gesetzlichen Rahmenbedingungen
für die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland zu überprüfen.
Außerdem werden Empfehlungen ausgesprochen, wie ein prag­
matischer Umgang mit ethnisch-kultureller Vielfalt in der Gesell­
schaft fest verankert werden kann.Alle Empfehlungen werden vor
ihrer Veröffentlichung einem „Praxis-Check“ unterzogen.
— Bereits im Heimatland sollen Zuwanderer mit individuellen
und bedarfsgerechten Informationen zu Einreise, Aufenthalt
und Leben in Deutschland versorgt werden. Dazu sollen Pro­
jekte zur „Vorintegration“ stärker standardisiert und mit dem
Integrationskurs und dem Orientierungskurs in Deutschland
verknüpft werden. Das Bundesamt wird hier gemeinsam mit
Fachleuten ein tragfähiges Konzept vorlegen.
— Bei der Einreise soll für Neuzuwanderer und ihre Familien
möglichst ein „Willkommen aus einer Hand“ erreicht werden.
Dazu plant das Bundesamt unter anderem ein großes Modell­
projekt, das Ausländerbehörden auf ihrem Weg zu „Willkom­
mensbehörden“ unterstützen soll. In diesem Zusammenhang
entwickelt die Expertengruppe auch Vorschläge, wie kommu­
nale Ausländer- und Meldebehörden, Migrationsberatung und
soziale Dienste effektiv und kundenfreundlich zusammenar­
beiten können.
— Auch Wirtschaftsunternehmen, Kammern und Verbände spie­
len bei der Verankerung einer „Willkommens- und Anerken­
nungskultur“ eine bedeutende Rolle: So könnten beispiels­
weise „Migrationsberater“ dabei helfen, Informationsdefizite
bei der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland herab­
zusetzen und den Einreise- und Integrationsprozess der neu­
24
en Mitarbeiter zusammen mit dem Unternehmen optimal zu
begleiten. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen
sollten von solchen Maßnahmen profitieren. Ein echtes „Will­
kommen“, so die Expertengruppe, muss in jedem Fall auch als
„Willkommen“ für Fachkräfte mit Familien wahrgenommen
werden. Daher sitzen die Fachleute derzeit an Konzepten für
umfangreiche „Welcome Packages“.
In der Phase der langfristigen Etablierung gilt es, verstärkt die
aufnehmende Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Ziel soll sein,
einen selbstverständlichen und pragmatischen Umgang mit kul­
tureller Vielfalt zu erreichen und eine Kultur der Anerkennung
zu fördern. Hierfür muss auf einer individuellen Ebene angesetzt
werden, um Personen direkt anzusprechen, so die Experten der
Arbeitsgruppe „Interkulturelle Öffnung durch politische Bil­
dung“. Für die interkulturelle Öffnung der Aufnahmegesellschaft
werden drei Wege verfolgt:
— Informationen und Kampagnen zur Ansprache einer breiten
Öffentlichkeit: Dabei werden Kampagnen als Türöffner zur po­
litischen Bildung genutzt.
— Weiterentwicklung der bestehenden Fort- und Weiterbil­
dungsangebote im Bereich der politischen Bildung
— Interkulturelle Öffnung von Trägerorganisationen der po­
litischen Bildung: Im Sinne eines Serviceangebotes werden
Handlungsempfehlungen für Träger und Trägerorganisatio­
nen erarbeitet.
Hannes Schammann/Robert Gölz/Nikolas Kretzschmar,
Referat Grundsatzangelegenheiten der Integration und Referat Bundesweites
Integrationsprogramm/Integration durch Bildung
Intensive Diskussionen, kreative Ideen und praxistaugliche Tipps prägen die Expertenrunde des „Runden
Tisches Aufnahmegesellschaft“ im Bundesamt.
© Claudia Möbus / BAMF
Willkommenskultur
konkret
Veranstaltungen
Austausch für Bildungshungrige
und Ausbilder
© Isabell Müller
Bildungsmesse Neckar-Alb – Bundesamt informiert
über berufliche Chancen
Auch der Minister für Finanzen und Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg, Dr. Nils Schmid (2.v.l.), besuchte den Stand des Bundesamtes.
Daneben von links: Lisa Möbus, Viktoria Wunder, Wolfgang Matti
112 Aussteller und ein Thema: in der Listhalle von Reutlingen
drehte sich vor einigen Wochen alles um Aus-, Fort- und Wei­
terbildung. Zum sechsten Mal fand die Bildungsmesse NeckarAlb (binea) statt. Neben Institutionen, wie zum Beispiel der
Handwerkskammer, der Industrie- und Handelskammer, der
Stadtverwaltung Reutlingen, der Bundesagentur für Arbeit
und der Polizei sowie weiterführenden Schulen und Hochschulen,
waren zahlreiche regionale Unternehmen mit ihren Ausbil­
dungsprogrammen und meist auch ihren Lehrlingen vertreten.
Zum dritten Mal beteiligte sich auch das Bundesamt für Mi­
gration und Flüchtlinge an dieser gut besuchten Veranstal­
tung. Die Mitarbeiter der Außenstelle Reutlingen/Eningen
u. A. informierten im Rahmenprogramm zum Einen über die
Aufgaben des Bundesamtes: sie stellten den Ablauf des Asyl­
verfahrens vor und verdeutlichten die Aktivitäten im Bereich
der Integration. Zum Anderen vermittelten sie in lebhaften
persönlichen Gesprächen den vorwiegend jugendlichen Besu­
chern das Berufsbild der/des Fachangestellten für Bürokom­
munikation beim Bundesamt.
Auf besonderes Interesse stießen dabei die speziellen Be­
sonderheiten der Ausbildung in einer Außenstelle des Bun­
desamtes: Grundsätzliche Absolvierung „vor Ort“, Besuch
der Berufsschule in Bonn, dienstbegleitende Unterweisung
in Nürnberg. So zogen die Mitarbeiter des Bundesamtes am
Schluss das Fazit: Es waren zwei interessante Tage – sowohl für
junge Menschen auf der Suche nach ihrer beruflichen Zukunft,
als auch für die Mitarbeiter des Bundesamtes, die ihre Arbeit
vorstellen konnten. Auf Wiedersehen bei der binea 2013 –
dann vermutlich in der neuen Stadthalle in Reutlingen.
Wolfgang Matti,
Regionalkoordinator Außenstelle
Reutlingen/Eningen u.A.
25
Veranstaltungen
Der Erfolg ist bunt
3. Nürnberger Tage für Integration – Mut zur Vielfalt gefordert
Für einen selbstverständlicheren Umgang mit Vielfalt in der Ein­
wanderungsgesellschaft haben Experten der 3. Nürnberger
Tage für Integration im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
geworben. Das klang in beinahe allen Beiträgen bei der Fach­
tagung am 21. Juni an, die auf positive Resonanz bei den rund 220
Teilnehmern aus Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und
Praxis stieß. „Gelebte Vielfalt – von der Realität zur Normalität?“
lautete der Titel in diesem Jahr. Damit stand ein aktuelles Ge­
sellschaftsthema im Mittelpunkt, das Teilnehmer mit und ohne
Migrationshintergrund gemeinsam diskutierten.
für Migration, Flüchtlinge und Integration, Prof. Dr. Maria
Böhmer. Froh sei sie darüber, dass in den letzten Jahren ein
Paradigmenwechsel stattgefunden habe, sagte Böhmer. An­
statt Zuwanderungs- und Integrationsdebatten ausschließ­
lich „problembeladen“ zu führen, richte sich der Fokus nun
stärker auf Potenziale – sowohl der Zuwanderer, als auch
der kulturellen Vielfalt in Deutschland. Die kürzlich durch
ein neues Gesetz verbesserte Anerkennung ausländischer
Berufsabschlüsse nannte Böhmer eine „neue Stufe der In­
tegrationspolitik“.
„Kulturelle Vielfalt bereichert Deutschland“
„Integration durch Leistung“
„Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung,“, betonte der
Präsident des Bundesamtes, Dr. Manfred Schmidt, in sei­
ner Begrüßungsrede. Menschen bewegten sich heute ganz
selbstverständlich zwischen verschiedenen Ländern. Um
das Ziel einer Willkommens- und Anerkennungskultur zu
erreichen, sei dieses Selbstverständnis auch auf nationaler
Ebene im gesellschaftlichen Miteinander nötig.
Unter dem Kerngedanken „Integration durch Leistung“
gab der österreichische Staatssekretär Sebastian Kurz ei­
nen Einblick in die österreichische Integrationspolitik.
„Wir fragen nicht, welchen kulturellen Hintergrund je­
mand hat, sondern was er oder sie in Österreich leisten
und das Land damit voranbringen möchte.“ Leistung dür­
fe eingefordert, müsse jedoch auch möglich gemacht und
schließlich anerkannt werden, unterstrich der 25-Jährige.
Mit Inspirationen aus der deutschen Integrationspolitik
habe man einen eigenen Maßnahmenkatalog entwickelt.
Die Sprachförderung in Österreich konzentriere sich vor
allem auf Neuzuwanderer und junge Migranten. Kurz
berichtete außerdem über das „Dialogforum Islam“, die
Bemühungen um eine Imam-Ausbildung in seinem Land
und über die Integration von Migranten in die ehrenamt­
liche Vereinskultur.
„Vielfalt ist eine Chance.“
„Vielfalt als Chance“ – mit diesem Leitspruch argumentierte
die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung
„Negative Stereotype vermeiden!“
Migrationsforscher und Psycho­
loge Prof. Dr. Haci Halil Uslucan:
„Es gibt einsprachige und mehrsprachi­
ge, aber nicht fremdsprachige Kinder.“
26
Der Migrationsforscher und Psychologe Prof. Dr. Haci Ha­
lil Uslucan warnte vor negativen Stereotypen. „Denn diese
tragen zur Verhinderung erfolgreicher Bildungsteilhabe
von Migranten bei“, sagte der wissenschaftlicher Direktor
der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrations­
forschung. Er bot dem Publikum eine wissenschaftliche
Annäherung an das Thema der Anerkennungskultur und
ermutigte zu einer stärkeren Wertschätzung und Förderung
durch Bezugspersonen. „Begabungen und damit Potenziale
dürfen wir nicht verschenken. Wir müssen sie rechtzeitig
erkennen.“
Veranstaltungen
Österreichs Staatssekretär für
Integration, Sebastian Kurz:
„Es gibt keine Formel für Integration,
sondern viele kleine Schritte, die
zum Ziel führen.“
Gesichter des Erfolgs
„Die Erfolgsgeschichte Integrationskurs hat ein Gesicht“:
So stellte Dr. Schmidt dem Publikum die in Berlin lebende
italienische Künstlerin Maria Lucrezia Schiavarelli vor. Sie
hatte die einmillionste Teilnahmeberechtigung zu den vom
Bundesamt geförderten Integrationskursen erhalten. Dafür
bekam sie ebenso wie weitere „Erfolgs-Gesichter“ ein Ge­
schenk überreicht.
Gabriele Hauser, Abteilungsleiterin im Bundesminis­
terium des Innern, zeichnete einen jungen Migranten mit
einem „Jubliäums-Zertifikat Integrationskurs“ aus: Der in
Kassel lebende und aus Tunesien stammende Ismail Ayoub
Beskri hatte als 500 000. Teilnehmer den „Deutsch-Test für
Zuwanderer“ (DTZ) bestanden. Nach diesem Erfolg wolle er
nun eine Ausbildung bei einem Automobilhersteller oder
ein Lehramtsstudium beginnen und damit auf sein in der
Heimat begonnenes Wirtschaftsstudium aufsetzen, erklärte
der Preisträger stolz und in flüssigem Deutsch.
Gleich alle Teilnehmerinnen eines Kurses der Deutschen
Angestellten-Akademie (DAA) für angehende Pflegerinnen
wurden auf der Bühne für ihr Engamgent im 3333. berufs­
bezogenen Sprachkurs geehrt. Der Kurs ist Teil des ESF­
BAMF-Programmes. Aus der Hand von Bettina Schattat,
Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit
und Soziales, erhielten sie Blumen und Büchergutscheine.
Willkommenskultur – Was steckt hinter dem Begriff?
Um den Begriff Willkommens- und Anerkennungskultur
mit Leben zu füllen, hat das Bundesamt einen „Runden
Tisch“ ins Leben gerufen, dessen zwei Arbeitsgruppen derzeit
regelmäßig tagen. Auch daraus wurden bei den „Nürnberger
Tagen für Integration“ Zwischenergebnisse vorgestellt. Der
Jurist Martin Strunden aus dem sächsischen Innenministe­
rium zeigte ausländerrechtliche Verbesserungen der letzten
Jahre auf. Mit der Einführung der „Blue Card“ befinde sich
Deutschland nunmehr auch rechtlich auf dem Weg zu ei­
nem modernen Einwanderungsland, erläuterte er. „Klugen
Köpfen muss man die Türen öffnen. Ausländerpolitik ist als
Standortkampagne zu verstehen.“
Der in Eritrea geborene Journalist und Referatsleiter bei
der Heinrich-Böll-Stiftung, Mekonnen Meshgena, legte dar,
dass die Entscheidung, als Fachkraft in ein anderes Land aus­
zuwandern, nicht nur von einem guten Job und Gehalt ab­
hinge. „Zuwanderer suchen Anerkennung, Teilhabe und Auf­
stiegschancen – unabhängig von ihrer Ethnie.“ Integration
finde im Alltag statt, und zwar „täglich und undramatisch“.
Jedoch sei es bisher nicht gelungen, Zufälle, die die Integrati­
on beeinflussten, ausreichend zu systematisieren.
Wieviel Normalität steckt schon in unserem Umgang mit
Vielfalt? Darüber diskutierte eine hochkarätige Podiumsrunde. Die Ministerin für Integration des Landes BadenWürttemberg, Bilkay Öney, betonte, es sei wichtig, dass auch
die Mehrheitsbevölkerung bei der Integration Hilfestellung
biete. „Vielfalt ist Reichtum“, unterstrich sie. Fortschritte in
der Förderung der Vielfalt sah auch der Buchautor und An­
walt Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler und resümierte: „Eine
Gesellschaft ohne Vielfalt wäre langweilig.“
Christiane Germann, Leitungsstab Bundesamt
Robert Ullinger, Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice
Die Staatsministerin und Beauf­
tragte der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integ­
ration, Prof. Dr. Maria Böhmer:
„Vielfalt ist eine Chance. Es ist gut,
wenn man in zwei Sprachen daheim
ist. In unserer globalisierten Ar­
beitswelt ist das ein großer Pluspunkt.“
27
Veranstaltungen
Impressionen von den 3. Nürnberger Tagen für Integration
Mekonnen Mesghena,
Referatsleiter bei der
Heinrich-Böll-Stiftung:
„Integration findet im
Alltag statt – ständig und
undramatisch“.
Unterstrich in der abschließenden Podiumsdiskussion, dass Vielfalt Reichtum
sei: die Ministerin für Integration des Landes Baden-Württemberg, Bilkay
Öney. Daneben: Moderator Pitt von Bebenburg
Moderatorin Claudia Möbus
führte durch das Programm.
Als 500 000ster Prüfungsteilnehmer im Integra­
tionskurs erhielt Ismail Ayoub Beskri eine
Anerkennung aus der Hand von Gabriele Hauser,
Abteilungsleiterin im Bundesministerium des
Innern.
Gespannte Blicke: Der Präsident des Bundesamtes, Dr. Manfred Schmidt,
eröffnete die Tagung.
Gruppenbild mit Blumen: In einer Pause hielten Kursteilnehmer den Besuch
im Bundesamt bei einem Fototermin fest.
Fotos (S.26-29): Robert Ullinger / Michael Schmider, BAMF
28
Veranstaltungen
Engagierte Frauen: Die Teilnehmerinnen des 3333. Kurses im ESF-BAMF-Programm freuten sich,
bei der Veranstaltung dabei zu sein.
Intensive Gespräche am Rande
Konzentriert bei der Sache:
Teilnehmer aus Verwaltung,
Wissenschaft und Integrations­
praxis verfolgten die Vorträge
im Großen Konferenzsaal.
Informationen aus erster
Hand: Mitarbeiter aus
dem Bundesamt infor­
mierten über Aufgaben
und neu erschienene
Fachpublikationen.
Vier für die Integration: Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl, General­
konsulin Ece Öztürk-Cil, Integrationsbeauftragte Maria Böhmer und der
Staatssekretär für Integration der Republik Österreich, Sebastian Kurz.
Blumengrüße für besondere Gäste: Teilnehmer
von Sprachkursen wurden für ihre enga­
gierte Teilnahme mit einem Blumenstrauß und
einem Geschenkgutschein geehrt.
29
Veranstaltungen
© Dirk Enters
Vielfalt muss präsenter werden –
Qualifikation muss Priorität haben
Die Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichem Dienst waren sich einig: Interkulturalität ist von großem Vorteil im Arbeitsleben.
Im Bild von links: Cornelia Spohn, Emre Hizli, Nuran Yigit , Prof. Dr. Dorothee Frings, Dr. Axel Kreienbrink, Friedrich Scheerer
Fachleute diskutieren Benachteiligung und Chancen von Muslimen auf dem Arbeitsmarkt
Ist Religion überbewertet? Was hat Reli­
gion mit Potenzialen auf dem Arbeits­
markt zu tun? Mit diesen Fragen hat Dr.
Manfred Schmidt, Präsident des Bun­
desamtes für Migration und Flüchtlinge,
kürzlich die Fachtagung „Muslime und
Arbeitsmarkt: Vielfalt fördern, Potenziale
besser nutzen“ eingeleitet.
Sechs Vorträge aus Wissenschaft, Wirt­
schaft und öffentlichem Dienst sowie
zwei rege Podiumsdiskussionen gaben
Antworten. Schnell und einhellig wur­
de klar: Qualifikation muss Priorität
haben. Ausbildungsabbrüche gilt es zu
verhindern, Sprachkenntnisse müssen
gefördert werden. Denn dies entscheide
primär über Chancen auf dem Arbeits­
markt, wie Dr. Axel Kreienbrink vom
Bundesamt belegte.
Einig waren sich die Experten auch,
dass Fähigkeiten von Menschen mit Mi­
grationshintergrund oft unterbewertet
werden. Um dem zu begegnen, sollten
beispielsweise mehr Menschen mit Mi­
grationshintergrund eingestellt werden,
erklärten die Teilnehmer. Die Verwal­
tung solle ein „Spiegel der Gesellschaft“
sein, hielt Prof. Dr. Hans Hofmann vom
30
Bundesministerium des Innern fest.
„Denn sie bildet die Brücke vom Staat
zum Bürger.“
Eine Maßnahme auf diesem Feld sei
das mehrsprachige Informationsangebot
wir-sind-bund.de (siehe Artikel auf Seite
16). Bei der Qualifikation Einzelner setzt
beispielsweise das Bildungswerk Kreuz­
berg (BWK) in Berlin an. Dort bereitet
man benachteiligte Jugendliche gezielt
auf die Anforderungen in bestimmten
Berufsgruppen vor, etwa bei der Polizei
oder im Bankgewerbe. Ihre Stärken – wie
Zweisprachigkeit – werden anerkannt
und sie sollen lernen, diese nach außen
zu kommunizieren.
Akzeptanzbereitschaft und Offenheit
seien im Umgang mit der Diskussion um
den Islam in Deutschland auf der Seite
der Mehrheitsgesellschaft ebenso nötig
wie Engagement des Einzelnen. Argu­
mentationen, die soziale oder persönli­
che Konflikte auf Religion zurückführen,
seien nicht nur sachlich falsch, sondern
hätten für Muslime in Deutschland bit­
tere Folgen. Dr. Kreienbrink verwies auf
eine Studie der PH Freiburg, in der etwa
40 Prozent kleiner und mittelständischer
Unternehmen in der Region offen dis­
kriminierend seien und die Anstellung
Kopftuch tragender Frauen ausschlössen.
Eingängig schilderte Nuran Yigit
vom Antidiskriminierungsnetzwerk
Berlin-Brandenburg Erfahrungen von
Betroffenen. Zur Erniedrigung käme
Schuld, Scham, Ohnmacht – und dann
der Rückzug.
Dorothee Frings, Professorin für So­
zialrecht an der Hochschule Niederrhein,
machte deutlich: „Religionsfreiheit ist ein
zentrales Persönlichkeitsrecht, verankert
in allen internationalen Menschenrechts­
konventionen und im Grundgesetz. Re­
ligiöse Bindungen sind untrennbar mit
der persönlichen Identität verbunden.“
Wenn Frauen für sich zu dem Schluss
kämen, dass das Kopftuch ein religiöses
Gebot sei, dann sei dies zu respektieren,
sagte Frings. Ausnahmen seien nur zuläs­
sig, wenn betriebliche Abläufe nicht mit
einem religiösen Gebot vereinbar seien.
Und so blieb vor allem ein Eindruck
aus den Podiumsdiskussion und der ge­
samten Fachtagung: Vielfalt muss prä­
senter werden.
Florian Knape,
Referat Religiöse, weltanschauliche und kulturelle
Aspekte der Integration
„Kein schönes Land
in dieser Zeit“
© Gütersloher Verlagshaus
Literaturhinweise
Einblicke in das Innenleben eines
Heimatsuchenden
Mehmet Gürcan Daimagüler
Mehmet Daimagüler träumte davon,
dazuzugehören. Er wollte ein Teil die­
ser Gesellschaft – der deutschen – sein.
Geboren 1968 in Siegen als Sohn eines
Gastarbeiters, studierte er Jura, VWL
und Philosophie. Er war der erste Tür­
kischstämmige, der in den Bundesvor­
stand einer deutschen Partei, der FDP,
gewählt wurde. Er war Berater der
Boston Consulting Group, ist Rechts­
anwalt – und Autor: Als 43-Jähriger
hat er eine Art Zwischenbilanz seines
Lebens gezogen und gewährt einen
Blick in das Innenleben eines Heimat­
suchenden, eines türkischstämmigen
Mannes in Deutschland.
Mehmet Daimagüler ist kritisch,
selbstkritisch – trotz aller Erfolge auf
seinem Bildungs- und Berufsweg sagt
er von sich selbst, er sei gescheitert.
Hürden hatte Mehmet Daimagüler in
seinem Leben viele zu überwinden. Sein
Vater, so schreibt er in seinem Buch
„Kein schönes Land in dieser Zeit – das
Märchen von der gescheiterten Inte­
gration“, sei gewalttätig gewesen, die
Mutter hilflos. Sein Grundschullehrer
wollte ihn wegen anfänglicher Sprach­
probleme auf die Sonderschule schi­
cken, trotz guter Noten bekam er keine
Empfehlung für eine weiterführende
Schule. Im Anschluss an Haupt- und
Realschule machte er dennoch Abitur.
Zum Jurastudium wollte er nach
Bonn ziehen, doch die Suche nach be­
zahlbarem Wohnraum war schwierig.
Nach einem zunächst positiv verlau­
fenem Telefonat wiesen ihn mehrere
Vermieter aber ab, wenn er zur Woh­
nungsbesichtigung kam. Sie hatten of­
fenbar verstanden, er heiße „DaimlerKühler“ – nicht „Daimagüler“.
Während des Studiums wollte er
sich seinen Kommilitonen modisch
anpassen, kaufte sich Slipper, eine kha­
kifarbene Stoffhose und einen Pulli mit
V-Ausschnitt. Um sich sein Studium zu
finanzieren, bewarb er sich bei einem
Verlag und wurde zum Vorstellungs­
gespräch eingeladen. „Wie halten sie es
mit Frauen?“, wurde er gefragt. Er erfuhr,
dass Gleichberechtigung im Verlag sehr
wichtig sei und türkische Männer da­
mit oft Probleme hätten. Die Stelle hat
er nicht bekommen. Einen Job bekam er
aber: beim stellvertretenden FDP-Bun­
desvorsitzenden Gerhart Baum. Als er
einen Hausausweis für den deutschen
Bundestag beantragte, habe der Beamte
überrascht gewirkt, als Mehmet Daima­
güler vor ihm stand, schreibt er.
„Kein schönes Land in dieser Zeit“ ist
ein sehr persönliches Buch, in dem der
Autor seine Erfahrungen mit Deutsch­
land verarbeitet. Das Private ist bei ihm
politisch, das Politische wird privat. Er
erzählt viele kleine Episoden über sei­
nen Alltag – sie alle zeigen vor allem
eine innere Zerrissenheit gegenüber
einem Land, in dem er als „Heimatsu­
chender“ oft vor verschlossenen Türen
und verschlossenen Herzen stand.
Timo Weith,
Freier Autor
31
Anerkennung ausländischer
Berufsabschlüsse
Fachkräfte
Zeugnis
Beratung Ausländische Berufsabschlüsse
Gleichwertigkeitsprüfung
Vorteile transparent Arbeitsmarkt Anerkennungskultur
Hochqualifizierte Ausbildung attraktiv
Qualifikation Integration
Kompetenz
Unterlagen
Anerkennungsgesetz
Zuwanderung Service
+49 30-1815-1111
Hotline
www.bamf.de/beruf-anerkennung