PPP - Adrian Marinescu
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PPP - Adrian Marinescu
14.05.2013 LMU LUDWIGMAXIMILIANSUNIVERSITÄT MÜNCHEN AUSBILDUNGSEINRICHUNG FÜR ORTHODOXE THEOLOGIE PROFESSUR FÜR LITURGIK UND PATROLOGIE MIT ALTER KIRCHENGESCHICHTE AUSBILDUNGSEINRICHTUNG FÜR ORTHODOXE THEOLOGIE Professur für Liturgik und Patrologie mit Alter Kirchengeschichte Einleitung in die Liturgiewissenschaft und in die Hymnographie 3. Die orthodoxe Ikonographie. Sinn und Inhalt Hl. Ap. Johannes, 16. Jh, Temple Gallery, London, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 115. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 1 München, 8. Mai 2013 Folie 2 ÜBERSICHT I. Sinn und Inhalt der orthodoxen Ikone II. Zusammenfassung III. Literatur Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 1 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – der Unterschied zwischen Wandmaletei und Tafelikone liegt ausschließlich in ihrer praktischen Bedeutung (der eigentliche Sinn und die Bedeutung beider = die gleichen) – die Verehrung der Ikonen des Herrn, der Mutter Gottes, der Engel und der Heiligen = ein Dogma des Siebten Ökumenischen Konzils (die Wiederherstellung dieser Verehrung wurde von der Kirche auf dem Konzil von 843 als Triumph der Orthodoxie erklärt) – die Ikone ist eine Sprache der Kirche, die jener der Heiligen Schrift gleicht (Oros des VII. Ökumenischen Konzils) und an die optische Aufnahmefähigkeit des Menschen gerichtet ist; ein Ausdruck des liturgischen Lebens der Kirche und ihrer geistlichen Erfahrung – die Ikone ist Ausdruck der Orthodoxie – kein orthodoxes Kirchengebäude kann ohne Bilder sein, und man kann sich keinen einzigen Ritus ohne Ikone vorstellen – die Ikone ist ein untrennbarer Teil des Kultes – der Inhalt und der Sinn der Ikone und des Gottesdienstes sind die gleichen (dieselbe äußerliche Ausdrucksformen: gleiche Symbolik und gleicher Lakonismus) – die Ikone: Verbindung zwischen der irdischen und der himmlischen Kirche (Vermittler zwischen dem Dargestellten und dem Betenden) – die Ikone ist nicht nur ein Bild, sondern auch eine geistige Realität (= eine lebendige Verbindung zwischen den Heiligen und den Betenden) – während des Gottesdienstes tritt die ganze Versammlung der Gläubigen durch die kirchlichen Gebete und Ikonen in Verbindung mit der himmlischen Kirche, die auf den Wänden und in den Ikonen sichtbar dargestellt ist, und bildet mit ihr ein Ganzes – Ursprung der Ikonen: das „nicht von Händen gemachte“ (ἀχειροποίητος) Bildnis (= Christus selbst) – die Ikone Christi =ein unwiderrufliches Zeugnis der Fleischwerdung Gottes (= das Bildnis einer konkreten historischen Person, die in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Orte gelebt hat) – Ziel und Aufgabe der alttestamentlichen Symbole = die Ankündigung Christi war => Ziel und Aufgabe der christlichen Kunst = Zeugnis abzulegen von der schon geschehenen Erfüllung „des Gesetzes und der Propheten“ und von der göttlichen Offenbarung in der Welt durch die Wiedergabe des Antlitzes des menschgewordenen Gottes Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 3 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – nachdem das Wort Fleisch geworden ist und unter Menschen gelebt hat, muß das Bild nicht mehr symbolisch, sondern unmittelbar das zeigen, was auf Erden und in der Zeit dem Sehen, dem Beschreiben und der Darstellung zugänglich geworden ist – AT: «Kein Mensch wird leben, der Mich sieht» (Ex. 33,20); NT: «Ich sah das menschliche Antlitz Gottes, und meine Seele ist gerettet» (hl. Johannes von Damaskus) – NT: das Wort vom Bilde untrennbar ist (die Offenbarung des Wortes = die Offenbarung des Bildes Gottes) – AT: «Wie wir gehört haben, so sehen wir’s an der Stadt des Herrn Sabaoth» (Ps 47,9); «und der Herr redete mit euch auf dem Berge mitten aus dem Feuer: die Stimme Seiner Worte hörtet ihr; aber keine Gestalt sahet ihr außer der Stimme» (Deut. 4, 12) – NT: die Offenbarung wendet sich an den Menschen nicht mehr nur durch das Gehör, sondern auch durch das Sehvermögen; das, was der Mensch hört, ist hier gleichwertig dem, was er sieht! – «Es soll auch der Anführer des Kampfes, Christus, auf dem Bilde dargestellt werden, der gerühmt sei in den Äonen» (hl. Basilius der Große & hl. Gregor von Nyssa) «Wenn der Unsichtbare, sich mit Fleisch bekleidend, sichtbar wird, dann stelle die Ähnlichkeit des Erschienenen dar. Wenn... der, welcher göttlicher Gestalt ist, die Gestalt des Knechtes angenommen hat (Phil. 2, 6-7), dadurch quantitativ und qualitativ eingeschränkt wurde und sich mit fleischlichem Leibe bekleidete, dann male auf Brettern und stelle zum Schauen den aus, der sichtbar zu werden gewünscht hat ...Die Geburt von der Jungfrau, die Taufe im Jordan, die Verklärung auf dem Tabor... male alles mit Wort und Farbe, in Büchern und auf Brettern» (hl. Johannes von Damaskus, 1. Rede, 8; 3. Rede, 8). – jede Heiligenikone ist auf Christus als Prototyp gegründet (= Bild eines Menschen, in dem Christus «Gestalt gewonnen hat» (Gal. 4, 19), der zu einer lebenden Ikone Gottes wurde) – die Ikone = stets ein historisches Zeugnis einer Offenbarung der göttlichen Vorsehung in der Geschichte und einer konkreten menschlichen Person – die Ikone ist vor allem ein Porträt (darin liegt ihr Hauptsinn) Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 4 2 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – das Bild soll in der Knechtgestalt des Menschensohnes seine göttliche Herrlichkeit zeigen, weil das Bild des Menschen Jesus das Bild Gottes ist «Denn wenn man denken sollte», sagt der heilige Symeon, «daß diese Worte an alle gerichtet worden sind, die Seinen Leib angeblickt haben, so würde das bedeuten, daß auch die Kreuziger Christi den Vater gesehen haben, denn sie haben ja Christi Leib gesehen. Und es würde dann keinen Unterschied zwischen dem Gläubigen und dem Ungläubigen geben, und der erstere würde dem zweiten gegenüber keinen Vorteil haben, sondern alle hätten die Seligkeit gleicherweise erreicht, denn alle haben Gott gesehen» (hl. Symeon Neue Theologe, Rede 63,1). – die orthodoxe Kirche betrachtet die menschliche Natur Christi nie getrennt von seiner göttlichen –Aufgabe der kirchlichen Kunst = von der Wirklichkeit Gottes und der des Menschen in der Person Jesu Christi Zeugnis abzulegen – «Wir bekennen, das Fleisch des Herrn als vergottet und erkennen in der Ikone nichts anderes als ein Bild, das den Prototyp wiedergibt» (7. Ök. Synode) «Die Darstellung Christi darf nicht den Anblick eines verweslichen Menschen wiedergeben (das wird vom Apostel gerügt), sondern, wie Christus selbst gesagt hatte, das Aussehen eines unverweslichen Menschen..., weil Christus nicht einfach ein Mensch ist, sondern der menschgewordene Gott» (hl. Theodor Studites). – ein bloßes Porträt im gewöhnlichen Sinne ≠ Ikone, denn es zeigt nur das Menschliche – um eine Ikone zu sein, muß ein Bild gleichzeitig mit der geschichtlichen Wirklichkeit einer Person oder eines Ereignisses die göttliche Wirklichkeit wiedergeben – die symbolische Sprache der Ikone = für die Wiedergabe der göttlichen Wirklichkeit Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 5 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – die Ikone Christi: «Bild, das heller als die Sonne leuchtet», «Segne und heilige, Herr, durch die Erleuchtung Deines allerreinsten Bildes», «Ich bin das Licht der Welt» (Joh. 8, 12) «Christus, Du wahres Licht, das jeden in die Welt kommenden Menschen erleuchtet und heiligt, es zeichne sich auf uns das Licht Deines Antlitzes ab, so daß wir darin das unnahbare Licht sehen mögen» (Gebet der erstehn Stunde); «Du bist heute dem Weltall erschienen und Dein Licht, Herr, zeichnete sich auf uns ab» (Fest der Theophanie, Kondakion). – «Und Er ward verklärt vor ihnen, und Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider wurden weiß wie ein Licht» (Matth. 17,2) Jesus Christus, Patrokrator, 16. Jh, Temple Gallery, London, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 74. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 6 3 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE Verklärung des Herrn, 15. Jh, Christies, New York, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 210. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 7 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – «Licht ist der Vater, Licht das Wort, Licht auch der Heilige Geist, der den Aposteln in Feuerzungen gesandt wurde» (Pfingstfest, Exapostilarion) „der Heilige Geist wie ein Lichtgewand den Körper bekleiden wird – Gewand des Lebens, der Herrlichkeit und der Ruhe. Die Kraft des Lichtes wird das ganze Fleisch durchdringen, alles wird lichterfüllt, taucht hinein und wandelt sich in Licht und Feuer, ohne jedoch zu vergehen oder selbst zu verbrennen“ (G. Florovskij). Pfingsten, 15. Jh, A La Vieille Russie, New York, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 206. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 8 4 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – Aufgabe der Ikone = sichtbar das Dogma der orthodoxen Kirche auszudrücken und von ihrer Erfahrung der Vergottung des Menschen durch die ungeschaffene Gnade des Heiligen Geistes zu zeugen – die Ikone = Zeugnis von der geistlich-körperlichen Verklärung des Menschen und durch ihn der ganzen sichtbaren Welt – die Ikone ist eine sichtbare Vorwegnahme der Zukunft, des eschatologischen Reiches Gottes, die Offenbarung der Herrlichkeit Christi im Menschen. («Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du Mir gegeben hast» – Joh. 17,22) – die Ikone = Bild des Menschen und der Welt in deren endlichem Dasein und des Reiches des Lichtes – «Die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, daß sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm» (Offb. 21, 23) – alles in der Ikone führt zu dem göttlichen Licht – die eigentliche Erscheinung dieses Lichtes und auch die Beteiligung daran werden sowohl durch äußere ikonographische Attribute wie auch durch die symbolische Sprache der Ikone wiedergegeben. – das Bild des Gottmenschen Christus = reich an ikonographischen Attributen – jeder Heilige = Abbild Christi (jede einzelne Art menschlicher Heiligkeit entspricht irgendeinem Aspekt des Dienens unseres Herrn) Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 9 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE Heilige Dreifaltigkeit, Andrej Rublev, Tretiakov Gallery, Moskow, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 198. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 10 5 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – die Mandorla = ein spezielles Attribut Christi: Symbol seiner göttlichen Herrlichkeit und eine Andeutung auf einen anderen, übersinnlichen Daseinsplan – die Mandorla (wie auch der Himmel) = oft regenbogenfarbig (der Regenbogen = ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen) – als Symbol des Lichtes und der göttlichen Herrlichkeit Christi wird die Mandorla auch der Gottesgebärerin beigefügt Mutter Gottes des Zeichens, 16. Jh, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 78. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 11 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – die Vereinigung des Himmels und der Erde wird in der Person Jesu Christi, Gott und Mensch, verwirklicht (=> das persönliche Bild Christi = Ausdruck dieser Vereinigung) – eine mit Cherubimen erfüllten Mandorla, die zwischen zwei übereinander liegenden Vierecken eingeschlossen ist (= ein achtzackigen Stern) = Symbol des achten Tages der Schöpfung, des künftigen Äons – die Symbole der Evangelisten dargestellt = Andeutung der Botschaft an die vier Weltenden – «Der Herr ist König und von Pracht bekleidet» (Ps. 92, 1) – «Vater des künftigen Äons» (Is. 9, 6) – im Bilde Christi in Herrlichkeit ist alles zusammengefaßt: der ganze Prozeß der Heilsgeschichte und seine eschatologische Erfüllung – «eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne» (1. Kor. 15,41) – der achtstrahlige Stern auf die Ikonen der Gottesgebärerin = Ewigjungfräulichkeit (Jungfräulichkeit vor, während und nach der Geburt Christi) – in frühen Ikonen hatte dieses Zeichen die Form eines Kreuzes; später geht diese Kreuzform in das unmittelbar eschatologische Symbol des achtstrahligen Sternes über Jesus Christus, Pantokrator, 15. Jh, The Metropolitan Museum of Art, New York, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 71. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 12 6 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – die Ikonen „der brennende Busch“ = enthüllen die prophetische Schau der Menschwerdung Gottes durch Mose (Ex. 3, 2 ff.) Gottesmutter „Unverbrennbarer Dornbusch“, 17./18. Jh, Kunstsammlung bei der Geistlichen Akademie, Moskau, in: Vladimir Ivanov, Das grosse Buch der russischen Ikonene, Herder Verlag, Freiburg / Basel / Wien, 1988, S. 145. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 13 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – ein unbedingtes Attribut der Ikonen Christi = das Evangelienbuch in seiner linken Hand und der Segen mit seiner Rechten – in den Muttergottesikonen hält das Kind eine Schriftrolle – das Evangelium = Symbol der Predigt, der frohen Botschaft – die Schriftrolle = ein Attribut der heiligen Asketen – die Clavi sind lange Streifen auf der Tunika, von denen der linke durch das Himation verdeckt ist, so daß nur ein Clavus auf der rechten Schulter sichtbar ist – dem clavus wird die symbolische Deutung der Mission zugeschrieben – = ein Attribut des Gewandes der Apostel und, in gewissen Fällen, der Engel – der Nimbus = ein unbedingtes Attribut der Ikone, ein Symbol der Heiligkeit ist – der Nimbus ist weder eine Allegorie noch ein konventionelles Attribut der Heiligkeit, sondern eine graphische Stilisierung einer tatsächlichen Wahrnehmung, Ausdruck einer konkreten Tatsache – der Nimbus mit dem Kreuz = ein spezielles Attribut der Ikonographie des Heilands – ὁ ὦν („Der ist“): «Ich bin Der, der ist... Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: Der, der ist, hat mich gesandt» (Ex. 3, 14) – diese Inschrift im Nimbus bezieht sich nicht auf die menschliche Natur des Heilands, die er sich bei seiner Fleischwerdung angeeignet hat; sie deutet auf seine göttliche Natur und zeigt, daß dieser auf der Ikone dargestellte „Menschensohn“ derselbe Gott ist, der im Alten Bunde zu Mose sprach Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 Κ. Μανάφις, Σινᾶ. Οἱ θησαθροὶ τῆς Ἱ. Μονῆς Ἁγίας Αἰκατερίνης, Ἐκδοτικὴ Ἀθηνῶν, 1990, S. 136. München, 8. Mai 2013 Folie 14 7 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – auf das göttliche Licht der Verklärung dieses Licht sind alle Farben der Ikone abgestimmt und sinngemäß verteilt – Licht durchdringt die Ikone unabhängig von der natürlichen Beleuchtung, denn das Reich Gottes ist Licht – weder Gegenstände noch Lebewesen werfen auf der Ikone Schatten – das Gold = Symbol des Paradieses Hl. Demetrius aus Tessalonike, 15. Jh, Benaki Museum, Athen, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 135. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 15 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – die symbolische Sprache der Ikone aus = bricht die sichtbare Wirklichkeit im Licht einer geistlichen Erfahrung und stellt so den Schlüssel zu eben dieser Erfahrung dar – die gesamte Komposition der Ikone, ihr Aufbau, ihre Formen, ihr linearer Rhythmus und ihre Farben, all das ist auf die symbolische Wiedergabe jenes innerlichen Aufbaus und Lichtes gerichtet, dessen äußerlicher Ausdruck der Heiligenschein ist «Bei uns ist alles vergeistigt, die Handlungen, die Bewegungen, die Wünsche, die Wörter, die Art zu gehen und die Kleidung, und sogar die Gebärden, weil der Geist (νοῦς) alles beherrscht und in allem Gott in dem Menschen abbildet» (hl. Gregor der Theologe 11. Rede an Gregorios von Nyssa). – innere Frieden = durch den äußerlichen Frieden und die Harmonie wiedergegeben – die äußerliche Anordnung drückt die innerliche Ordnung aus – «die sichtbaren Bewegungen sind Hinweise auf die unsichtbaren, innerlichen, so wie jede Frucht zeugt, von welchem Baum sie stammt» (abas Thalassios, Über Liebe, 65) – Deshalb ist auf der Ikone der Leib des Heiligen, alle Einzelheiten, sogar die Falten, Haare, Kleidung und alles, was ihn umgibt, jener höheren Ordnung gemäß angeordnet und in ihr vereint. Der Leib bewahrt seine biologische Struktur, seine Eigenschaften und die charakteristischen Besonderheiten der äußerlichen Erscheinung des Menschen, doch verliert dieser Leib seine fleischliche Schwere, ja seine eigentliche Fleischlichkeit. «Es ist nicht rosa und weiße Schminke..., sondern statt dessen Entfernung allem Bösen, gegenüber, auch Reinheit, Leidenschaftslosigkeit, Seligkeit, und alles ihnen Verwandte, wodurch im Menschen die Ähnlichkeit mit Gott ausgedrückt wird» (hl. Gregorios von Nyssa, De Hominis Opificio, 5, in: PG 44, 137). – die Kleidung des Heiligen umgibt seinen Körper auf natürliche Art, doch wird sie so wiedergegeben, daß sie die Heiligkeit nicht verbirgt, sondern sie im Gegenteil unterstreicht – die asketische Erfahrung, besser gesagt ihr Resultat, findet ihren äußerlichen Ausdruck in der oft sogar geometrischen Strenge der Figuren, der Lichtflecken und der Linienführung der Falten (sie hören auf, zufällig und ohne Ordnung zu sein, sie werden rhythmisch und der allgemeinen Harmonie des Bildes unterstellt) Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 16 8 14.05.2013 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – die Ikone ist der sichtliche Ausdruck des Sieges über die innerliche chaotische Zerrissenheit des Menschen und dadurch auch des Sieges über die chaotische Zerrissenheit der gesamten Menschheit und des Weltalls – alles wird zum Bildnis: der Jordan ist nicht nur der Ort der Taufe des Herrn, sondern auch Bildnis des verklärten Wassers des kommenden Äons – um die kosmische Bedeutung der Herrlichkeit des Menschen zu unterstreichen, bedient sich die orthodoxe Ikone in bestimmten Fällen allegorischer Darstellungen der Erde, des Wassers usw. durch menschliche Gestalten, welche jedoch (wie auch die Symbole, die das menschliche Bild ersetzen) nie als selbständiges Thema, sondern stets in der Eigenschaft von sichtbaren Erläuterungen zum liturgischen Text, Teil einer Ikone bilden «Was bringen wir Dir, Christus, Dir, der Du auf Erden unseretwegen als Mensch geboren bist? Denn jegliches von Dir geschaffene Wesen bringt Dir seinen Dank dar: die Engel Gesang, der Himmel den Stern, die Waisen Geschenke, die Hirten Verwunderung, die Erde eine Höhle, die Einöde eine Krippe, wir aber die jungfräuliche Mutter...» (Stichiron, der Synaxe der Mutter Gottes, 26. Dezember) Taufe des Herrn, 16. Jh, Temple Gallery, London, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 166. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 17 I. SINN UND INHALT DER ORTHODOXEN IKONE – die Architektur spielt in der Ikone eine besondere Rolle – oft widerspricht die Architektur in ihren Formen und deren Verteilung den menschlichen Normen und ist in einzelnen Fällen betont unlogisch: die Proportionen werden überhaupt nicht beachtet; die Türen und Fenster sind nicht auf ihrem Platz und wegen ihrer Ausmaße im Verhältnis zu den menschlichen Figuren völlig unbrauchbar usw. – das, was die Ikone vermittelt, geht über die Grenzen der verstandesmäßigen Kategorien, der Gesetze des irdischen Seins hinaus – die architektonische „Phantastik“ (eine „Narrheit in Gott“) unterstreicht den metalogischen Charakter des Glaubens – auf ihrem historischen Weg nimmt die Kirche einzelne Eigenarten verschiedener malerischer Ausdrucksmöglichkeiten auf und verklärt sie (die künstlerische Sprache wird je nach den Notwendigkeiten verschiedener Epochen einfacher oder komplizierter) Verkündigung, 16. Jh, Icon Museum, Recklinghausen, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 171. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 18 9 14.05.2013 ÜBERSICHT I. Sinn und Inhalt der orthodoxen Ikone II. Zusammenfassung III. Literatur Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 19 II. ZUSAMMENFASSUNG – die symbolische Sprache der orthodoxen Ikone ist nichts anderes als die Fortführung der frühchristlichen Symbolik, ihre Erschließung und Vertiefung – die orthodoxe Kirche verkündet durch ihre Ikone dieselbe Wahrheit wie am Beginn ihrer Geschichte – jeder Heilige ist ein Bild Christi (er verwirklicht diesen oder jenen Aspekt seines Werkes) – die Symbolik der Ikone und des Kirchengebäudes ist nicht Vermittlung zwischen Himmel und Erde, zwischen Geist und Materie, sondern Hinweis auf die Gottheit, die uns in der Person Jesu Christi offenbart ist, und auch Hinweis auf die Teilnahme des Menschen und der Welt am göttlichen Leben –alle orthodoxe Symbolik leitet zur Person Jesu Christi und durch ihn zu dem, was seine Menschwerdung offenbart hat, zur Heiligen Dreieinigkeit – die Kirche, Bild der Dreieinigkeit, ist die Wiederherstellung der kosmischen Einheit – rings um Christus versammelt sich alles Himmlische und Irdische, bestimmt, im Gottmenschen-Christus zu neuen Geschöpfen zu werden – der Gedanke von der Vereinigung der ganzen Schöpfung geht durch die gesamte Wandmalerei und Ikonographie – einige Kompositionen («Alles (was Odem hat) lobet den Herrn», «Über Dich freut sich, Gnadenvolle, die ganze Schöpfung», die «Synaxe der Mutter Gottes») erschließen die kosmische Bedeutung der Kirche – das ganze Weltall versammelt sich hier um Christus oder die Gottesmutter, vereinigt sich zu einem Tempel Gottes: Engelscharen, das menschliche Geschlecht, Tiere, Vögel, die Gewächse und Himmelskörper (diese Vereinigung wird oft durch die Darstellung eines Kirchengebäudes im Hintergrund der Ikone symbolisiert) Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 08. Mai Folie 20 10 14.05.2013 II. ZUSAMMENFASSUNG – die Einheit alles Erschaffenen in Gott, von den Engeln bis zur niedrigsten Kreatur, ist der künftige erneuerte Kosmos, der dem allgemeinen Streit und der Feindseligkeit der Schöpfung gegenübergestellt wird – die Tierwelt, das pflanzliche und geometrische Ornament sind in der Wandmalerei und der Ikone nicht nur Schmuck, sondern Ausdruck der Zugehörigkeit der erschaffenen Welt zum Reich Gottes durch den Menschen – die Versammlung der ganzen Schöpfung, der kommende universale Friede als allumfassender Tempel Gottes ist das Leitmotiv der orthodoxen Kunst, das ebenso in der Architektur wie in der Malerei herrscht (dies ist der kosmische Aspekt der Kirche, denn ihr als Leib Christi gehört das Universum) – nach der Auferstehung Christi wird die materielle Welt Teilnehmerin an seiner Verherrlichung und wird ihm untergeordnet – das orthodoxe Kirchengebäude und die Ikone umfassen in ihrer symbolischen Bedeutung die ganze Geschichte: die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Welt und der Kirche – sei es die Ikone eines Festes oder eines Heiligen, alles in ihr ordnet sich dem allgemeinen Ganzen, der katholischen Einheit des Kirchengebäudes, dem Bild des nicht von Händen geschaffenen Tempels, «dessen Baumeister und Schöpfer Gott ist» (Hebr. 11, 10), ein Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 21 München, 8. Mai 2013 Folie 22 ÜBERSICHT I. Sinn und Inhalt der orthodoxen Ikone II. Zusammenfassung III. Literatur Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 11 14.05.2013 III. LITERATUR – Leonid Uspensky, Wladimir Lossky, Der Sinn der Ikonen, Urs Graf Verlag, Bern / Olten, 1952. – Mahmoud Zibawi, Die Ikone. Bedeutung und Geschichte, Benziger Verlag, Solothurn / Düsseldorf, 1994. Thronos etoimasias, Kloster Voroneț (Rumänien). Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 München, 8. Mai 2013 Folie 23 München, 8. Mai 2013 Folie 24 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Mutter Gottes von Korsun, 16. Jh, Temple Gallery, London, in: L. Ouspensky, V. Lossky, The Meaning of the Icons, St. Vladimir‘s Seminary Press, New York, 1982, S. 99. Prof. Dr. Adrian Marinescu Vorlesung SS 2013 12