Lebendiges Baltikum

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Lebendiges Baltikum
TOURTIPP BALTIKUM
OSTEUROPA
Lebendiges Baltikum
Tagebuch einer Rundreise durch Lettland, Litauen und
Estland: Kurze Röcke, saurer Wein und ein Berg der Kreuze
I
n Riga, der überaus lebendigen Hauptstadt
von Lettland, beginnt die Autoreise. 2000
lange Kilometer. Zuerst geht es nach Süden - nach Litauen, nach Vilnius, Klaipeda,
auf die kurische Nehrung und bis an die russische Grenze vor Königsberg/Kaliningrad.
Danach heißt der Kurs für einige Tage: stur
geradeaus und immer nach Norden. In Estland
ist wieder die russische Westgrenze ein Stück
unser Begleiter, bevor es westlich Richtung
Tallinn geht, in die inoffizielle Partyhauptstadt des Baltikums. Zwei Wochen Wälder,
Wasser, viel Gegend und liebenswerte Menschen - ein baltisches Tagebuch.
Maritim Hotel, ein Klotz von einem in die Jahre gekommenen Betonbau. Das Haus bringt
Gäste, die sich nicht zur Wehr setzen, gerne in
abgewohnten und schmutzigen Zimmern mit
Knatterbett unter, die ebenso wie das Restaurant in der 1. Etage Mühe haben, einen 3-Sterne-Standard zu erfüllen. Zum Abendessen
gibt’s Schweinefleisch in Honig eingelegt.
Schmeckt gut, das Bier, das hier Alus heißt,
noch besser.
Tag 2: Sightseeing in Riga
Riga, Europas Kulturhauptstadt 2014, gilt
als heimliche Hauptstadt des Baltikums: eine
zauberhafte und mittelalterlich geprägte, kleiTag 1: Fahrt im Lady-Taxi
ne Altstadt, in der jede Menge Lifestyle angeIn Riga, Lettlands Hauptstadt, haben die sagt ist, macht Lust auf einen Bummel. Wenn
Frauen auf den Straßen das Sagen, ist der erste die Füße müde werden und man sich still in
Eindruck. Zumindest bei den Taxen ist das so. eines der zahlreichen Straßencafes setzt und
Solveiga heißt die Fahrerin, die für ein Unter- beobachtet, stellt man schnell fest, dass Fraunehmen fährt, das „Lady Taxi“ heißt und nur en hier blond, sexy und langbeinig sind, Minis
Frauen hinters Lenkrad lässt. Solveiga, 20 tragen und auf Highheels dem KopfsteinpflasJahre, blond, gibt Gas und steuert nach dem ter eiernd Tribut zollen. Apropos Straßen: Es
kurzweiligen 2-Stunden-Flug mit Air Baltic grenzt an ein Wunder, dass die Trams bei LöBurj mein
Dubai:
Blick
den1 höchsten
Turm Rissen
der Welt
und Unebenheiten nicht aus den
ohne Umweg
Hotel
fürauf
Nacht
an - das chern,
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Schienen kippen. Die Fahrten im Stadtgebiet
sind billig - 70 Santimi (ein paar Cent). Tipp:
Bloß nicht schwarz fahren - es lohnt nicht und
es wird gnadenlos oft kontrolliert! Man sollte
auf den Turm der Petrikirche fahren (kostet
drei Lats) und das Altstadtpanorama von oben
genießen, sowie den großen Markt und die
größten Markthallen Nord-Ost-Europas
(Nähe Bahnhof) besuchen. Zum Abschluss
gönnt man sich einen „Balsam“, einen echten
Rigaer Kräuterschnaps (braune Flasche) nach den hier meist fettigen, schweren Mahlzeiten braucht man eben „Magen Balsam“.
Tag 3: Charmantes Kuldiga
Raus aus Riga, rein nach Jurmala, Rigas
Seebad: lange Strände, viel Plastik, Ölsardinen-Enge. Schräg wird’s unterwegs auf Gut
Slokenbeka: Gezeigt werden Lettlands
schönste Verkehrsschilder, Leitplanken, Walzen etc. - ein Besuch lohnt vor allem dann,
wenn die Stimmung im Auto gerade den Gefrierpunkt unterschritten hat. Es folgt als
Landschaft mal wieder eine Schweiz, eine
von gefühlt 128 in Europa. Die Kurländische
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hatte hier ein Sommerhaus (dreimal war er
da!), das besichtigt werden kann. Und von den
höchsten Wanderdünen blickt man rüber ins
Kaliningrader Gebiet, das zu Russland gehört.
An der Grenze heißt es für Touristen ohne Visum: Njet! Ein hübsches Mitbringsel von der
Nehrung ist der Kurenwimpel (eine Art Wetterfahne). Probieren muss man die Cepilini das sind meist zwei mit Hackfleisch gefüllte
Klöße, die so was von satt machen und
„schnapsfordernd“ sind...
Tag 6: Auf zur Burg
Im Gauja-Nationalpark sind Bären und
Lachse zu Hause
Schweiz schafft immerhin Erhebungen bis
175 Meter - die Straße führt ewig geradeaus
durch endlose Wälder. Wo nur bleibt der Elch?
In Sabile muss gestoppt werden: Am wahrscheinlich nördlichsten Weinberg der Welt
freut man sich, dass der Zucker schon erfunden wurde... Kuldiga, das Tagesziel, überrascht. Das frühere Hansestädtchen hat Charme, ist bummelgerecht, überzeugt mit altem
Straßenpflaster, vielen Holzhäusern und einer
breiten Flußschnelle in der Venta. Mit EUGeld wird das Städtchen gerade verschönert,
was für das Hotel Metropole (3 Sterne) schon
gut gelungen ist.
Alleen, Störche, Pferdefuhrwerke: Im Memelland ist der Horizont weit und die Supermärkte sind täglich bis 20 Uhr geöffnet. Kaunas hat eine nette Altstadt, während die Inselburg Trakaj als Fotomotiv (bestes Licht am
Nachmittag) auf jeden Speicherchip gehört. Je
mehr man sich freilich der gotischen Burg nähert, desto mehr verkommt sie zu einer Art
Disneyland á la Litauen. Das Gemäuer war
sehr zerstört und wurde von Russen und Litauern „frei Schnauze“ restauriert. Wer genau
hinschaut, sieht’s. Die Straßen in Litauen sind
ordentlich - der reiche Nachbar Polen leistet
hier ganze Arbeit!
Tag 4-5: Ab ans Meer!
Wieder endlose Wälder und wieder kein
Elch. In Liepaja prallen Gegensätze
aufeinander: Zuerst die zaristische Hafenstadt
Karosta mit ihren ärmlichen Wohnblocks, die
die Russen komplett kaputtgewirtschaftet haben. Mittendrin in der Tristesse strahlt die Nikolai-Kathedrale, die erst seit 1992 wieder als
Kirche genutzt wird, vorher als Kaufhaus und
Segelclub verschandelt wurde. Dann, direkt
am Wasser, das Promenade-Hotel, das viel
Design in ein altes Speicherhaus gebracht hat
(DZ ab 94 Euro). An der Grenze geht’s ohne
Stopp weiter über Litauens Badeort Nr.1, Palanga, bis nach Klaipeda: Das alte „Memel“
ist langweilig und nach einer guten Bummelstunde erledigt. Mit der Fähre fahren wir rüber
auf die berühmte Kurische Nehrung - inklusive Eintritt werden pro PKW gut 20 Euro fällig. Die schmale und fast 100 km lange Landzunge trennt das Kurische Haff von der Ostsee. Riesige Wanderdünen, weite Kiefernwälder und ein schier endloser Ostseestrand warten auf den Reisegast. Das Stück Nehrung ist
vor allem am Abend schön, wenn das Licht
ganz weich wird und die gefühlten 1.000 Busse mit Tagestouristen das Weite gesucht haben.
Man sollte durchfahren bis Nida/Nidden, dem
wohl berühmtesten Ort vor Ort. Thomas Mann
Aus der Ferne schöner als „inside“ –
die Burg Trakaj
Kurische Nehrung: Dünen und Ostseestrand warten auf den Besucher
Tag 9: Der Berg der Kreuze
Auf der Weiterfahrt Richtung Norden ist
eine ziemlich einmalige Sehenswürdigkeit
eine Stippvisite wert - der Berg der Kreuze.
Über 20.000 große, mittlere und gefühlte
100.000 kleine Kreuze wurden hier im Laufe
von Jahren von Pilgern und Touristen aufgestellt. Und täglich werden es mehr. Auch der
vorletzte Papst, Johannes Paul II, hat sich hier
bekreuzigt. Wer selbst ein Kreuz aufstellen
will und zufällig keines dabei hat, wird im nahen Shop fündig - ab 1 Euro... Dass man
wieder in Lettland ist, merkt man später sofort
an den schlechter werdenden Straßen. Ein
Muss ist ein Stopp am berühmtesten Barockschloss des Baltikums in Rundale. „Klein Versailles“ durfte sich hier ein gewisser Ernst Johann Biron bauen lassen, weil er Fähigkeiten
hatte, die die russische Zarin Anna Ivanovna
im Bett, im Park und an anderen schönen Plätzen sehr liebte... - Das gut erhaltene Schloss
wurde übrigens vom gleichen Architekten gebaut, der auch den legendären Winterpalast in
St. Petersburg errichtete. Tipp: unbedingt den
Garten besuchen (zwei Lats).
Tag 7-8: Viel sehen in Vilnius
Vilnius, Litauens Hauptstadt, könnte als die
heilige Stadt des Nord-Ostens durchgehen 26 Kirchen im Stadtgebiet sind rekordverdächtig. Die Annen-Kirche ist dabei das wohl
schönste Fotomotiv der Backsteingotik weltweit. Ein Bummel über den Gediminas-Prospekt, die Haupteinkaufsstraße, ist nett (viele
Straßencafes). Nichts für schwache Nerven ist
das einzige KGB-Museum, während das
Bernstein-Museum in der Altstadt auch viele
Infos in Deutsch bereit hält. Gut und preisgünstig wohnt man im Hotel Atrium in der Pilies Straße (nach Maisonette-Zimmern in der
3. Etage fragen!).
Touristenpflicht ist es, am Berg der Kreuze ein
Kreuz aufzustellen. Die gibt’s im Shop
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der hier stark verschilften Ostseeküste. Auf
der folgenden Käsmu-Halbinsel, einst Sperrgebiet, werden heute aufgemöbelte Fischerhäuser an Gäste vermietet (30-80 Euro). Im
prächtigen Gutshaus von Palmse geben
freundliche Ranger Auskunft über den Nationalpark.
Tag 13-14: Party in Tallinn
Tallinn ist die Partyhochburg des Baltikums
Tag 10: Tour im „B-Gebiet“
Gauja, der größte Nationalpark des Baltikums, ist „B-Gebiet“: Bären, Beeren, Burgen.
Im Supermarkt gibt’s den russischen
„Kwass“, flüssiges Schwarzbrot mit Zitrone
in der Literflasche. An der Grenze zu Estland
bei Valka erlebt man, wie kurzsichtig Politik
sein kann. Der klotzige und noch ziemlich
neue Grenzbau steht heute leer, Millionen
wurden in den Sand gesetzt. Die Landschaft
wird skandinavischer - endlose Kiefern- und
Birkenwälder. Dann Otepää und mal wieder
durchfahre ich eine Schweiz, dieses Mal die
Estnische (s.o.): Der Ort ist das Langlaufzentrum des kleinen Landes und internationale
Weltcup-Station. Im kleinen Museum am Stadion werden rührend die Olympia-Goldmedaillen der Nation gefeiert. Nächster Stopp ist
Tartu, die alte Hanse- und Universitätsstadt
Dorpat: Man sitzt draußen, bezahlt mit dem
(estnischen) Euro und genießt in lauer Sommernacht das bunte Treiben der jungen Leute
am Flüßchen Emajögi. Sehen und gesehen
werden. Andere Länder, andere Einkaufszeiten: Rimi, das Kaufhaus der Stadt, hat die
ganze Woche bis 23 Uhr geöffnet.
Tag 11-12: Rtterspiele
Das Estnische liebt die Buchstaben-Verdopplung: Hotell, Kasiino. Duschhaube heißt
Dusimütz, auch nicht schlecht! Auf dem Weg
zur Küste ist Rakvere ein spannendes Zwischenziel. Auf einem Hügel thront die Ordensburg der Deutschritter, die man umrunden sollte. Drinnen läuft ein kitschiges Ritterspektakel (4,50 Euro Eintritt) - man muss ja
nicht überall rein gehen. Gutshäuser säumen
den Weg auf der Weiterfahrt (Sagadi, Palmse). Der Lahemaa-Nationalpark war Anfang
der 70er Jahre der erste in der damaligen
UdSSR. Die Landschaft aus Wäldern, Hochmooren und weiten Feldern liegt malerisch an
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Man sollte früh auf den Beinen sein in Tallinn, zumindest wenn der Besuch auf einen
Sonntag fällt. Denn dann ziehen im Sommer
immer wieder junge und ältere Esten in bunten Trachten durch die Straßen - und singen
Volkslieder. Mit einer „singenden Revolution“ haben die drei baltischen Staaten
seinerzeit ja auch die Sowjets aus dem Land
getrieben, was diese bis heute nicht wahrhaben wollen. So hat Moskau gegen die auf der
estnischen Euromünze abgebildete Eesti-Ostgrenze heftig protestiert, was dem Herrn Putin freilich auch nichts genutzt hat. Die Esten,
stark unterstützt vom (anderen) Nachbarn in
Finnland, haben sich zu einem VorzeigeLändchen gemausert mit einer Hauptstadt,
die von einem lebendigen Hafen lebt und von
einer Hanse-Altstadt, die als die am besten erhaltenste im Ostseeraum gilt. Das bunte Treiben auf dem Rathausplatz könnte auch auf
einer italienischen Piazza sein. In Tallinn, der
Partyhochburg im Baltikum, wird viel gefeiert, getanzt und getrunken: Samstagnacht ist
blau der allgemeine Dauerzustand. Tipp: Vom
wieder eröffneten Fernsehturm (314 m hoch)
hat man einen weiten Blick (ab 7 Euro).
Text: Alexander Richter
Das Memelland ist flach und immer
wieder von Wasserstraßen durchzogen
Infos: Das Baltikum kann man ohne Probleme auf eigene Faust im Mietwagen bereisen. Viele junge Leute
kommen für ein langes „Feier-Wochenende“. Auch
mehrere Pauschalreiseveranstalter bieten (Bus-)Touren
durchs Baltikum (teilweise mit Königsberg-Abstecher)
an. Als Spezialist für Baltikum-Reisen hat
Schnieder Reisen in Hamburg viel Erfahrung und stellt auch persönliche Packages
bereit (www.baltikum24.de). In Estland zahlt man mit dem Euro, in
Lettland (Lats) und Litauen (Litas) zur Not auch. Flüge nach
und von Riga bietet günstig Air
Baltic (www.airbaltic.com) an.
Infos im Internet:
www.visitestonia.com
www.latvia.travel/de
www.baltikuminfo.de
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