Homosexualität_en im Landesmuseum

Transcription

Homosexualität_en im Landesmuseum
Bericht | Text : Michael Heß
Homosexualität_en im Landesmuseum
Das Landesmuseum für Kunst und Kultur greift ein zeitloses Thema auf
Das Landesmuseum für Kunst und Kultur
am Domplatz gilt als erstes Museum
weit breit mit dem Mut zur Kontroverse.
Dortige Ausstellungen strahlen deshalb
weit in Münsters Bürgerschaft aus. Von
Mai bis September thematisiert das
Museum nun Homosexualität und verspricht sich viel von der Schau. Ins Thema
einarbeiten tat sich ~-Redakteur
Michael Heß.
Ein Kaffeegeschirr eines renommierten
Porzellanfabrikanten war der Lohn pro
Dame fürs Ganze: Für den Gewinn der
Europameisterschaft im Frauenfußball
im Jahre 1989. Die Herren der Schöpfung
bekamen ein Jahr später einen sechsstelligen Geldbetrag für den Gewinn der
Weltmeisterschaft ausgezahlt. Deutlicher
war der Unterschied zwischen Mainstream und Randgruppe nicht sichtbar
zu machen. Doch ja, Randgruppe, denn
schon damals kickten im Frauenfußball
viele bekennende Lesben als Basis großartiger Erfolge bis in die Gegenwart. Die
heterosexuellen Männer (jedenfalls ist bis
heute kein kickender Homo im Nationaltrikot bekannt) kamen da nicht ganz mit.
Homosexualität ist keine Laune der
Natur. Je nach Untersuchung sind bis zu
zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell und zwar auf beide Geschlechter
gleich verteilt. Der Sinn der Sache ist
zwar noch in wissenschaftlicher Debatte
(salopp geschrieben: Was könnte sich
Mutter Natur dabei gedacht haben?).
Die Sache selbst aber ist als vollkommen
natürlich und also erlaubt eingestuft.
Nicht seit langem aber immerhin ist
die Entwicklung so weit gediehen, dass
sich das Rad zumindest auf unserem
Kontinent nicht mehr zurück drehen
lässt. In allen europäischen Ländern ist
Homosexualität straffrei gestellt, was
allerdings nichts über kulturelle und
soziale Konflikte besagen braucht. Das
Gegenbild liefern islamisch geprägte
Länder wie der Iran und Saudi-Arabien,
8
Vergnügen. Das antike Griechenland
ist dafür bekannt, das antike Rom zwar
weniger aber auch. Man denke ebenso
an Kulturen wie in Indien oder Japan.
Unübertroffen sind die in Stein gemeißelten Darstellungen verschlungener
Leiber und übergroßer Genitalien an
indischen Tempeln. Auch das Kamasutra
entstand bekanntlich auf dem Subkontinent. Für das antike Sparta kämpften
soldatische Liebespaare gemeinsam auf
dem Schlachtfeld und der französische
Botschafter am siamesischen Hof des
späten 18. Jahrhunderts (heute Thailand)
wunderte sich in seinen Briefen in die
Heimat unter anderem sehr über die
Sexualmoral der Thais im Allgemeinen
und den Umstand im Besonderen, dass
das Siamesiche kein eigenes Wort für
Homosexualität hatte. Für die Thais war
das eben alles eine (vergnügliche) Sache.
Unbekannt: Soldatenfreunschaft, ca. 1913
Sepia Fotografie ©SchwulesMuseum*, Berlin
arabische Länder sowie viele christlich
geprägte schwarzafrikanische Staaten
wie Simbabwe und Uganda. Was auf
einen zentralen Aspekt hinweist.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen
war Homosexualität nämlich nur im
jüdisch-christlichen und später teilweise
auch im islamischen Kulturkreis kriminalisiert. Der britische Ethnologe Richard
Burton formulierte dies Mitte des 19.
Jahrhunderts als Erster. Die gewöhnliche
Strafe für „Sodomiten” war oft genug
die Todesstrafe, wie sie die als Carola
Criminalis bekannte Halsgerichtsordnung
des römisch-deutschen Kaisers Karl V.
im Jahre 1532 ausdrücklich forderte. Eine
gänzlich andere Stellung hatte gleichgeschlechtlicher Sex in Kulturen außerhalb
des Dunstkreises von Davidstern, Kreuz
und Halbmond. Dort unterschied man
säuberlich in Sex zur Zeugung von
Nachwuchs und Sex zum beidseitigen
Deutlich anders betrachte man durch
die Zeiten die weibliche Homosexualität.
Als Ahnherrin aller Lesben gilt die auf der
Ägäisinsel Lesbos (daher!) um 600 vor
Null lebende Dichterin Sappho. Ihr huldigte ein ganzer Damenharem. Das Bild
zweier zusammen lebender Frauen oder
mehr blieb in späteren Jahrhunderten
grundsätzlich erlaubt. Es gab nur sehr
wenige Versuche, lesbische Liebe unter
Strafe zu stellen, Das preußische Landgesetzbuch von 1851 ist zu nennen, aber
auch das Vorhaben der Nazis, nach dem
„Endsieg” ein „Deutsches Strafrecht”
zu schaffen, das Lesben den Schwulen
strafrechtlich gleich stellte. Dazu kam
es glücklicherweise zwar nicht, aber im
Zweifel landeten auch Lesben mit dem
schwarzen Winkel für Asoziale im KZ
(die Männer trugen rosa Winkel). Dass
sie dort in der internen Hackordnung
beinahe ganz unten standen, sei hier
ausdrücklich angemerkt. Nur osteuropäische Kriegsgefangene und Juden galten
weniger. Anzumerken ist allerdings auch,
dass es den Nazis im Gegensatz zu den
beiden letztgenannten Gruppen weniger
um die Vernichtung der Homosexuellen
ging denn um deren Umpolung hin zu
deutschen Männern als Zeugern „erbgesunden arischen Nachwuchses”.
Dennoch kann die um 1865 einsetzende
deutsche Schwulenbewegung als eine der
erfolgreichsten Bürgerrechtsbewegungen
weltweit gelten, wofür vor allem der Arzt
Magnus Hirschfeld steht. Obgleich selber
Hetero, leistete er mit seinem Institut
bahnbrechende Forschungsarbeiten zum
sogenannten „dritten Geschlecht”. Dass
die Nazis Hirschfelds Institut mit als Erstes in zwölf Jahren Terror verwüsteten,
zeigt dessen Wirkmächtigkeit. Hirschfeld
starb wenig später in der Emigration.
Bereits im Kaiserreich gab es in den
deutschen Großstädten eine blühende
Szene und wenig bekannt ist, dass der
Paragraf 175 schon im Herbst 1932 zur Disposition stand. In den Fachausschüssen
des Reichstages war dessen Streichung
beschlossene Sache, es stand noch die
formale Abstimmung im Plenum aus,
doch verhinderte dies der Machtantritt
der Nazis. Diese verschärften den Paragrafen 175 im Jahre 1935 wesentlich und
stellten bereits einvernehmliche Blicke
unter Strafandrohung.
Nach 1945 gingen beide deutsche
Staaten sehr verschieden mit schwulen
Männern um. In der DDR wurden einvernehmliche Handlungen seit Mitte
der 50er Jahre geduldet und 1968 durch
Streichung des Paragrafen 175 legalisiert.
Der ergänzende Paragraf 176 (er betraf
unter anderem sexuelle Handlungen mit
Minderjährigen) fiel 1988 ersatzlos fort.
Zum Zeitpunkt der Vereinigung am 3.
Oktober 1990 kannten die ostdeutschen
Homos keine juristischen Restriktionen
mehr. Anders als westlich von Elbe und
Werra. Dort bestätigten höchste Gerichte
die fortbestehende Gültigkeit des 1936
noch verschärften Paragrafen 175, und
viele schwule Männer wanderten aus
dem KZ deshalb direkt ins Zuchthaus.
Erst 1969 strich der Gesetzgeber die Naziversion, um den gemilderten Paragrafen
bis zum Mai 1994 in Kraft zu belassen.
Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten auch
Aburteilungen schwuler Männer. Was das
für die Betroffenen, besonders für die im
Öffentlichen Dienst, bedeutete, braucht
nicht erläutert zu werden. Die endgültige
Streichung des berüchtigten „175ers”
war somit ein ostdeutscher Beitrag zur
Einheit. Auch der heutige Lesben- und
Schwulenverband Deutschlands LSVD geht
Rona Yefman, The Garden of Eden, 2010, C-Print, Copyright Rona Yefman
unmittelbar auf den 1990 gegründeten
Schwulenverband in der DDR zurück. Fast
auf den Tag genau 22 Jahre nach dem
Wegfall des „175” plädieren schließlich
die Bundesstelle Antidiskriminierung,
das Bundesministerium für Justiz und
der LSVD im Mai 2016 für die Rehabilitation der verurteilten Männer, das heißt
für die ersatzlose Streichung aller Urteile
gemäß „175” seit 1949 und die Entschädigung der Betroffenen. Man muss kein
Prophet sein, um es zeitnah so kommen
zu sehen. Der lange, emanzipatorische
Weg der deutschen Homosexuellen geht
erfolgreich zu Ende.
Allen diesen Aspekten widmet sich
seit dem 13. Mai eine Ausstellung im
Landesmuseum am Domplatz. Bis zum 4.
September zeigt „Homosexualität_en” in
einer dreistelligen Anzahl an Exponaten
die Geschichte der Schwulenbewegung
in Deutschland zwischen Diskriminierung und Erfolg. „‘Homosexualität_en’
wirft mit einer Vielzahl historischer,
kulturgeschichtlicher und künstlerischer
Exponate einen Blick auf die Geschichte
von Verfolgung und Diskriminierung,
aber auch auf die Aktivisten_innen, die
mit Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit
für ihre Rechte stritten” schreibt Claudia
Miklis, Pressesprecherin des Museums,
zur Schau. Diese zeigt auch lesbische
Sexualität und widmet sich - hier thematisch wirklich ausgreifend - Aspekten wie
Inter- und Transsexualität. Weil es verschiedene Ausformungen menschlicher
Sexualität sind, selbst wenn Heterosexualität unverändert als Normativ gilt.
Aktivisten der Bewegung kommen in
der Schau zu Wort. Dokumente zeigen
deren Höhepunkte, wie Bilder von der
ersten Demonstration Homosexueller in
der Bundesrepublik am 30. April 1972 in
Münster. Es sollte noch 20 Jahre dauern,
bis die Weltgesundheitsorganisation
WHO Homosexualität aus ihrem Krankheitskatalog strich (für Transsexuelle galt
das sogar erst 2014). Gezeigt wird auch
die (verschwundene) Ästhetik der Subkulturen wie Klappen und Cruisen. Unter
dem Rubrum „What’s next?” schließt die
Schau konsequent auch szeneinterne
Debatten über die weitere Entwicklung
mit ein. Anzumerken ist gleichwohl,
dass im Zuge fortschreitender juristischer
und resultierend sozialer Gleichstellung
jede Subkultur obsolet wird und der
oft genutzte Begriff der „community” (gemeint ist die aus Lesben und
Schwulen) außerhalb deutlich häufiger
gebraucht wird als innerhalb.
„Homosexualität_en” ist eine Kooperation des LWL-Museums mit dem
Schwulen Museum Berlin und dem Deutschen Historischen Museum ebendort. #
www.lwl-museum-kunst-kultur.de
9