EXTERNUM MB-Fahrräder aus medizinischer

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EXTERNUM MB-Fahrräder aus medizinischer
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martin switalla fahrradberatung, -entwicklung & -vertrieb
EXTERNUM® MB - Fahrräder aus medizinisch - technischer Sicht
Der chronische Krankheitsverlauf der Spondylitis ankylosans führt oft zu einer
Abnahme aller motorischen Grundeigenschaften und, sind alle Bereiche betroffen,
zur Dekonditionierung (Rückgang der Leistungsfähigkeit). Die Leistungslimitierungen
der Morbus Bechterew Patienten werden nicht durch krankheitstypische
Veränderungen am Bewegungsapparat, sondern durch konditionelle Defizite
verursacht.
Die medizinische Trainingstherapie will rekonditionieren sowie die Wirbelsäulen-,
Gelenkbeweglichkeit und Vitalkapazität verbessern. Grundsätzlich: Fahrradfahren als
Therapieform trainiert Herz, Kreislauf und entlastet gewichttragende Gelenke.
Allgemeines Urteil: gutes Ausdauer- und Atemtraining!1)
Fahrradrahmen
1) Tretlagerhöhe / tiefer Einstieg
Die Einrohrrahmen - Form ist Grundlage der Entwicklung. Die Tretlagerhöhe ist mit
280mm minimiert, so dass das Auf- und Absteigen vereinfacht wird (Komfort- und
Sicherheitsaspekt!).
2) Sitzwinkel relativ steil (EXTERNUM 73°)
Normalfall: „Sattel nach vorn einstellen und Sattelspitze leicht geneigt nach unten“
Nachteil der geneigten Sattelposition: Tendenzen des „nach vorne Rutschens!“ – es
muss „in den Sattel hineingetrampelt“ werden! Der Schwerpunkt der Masse Fahrer +
Fahrrad liegt vor dem Körper! Kraftfluss ist suboptimal, da Krafteinsatz (statisch und
dynamisch) anteilig für Haltearbeit im Sattel und nicht für den Vortrieb geleistet
werden muss! Zusätzlich entstehen Spannungen in den Sakroiliakralgelenken!
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Ein größerer Sitzwinkel von 73° (normal 69 – 72°) sorgt dafür, dass der Kraftfluss
optimiert wird und der Schwerpunkt Richtung Körpermitte wandert. Durch die
aufrechtere Sitzweise wird ein zwanghafter Rundrücken vermieden, so dass die
Lungenfunktion weniger eingeschränkt ist. Die Nähe zum Lenker bleibt im Verlauf der
Wirbelsäule auf natürlichere Art erhalten!
Ergänzend bietet ein steilerer Sitzwinkel den Vorteil, dass möglicherweise eingesetzte
oder nachgerüstete Federsattelstützen im Ansprechverhalten wesentlich sensibler
reagieren. Somit trägt der optimierte Sitzwinkel auch hier zu höherem Fahrkomfort
und geringerem Verschleiß der Federsattelstützen bei.
3) Lenkwinkel relativ flach (EXTERNUM 70,5°)
Lenkereinheit und Sattel rücken näher aneinander! Bessere Beherrschbarkeit der
Lenkerfunktionalitäten (Schaltung, Bremsen etc.). Weitere Vermeidung des
Rundrückens und tendenziell Entspannung für Lenden- und Brustwirbelbereich.
4)Vorderbau- / Hinterbaulänge
Die Optimierung des Sitz- und Lenkwinkels muss im Gesamtkonzept eine Anpassung
der Vorderbau- und Hinterbaulänge beinhalten. Die Verkürzung der Vorderbaulänge
auf ein Mindestmaß (ca. 630mm) setzt den Ansatz des verkürzten Sattel – Lenker Abstandes mit allen oben angesprochenen Vorteilen fort. Die Hinterbaulänge wird
für den Fahrradtyp ebenfalls auf ca. 470mm minimiert, damit sich der Schwerpunkt
insgesamt tendenziell in / über der Fahrradmitte befindet und nicht zu frontlastig wird.
Ergebnis: ausgewogene Fahreigenschaften mit sehr gutem Geradeauslauf und
ausreichender Wendigkeit!
Basisausstattung
Gründe für den Einsatz von Nabenschaltungen (z.B. Shimano Nexus 8-Gg.)
1) Nabenschaltung sorgt für Entlastung in der Wahrnehmung durch einfacheren und
extrem verlässlichen Schaltkomfort (nur ein Schalthebel, übersichtliche Ganganzeige)
2) Ruckfreies Schalten / schnelle Schaltreaktion (keine unberechenbaren Pedalstöße
wegen rutschender Kette wie z.B. beim Einsatz von Kettenschaltungs - Umwerfern),
Ziel: angenehmer Rhythmus in der Beinmuskulatur vom Sprunggelenk (Beachtung:
Enthesitis im Calcaneus 2)) bis zum empfindlichen Bereich der Sitzbeinknorren als
Ansatzpunkt der drei hinteren Oberschenkelmuskeln.
Durch die abwechselnde Auf- und Abbewegung der Beine wird auch die Muskulatur
stimuliert und trainiert, die für die „segmentale Stabilisation“ (Stabilisation der
einzelnen Wirbelkörper) verantwortlich ist. Diese Muskulatur ist willkürlich nur schwer zu
aktivieren und muss von daher unwillkürlich über Rezeptorenaktivität
gereizt
werden.3)
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Der Einsatz von Rücktrittbremsen wird von uns aus technischer und medizinischer Sicht
nicht empfohlen! Zum einen kann die Bremsleitung einer Rücktrittbremse aus
fahrradtechnischer Sicht als veraltet angesehen werden. Zum anderen führt aus
anatomischer Sicht die Nutzung der Rücktrittbremse zu „schockartigen“
Anspannungen im hinteren Oberschenkelbereich, dessen oben erwähnter
muskulärer Ursprung je nach Tagesform nicht überbelastet werden sollte.
3) Besonders empfehlenswert ist der Einsatz von Schaltautomatikkonzepten mit dem
Ziel, die Konzentration auf die Umwelt lenken zu können („Ruhe im Morbus Bechterew - Körper“ - Fahrradfahren genießen!).
Komfort
1) Bereifung
Zusammen mit der Deutschen Sporthochschule Köln hat die Fa. BOHLE eine
umfangreiche Studie durchgeführt, um festzustellen, welche Möglichkeiten und
Grenzen die "Reifenfederung" bietet. Dabei wurde die Federwirkung der BIG APPLE
Bereifung sowohl mit komplett starren Fahrrädern als auch mit verschiedenen
Federgabeln und vollgefederten Fahrrädern verglichen. 4)
Als Parameter für die Vibrationsbelastungen wurde die Beschleunigung gemessen.
Die Beschleunigungsaufnehmer waren an verschiedenen Stellen des Fahrrades und
an der Wirbelsäule des Fahrers angebracht. Die Teststrecken waren Kopfstein,
Plattenweg und ein eigens gebauter Indoor - Parcour. Bei den ausgewählten
Ergebnissen werden jeweils ein 60mm BIG APPLE bei 2 bar mit einem 37mm breiten
Standardreifen bei 4 bar verglichen. Das sind Luftdrücke wie sie typischerweise in der
Praxis Verwendung finden.
Beim gleichen Luftdruck rollt der BIG APPLE ca. 10 Watt leichter. Beim KomfortLuftdruck von 2 bar hat der BIG APPLE ungefähr den gleichen Rollwiderstand wie ein
Standardreifen bei 4 bar. In der Praxis ist die Kraftersparnis dabei noch größer als in
der Theorie: Die Federwirkung der breiten Reifen gleicht Unebenheiten aus. Sie hält
Erschütterungen vom Fahrer fern und spart so Energie. Auf dem Plattenweg wurde
mit der BIG APPLE Bereifung eine um 11 % geringe Leistungsaufnahme gemessen.
Man benötigt also 11% weniger Energie um den gleichen Weg in gleicher Zeit
zurückzulegen. (Dabei weisen diese Reifen/Luftdruckkombinationen im Labor, also
auf völlig ebenen Untergrund, einen exakt identischen Rollwiderstand auf).
Im Alltagsbetrieb ist verständlicherweise ein gutes Ansprechverhalten wichtiger als
ein möglichst großer Federweg. In der Untersuchung konnte gezeigt werden, dass ein
voluminöser Reifen die vielen kleinen Schläge des Radleralltags meist viel besser
schluckt als ein aufwendiges Federungssystem, das erst bei gröberen Hindernissen
anspricht.
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Auf einer Kopfsteinpflaster - Teststrecke konnte die BIG APPLE - Bereifung die
Vibrationen am Lenker um ca. 36% reduzieren, während zwei parallel getestete
Trekking - Federgabeln auf die unangenehmen Vibrationen fast gar nicht reagierten.
Mit BIG APPLE Bereifung (60-622, 2 bar) wurden auf einem ungefederten Rad ca. 25%
weniger Beschleunigungen an der Lendenwirbelsäule gemessen, als mit
Standardbereifung (37-622, 4 bar). Die Wirbelsäule wird gegenüber einem
Standardrad mit 25% weniger Stößen geplagt. Diese einfache aber solide Technik
hilft insbesondere den Morbus - Bechterew - Patienten, sich einem ungewohnten
Fahrkomfort auszusetzen.
2) Federgabeln /Federsattelstützen
Grundsätzlich kann ein BIG APPLE - Rad (oder auch BALLOONBIKE genannt) mit
anderen zusätzlichen Federungssystemen ausgestattet sein. Bei guter Qualität der
konventionellen Federung kann sich der Federungskomfort ggfs. weiter erhöhen, weil
sich bestimmte Dämpfungseffekte gut ergänzen.
Unter gesundheitlichen Gesichtspunkten ist jedoch die Frontfederung (Federgabel)
am wenigsten wichtig.5) Insbesondere die oben angesprochenen Aspekte der
Bereifungswahl bieten Möglichkeiten, die den Einsatz einer Federgabel in aller Regel
auch für Morbus - Bechterew - Patienten überflüssig macht.
Je nach Krankheitsbild kann und sollte der Einsatz einer gefederten Sattelstütze als
Ergänzung zur Komfort - Bereifung in Erwägung gezogen werden. Aus
wissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass gefederte Sattelstützen die Belastung um
bis zu 25% reduzieren. Jedoch ist die Einstellung und Qualität der
Federung/Dämpfung eine wichtige Voraussetzung. Handelsüblich sind hochwertige
Varianten mit einer Kombination aus Stahlfeder und Elastomer, die auch auf das
Fahrergewicht angepasst werden können und im Alltagsgebrauch nahezu
wartungsfrei arbeiten.
3) Sattel
Eine der Knackpunkte in Sachen Fahrrad - Fahrkomfort für Morbus – Bechterew Patienten! Der Sattel ist der größte Berührungspunkt zwischen Mensch und Fahrrad.
Da der Sattel Druck auf den Genitalbereich ausübt,
muss man zunächst die anatomischen Unterschiede
zwischen Mann und Frau berücksichtigen. Nach einer
Studie des Sattelherstellers SELLE ROYAL beträgt die
Steißbreite des Mannes im Durchschnitt 118mm und
die
der
Frau
130mm.
Zudem
sind
z.B.
Hauptschlagader oder Nervenstränge bei Mann und
Frau ganz anders positioniert. Beim Mann verlaufen
Sie parallel in den Penis und bei Frauen verengen sie
sich zur Klitoris hin. Aus diesem Grund ist
verständlicherweise die konstruktive Unterscheidung
in Damen- und Herrensattel nachvollziehbar.6)
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Weiterer Hintergrund der „Steißbreitenforschung“ ist die optimierte Positionierung von
dämpfenden Materialien wie Gel und Elastomersystemen zur Erhöhung des
Fahrkomforts und Druckentlastung des Sitzbeines. Wir dürfen nicht vergessen, dass
durch den Ansatz der hinteren Oberschenkelmuskulatur am Sitzbeinknorren ein sehr
sensibler Bereich einem hohen Druck ausgesetzt ist. Insbesondere mit
Rücksichtnahme auf eine möglicherweise bestehende Enthesitis oder sogar Ostitis
muss dem eingesetzten Satteltyp besondere Beachtung geschenkt werden.
Im Falle der ERGOGEL - Serie von dem Sattelhersteller SELLE ROYAL wird durch den
Einsatz des Royalgel - Materials bis zu 80% Druckreduzierung geschaffen. Aufgrund
des patentierten Twin Flex Verfahrens entsteht zusätzlich eine Druckentlastungszone
im Genitalbereich. Das Manganese - Untergestell bringt hohe Stabilität bei geringem
Gewichtsanteil.
4) Lenkervorbau / Lenker / Griffe
In einer Studienreihe des Zentrums für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule
Köln und dem weltweit größten Lenkerhersteller HUMPERT wurden 10 verschiedene
Lenkerwinkel, 16 verschiedene Handgelenkswinkel sowie 15 verschiedene
Vorbauwinkel bzw. Lenkerhöhen untersucht. Das Ergebnis kann folgendermaßen
zusammengefasst werden7):
-
optimaler Rückenwinkel ca. 15° (leichte Vorspannung der Rumpfmuskulatur)
höhere Lenkerpositionen werden subjektiv als komfortabler empfunden
eine hohe Lenkerposition (ca. 7 - 14 cm über dem Sattel) zeigen die geringsten
Druckbelastungen der Handinnenflächen am Lenker auf
Nach den allgemeinen Ergebnissen kann als das wichtigste Fazit dieser Studie
genannt sein:
Ein Rad muss individuell auf die Bedürfnisse und die Anatomie des Einzelnen
eingestellt werden!
Diese für den „Nicht – Morbus – Bechterew - Patienten“ genannten Anforderungen
an die Fahrradeinstellung erfahren unter den Aspekten und Auswirkungen des
Krankheitsbildes Bechterew eine weiterführende Bedeutung.
Für den Morbus - Bechterew - Patienten muss bei der
Fahrradauswahl
eine
große
Flexibilität
des
„Trainingsgerätes“ und deren Komponenten gefordert
werden (z.B. Sitz- und Lenkerhöhenverstellung) – das
Stichwort
ist
Gesundheitslenker!8)
Verschiedene
Griffpositionen und flexible Einstellbarkeit schaffen
Entlastung
in
empfindlichen
Muskulaturund
Gelenkbereichen.
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Nach der oben angesprochenen Studie der Sporthochschule Köln können wir
feststellen, dass die Unterarm- und Schultermuskulatur beim Radfahren eher gering
beansprucht wird. Ein Großteil der Haltearbeit wird von der hinteren
Oberarmmuskulatur geleistet. Der Ursprung dieses dreiköpfigen Muskels befindet sich
unterhalb der Schultergelenkspfanne bzw. an der Hinterfläche des Oberarmes.
Insbesondere für Morbus Bechterew Patienten sollte dieser Bereich durch
verschiedene und flexibel zu gestaltende Griffpositionen entlastet werden.
Darüber hinaus kann eine entspannte und aufrechtere Sitzposition bei geeignetem
Lenker- und Vorbaueinsatz dazu beitragen, dass ein Rundrücken vermieden wird und
die Lungenfunktion (Vitalkapazität), sowie die Beweglichkeit der Brustbein – Rippen Verbindungen trainiert wird. Die Auswahl ergonomisch und fest sitzender Griffe leistet
einen günstigen (aber enormen) Beitrag zum Fahrkomfort und steigert das subjektive
Wohlbefinden auf dem Rad.
Zubehör (z.B. Spiegel)
Je
nach
Beweglichkeitszustand
der
Wirbelsäule empfiehlt sich bzw. ist sogar
der Einsatz eines Fahrradspiegels zur
eigenen Sicherheit zwingend erforderlich.
Auch hier haben sich die Komponenten
weiterentwickelt. Eine konkav gewölbte
Spiegelfläche ergibt ein großes Sichtfeld
und bringt nicht nur ein Gefühl der
rückwärtigen
Sicherheit. Eine
kleiner
Kunststoffarm reduziert zum einen die Vibrationen und somit die Beeinflussung des
Sichtfeldes. Zum anderen wirkt der Spiegel optisch integriert in die Lenkereinheit und
stellt weniger einen auffälligen Lenker - Fremdkörper dar. Insofern ein Bauteil, das
auch immer mehr Nicht – Morbus –Bechterew – Patienten verwenden.
Quellen:
1) Wolfgang Miehle, Ankylosierende Spondylitis, Rheumamed 2006, S. 172 ff.
2) Wolfgang Miehle, Ankylosierende Spondylitis, Rheumamed 2006, S. 59 ff.
3) Prof. Dr. Ingo Froböse, Kompendium Radfahren und Gesundheit / Projekt Wellcom (Zentrum für
Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln), S.19
4) Quelle: www.balloonbikes.com
5) Prof. Dr. Ingo Froböse, Kompendium Radfahren und Gesundheit / Projekt Wellcom (Zentrum für
Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln), S.68
6) Quelle: Studie SELLE ROYAL Respiro & Ergogel (siehe auch auszugsweise Kompendium Radfahren
und Gesundheit, S. 60)
7) Quelle: Projekt Wellcom Fa. HUMPERT (siehe auch auszugsweise Kompendium Radfahren und
Gesundheit, S. 65)
8) Wolfgang Miehle, Ankylosierende Spondylitis, Rheumamed 2006, S. 174 ff.