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Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 1 Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung von Schülerinnen und Schülern Reader zum Workshop „Handy- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen“ im Rahmen der Fortbildung der LAG Schulsozialarbeit im November 2007 Referent: Moritz Becker Comeniusstraße 4 30451 Hannover Tel: 0511 2134947 [email protected] Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 2 1. Digitale Welten zwischen den Generationen In sehr kurzer Zeit kam das Internet als neues Medium in die Haushalte vieler Familien. Noch viel schneller verbreitete sich das Handy. Nach der aktuellen KIM1 und JIM2 Studie des medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (mpfs) verfügen weit über 90 % der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren über ein eigenes Handy – noch vor wenigen Jahren wäre diese Zahl unvorstellbar gewesen. Die Nutzung der neuen Medien nimmt mehr und mehr (Frei-) Zeit in Anspruch. Es wird außerdem regelmäßig vor problematischen und für Kinder und Jugendliche gänzlich ungeeigneten Inhalten als auch vor pädophilen Erwachsenen in der Anonymität von Chats gewarnt. Alarmierende Berichte über Datenmissbrauch im Internet oder Gewalt- und Pornoclips auf Handys zeigen: der Umgang mit dem Internet und auch dem Handy muss erlernt werden. Viele Erwachsene nehmen nach wie vor das Internet eher als Informationsmedium und nicht als Kommunikationsmedium wahr. Das Handy gilt ausschließlich als Mobiltelefon und nicht als mobiles Allround-Freizeit-Medium. Was den Umgang mit den genannten Medien angeht, sind viele Jugendliche ihren Eltern in technischer Hinsicht überlegen. Oft heißt es, dass sich die Kinder besser mit Browserfenster und Mausklicks auskennen als ihre Eltern. Doch zu einem medienkompetenten Umgang gehört mehr als nur technisches Verständnis: ein kritischer, reflektierter und selbstbewusster Umgang muss erlernt werden, nur dann kann von gelungener Mediensozialisation gesprochen werden. Auch in der Erwachsenenwelt ist weder das Internet noch das Handy wieder wegzudenken – zu alltäglich ist die Nutzung dieser Medien. Doch werden die grundsätzlichen Unterschiede in der Nutzung zu leicht übersehen und unterschätzt. Wer Kinder und Jugendliche beim Aufwachsen mit den Medien adäquat unterstützen will, muss die Handlungsweisen der jungen Generation vor allem akzeptieren können. Voraussetzung ist, dass die Art der Nutzung bekannt ist und dass zwischen tatsächlicher Gefahr und übertriebenen Aktionismus unterschieden werden kann. 1 Kinder, Information (Multi-) Media Studie 2006 des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest 2 Jugend, Information (Multi-) Media Studie 2006 des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 3 2. Das Handy als Multifunktions-Gerät Das Handy, für die meisten Erwachsenen ein tragbares Telefon. Kinder und Jugendliche setzen die Schwerpunkte in der Nutzung anders. Exemplarisch werden einige wichtige Bedeutungen im Folgenden aufgelistet: Die Weckerfunktion: Jugendliche nutzen Ihr Handy als Wecker. Interessant: Lehrer berichten von Schülerausreden à la „Mein Akku war leer, deshalb habe ich verschlafen“ wohingegen Jugendliche im außerschulischen Bereich darauf hinweisen, dass dies selten passieren kann, da der Akku wegen der immensen Wichtigkeit des Handys niemals leer ist. Die Kalenderfunktion: Geburtstage, Termine (für Klassenarbeiten) werden im Handy gespeichert. Nach Aussage einzelner Schüler auch tatsächlich nur dort. das Wörterbuch: moderne Handys verfügen entweder bereits über Übersetzungsprogramme, bei vielen können solche Programme installiert werden. Selbstverständlich praktisch für’s Vokabeln üben (ist bei vielen Lehrern nicht bekannt). Taschenrechnerfunktion: Jugendliche berichten von „coolen“ Lehrern, bei denen sie ihr Handy im Unterricht (Physik usw.) als Taschenrechner benutzen dürfen. Interessant: Wenn ein Lehrer das Handy für einen aus seiner Sicht sinnvollen Gebrauch in den Unterricht integriert, gilt er als „cool“. MP3-Funtkion: Das Handy wird über den Lautsprecher als tragbarer „Ghettoblaster“ mitgeführt (im Jugendzentrum, im Bus, ...) Hier können Jugendliche sich über die Musik sofort als Rap-, Rock- oder Tekkno-Fan „outen“. Interessant außerdem: die Klingeltöne zeigen ebenfalls individuelle Zugehörigkeit zu jugendkulturellen Genres. Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 4 Kamera Jugendliche fotografieren (wieder), zwar mit teilweiser mieser Qualität, aber immerhin. Interessant: Es werden Fotos von Familienmitgliedern, aus dem Urlaub oder sonst wo auf dem Handy mitgeführt, sodass das Handy auch die Funktion eines Fotoalbums hat . (Beispiel.: ein libanesischer Junge führt Bilder aus seiner Heimat, geknipst im letzten Urlaub, mit sich und zeigt sie allen.) Videokamera Moderne Handys können auch kurze Clips produzieren, ähnliche Funktion wie Kamera. Videorekorder / Fernseher: Es können auch Filme angesehen werden, die aus dem Internet oder von anderen Handys geladen wurden. Hierbei handelt es sich um alle möglichen Clips, mehr dazu später. Spielesammlung: Unzählige Spiele gibt es im Internet, teilweise sind sie bereits installiert. Weitere Spiele können aus dem Internet heruntergeladen und installiert werden. Telefonbuch: Jugendliche können kaum noch Telefonnummern auswendig, in der Regel sind diese alle im Gerät gespeichert. Ein Mädchen berichtete über folgende faszinierende Nutzung des Telefonbuchs im Handy: Demnach hat sie ca. 180 Nummern und Namen gespeichert, die sie in vier Untergruppen einsortiert hat: Familie, Freunde, „Spacken“ und Exfreunde. Wichtig war ihr zu erwähnen, dass es sich dabei bereits um fünf Exfreunde handelt. Es wird also deutlich, wie sehr sich Jugendliche mit diesem Gerät identifizieren und (in Bezug auf die Exfreunde) auch definieren. SMS Jugendliche archivieren Kurznachrichten wie manche Erwachsene Postkarten, es werden selten SMS gelöscht, teilweise wird darin „gestöbert“. Teilweise finden sich SMS, in denen die gleichen Sprüche wie in klassischen Poesiealben zu finden sind. Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 5 Auch werden diverse Nachrichten aufgehoben, was die sehr persönliche Beziehung zum Handy betont. Telefon: Natürlich telefonieren Jugendliche auch mit ihrem Handy, wobei die meisten kein Geld auf der sog. Prepaid-Karte haben – Zitat: „wenn mal 10 € drauf sind, telefoniere ich die schnell weg, bis auf einen Anruf natürlich!“ Dieser letzte Anruf wird benötigt, um anderswo „anklingeln“ zu lassen, also ein Handy anzurufen um lediglich die eigene Nummer zu übermitteln, also quasi „um einen Rückruf zu bitten“. Gerade weil die Telefonfunktion wegen fehlendem Geld auf der Prepaid-Karte nicht genutzt werden kann, werden alle kostenlosen Funktionen um so interessanter! 3. Jugendkulturelle Internetnutzung Jugendliche nutzen Medien grundsätzlich anders als Erwachsene – beim Fernsehen unterscheidet sich meistens das Programm. Betrachtet man entsprechend die Internetnutzung, so sind die Unterschiede vielfältiger, da es sich nicht nur um andere Inhalte, analog zum Fernsehen andere Internetseiten, sondern viel mehr um eine ganz andere Nutzungsform handelt. 3.1. zurück ins web 1.0 Bevor auf das vielzitierte web 2.0 und auf die damit verbundene Faszination für Kinder und Jugendliche eingegangen werden kann, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Die meisten Erwachsenen lernten das Internet, anders als Jugendliche heute zu Zeiten von DSL und Flaterates nicht als vielseitiges Daten- und Kommunikationsparadies kennen. Ein Internetzugang Mitte der 90er Jahre war unter Windows 95 relativ kompliziert einzurichten, grundlegende Computerkenntnisse waren hierzu erforderlich. Zudem wurden die Gebühren nach Zeit abgerechnet, was dem „entspannten Surfen“ von heute kaum entsprach. Die Internetseiten waren sehr textlastig, weil grafisch aufwendigere Seiten lange Ladezeiten bedeuteten. Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 6 3.2. web 2.0 Der Begriff „web 2.0“ ist im wesentlichen auf den Iren Tim O’Reilly zurückzuführen. O’Reilly beobachtet Anfang des Jahrtausends, wie sich das Internet speziell nachdem die „Internet-Blase“ an den Börsen platzte, mehr und mehr veränderte. Obwohl die großen Kapitalgeber sich aus den internetbasierten Unternehmen zurückzogen, entwickelte die Technik interessante Projekte, die jetzt, anders als vor dem Crash, den Ansprüchen gewinnorientierten Unternehmungen entsprachen. Die medialen Möglichkeiten gingen jetzt weit über das hinaus, was das www anfangs an Informationsmöglichkeiten bot. Das Interessanteste am web 2.0 ist, dass die Trennung zwischen Anbieter und Konsument bzw. Sender und Adressat teilweise völlig verschwimmt. Bei klassischen Medien am Beispiel einer Tageszeitung ist diese Trennung klar zu vollziehen. Der Redakteur sendet seine Botschaft in Form eines gedruckten Artikels – der Leser als Adressat kann diesen Artikel lesen. Zwar hat er die Möglichkeit, sich per Leserbrief entsprechend zu äußern, aber auch beim gedruckten Leserbrief ist die Trennung wiederum eindeutig. Das moderne Internet bietet dem Besucher, also dem Adressaten, an verschiedenen Punkten seine Meinung direkt und unmittelbar zu hinterlassen. Beispiel: Eine Internetseite bietet seinen Besuchern die Möglichkeit, online über politische Themen zu diskutieren. Der Besitzer der Internetseite gibt folgenden Impuls: „Der Präsident hat gestern zur Presse XYZ gesagt. Wie findet Ihr das?“ Besucher1 (Adressat des Impulses) hinterlässt folgenden Eintrag: „Typisch, keine Ahnung der Mann.“ Besucher2 lädt nun die Seite. Für ihn ist der Besucher1 nun Sender und teilt mit, dass der Präsident keine Ahnung hat. Darüber hinaus bieten einzelne Online-Plattformen nicht nur die Möglichkeit, Texte zu hinterlassen, sondern auch Fotos oder Videos. Portale wie SchülerVZ3, Youtube4 oder Single-City5 bieten darüber hinaus an, dass zu den jeweiligen Personen, die sich in irgendeiner Form virtuell verewigen, Kontakt aufgenommen werden kann. So 3 http://www.schuelervz.de 4 http://www.youtube.com 5 http://www.single-city.de Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 7 verschwimmt außerdem die Grenze zwischen Information und Kommunikation des Internets im klassischen Sinne. 3.3. Jugendliche im Internet Jugendliche wachsen mit den Möglichkeiten des web 2.0 auf und nutzen die Möglichkeiten ganz selbstverständlich. Die JIM Studie beschreibt das Nutzungsverhalten von 12 bis 19 jährigen. Das Internet übernimmt für Jugendliche, ausgegangen von den in der Studie als wichtig beschriebenen Aktivitäten und eigenen Beobachtungen in der Jugendarbeit, folgende grundlegenden Funktionen: - Organisationsfunktion - Kommunikationsfunktion - Unterhaltungsfunktion bis hin zur kulturellen Teilhabe - Beteiligungsfunktion (Partizipation / gesellschaftliche Teilhabe) - Beschaffungsfunktion von „Material“ Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 8 Die einzelnen Funktionen überschneiden sich quasi zwangsläufig im Sinne von web 2.0. Die in der JIM Studie sehr relevanten Instant Messenger6 werden zum Einen natürlich zur Kommunikation genutzt, also Ersatz z.B. für die Kommunikation per Telefon, aber auch um sich auf eine neuartige Art und Weise zu verabreden. Beispiel (nach einem bericht einer Mutter in einer Elternveranstaltung): „Wenn meine Tochter nach der Schule nach Hause kommt, isst sie zu erst ihr Mittagessen. Danach setzt sie sich sofort an ihren PC und startet ICQ. Dort sind dann alle ihre Freundinnen ebenfalls online und es wird ausgetauscht wer was wann macht. Meine Tochter sucht sich dann eine mögliche gebotene Freizeitgestaltung aus, verabredet sich und macht dann ihre Hausaufgaben.“ Der Messenger, in diesem Falle ICQ, ermöglicht so etwas wie einen „Markt der Nachmittagsgestaltung“; verschiedene Angebote werden eingeholt und miteinander verglichen. Das attraktivste Angebot wird dann zugesagt und wahrgenommen. Diese Art des Verabredens ersetzt mehr und mehr das Verabreden auf dem Schulhof in der Pause. Bei der Kommunikationsfunktion des Internets spielen Instant Messenger wie erwähnt seit des annähernd flächendeckenden Angebots von DSL7-Zugängen in Kombination mit Flatrate-Tarifen, bei denen nicht nach Nutzungszeit sondern in Monatspauschalen abgerechnet wird, eine wichtige Rolle. Der Messenger übernimmt, permanente Verbindung mit dem Internet vorausgesetzt, Telefonfunktionen. Ein Dialogfenster öffnet sich immer mit entsprechendem Tonsignal, sodass der Benutzer nebenbei Hausaufgaben machen und bei Bedarf antworten kann. Viele Messenger ermöglichen darüber hinaus Sprachverbindungen mit Headset bis hin zur Video-Telefonie per Webcam. Kommunikation findet selbstverständlich nach wie vor auch per E-Mail statt. Vor allem Webmailer haben diese Kommunikationsform für Jugendliche attrativer gemacht, da auf diese Weise von jeden Internetzugang die E-mails kontrolliert werden können und keine entsprechenden Programme (Outlook Express, Thunderbird, Pegasusmail, ...) benötigt werden. Gerade Jugendliche greifen von 6 siehe Glossar 7 siehe Glossar Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 9 vielen verschiedenen PCs auf das Internet zu (Zuhause, Schule, Jugendzentrum, Freunde,...) Doch auch Chatportale wie knuddels.de8 werden von Jugendlichen ernsthaft als Kommunikationsplattform genutzt, auch wenn es oberflächlich den Anschein hat, dass es sich hierbei nur um Single-Börsen handelt. Es kommt vor, dass sich im „echten“ Leben befreundete Jungen gegenseitig schreiben – nicht um zu flirten, sondern um einfach zu kommunizieren. Youtube oder Clipfish sind zwei Portale, bei denen jeder Besucher wiederum im Sinne von web 2.0 die Möglichkeit hat, Videos einzustellen, zu sehen und zu bewerten. Bei jedem Clip, unabhängig ob aus dem Fernsehen übernommen oder selbstproduziert, sind Kommentare zu finden, in denen sich Jugendliche äußern. Jugendliche stellen fest, dass sie wahrgenommen werden und dass auf sie bzw. ihre Meinungsäußerung eine Reaktion erfolgt. Das gleiche gilt natürlich für alle anderen „gestaltbaren“ Internetseiten auch. Am bekanntesten ist das klassische „Gästebuch“ einer Seite, ursprünglich gedacht, um dem Betreiber ein Feedback zu seiner Seite zu geben. Für Jugendliche ist diese Form der Meinungsäußerung aus zwei Gründen enorm wichtig: Zum Einen können sie sich ganz klar jugendkulturell positionieren bzw. abgrenzen. Sie haben die Möglichkeit unter ihrem Namen (oder Nickname) ein bestimmtes Musikvideo einzustellen und so zu demonstrieren:; „diese Musik finde ich cool!“ Zu Anderen begreifen Jugendliche, dass sie durch das Mitgestalten von öffentlich zugänglichen Internetseiten die öffentliche Meinung mit gestalten können. Sie können sich unkompliziert „Gehör“ verschaffen, in dem sie an unter Umständen politischen Diskussionen teilnehmen. Natürlich nutzen Jugendliche auch die Möglichkeiten der Wissensbeschaffung in dem sie im klassischen Sinne recherchieren und so an Informationen kommen, an die sie nur schwierig ohne Internet gelangen können. Interessant natürlich auch das Herunterladen von Hausaufgaben; Computerspielen und nicht zuletzt auch Musik. 8 http://www.knuddels.de Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 10 4. Medienkompetenz 4.1. problematische Nutzung des Handys bis hin zur Jugendgefährdung gesundheitliche Schädigung negative Folgen von „Elektro-Smog“ und der Strahlung des Handys sind bisher nicht ausreichend wissenschaftlich beschreibbar. Festzuhalten ist, dass die Provider Kindern und Jugendlichen im Wachstum empfehlen, nur mit einer Freisprecheinrichtungen zu telefonieren. In Stahlbetonbauten (wie z.B. vielen Schulen) gehen aufgrund des schlechten Netzes die Handys auf volle Sendeleistung. Eine höhere Belastung beim Telefonieren ist die physikalisch logische Folge. Konsumzwang und Diebstahlgefahr Der „Zwang“ zum teuren Handy kann zu Ausgrenzung führen und ggf. Jugendliche zu Diebstahl motivieren. („Schlaue“ Familien: Häufig bekommen Jugendliche das neue Handy aus der Vertragsverlängerung der Eltern, während die Eltern dann das alte Handy weiter verwenden.) Außerdem muss bedacht werden, dass alle (z.B. zum Sportunterricht oder auch Badeausflug am Badesee einer Jugendgruppe) mitgebrachten Handys (und auch MP3-Player) z.B. in Rucksäcken entsprechend beaufsichtigt werden müssen. Handys sind nicht über die Schulversicherung bei Diebstahl versichert. Permanente Störung des Alltags und Stress Für viele Handynutzer ist es schwer zu ertragen, wenn sie eine SMS erhalten und diese nicht umgehend lesen können. Unter Umständen ist der Drang, sofort zu antworten wichtiger als die aktuelle Situation (Essen, Schule, Gespräche) Problematische Erstellen von Bildern und Filmen... ... um die betroffene Person zu erpressen. Persönlichkeitsrechte sind bei Kindern und Jugendlichen häufig unbekannt, das Opfer wird zum Täter, weil es sich „fahrlässigerweise“ z.B. auf der Toilette „erwischen“ lässt und dort fotografiert wird. Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 11 Generell werden solche Fotos natürlich nicht nur mit dem Ziel der Erpressung erstellt, sondern direkt mit dem Ziel, die Person zu diskriminieren. Es werden außerdem Szenen gefilmt, die dann z.B. bei Youtube im Internet oder per Bluetooth9 verbreitet werden. Gewaltverherrlichende Clips (nicht unbedingt selbst gedreht) können nachhaltig schockieren, wenn sie entsprechend eingesetzt werden. 4.2. Gefährdungspotentiale und Grenzen der Internetnutzung Generell besteht nach wie vor die Problematik von jugendgefährdenden Internetseiten, die es schon im „web 1.0“ gab - Falschinformationen durch schlechte Suchmaschinen, Falschinformationen durch schlechte Suchbegriffe, bewusst verfälschte Inhalte (z.B. rechtextremistische Seiten) sowie gewaltverherrlichende oder pornografische Seiten sind generell als Problem bekannt. Speziell im Internet ist häufig keine klare Trennung zwischen Werbung und Informationen zu finden. Darüber hinaus werden bei kostenpflichtigen Angeboten die Geschäftsbedingungen bewusst schwammig beschrieben („Kostenfallen“). Es gibt keine Alterskennzeichnung für Spiele im Internet. Bei manchen Spielern kann von einem „Spielen von nicht angemessenen Spielen als Volkssport“ gesprochen werden. Gerade bei Online-Rollenspielen droht ein Verlust von Zeitgefühl bis hin zu suchtähnlichem Nutzungsverhalten, da jemand, der wenig Zeit in solche Spiele investiert, schnell den Vielspielern unterlegen ist. Ebenso gibt es bei vielen Videoclip-Angeboten anders als beim Fernsehen keinen redaktionellen Jugendschutz oder Jugendschutz durch Sendezeiten. Youtube u.a. bieten rund um die Uhr das gleiche Angebot. Die selbstproduzierten Clips bei z.B. bei Youtube motivieren Jugendliche, sich in auf den ersten Blick lustigen Clips unfreiwillig und freiwillig (!) zu blamieren. Für 9 Bluetooth ist eine drahtlose Verbindung zwischen zwei Handys, die bis zu 10 Meter weit empfangen werden kann – auch ohne Sichtkontakt. Beim Benutzen von Bluetooth entstehen keine Kosten. Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 12 gewaltverherrlichende Clips ist eine Inflation der Gewalt zu befürchten, da nur krassere, also brutalere Szenen als bisher bekannt für Aufmerksamkeit sorgen. Die regelmäßige Nutzung von Chats und Messengern kann dazu führen, dass die Möglichkeiten dieser textbasierten Kommunikation überschätzt werden. Missverständnisse zum Einen und Verlust von Diskussionsbereitschaft zum Anderen bis hin zu Verlust von Konfliktunfähigkeit im „echten“ Dialog können die Folge sein. Die scheinbare Anonymität10 lädt dazu ein, gezielt zu beleidigen. Naivität und Unwissenheit können zur gefährlichen Falle werden, wenn sich jemand als Jugendlicher ausgibt und tatsächlich im schlimmsten Fall pädapohile Interessen verfolgt. 4.3. juristische Aspekte Generell wurde für die problematische und ggf. sogar strafbare Handy- und Internetnutzung kein neues Gesetz erlassen. Die bisherigen Grundlagen reichten völlig aus – obwohl viele Jugendliche davon ausgehen, dass sie sich in verschiedenen Fällen (zum Beispiel beim Filmen mit der Handykamera) in juristischen Grauzonen bewegen würden. Prinzipiell können gewaltverherrlichende Clips, die zum Nachahmen oder sogar Übertreffen der gezeigten Szenen als Anleitung zu einer Straftat interpretiert werden (§130a StGB11). (1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 10 Die Anonymität ist tatsächlich nur scheinbar, da grundsätzlich alle Internetverbindungen zurück verfolgt werden können. 11 Strafgesetzbuch Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 13 1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 2. öffentlich oder in einer Versammlung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat eine Anleitung gibt, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen. [ ... ] Das Bereitstellen von Gewaltdarstellungen ist ohnehin geregelt und ggf. untersagt (§131 StGB). (1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, 3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder 4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. [...] Diskriminierungen im Internet fallen unter Beleidigung (§185 StGB) oder Verleumdung (§187 StGB). Das unerlaubte Verwenden der Handykamera wird nach §201a StGB als „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereich durch Bildaufnahmen“ bezeichnet. Darüber hinaus gelten die Regelungen von §22 KUG12 (Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild). 12 Kunst-Urhebergesetz Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 14 4.4. Medienkompetenz Die vorhandenen Definitionen von Medienkompetenz unterscheiden sich je nach Alter der Definition, weil die Mediennutzung selbst sich stetig verändert. Waren Kinder und Jugendliche noch vor wenigen Jahren z.B. in erster Linie Adressaten von Fernsehsendungen, so sind sie im Sinne von web 2.0 heute auch Mediengestalter – SchülerVZ und andere Internetportale basieren auf einer Art der Mediennutzung, die von den Gestaltungsmöglichkeiten am ehesten einer Schülerzeitung von früher gleicht. Die Kompetenzen, die Jugendliche benötigen, die mit ihren Handys andere Menschen in ihrem „höchstpersönlichen Lebensbereich“ fotografieren können und ggf. Fotos im Internet verbreiten könnten, ist wesentlich komplexer, als die eines Fernsehzuschauers. Die Fähigkeit, aus moralischen oder ethischen Gründen technisch mögliche Dinge nicht zu tun, ist Schlüsselqualifikation im web 2.0 und bei der beschriebenen Handynutzung. Außerdem muss sich ein Jugendlicher selbst davor bewahren, persönliche Daten in unpassenden Umfang preiszugeben. Wertevermittlung ist somit einer der wesentlichsten Inhalte einer modernen Medienkompetenzvermittlung. 5. Medienkompetenzvermittlung in der Praxis Viele Familien fühlen sich gerade im Bezug auf die Mediennutzung ihrer Kinder überfordert. Die Ruf der Eltern nach Unterstützung geht häufig in die Forderung über, dass die Medienkompetenzvermittlung grundsätzlich außerhalb der Familie vermittelt werden soll – zum Beispiel in der Schule. Die Erwartung, dass klassische Erziehung während der Schulzeit stattfinden soll, überfordert zunehmend die konzeptionell und auch personell (noch) nicht für diesen Bereich ausgestatteten Schulen. Auch innerhalb der Schule scheint die Medienkompetenzvermittlung eher der „schwarze Peter der Bildungsarbeit“ zu sein – viele verorten Medienkompetenz im Informatikunterricht, der aber grundlegend eher technische Kompetenzen vermittelt. Medienethik und Medienkritik scheinen dagegen eher klassische geisteswissenschaftliche Themen zu sein. Durch die informellen Strukturen ohne zwangsläufige Benotung und Bewertung scheint Medienkompetenzvermittlung aber Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 15 auch im außerschulischen Bildungsbereich gut aufgehoben zu sein, weshalb Schulsozialarbeit hierbei einen besonders interessanten Bereich darstellt. 5.1. Bedingungen für medienpädagogisches Arbeiten mit dem Internet Strukturelle Rahmenbedingungen Schlüsselfragen – „wer entscheidet über Öffnungszeiten (Schlüsselgewalt)?“ „Wer verfügt über eventuell notwendige Passwörter zur Internetnutzung?“ - müssen für die Jugendlichen eindeutig geklärt sein. Zuständigkeiten für Wartung der Arbeitsplätze müssen ebenfalls eindeutig geklärt sein und eventuelle Mängel müssen kurzfristig behoben werden können. Technische Voraussetzungen Sollte eine Schutz- bzw. Filtersoftware installiert sein, muss während der Arbeit Zugriff auf die Systeme bestehen bzw. ein eventuell vorhandener Filter den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden können. Ohne Filter zu arbeiten ist generell riskant. Kein Filter kann alles filtern, allerdings kann ein Verzicht auf Filtersoftware leicht als Fahrlässigkeit interpretiert werden. Die Software auf den Arbeitsplätzen muss den Erwartungen der Jugendlichen entsprechen. Zusätzlich zu dem verwendeten Betriebssystem müssen alle für Jugendliche relevanten Programme vorhanden sein. Insbesondere das Chatten (ICQ, ...) erfordert ggf. zusätzliche (kostenlose) Software. Persönliche Qualifikationen Ein eigenes Interesse oder sogar Begeisterung am Internet ist sicher nicht Bedingung, erleichtert aber das pädagogische Arbeiten mit diesem Medium. Eine eigene umfassende Medienkompetenz muss allerdings vorhanden sein. Rechtliche Grundkenntnisse speziell im Bezug auf jugendgefährdende Inhalte (sexistische sowie gewaltverherrlichende Internetseiten) müssen vorhanden sein. Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 16 Die eigenen Grenzen in Bezug auf Inhalte im Internet, resultierend aus den eigenen Werten und Normen, müssen klar und transparent gesetzt und konsequent eingehalten bzw. eingefordert werden. (Authentizität!). Durchsetzungsvermögen gegenüber Jugendlichen ist als grundsätzliche Qualifikation wie in der pädagogischen Arbeit generell wichtig, dabei darf nicht die Einsicht von geschriebenen Texten oder ein nachträgliches Kontrollieren des Verlaufs der besuchten Seiten als Druckmittel eingesetzt werden. Der Schutz der Persönlichkeit und das Bewaren einer Intimsphäre muss den surfenden Jugendlichen ermöglicht werden. 5.2. Beispiele für informelles Lernen im Internet 1. Internet-Rallye Die Internet-Rallye beinhaltet klassische Aufgabenstellungen wie Suchaufgaben (Recherchen), bei denen die nächste Frage u.U. auf der vorhergehenden Antwort aufbaut. Möglich sind auch anspruchsvollere Recherchen wie „suche das gleiche Bild auf mindestens drei verschiedenen Seiten“, aber auch „Spiele“ wie z.B. das „Google“-Spiel (Suchbegriffe bzw. Suchbegriff-Kombinationen mit 5,4,3,2,1 Treffern) Medienpädagogische Lernziele: Medienkunde, Mediennutzung, u.U. Medienkritik 2. Wer wird Millionär mit Wikipedia-Unterstützung Das Brettspiel „Wer wird Millionär“ wird mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia (oder dem Internet allgemein) kombiniert, sodass die Spieler Fragen, die sie nicht auf Anhieb lösen können, durch schnelles Recherchieren beantworten können. Der Vorteil gegenüber der Internet-Rallye (s.o.) liegt darin, dass die Notwendigkeit, mit dem Internet zu recherchieren, nicht „aufgesetzt“ wirkt, sondern eher aus dem aktuellen Kontext, das Spiel gewinnen zu wollen, resultiert. Medienpädagogische Lernziele: Mediennutzung 3. Youtube-Kino: Lustig / Unlustig Jugendliche in einer kleinen Gruppe (z.B. in einem Workshop) sehen sich lustige Clips aus dem Internet (z.B. www.youtube.com, www.myvideo.de, ...) an und überlegen anschließend, was daran lustig ist bzw. warum darüber gelacht wird. Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 17 Außerdem können die Pointen in Zeitlupe angesehen werden; wo kann getrickst worden sein? Wie reagieren die Leute? Ist es legitim, zu lachen? Medienpädagogische Lernziele: Medienkritik, Mediengestaltung 4. (Sozialräumliche) Redaktionssysteme Jugendliche erstellen gemeinsam ein Redaktionssystem (Content Management System), das langfristig von der Gruppe gepflegt und mit Inhalten gefüllt wird. Ideal lässt sich dieser Ansatz mit Lebensweltbezug (z.B. sozialräumlicher Ansatz) kombinieren. Die „Redakteure“ können Beiträge verfassen, überarbeiten und dabei untereinander kommunizieren. Unter anderem spielen Fotografieren (von relevanten Orten), sowie Bildbearbeitung und Recherchieren eine Rolle. Es muss kein Redaktionssystem sein, auch das Erstellen von Internetseiten mit klassischen HTML-Editoren kann reizvoll sein, allerdings stehen dann technische Aspekte im Mittelpunkt und nicht die inhaltliche Arbeit. Medienpädagogische Lernziele: Mediengestaltung, Mediennutzung, Medienkritik Jugendliche als Internetcafé-Betreuer Ähnlich wie in einer Jugendleiter-Ausbildung werden Jugendliche zu Betreuern für ein Internetcafé ausgebildet. Dabei kann grundsätzliches Handwerkszeug im Umgang mit Computern sowie der Umgang mit Informationen vermittelt werden. Die volle Verantwortung für die Betreuung kann sicherlich nicht an Jugendliche abgegeben werden, dennoch bieten sich Möglichkeiten, wie Jugendliche das erworbene Wissen einbringen können. Medienpädagogische Lernziele: Medienkritik, Mediennutzung, Medienkunde Selbstverwaltete Computerräume Jugendliche werden in die Einrichtung und Betreuung eines gesamten Computerraums, bestehend beispielsweise aus ausrangierten und gespendeten PCs, miteinbezogen. Die Wartung (kleinere Reparaturen, Installation von Software usw.) können von Jugendlichen erlernt und langfristig übernommen werden. Medienpädagogische Lernziele: Mediennutzung Persönlichkeits-Stuhlkreis Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de Zwischen Kompetenz und Risiko: Handy und Internetnutzung Seite 18 Die Gruppe sitzt im Stuhlkreis und bekommt vom Teamer Fragen gestellt, die ggf. im Chatraum gestellt werden könnten. Wird eine Frage zu persönlich, verlässt der jeweilige Jugendliche den Stuhlkreis und nimmt nicht mehr teil. Die Fragen müssen NICHT beantwortet werden, es geht lediglich um die Frage. Medienpädagogische Lernziele: Persönlichkeitsrechte Podiumsdiskussion „schlechte Jugend“ Die Jugendlichen vertreten in einer Podiumsdiskussion verschiedene Standpunkte (Eltern, Jugendliche, Lehrer, ...) zum Thema Handynutzung. In der Diskussion sollte es dann unter anderem um gewaltverherrlichende Inhalte auf dem Handy gehen. Medienpädagogische Lernziele: Medienethik, Mediennutzung Moritz Becker // smiley e.V. // www.smiley-ev.de