Schriftliche Arbeit - Philippe_Knüsel
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Schriftliche Arbeit - Philippe_Knüsel
Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit HS 09 Philippe Knüsel (08-913-873) Leonarz, Martina (2002): Die Gentechnologie als kontroverses Zeitungsinhaltsanalyse von 1997 bis 1999. Medienthema. Eine Die öffentliche Meinung wird stark und auf verschiedene Weise von den Medien beeinflusst. Martina Leonarz hat 2002 anhand einer Zeitungsinhaltsanalyse genauer untersucht, wie die Neue Zürcher Zeitung und der Tagesanzeiger im Zeitraum von 1997 bis 1999 über die Gentechnologie berichtet haben. Basierend auf ihren Ergebnissen und unter Einbezug aktueller Entwicklungen soll dieser Text die Art des medialen Einflusses auf die öffentliche Meinung diskutieren. Die Zeitungsinhaltsanalyse Untersucht wurden mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) und dem Tagesanzeiger zwei grosse deutschschweizer Tageszeitungen. Es wurden die Anzahl Artikel aus den Jahren 1997 bis 1999 gezählt, die in irgendeiner Weise über Gentechnologie berichteten. Sie wurden auf die Art der Berichterstattung (positiv, neutral oder negativ) untersucht und verschiedenen Frames, beispielsweise ethisch-moralischen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Aspekten, zugeordnet. Ebenfalls in die Analyse miteinbezogen wurden das Umfeld des Autors und weitere Daten wie Erscheinungsdatum, Rubrik oder journalistische Form. Es zeigte sich, dass zu wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Themen grösstenteils positiv über Gentechnologie berichtet wurde. Häufig war von wirtschaftlichem Aufschwung und grossen wissenschaftlichen Fortschritten die Rede. Insgesamt wurde aber etwas häufiger negativ berichtet. Dabei standen in erster Linie ethische Bedenken im Vordergrund, auch Ängste vor Unbekanntem („Pandoras Büchse“) wurden beobachtet. Gesamthaft wurden die negativen Punkte aber eher unklar und diffus formuliert. Ebenfalls in die Analyse miteinbezogen wurden Leserbriefe. Diese bezogen meist klar Stellung für oder gegen Gentechnologie, nur wenige wogen positive und negative Argumente ab oder bewerteten die neue Technologie neutral. Allerdings waren die Leserbriefe nicht repräsentativ für die öffentliche Meinung: Während die Leser des Tagesanzeigers klar für die Genschutzintiative plädierten, wurde diese vom Stimmvolk mit einer Zweidrittelsmehrheit verworfen. Weiter konnte ein Zusammenhang zwischen der politischen Aktualität der Gentechnologie und der Art der Berichterstattung beobachtet werden. Wie sich in einer früheren Untersuchung zeigte, konzentrierte sich die Berichterstattung auf wissenschaftlich-nüchternen Punkten und bewertete die Gentechnologie eher positiv, bevor das Thema an politischer Bedeutung gewann. Erst mit der Lancierung der Genschutzinitiative traten moralische Aspekte und damit verbunden mögliche gesetzliche Bestimmungen in den Vordergrund. Auch die Frequenz der Berichterstattung nahm zu. 1 Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit HS 09 Philippe Knüsel (08-913-873) Kritische Betrachtung Die Resultate von Martina Leonarz‘ Zeitungsinhaltsanalyse lassen interessante Schlüsse zu. Dennoch bleiben einige Fragen offen, die in diesem Abschnitt erläutert werden. Als erstes fällt die Wahl der Zeitungen auf: Beide Blätter gelten als anspruchsvoll, insbesondere die NZZ versteht sich selber als Zeitung für eine niveauvolle Leserschaft. Will man den Einfluss der Medien auf die öffentliche Meinung untersuchen, darf man hinter die Wahl dieser Zeitungen durchaus ein Fragezeichen setzen. Die (Schul-)Bildung innerhalb der Gesellschaft variiert stark und eine nicht zu vernachlässigende Zahl Stimmbürger gehört nicht zum Zielpublikum von NZZ, Tagesanzeiger oder vergleichbaren Zeitungen. Gerade Boulevardblätter wie der Blick haben durch ihren Sensationsjournalismus und ihre vereinfachende, schwarz-weiss-malerische Darstellung der Realität ebenfalls einen grossen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Natürlich wäre es etwas problematisch, eine Zeitung wie den Blick in einer solchen Inhaltsanalyse zu untersuchen. Gerade im Hinblick auf Themen und Frames würde man wohl auf einige Schwierigkeiten treffen. Wollte man aber gezielt die Bildung der öffentlichen Meinung untersuchen, käme man wohl oder übel nicht darum herum, Zeitungen wie den Blick miteinzubeziehen. Nicht untersucht wurde ausserdem die wahrheitsgetreue Berichterstattung der beiden Zeitungen. Man bei der Wahl von Tagesanzeiger und NZZ zwar guten Gewissens davon ausgehen, dass die Artikel seriös recherchiert sind. Dennoch wäre eine inhaltliche Analyse bezüglich der Richtigkeit der dargelegten Fakten insbesondere bei den Leserbriefen interessant gewesen. Dies hätte allerdings einen massiven Mehraufwand verursacht. Unverzichtbar wäre eine solche Untersuchung aber beim oben erwähnten Vorschlag gewesen, Boulevardblätter mit in die Analyse einzubeziehen. Sobald nicht mehr auf seriöse Recherche der Artikel vertraut werden kann, wäre ein möglicher Untersuchungspunkt ein eventueller Zusammenhang zwischen Richtigkeit der Berichterstattung und Bewertung eines Themas. Gänzlich weggelassen wurde die Bericherstattung im Fernsehen. Auch hier kann man davon ausgehen, dass das Fernsehen in der öffentlichen Meinungsbildung eine mindestens ebenso grosse Rolle spielt wie die untersuchten Zeitungen. Allerdings hätte die Inhaltsanalyse wohl modifiziert werden müssen, da Fernsehsendungen häufig nicht einzelnen Themen zugeordnet werden können, sondern einzelne Beispiele herausgreifen (beispielsweise das Schicksal eines Bauern, der wegen genetisch manipulierter Saat in ein Abhängigkeitsverhältnis mit einem Hersteller geraten ist). Damit zielen Fernsehsendungen viel stärker auf die Emotionen des Zuschauers und vermögen ihn deshalb viel eher zu manipulieren. Ausserdem lässt sich, etwa durch geschicktes Schneiden, die Realität viel einfacher in eine bestimmte Richtung verzerren. Des Weiteren hätten sich auch rein methodische Probleme ergeben. Im Gegensatz zu Texten lassen sich bestimmte Wörter in einer Fernsehsendung nicht ohne weiteres mittels Suchfunktion finden. Weitere Schwierigkeiten hätten sich ergeben, wenn das untersuchte Thema in einem gänzlich 2 Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit HS 09 Philippe Knüsel (08-913-873) anderen Kontext nur angeschnitten worden wäre (Reportage über ein Entwicklungsland mit Interview des weiter oben erwähnten Bauers). Insgesamt sind diese Punkte aber mehr Erweiterungsvorschläge als Kritikpunkte. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Untersuchung sich auf einzelne Aspekte eines Themas konzentrieren muss, da sie sonst den Rahmen sprengen würde. Deshalb liessen sich beispielsweise ähnliche Untersuchungen mit Boulevardblättern oder Fernsehsendungen als Folgeuntersuchungen durchführen, in der vorliegenden Zeitungsinhaltsanalyse wären diese kaum sinnvoll unterzubringen gewesen. Aktuelle Entwicklung Der technologische Fortschritt zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat auch einen grossen Wandel in der Information der Öffentlichkeit herbeigeführt. Während früher die Informierung hauptsächlich durch Zeitungen stattfand, kann heute praktisch jedermann selbstständing und jederzeit beliebige Informationen aus dem Internet beziehen. Im Gegensatz zu Zeitungsartikeln, deren Urheber in der Regel bekannt sind, kann im Internet häufig nicht überprüft werden, woher die Information stammt. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass jeder faktisch alles veröffentlichen kann. Es gibt freilich Inhalte, die an sich verboten sind, der globale Charakter des Internets und technische Probleme machen eine konsequente Strafverfolgung de facto unmöglich. Diese Entwicklung bringt sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Problematisch ist die freie Verfügbarkeit von Informationen vor allem, weil eine redaktionelle Überprüfung der Inhalte, wie sie bei Verlagen stattfindet, wegfällt. Dessen sind sich aber die Leser nur selten bewusst. Liest man nun einen Text aus dem Internet ohne ihn und seine Urheber kritisch zu betrachten, wird man schnell Opfer von Fehlinformation. Als Beispiel denke man an die zahlreichen Verschwörungstheorien, die nach dem 11. September 2001 im Internet kursierten und wahlweise den US-amerikanischen Auslandsnachrichtendienst CIA, jüdische Organisationen oder den Bush-Clan als Urheber der Anschläge auf das World Trade Center sahen. Gleichzeitig ist Zensur im Internet schwierig bis unmöglich geworden. Dies erlaubt eine Informierung der Öffentlichkeit über Ereignisse, die von Regierungen lieber totgeschwiegen würden. Dass dabei selbst Meister des Faches wie die iranische Zensurbehörde an die Grenzen ihrer Fähigkeiten kommen, konnte während den Massenprotesten nach der höchstwahrscheinlich manipulierten Wahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten der islamischen Republik beobachtet werden. Trotz intensiver Bemühungen des Regierung, die Gewaltanwendung gegen die Demonstranten zu vertuschen, gingen Nachrichten über die Ereignisse via Twitter und Facebook mit rasender Geschwindigkeit um die Welt. Ein anderes Phänomen, das erst seit kurzem bekannt ist, sind die Gratiszeitungen wie 20Minuten und Blick am Abend. Diese stellen sich teilweise als normale Tageszeitungen dar, obwohl die Inhalte häufig eher an Boulevardblätter erinnern. Durch die grosse Verbreitung dieser Zeitungen erreichen sie die breiten Massen. Es fällt auf, dass sich die Leserschaft dabei nicht auf eine bestimmte Zielgruppe beschränkt. Vom einfachen Arbeiter über den 3 Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit HS 09 Philippe Knüsel (08-913-873) Studenten bis zum Geschäftsmann sieht man verschiedenste Personen Gratiszeitungen lesen. Der Grund dafür dürfte in der kostenlosen Verfügbarkeit und dem Selbstverständnis der Zeitungen als Pendlerzeitungen liegen. Auch wer beispielsweise die NZZ abonniert hat, wird auf der Heimfahrt von der Arbeit einen Blick in diese Zeitungen werfen. Die Gefahr dieser Entwicklung liegt in der boulevardesken Form von Gratiszeitungen. Die Themen werden stark vereinfacht und die Autoren stellen sich selber gerne als Experten dar. Andere Meinungen werden häufig verniedlicht oder lächerlich gemacht. Ohne Hintergrundwissen gerät man beim Lesen von solchen Artikeln in Versuchung, dem Autor zuzustimmen. Man könnte also sagen, dass sich die Herausgeber der Gratiszeitungen zu wenig ihrer Verantwortung bewusst werden. Im Grunde genommen ergibt sich daraus genau dasselbe Problem wie bei Artikeln aus dem Internet. Die Leser hinterfragen die Informationen nicht und bilden ihre Meinung aufgrund von simplen Logiken (etwas salopp ausgedrückt: Stammtischargumenten). Dadurch wird eine Denkfaulheit gefördert, die, gerade in der Schweizerischen direkten Demokratie, eine reale Gefahr darstellt. Die Relevanz der öffentlichen Meinung zur Gentechnologie Nachdem die aktuelle Entwicklung in der öffentlichen Meinungsbildung diskutiert wurde, muss man sich die Frage stellen, inwieweit man diese überhaupt für Entscheidungen zur Gentechnologie berücksichtigen soll und kann. Gerade in einer direkten Demokratie wie der Schweiz sollte das diskutiert werden. Durch eine problematische Berichterstattung in den verschiedenen Medien werden in der Bevölkerung diffuse Ängste verbreitet. Dadurch werden rationale Entscheidungen, beispielsweise bei Volksabstimmungen, verunmöglicht. Eine weit verbreitete Anekdote soll dieses Problem verdeutlichen: In einer Umfrage sollen angeblich 60 % der Befragten angegeben haben, sie würden keine Tomate essen, die DNA enthält. Ob diese Befragung jemals stattgefunden hat, ist zugegebenermassen unklar, das eigentliche Problem stellt sie aber schön dar. Viele Menschen haben Angst vor gentechnisch veränderten Organismen und würden keine Lebensmittel kaufen, die solche enthalten. Gleichzeitig verwendet fast jeder unwissend Waschmittel, deren Enzyme gentechnologisch manipuliert wurden. Auch auf die medizinischen Fortschritte, die auf gentechnologischer Forschung basieren, möchte kaum einer verzichten. Deshalb sollte die Grundlage für jede Entscheidung in diesem Bereich eine möglichst objektive Risiko-Nutzen-Abschätzung sein. Schlussbetrachtung Es soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, Gentechnologie sei in jeder Hinsicht völlig unproblematisch und harmlos. Wichtig ist aber, dass die Diskussion darüber sachlich abläuft. Dazu muss man sich bewusst werden, dass es ohne Forschung grundsätzlich unmöglich ist, irgendwelche Gefahren oder Chancen dieser neuen Technologie abzuschätzen. Dazu ist eine verantwortungsvolle Berichterstattung in den Medien unverzichtbar. Unterstützend könnte in diesem Punkt eine sachliche Information seitens des Staates oder der Hochschulen wirken, um irrationale Ängste abzubauen. 4