Psychodynamische Falldiagnose

Transcription

Psychodynamische Falldiagnose
Berichte aus der Abteilung Klinische Psychologie I Nr. 49 11/2002
Brigitte Boothe
Psychodynamische
Falldiagnose
Prof. Dr. Brigitte Boothe, Psychologisches Institut der Universität Zürich, Abteilung Klinische Psychologie, Psychothera­
pie und Psychoanalyse Binzmühlestrasse 14/16, CH­8050 Zürich, Tel 0041 44 635 73 21, Fax 0041 44 635 73 29, Mail:
[email protected]
Prof. Dr. Brigitte Boothe, Psychologisches Institut der Universität Zürich Abteilung Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse, Binzmühlestrasse 14/16,CH­8050 Zürich, Tel. 0041 44 635 23 21, Fax. 0041 44 635 73 29, Mail: [email protected] Psychodynamische Falldiagnose Die vorliegende psychodynamische Falldiagnose wird nach einer bis fünf Abklärungssitzungen ausgefüllt, mit Ausnahme von Punkt 11: „Résumé“. Sie gliedert sich in folgende Abschnitte: 1. Zugangsweg/Therapiemotivation.....................................................................2 2. Anamnese .......................................................................................................2 3. Beschwerden...................................................................................................2 4. Träume, Beziehungsepisoden, Erzählungen...................................................7 5. Befriedigung, Bestätigung, Aggression, Libido, Destruktion ............................8 6. Abwehr .......................................................................................................... 10 7. Kommunikation.............................................................................................. 11 8. Psychodynamische Konflikte......................................................................... 13 9. Kreditierung ................................................................................................... 18 10. Indikation am Ende der Abklärungsphase ..................................................... 19 11. Résumé am Ende der psychotherapeutischen Behandlung.......................... 19 Anhang Auswertungsblatt Kurz­Auswertung Liste der bisherigen Abteilungsberichte
1. Zugangsweg Kontaktaufnahme Auf welchem Weg kam die Rat oder Psychotherapie suchende Person zu Ihnen? Beispiele zur Erläuterung: Empfehlung durch Freunde; Telefonbuch; Überweisung durch Arzt. Konsequenzen Ergeben sich daraus Konsequenzen für die Art der Kooperation? Beispiele zur Erläuterung: Der(die) Patient(in) ist von Angehörigen geschickt worden, will diesen den Gefallen tun, den Termin wahrzunehmen, macht dem(der) Therapeuten(in) aber kein Angebot, sich mitzuteilen. Oder: Der(die) Patient(in) kommt, weil eine Vertrauensperson die Fähigkeiten des(r) The­ rapeuten(in) besonders herausgestellt hat; nun setzt er besondere Hoffnungen auf den(die) Thera­ peuten(in) oder ist besonders kritisch oder anspruchsvoll. Oder: Aktuelle Krise und Appell, rasch Lin­ derung zu schaffen. 2. Anamnese Worunter leidet der(die) Patient(in) nach seiner(ihrer) Darstellung? Was berichtet der(die) Patient(in) über sei­ ne(ihre) gegenwärtigen und früheren priva­ ten und beruflichen Lebensverhältnisse? Gibt es äussere Anlässe für eine private oder berufliche Notlage? Wann und unter welchen Umständen haben die Beschwerden des(r) Patienten(in) be­ gonnen? Mit welchen Mitteln hat der(die) Pati­ ent(in) bis jetzt seine Beschwerden ei­ nerseits, äussere Schwierigkeiten ande­ rerseits behandelt? Was führte dazu, dass die Selbstbehandlung in Frage gestellt ist? 3. Beschwerden Bestimmen Sie das Beschwerdebild des(r) Patienten(in) nach der Beschwerdenliste: Seelische Beschwerden von Symptomwert oder entsprechendem Leidensdruck Psychische Befindlichkeit, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung Vage Neigungen zu Unzufriedenheit und Missstimmung, häufig im Sinne von Leere, Unzufriedenheit, Sinnlosigkeit Niedergeschlagenheit, Verstimmung, Stimmungsschwankungen, Apathie (auch körperlicher Art), Inte­ resselosigkeit Sich aufdrängende Schamgefühle, Insuffizienzgefühle, Schuldgefühle Unsicherheit, Befangenheit, Spannung, Verlegenheit, Peinlichkeit, Irritierbarkeit gegenüber dem an­ deren Geschlecht Unsicherheit, Befangenheit, Spannung, Verlegenheit, Peinlichkeit, Irritierbarkeit im sozialen Kontakt Suizidgedanken Übermässiges Schlafbedürfnis, anhaltende Ermüdungs­ und Erschöpfungszustände
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 2 Unruhe, Erregtheit, Irritiertheit, Reizbarkeit Ein­ und Durchschlafstörungen (Circadian j/n) Apathie, Interesselosigkeit, Mattigkeit, motorische Verlangsamung (ohne Erwähnung einer Stim­ mungsbeeinträchtigung) Tagträume, Wachfantasien Störungen der Gedächtnisfunktion, Konzentrationsstörung, Fehlleistungen wie z.B. Vergessen Veränderung der Bewusstseinslage, auch Derealisations­ und/oder Depersonalisationserlebnisse Anderes Hemmung und Kontrolle Zwangshandlungen Zwangsgedanken, Zwangsgrübeleien, Zwangsbefürchtungen, magische Befürchtungen Eindruck, beobachtet, kontrolliert, verfolgt zu werden Pedanterien Vermeidungsverhalten Sexuelle Hemmung/Enthemmung Ein­ und Durchschlafstörungen, Schlafverlust, andere Schlafstörungen (Tagesschwankungen j/n) Initiativeverlust Schlafhandlungen, bsp. Schlafwandeln Anderes Angst Angst, von einer bestimmten Krankheit befallen zu sein Angst vor Verlust eines wichtigen Bezugsobjekts Angst vor aktueller, situationsbedingter Trennung von wichtiger Bezugsperson Phobische Zustände oder Anfälle: Gewitter­, Platzangst, Angst vor engen Räumen, Tierphobien, Dunkelphobien, Höhenangst Soziale Angst, Errötungsangst Allgemeine Ängstlichkeit, Schreckhaftigkeit Panikattacken Frei flottierende gegenstandslose Angst, Todesangst Anderes Körperliche Beschwerden von Symptomwert Kopf und Hals Vorzeitiges Ergrauen, vorzeitiger Haarausfall Stirn­, Schläfenkopfschmerzen Augendruck, Augenschmerzen, Augenstechen, Augentränen, zu trockenes Auge, entzündliches Au­ ge, Sehstörungen Schnupfen, laufende Nase, verstopfte Nase, Geruchsstörungen, Näseln Tinnitus, Hörsturz, Hörstörungen Nervenschmerzen, Gesichtsschmerzen, Gesichtslähmungen, Erröten Entzündung der Nasen­ und Stirn­Nebenhöhlen Übermässiger Speichelfluss, Mundtrockenheit Husten, Heiserkeit Stimmstörungen, Sprechstörungen (z.B. Lispeln, Stottern) Geschwollene Zunge, Zungenbelag, Entzündungen in der Mundhöhle, Zungenbrennen, Ge­ schmacksstörungen Zahnschmerzen, Zahnempfindlichkeiten, Zähneknirschen Hinterkopfschmerzen
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 3 Hals­, Rachenschmerzen, Halsjucken, trockener Hals Schnupfen, Erkältungsbeschwerden Schluckstörungen, Kloss im Hals, Engegefühl im Hals, belegte Stimme Verspannungen im Schulter­Nackenbereich, Schmerzen im Schulter­Nackenbereich, spastischer Schiefhals Anderes Herz und Kreislauf Brustschmerzen, Stechen in der Brust Herzschmerzen, Herzstechen, Herzrasen, Druck in der Herzgegend, Herzstolpern, Herzbeklemmung Atembeschwerden Hyperventilation Husten Schwindel, Ohnmachten, Kollaps, Augenflimmern, Ohrensausen Hitze­, Kälte­, Schwächegefühl Periphere Durchblutungsstörung, Kribbeln an Händen, an Füssen, Blässe, hektische Flecken, Kälte­ marmorierung, rotblaue Verfärbungen Anderes Bauch Sodbrennen, Magenreizungen, Magenbeschwerden, Völlegefühle Bauchschmerzen, Gallenbeschwerden, Koliken Stechen im linken Oberbauch Druckgefühle im rechten Oberbauch Bauchweh, Darmkrämpfe, Blähungen Verstopfung Durchfälle Einkoten Reizblase, Harndrang Schmerzen beim Wasserlassen Schwierigkeiten beim Wasserlassen Bettnässen, Einnässen Anderes Wirbelsäule Verspannungen, Rückenschmerzen, Hexenschuss Anderes Geschlechtsorgane Schmerzen beim Geschlechtsverkehr Entzündungen der Geschlechtsorgane, Geschlechtserkrankungen Unfruchtbarkeit (weiblich, männlich) Schwangerschaftsstörungen, gestörte Schwangerschaft (z.B. Spontanabort) Scheidenkrampf, Ausbleiben des Orgasmus, reduzierte oder fehlende Lubrikation, fehlende Erregung Ausbleiben, Unregelmässigkeiten, Schmerzen bei der Regelblutung, Ausfluss Erektionsschwierigkeiten, vorzeitiger Samenerguss, verspäteter Samenerguss, Samenerguss ohne Lustempfindung Anderes
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 4 Extremitäten Gangstörungen Gelenkbeschwerden, schwere Beine, Schmerzen in den Beinen Waden­, Zehenkrampf Schweissfuss, Fusspilz Anderes Allgemeine Körperbeschwerden Schweissneigung Fieber Hautbeschwerden Überempfindlichkeit, Temperaturempfindlichkeit, Unempfindlichkeit, Schmerzen Zittern Krämpfe Erstarrungen, Lähmungen Bewegungsunruhe Ticks Knochenbeschwerden Anderes Vordiagnosen durch den(die) Patienten(in) Patient(in) berichtet z.B. akute oder chronische Organerkrankungen, übernommene diagnostische Formulierungen („Colitis ulcerosa“, „Globus hystericus“, „kongestive Kardiomyopathie“, „Lumboischi­ algien“) Behinderungen Körperliche Behinderung Geistige Behinderung Spezielle Verhaltensweisen von Krankheitswert, Manifestationen im Charakter­ und Leistungsbereich, Traumatisierungen Auffälligkeiten im Konsumverhalten Reduktion der Nahrungsaufnahme Essen und Erbrechen Essen und Diuretikagebrauch Essen und Laxantiengebrauch Übermässiges Essen Übermässiger Alkoholkonsum Übermässiger Medikamentenkonsum Übermässiger Drogenkonsum Übermässiger Nikotinkonsum Anderes Verwahrlosung Vernachlässigung der äusseren Erscheinung, der Körperpflege Vernachlässigung der Kinderpflege Vernachlässigung des Haushaltes, Fahrlässigkeit im Umgang mit Geld und Eigentum Neigung zu Lügen, Weglaufen, Bummeln
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 5 Anderes Schwierigkeiten in sexuellen Beziehungen Aversion gegen bestimmte sexuelle Aktivitäten Übermässige Onanie Fixierungen auf bestimmte Sexualpartner, Perversionen Fixierungen auf bestimmte Rituale Masochistische Tendenzen Sadistische Tendenzen Promiskuität Anderes Delinquenz, Prostitution Weibliche/männliche Prostitution, Kinderprostitution Diebstahl Hochstapelei, Heiratsschwindel Bandendelinquenz Delikte mit Verkehrsmitteln im Rausch Anderes Fremdschädigungsverhalten Pyromanie, Zündeln Querulatorisches Verhalten Unkontrollierte Erregbarkeit, Explosivität, Jähzorn, notorische Wut­ und Erregungsausbrüche Misshandlung des Ehepartners, der Ehepartnerin, der Kinder Sexueller Missbrauch des Intimpartners, der Intimpartnerin, eines eigenen Kindes Gewaltdelikt wie Raubüberfall, Vergewaltigung, Mordanschlag, Erpressung, Totschlag, Mord Anderes Selbstschädigendes Verhalten Tics (Daumenlutschen, Mutismus, Clownerien) Nägelknabbern, Nägelreissen Selbstzugefügte Verletzungen, Verstümmelungen am eigenen Körper Neigung zur Ungeschicklichkeit, zu Unfällen Verbleiben in Situationen, in denen der(die) Patient(in) Schädigungen und Nachteilen ausgesetzt ist Neigung zum Opfer­Sein Suizidversuche Anderes Arbeitsschwierigkeiten Lügen, Weglaufen, Bummeln, usw. Trotzreaktionen und Verhaltensschwierigkeiten gegenüber häuslichen Erziehungsberechtigten oder in Schul­ und Arbeitssituationen Schulschwierigkeiten, Leistungsverweigerung, Verhaltensauffälligkeiten, Leistungsversagen Arbeits­ und Berufsschwierigkeiten im Sinne von primär und sekundär konfliktbedingtem Versagen Rentenneurotische Tendenzen Anderes Opfer von Gewalteinwirkung Erlittene menschliche Gewalteinwirkung ohne Traumatisierungsfolgen Erlittene menschliche Gewalteinwirkung mit Traumatisierungsfolgen Erlittene nicht­menschliche Gewalteinwirkung ohne Traumatisierungsfolgen Erlittene nicht­menschliche Gewalteinwirkung mit Traumatisierungsfolgen
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 6 Anderes 4. Träume, Beziehungsepisoden, Erzählungen Geben Sie möglichst wörtlich aus dem Gedächtnis oder als Nachschrift vom Tonträger einen oder mehrere Traumberichte wieder. Oder notieren Sie möglichst wörtlich oder als Nachschrift vom Tonträger eine oder mehrere Beziehungsschilderungen oder Erzählungen des(der) Patienten(in). Formulieren Sie möglichst detailgetreu, und verwenden Sie die Ich­Form. Kommentieren Sie anschliessend kurz, was Ihnen an der Erzählung oder dem Traum als klinisch besonders bedeutsam auffällt und bilden Sie eine Hypothese zu SOLL, ANTI­SOLL und SEIN. SOLL, ANTI­SOLL und S E I N Die dramaturgische Perspektive fasst das Narrativ als dynamische Organisation auf. Wer eine All­ tagserzählung oder einen Traumbericht hört, ist interessiert am Gang der Handlung. Drei Fragen lei­ ten die Verständigung zwischen Sprecher und Hörer: Was ist los?
Wie geht es weiter?
Wo führt das hin?
®
®
®
Das ist die Initialphase Das ist die Entwicklung Das ist das Ergebnis Initialphase, Entwicklung und Ergebnis machen den narrativen Spannungsbogen aus. Wie kommt der narrative Spannungsbogen zustande? Durch den Erwartungshorizont, der die Erzählung eröffnet. Der Erwartungshorizont vermittelt sich gewöhnlich in der Initialphase der Erzählung. Die Initialphase der Erzählung schafft eine Erwartung für den Hörer und eine Verpflichtung für den(die) Sprecher(in). Wir können von einer Erwartungsregel und von einer Verpflichtungsregel sprechen. 1. Die Erwartungsregel besagt: Die Ausgangslage eröffnet dem(r) Hörer(in) einen spezifischen Erwartungshorizont 2. Die Verpflichtungsregel besagt: Die Ausgangslage verpflichtet den(die) Erzähler(in) Aus Erwartungsregel und Verpflichtungsregel ergibt sich die Idee der Spielregel: Wir bestimmen die Spielregel einer Erzählung als hypothetisches Konstrukt: Die Eröffnung eines Erwartungshorizonts mit Verpflichtungscharakter in der Initialphase des Narrativs bezeichnen wir als Spielregel. Wenn wir die Erzähldynamik bestimmen, so sehen wir die Erzählung als Prozess, in dem sich Dyna­ mik aufbaut, entwickelt und abbaut oder abschliesst. In diesem Sinne unterscheiden wir bei einer ge­ gebenen Erzählung: Startdynamik (Aufbau) Entwicklungsdynamik (Entwicklung) Ergebnisformulierung (Abbau/Abschluss) Die Startdynamik etabliert jenes Bedingungsgefüge, das der Erzählung ihre spezifische Ausrichtung auf ein Ziel hin gibt. Der phasische Verlauf von Erzählungen lässt sich durch die Unterscheidung von Startdynamik – welche die Formulierung der Spielregel gestattet – Entwicklungsdynamik und Ergeb­ nisformulierung grob erfassen. Die Spielregel einer Erzählung ist der zwischen SOLL und ANTISOLL aufgespannte Erwartungshori­ zont, der in der Startdynamik gesetzt wird. SOLL und ANTISOLL werden hypothetisch erschlossen: SOLL: Ausformulierung der optimalen Zielerreichung unter Berücksichtigung der gegebenen Aus­ gangsbedingungen. ANTISOLL: Ausformulierung der maximalen Zielverfehlung unter Berücksichtigung sämtlicher ge­ gebener Ausgangsbedingungen.
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 7 Demgegenüber kennzeichnen wir mit SEIN die tatsächliche Entwicklung und den tatsächlichen Ab­ lauf, den die erzählte Geschichte oder der berichtete Traum hat. 5. Befriedigung, Bestätigung, Aggression, Libido, Destruktion Werden Formen der Befriedigung, der Bestätigung und der Aggression in der Interaktion oder im Bericht des(der) Patienten(in) deutlich, die für ihn(sie) besondere Quellen des Genusses sind? Oralität Lustquelle für die orale Vitalität ist die orale Körperzone, ebenso der Hautkontakt, die Atmung, das Sehen. Ziele des Erlebens auf triebhafter, narzisstischer und aggressiver Ebene sind die Berührung, die Rezeption, die Einverleibung ­ aktiv wie passiv. Analität Erregungszentrum für die anale Vitalität ist die anale Körperzone, die Bereiche der Motorik und die motorische Expansion. Ziele sind Ausstossung bzw. das durch Retention gewonnene Erleben kör­ pereigener Lust, sozialer Bestätigung, motorische Beherrschung bzw. motorische Unterwerfung. Das Objekt analen Erlebens wird nach dem Grad wahrgenommen, in dem es Kontrolle ausübt, sich be­ mächtigt bzw. sich unterwirft. Phallizität Erregungszentrum für die phallische Befriedigung, Bestätigung und Aggression ist die Genitalzone, d.h. hier spezifisch: der erigierbare Penis bzw. die erigierbare Klitoris. Ziele sind die durch Masturba­ tion herbeigeführte lustvolle Reizung des erigierten Organs und die exhibitionistische bzw. voyeuristi­ sche Lust der Demonstration phallischer Potenz. Das Objekt phallischen Genusses ist in erster Linie das primäre mütterliche Bezugsobjekt, Gegenstand aller zärtlichen und sinnlichen Strömungen. Genitalität Erregungszentrum für die genitale Befriedigung ist die männliche bzw. die weibliche Genitalzone in ihrer jeweiligen Gesamtheit (also nicht: Penis allein, Klitoris allein). Ziel ist die Vereinigung mit dem jeweils komplementären Genitalorgan, die Bestätigung durch den/die erotisch­sexuelle/n Partner/in und die aggressive Auseinandersetzung mit diesem. Verwenden Sie im Auswertungsblatt die jeweiligen Kästchenkombination, in dem Sie im relevanten Kästchen ein Kreuz markieren oder eine kurze charakterisierende Bemerkung eintragen. Im Folgen­ den finden Sie die Erläuterung der im Auswertungsblatt vorgesehenen Genussformen. Trieblust aktiv orale Trieblust schmecken, saugen, tasten, streicheln, summen, trällern, schmiegen, lecken, lutschen, etc. passiv orale Trieblust sich der Berührung, der Wärme, dem Wasser, der Luft, dem Atmosphärischen etc. überlassen aktiv anale Trieblust riechen, kneten, wühlen, trommeln, brüllen, bohren, beschmutzen, drücken, pressen, Lust körperlicher Spannung, körperlicher Kontrolle, körperlicher Kraft, diverser körperlicher Leistungen. Lust der Objektmanipulation, Objekt­ beherrschung und –kontrolle, Lust an Kräftemessen und der Machtausübung, provozieren, herausfordern. passiv anale Trieblust sich der körperlichen Manipulation durch ein Objekt lustvoll überlassen, z.B. durch Beschmutzt­ oder Geschlagenwerden. Lust aus Manipuliert­, Be­ herrscht­ und Unterworfenwerden. aktiv phallische Trieblust Erregung, Beachtung suchen für die Darbietung des eigenen Körpers, der e­ rogenen Zonen, der eigenen Erscheinung, der eigenen Kompetenzen, welche die Person demonstrativ zur Schau stellt, den Blicken preisgibt oder aussetzt. passiv phallische Trieblust Erregter partizipativer Genuss der phallischen Darbietung eines anderen, während man sich selbst in Publikumsrolle befindet. aktiv genitale Trieblust Die erotische Attraktivität des Gegenübers wahrnehmen, von ihr affiziert sein und geschlechtlich spezifische aktive Erregung des Geschlechtspartners, um mit den eigenen erotischen Ressourcen den Partner zu befriedigen passiv genitale Trieblust Die erotische Attraktivität des Gegenübers wahrnehmen, von ihr affiziert sein und sich mit den eigenen erotischen Ressourcen der sexuellen Initiative des Geschlechtspartners überlassen und sich auf das genital­erotische Zusam­
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 8 menspiel einstellen. Bestätigung aktiv orale narzisstische Bestätigung Sich als pflegende, versorgende, zärtliche, stillende, sättigende Person wert­ voll fühlen und auf Anerkennung zielen. passiv orale narzisstische Bestätigung Sich als wohlversorgte, mit Zärtlichkeit bedachte, gestillte, gesättigte Person wertvoll fühlen und auf Anerkennung zielen. aktiv anale narzisstische Bestätigung Sich als starke, durchsetzungsfähige, mächtige, den eigenen Willen artikulie­ rende kontrollfähige Person wertvoll fühlen und auf Anerkennung zielen. passiv anale narzisstische Bestätigung Sich als gefügige, willfährige, selbstverleugnende, dem fremden Willen sich unterordnende Person wertvoll fühlen und auf Anerkennung zielen. aktiv phallische narzissti­ sche Bestätigung Sich als Person wertvoll fühlen und auf Anerkennung zielen, die ihre körperli­ che Attraktivität und ihr phallisches Potenzial einsetzt, um das Gegenüber zu beeindrucken und ergebene Resonanz zu gewinnen. passiv phallische narzissti­ sche Bestätigung Sich als Person wertvoll fühlen und auf Anerkennung zielen, die das phalli­ schen Potenzial und die körperliche Attraktivität eines Objektes bestätigt. aktiv genitale narzisstische Bestätigung Sich wertvoll fühlen und auf Anerkennung zielen als Person, die aufgrund ih­ rer geschlechtsspezifischen erotischen Ressourcen das sexuell begehrte Ge­ genüber für sich gewinnen kann. passiv genitale narzisstische Sich wertvoll fühlen und auf Anerkennung zielen als Person, die aufgrund ih­ Bestätigung rer geschlechtsspezifischen Attraktion das Begehren des sexuell interessier­ ten Gegenübers weckt und seine Werbung herausfordert. Aggression aktiv orale Aggression beissen, reissen, zerreissen, aussaugen passiv orale Aggression Provokatives Angebot, sich beissen, zerreissen, aussaugen zu lassen aktiv anale Aggression unterdrücken, dominieren, terrorisieren, invasiv kontrollieren, demütigen, quä­ len passiv anale Aggression sich verweigern, sich entziehen, sich der Demütigung, der Qual aussetzen, auf Geheiss oder Befehl Demütigung oder Qual zufügen aktiv phallische Aggression auftrumpfen, verachten, verhöhnen, entwerten, demonstrative Kampfparolen äussern passiv phallische Aggressi­ on Partizipation am Auftrumpfen, Verachten, Verhöhnen, Entwerten des Gegen­ übers im Dienst der Enthemmung und Befreiung eigener aggressiver und de­ struktiver Regungen. aktiv genitale Aggression leidenschaftliche Initiative gegenüber dem sexuell begehrten Objekt passiv genitale Aggression Hingabe an die sexuelle Attacke des erotisch involvierten Partner. Die Trieblust, die Bestätigung und die Aggression können ausgelebt sein oder in abgewehrter Form bemerk­ bar werden, und zwar sowohl die aktive wie die passive Variante und auf allen Partialtriebebenen. Die ausge­ lebte Form wird jeweils im Vollzug und/oder im Beziehungsangebot sichtbar und spürbar, die Abwehr des je­ weiligen Trieb­, Bestätigungs­ oder Aggressionsgenusses vermittelt sich in der Interaktion mit dem(der) Pati­ enten(in) durch Verhaltensweisen, Beziehungsangebote, affektive Regungen, Phantasieinhalte oder Kommu­ nikationen, in denen Reste oder Spuren des jeweiligen Genussinhalts deutlich werden, auch wenn sich zugleich eine Abwehrbewegung zeigt. Libido und Destruktion Trieblust, Bestätigung und Aggression können entweder libidinösen oder destruktiven Charakter ha­ ben. Der libidinöse Charakter von Trieblust, Bestätigung und Aggression zeigt sich als Tendenz zur Bindung, Vereinigung, zum Objektkontakt, zur Verknüpfung, Integration. Der destruktive Charakter zeigt sich als Tendenz zu Lösung, Auflösung von Bindung; Zerstörung, Desintegration. Auf der Ebene der Trieblust besteht die libidinöse Tendenz im integrierenden Objektkontakt und die destruktive Ten­ denz im desintegrierenden Objektkontakt. Auf der Ebene der Bestätigung besteht die libidinöse Ten­ denz vom Anerkanntwerden als gut, die destruktive Tendenz im Anerkanntwerden als böse. Auf der Ebene der Aggression besteht die libidinöse Tendenz in der Attacke im Dienst der Reibung am Ob­
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 9 jekt und die destruktive Tendenz in der Attacke im Dienst der Desintegration oder Zerstörung des Ob­ jekts. 6. Abwehr Patient(in) In den folgenden Definitionen steht S für Subjekt, d.h. für diejenige Person, die den Abwehrprozess durchführt; O ist als Abkür­ zung für Objekt bzw. Objektvorstellung zu verstehen. Welche Abwehrmechanismen sind Ihnen beim(bei) der Patienten(in) aufgefallen? (3­4 Nennungen) Affektäquivalent statt Affekt S zeigt Körperreaktionen, ohne Zugang zu den Phantasien und Affekten zu haben, die im Zu­ sammenhang mit diesen Körperreaktionen stehen könnten. Agieren S umgeht Wahrnehmung und Kontrolle verpönter / bedrohlicher Triebimpulse oder Affekte gegenüber O, indem S unmittelbar zum Handeln übergeht Allmachtsvorstellung S setzt sich als Ideal­Ich und umgeht damit die Bedrohlichkeit von Triebimpulsen sowie von entsprechenden Selbst­ und Objektvorstellungen. Altruistische Abtretung S macht die Wahrnehmung eines bedrohlichen / verpönten Triebimpulses und / oder einer bedrohlichen Selbst­ oder Objektvorstellung verträglich, indem S den Erfolg oder Genuss der zielorientierten Handlungen begrüsst und geniesst, wenn S sich gegenüber O als solidarisch identifiziert erleben und dem O als stellvertretendem Objekt die Impulse, Vorstellungen, Handlungen und den Erfolg oder Genuss zuschreiben kann Entwertung S erlebt die Frustration eines eigenen Triebimpulses durch O und lässt O jetzt fallen, indem S dem O Wert und Bedeutung abspricht und die eigenen Affekte gegenüber O in Gleichgültig­ keit verwandelt. Emotionalisierung S umgeht die Wahrnehmung bedrohlicher oder verpönter Triebimpulse oder unangenehmer Affekte gegenüber O, indem S gegenüber O ein stark affektbewegtes Ausdrucksgebaren zeigt. Idealisierung S setzt O als Ideal und schafft sich damit eine äussere Instanz, mit deren Hilfe S der Bedroh­ lichkeit von Triebimpulsen sowie von entsprechenden Selbst­ und Objektvorstellungen Herr zu werden sucht. Identifikation S übernimmt Teilfunktionen von O als Bestandteil der eigenen Person, in denen Triebimpulse zum Ausdruck kommen, deren Befriedigung S versagt sind. Identifikation mit dem Aggressor S übernimmt Ausdrucksweisen und Teilfunktionen von O als Bestandteil der eigenen Person, in denen aggressive und destruktive Triebimpulse zum Ausdruck kommen, von denen S sich durch O bedroht fühlt. Intellektualisierung S umgeht die Wahrnehmung von Triebimpulsen und Affekten gegenüber O, indem S die Be­ ziehung von O ausschliesslich über das Angebot kognitiver Inhalte aufnimmt. Introjektion S übernimmt O als Bestandteil der eigenen Person, weil O in der Vorstellung von S Triebim­ pulse hat und befriedigen kann, über deren Befriedigung S selbst nicht verfügt. Isolierung S hält einen Affekt von der dazugehörigen Vorstellung getrennt, so dass der Affekt nicht er­ lebt wird und der dahinterliegende Triebimpuls als nicht zur eigenen Person gehörig verstan­ den werden kann. Konversion S umgeht Wahrnehmung und Kontrolle verpönter / bedrohlicher Triebimpulse oder Affekte gegenüber O, indem S Begehren und Bedrohung auf der Ebene des Körperlichen zur Dar­ stellung bringt.
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 10 Projektion S überträgt verpönte / bedrohliche Triebimpulse auf O und nimmt sie nur bei O wahr. Projektive Identifizierung S externalisiert aggressive und destruktive Impulse und überträgt sie auf O. S erlebt jetzt O als Angreifer und Zerstörer und muss daher O selbst kontrollieren, manipulieren und angrei­ fen. Rationalisierung S umgeht die Wahrnehmung eines bedrohlichen / verpönten Triebimpulses gegenüber O, in­ dem er mit diesem Triebimpuls verbundene Affekte oder Einstellungen oder Handlungen durch Rechtfertigungen umgibt, die nützlich, situationsangemessen oder moralisch akzepta­ bel erscheinen sollen. Reaktionsbildung S lässt O gegenüber Einstellungen und Handlung zum Ausdruck kommen, die denjenigen entgegengesetzt sind, die in S durch einen bedrohlichen / verpönten Triebimpuls ausgelöst worden waren. Regression / Ich­Regression S ersetzt Handlungs­ und Erlebnismuster auf einem fortgeschrittenen Niveau der Ich­ Entwicklung durch solche Handlungs­ und Erlebnismuster, die auf einem früheren Niveau der Ich­Entwicklung liegen. Regression / Trieb­Regression S ersetzt Triebimpulse auf einem psychosexuellen fortgeschritteneren Niveau durch Triebim­ pulse auf einem psychosexuellen früheren Niveau. Spaltung S hält Vorstellungen und Impulse aggressiver / destruktiver Art und Vorstellungen libidinöser / konstruktiver Art aktiv voneinander getrennt, so dass S entweder ganz in einem oder ganz im anderen Vorstellungs­ und Impulsbereich aufgeht, bis sich ein Wechsel zum entgegengesetz­ ten Zustand vollzieht. Ungeschehenmachen S umgeht die Wahrnehmung eines bedrohlichen / verpönten Triebimpulses gegenüber O, in­ dem S ein zuvor gezeigtes in Einklang mit dem bedrohlichen / verpönten Triebimpuls stehen­ des Verhalten durch ein entgegengesetztes rückgängig macht. Verdrängung S unterdrückt die Wahrnehmung bedrohlicher / verpönter Triebimpulse oder bestimmter Af­ fekte, die S gegenüber O hat. Verkehrung ins Gegenteil S lässt O gegenüber einen Affekt zum Ausdruck kommen, der demjenigen entgegengesetzt ist, der in S durch einen bedrohlichen / verpönten Triebimpuls ausgelöst worden war. Verleugnung S verweigert die Wahrnehmung bedrohlicher / verpönter Triebimpulse oder bestimmter Affek­ te, die S gegenüber O hat. Vermeidung S umgeht die Wahrnehmung bedrohlicher / verpönter Triebimpulse oder bestimmter Affekte, die S gegenüber O hat. Verschiebung S überträgt bedrohlich / verpönte Triebimpulse bzw. bestimmte Affekte gegenüber O auf eine ungefährlichere Vorstellung von O. Verwandlung von Passivität in Aktivität S kontrolliert Angst dadurch, dass S so handelt, wie es ihm durch O widerfahren ist. Verwandlung des Affektausdrucks S umgeht die Wahrnehmung eines bedrohlichen / verpönten Triebimpulses gegenüber O, in­ dem die mit der auslösenden Situation verbundenen Affekte nur dann zum Ausdruck kom­ men, wenn die Situation von S als weniger bedrohlich erlebt wird. Wendung gegen die eigene Person S richtet solche aggressiven und destruktiven Regungen gegen die eigene Person, die ur­ sprünglich O galten. Therapeut(in) Haben Sie bei sich selbst bestimmte Bewegungen der Abwehr im Gespräch oder beim Nachdenken über den(die) Patienten(in) bemerkt?
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 11 7. Kommunikation Emotional bedeutsame Szenen: Gibt es im Umgang mit dem(der) Patienten(in) Dinge, die für Sie angenehm oder erfreulich sind und andere, die Sie irritieren, stören, befremden, ärgern etc.? Fallen Ihnen diesbezüglich bestimmte Epi­ soden ein, die Sie mit dem(der) Patienten(in) erlebt haben? Rollenzuweisungen des(der) Patienten(in) an das therapeutische Gegenüber: In welcher Rolle? Was sieht er(sie) in Ihnen? Welche Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen verknüpft er(sie) mit Ihnen? Wie nutzt der(die) Patient(in) konkret das Gespräch? Was kann er(sie) brauchen, was nicht? Rollenangebote des(der) Therapeuten(in) an den(die) Patienten(in): In welcher Rolle, welchen Rollen erleben oder sehen Sie den(die) Patienten(in)? Wie gestalten Sie die Kommunikation mit ihm(ihr)? Welche Beziehungsangebote vermitteln Sie ihm(ihr) kommunikativ? Wird Ihnen ein Anliegen deutlich? Wird Ihnen im Austausch mit dem(der) Patienten(in) ein Anliegen deutlich, das er(sie) an Sie heran­ trägt? Was verstehen Sie als das Anliegen, das der(die) Patient(in) an Sie heranträgt? Suchen Sie in fiktiver Identifikation mit dem(der) Patienten(in) nach Ich­Formulierungen. Beispiele zur Erläuterung: Ich bin ohne Orientierung und brauche ein Rezept. Helfen Sie mir, mich von meiner Frau zu trennen! Ich leide unter meinem eigenen Perfektionismus und möchte hier ver­ stehen, warum ich das nicht ändern kann. Immer bin ich herumgestossen worden, geben Sie mir Entschädigung. Wie gehen Sie emotional damit um? Beispielsweise eher zurückweisend, eher positiv beteiligt? Haben Sie Lust, den(die) Patienten(in) zu etwas anderem zu überreden? Sagt Ihnen das Anliegen zu? Wie gehen Sie praktisch damit um? Wie reagieren Sie auf dieses Anliegen praktisch im Hier und Jetzt des Gesprächs? Was freut den(die) Patienten(in)? Was verschafft ihm(ihr) ein positives Lebensgefühl, Zuversicht, Lebensbejahung, eine Hoffnungs­ o­ der Zukunftsperspektive, Freude an zwischenmenschlichen Beziehungen oder Beziehungen zu Tie­ ren, Dingen, an Beschäftigungen? Entsteht beim(bei) der Patienten(in) Freude im Gespräch? Wenn Ja, wobei? Beispiele zur Erläuterung: Der(die) Patient(in) fasst eine Bemerkung des(der) Therapeuten(in) als Anerken­ nung auf und freut sich darüber; der(die) Therapeut(in) äussert sich über die Möglichkeit des(der) Patienten(in), selbstbewusster zu werden, zuversichtlich, und der(die) Patient(in) entspannt sich und wird heiter; Begegnung mit einer Per­ son, die ihm/ihr wichtig war, und wird dabei zunehmend froh. Wenn nein, warum? Beispiele zur Erläuterung: Der(die) Patient(in) wirkte, als befinde er(sie) sich vor Gericht und habe dauernd mit Verurteilung zu rechnen; der(die) Patient(in) machte sich durchweg grosse Sor­ gen, weil er(sie) mit der Kündigung seines Arbeitsplatzes rechnete und löste sich davon nicht; selbst wenn der(die) Patient(in) lachte, klang es böse, es herrschte ei­
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 12 ne Atmosphäre explosiver Gereiztheit; der(die) Patient(in) sprach nur abschätzig und verächtlich mit mir und fand das ganze Gespräch wertlos. Erleben Sie selbst im Gespräch Momente der Freude? Wenn ja, wobei? Beispiele zur Erläuterung: Ich hatte den Eindruck, dass der(die) Patient(in) Vertrauen zu mir fasste, und das freute mich; auf einmal zeigte er(sie), mitten in bedrückter Stimmung, Humor, und wir beide lachten befreit; er(sie) sagte beim Hinausgehen: "Es geht mir jetzt bes­ ser", und ich war froh und erleichtert; ich hatte ihn(sie) schon richtig beneidet werden seines Erfolges und als er jetzt von der Schlappe sprach, war ich scha­ denfroh; ich freute mich sehr, als er zum ersten Mal deutlich werden liess, wie herzlich die Zuneigung zu seiner(ihrem) Frau(Mann) war, über die er/sie immer gesprochen hatte, wie über etwas Nebensächliches. 8. Psychodynamische Konflikte 8.1 Psychodynamische Konfliktmodelle
·
·
·
Psychodynamisches Konfliktmodell bei psychotischer Organisation
Psychodynamisches Konfliktmodell bei präpsychotischer Organisation
Psychodynamisches Konfliktmodell bei Borderline­Organisation
·
·
Psychodynamisches Konfliktmodell bei vorherrschend psychosomatischem Erscheinungsbild
Psychodynamisches Konfliktmodell bei narzisstischer Organisation
·
·
Psychodynamisches Konfliktmodell bei phobischer Organisation
Psychodynamisches Konfliktmodell bei vorherrschend depressivem Geschehen
·
Psychodynamisches Konfliktmodell bei zwanghaft kontrollierender Organisation
·
Psychodynamisches Konfliktmodell bei Störungen der phallisch­sexuellen Organisation
·
Psychodynamisches Konfliktmodell bei Störungen der Über­Ich­Organisation Psychodynamisches Konfliktmodell bei psychotischer Organisation Wunsch nach Verbundenheit und Sicherheit (SU) angesichts der Vernichtungsgefahr der eigenen körperlichen und psychischen Existenz durch ein omnipotentes invasives Objekt. Interaktion Schaffung einer Szenerie und Dramaturgie von Figuren und Handlungsabläufen, die für den Ver­ such einer Konfliktbewältigung des(r) Patien­ ten(in) von höchster Bedeutsamkeit und Wahr­ heit sind. Primärprozess / Sekundärprozess Überwiegen primärprozesshaften Denkens Selbst Undifferenziertes Selbst­Objekt Impulsabfuhr Ungesteuerte Impulsabfuhr Vorherrschende Angst Angst vor Vernichtung (VA) Vorherrschende Angstbewältigung Organismisches Unbehagen, dessen Besänfti­ gung nicht gesichert ist, aber häufig durch de­ struktive wie selbstdestruktive Handlungen ver­ sucht wird. Psychodynamische Falldiagnose Abwehrorganisation Vorherrschen archaischer Abwehr­ und Kompen­ sationsmechanismen wie halluzinatorische Wunschbefriedigung, Spaltung, Verschmelzung mit idealen Objekten, Entwertung, Verleugnung Affekte Archaisch­positive und archaisch­negative Affek­ te Frustrationstoleranz Frustrationstoleranz kaum gegeben Repräsentanzen Das undifferenzierte Selbst­Objektbild existiert in wechselnden Spaltungen Objektbeziehung Ebene von Spannungsminderung und Bedürfnis­ stillung Interaktionsmuster Archaische Dyade
Leitlinien Version 11 / 2002 13 Psychodynamisches Konfliktmodell bei präpsychotischer Organisation Wunsch nach Verfügung über die eigene körperliche und psychische Existenz beim Versuch der omnipotenten Kontrolle bzw. des defensiven In­Schach­Haltens des mächtigen, invasiven Objekts (VO) an dem man zugleich teilhat. Bei Kern­ berg werden drei Charaktertypen der präpsychotischen Persönlichkeit beschrieben: die paranoide ­ die schizoide ­ die hypomanische Persönlichkeit (Kernberg, O. [1978]. „Borderline­Störungen und pathologischer Narzissmus“. Frankfurt: Suhrkamp Verlag). Interaktion Vorherrschen interpersonellen Agierens bei der Konfliktbewältigung Primärprozess / Sekundärprozess Einbrüche primärprozesshaften Denkens Selbst Undifferenziertes Selbst­Objekt Impulsabfuhr Lückenhafte Steuerung der Impulsabfuhr Vorherrschende Angst Angst vor Vernichtung (VA) Vorherrschende Angstbewältigung Besänftigung von Angst und Unbehagen von Aussen Abwehrorganisation Vorherrschen früher Abwehrorganisationen wie Spaltung, Verleugnung, Idealisierung und Entwer­ tung Affekte Archaisch­positive und archaisch­negative Affekte Frustrationstoleranz Geringe Frustrationstoleranz Repräsentanzen Selbst­ und Objektbilder sind gespalten Objektbeziehung Ebene der Bedürfnisstillung und Spannungsreduk­ tion Interaktionsmuster Dyade Psychodynamisches Konfliktmodell bei Borderline­Organisation Der Wunsch nach Selbstverfügung (VO) zusammen mit der Angst vor Preisgabe (AG) kollidieren mit dem Wunsch nach Schutz und symbiotischer Vereinigung mit dem primären Objekt (SU). Das Überwältigtwerden durch aggressive Affekte führt zur Beeinträchtigung der Fähigkeit, gute und böse Objekt­Vorstellungen und entsprechende Selbstvorstellungen zu ganzheitlichen Bildern zu verbinden. Interaktion Vorherrschen immensen interpersonellen Agierens zu Konfliktbewältigung Primärprozess / Sekundärprozess Gelegentliche Einbrüche primärprozess­ haften Denkens Selbst wenig differenziertes Selbst­Objekt Impulsabfuhr Mangelhaft gesteuerte Impulsabfuhr Vorherrschende Angst Angst vor Preisgabe (AG) Vorherrschende Angstbewältigung Besänftigung affektiven Unbehagens und Angst wird von Aussen gesucht Psychodynamische Falldiagnose Abwehrorganisation Vorherrschen archaischer Abwehrorganisationen Affekte Mangelhafte Affektdifferenzierung Frustrationstoleranz Geringe Frustrationstoleranz Repräsentanzen Neigung zur Spaltung von Selbst­ und Objektbildern Objektbeziehung Ebene der Bedürfnisstillung Suche nach dem primären Objekt Interaktionsmuster Dyade, zugleich Flucht in triangulierte Objektbeziehun­ gen
Leitlinien Version 11 / 2002 14 Psychodynamisches Konfliktmodell bei vorherrschend psychosomatischem Erscheinungsbild Der Wunsch nach Sicherheit und Verbundensein mit dem primären Objekt (SU) ist bedroht durch eigene aggressive Im­ pulse. Die eigenen aggressiven Impulse, entstehend in Zusammenhang mit Bestrebungen der Befreiung und Selbstbe­ stimmung, drohen, das primäre Objekt zu zerstören und werden als destruktive Androhungen des Objekts gefürchtet, und nach Innen verarbeitet. Interaktion Vorherrschen interpersonellen Agierens (im Modus der Unterwerfung) bei der Konfliktbe­ wältigung Primärprozess / Sekundärprozess Gelegentliche Neigung zum verdeckten pri­ märprozesshaften Denken Selbst Wenig differenziertes Selbst­Objekt Impulsabfuhr Impulsabfuhr in Richtung auf die eigene Kör­ perlichkeit Vorherrschende Angst Angst vor Verstossung (AV) Vorherrschende Angstbewältigung Besänftigung affektiven Aufruhrs und Angst­ bewältigung wird von Aussen gesucht Abwehrorganisation Vorherrschen breiter Affektabwehr, insbesondere Affektäquivalent statt Affekt, Intellektualisierung, Introjektion und Verleumdung, mit Versuch einer „Flucht nach vorne“ Affekte Geringe Affektdifferenzierung Frustrationstoleranz Geringe Frustrationstoleranz Repräsentanzen Nichtintegrierte Selbst­ und Objektbilder Objektbeziehung Ebene der Bedürfnisstillung; Suche nach dem pri­ mären Objekt Interaktionsmuster Dyade Psychodynamisches Konfliktmodell bei narzisstischer Organisation Ausgeprägte Bestrebung nach phallischer Integrität (PR) bei der Unmöglichkeit, sich auf gute verinnerlichte Objekte zu verlassen. Daher Tendenz zur Rückkehr zu einem guten primären Objekt (­Ersatz). Interaktion Interpersonelles Agieren zur Konfliktbewältigung mit dem Ziel der Selbstregulierung ist ausge­ prägt, jedoch gibt es auch intrapsychische Kon­ fliktbewältigungsformen (dazu gehören u.a. eine mehr oder weniger bewusste Tagtraumszenerie und ­dramaturgie) Primärprozess / Sekundärprozess Überwiegen sekundärprozesshaften Denkens Selbst Idealisiertes bzw. entwertetes Selbst­Objekt Impulsabfuhr Die Qualität der Impulssteuerung hängt vom Ausmass ab, in dem gute, bestätigende Objekte zur Verfügung stehen Vorherrschende Angst Angst vor Verstossung (AV) / Angst vor Potenz­ verlust (AP), Beschämungsangst (AB) Vorherrschende Angstbewältigung Besänftigung von Angst und affektivem Aufruhr von Aussen wird erwünscht; es existieren jedoch auch Formen der Selbstbesänftigung Psychodynamische Falldiagnose Abwehrorganisation Es existieren frühere, aber auch höhere For­ men der Abwehrorganisation Affekte Die Qualität der Affektdifferenzierung steigt an, wenn gute bestätigende Objekte zur Verfügung stehen und regrediert, wenn dies nicht der Fall ist
Frustrationstoleranz Die Frustrationstoleranz für Kränkung ist mini­ mal Repräsentanzen In Kränkungssituationen neigt die narzisstische Persönlichkeit zur Spaltung von Selbst­ und Objektbildern Objektbeziehung Die Objektbeziehungen befinden sich auf der Ebene der Bedürfnisbefriedigung; es werden ideale bzw. entwertete Objekte übertragen Interaktionsmuster Es gibt dyadische, früh­triangulierte sowie ödi­ palisierte Objektbeziehungen. Es werden idea­ le bzw. entwertete Objekte übertragen
Leitlinien Version 11 / 2002 15 Psychodynamisches Konfliktmodell bei phobischer Organisation Eigene Bestrebungen nach Unabhängigkeit und Selbstverfügung (VO) wie auch Wünsche, sich einem ödipalen Liebesob­ jekt mit sexuellem Verlangen (ÖT weibl., ÖT männl.) zu nähern, lösen beim Individuum Angst, Zweifel, Unsicherheit aus, insbesondere als Angst vor Fremdverfügung (AF), da es nur geringes Zutrauen in die eigenen Steuerungskompetenz hat und aggressive, kontrollierende Interventionen eines willkürlich­mächtigen Objekts fürchtet. So macht es sich von einem steuernd­schützenden inneren Objekt, das als äusserer Begleiter fungiert, abhängig. Interaktion Konfliktbewältigung durch interpersonelles Agie­ ren (Herstellung von Kontroll­ und Begleitungssi­ tuationen), aber auch intrapsychische Konflikt­ bewältigung Primärprozess / Sekundärprozess Sekundärprozesshaftes Denken überwiegt Selbst Sich differenzierendes Selbst (mangelhafte Diffe­ renzierung im Bereich von Autonomie und Ag­ gression) Impulsabfuhr Steuerung der Impulsabfuhr im aggressiven Be­ reich ist mangelhaft Vorherrschende Angst Angst vor Fremdverfügung Vorherrschende Angstbewältigung Besänftigung von Angst und affektivem Aufruhr wird über ein steuerndes Objekt versucht, zu re­ gulieren Abwehrorganisation Es existieren frühere, aber auch höhere For­ men der Abwehrorganisation Affekte Affektdifferenzierung im aggressiven Bereich minimal Frustrationstoleranz Die Frustrationstoleranz für Angst, Zweifel, Un­ sicherheit ist minimal Repräsentanzen Differenzierung der Selbst­ und Objektbilder schreitet voran Objektbeziehung Teilweise auf der Ebene der Bedürfnisstillung, teilweise auf der Ebene der Objektliebe Interaktionsmuster Übertragung eines steuernden Objekts; es gibt dyadische, früh­triangulierte sowie ödipalisierte Objektbeziehungen Psychodynamisches Konfliktmodell bei vorherrschend depressivem Geschehen Bestrebungen des Individuums nach Unabhängigkeit (SV) und Selbstverfügung (VO) lösen Schuldgefühle (SG) gegen ein als schwach, hilflos und verlassen erlebtes Objekt aus, so dass die beginnende Loslösung wieder rückgängig gemacht und die eigene Aktivität in den Dienst des Objekts gestellt wird. Interaktion Konfliktbewältigung durch interpersonelles Agieren (im Modus der Versorgung), aber auch intrapsychische Konfliktbewältigung Primärprozess / Sekundärprozess Überwiegen des sekundärprozesshaften Denkens Selbst Sich differenzierendes Selbst (bei Verleug­ nung der aggressiven Teile) Impulsabfuhr Steuerung der Impulsabfuhr bei Unterdrü­ ckung des aggressiven Bereichs Vorherrschende Angst Angst vor Sanktion der Gewissensinstanz (SG), Angst vor Verstossung (AV) Vorherrschende Angstbewältigung Angst und Affektbewältigung durch Selbst­ besänftigung Psychodynamische Falldiagnose Abwehrorganisation Vorherrschen von Abwehrorganisation auf mittlerem Niveau Affekte Affektdifferenzierung im libidinösen Bereich (nicht im Bereich des Aggressiven) Frustrationstoleranz Die Frustrationstoleranz ist auf bestimmten Gebieten gut entwickelt; aber gering für Schuldgefühle Repräsentanzen Relativ differenzierte positive Objektbilder ­ relativ undifferenzierte negative Selbstbilder Objektbeziehung Objektliebe Interaktionsmuster Die Übertragungsfähigkeit ist gegeben. Die Triangu­ lierung wird durch Regression in die Dyade abge­ wehrt
Leitlinien Version 11 / 2002 16 Psychodynamisches Konfliktmodell bei zwanghaft kontrollierender Organisation Den als antisozial erlebten analen, anal­sadistischen Triebwünschen (Wünschen nach Objektverfügung (VO)), die mit ö­ dipalen Sanktionen (ÖT mannl.) auf das primär mütterliche Objekt gerichtet werden, steht die Hypermoralität des in einer Vaterfigur personifizierten Gewissens (SG) gegenüber, das absolute Unterwerfung fordert, die oft lustvoll oder verdeckt lustvoll agiert wird. Interaktion Vorherrschen intrapsychischer Konfliktbewäl­ tigung, von da aus interpersonelle Inszenie­ rungen auf der Ebene von Macht und Ohn­ macht Primärprozess / Sekundärprozess Vorherrschen des sekundärprozesshaften Denkens bei Angst vor primärprozesshaften Durchbrüchen Selbst Relativ differenziertes Selbst mit rigider Zeichnung einer Geschlechtsidentität Impulsabfuhr Etablierte Steuerungsfunktion, bei Angst vor Durchbruch Vorherrschende Angst Kastrationsangst (KA), Angst vor Sanktion der Gewissensinstanz (SG) Vorherrschende Angstbewältigung Etablierung von Affektsignalen (wobei das Signalsystem starr und überzeichnet sein kann) Abwehrorganisation Ausgeprägte Hemmung im aggressiven Bereich, ab­ gewehrte Scham­ und Peinlichkeitsgefühle Affekte Affektdifferenzierung im libidinösen und aggressiven Bereich; zugleich besteht grosse Angst vor Affekter­ leben und Affektausbruch Frustrationstoleranz Ausmass der Frustrationstoleranz situationsabhängig Repräsentanzen Fortschritt auf dem Weg zur Etablierung ganzer Selbst­ und Objekt­Repräsentanzen Objektbeziehung Die Objektbeziehung bewegt sich auf der Ebene von Macht und Ohnmacht, Beherrschen und Unterwerfen Interaktionsmuster Es besteht die Tendenz zur Charakterübertragung. Die ödipale Triangulierung wird häufig regressiv ab­ gewehrt Psychodynamisches Konfliktmodell bei Störungen der phallisch­sexuellen Organisation Das auf den gleich­ oder gegengeschlechtlichen Elternteil gerichtete phallische Begehren (PR) mit dem Wunsch, das drit­ te Objekt auszuschliessen, seiner älteren Rechte zu berauben und es zu entwerten (ÖT weibl., ÖT männl.), löst intensive Gewissensangst (SG) aus in Verbindung mit der Befürchtung, aus der Beziehungsgemeinschaft ausgestossen zu werden (AV) und der Blamage zu verfallen (AB), und/oder mit dem Verlust der Phallizität bestraft zu werden (SG). Interaktion Vorherrschen intrapsychischer Konfliktbewäl­ tigung bei gleichzeitiger Inszenierung inter­ personellen Agierens (wobei es gewöhnlich darum geht, die Objekte von der eigenen Nichtverantwortlichkeit für schuldhafte Initiati­ ve zu überzeugen) Primärprozess / Sekundärprozess Sekundärprozesshaftes Denken, das jedoch auch häufig verdeckt im Dienst infantiler Wunschbefriedigung steht Selbst Relativ differenziertes Selbst mit phallischer ­ oder von der Phallizität abgeleiteter – Ge­ schlechtsidentität Impulsabfuhr Etablierte Steuerungsfunktionen, die im Kri­ senfall jedoch partiell zu versagen drohen Vorherrschende Angst Kastrationsangst, Gewissensangst, soziale Angst Psychodynamische Falldiagnose Vorherrschende Angstbewältigung Relativ differenzierte Affektsignale, auch Selbstbesänftigung und Besänftigung von Aussen Abwehrorganisation Abwehrorganisation auf eher höherem Niveau, wobei die Ver­ drängung im Mittelpunkt steht Affekte Relativ ausgeprägtes affektives Repertoire, das häufig in den Dienst der Beschwichtigung und Gewinnung von Objekten ge­ stellt wird Frustrationstoleranz Eher gering Repräsentanzen Überwiegend integriertes Selbst und integrierte Objekt­ Repräsentanzen Objektbeziehung Selbst­ und Objektkonstanz sind zwar überwiegend gegeben, dennoch wird regressiv die Liebe des Objekts erstrebt Interaktionsmuster Es werden umrissene infantile Objekte übertragen, die Objekt­ beziehungen befinden sich auf der Ebene ungelöster ödipaler Leitlinien Version 11 / 2002 17 Triangulierung
Psychodynamisches Konfliktmodell bei Störungen der Über­Ich­Organisation Wunsch nach Bestrafung (GI) angesichts der Entwertung der eigenen körperlichen und psychischen Existenz durch die Phanta­ sie, sich schuldig gemacht zu haben (SG). Oder Wunsch nach Vergeltung (VO) angesichts der Entwertung der eigenen körperli­ chen und psychischen Existenz durch die Phantasie, zum Opfer einer mächtigen Schädigungsinstanz geworden zu sein. Interaktion Intrapsychische Konfliktbewältigung, aber auch interpersonelle Inszenierungen auf der Ebene von Selbst­ und Fremdschädigung Primärprozess / Sekundärprozess Vorherrschen des sekundärprozesshaften Denkens bei Angst vor primärprozesshaften Durchbrüchen Selbst Differenziertes oder undifferenziertes Selbst mit vorherrschender Perspektive auf Aspekte von Schuld und Bestrafung Impulsabfuhr Brüchige Steuerungsfunktion, selbstdestruk­ tive und destruktive Durchbrüche Vorherrschende Angst Angst vor Verwerfung durch die Gewissens­ instanz (SG) Vorherrschende Angstbewältigung Etablierung von Affektsignalen (wobei das Signalsystem starr und überzeichnet sein kann) 8.2 Abwehrorganisation Ausgeprägte Hemmung oder Enthemmung im ag­ gressiven Bereich Affekte Affektdifferenzierung im Bereich von Schuld und Be­ schädigung Frustrationstoleranz Ausmass der Frustrationstoleranz situationsabhängig Repräsentanzen Auf dem Weg zur Etablierung ganzer Selbst­ und Ob­ jekt­Repräsentanzen Objektbeziehung Die Objektbeziehung bewegt sich auf der Ebene von Bestrafung, Vergeltung und Wiedergutmachung Interaktionsmuster Es besteht die Tendenz zur Charakterübertragung. Die ödipale Triangulierung wird häufig regressiv ab­ gewehrt
Tabellarische Erläuterung der Wunsch­ und Angstthemen Prototypische Wunschthemen 1. SU: 2. EK: 3. VO Verbundenheit und Sicherheit Der Zustand des Urvertrauens "Ich bin von einer freundlich bergenden und schützenden Welt umgeben" Verewigter Kindstatus Bedingungslose Akzeptanz durch Elterninstanzen "Ich bin das Zentrum des elterlichen Lebens, für alle Zeit und finde Applaus für alles, was ich biete" Objektverfügung Kontrolle und Verfügung über Objekte nach Bedarf, positive Selbstverfügung und Selbstwirksamkeit 4. AE: 5. PR: "Ich kontrolliere lustvoll die Welt der Objekte und/oder mich selbst und verfüge nach Bedarf über sie" Loyales Alter­Ego Genuss bedingungsloser Solidarität "Ich verfüge über einen loyalen Begleiter, der alles mit mir teilt, der nichts for­ dert, für mich da ist und dem ich blind vertrauen kann" Phallische Integrität Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 18 Imponierende, beifallsheischende Selbstpositionierung "Ich bin ein intaktes phallisches Lust­ und Kraftzentrum" 6. SV: Selbstgenügsamkeit Genuss der Selbstpositionierung im Eigenbezirk 7. ÖTm: "Ich verfüge über alles, dessen ich bedarf und kann mich auf eine freundlich bergende und schützende Welt verlassen" Ödipaler Triumph männlich Privilegierte, anerkannte, exklusive öffentliche Dyadenbildung als Ergebnis des Konkurenz­ und Rivalitätskampfes im triadischen Raum. Anerkennung des Mannes in seinem männlichen Potential durch die Frau ­ Intime Selbst­ verwandlung der Frau für den Mann zum Ideal der Weiblichkeit 8. ÖTw: "Ich kann Mutter dazu bringen, meine Männlichkeit anzuerkennen, und sie ver­ wandelt sich für mich in die Frau meiner Träume" Ödipaler Triumph weiblich Privilegierte, anerkannte, exklusive öffentliche Dyadenbildung als Ergebnis des Konkurenz­ & Rivalitätskampfes im triadischen Raum. Auszeichnung der Frau durch den Mann ­ Beschenkung der Frau durch den Mann mit den Res­ sourcen seiner Phallizität 9. GI: 10. GN "Vater zeichnet mich vor allen Konkurrenten und Konkurrentinnen aus, legt mir sein Herz, seine Macht und seine Schätze zu Füssen" Anerkennung durch die Gewissensinstanz Selbstverantwortung als Selbstbilligung "Für mein Denken, Fühlen und Handeln wird mir der ungeteilte Beifall meines Gewissens zuteil" Generativität Prokreativität, Fruchtbarkeit, Kreativität und Selbsttranszendenz "Ich kann etwas wachsen lassen, zum Gedeihen bringen, etwas Neues schaffen und produktiv werden" Prototypische Angstthemen 1. VA: Vernichtung Der Zustand des Urmisstrauens "Ich bin von einer abweisenden bedrohlichen Welt umgeben ohne Versorgung, Schutz und Sicherheit" 2. AV Verstossung Bedingungslose Missachtung durch Elterninstanzen "Die Eltern ignorieren mich, ich bin für sie ohne Bedeutung und finde keinerlei Beachtung, gleichgültig, was ich tue" 3. AG Preisgabe Auslieferung an Zugriff, Kontrolle und Verfügung der Objekte nach Bedarf "Ich bin hilflos der Kontrolle und Steuerung durch mächtige Objekte ausgesetzt" 4. AA soziale Ablehnung bedingungslose Verweigerung von Solidarität "Ich finde in meiner sozialen Umgebung keinen Anklang, keine Unterstützung, kann mich nicht anvertrauen und niemandem trauen" 5. AF Fremdverfügung Verhinderte Selbstpositionierung im Eigenbezirk "Mir steht kein eigener innerer Raum zur Verfügung, dessen Integrität geschützt und respektiert ist und der zu mir gehört" 6. AP Potenzverlust Ressourcenschwund und ­verlust in den Bereichen Kraft, Attraktivität und Lust "Ich bin kraftlos, lustlos und unattraktiv"
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 19 7. KA Kastration Sexuelle Avance mit Verlust der Phallizität sanktioniert "Die körperlich intime Annäherung ans ödipale Objekt wird durch Verlust der Phallizität bestraft" 8. AB: Beschämung Selbstenthüllung als Entblössung der Defizienz "Die körperlich intime Annäherung ans ödipale Objekt macht beschämend deut­ lich, dass ich nicht genüge" 9. SG Sanktion der Gewissensinstanz Selbstverantwortung als Selbstverurteilung "Das Gewissen verfolgt mich mit Verurteilung für Dinge, die ich gedacht, gefühlt oder ausgeführt habe" 10. AU Unproduktivität Stagnation, Burnout, Unfruchtbarkeit, Selbstaufgabe "Ich bin isoliert und unproduktiv" 9. Kreditierung Was traut der(die) Therapeut(in) dem(der) Pati­ enten(in) zu? Was kann er(sie) im Sinne eines Optimums in der Psy­ chotherapie erreichen? SOLL Wo steht er(sie) jetzt? SEIN Wie sähe eine Entwicklung hin zur Katastrophe in der Psychotherapie aus? ANTI­SOLL Geben Sie für die fünf Ebenen (kommunikatives Potential, Bindung, professionelles Können, ökono­ mische Ressourcen, praktische Lebensbewältigung) jeweils in kurzen Stichworten SOLL, SEIN und ANTI­SOLL an! Was traut der(die) Patient(in) dem(der) Therapeuten(in) zu? Geben Sie in kurzen freien Stichworten an, was der(die) Patient(in) Ihrem Eindruck nach von Ihnen, Ihrer Erscheinung, Ihrem Auftreten, Ihren Kompetenzen, Ihren Bemerkungen, Interventionen und An­ geboten hält – sofern Sie diesbezüglich Vermutungen oder Evidenz haben! 10. Indikation am Ende der Abklärungsphase Hier ist in wenigen Stichworten festzuhalten, welche Art der Kooperation zwischen Patient(in) und Thera­ peut(in) zustande gekommen ist und verabredet wird, welche Art der Behandlung angezeigt ist und was kon­ kret vereinbart wird. 11. Behandlungsprozess und Résumé am Ende der psychotherapeutischen Behandlung Hier ist in bündigen Stichworten festzuhalten, welche Diagnose sich bei Behandlungsabschluss stellt, in wel­ chen Phasen die Behandlung verlaufen ist, wie die Behandlung bewertet wird, welche Veränderung der Be­ schwerden und Beeinträchtigungen zu beobachten sind, wie die Zukunftsperspektive aus Sicht der Beteiligten einzuschätzen ist und welche Verabredungen bei Behandlungsende getroffen werden.
Psychodynamische Falldiagnose Leitlinien Version 11 / 2002 20