Sprachprobleme, Angst und Misstrauen
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Sprachprobleme, Angst und Misstrauen
ARBEIT & MARKT Albanische Arbeitnehmer in der Schweiz Sprachprobleme, Angst und Misstrauen Wer mit einem albanischen Namen einen Job sucht, ist nicht zu beneiden. Wer einen Job hat, kennt oft seine Rechte und seine Pflichten nicht. Albanische ArbeitnehmerInnen werden häufig diskriminiert, bringen sich aber oft selbst in Schwierigkeiten – wegen mangelnder Deutschkenntnisse und geringem Integrationswillen. Ibish Neziraj Fotos: Martina Näf Mujë Shala lebt seit 20 Jahren in der Schweiz. Wie viele andere Albaner kam er in der Meinung, hier einige Jahre lang zu arbeiten und Geld zu verdienen, um dann wieder ins Heimatland zurückzukehren. Bis zur grossen Arbeitsmarktkrise der 90er-Jahre fand Shala problemlos Arbeit in verschiedenen Firmen. «Ich konnte zwar kein Wort Deutsch, aber Handgestik genügte, um mich mit dem Chef zu verständigen.» Heute ist alles anders. Shala ist seit acht Jahren arbeitslos. Deutsch hat er nie wirklich gelernt und seine Gesundheit ist angeschlagen. «Heute will mich niemand mehr beschäftigen», sagt er. Mujë Shala ist nur einer von vielen albanischen Arbeitern der ersten und zweiten Generation, die mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Arbeitslosigkeit, gesundheitliche und arbeitsrechtliche Probleme, ein Sozialversicherungssystem, das vielen unverständlich bleibt, Integrationsprobleme: Viele albanische Familien stecken im Sumpf sozialer Randständigkeit. Zwanzig Jahre in der Schweiz und gut integriert: Agron und Lirie Bajrami mit ihren Kindern AM-AGENDA 7/2001 13 Die erste Generation albanischer Arbeiter kam vor 30 Jahren. Die meisten arbeiteten im Bau und in der Landwirtschaft. Mit der Zunahme der albanischen Arbeitsmigranten hat sich auch deren strukturelle Verteilung im Arbeitsmarkt etwas geändert: Immer mehr Zuwanderer waren auch in der Industrie tätig, in den letzten Jahren fanden sogar einige eine Stelle im Bildungs-, Dienstleitungs- oder Gesundheitsbereich, im Journalismus, der öffentlichen Verwaltung oder im Sozialdienst. Keine Integration ohne Deutschkenntnisse Hauptursache für viele Probleme der Albaner sind mangelnde Deutschkenntnisse. Die Folge davon sind Unkenntnis ihrer Rechte ARBEIT & MARKT und Pflichten, aber auch handfeste Gesundheitsprobleme. Für die Albaner aus dem Kosovo sorgt kein Heimatstaat, wie das für Angehörige anderer Nationen im Ausland selbstverständlich der Fall ist. Zudem sind die Rückkehrabsichten der meisten Albaner und Albanerinnen der Integration auch nicht gerade zuträglich. Den ersten albanischen Migranten genügte es, den Arbeitsort, die Albanische Intellektuelle sollte vermehrt als kulturelle Vermittler Arbeitszeit und die Art eingesetzt werden. und Weise der Arbeit im Arbeitsvertrag zu sich Albaner in den Maschen der Schweizer kennen – die weiteren Arbeitsbedingungen Bürokratie verhedderten. Zum Beispiel erzählt interessierten sie nicht gross. Sie wollten sie von S., einem Albaner aus Mazedonien: weder Deutsch lernen noch ihre eigenen Nach vielen Jahren Arbeit in der Schweiz Rechte kennen, sondern einfach nur arbei- erkrankte dieser schwer. Zwei bis drei ten und gutes Geld verdienen. Hava Shala, Jahre wurde mit der SUVA über eine EntBeraterin bei der Integrationsberatungsstelle schädigung verhandelt, nachdem er immer in Winterthur, betätigt diese Grundhaltung: wieder einen negativen Bescheid erhalten «Da die Albaner sehr wenig über ihre Umge- hatte. Ihm wurde zwar gesagt, dass das Probung wussten, in der sie lebten und arbeite- zedere noch immer laufe und weitere Abkläten, wurden sie oft Opfer ihrer Unkenntnis». rungen nötig seien, aber nach dreijährigem Das ist heute nicht anders. Anstatt dass Kampf kehrte S. physisch und psychisch die Behörden die albanischen Arbeitnehmer völlig erschöpft in sein Heimatland zurück. in ihren Integrationsbemühungen unter- Nach so vielen Jahren harter Arbeit in der stützen, nutzt der Staat vielfach diese Situation Schweiz wollte er hierfortan nicht auf der Unwissenheit aus und schafft sie als soziale Hilfe angewiesen sein. Ein anderer Fall von bürokratischen Sozialfälle in ihr Heimatland zurück. Heute sieht man viele Albaner, die selbst mit an- Zwängen: X. hatte eine Arbeitsstelle gefungeschlagener Gesundheit schwere Arbeiten den, aber seine Papiere lagen zwecks verrichten. Sie tun alles, um die Stelle nicht Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu verlieren – denn die Aussicht auf eine Neue bei der Fremdenpolizei. Er verlangte seinen Ausweis für einige wenige Stunden von ist gering. Es gibt aber auch Beispiele für eine der Frepo zurück, um seinen Arbeitsvertrag gelungene Integration. Die Familie Bajrami abschliessen zu können. Weil sich die Frepo ist 1988 in die Schweiz gekommen. Sie lebt jedoch weigerte, konnte er den Vertrag mit in Aarau. Familienvater Agron Bajrami arbei- dem Arbeitgeber nicht abschliessen, die ertete problemlos in verschiedenen Firmen, sehnte Stelle ging verloren. Der Ausweis zurzeit als Magaziner bei der Bell AG. In kam später zwar irgendwann zurück, aber seiner Freizeit leitet der allseits sehr beliebte eine neue Stelle hat der Betroffene dann Agron die albanische Tanzschule «Shota». nicht mehr gefunden. Inzwischen ging die Ausserdem gründete er eine albanische Rahmen-frist für den Bezug von ArbeitsVolkstanzgruppe, in welcher seine ganze losengelder zu Ende und X. muss die Schweiz verlassen. Familie engagiert ist. Die Mühlen der Bürokratie Auch für Ruzhdi Ibrahimi, Gewerkschaftsfunktionär albanischer Herkunft beim GBI Basel, sind vor allem die Arbeitsverträge problematisch: «Die Gesetze und Verträge bleiben wegen mangelnder Sprachkenntnissen vielen unverständlich.» Hava Shala von der Winterthurer Integrationsberatungsstelle kennt so manche Fälle aus ihrer Beratungspraxis, in denen Gute Arbeiter mit einem schlechten Image Sylvia Brotzer, RAV-Beraterin in Zürich, schätzt die Lage der Albaner als nicht sehr viel negativer ein als diejenige anderer Nationalitäten aus Nicht-EU-Ländern. Allerdings hätten die Arbeitgeber tatsächlich mehr Ängste vor «importierten» Konflikten aus den Ländern Ex-Jugoslawiens. Das Hauptproblem dürfte laut Brotzer die Tat- 14 sache sein, dass Diplome und Berufsausbildungen ausländischer ArbeiterInnen in der Schweiz nicht anerkannt werden. Urs Winkenbach, Berater im RAV Aarau, sieht auch ein Problem in der negativen öffentlichen Meinung: «Das schlechte Image der AlbanerInnen in der Schweiz spielt im Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle.» Er selber weiss, dass die Albaner gute Arbeiter sind. Er bekomme jedenfalls keine negativen Rückmeldungen von Firmen, bei denen er Stellen vermittelt habe. Trotzdem würden Arbeitgeber, die bereits Serben beschäftigen, manchmal aus Angst vor Konflikten keine Albaner einstellen. Schlechte Erfahrungen machen albanische Arbeiter auch mit unfairen Arbeitgebern, die weniger Lohn bezahlen als ursprünglich vereinbart. Die Betroffenen haben meist nicht den Mut, sich an eine rechtliche Institution zu wenden. Schon gar nicht im Kosovo – dem von Albanern bevölkerten, aber völkerrechtlich noch zu Jugoslawien gehörenden Landstrich –, wo die Behörden meist nicht die Partei des Hilfesuchenden ergreift. Sie denken, dass ihnen in der Schweiz als Fremde auf jeden Fall dasselbe passieren würde. B. etwa, Angestellte in einer Reinigungsfirma, startete etliche Versuche, den Lohn für ihre getane Arbeit zu erhalten – erfolglos. Albanisch sprechende Arbeitenehmer fühlen sich im Arbeitsmarkt oft diskriminiert, in erster Linie wegen Nichtanerkennung von Diplomen. Als Folge davon sind viele gezwungen, in Arbeitsbereichen zu arbeiten, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Wie etwa XH.H. Er ist ein hochqualifizierter Facharzt aus dem Kosovo und hat mehr als zehn Jahre als Privatdozent an der Universität Prishtina gearbeitet. Obwohl er Deutsch relativ gut beherrscht, kann er in keinem Spital arbeiten. Schliesslich wurde er bei einem Hilfswerk als Berater in einem Gebiet eingestellt, in dem auch Leute mit viel niedrigeren Qualifikationen arbeiten können. Ein anderes Beispiel ist T. G., Professor für albanische Sprache und Journalist mit relativ guten Deutschkenntnissen. Ausser kurzfristigen oder sehr einfachen Arbeiten fand er in der Schweiz keine Stelle. Neue Rolle für die albanische Akademikerschicht Zur Diskriminierung der albanischen Einwanderer haben sicherlich auch die Medien ihren Teil beigetragen. Zu viele Vorurteile wurden unbesehen verbreitet, so dass es jetzt oftmals genügt, einen Familiennamen mit einer bestimmten Endung zu haben, um die Stelle nicht zu bekommen. AM-AGENDA 7/2001 ARBEIT & MARKT Arbeitgeber und Personaldienstleiter sind kaum dazu zu bewegen, sich in der Öffentlichkeit zu dieser Problematik zu äussern. Probleme mit bestimmten Ausländergruppen sind ein heisses Eisen, niemand will sich daran die Finger verbrennen. So etwa Hanna Dietiker von der Personalabteilung der Aargauer Zentralmolkerei in Suhr «Spezifische Probleme mit Albanern und Albanerinnen gibt es bei uns nicht. Da wir jedoch nur sehr wenige albanische Mitarbeiter beschäftigen, ist eine aussagekräftige Beurteilung nicht möglich». In diesem Kontext kann man sich fragen, ob die Schweiz nicht mehr für die Integration der ausländischen Arbeitskräfte machen sollte. Allerdings müssten sich auch die AlbanerInnen selber besser organisieren und gemeinsam grössere Anstrengungen für eine bessere Integration unternehmen. Von einer gelungenen Integration könnten beide Seiten gleichermassen profitieren. Es darf jedoch nicht erwartet werden, dass die albanischen ArbeiterInnen zuerst die Sprache lernen und erst dann die Rechte und Pflichten gegenüber Arbeitgebern und Staat kennen lernen. Das könnten sie nämlich viel leichter in ihrer Muttersprache lernen und dann mit der Zeit die «fremde» Sprache lernen. Das würde die Probleme, mit denen sie im Arbeitsmarkt konfrontiert sind, verringern. Zudem wird das Potenzial von albanischen Intellektuellen in der Schweiz viel zuwenig genutzt. Sie sind es, die zum Beispiel als Mediatoren massgeblich zur Integration von albanischen ArbeiterInnen in die Schweizerische ❏ Gesellschaft beitragen könnten. Adressen albanischer Beratungsstellen Fachstelle für Interkulturelle Fragen Bramsstrasse 28, 8003 Zürich T: 01 497 60 60 (jeweils Dienstags in Albanisch) SAH-Beratungsstelle für Gesundheitsförderung «Derman» Josefstrasse 84, 8005 Zürich T: 01 274 88 33 Migrationsbüro, ALBAMIG Pilatusstrasse 48, 6003 Luzern T: 041 240 77 66 GBI NWS Basel Rebgasse 1, 4005 Basel T: 061 699 23 36 Koordinationsstelle für Integration Wildbachstrasse 32 , 8402 Winterthur T: 052 213 20 03 AM-AGENDA 7/2001 Randnotiz von Edwin Amacher Klassenzusammenkunft «Du glaubst nicht, was ich gestern erlebt habe!» Mit diesem entrüsteten Ausruf platzte ein Kollege in meine Kaffeepause. Worüber er sich denn so aufrege, wollte ich wissen. «Die haben sich überhaupt nicht verändert seit der Matura. Sind alle noch die gleichen Kindsköpfe.» «Die fallen doch nur in die alten Verhaltensmuster zurück, wenn der Klassenverband wieder zusammenkommt. Im Alltag benehmen sie sich sicher ein bisschen reifer und gesetzter.» versuchte ich zu beschwichtigen. Ich konnte ihn allerdings nur halb überzeugen. Einer sei Direktor eines Lehrerseminars geworden. Der müsse jetzt wegen der Tertiarisierung der Lehrerausbildung seine Schule schliessen und 50 Lehrer entlassen. Das sei für den ganz schön schwierig. Der Markt sei eng und alles andere als ausgetrocknet, weil in der ganzen Schweiz dasselbe abläuft. Vor zwei Jahren etwa musste der Kanton Bern, wie in der Presse ganz klein zu lesen war, 160 Mittelschullehrer entlassen. Teils konnten sie in Frühpension gehen, teils in andern Schulen, teils in der Privatwirtschaft unterkommen. Da habe sich ein dritter, der erfolgreicher Manager geworden war, eingemischt. «Was sind schon fünfzig Leute! Ich habe erst kürzlich 200 getrasht1. War nötig! In der Wirtschaft ist das normal. Wer nicht genug leistet, oder wem’s bei uns nicht passt, der wird getrasht. Soll er schauen, wo er wieder unterkommt! Im heutigen Markt ist das kein Problem.» Zuerst hätten sie beide geglaubt, er mache einen schlechten Scherz. Doch bald sei ihnen klar geworden, dass er von dem, was er sagte, felsenfest überzeugt war. Dass das Menschen seien, für die es ein harter Schicksalsschlag sei, den Job zu verlieren, dieser Einwand habe ihn nicht im Geringsten aus der Fassung gebracht. «Die meisten taugen sowieso nur wenig. Da muss man eben trashen.» verteidigte er sich. Menschlichkeit bringe nichts. Ob er sich denn nicht an die Zeit vor der Matura erinnere? Alle hätten ihn, obwohl der schlechteste der Klasse, gestützt, ihm geholfen, mit ihm gebüffelt. Dank der Solidarität seiner Mitschüler habe er immerhin die Matura bestanden, und dank der Matura auch Karriere machen können. «Ja schon, aber...» – «Leider ist er bei weitem nicht der einzige in der Wirtschaft, der so denkt.» meinte mein Kollege zynisch. «Und ohne unsere Hilfe hätten sie den lange vor der Matura getrasht!» 1 Neudeutsch: von englisch «to trash» – «In den Kehricht werfen» 15