- Johanneskirche

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Evensong 16.März 2012
Die Zehn Gebote 2.Mose 20 / MkEvg 10 : 17-19
Johanneskantorei / Wolfgang Abendroth
Sermonette Dr.Uwe Vetter
„Zehnmal nein!“
Die hohe Kunst des Versagens
Erste Lesung 2.Mose 20 (gekürzt)
(1) ICH bin der HERR, dein Gott, der Ich
dich aus Ägyptenland, aus der
Knechtschaft, geführt habe. Du sollst
keine andren Götter haben neben Mir.
(2) Du sollst dir kein (Gottes)Bild noch
irgendein Gleichnis machen, weder von
dem, was oben im Himmel, noch von
dem, was unten auf Erden, noch von
dem, was im Wasser unter der Erde ist.
Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!
…
(3) Du sollst den Namen des HERRN,
deines Gottes, nicht missbrauchen.
Denn der HERR wird den nicht
ungestraft lassen, der Seinen Namen
missbraucht.
(4) Gedenke des Sabbathtages, dass du ihn
heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten
und alle deine Werke tun. Aber am
siebten Tag ist der Sabbath des HERRN,
deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit
tun; auch nicht dein Sohn, deine Tochter,
dein Knecht, deine Magd, dein Vieh;
auch nicht der Fremdling, der in deiner
Stadt lebt. …
(5) Du sollst deinen Vater und deine
Mutter ehren, auf dass du lange lebst im
Lande, das die der HERR, dein Gott,
geben wird.
(6) Du sollst nicht töten.
(7) Du sollst nicht ehebrechen.
(8) Du sollst nicht stehlen.
(9) Du sollst nicht falsch Zeugnis reden
wider deinen Nächsten.
(10)Du sollst nicht begehren – (nicht)
deines Nächsten Haus. Du sollst nicht
begehren – deines Nächsten Weib, Knecht,
Magd, Rind, Esel, noch alles, was dein
Nächster besitzt.
Magnificat
Zweite Lesung MarkusEvg 10: 17-21a.
17. Und es …eilte einer heran und kniete vor
Jesus nieder und fragte ihn : „Guter Meister,
was soll ich tun, dass ich Anteil an der
kommenden Welt habe / das ewige Leben
erbe?“ (18) Da sprach Jesus zu ihm: „Was
nennst du mich gut ? Niemand ist gut als Gott
allein. (19) Ansonsten kennst du doch Seine
Gebote : >Du sollst nicht töten. Du sollst nicht
ehebrechen. Du sollst nicht falsch Zeugnis
reden. Du sollst niemanden berauben / nicht
begehren, was deinem Nächsten gehört. Und :
Ehre Vater und Mutter<
*
Passionszeit. Zehn-Gebote-Saison. Jetzt ist die
Zeit, wenn Christenmenschen passioniert, also
mit Leidenschaft nach all dem fahnden, was
Leiden schafft. Da trennen wir die Kreuze, die
man tragen muss, von solchen, die vermeidbar
sind. Bei dieser Sortieraktion hilft der Himmel.
ER gibt uns, passend zur Zahl unserer Finger,
zehn Gebote an die Hand und fragt: Hast du
unterlassen, was Unheil anrichtet? Hast du nein
gesagt zu dem, was vermeidbares Leiden
erzeugt? So gefragt nehmen Christenmenschen
die Zehn Gebote zur Hand und zählen sie durch,
Finger für Finger : Mal sehen…
1. Das erste Gebot ist eine kurze Klarstellung:
Gott sagt: ICH bin der HERR, dein Gott. ICH
bin Gott. – Nicht du! Du bist ein Mensch,
begnüge dich damit! Das ist das alte STOPSchild für Paschas, Despoten und Egomanen, die
erwarten, dass man ihnen mit Glaube, Hingabe
und Anbetung begegnet. Es bremst all jene, die
sich allmächtig vorkommen und unsterblich und
sich aufführen, als gäbe es über ihnen nichts
mehr. Versage dir das, sag nein! gebietet der
Himmel. Du bist kein Gott. Leb in menschlichen
Grenzen.
2. Mach dir kein Gottesbild, wörtlich heißt es:
mach dir kein Schnitzbild, um es anzubeten.
Das gilt allen, die nicht mehr zwischen dem
Lebendigen und den toten Dingen unterscheiden, die Sachen anbeten, die wichtig, aber nicht
anbetungswürdig sind. Opfere nicht alles für
einen Erfolg. Verkauf nicht deine Seele für ein
profitables Geschäft. Bete nicht den Erfolg um
jeden Preis an. Lass dich nicht vom Besitz
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besitzen. Schnitz dir keinen Gott, der dich nicht
wieder aufstehen lässt.
3. Missbrauche den Namen Gottes nicht. Gott
ist größer als alles, was wir wissen und wollen.
Für mich ist das (vor allem) das Verbot blinder
´Scharia-Frömmigkeit` in allen Religionen. Gib
Acht, dass ihr Gottesgebote von Menschensatzungen unterscheidet. Wenn Menschen von
Gott erzählen, tun sie das immer gefiltert von
ihrem Verstand, getaucht ins Tauchbad ihrer
Kultur und ihrer Interessen. Fälscht keine
Unterschrift: Unterzeichnet frommes Brauchtum
nicht einfach mit dem Namen Gottes.
4. Gedenke des Sabbathtages, dass du ihn
heiligst. Da sollst du keine Arbeit tun; auch
nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht,
deine Magd, … Shabbat! Hör auf, sagt das
Gebot, hör auf, aus allem das Letzte raus zu
pressen. Sag nein zur Allverfügbarkeit. Sei kein
Sklave und mach niemand andren dazu.
5. Du sollst deinen Vater und deine Mutter
ehren … Versorge die Alten, wenn sie nicht
mehr können, stiehl dich nicht aus der Generationenverantwortung! Zu biblischen Zeiten gab
es Leute, die haben ihr Vermögen im Ausland
versteuert, die gingen buchstäblich „über den
Jordan“, verließen sich auf das dortige
Bankgeheimnis1 und überließen ihre Eltern den
Almosen der Kommune. Sag nein! Sag nicht :
Liebe Eltern, ihr ward all die Jahre für mich da,
jetzt wo ihr alt seid, solltet ihr mal an euch
denken und für euch selbst sorgen… versag dir
so etwas! gebietet der Himmel.
6. Du sollst nicht töten – So etwas mach ich
selten! werden Sie sagen. – Nur beachten Sie,
wie offen das Gebot formuliert ist. Man kann
Menschen in vielen Graden ´töten`; man kann
Kinder um ihr Leben bringen durch eine lausige
Elterperformance, man kann andren den letzten
Nerv töten, man kann Leute zu Tode
langweilen… denk nach! gebietet der Himmel.
Wo nagst, wo frisst du am Leben andrer?
1
Eine andre beliebte Form der Rentenversicherungsvermeidung war das
„Korban“, das Jesus (MarkusEvg 7) verärgert anprangerte. ´Korbán`
bedeutet Spende : wer sein vermögen für sich behalten wollte, gab eine
Spende an den Tempel, und wie in der Opferpraxis üblich steht die
Spende als Symbol für das Ganze. Im Gegenüber zu Gott ist das völlig in
Ordnung, denn Gott braucht keine Sachwerte oder Lebensmittel, die in
Rauch aufgehen. Die alten Eltern hingegen waren völlig abhängig von
der Familienkasse und dem Elend preisgegeben, wenn sie mit diesem
Korban-Spendentrick ausgesteuert wurden.
8. Du sollst nicht stehlen – Kidnapping, das
Menschenstehlen ist so ein Beispiel für das
Töten in kleinen Dosen. Menschen ihrer Freiheit
berauben, Menschen als Geiseln nehmen – wo
passiert so etwas?! Zum Beispiel immer dann,
wenn du andern die Zeit stiehlst, wenn du sie in
Termine schickst, und in Sitzungen durch langes
Palavern festhältst, wenn du nicht fragst: Passt es
Ihnen jetzt? Schenken Sie mir die Zeit? sondern
dich einfach bedienst am Kostbarsten, was Gott
dem andern geschenkt hat: Lebenszeit. Versag es
dir! Tu es nicht!
9. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider
deinen Nächsten. Ich höre das heute als Gebot
gegen die ´political correctness`. Dann nämlich,
wenn politisch korrekt sein heißt: Halte dich an
unsere Sprachregelungen! Wehe, du sagst, was
du siehst und denkst! Sag, was man hören will,
sag nichts, was die allgemeine Meinung stört!
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider
deinen Nächsten, selbst wenn er dir unsympathisch ist. >Wer etwas Entlastendes weiß über
Menschen, die im Kreuzfeuer stehen, und sagt es
nicht, aus Angst, selber in Ungnade zu fallen, der
leistet einen Meineid!< lehrten die alten
Rabbiner. Sag nein, wo immer man es sich zu
einfach macht.
10. Du sollst nicht begehren – (nicht) deines
Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren –
deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind,
Esel, noch alles, was dein Nächster besitzt. –
Irgendwann sollte der Mensch die frühkindliche
Oralphase hinter sich lassen und aufhören, sich
alles, was er sieht, einzuverleiben.
7. Ein Finger fehlt noch. Du sollst nicht
ehebrechen. … Du sollst nicht die Ehe brechen :
°deine eigene Ehe nicht; °und die deines
Nachbarn nicht (´gut nachbarliche Beziehungen`
meinen etwas andres); °und auch nicht die deiner
Kollegin, weil es bei ihr kriselt und man sich als
verständnisvoller Tröster anbieten kann; °brich
nicht die Ehe deiner Mitarbeiter, indem du sie
rund um die Uhr auf Trab hältst und sie zwingst,
Familienurlaube kurzfristig zu verschieben;
°zerbrich nicht die Ehe deiner Kinder, weil du
dich in alles einmischst und der Schwiegertochter mal das Kochen beibringen und den
´Vater der Braut` mimen musst;
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°du sollst nicht ehebrechen durch Eifersucht.
Das ist überhaupt die älteste belegte Form der
Ehebruchs: die Eifersucht! Schon von Eva,
Adams Frau im Paradies, wird erzählt, sie habe,
wenn Adam erst in den frühen Morgenstunden
nach Hause kam und in voller Montur
eingeschlafen ist, heimlich seine Rippen
nachgezählt, ob er nicht eine andre hätte!
Manchmal bewirkt Eifersucht erst das, was sie
unterstellt : dass der andre das Weite sucht.
Natürlich ist Eifersucht nicht immer
unbegründet. Und dann kann es zugehen
wie bei der Frau, die mit drei kleinen
Kindern, das jüngste erst wenige Monate
alt, beim Anwalt erscheint und sagt: Ich
will mich scheiden lassen. Der Anwalt
ist bestürzt: Sie haben drei kleine
Kinder, warum wollen Sie sich von
ihrem Mann trennen? - Ich habe einen
Verdacht ! sagt die Frau. Ich habe den
Verdacht, unser letztes Kind ist nicht
von ihm ! Du sollst nicht ehebrechen ist ein wichtiges
Gebot zum Rückbau von Kreuzen.
Und es ist nicht leicht zu befolgen. Als der Rabbi
ein Schild aufhängt: Bitte in der Synagoge Kippa
tragen! Ein Verstoß gegen dieses Gebot ist so
schlimm wie Ehebruch! klebt eine Woche später
der Zettel eines Gemeindeglieds dran: „Habe
beides ausprobiert – kein Vergleich!“
Passionszeit ist Hochsaison für die Zehn Gebote.
Passionsfasten ist die hohe Kunst des Versagens.
Sag zehnmal nein zu den überflüssigen Kreuzen,
die wir selber aufrichten und die das Leid
vermehren. Versag es dir! Lass sein, was alles
noch schlimmer macht. Ich wünsche Ihnen heuer
einen kleinen, aber nachhaltigen Erfolg.
Amén
Chor : Nunc Dimittis
Fürbitten
Und nun, Herr unseres Lebens, Vater des
Gekreuzigten und Lebenswecker aus dem Nichts, nun
bitten wir Dich, hilf uns über die Schwelle in dieses
Wochenende. Nimm uns für eine Weile die Kreuze
ab, die wir durch diese Woche getragen haben, und
lass es, wenn die nächste Woche beginnt, auf
wundersame Weise ein paar weniger sein.
Wir bitten Dich für alle Menschen, die ihr Kreuz auf
sich nehmen und es nicht loswerden können, für alle,
die keine Wahl haben und tapfer tragen, was das
Leben ihnen aufbürdet. Wir bitten Dich für alle, die
einstecken und den unteren Weg gehen, die sich
herum kommandieren lassen von Leuten, die selbst
keine großen Leuchten sind, die sich ihren Teil
denken und schweigen. HERR, kein Wort auf unserer
Zunge, das Du nicht schon wüsstest. Halte Deine
Hand über sie.
Wir bitten Dich für alle, die Kreuze – wie es scheint
– magisch anziehen, die sich alles ans Bein binden
lassen, und an allem Anteil nehmen, die sich alles
anhören und alles zu Herzen nehmen und jedes
Problem zu ihrem eigenen machen. Wir bitten Dich
für alle, die nachts wach liegen und an Lösungen für
andre tüfteln, während die selber den Schlaf der
Unbekümmerten schlummern. HERR, sag es selbst
und sag es laut: Jeder nur ein Kreuz!
Wir bitten Dich für alle, die den Wald der Kreuze
mutwillig vermehren, die andern gedankenlos das
Leben schwer machen, die austeilen und anraunzen
und ihre schlechte Laune eins zu eins ausleben. Wir
bitten Dich für alle, die sich wie die Erdachse
vorkommen, um die sich die ganze Welt zu drehen
hat. HERR, untersage es ihnen und beende diesen
Tanz. Sag: Nimm Abschied, Herz, und gesunde.
Und wir bitten Dich alle, die Kreuze lieben, die es
irgendwie zu genießen scheinen, die Welt finster zu
sehen. Wir bitten Dich für die Leidensmystiker und
die Negativisten, die morgens dafür sind, dass sie
dagegen sind, und am Abend dagegen sind, dass sie
dafür sind, die jede denkbare Komplikation
vorsorglich durchleben und schwelgen in Vorfreude
auf den Untergang. Wir bitten Dich für Menschen,
die sterben seit dem Tag, an dem sie geboren sind:
HERR, verordne ihnen einen kräftigen Schluck aus
dem Kelch des Lebens.
Das bitten wir, durch Jesus Christus, im Heiligen
Geiste. Es werde wahr, Amén
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