Samstag, 27. Oktober 2007 (San Salvador) Mein 148 Dollar teures

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Samstag, 27. Oktober 2007 (San Salvador) Mein 148 Dollar teures
Samstag, 27. Oktober 2007 (San Salvador)
Mein 148 Dollar teures Zimmer im Holiday Inn von Guatemala City kann ich nur wenige Stunden
nutzen. Um 5.30 Uhr klingelt der Wecker, weil ich gleich als Erster ein Busticket nach San
Salvador kaufen will, wenn um sechs Uhr morgens das Büro von Pullmantur öffnet. Doch das
Personal ist bei weitem nicht so pünktlich wie ich. Auch um 6.10 Uhr ist noch kein Mensch in der
Filiale zu sehen, die ihr Quartier gleich neben dem Haupteingang meines Hotels hat. Weil der
Magen knurrt, frage ich kurz im Restaurant des Holiday Inn nach, ob im üppigen
Übernachtungspreis vielleicht auch ein Frühstück inklusive ist. Nein, ist es nicht. Der Laden um die
Ecke hat auch noch geschlossen und da ich eh keine einheimischen Quetzales in der Tasche habe,
beschließe ich, notgedrungen bis San Salvador zu fasten. Doch dann entdecke ich am Fahrstuhl die
Überreste eines kleinen Buffets, das wohl für eine früh abgereiste Gruppe aufgestellt wurde. Ein
kurzer Blick nach links und rechts. Keiner guckt. Und ich greife zwei Muffins und den Bodensatz
aus der Orangensaftkaraffe ab. Klassischer Fall von Mundraub...
Um 6.20 Uhr sind die Schalter von Pullmantur endlich besetzt und die beiden Schlangen davor
bereits auf gut 30 Leute angewachsen. Die Verkäuferin der Economy-Class-Tickets spricht kein
Englisch und verweist mich deshalb an die Kollegin aus der Business-Class. Dort kaufe ich für 56
US-Dollar ein Hin-und-Rückfahrtticket. Meinen Pass behält sie ein, was ich etwas seltsam finde,
mir aber damit erkläre, dass die Pässe aller Fahrgäste bestimmt am Grenzübergang gebündelt
vorgelegt werden müssen.
Ich hole meinen Koffer aus dem Hotelzimmer, blicke vom Balkon noch einmal auf den
Sonnenaufgang über den Vulkanen und checke an der Rezeption aus. Zum Glück frage ich die
Hotelangestellte zur Sicherheit, ob es normal sei, dass ich meinen Reisepass nicht zurückbekommen
habe. Sie meint: Nein. Also gehe ich zurück zu Pullmantur, wo man wohl schon nach dem Besitzer
des einsamen deutschen Passes gefahndet hat. Wieder einmal ist es durch die Sprachprobleme zu
einem Missverständnis gekommen. Am Economy-Class-Schalter brauchte man meinen Pass nur,
um die Nummer zu notieren. Danach hätte ich ihn sofort wieder mitnehmen können.
Der moderne Doppeldeckerbus parkt bereits vor dem Holiday Inn. Ich bin froh, nicht für 80 Dollar
die Business Class gebucht zu haben. Die ist nämlich im unteren Geschoss, während man in der
billigeren Klasse den Blick von oben hat. Ich erwische den letzten Fensterplatz in dem komplett
ausgebuchten Bus. Zu meiner Überraschung serviert eine Stewardess auf der vierstündigen Fahrt
sogar ein warmes Frühstück und Getränke. Außerdem laufen auf den Monitoren an der Decke zwei
US-Komödien mit spanischen Untertiteln.
Nach gut zwei Stunden erreichen wir die Grenze. Die Stewardess sammelt die Pässe ein und nach
zehn Minuten vor den Schlagbäumen an einer kleinen Brücke bekommen wir sie wieder
ausgehändigt. Ein neuer Stempel ist leider nicht drin. Durch ein Abkommen mehrerer
zentralamerikanischer Länder berechtigt mich mein Visum für Guatemala auch zum Besuch in El
Salvador, Honduras und Nicaragua.
Der Bus rollt langsam über die Brücke, vorbei an kleinen Restaurants, fliegenden Händlern und
schwer beladenen Lastwagen. Nun bin ich also in El Salvador. Beim Klang des Namens denke ich
an Bürgerkrieg, Guerillas und Blutvergießen. Darauf beschränkten sich zumindest die Meldungen
in der „Tagesschau“, wenn ich in den 80er Jahren als Kind Nachrichten schaute. Erst vor zwei
Wochen kam ich auf die Idee, das Land kurzfristig zu besuchen, wenn ich eh im benachbarten
Guatemala bin. Die Homepage des Auswärtigen Amtes raubte mir jedoch ein wenig die Vorfreude.
Dort ist von zehn Morden täglich die Rede, von Überfällen auf Touristen, von Entführungen und
Waffenjustiz. Weil ich trotz meiner Neugier nicht leichtfertig sein wollte, schrieb ich die deutsche
Botschaft in der Hauptstadt San Salvador an und bekam auch sehr schnell eine Antwort vom
Vizekonsul Udo Ewertz. Er riet mir zur sicheren Busverbindung mit Pullmantur, nahm Kontakt
zum Ministerium für Tourismus auf und wird mich heute auch am Hotel Sheraton Presidente
erwarten, wenn der Bus dort um 11.15 Uhr eintrifft. Auch der Reiseführer Juan Moses will dort mit
einem Schild stehen. Er war über das Ministerium für Tourismus eingeschaltet worden und hat in
den letzten Tagen per Mail mit mir die Pläne für meinen dreitägigen Aufenthalt in El Salvador
erstellt.
Der Bus fährt über einen auffallend gut ausgebauten Highway und mündet irgendwann in San
Salvador, das mich mit extrem modernen Shopping Malls im amerikanischen Stil überrascht. Die
düsteren Ruinen und zerschossenen Hausfassaden, die ich mir in meinen kühnsten Phantasien
ausgemalt habe, suche ich vergeblich. Die Straßen der Hauptstadt sind verstopft mit alten Bussen
und neuen japanischen Autos. In der Blechlawine laufen die Ärmsten der Gesellschaft umher, um
den Autofahrern Zeitungen, Lebensmittel und Lotterielose zu verkaufen oder ihre Dienste als
Windschutzscheibenputzer anzubieten. Die Armut und die Arbeitslosigkeit sind ein offensichtliches
Problem in dem kleinsten Land Zentralamerikas, das zugleich die höchste Bevölkerungsdichte hat.
Auf die Minute pünktlich erreichen wir um 11.15 Uhr das Sheraton Presidente. Statt Juan Moses,
der kurzfristig ein paar Geschäftsleute durch El Salvador fahren muss, steht Jimmy Marquez am
Bus und hält ein Schild mit meinem Namen hoch. Der 37-Jährige spricht perfekt Englisch, hat viele
Länder in Europa besucht und scheint jeden Winkel seines Heimatlandes zu kennen. Während mein
Koffer aus dem Bus gehievt wird, stößt auch Udo Ewertz von der deutschen Botschaft zu uns.
Schon per Mail hat er mir vorgeschlagen, das von Juan Moses ausgearbeitete Tourprogramm leicht
zu ändern und statt der auswärtigen Übernachtungen lieber Hotels in San Salvador zu buchen.
Außerdem hält er den geforderten Preis von 475 US-Dollar zuzüglich Hotels für übertrieben und
bietet deshalb an, zwecks Verhandlungen mit zur Agentur zu fahren. Dort lässt Joan Moses per
Telefon ausrichten, ich solle die Tage in San Salvador erst einmal genießen und wir könnten dann
übermorgen immer noch über den Preis verhandeln. Überraschend schlägt Udo Ewertz vor, ich
könne die erste Nacht in der Hauptstadt auch bei ihm und seiner Familie im Gästezimmer
verbringen. Nachdem ich die ersten vier Monate meiner Weltreise fast nur in Hotels gewohnt habe,
freue ich mich über den unerwarteten Familienanschluss und sage sofort zu. Udo, der mir
inzwischen das Du angeboten hat, lädt meinen Koffer und meine Wertsachen in seinen Wagen und
fährt schon mal vor, während ich mit Jimmy das Besichtigungsprogramm starte.
Weil die Salvadorianer – wie ganz Zentral- und Südamerika – verrückt nach Fußball sind, beginnt
unsere Tour am Cuscatlan Stadion, das mehr als 20000 Zuschauern Platz bietet. Die Tribünen sind
im Rot und Gelb des Hauptsponsors, einer Brauerei, gestrichen. Doch die Ärmsten und Schlauesten
nutzen einfach die Vulkanlandschaft El Salvadors und schauen sich die Spiele kostenlos vom
benachbarten Vulkan aus an. Blöd nur, dass die Sicht auf eines der beiden Tore von dort aus
versperrt ist. Unser Mittagsstopp führt uns zu Paty’s Pupuseria, einem kleinen Restaurant auf dem
Gipfel eines Vulkans. Die Tortillas, die in ganz Lateinamerika verbreitet sind, werden in El
Salvador mit Bohnen, Käse oder Fleisch gefüllt und ergeben so eine ganz besondere Spezialität der
einheimischen Küche: die Pupusas. Jimmy, unser Fahrer und ich futtern je zwei davon, während ich
mir die Hintergründe des früheren Bürgerkrieges erklären lasse, der von 1980 bis 1991 rund 70000
Tote und Zerstörungen in Milliardenhöhe verursachte: Grund dafür waren zunächst die sozialen
Spannungen, die durch das große Wohlstandsgefälle verursacht wurden. Eine kleine Elite besaß
einen Großteil der Ressourcen, ein nennenswerter Mittelstand existierte nicht. Letztendlicher
Auslöser für die Kämpfe war 1980 die Ermordung des Erzbischofs und Befreiungstheologen Oscar
Romero durch rechtsgerichtete Todesschwadrone in einer Kirche. Wie in anderen
lateinamerikanischen Bürgerkriegen (Guatemala, Nicaragua) unterstützte der frisch gewählte USPräsident Ronald Reagan auch in El Salvador das Regime, dessen Kampf gegen den Kommunismus
ihm ideologisch zusagte. Reagan schickte militärische Ausbilder und Waffen aller Art. Die
Rebellenarmee wurde erst 1992 nach dem Friedensabkommen von Chapultepec demobilisiert, die
Armee halbiert und die Einhaltung der Menschenrechte im Land von internationalen Institutionen
überwacht.
Seit dem Ende des Bürgerkrieges hat sich die politische Landschaft von einem autoritären System
zum demokratischen Staat hin entwickelt, der komplett kommerziell und sehr stark auf die USA
ausgerichtet ist. Dass die offizielle Währung des Landes, der Colon, zwar theoretisch noch gueltig
ist, aber in der Praxis komplett durch den US-Dollar verdraengt wurde, ist ein ganz besonderer
Ausdruck dieser wirtschaftlichen Verbundenheit bzw. Abhängigkeit.
Die Pupusas sind aufgegessen und Jimmy regt an, dass ich seine Freunde in der Küche fotografiere.
Salvadorianer, erklärt er mir, lieben es über alles, fotografiert zu werden! Den Praxistext machen
wir auch im alten Zentrum von San Salvador (spanisch für „Heiliger Erlöser“), wo das pralle Leben
tobt. Im Ballungsraum von Zentralamerikas zweitgrößter Stadt leben fast 2,3 Millionen Einwohner
und viele davon scheinen am heutigen Samstag mit Bussen und Autos unterwegs zu sein. Rund um
die Gerardo Barrios Plaza fahren sie Stoßstange an Stoßstange, so dass wir nur mit Mühe auf den
zentralen Platz der Altstadt kommen. Hier steht das Reiterstandbild von Gerardo Barrios, der 1821
entscheidenden Anteil an der Unabhängigkeit El Salvadors von der spanischen Krone hatte. Der
Blick schweift rüber zum Nationalpalast, der 1904 bis 1911 im Renaissancestil erbaut wurde.
Auffälliger ist jedoch die neue Kathedrale an der Nordseite. Die strahlend weiße Fassade ist mit
bunten Mosaiken verziert. Mit dem Bau des Gotteshauses wurde schon vor vielen Jahrzehnten
begonnen, doch Erzbischof Romero vertagte die Fertigstellung, um mit dem gesparten Geld den
armen Familien zu helfen. Seit 1999 erstrahlt die Kathedrale nun in ihrer vollen Pracht und hat
durch die Mosaike des Nationalkünstlers Fernando Llorth eine ganz eigene Note.
Die Innenstadt gleicht einem einzigen großen Markt, dessen lange Warengassen stark an arabische
Basare erinnern. Überall hängen und liegen gefälschte Markenartikel wie Hemden, Schuhe, Uhren
und DVDs, überall bieten Händler Obst und Gemüse an. An jeder Ecke stehen aber auch Polizisten
und Sicherheitsleute mit großen Maschinengewehren. Sie verteidigen das Gut der einen Hälfte des
Volkes vor dem Verlangen der anderen Hälfte, die unter der Armutsgrenze lebt. Gepaart mit rund
einer Millionen Waffen, die in El Salvador illegal besessen werden, ist das eine explosive
Mischung. Vor allem die reichen Leute und die großen Konzerne setzen auf eigene private
Schutzdienste mit schweren Waffen. Diese Jobs sind oft die einzige Arbeit für die unteren Ränge
der Militärs, die durch den Friedensvertrag von 1992 arbeitslos wurden. Auch viele Polizisten, vom
eigenen Staat mehr als schlecht bezahlt, verdinden sich nach Feierabend noch als Wachmaenner vor
den Haeusern reicher Leute.
So gleicht auch die moderne Shoppingmall, in der mich Jimmy auf einen Kaffee einlädt, innen und
außen einer gut bewachten Festung. Selten habe ich vor Geschäften so viel Sicherheitspersonal
gesehen, selten habe ich aber auch ein derart exklusives Einkaufszentrum erlebt. Der besondere
Clou: Im Zentrum steht eine restaurierte alte Villa, um die herum die vielen Etagen der neuen Mall
hochgezogen wurden. Wer, bitteschön, hat in El Salvador das Geld, um hier einzukaufen? Jimmy
sagt, das seien einerseits die Reichen, andererseits aber auch der Mittelstand: „Die zahlen alles mit
Kreditkarte.“ Wer einen blutigen Bürgerkrieg erlebt hat und heute im Umfeld von Morden und
aktiven Vulkanen lebt, der genießt halt gern das Leben und denkt nicht groß an die Schulden von
morgen.
Jimmys Handy klingelt. Udo ruft an und sagt, dass sich sein Volleyballturnier wie Kaugummi ziehe
und wir schon mal zu seinem Haus vorfahren sollen. Er komme dann etwas später nach. Das Haus
liegt im Wohnviertel Santa Elena und ist ganz in der Nähe der palastartigen US-Botschaft, wodurch
die Sicherheitsvorkehrungen in der Gegend noch größer als anderswo sind. Die Tore, Zäune,
Blockaden und bewaffneten Wächter, die unser Minivan passiert, sind wie Schleusen, die nur
Auserwählte von der gefährlichen Außenwelt in die teure Sicherheit von Santa Elena durchlassen.
Udo ist inzwischen doch schon zu Hause und bittet auch Jimmy und den Fahrer zum deutschen Bier
auf die Terrasse. Udos Frau und die drei Söhne, 2, 5 und 7 Jahre alt, kommen dazu und die
Unterhaltungen wechseln zwischen Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch. Ich beziehe mein
Gästezimmer, begleitet von Udos warnenden Worten, dass mich morgen früh mindestens einer
seiner drei Söhne zu unchristlicher Zeit besuchen wird. Wir gehen zum Abendessen in ein
asiatisches Restaurant. Während der artistisch begabte Koch die Speisen direkt an unserem Tisch
zubereitet, erfahre ich vom Los aller Botschaftsangestellten: Alle vier Jahre müssen sie mitsamt der
Familie in ein neues Land ziehen. Auf diese Weise sollen unter anderem Filz und Korruption
unterbunden werden. Udo und seine Familie werden El Salvador in gut einem Jahr verlassen. Weil
seine Söhne weiterhin im spanischsprachigen Raum aufwachsen sollen, hat er sich für ein Amt an
verschiedenen Botschaften in Zentral- und Südamerika beworben.
www.pullmantur.com
www.elsalvador.com
www.san-salvador.diplo.de (Botschaft)
www.corsatour.com.sv (Tourismusbehoerde)
Sonntag, 28. Oktober 2007 (San Salvador)
Mein Wecker klingelt um sieben Uhr und ein paar Minuten später besuchen mich auch schon Udos
Söhne Rafael und Max in meinem Gästezimmer. Kurzerhand wird auf dem Bett das Brettspiel
„Lotti Karotti“ ausgebreitet, bei dem mich die 5 und 7 Jahre alten Jungs vernichtend schlagen.
Irgendwann steht Udo mit dem zweijährigen Manuel in der Tür und erklärt, ich solle seine beiden
Großen einfach rauswerfen, falls sie nerven. Aber das Gegenteil ist der Fall: Ich genieße den
Aufenthalt im Hause Ewertz sehr. Bei den Planungen für meine Weltreise hatte ich zwar auf solche
Begegnungen gehofft, aber letztlich nicht damit gerechnet. Beim gemeinsamen Frühstück erfahre
ich, dass Familie Ewertz am Nachmittag und Abend Besuch bekommt, weshalb es wohl besser ist,
wenn ich mir für die zweite Nacht eine andere Bleibe suche. Udo will mit dem Sheraton Presidente,
in dem oft die Gäste der Botschaften unterkommen, einen Sonderpreis vereinbaren. Das gelingt ihm
auch: Für die Nacht im Luxus zahle ich gerade mal 94 Dollar inklusive Steuern. Das Hotel liegt in
der Zona Rosa, gleich in der Nachbarschaft der wichtigsten Museen von San Salvador, und hier
wird morgen Nachmittag auch mein Bus zurück nach Guatemala City abfahren.
Jimmy und mein Fahrer holen mich um 8.30 Uhr in Santa Elena ab und wir brechen zum
Nationalpark Cerro Verde auf. Der grüne Hügel, so die wörtliche Übersetzung, ist ein erloschener
Vulkan und bietet einen hervorragenden Blick auf den Vulkan Santa Ana, mit 2365 Metern der
höchste aller 25 Vulkane des Landes, und den nicht weniger beeindruckenden Izalco. Die beste
Aussicht auf die Giganten bietet die Terrasse des Cerro Verde Hotels, das 1989 während des
Bürgerkriegs geschlossen wurde. Zur Zeit laufen Verhandlungen mit US-Investoren, die das frühere
Lieblingshotel der Salvadorianer wiedereröffnen wollen. Heute tummeln sich um die großen
Kamine des leeren Speisesaals die Souvenirhändler, die den Besuchern Hängematten, Kunstobjekte
und Handarbeiten anbieten. Ich kaufe lokale Süßigkeiten und zwei glasierte Holzkreuze mit
Motiven von Fernando Llorth, von dem auch die Mosaike auf der Kathedrale von San Salvador
stammen.
Wenige Minuten vulkanabwärts halten wir an einem Aussichtspunkt, der den besten Blick auf
einen riesigen Vulkansee Coatepeque bietet. Auf der anderen Straßenseite wohnt eine
Bauernfamilie, die den kommenden Winter nicht gerade herbeisehnt, weil ihr das Geld für warme
Kleidung und Decken fehlt. Die Mutter der Familie arbeitet in San Salvador in einem Hotel und
ernährt damit die Kinder und Großeltern. Die 16jährige Tochter musste ihre Schule abbrechen und
kümmert sich nun um den Haushalt in den einfachen Holzhütten. Der Großvater kommt gerade mit
großen Plastikkrügen zurück und bringt Trinkwasser, das er und die anderen Familienmitglieder
täglich vom tiefer gelegenen See holen müssen.
Jimmy verspricht der Familie, sich in der Stadt nach Decken und Kleidung zu erkundigen.
Außerdem regt er an, die Familie solle künftig an einem kleinen Stand Getränke anbieten und so ein
paar Dollar im Monat verdienen, wenn auf der anderen Straßenseite eh viele Touristen und
Salvadorianer anhalten, um die Aussicht auf den See zu genießen.
Wir müssen weiter und fahren gut 45 Minuten bis zur Pazifikküste. Ohnehin nennen die
Salvadorianer ihr kleines Land oft scherzhaft das „45-Minuten-Land“, weil quasi jede wichtige
Ecke El Salvadors in 45 Minuten erreicht werden kann. Die Küstenstraße, die vor allem für den
Warenhandel zwischen Honduras und Guatemala genutzt wird, führt durch fünf Tunnel, die nicht
beleuchtet sind. Weil auf der einen Straßenseite der Pazifik ist und auf der anderen Seite massiver
Fels, wird die Strecke gern von Räubern für Überfälle genutzt. Eine Flucht ist nicht möglich. Udo
hat mir eh den Tipp mit auf den Weg gegeben: Wenn Du überfallen wirst, hilf den Räubern am
besten noch, deine Sachen in ihren Wagen tragen. Denn sie werden niemals zögern, ihre Waffen zu
benutzen. Die Botschaft ist angekommen: Alle Wertsachen, mit Ausnahme von etwas Geld und
meiner Kamera, sind sicher im Hotel deponiert.
Wir halten vor Tunnel 4 und beobachten die riesigen Wellen, die hundert Meter unter uns an die
Steilküste knallen. Während des Bürgerkriegs wurden an dieser Stelle viele Leichen in den Pazifik
geworfen, wo sie dann weggetrieben oder von Haien gefressen wurden. Das ist auch der Grund,
warum von vielen toten Kriegern und Zivilisten bis heute jede Spur fehlt.
Inzwischen werden die Wassermassen für bessere Zwecke genutzt: Surfer aus aller Welt kommen
hierher, um auf den gigantischen Wellen zu reiten. Wir besuchen das Surfhotel Las Olas, das einem
Freund von Jimmy gehört. Es hat einen großen Pool, der mitten in den Ozean ragt und im
Minutentakt vom Pazifik verschluckt wird. Das junge Paar, das tapfer in dem Pool badet,
verschwindet immer wieder im Salzwasser, taucht aber zum Glück stets wieder auf.
Der Pool auf der großen Außenanlage meines Hotels Sheraton Presidente ist viel ruhiger und edler.
Leider bleibt mir keine Zeit, ihn zu nutzen, weil Jimmy mir heute Abend das Nachtleben von San
Salvador nahe bringen will. Sein Kumpel Erick, der eine Tourismusagentur betreibt, und dessen
neue Freundin Doris wollen uns Gesellschaft leisten. Doris will mich unbedingt treffen, weil sie
sich auf Deutsch unterhalten will. Die Salvadorianerin war mit einem Österreicher verheiratet und
hat sieben Jahre lang in der Steiermark gelebt. Seit einem Jahr ist sie geschieden und wohnt nun mit
ihren beiden kleinen Kindern wieder in San Salvador. Weil Pünktlichkeit in diesem Land nicht
gerade die höchste Priorität genießt, müssen Jimmy und ich drei Stunden lang auf unsere
Abendgesellschaft warten. Diese Zeit verbringen wir zunächst in der Eisdiele einer Shoppingmall,
bevor wir uns vom Taxi zum La Ventana bringen lassen. Die sehr einladend wirkende Kneipe mit
Restaurant gehört einem Deutschen, der mit einer Salvadorianerin zusammenlebt. Auf der
Speisekarte stehen unter anderem Currywurst und Apfelstrudel. Ich bestelle beides, um Jimmy die
deutsch-österreichische Esskultur nahezubringen. Um 22 Uhr schließt das La Ventana und wir
warten vor dem Haus auf Erick und Doris, die wenige Minuten später endlich mit dem Auto um die
Ecke biegen. Wir steigen auf die Rückbank des Wagens und fahren zur Lieblingskneipe des Trios,
zur „Eurobar“.
Ich bin inzwischen hundemüde, weil mir der dreistündige Zeitunterschied zwischen Paraguay und
El Salvador gewaltig in den Knochen steckt. Das Gespräch mit Doris, die perfekt Deutsch spricht,
hält mich allerdings wach. Sie kritisiert, dass ihr Heimatland sich inzwischen komplett an die USA
verkauft hat und die eigene Geschichte völlig in Vergessenheit gerät. Heute zähle nur noch der
Kommerz. Nicht nur, dass der US-Dollar den Colon ersetzt hat, auch sämtliche Banken des Landes
wurden innerhalb weniger Jahre an Investoren aus fremden Ländern verhökert.
Um zwei Uhr nachts, als die Hits der „Heroes del Selencio“ zum x-ten Mal aus der Musikbox
erschallen, bin ich kurz vorm Umfallen. Wir beenden unser Nachtprogramm, das laut Jimmy, Erick
und Doris eigentlich bis zum nächsten Morgen hätte fortgesetzt werden sollen, und steigen wieder
ins Auto. Mir ist überhaupt nicht wohl dabei, dass Erick nach seinen viel zu vielen Bierflaschen
noch hinterm Steuer Platz nimmt, aber der Alkohol der Nationalmarke Golden Light hat sich wohl
ganz gut in seinem massigen Körper verteilt. Wir erreichen unfallfrei das Sheraton Presidente.
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Montag, 29. Oktober 2007 (San Salvador)
Kaum hingelegt, muss ich schon wieder aufstehen. Dabei hätte ich das große Bett in der bislang
wohl luxuriösesten Unterkunft meiner Reise gern länger als fünf Stunden genutzt. Im
Frühstückssaal des Sheraton Presidente treffe ich Udo Ewertz, der sich noch persönlich von mir
verabschieden möchte. Er schenkt mir einen kleinen Metallpin, der auf die Flaggen von
Deutschland und El Salvador zeigt. Das Souvenir der deutschen Botschaft passt gut zu der
Gastfreundschaft, die ich hier bei meinem kurzfristig geplanten Blitzbesuch erfahren habe.
Außerdem hat Udo telefonisch geregelt, dass mich heute zwei Beamte der Touristenpolizei
begleiten, wenn ich mit Jimmy zum Vulkan Quezaltepec fahre. Das Gebiet um den 1,5 Kilometer
großen Krater ist für seine Überfälle auf Touristen bekannt und soll bei meinem Besuch nicht
unbedingt seinem schlechten Ruf gerecht werden.
Die jungen Männer in schicken schwarzen Uniformen und bewaffnet mit Pistolen und Messer
warten schon vor dem Hotel. Ich bedanke mich bei Udo für seine Unterstützung und schon beginnt
die Fahrt zum Vulkan. Der Krater reicht 543 Meter in die Tiefe und ist viel zu groß, um auf ein
einziges Foto zu passen. Also fotografiere ich lieber ausgiebig unseren Geleitschutz. Mit so großen
Sicherheitsvorkehrungen war ich auf meiner Reise bislang auch noch nicht unterwegs. Anderseits:
Was würde eigentlich passieren, wenn wir doch noch überfallen werden? Kein Räuber sieht
unserem Minivan an, dass innendrin zwei Polizisten sitzen. Wenn sie nun, wie üblich, den Wagen
durch einen Felsen, einen Baumstamm oder ein geparktes Auto zum Anhalten zwingen und mit
Waffen die Geldbörsen, Uhren, Handys einfordern – würden die Polizisten dann sofort das Feuer
eröffnen? Ich weiß es nicht und will es letztlich auch gar nicht wissen.
Die Polizisten, die beide neu im Job sind und zum ersten Mal einen Touristen begleiten, bieten an,
auch mit nach Suchitoto zu kommen. Offenbar empfinden auch sie den Ausflug als eine
willkommene Alternative zum Stuben- oder Streifendienst in San Salvador. Und so erreicht unsere
fünfköpfige Reisegruppe gegen 12 Uhr die wunderschöne Kolonialstadt, die von Jahr zu Jahr mehr
Künstler und Touristen anlockt.
Während des Bürgerkrieges fanden hier heftige Gefechte statt und Suchitoto war eine Geisterstadt.
Heute erinnern in dem komplett restaurierten Ort nur noch Wandgemälde und ein paar bewusst
konservierte Einschusslöcher in Hausfassaden an Krieg und Sterben. Ich besuche die kleine Kirche,
die Verkaufsstände der Souvenirhändler auf dem zentralen Platz und gehe auf Fotosafari in den
engen Straßen und Gassen. Auf der Suche nach einem Buch über die Geschichte Suchitotos und El
Salvadors lande ich in einem kleinen Laden. Jimmy stellt mich der Besitzerin als Journalisten aus
Deutschland vor und Senora Galdamez erklärt, dass ihr Mann Luis Fotograf sei und für die Agentur
Reuters regelmäßig Fotos in El Salvador mache. An der Wand hängen Plakate seiner Ausstellungen
und einige Kostproben seiner Kunst. Auf den hervorragenden Fotos sehe ich auch viele Aspekte
und Regionen des Landes, die ich in der kurzen Zeit meines Besuches leider gar nicht erleben
kann.
Jimmy möchte mir noch das Hotel Los Almendros de San Lorenzo zeigen. Es ist das beste von ganz
Suchitoto und sicherlich das künstlerisch wertvollste von ganz El Salvador. Der französische
Besitzer hat jeden Raum des alten Kolonialhauses individuell gestaltet und auch das Klavierzimmer
und die Bar mit Wandgemälden und Kunstobjekten verziert. Jimmy unterhält sich mit einem
anderen Reiseleiter, der mich in lupenreinem Englisch begrüßt und mich fragt, ob er mir die
amerikanischen Touristinnen vorstellen soll, mit denen er seit einer Woche durch das Land reist.
Noch bevor ich „Nein“ sagen kann, schleppt er mich zum Mittagstisch am Hotelpool und
triumphiert: „Ladys, this is Michael. He is a journalist from Germany.“ Tja, die acht Damen können
damit im ersten Moment genau so wenig anfangen wie ich. Aber es entwickelt sich ein freundlicher
Smalltalk, den ich abkürzen kann, als der Kellner die voll beladenen Teller bringt. Unter dem
Vorwand, nicht beim Essen stören zu wollen, kann ich mich dezent davon stehlen und meine Tour
durch Suchitoto fortsetzen.
Viel Zeit bleibt mir eh nicht mehr, weil ich um 15 Uhr vor dem Sheraton im Bus zurück nach
Guatemala sitzen muss. Bevor wir die einstündige Rückfahrt nach San Salvador antreten,
inszenieren wir mit unseren beiden Polizisten für ein Foto noch rasch Jimmys Verhaftung. Er will
das Bild wahlweise an seine Freundin in Spanien schicken oder es verflossenen Geliebten
zukommen lassen. Versehen mit der Notiz: Ich würde Dich ja gern besuchen, aber ich habe gerade
Probleme mit der Polizei...
Der Reisebus von Pullmantur ist diesmal bei weiten nicht so voll wie bei der Hinfahrt. So kann ich
auch gleich zwei der vier begehrten Plätze an der Glasfront der zweiten Etage ergattern. Jimmy,
dem ich unterwegs nun doch die vollen 475 Dollar für die lohnenswerte Tour gezahlt habe, winkt
von außen zum Abschied. Ich schieße durch das Busfenster ein letztes Bild von einem Wachmann,
der mit schwerem Maschinengewehr die Tageseinnahmen des Busunternehmens beschützt. Und
schon verlasse ich El Salvador wieder. Ein Land, das viel moderner ist, als ich vermutet habe, das
kaum noch Kriegsspuren aufweist, aber in dem Waffen noch immer zum Alltag gehören. Am
zweiten Tag habe ich mit der Fotokamera ein Bild festgehalten, das in Deutschland undenkbar
wäre: Da stehen zwei schwer bewaffnete Sicherheitsleute in einem modernen Drogeriemarkt. Der
eine bewacht die Kühlschränke mit den Getränken, der andere das Küchen- und Toilettenpapier.
Man stelle sich diese Szene einmal bei Schlecker in Hamburg-Eimsbüttel vor! Ich bin mir sicher,
dass jede Mutti samt Kinderwagen rückwärts aus dem Laden fallen würde. Aber in El Salvador ist
das normal und gibt den Kunden ein Gefühl von Sicherheit.
Durch den Stau an der Grenze und den dichten Feierabendverkehr zieht sich die Rückfahrt nach
Guatemala City ein wenig in die Länge. Statt vier Stunden brauchen wir diesmal fast fünf. Eine
weitere Nacht im 148 Dollar teuren Holiday Inn will ich mir diesmal nicht leisten und habe deshalb
via Internet für nur 45 Dollar ein Zimmer im Posada Belen Museo Inn gebucht. Das liegt im alten
historischen Zentrum von Guatemala City und somit ein ganzes Stück vom Holiday Inn entfernt.
An Taxifahrern, die lauthals ihre Dienste anbieten, mangelt es bei der Ankunft unseres Reisebusses
nicht. Ich entscheide mich für den einzigen, der Englisch spricht. Er verlangt zehn Dollar. Wohl
wissend, dass Touristen grundsätzlich von Taxifahrern gefoppt werden, sage ich nein und gehe. Wie
viel ich denn zu zahlen bereit sei, fragt er. Fünf Dollar. Er geht darauf ein. Aber offenbar nur zum
Schein. Denn kaum fahren wir drei Minuten, erzählt mir Rodrigo seine ganze Lebensgeschichte, die
ihn für einige Jahre nach Kanada führte. Lange Rede, kurzer Sinn: Er will später zehn Dollar haben,
weil Downtown so weit weg liegt und außerdem gefährlich sei. Ich möge doch bitte zum eigenen
Schutz die Türen von innen verschließen.
In der Tat machen die spärlich beleuchteten Straßen in der Altstadt keinen einladenden Eindruck.
Zu Fuß möchte ich zu dieser späten Stunde dort auf keinen Fall unterwegs sein. Rodrigo hat zwar
die Adresse meines Hotels, aber trotzdem keine Ahnung, wo er hinfahren muss. Und so verschafft
er mir eine ungewollte Stadtrundfahrt durch die finstersten Ecken von Guatemala City. Nach 20
Minuten sehe ich dann endlich das richtige Straßenschild und die korrekte Hausnummer. Der
Eingang ist vergittert, verriegelt und verschlossen. Ich lasse Rodrigo erst einmal über die
Gegensprechanlage an der Tür klären, dass wir wirklich am richtigen Ziel sind, bevor ich das Taxi
verlasse. Ein Angestellter öffnet die Tür, ich nehme meinen Koffer und drücke Rodrigo großzügig
die überteuerten zehn Dollar in die Hand. Jetzt will er plötzlich 13 Dollar haben, weil der Weg so
lang war. Mein Argument, dass der Weg bei einer besseren Ortskenntnis seinerseits nur halb so lang
gewesen wäre, leuchtet ihm dann doch schnell ein. Er nimmt die zehn Dollar und fährt davon.
www.hotelsalvador.de
www.posadabelenmuseoinn.com