Glossar Szenen 1-11

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Glossar Szenen 1-11
Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Szene 1-6 / Lied Nr. I & II
„Ganz Gallien ist von den Römern besetzt!“, Theben, Laios & Iokaste, Das Orakel von
Delphi und der phytischen Apoll, Blümchen & Bienchen, Kaninchen, Dr. Sommer Team,
Hirten, Kind aussetzen, Psalm 23, Korinth, Polybos, Ödipus, Merope, stante pede, „Der
spinnt, der Korinther!“, DNA-Test, Stan Laurel-Geste, die hohle Gasse, Spund, Privileg.
Ganz Gallien ist von den Römern besetzt!
Gleich im Prolog kommt es zu dieser schönen Anspielung auf die Comicserie Asterix1 der Franzosen
René Goscinny und Albert Uderzo. Was diese Ortsbeschreibung mit König Ödipus zu tun hat, erfahren
wir im ersten Lied des Dramas.
Theben
Gemeint ist hier das böotische, siebentorige Theben (griechisch Thebai, neugriechisch Thiva) nicht das
thessalische oder gar das von Homer in der Ilias erwähnte hunderttorige Theben Ägyptens.
Das mythische Theben ist der Dreh- und Angelpunkt im thebanischen Sagenkreis. Herakles, Niobe,
Ödipus und Antigone sind hier geboren. Legenden und Sagen um Dionysos und nicht zuletzt um die
Sieben gegen Theben sind mit der Stadt verknüpft.
Den ältesten Überlieferungen nach lebten Ekten, dann Hyanten und schließlich die Aonen im
thebanischen Land, bis zur Ankunft des Phöniziers Kadmos, der die Stadt, bzw. die Burg Kadmeia
gegründet hat. Zum Herrschergeschlecht der Kadmeionen gehören in einer langen Reihe von mythischen
Königen auch Ödipus und seine Söhne Eteokles und Polyneikes.
Laios & Iokaste
Laios gehört im thebanischen Sagenkreis zu jenen mythischen Königen, die über das antike böotische
Theben herrschten. Laios ist der Sohn des Labdakos, auch ein Herrscher Thebens.
Gemeinsam mit Iokaste, der Tochter des Menoikeus, von dem wir nicht wissen, ob er nicht auch
königlichen Blutes war, zeugte Laios ein Kind: den späteren König Ödipus.
König Laois und seine spätere Verwandtschaftslinie stehen unter keinem guten Stern, denn Pelops, der
Vater von Chrysippos, hat den jungen Laios und seine Nachkommen mit einem Fluch belegt. Der Fluch
beinhaltete nach dem griechischen Historiografen Herodot: Laois solle niemals einen Sohn erhalten, wenn
aber doch, so solle dieser Sohn ihn töten. Grund für diesen Fluch war die Entführung von Chrysippos
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http://de.wikipedia.org/wiki/Asterix
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
durch Laois nach Theben – zwar aus Liebe, aber dennoch nach den herrschenden Sitten unüblich, zudem
die Gastfreundschaft Pelops’ auf das Gröbste verletzend und somit mit Verfluchung zu ahnden.
Das Orakel von Delphi und der phytische Apoll
Delphi oder auch Delphios war eine Stadt im antiken Griechenland, von der heute nur noch Ruinen
existieren. Die Ausgrabungen von Delphi stehen auf der Weltkulturerbe-Liste und damit unter dem
besonderen Schutz der UNESCO. Die Ruinen wiederum stehen etwa 15 Kilometer nördlich des Golfs von
Korinth im Landesinneren am Fuße des Parnass-Gebirges.
Der Name Delphi kann vom griechischen δελφός (delphos) für „Gebärmutter“ abgeleitet werde, denn
Delphi war bereits seit dem 12. Jahrhundert v. Chr. eine alte Kultstätte zur Verehrung der Erdgöttin Gaia,
der großen Mutter der griechischen Mythologie.
Ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. setzte sich die Verehrung des Apollon durch und Delphi wurde zur
wichtigsten Tempelstätte des Apollon und zur bedeutendsten Orakelstätte der Griechen in der Antike.
Orakel wird oft mit „Sprechstätte“ aus dem Lateinischen oraculum von orare „beten“, „reden“ übersetzt.
Es bezeichnet also zum einen den Ort, meist eine religiöse Stätte oder ein Heiligtum z. B. den Tempel des
Apollon, an dem sich der Ratsuchende mit Fragen an seine Gottheit wenden konnte. Zum anderen ist mit
Orakel eine göttliche Offenbarung, der im Heiligtum erteilte Götterspruch selbst, gemeint.
Im delphischen Heiligtum saß Pythia, die Priesterin, - übrigens die einzige Frau, die den Apollontempel
betreten durfte -, auf einem Dreifuß, und gab von ihrer Gottheit inspiriert (einige neuere Forschungen
meinen: von Ethylengasen aus einer Erdspalte benebelt) mithilfe des Orakelspruches Auskunft bezüglich
politischer und kultureller Angelegenheiten oder zu moralischen Fragen rund um das Thema Schuld &
Sühne.
Und um die Mehrdeutigkeit noch zu steigern, wird die gesamte Anlage des Heiligtums von Delphi gerne
auch mal als des Phoibos’ pythische Häuser und das Orakel wiederum mit ‚pythischer Apoll’ bezeichnet.
Phoibos war ein Beiname Apollons und bedeutet soviel viel wie „der Leuchtende“.
Und warum ‚pythisch’? Da hilft uns die Mythologie weiter, denn Delphi war in der Antike auch unter dem
Namen Pytho bekannt, weil hier die geflügelte Schlange Python, nach anderer Lesart ein Drache, lebte,
der das Heiligtum der Gaia bewachte. Python hatte hellseherische Fähigkeiten und seine Mutter war, wie
sollte es anders sein, eben jene Erdgöttin Gaia.
Weil sich Python selbst prophezeite, dass ihn dereinst Apollon töten würde, versuchte Python Leto,
Apollons Mutter, zu töten, bevor diese Apollon gebären konnte. Das hat nicht geklappt und so erfüllte sich
die Prophezeiung. Apollon stellte und tötete Python in Delphi. Durch das vergossenen Blut Pythons
übertrugen sich dessen hellseherische Fähigkeiten auf den ohnehin schon extrem heiligen Ort. Und Gaia
verlor ihre Kultstätte, denn Delphi befand sich von da an unter dem Schutz Apollons.
Dass die Priesterin an einem solchen Ort nur Pythia heißen kann, erscheint folgerichtig.
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Blümchen & Bienchen
In Bezug auf sexuelle Aufklärung von Kindern wird immer wieder die Geschichte von den „Blümchen
und Bienchen“ begonnen, aber wurde sie jemals zu Ende erzählt? Fragen Sie mal jemanden in Ihrem
Bekanntenkreis, ob er die ganze Geschichte kennt und sie wiedergeben kann.
Es scheint, das dieses gleichnishafte Zitat und das, was es sagen will, davon lebt, dass man nur die ersten
Worte spricht und sich dadurch der, als bekannt vorausgesetzte „Rest“ der Geschichte von selbst erzählt.
Oft werden die „Blümchen und Bienchen“ auch nur fragend ins Spiel gebracht, wenn die Aufklärung
schon außerhalb der Familie stattgefunden hat, um sicherzugehen, dass es nichts mehr aufzuklären gibt:
„Muss ich Dir noch etwas zu den, ähm, Blumen und Bienchen erzählen, Kind?“ – „Nerv’ nicht, geh raus!
Das weiß ich schon alles“.
Der zentrale Aspekt der „Blümchen und Bienchen“ –Geschichte ist das Tertium Comparationis, dieser
Begriff der Rhetorik bezeichnet soviel wie „das Dritte des Vergleiches“. Das Erste sind in diesem Fall die
Blümchen und Bienchen, das Zweite sind die Menschen, die aber nicht erwähnt werden, ebenso wenig
wie der Vergleich tatsächlich gezogen wird und das „Dritte“, das durch den Vergleich verdeutlicht werden
soll, ist die Fortpflanzung.
Kurz, es wird nicht wirklich erzählt, dass der Samen der Papapflanze in den Stempel der Mamapflanze
muss und wer oder was die vergleichbare Aufgabe der Bienchen – nämlich die Pollenübertragung - beim
Menschen übernimmt.
Eine reizvolle Erklärung für die Tatsache des Nichterzählens der „Blümchen und Bienchen“-Geschichte
mag die sein, dass vielleicht vor 300 Jahren in unserem kollektiven Gedächtnis die moralische Empörung
der Zeitgenossen des Botanikers Carl von Linné über dessen zweideutige Texte zur Sexualität der
Pflanzen so fest verankert wurde, dass wir aus Scham darüber nicht zu einer näheren Beschreibung der
höchst erotischen Vorgänge in Blütenkelchen gelangen2.
Und letztlich bleibt uns ja noch die komplette Geschichte vom Storch. Oder war’s der Lurch, der die
Babys bringt?
Kaninchen
Überwiegend nachtaktive, kuschelige Kleinsäuger, die für ihre sehr hohe Vermehrungsrate mit 47 Würfen und je 4-6 Jungen pro Jahr bekannt sind. Kaninchen gehören zu den Hasenartigen, leben in
weitverzweigten Erdbauten und waren ursprünglich in Spanien und Nordwestafrika beheimatet. Einige
hören auf die Namen Deutscher Riese, Weißer Wiener, Rex-Kaninchen oder Farbzwerg.
2
Vgl. Glaubrecht, Matthias. Von Blumen und Bienen. Der Tagesspiegel vom 21.09.2007. Siehe:
http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/Carl-von-Linn%E9;art304,2384073
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Doktor Sommer Team
Bekannt sind Dr. Jochen Sommer und sein Team aus der Jugendzeitschrift Bravo3. Das Team beantwortet
Fragen der Jugendlichen rund um deren Sexualität. Dr. Jochen Sommer ist ein von der Redaktion der
Zeitschrift erdachtes Pseudonym, unter dem sich von 1969 bis 1984 federführend der Arzt,
Psychotherapeut und Religionslehrer Dr. Martin Goldstein und von 1986 bis 2002 die DiplomSozialpädagogin Margit Tetz den sexuellen Fragen und psychologischen Problemen der jugendlichen
Leser widmete.
Seit Beginn der 1970er Jahre wird Dr. Jochen Sommer von einem ganzen Team aus Gynäkologen,
Kinder- und Jugendärzten, Psychologen und weiteren Experten unterstützt.
Augenfällig ist natürlich die Parallelität zwischen dem Dr. Sommer Team und dem Orakel von Delphi.
Die Phytia, gedacht als gewissermaßen fleischgewordenes Pseudonym von Apollon, und jede Menge
Experten-Priester, die den Orakelspruch für den Ratsuchenden deuten.
Keine Panik!
Pan, der bocksbeinige Wald- und Hirtengott war dem altgriechischen Volksglauben nach derjenige,
dessen plötzliche und unsichtbare Nähe die Ursache dafür war, warum Menschen und Tierherden in freier
Natur oder in der größten Mittagsstille unvermittelt von undeutbarem Schrecken ergriffen werden, Angst
bekommen und flüchten.
Die Griechen nannten solche grundlose Furcht pānikós, "vom Pan herrührend". Als panique gelangte die
Panik im 16. Jahrhundert auch ins Deutsche. Im 20. Jahrhundert kam die Panik auch zu weltallweiter
Bekanntheit durch Douglas Adams und seinen Hitchhiker’s Guide to the Galaxy (dt. Per Anhalter durch
die Galaxis) in dem zu lesen steht: Don’t panic!
Wenn wir heute von panischem Schrecken sprechen, dann klingt darin die wilde, lähmende und
übermächtige Angst an, die zu völlig unüberlegten Reaktionen führt. Als Auslöser dieser Angst wird heute
statt Pan zwar eine plötzliche echte oder vermeintliche Gefahr angeführt, aber die scheinbar rationalere
Erklärung ändert auch nichts am panischen Zustand, wenn er denn eintritt.
postnatal
Wortbildung aus lat. post (= nach) und lat. natal (= geburtlich, die Geburt betreffend). Mit postnatal
werden in der Medizin die nachgeburtlichen Vorgänge bezeichnet, die sich auf das Kind beziehen. Auf die
Mutter bezogen spräche man von postpartal.
3
Siehe: www.drsommerteam.de und den informativen Artikel unter: http://de.wikipedia.org/wiki/BRAVO
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Hirte
Der Hirte oder auch Hüter ist eine Person, der eine Herde von Nutztieren hütet, bewacht und versorgt. Das
kann von Schafen, Ziegen über Gänse und Kühe bis hin zu Kamelen und Lamas gehen. Bekannte
Hirtenfiguren in der Kulturgeschichte sind z. B. der Senner und der Cowboy, aber auch der argentinische
Gaucho oder der toskanische Buttero.
Nicht zuletzt finden sich in der Bibel zahlreiche Hirten, wie Abel, oder der Gute Hirte aus dem Gleichnis,
die Hirten in der Weihnachtsgeschichte und nicht von ungefähr heißt der Hirte im Lateinischen Pastor.
Nicht unerwähnt sei, dass „Hirte“ im Alten Orient nicht nur eine Berufsbezeichnung, sondern auch ein
Herrschaftstitel war.
Kinder aussetzen & finsteres Tal
Das Zitat „Und ob ich auch wand ’re im finsteren Tal, fürchte kein Unglück“ stammt aus einem der
bekanntesten Texte des Alten Testaments, dem Psalm 23, der auch als Psalm vom guten Hirten bekannt
ist. Nicht unpassend, dass der Hirte aus Theben, dem Wickelkind, das ihm auszusetzen befohlen wurde,
diese Zeilen zuflüstert, obwohl er das Kind im Kithairon-Gebirge seinem Schicksal überlassen soll, denn
er hat sich entschieden, genau das nicht zu tun.
An dieser Stelle zum Neu- und Wiederlesen alle 6 Verse des Psalms aus der Übersetzung, wie sie die
Lutherbibel bietet. Wer eher die „finstere Schlucht“ kennt, hat vermutlich die Einheitsübersetzung, wie sie
in der katholischen Liturgie verwendet wird, im Ohr4.
Psalm 23
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele und führet mich auf rechter Strasse, um seines Namens, willen.
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück mehr; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab, trösten mich.
Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht vor meinen Feinden. Du salbest mein Haupt mit Öl und
schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit, nur Gutes, werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben
im Hause des Herrn immerdar.
Dass das Aussetzen von Kindern im antiken Griechenland (mit seinen kulturell unterschiedlichen
Stadtstaaten in einem Zeitraum von über 1000 Jahren) gang und gäbe gewesen sein soll, scheint ein
Allgemeinplatz zu sein. Warum wurde diese Ansicht zu einem Allgemeinplatz? Und stimmt das denn
auch? Verwiesen wird in diesem Zusammenhang zumeist auf Sparta und die strenge Auslese der
4
Diese Seiten bietet einen Bibelstellen-Suchfunktion und die Möglichkeit des Vergleichs unterschiedlicher Übersetzungen:
http://www.bibleserver.com/index.php oder http://www.bibelwissenschaft.de/
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
neugeborenen Kinder vor der Gerusia, dem spartanischen Ältestenrat. Ein Kind, das die Gerusia als nicht
überlebensfähig ansah, wurde ausgesetzt.
Zumindest “Theben machte hievon in sofern eine Ausnahme, als das Tödten der Neugeborenen gesetzlich
untersagt war“5, was natürlich für eine zusätzliche Dramatik in der Tragödie um das Elternpaar Laios und
Jokaste sorgt, denn so haben sie auch noch gegen geltende Gesetze verstoßen, so denn die Gesetze in der
mythischen Zeit denen der antiken Zeit entsprachen.
Korinth
Korinth lag, und liegt auch heute noch, am Isthmus von Korinth, jener Landenge, die den Peloponnes und
das griechische Festland verbindet. Westlich dieser schmalen Landbrücke befindet sich der Golf von
Korinth. Zu Zeiten der Ödipus-Saga ist Korinth quasi eines der Nachbar-Königreiche von Theben.
Merope Polybos Ödipus
Merope (nach Apollodoros: Periboia) ist die Frau des korinthischen Herrschers Polybos. Beide führen bis
zur Übergabe des noch namenlosen Wickelkindes durch den Hirten eine kinderlose Ehe. Das
Herrscherpaar adoptiert das Kind und der Erzählung nach nannten sie es aufgrund seiner zerschundenen
Füße Oidipus („Schwellfuß“). Denn Laios ließ, im Einverständnis mit seiner Frau Iokaste, dem
Neugeborenen die Füße durchstechen und zusammenbinden, bevor es durch den Hirten ausgesetzt werden
sollte.
Schaut man sich die Silben, aus denen der Name Ödipus zusammengesetzt ist, näher an, so erschließt sich
eine weitere Ebene in der Bedeutung des Namens:
„Poús, die zweite Silbe seines Namens, bedeutet ‚Fuß’ und gewinnt durch die doppelte
Lesbarkeit der ersten Silbe eine zweifache Bedeutung. Oîda meint ‚Ich weiß’, so daß oîda-poús
der Wissende (-Fuß) ist, während oîdos und oidi-poús den Schwellfuß bezeichnet.„6
Eine interessante Verknüpfung von „Kinder aussetzen“ und „Füßen“ bietet eine Information, zitiert nach
Hesiod: “In Ephesus7 war das Aussetzen der Neugeborenen wenigstens nur auf den Fall der höchsten Noth
5
Vgl. Guido Görres, George Phillips, Georg Maria von Jochner (Hg.). Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland.
Veröffentlicht von In Commission der Literarisch-artistischen Anstalt, 1849. Band 23, Kap. 10 „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im
Geiste des Christenthums; S. 11. Die Blätter wurden digitalisiert und sind seit dem 23. Oktober 2006 im WWW zu finden. (Vgl. auch: Von
Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich; Staat und Gesellschaft der Griechen; keine Angaben zu Ort & Jahr; Kap. B: Der hellenische Stammesstaat, S.
35.)
Weiterführendes: enfant terrible: Zeitalter der Barmherzigkeit. Autismus-Kultur.de; 20. Juni 2008. Dieser Text beleuchtet die Konstruktion und
Verwendung der Kategorie „Behinderung“ anhand klassischer Quellen und bietet zahlreiche Anmerkungen und Literaturhinweise u.a. auch auf
die Monographie von Martha L. Rose, The Staff of Oedipus. Transforming Disability in Ancient Greece, 2003. Hier erfährt man auch etwas
zum Thema: Kinder aussetzen. Siehe: http://autismus-kultur.de/autismus/geschichte/zeitalter-der-barmherzigkeit.html. Oder mal „Kinder
aussetzen“ hier eingeben: http://www.wer-weiss-was.de, oder sich zum Thema „Babyklappe“ informieren.
Menke, Christoph, Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel, Frankfurt/Main 2005. Seite 53
7
Ephesos (lat. Ephesus) war eine der bedeutendsten und ältesten griechischen Städte Kleinasiens (heute Türkei) im Altertum.
6
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
beschränkt, und zwar bestimmten die Gesetze, dass der Vater, der sein Kind aussetzen wolle, aus Armuth
geschwollene Füße haben müsse.“8
Stande pede
Nach dem wissenden und dem geschwollenen Fuß aus dem vorangegangenen Artikel nun mehr zum
Thema Fuß. Stande pede ist ein lateinischer Ausdruck, direkt übersetzt heißt es „stehenden Fußes“. Der
Ausspruch meint im Hinblick auf etwas, das zu unternehmen ist: sofort, auf der Stelle, ohne Verzögerung.
„Der spinnt, der Korinther!“
Zweite Anspielung auf die Comicserie Asterix9 der Franzosen René Goscinny und Albert Uderzo. Das
von Obelix oft gebrauchte, mittlerweile sprichwörtliche Zitat „Die spinnen, die Römer!“ passt auf alle
absurden Verhaltensweisen oder Situationen und bezeugt die, vom eigenen Standpunkt aus,
wahrgenommene Lächerlichkeit einer Sache.
DNA-Test
Auch DNA-Analyse, Gentest oder Genanalyse bezeichnet ein molekularbiologisches Verfahren, in dessen
Verlauf deoxyribonucleic acid (deutsch Desoxyribonukleinsäure, DNS) untersucht wird, um z.B.
verwandtschaftliche Beziehungen oder Identitätsfragen (Stichwort: Genetischer Fingerabdruck) zu klären.
Der schamlose Finger & die Stan Laurel-Geste
Im Verlaufe der Begegnung zwischen dem jungen Ödipus und dem Orakel von Delphi kommt es zu einem
kurzen, für Ödipus schmerzhaften Zwischenfall – mal abgesehen von der inhaltlich schmerzhafteren
Offenbarung im Orakelspruch.
Das Orakel sticht Ödipus mit einem ausgestreckten Finger in eines seiner Augen. Was hier aus Versehen
geschieht, war in Filmen des erfolgreichsten US-amerikanischen Komiker-Duos Stan Laurel und Oliver
Hardy, fester und absichtsvoller Bestandteil der inszenierten Streitereien zwischen den beiden
gegensätzlichen Film-Charakteren, die im deutschen Fernsehen unter dem wenig treffenden Namen „Dick
& Doof“ Berühmtheit erlangten.
Laurel benutzte gegenüber Hardy meistens den ausgestreckten Zeigefinger, im Gegensatz zum Orakel, das
den schamlosen Finger digitus impudicus (lat.: digitus = der Finger; impudens = schamlos, unverschämt)
aus seiner Meditationshaltung heraus verwendet. Auf die Frage, warum wir die Geste des emporgereckten
Fingers verwenden, um andere zu beleidigen oder zu verhöhnen, druckte ein Jugendfachblatt10 in seiner
8
Vgl. Guido Görres, George Phillips, Georg Maria von Jochner (Hg.). Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland.
Veröffentlicht von In Commission der Literarisch-artistischen Anstalt, 1849. Band 23, Kap. 10 „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im
Geiste des Christenthums; S. 11. Die Blätter wurden digitalisiert und sind seit dem 23. Oktober 2006 im Worldwide Web zu finden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Asterix
10
Liegel, Anna; 4 Facts mit denen Du punkten kannst...; Bravo Nr. 48; 19. November 2008; S. 35.
9
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Rubrik „4 Facts, mit denen Du punkten kannst ...“ die Antwort ab, dass diese Geste aus der Zeit des
100jährigen Krieges (1337-1453) stamme. Französische Soldaten sollen demnach englischen
Bogenschützen gedroht haben, Ihnen den Mittelfinger, der zum Bogenspannen diente, abzuschneiden. Da
die Engländer siegten, verhöhnten sie angeblich die Verlierer mit dem emporgereckten Mittelfinger. Hier
sei das Stichwort „Urban Legend“ erwähnt, nicht alles, was in der Presse steht, stimmt auch11. Zudem war
diese Geste schon im antiken Griechenland und Rom bekannt.
Und abschließend sei bemerkt, dass dieser gesamte theatrale Vorgang, des beiläufigen Ins-Auge-Stechens
ein geradezu klassisches Foreshadowing ist, wie die geneigte Anglistin bemerken würde, denn in Szene
18 ...
Die hohle Gasse
Im Verlaufe der Tragödie wird es von entscheidender Bedeutung sein, an welchem Ort sich Ödipus und
sein Vater Laios begegneten. Waren es abgelegene Wege? Ein Kreuzweg im fremdem Wald, wie Hugo
von Hofmannsthal zu berichten weiß? Oder war es die Straße zwischen Delphi und der Stadt Daulia, die
Gustav Schwab erwähnt? Oder die Scheide dreier Wagenwege, wie Jokaste dem entsetzen Ödipus
berichtet?
Auf jeden Fall spielte sich in der, nach Friedrich Schiller zitierten, hohlen Gasse, ähnlich Dramatisches ab.
Wie weiland 1307 als Wilhelm Tell auf den habsburgischen Landvogt Hermann Gessler trifft, so begegnet
Ödipus seinem ihm unbekannten Vater und erschlägt ihn.
Spund
In diesem Zusammenhang geht es nicht um den Zapfen, den man bei Fässern zum Verschließen des
Spundloches benutzt oder um die Feder eines Brettes, die in die Nut des benachbarten Brettes greift.
Junge, vermeintlich oder tatsächlich unerfahrene Personen werden von älteren, vermeintlich erfahreneren,
Menschen gerne mal mit „junger Spund“ angesprochen.
Privileg
Ein Privileg ist ein Vorrecht oder Ausnahmegesetz und leitet sich vom lateinischen privilegium (lex
=„Gesetz“, „Rechtsvorschrift“ und privus =„einzeln“, „gesondert“) ab. Das Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland schließt Privilegien, die z.B. mit der Geburt erworben werden könnten, aus.
So heißt es im Artikel 3 Absatz 3:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,
seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt
werden.
11
http://snopes.com/language/apocryph/pluckyew.asp
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Ob der Vorrang des Alters vor der Jugend tatsächlich ein Privileg war, gar noch ist oder ein aus der Mode
gekommenes Gebot der Höflichkeit und des Respekts darstellt, lässt sich trefflich diskutieren.
Arbeitsthese: Vorrang vor der Jugend ist wie ein alter Privileg-Kühlschrank ein Auslaufmodell.
Szene 7 / Lied Nr. III
Ironie des Schicksals, Sphinx, Thebens Tore, Kreon, Hades, „Quo vadis?“, Pfingsten, Rex,
Pranke, mit links, Telefon- und Publikumsjoker, „Das hat dir der Teufel gesagt!“, Und
wenn sie nicht gestorben sind ..., Polyneikes & Eteokles, Antigone, Ismene.
Ironie des Schicksals
Es gibt durchaus unterschiedliche Ansichten, wann und auf was diese sprichwörtliche Redensart
anzuwenden ist. Ist es schon Ironie des Schicksals, wenn etwas überraschend anders kommt, als es geplant
war? Oder wenn das Gegenteil von dem eintrifft, was man erhofft hat? Auf jeden Fall gehört das
Schicksal als maßgeblicher Faktor dazu.
Schicksal in der Beschreibung des Duden Bedeutungswörterbuches ist die „Gesamtheit des von einer
höheren Macht dem einzelnen Menschen Zugedachten, über ihn Verhängten, was sich menschlicher
Berechnung und menschlichem Einfluß entzieht und das Leben des einzelnen in entscheidender Weise
bestimmt.“12
Das Schicksal kann zurückschlagen, wenn der Mensch z.B. versucht das gegebene, also „schicksalhafte“
Verhältnis, das zwischen ihm und einem anderen Menschen besteht, zu seinen Gunsten zu verändern. Ob
das Schicksal „zurückschlägt“ im Sinne der „ausgleichenden Gerechtigkeit“ ist auch eine Frage des
eigenen Standpunktes, oder? Wie steht es mit Menschen, die nicht schicksalsgläubig sind?
An dieser Stelle noch ein Hinweis zum modernen Umgang mit der Ironie des Schicksals. Alanis Morisette
nahm 1995 den Song Ironic für ihr drittes Album Jagged little pill auf. Dieser Song wird wegen seines
Mangels an Ironie von dem irischen Comedian Ed Byrne äußerst feinsinnig seziert: „"The only ironic
thing about that song is it's called ironic and it's written by a woman who doesn't know what irony is.
That's quite ironic."13
Sphinx
Da Sphinxe oder Sphingen schon seit mehreren Jahrtausenden und in unterschiedlichen Kulturen
(Phöniker, Hethiter, Assyrer, Ägypter, Griechen) zum mythologischen Personal gehören, finden sich bei
der Recherche unterschiedlichste Spuren und Hinweise. Die Sphinx, die hier von Bedeutung ist, ist die der
griechischen Mythologie.
12
13
Müller, Wolfgang (Hg.); Duden „Bedeutungswörterbuch“ Bd. 10; Mannheim, Wien, Zürich, 1985. S. 550.
Siehe: Ed Byrne slates Alanis Morisette unter: http://www.youtube.com/watch?v=nT1TVSTkAXg
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Die Sphinx war eine Tochter von Echidna, der Schlangenjungfrau, ein Geschöpf mit dem Oberkörper
einer Nymphe und dem Unterleib einer Schlange. Ihr Vater war entweder Typhon, ein Ungeheuer mit
hundert schlangenartigen Köpfen oder Orthros, der zweiköpfige Wachhund, der die Rinderherden des
Geryon bewachte. Somit genetisch belastet ist die Sphinx ein geflügeltes Mischwesen mit dem Kopf oder
Oberkörper einer Frau und einem Löwenleib mit Flügeln.
Dass sie in ihrer Jugend vermutlich nicht unter ihrem Aussehen litt, mag an ihren Geschwistern, Nichten
und Neffen gelegen habe. Zu ihnen gehörten Kerberos, der dreiköpfige Wachhund des Hades, Orthros, ein
zweiköpfiger Hund, die Hydra, eine Wasserschlange mit Hundekörper, Chimaira, ein Feuer speiendes
Ungetüm, das vorne wie ein Löwe und in der Mitte wie eine Ziege aussah und den Schwanz einer
Schlange hatte, sowie der unverwundbare, nemeische Löwe. Außerdem die Sau Phaia, der Drache Ladon
und der Adler, der Prometheus peinigte14.
Die Sphinx, die Sophokles auch als krummklauige, geflügelte Jungfrau, gnadenlose Sängerin und
Sprüchespinnerin beschrieb, wurde von den alten Griechen als Dämon des Todes, der Zerstörung und des
Unheils angesehen. Das erklärt sich nicht ausschließlich aus ihrer Herkunft, sondern aus ihrem Handeln,
denn der Sage nach lauerte sie den Thebanern auf, und verspeiste alle, die ihr Rätsel nicht lösen konnten.
Über ihre Vorgehensweise gibt es unterschiedliche Berichte. Mal lauerte sie den Thebanern an einer
einsamen Stelle vor der Stadt auf, dann wiederum auf dem Marktplatz, schließlich vor einem der Tore
Thebens oder sie flog auf die Zitadelle hinauf und fing sich dort ein Opfer.
Es war bestimmt, dass die Sphinx sich zu Tode stürzen würde oder zumindest das Land für immer
verlassen musste, sobald ihr Rätsel gelöst sei. Und je nach Erzählung fliegt sie nach dem Gespräch mit
Ödipus davon, stürzt sich in einen Abgrund oder ertränkt sich im Meer.
Das Rätsel der Sphinx, das ihr angeblich die Musen beigebracht haben, ist uns in Prosa oder Versform in
vielen Variationen überliefert. Hier die Fassung von Wilhelm Willige:
„Zweifüßig, dreifüßig, vierfüßig lebt es auf Erden,
und eine
Stimme nur hat es; doch wechselt’s allein von allem
Getier, das
sich auf der Erde bewegt, in der Luft und im Meer,
seine Haltung.
Aber sobald es auf den drei Füßen, sich stützend,
einhergeht,
dann ist äußerst gering die Geschwindigkeit seiner
Gelenke.“15
Schließlich bleibt noch die Frage, warum die Sphinx Theben heimsucht und in Angst und Schrecken
versetzt. Der einen Überlieferung nach hat Zeus‘ Gattin Hera die Sphinx als Bestrafung für die Entführung
14
15
Schaubild: http://de.wikipedia.org/wiki/Stammbaum_der_griechischen_G%C3%B6tter_und_Helden
Willige, Wilhelm (Hg. & Übersetzer); Sophokles: Dramen. Gr./dt.; München, 1966. S. 901-903.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
des Chrysippos durch Laios nach Theben geschickt. Das wäre quasi doppelte Bestrafung, denn Pelops, der
Vater von Chrysippos, hat Laios und seine Nachkommen deswegen auch schon mit einem Fluch belegt.
Der anderen Überlieferung nach schickte entweder Apollon oder wahrscheinlicher Dionysos sie, um die
Thebaner für die Vernachlässigung seines Kultes zu bestrafen.
Zur Herkunft des Wortes Sphinx gibt es Folgendes zu berichten. Ins Deutsche entlehnt wurde es im 16.
Jahrhundert aus dem Lateinischen, das wiederum auf das griechische Sphígx zurückgeht, dessen Herkunft
angeblich ungeklärt sei. Vielleicht ist Sphinx aber eine Wortbildung zum griechischen sphíngo (Infinitiv:
sphíngein) mit der Bedeutung „erwürgen; (durch Zauber) festbinden“ – was ja passen würde.
Thebens Tore
Die Tore von Theben sind schicksalhafte Orte. Die Sphinx lagerte vor einem, was natürlich die Frage
aufwirft, warum die Thebaner nicht durch eines der sechs anderen Tore gegangen sind. Und Eteokles, der
beim Kampf um Theben, bei der Verteidigung seiner Stadt an sechs Toren erfolgreich blieb und am
siebten Tor im Zweikampf mit seinem Zwillingsbruder Polyneikes gemeinsam mit ihm den Tod fand.
Kreon
Kreon ist der Sohn des Menoikeus. Er ist der Bruder von Iokaste und Schwager von Laios und Ödipus,
den Ehemännern seiner Schwester. Er ist Freund und Berater Ödipus‘ während dessen Regentschaft, gerät
ungewollt in Feindschaft zu seinem König und muss am Ende alles richten. Er regierte Theben nach
Laios‘ Tod, nach Ödipus‘ Tod und dann nochmal bis Eteokles Sohn Laodamas volljährig war.
Hades
Die Sphinx behauptet, sie komme aus dem Hades, was durchaus möglich ist, denn über ihre Lehr- und
Wanderjahre, bevor sie in Theben eintraf, ist wenig bekannt und immerhin lebte Mutter Echidna im
Hades. Der Name Hades bezieht sich genau genommen auf den Totengott und Beherrscher der Unterwelt
und nicht auf die Unterwelt selbst.
Als Ort war der Hades nach der ursprünglichen Vorstellung der Griechen allen Sterblichen bestimmt, die
nach ihrem Tod, egal ob gut oder böse und gleich von welchem Stand, dort als Schatten hausten. Der
Hades blieb nur wenigen Auserwählten, wie z.B. Herakles erspart.
Quo vadis?
In diesem Zusammenhang ist nicht die kanadische Progressive-Death-Metal-Band „Quo vadis“ gemeint.
Übersetzt bedeutet die lateinische Phrase zunächst „Wohin gehst Du?“. Eine einfache Frage, die dadurch
an Gewicht gewinnt, da sie dem Apostel Petrus zugeschrieben wird, dessen Leben sich nach der Antwort
durch Christus dramatisch veränderte. Ödipus bleibt der Sphinx die Antwort schuldig, nach dem Dialog
mit der Sphinx ändert sich sein Lebensweg jedoch auch dramatisch.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Pfingsten
Ein christliches Fest, das in Erinnerung an die Ausgießung des Heiligen Geistes an die Apostel 50 Tage
nach Ostern gefeiert wird. Pfingsten geht auf das jüdische Wochenfest Schawuot zurück. Siehe auch die
Apostelgeschichte des Lukas, Kapitel 2 im Neuen Testament.
Rex
Lateinisch für „König“. Es liegt nahe, dass Ödipus hier auf seine königliche Herkunft verweist. Warum
Rex im deutschsprachigen Raum ein sehr verbreiteter Name für Hunde ist, muss noch erforscht werden.
Pranke
Pranke ließe sich auch mit „Raubtiertatze“ umschreiben, aber dann reimt es sich nicht mehr auf „Danke“.
Als Pranken, Tatzen, Pratzen oder Pfoten werden die Enden der Extremitäten vieler landlebender Tiere,
mit Ausnahme der Huftiere (Hufe) und Primaten (Hände, Füße) bezeichnet.
mit links
Mit links macht man ja erst mal gar nichts, denn rechts ist die „gute“ Hand. Ältere Mitbürger/innen, die
nach ihren Schulerfahrungen beim Schreibenlernen befragt werden, berichten oft über Prügelstrafen, wenn
sie die „böse“ linke Hand zum Schreiben verwendeten.
Wenn angekündigt wird eine Sache „mit links“ zu machen oder zu schaffen, dann im Bewußtsein über
erschwerende oder behindernde Umstände (im übertragenen Sinne also das ungewohnte, beschwerlichere
oder verbotene Verwenden der linken Hand) und trotz dieser Erschwerniss siegessicher aus Erfahrung,
Übung oder Wissen heraus.
Telefon- und Publikumsjoker
Eine der Eigenschaften des Jokers, auch Jolly, im Kartenspiel ist es, als „wilde“ Karte eingesetzt werden
zu können, also als Ersatz für jede beliebige Spielkarte. Telefon- oder Publikumsjoker werden meistens
dann in beliebten Quizsendungen genutzt, wenn Wissen fehlt und ein Ersatz-Gehirn benötigt wird, um die
Lösung oder Antwort auf eine Frage geben zu können.
„Das hat Dir der Teufel gesagt!“
Hier sagt es die Sphinx zu Ödipus, als er ihr Rätsel löst. Im Märchen der Gebrüder Grimm sagt es das
Männlein, als ihm die Königin und ehemalige Müllerstochter seinen wahren Namen nennt:
Rumpelstilzchen. Sphinx und Rumpelstilzchen sind beide äußerst verärgert, verständlich, aber ob ihr
tödliches Ende wirklich wahrheitsgemäß überliefert wurde? Bei der Sphinx sind Zweifel angebracht und
sieht man sich das Märchen von Rumpelstilzchen, eigentlich Rumpenstünzchen!, genauer an, so gibt es
auch hier Unstimmigkeiten.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
„Rumpelstilzchen stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde, daß es bis an den Leib
hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen, und riß sich selbst mitten
entzwei“. Das wollen uns die Herren Grimm glauben lassen. Diesen Schluss gaben sie ihrem Märchen erst
ab 1819. Die ursprüngliche Überlieferung lautet: „Wie das Männchen das hört, erschrickt es und spricht:
‚Das muß dir der Teufel gesagt haben’, und fliegt auf dem Kochlöffel zum Fenster hinaus.“16
Und wenn sie nicht gestorben sind ...
... dann leben sie noch heute! Dieser Satz gehört in seiner Formelhaftigkeit ebenso wie „Es war einmal“
zum Märchen, obwohl nicht alle Märchen so enden. Heute wird dieser Satz auch umgangssprachlich als
ironischer Kommentar benutzt, wenn eine Geschichte nicht glaubhaft erscheint. Aber das ist nicht neu,
schon das Grimmsche „Wer’s glaubt, zahlt einen Taler“ zeugt von schelmischer, augenzwinkernder
Ironie.
Die längste Dokumentation der Filmgeschichte „Die Kinder von Goltzow“ (1961-2007) von Barbara und
Winfried Junge endet in zwei Teilen, die mit „Und, wenn sie nicht gestorben sind ...“ und „... dann leben
sie noch heute“ betitelt sind.
Polyneikes & Eteokles, Antigone, Ismene
Die vier Kinder, die Ödipus mit seiner Frau und Mutter zeugte. Die Zwillingsbrüder Polyneikes und
Eteokles, die sich im Streit um den Königsthron von Theben gegenseitig umbringen. Die bekannteste
Schilderung dieser Vorgänge ist das Drama „Sieben gegen Theben“ von Aischylos. Die bekanntesten
Schilderungen des Schicksals der Antigone stammen von Sophokles und Euripides. Antigone wird
lebendig eingemauert und erhängt sich. Ob ihre Schwester Ismene später noch ihr Glück gefunden hat, ist
nicht überliefert.
Szene 8 & 9 / Lied Nr. IV
Pest, Priester, „Freunde! Thebaner! Mitbürger!“, Haus des Kadmos, Zitat, Hallelujah,
Phönix, „Peace!“ & „Yo!“, „Was geht? Ich sage es ganz konkret“, „Da ist was faul im
Staate Theben“, Blues, aus der Patsche helfen, Joch, Neonröhre, Cool, Gemach, gemach,
Nobody knows the trouble I’ve seen, Ächtung oder Tod.
Pest
Der Begriff Pest, von lat. pestis (= die Seuche), bezeichnete in früherer Zeit verschiedene seuchenartige
Erkrankungen. Im engeren Sinne versteht man heute unter der Pest eine Infektionskrankheit, die von
Pestbakterien (Yersinia pestis) verursacht wird. Dass die Pest, genauer die Beulenpest im Mittelalter auch
16
Rölleke, Heinz (Hg.); Die wahren Märchen der Brüder Grimm. Frankfurt a. M., 1999. S. 26.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
„Schwarzer Tod“ genannt wurde, ist mit der dunkel schwarzbläulichen Verfärbung der Haut, die im
Verlauf der Krankheit auftritt, zu erklären.
Priester
Allgemein gesprochen ist ein Priester oder eine Priesterin eine oftmals geweihte und zu besonderen
kultischen Handlungen berechtigte Person, die oft als Mittler zwischen der kultischen Gemeinschaft und
der in Gebeten und durch Opfer verehrten Gottheit auftritt. Das Wort Priester leitet sich vom griechischem
presbýteros (= der Ältere, d. h. der Gemeindeälteste) ab. Der Priesterbegriff steht zudem auch im
Bedeutungsfeld des griech. hieros (=heilig, geweiht) und des lat. sacerdos (= Priester).
Freunde! Thebaner! Mitbürger!
Angelehnt an die ersten Worte „Freunde!, Römer! Mitbürger!“ der berühmten Ansprache des Brutus in
William Shakespeares The Tragedy of Julius Caesar, wendet sich der Priester hier ans thebanische Volk.
Haus des Kadmos
Der Phönizier Kadmos gilt als Gründer der Stadt Theben und als Stammvater des Herrschergeschlechts
der Kadmeionen. Er ist somit der Vorfahre von Laios und Ödipus. Unter „Haus des Kadmos“ kann also
der Palast des Königs, aber auch die gesamte Stadt Theben verstanden werden.
Zitat
Ein Zitat ist eine wörtlich übernommene Stelle aus einem Text oder der Hinweis auf eine bestimmte
Textstelle in einem anderen Werk. Im eigenen Text wird quasi ein anderer Autor „herbeigerufen“, von lat.
citare, und in den gewünschten Zusammenhang gestellt. Ein Zitat sollte kenntlich gemacht werden, z.B.
durch Anführungszeichen und durch Namensnennung des Verfassers.
Neben geschriebenen Texten können auch Bilder oder Musikstücke als Zitat verwendet werden. Wer
„sich mit fremden Federn schmückt“ verzichtet meistens auf die Nennung des Verfassers und verstößt im
schlimmsten Fall gegen das Urheberrecht.
Hallelujah!
Auch Alleluja, ist der Gebetsruf in den Psalmen des Alten Testaments. Er ist als Jubelruf in alle von
christlicher Liturgie beeinflusste Sprachen eingegangen. Wörtlich übersetzt aus dem Hebräischen heißt es
„Lobpreiset Jahwe!“ von halal (= preisen, verherrlichen, ausrufen) und der Kurzform des Gottesnamen
JHWH.
Dass man mit Bibelzitaten ziemlich bekannt werden kann, zeigen der kanadische Singer-Songwriter
Leonard Cohen mit seinem 1984 veröffentlichten Welthit Hallelujah und Gali Atari & Milk & Honey, die
mit ihrem Hallelujah den Grand Prix de la Chanson im Jahre 1979 gewonnen haben.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Phönix
Ein Vogel der ägyptischen und griechischen Mythologie. Der Phönix (griech. phoínix ; ägyptisch Benu,
„leuchten“; lateinisch phoenix) erlebte seit der Veröffentlichung der Bücher von Joanne K. Rowling einen
enormen Popularitätsschub durch Fawkes, den Phönix von Albus Dumbledore. Ein Phönix ist mit der
Fähigkeit der immer wiederkehrenden Erneuerung ausgestattet, denn wenn er alt wird, je nach
Überlieferung bis zu 500 Jahren, verbrennt er, um aus seiner eigenen Asche verjüngt neu zu erstehen.
In der Redewendung „Wie ein Phönix aus der Asche“ findet sich diese Vorstellung wieder, dass etwas,
das schon verloren geglaubt war, in neuer Pracht wiedererscheint. Nicht umsonst ist der Phönix das
Wappentier des Jedi-Ordens.
Peace! & Yo!
Zeitgenössische Begrüßungsformeln. Sie werden meist dem Namen der angesprochenen Person
vorangestellt. Lassen sich auch prima kombinieren, dann in etwa mit „Frieden, Alder!“ zu übersetzen.
Was geht? Ich sage es ganz konkret.
Das deutschsprachiger Hip-Hop geht und zwar konkret zeigen Die Fantastischen Vier schon seit Ende der
1980er Jahre. Auf Lauschgift (1995) ist der Song „Was Geht“ zu hören.
Da ist was faul im Staate Theben!
Ebenso wie der Offizier Marcellus gegenüber Horatio, dem Freund Hamlets, im Angesicht des Gespensts
auf der Terrasse vermutet: „Something is rotten in the state of Denmark.“, so weist der Priester seinen
König Ödipus auf dem Vorplatz des Palastes darauf hin, dass in Theben nicht alles zum Besten steht
angesichts der Pest.
Die ganze Stadt hat den Blues
Das englische „to have the blues“, also „den Blues haben“ meint eine tiefe Traurigkeit oder
Niedergeschlagenheit empfinden. Ähnlich der saarländischen Gemütsverfassung „De Flemm han“.
Aus der Patsche helfen
Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen zog sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem
Sumpf. Aufgrund seiner unglaublichen Fähigkeiten musste er selten jemanden bitten, ihn aus einer
unangenehmen Lage zu befreien. „Patsche“, also aufgeweichter Boden oder auch Schlamm und Matsch,
um nur ein paar Bedeutungen zu nennen, steht für Mißgeschick, Bedrängnis, Schlamassel.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Joch
Das Joch ist Bestandteil des Geschirrs, in das Zugtiere eingespannt werden, um z.B. einen Wagen oder
den Pflug zu ziehen. Die Anschirrung eines Zugtieres mit Hörnern erfolgte mit dem Stirnjoch und ist ab
3500 v. Chr. nachweisbar. Durch eine solche Anbringung des Jochs kann das Tier seinen Kopf kaum
bewegen. Diese Beschwerlichkeit, große Lasten bewegen zu müssen und eingeschränkt, unterdrückt, also
„unterjocht“ zu sein ist sprichwörtlich geworden. Sich von einem Joch zu befreien, kann also bedeuten,
sich einer Last oder eines Zwangs zu entledigen.
Neonröhre
Bei der Entdeckung des zweitleichtesten Edelgases im Jahre 1898 waren Sir William Ramsay und sein
Mitarbeiter Morris William Travers nicht sonderlich phantasievoll. Sie tauften das Gas Neon, vom
griechischen neos, was soviel wie „neu“ bedeutet. Sie hätten es auch Roswithanium taufen können, nach
der Katze, die das Institut mäusefrei hielt.
Der Franzose Georges Claude erfand dann im Jahre 1909 die erste Leuchtröhre, die Neonröhre. Dafür
erhielt er am 19. Januar 1915 das U.S.-Patent mit der Nummer 1,125,476. Er befüllte dünne Glaskolben
mit Neon niedrigen Drucks, schloss unbeheizte Elektroden an die Enden des Kolbens an und brachte
durch Anlegen einer hohen Spannung das Edelgas darin zum Leuchten. Las Vegas war geboren.
Cool
Cool, (von engl.: cool = kühl, kalt), ist untrennbar mit moderner Jugendsprache verbunden, mittlerweile
auch umgangssprachlich völlig gebräuchlich, um als besonders positiv Empfundenes im Sinne von
„schön“, „gut“ oder „erfreulich“ zu kennzeichnen.
Miles Davis hat allerdings schon im Jahre 1953 mit Cool Jazz und „The Birth of the Cool“ Maßstäbe
gesetzt. Ob heutige Jugendliche den Trompeter und seine Musik als cool bezeichnen würden oder eher Tré
Cool, den Schlagzeuger von Green Day?
Mit Cool Jazz klingt noch eine weitere Facette des Wortes „cool“ an, nämlich die Verwendung als
Bezeichnung einer besonders gelassenen, kühlen, souveränen, kontrollierten und nicht nervösen
Geisteshaltung, Stimmung oder Location.
Gemach, gemach!
Etwas gemächlich zu tun, bedeutet es ruhig, langsam und bedächtig angehen zu lassen. Die Aufforderung
„Gemach, gemach!“ meint also, nicht überstürzt zu handeln und langsam zu machen. In „Gemach“ steckt
auch die Bequemlichkeit, die ich in einem Raum, dem Gemach, finde. Ungemach hingegen ist die
Unbequemlichkeit und das Unbehagen, aber auch das Unglück und der Kummer.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Nobody knows the trouble I’ve see. Nobody but Jesus!
Eine Textzeile aus dem gleichnamigen afro-amerikanischen Spiritual. Harry Thacker Burleigh gab diesem
traditionellen Lied 1917 eine Melodie. Interpretationen durch Jazzmusiker, wie z.B. Louis Armstrong
machten dieses Lied weltbekannt. Spirituals entstanden in den USA mit Beginn der Sklaverei im 17.
Jahrhundert. Sie haben fast ausschließlich religiösen Inhalt und erzählen vom Leben der versklavten
Menschen.
Ächtung oder Tod
Die Ächtung oder auch Friedloserklärung gegenüber einer Person wurde und wird in verschiedenen
Kulturen praktiziert. Es bedeutet die Ausstoßung aus der menschlichen Gemeinschaft, das Verbot dieser
Person beizustehen und die Ermächtigung jedes anderen Menschen, die ausgestoßene Person ungestraft zu
töten. Eigentlich ist die Ächtung der „soziale Tod“ der geächteten Person, da sie keinen Umgang mehr mit
der Gemeinschaft haben kann. Körperlich am Leben, sozial isoliert, das ist das Schicksal Ödipus‘.
Szene 10-11
Respekt, korrekt ausgecheckt, Teiresias, blinder Seher, Buenos dias, „Mein Sohn, was
birgst du so bang dein Gesicht?“, Knilch, „Und bist du nicht willig, so brauch’ ich
Gewalt!“, Brillenträger, „Torheit, du regierst die Welt!“, Meuchler, Heuchler, blassen
Schimmer haben, Macker, Motherf..., Stevie Wonder, Dioptrien, „Was willst du mit dem
Dolche, sprich! Die Stadt vom Tyrannen befreien?“, Scharlatan, Taugenichts.
Respekt
Auf zwischenmenschliche Beziehungen angewandt kann Respekt Ehrerbietung, Wertschätzung, Achtung,
Ehrfurcht aber auch Scheu gegenüber einer Person bezeichnen. Als Begriff kann es auch auf Gruppen,
Institutionen, Länder oder Tiere bezogen werden.
Im Hip-Hop ist „Respekt!“ ein gängiger Begriff, quasi in aller Munde. Gefordert wird Achtung für sich
selbst und gegenüber den Skills anderer Menschen. Ein Schelm, der angesichts des ein’ oder anderen
frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Textes Böses dabei denkt.
Mit der im Jahr 2007 initiierte Jugendkampagne "Respekt! - Youth For Peace" ruft das deutschlandweite
Offene Forum zur ökumenischen "Dekade zur Überwindung von Gewalt" vor allem Jugendliche dazu auf,
über das Thema "Respekt" nachzudenken.17
17
www.respekt-kampagne.de
17
Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
korrekt ausgecheckt
Passiert der jugendliche Bibliotheksbesucher jedoch die Sicherungsschranke mit einem Buch, das nicht
korrekt ausgecheckt worden ist, so wird ein Alarm ausgelöst. Boah, Alder, heute hab‘ ich wieder nicht
korrekt ausgecheckt!
Teiresias, blinder Seher
Der blinde Seher und Prophet gehört als Figur zum thebanischen Sagenkreis und damit unbedingt zum
Personal eines guten antiken Werkes. So taucht er bereits in der Ilias von Homer auf und in mehreren
Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides. Teiresias war der Sohn des Eueres, der mal Schafhirt
mal thebanischer Adeliger gewesen sein soll, und der böotischen Nymphe Chariclo. Seine Prophezeiungen
wurden als unfehlbar angesehen.
Für die Blindheit des Teiresias, der ein Priester des Zeus war, gibt es in der griechischen Mythologie
verschiedene Erklärungen. Der einen Sage nach soll Hera Teiresias mit Blindheit geschlagen haben, weil
es ihr nicht gepasst hat, was er zu sagen hatte. Als Ausgleich verlieh Zeus ihm die Gabe des Sehers und
eine siebenfache Lebensdauer.
In einer anderen Sage sah Teiresias die Göttin Athene nackt im Bade. Sie ließ ihn auf der Stelle erblinden.
Da Chariclo darüber sehr bekümmert war, schenkte Athene Teiresias die Gabe, die Sprache der Vögel zu
verstehen und die Eigenschaft, auch nach seinem Tod in der Unterwelt seine Weisheit zu behalten.
Außerdem bekam er von ihr einen Stab aus Kornelholz, der ihn sicher führte, ein sieben Generationen
langes Leben und außerdem die Gabe der Prophetie.
Buenos dias!
Als langlebiger und weitgereister Seher sind Fremdsprachenkenntnisse etwas völlig Selbstverständliches
für Teiresias. Hier grüßt er auf Spanisch und wünscht einen guten Morgen oder guten Tag.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?
Ödipus versucht gegenüber Teiresias einfühlsamer zu sein und verwendet dafür die bekannten Worte, die
der Vater an den verängstigten Knaben in Goethes Gedicht „Erlkönig“ richtet. Dass der Knabe ebenso wie
Teiresias berechtigterweise wenig Vertrauen in die Worte seines Gegenübers hat, bestätigt sich im Verlauf
beider Geschichten.
Knilch
Die Herkunft des umgangssprachlichen Ausdrucks Knilch oder Knülch für einen unangenehmen
Menschen oder Kerl ist nicht sicher geklärt. Das kurze Gedicht verweist jedoch auch auf die liebevolle
Verwendung des Wortes für einen kleinen Jungen.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
In der Weihnachtsbäckerei, gibt es manche Leckerei.
Zwischen Mehl und Milch, macht so mancher Knilch
eine riesengroße Kleckerei. In der Weihnachtsbäckerei.
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!
Hier wechselt Ödipus die Tonart, anstatt weiter mit den beruhigenden Worten des Vaters auf Teiresias
einzugehen, zitiert er nun den Elfenkönig aus Goethes „Erlkönig“ und droht dem Seher offen.
Brillenträger
Das Kuratorium Gutes Sehen (KGS) kürt seit einiger Zeit den Brillenträger des Jahres. Zu den
Brillenbotschaftern zählen u.a. Jürgen Klopp, Wigald Boning, Götz Alsmann und Felix Magath. Als erste
Frau wurde Hella von Sinnen 2007 zur Brillenträgerin des Jahres gekürt und sagte: „Merkwürdigerweise
kommen Männer mit Brille oft modisch und intellektuell rüber, während Frauen häufig etwas ‚Fräulein
Rottenmeier-haftes’ anhängt. Ich will den Frauen mehr Mut zur Brille machen. Ich finde Brillen cool!“18
Torheit, du regierst die Welt!
Der niederländische Humanist Erasmus von Rotterdam (1466-1536) verfasste 1509/10 ein
philosophisches Traktat, das uns heute als „Lob der Torheit“ überliefert ist. In einer ironischen Lobrede
auf sich selbst verkündet die Torheit / Einfalt lachend die Wahrheit, denn dank ihrer Zofen Eigenliebe,
Schmeichelei, Vergeßlichkeit, Faulheit und Lust hat sie die ganze Welt unterworfen und ist nun die
Weltherrscherin.
Dass Heinrich von Kleist (1777-1811) die Schriften von Herrn von Rotterdam kannte, ist anzunehmen und
so spricht der Kurfürst, in Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“, zu Dame Heloise den Satz: "Torheit, du
regierst die Welt, und dein Sitz ist ein schöner weiblicher Mund!"
König Ödipus wird im Verlauf der Tragödie klar, dass Teiresias‘ Weigerung zu sprechen und den Namen
des Mörders zu nennen nichts mit Torheit zu tun hatte.
18
http://www.sehen.de/aktionen/bdj/bdj2007.php
19
Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Meuchler & Heuchler
Ein hinterhältiger Mörder ist nicht selten auch ein Schmeichler. Denken wir an Grima Schlangenzunge
oder den talentierten Mr. Ripley.
Das Teiresias allerdings ein infamer (=ehrloser, niederträchtiger, schändlicher) Heuchler sei, ist nicht
richtig. Und meuchlerisch stand Ödipus seinem Vater sicher nicht gegenüber, als er ihn tötete. Diese
starken Beleidigungen sind der Hitze des Wortgefechts geschuldet.
Einen / keinen blassen Schimmer haben
Nicht mal den blassesten Schimmer vom Dunst einer Ahnung hat jemand, der gar keine Kenntnis oder
Ahnung vom Vorgang hat, um den es geht. Wenn Licht den Vorgang oder die Kenntnis des Vorgangs
symbolisiert, dann ist der Schimmer das kleinstmögliche Licht in diesem Zusammenhang, und wenn nicht
mal der Schimmer (oder eine leise Ahnung) vorhanden ist, so ist dies gleichbedeutend mit nichts wissen.
Macker & Motherf...
Der Macker kann in Norddeutschland der Kamerad sein und umgangssprachlich den Freund eines
Mädchens bezeichnen. In Namibia ist der Macker neben dem Kameraden auch Handlanger, Gefährte und
Genosse. Als Revierverteidigungs- und Drohgebärde lässt man(n) gerne mal den Macker raushängen und
verweist auf den kastrierten Esel, als weitere Bedeutung des Wortes.
Nun, beim Motherf... da schweigt des Texters Höflichkeit.
Stevie Wonder
US-amerikanischer Pop- und Soulsänger, Komponist, Multiinstrumentalist und Bürgerrechtler, der 1950
in Saginaw, Michigan geboren wurde.
Ohne ihn gäbe es kein You are the sunshine of my life und auch nicht den US-amerikanischen
Nationalfeiertag zu Ehren des ermordeten Bürgerrechtlers Dr. Martin Luther King.
Die Library of Congress bestimmte den Künstler zum Träger des Gershwin-Preises, den er am 25. Januar
2009 durch Barack Obama verliehen bekam.
Dioptrie
Die Dioptrie ist eine Maßeinheit aus der Optik, mit der sich die Brechkraft optischer Systeme beschreiben
lässt. Je fehlsichtiger z.B. ein Auge ist, umso höher ist der Dioptrien-Wert der ausgleichenden
Brillengläser.
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Glossar zum „König Ödipus“ von Bodo Wartke
Was wolltest du mit dem Dolche, sprich! Die Stadt vom Tyrannen befreien?
König Ödipus kannte seinen Schiller. Gleich dem Tyrannen und Wüterich Dionys, der den ertappten
Damon verhört, wirft Ödipus seinem Berater, Freund und Schwager Kreon Hochverrat vor. Jedoch ganz
ohne einen Dolch in dessen Gewand als Beweis vorgefunden zu haben.
Scharlatan
Scharlatan ist die Bezeichnung für einen Schwätzer, Aufschneider und Schwindler. Die herumziehenden
Verkäufer der italienischen Stadt Cerreto waren bekannt für ihre marktschreierische Art ihre Waren,
darunter Drogen und Heilmittel, anzubieten. So würde aus dem cerretano, dem „Mann aus der Stadt
Cerreto“ schließlich ein Marktschreier und über cialare (=schwatzen) und ciarlatano der französische
charlatan und im 17. Jahrhundert schließlich der deutsche Scharlatan.
Taugenichts
Das Wort ist ein veraltetes Schimpfwort und bezeichnet einen Menschen, der zu nichts taugt oder einen
Lebenswandel pflegt, der niemandem nützt. Siehe auch: Nichtsnutz, Tagedieb, Hallodri, Lüderjahn.
Immerhin nutzte der Taugenichts als Inspiration für Joseph von Eichendorff, sodass er seine bedeutende
Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ im Jahr 1826 verfassen konnte.
Das Glossar für die Szenen 12-19 folgt in den nächsten Tagen.
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