Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in
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Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in
Züchtungskunde, 77, (5) S. 327 – 340, 2005, ISSN 0044-5401 © Eugen Ulmer KG, Stuttgart Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in Deutschland G. Biedermann*, A. Hahn*, Karin Rübesam* und H. Uphaus** 1 Einleitung Seit ca. 180 Jahren nimmt die deutsche Pferdezucht an der einzigartigen Geschichte des Englischen Vollbluts teil. Während dieser Zeit ist die deutsche Population auf einen Bestand von 2.387 Tieren (FN, 2004) angewachsen. Damit zählt sie allerdings im Vergleich mit vielen anderen Ländern zu den kleineren Zuchten einer Rasse, die mitunter in den Stand der „Königin der Tierzucht“ erhoben wird. In der jüngeren Vergangenheit macht sich die Befürchtung breit, dass infolge eines übermäßig starken Einsatzes weniger Hengste bzw. Hengstlinien ein Verlust an genetischer Variabilität eintreten könnte. Die daraus möglicherweise erwachsende Gefahr vermehrter Inzucht mag Moureaux et al. (1995), Torshizi et al. (1996) sowie Cunningham (2000) veranlasst haben, entsprechende Untersuchungen anhand der Populationen Frankreichs, Australiens sowie Großbritanniens und Irlands anzustellen. Eine bedrohliche Situation der genannten Zuchten kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Fehlende Kenntnisse über die genetische Beschaffenheit der deutschen Population des Englischen Vollbluts gaben Veranlassung, diese hinsichtlich ihrer Verwandtschaftsund Inzuchtverhältnisse zu untersuchen und ihre derzeitige genetische Struktur aufzuzeigen. 2 Material und Methoden Die für die Analyse erforderlichen Daten wurden vom Direktorium für Vollblutzucht und Rennen, Köln, zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um alle zuchtaktiven Tiere (Probanden), nämlich 102 Hengste und 2231 Stuten sowie deren Vorfahren, die im Mai 2004 auf dem EDV-Datenträger des Zuchtbuches registriert waren. Da die Datei Ahnen vor allem älterer Generationen teilweise nicht enthielt, wurden die Untersuchungen auf die Einbeziehung von sechs Vorfahrengenerationen beschränkt. Die Analyse der Population wurde anhand des Programms OPTI-MATE 3.85 von Wrede und Schmidt (2004) vorgenommen. Die Schätzung der Generationsintervalle, d.h. des durchschnittlichen Alters der Eltern bei der Geburt ihrer zur Zucht benutzten Nachkommen, setzt die Kenntnis der Geburtstermine aller Tiere und ihrer Vorfahren voraus. In Fällen fehlender Angaben von Geburtstag und -monat wurde der 15.03. als Tag der Geburt eingesetzt, um Fehlschätzungen weitgehend zu minimieren. Das mittlere Generationsintervall der Population resultiert aus dem Durchschnitt der Beiträge aller Zuchttiere. Die Schätzung von Verwandtschafts- und Inzuchtkoeffizienten der Einzeltiere erfolgte nach der von Wright (1923) eingeführten Pedigree-Methode. Deren Mittelung liefert die entsprechenden Parameter der Population. ** Fachgebiet Tierzucht, Universität Kassel, Nordbahnhofstr. 1a, 37213 Witzenhausen; biederm@ uni-kassel.de ** Direktorium für Vollblutzucht und Rennen e.V., Rennbahnstr. 154, 50737 Köln Für die Bereitstellung der Daten wird dem Direktorium für Vollblutzucht und Rennen herzlich gedankt. 328 G. Biedermann u.a. Unvollständige Stammbäume der Tiere haben bei Anwendung der Pedigree-Methode Schätzfehler bei der Berechnung der Inzuchtkoeffizienten zur Folge (Wiggans et al., 1995; Lutaaya et al., 1999; Baumung und Sölkner, 2002; Pirchner, 2002). Um diesen Nachteil auf ein Mindestmaß zu reduzieren, wurde ein Vollständigkeitsindex, den Schmidt (2000) näher beschreibt, zur Korrektur der Inzuchtkoeffizienten angewandt. Dieser gibt den Anteil tatsächlich besetzter Inzuchtbindungsstellen von Pedigrees an der Gesamtzahl möglicher Bindungen an. Für die Inzuchtrate, d. h. die Inzuchtzunahme je Generation, spielt die effektive Populationsgröße Ne, d. h. die Anzahl der Individuen in einer Idealpopulation, die der Anzahl Individuen in einer realen Population mit unterschiedlichem Geschlechterverhältnis entspricht (Schüler et al., 2001), eine entscheidende Rolle: Ne = 4 · Nm · Nw Nm + Nw Nm = Anzahl männlicher Zuchttiere in der Population Nw = Anzahl weiblicher Zuchttiere in der Population Dabei steht die Inzuchtrate F mit der effektiven Populationsgröße in folgendem Zusammenhang: 1 F = 2 · Ne Die Inzuchtrate wurde für zurückliegende Generationen sowie entsprechend der künftigen Erwartung wie folgt geschätzt: F1 Mittlere Inzuchtrate seit der 6. Ahnengeneration: Ft F1 = n–1 Ft = durchschnittlicher Inzuchtkoeffizient der aktuellen Population n = Anzahl berücksichtigter Ahnengenerationen F2 Wie F1, aber unter Berücksichtigung der Pedigreevollständigkeit F3 Inzuchtrate in der letzten Generation: Ft – Ft – 1 F3 = 1 – Ft – 1 Ft = durchschnittlicher Inzuchtkoeffizient der aktuellen Population Ft – 1 = durchschnittlicher Inzuchtkoeffizient der Elterngeneration F4 F5 Wie F3, aber unter Berücksichtigung der Pedigreevollständigkeit Erwartete Inzuchtrate aufgrund der effektiven Anzahl Väter und Mütter: 1 1 F5 = + 8 · Me 8 · We We = effektive Anzahl männlicher Zuchttiere Ft – 1 = effektive Anzahl weiblicher Zuchttiere 3 Ergebnisse 3.1 Herkunft der aktiven Zuchttiere In der Vollblutzucht lässt sich ein ständiger durch Ver- und Zukauf bedingter internationaler Zuchttieraustausch feststellen, wie er in diesem Ausmaß kaum in anderen Nutz- Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in Deutschland 329 tierpopulationen stattfinden dürfte. Tabelle 1 gibt daher einen Überblick über die Geburtsländer der Pferde der aktuellen Zuchtpopulation. Zwei Drittel aller Zuchtpferde bzw. aller Stuten wurden in Deutschland, mehr als 20 % in Irland und Großbritannien geboren. Die restlichen Tiere stammen überwiegend aus US-amerikanischer und französischer Zucht. Für die Hengste stellen sich die Relationen der Herkunftsländer anders dar. Etwas weniger als die Hälfte der Vatertiere ist deutschen Ursprungs, wohingegen annähernd ein Viertel der Hengste aus den USA und ca. ein Fünftel der Hengste aus Irland der deutschen Zucht zugeführt wurden. 3.2 Generationsintervalle Bei den Stuten fällt das Generationsintervall Väter–Probanden um ca. zwei Jahre länger aus als das Generationsintervall Mütter–Probanden (Tab. 2). Hingegen erweisen sich die Generationsintervalle hinsichtlich beider Pfade bei den Hengsten von annähernd gleicher Länge. Insgesamt zeigt sich das durchschnittliche Alter der Eltern bei Geburt ihrer männlichen Nachkommen um mehr als ein halbes Jahr geringer als bei Geburt ihrer weiblichen Nachkommen. Abbildung 1 verdeutlicht, dass die Generationsintervalle während der zurückliegenden Generationen bei den Hengsten eine andere Entwicklung durchlaufen haben als bei den Stuten. Seit der vierten Ahnengeneration zeichnet sich bei den Hengsten eine leichte Abnahme, bei den Stuten eine Zunahme geringen Ausmaßes ab. In beiden Fällen, bei den Hengsten mehr als bei den Stuten, fällt die Absenkung der Generationsintervalle von der vierten zur dritten Ahnengeneration auf. Wie man der Abbildung 2 entnehmen kann, wird besagte Entwicklung vorrangig durch die Entwicklung der Generationsintervalle auf Seiten der männlichen Vorfahren beeinflusst. Tab. 1. Anteil (%) der Geburtsländer der Zuchtpferde in der aktuellen Population Portion (%) of the native countries of the breeding animals in the actual population Geburtsland Gesamtpopulation Hengste Stuten Deutschland 67,5 46,0 68,5 Irland 11,2 19,6 10,8 Großbritannien 10,2 8,8 10,2 USA 5,1 23,6 4,3 Frankreich 4,5 2,0 4,6 Sonstige*) 1,5 - 1,6 *) Kanada, Ungarn, Tschechien, Niederlande, Italien, Schweiz, Australien, Polen, Schweden, Chile, Dänemark, Russland, Slowakei Tab. 2. Mittlere Generationsintervalle (Jahre) Mean generation intervals (years) Pfad Gesamtpopulation Hengste Stuten Eltern – Probanden 10,64 (3,90 – 25,17) 9,97 (4,99 – 19,80) 10,67 (3,90 – 25,17) Väter – Probanden 11,69 (4,84 – 26,20) 10,07 (5,05 – 18,80) 11,75 (4,84 – 26,20) 9,59 (2,97 – 24,13) 9,87 (4,92 – 20,79) 9,58 (2,97 – 24,13) Mütter – Probanden 330 G. Biedermann u.a. Abb. 1. Entwicklung der mittleren Generationsintervalle (Jahre) Development of the mean generation intervals (years) Abb. 2. Entwicklung der mittleren Generationsintervalle innerhalb der männlichen und weiblichen Vorfahren (Jahre) Development of the mean generation intervals within the male and female ancestors (years) 3.3 Verwandtschaft Obwohl die mittlere Verwandtschaft innerhalb der männlichen Teilpopulation geringfügig enger ist als innerhalb der Stuten, wurde für letztere ein höherer maximaler Einzelkoeffizient nachgewiesen (Tab. 3). Der höchste Verwandtschaftskoeffizient wurde allerdings zwischen den Hengsten und den Stuten gefunden. Nur ein verschwindend geringer Anteil aller möglichen Tierpaare ist frei von jeglicher Verwandtschaft, während bei mehr als 99 % aller Fälle verwandtschaftliche Bindungen vorliegen. Bei 95 bis 97 % aller Tierkombinationen beträgt die Verwandtschaft bis zu 10 %. Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in Deutschland 331 3.4 Inzuchtkoeffizienten Die durchschnittlichen Inzuchtkoeffizienten (F–1) stellen sich in der Gesamtpopulation sowie innerhalb der Hengste und Stuten als von gleichem Ausmaß heraus, wobei innerhalb der weiblichen Tiere allerdings der höchste Maximalwert festgestellt werden kann (Tab. 4). Nach Korrektur der mittleren Inzuchtkoeffizienten mit den jeweiligen Vollständigkeitsindices, die für die Stuten- und die Gesamtpopulation höher ausfallen als für die Hengste, resultieren die durchschnittlichen korrigierten Inzuchtkoeffizienten (F–2), deren Höhe untereinander nur unwesentlich differiert. Während nur knapp 4 % der Hengste frei von Inzucht sind, trifft dies auf nahezu 9 % der Stuten zu. Dementsprechend beträgt bei über 90 % der Hengste, aber nur bei ca. 83 % der Stuten der Inzuchtkoeffizient bis 2 %. Tab. 3. Verwandtschaftskoeffizienten (oben) und deren Verteilung (unten; %) Degrees of relationship (above) and their distribution (below; %) Verwandtschaft mittlerer Verwandtschaftskoeff. R– (%) maximaler Verwandtschaftskoeff. Rmax. (%) mittlerer Vollständigkeitsindex – VI (%) Gesamt- Hengste population Stuten HengsteStuten 2,30 57,62 79,89 2,87 51,90 75,36 2,28 57,37 80,10 2,51 57,62 77,70 0R=0 0,34 0,02 0,34 0,27 0 < R 10 96,72 95,29 96,76 96,42 10 < R 20 2,00 3,11 1,98 2,14 20 < R 30 0,87 1,13 0,87 0,88 30 < R 40 0,03 0,04 0,03 0,03 40 < R 50 0,00 0,00 0,00 0,01 50 < R 0,04 0,41 0,02 0,25 Tab. 4. Inzuchtkoeffizienten (oben) und deren Verteilung (unten; %) Coefficients of inbreeding (above) and their distribution (below; %) Inzuchtkoeffizient mittlerer Inzuchtkoeffizient F–1 (%) maximaler Inzuchtkoeffizient F1max. (%) mittlerer Vollständigkeitsindex – VI (%) mittlerer Inzuchtkoeffizient F–2 (%) Gesamtpop. Hengste Stuten 0,76 15,48 78,17 0,97 0,76 3,47 73,44 1,03 0,76 15,48 78,38 0,97 0,001 F1 = 0,000 8,57 3,92 8,79 0,001 F1 1,000 68,34 72,55 68,16 1,001 F1 2,000 14,62 17,65 14,49 2,001 F1 3,000 4,41 2,94 4,48 3,001 F1 4,000 2,31 2,94 2,29 4,001 F1 5,000 0,77 0,00 0,81 5,001 F1 6,000 0,43 0,00 0,45 6,001 F1 7,000 0,26 0,00 0,27 7,001 F1 0,29 0,00 0,26 332 G. Biedermann u.a. 3.5 Inzuchtrate Während der zurückliegenden sechs Generationen betrug die Inzuchtzunahme je Generation (F1) 0,15 % (Tab. 5). Nach Einbeziehung der Vollständigkeitsindices wandelt sich das Bild, indem die mittlere Inzuchtrate (F2) auf ca. 0,20 % anwächst. Der Inzuchtanstieg von der Elterngeneration zur Generation der aktuellen Zuchttiere (F3) lässt innerhalb der Gesamt- und der Stutenpopulation, im Gegensatz zu den Hengsten, auf einen geringeren Zuwachs an Inzucht schließen als dies für den Durchschnitt der zurückliegenden Ahnengenerationen zutrifft. Nach Einbeziehung der Pedigreevollständigkeit reduziert sich der Inzuchtanstieg (F4) während des jüngsten Generationswechsels in der Gesamtpopulation und innerhalb der Stuten zusätzlich, während sich bei den Hengsten damit ein unbedeutender Anstieg verbindet. Unter der Voraussetzung gleicher Verteilung der aktuellen Hengste auf die Stuten wäre künftig, anders als bei den Hengsten, sowohl in der Gesamt- als auch Stutenpopulation im Vergleich zu F4 mit einer leichten Zunahme der Inzuchtrate (F5) zu rechnen. Tab. 5. Inzuchtrate (%) Rate of inbreeding (%) Inzuchtrate Gesamtpopulation Hengste Stuten F1 0,15 (Ne1 = 329) 0,15 0,15 F2 0,20 (Ne2 = 257) 0,21 0,19 F3 0,11 (Ne3 = 468) 0,21 0,10 F4 0,08 (Ne4 = 595) 0,22 0,08 F5 0,11 (Ne5 = 465) 0,14 0,11 3.6 Bedeutende Ahnen und Inzuchtverursacher Indem die durchschnittliche Verwandtschaft aller Vorfahren zur aktuellen Population ermittelt wurde, war es möglich, deren Bedeutung für die Population zu ermessen. Tabelle 6 beschränkt sich jeweils auf die fünf wichtigsten Ahnen unter Angabe ihrer mittleren Verwandtschaft zu den derzeit aktiven Tieren sowie der durchschnittlichen Generation und Häufigkeit ihres Auftretens als Elter. Daneben werden in der Tabelle die jeweils fünf bedeutendsten Inzuchtverursacher mit ihrer Anzahl der zur Inzucht der aktuellen Tiere führenden Bindungen sowie ihrem Beitrag zu deren durchschnittlicher Inzucht angegeben. Infolge ihrer höheren Nachkommenzahl sind in beiden Listen ausschließlich männliche Vorfahren vertreten, wobei sich die meisten bedeutenden Ahnen gleichzeitig auch als wichtigste Inzuchtverursacher erweisen. 4 Diskussion Herkunft der aktiven Zuchttiere Das Englische Vollblut wird nicht nur weltweit gezüchtet; wie kaum eine andere Nutztierrasse sind die in vielen Ländern ansässigen Populationen der Rasse durch ständigen Zuchttieraustausch miteinander verflochten. Nur zwei Drittel der Stuten und weniger als die Hälfte aller zur Zeit in Deutschland aktiven Zuchthengste sind hierzulande, alle übrigen Tiere sind im Ausland geboren worden. Bemerkenswert ist, dass nahezu 20 % aller Hengste und über 10 % aller Stuten irischen Ursprungs sind, während zwar annähernd gleich viele Stuten, aber nur knapp 9 % der Hengste aus England, dem Stamm- Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in Deutschland 333 Tab. 6. Bedeutendste Ahnen und Inzuchtverursacher The most important ancestors and those with highest contribution to the inbreeding of the probands Name Anzahl Bindungen Beitrag zur durchschn. Inzucht (%) Geburt Nearco N. Dancer Birkhahn Hyperion Ticino 1935 1961 1945 1930 1939 1765 142 132 1030 499 11,57 10,23 7,34 5,93 5,56 Nearco Hyperion Nasrullah Ticino N. Dancer 1935 1930 1940 1939 1961 72 61 19 21 3 16,81 8,91 7,14 4,87 4,55 Nearco N. Dancer Birkhahn Hyperion Ticino 1935 1961 1945 1930 1939 1693 139 127 969 478 11,33 10,49 7,56 5,79 5,59 Häufigkeit des Auftretens Geburt durchschn. Generation des Auftretens Bedeutendste Inzuchtverursacher Name durchschn. direkte Verwandtschaft (%) Bedeutendste Ahnen Gesamtpopulation N. Dancer Surumu Nearco Birkhahn Hyperion 1961 1974 1935 1945 1930 5,50 4,82 4,49 3,40 3,22 3,50 2,03 5,53 4,09 5,61 N. Dancer Surumu Nearco Königsstuhl Hyperion 1961 1974 1935 1976 1930 7,35 5,76 5,32 4,17 4,00 3,12 2,05 5,34 1,30 5,50 1225 414 4367 1193 3285 Hengste 52 22 191 10 168 Stuten N. Dancer Surumu Nearco Birkhahn Hyperion 1961 1974 1635 1945 1930 5,42 4,77 4,45 3,43 3,19 3,52 2,03 5,54 4,09 5,62 1173 392 4176 1150 3117 land der Vollblutzucht, den Weg nach Deutschland gefunden haben. Der züchterische Einfluss seitens der US-amerikanischen Zucht macht sich weniger über den Zuzug von Stuten, als vorrangig in Form des Imports von Hengsten bemerkbar. Berücksichtigt man, dass in den USA zunehmend der Fliegertyp bevorzugt wird, dürfte dies nicht ohne Einfluss auf die deutsche Zucht bleiben, mit der Folge, dass möglicherweise die bewährten Stehertypen vermehrt in den Hintergrund gedrängt werden. Der Einfluss der französischen Zucht und erst recht der vielen anderen Länder ist im Vergleich zu den vorgenannten Zuchten weniger bedeutend. Generationsintervalle Der Zuchtfortschritt je Zeiteinheit in einer Population ist u. a. vom Generationsintervall abhängig. Die Verkürzung des Generationsintervalls durch frühere Zuchtbenutzung der Zuchttiere, kurze Güstzeiten und eine Verminderung der Nutzungsdauer steigert den Zuchtfortschritt je Zeiteinheit. Allerdings ist bei abnehmender Nutzungsdauer eine geringere Nachkommenzahl pro Tier zu erwarten, womit ein Verzicht auf hohe Selektionsintensität einhergeht. Somit kann eine Verkürzung der Nutzungsdauer nur dann positiv zu bewerten sein, wenn das von ihr abhängige Generationsintervall den Zuchtfortschritt je Zeiteinheit stärker erhöht als dieser durch die reduzierte Selektionsintensität gesenkt 334 G. Biedermann u.a. wird (Schönmuth et al., 1986). Andererseits widerspricht die Verkürzung der Nutzungsdauer dem Streben der Züchter, wenigstens von den besten Zuchttieren möglichst viele Nachkommen zu ziehen. Bei Unterstellung von fixen Werten der Selektionsintensität, der Heritabilität, der Wiederholbarkeit bzw. der Genauigkeit der Zuchtwertschätzung hat Ollivier (1974) mit dem Ziel der Maximierung des Zuchtfortschrittes theoretische Überlegungen über das optimale Abgangsalter von Zuchttieren angestellt. Unter den Bedingungen des Natursprungs, wie in der Vollblutzucht üblich, sollte das Alter der Vatertiere bei Abgang geringer sein als das der Muttertiere und somit die Bestandsergänzung auf der Vaterseite rascher erfolgen als bei den weiblichen Zuchttieren. Damit verbinden sich positive Effekte auf den Zuchterfolg, und zwar einerseits infolge des kürzeren Generationsintervalls der Hengste, die ohnehin hierzu den überwiegenden Beitrag leisten, andererseits infolge der höheren Nachkommenzahl der weiblichen Zuchttiere und damit einer höheren Selektionsintensität innerhalb des weiblichen Geschlechts. In der Vollblutzucht trifft man jedoch gegensätzliche Verhältnisse an. Im Vergleich zu den Stuten beträgt das Durchschnittsalter der Hengste bei der Geburt ihrer Nachkommen ca. zwei Jahre mehr. Dieser Unterschied wird aber vorrangig durch das Durchschnittsalter der Väter weiblicher Nachkommen bedingt, wohingegen die Generationsintervalle der Väter bzw. Mütter zu den männlichen Nachkommen nur unwesentlich differieren. Bemerkenswert ist der Befund, wonach das Generationsintervall Vätermännliche Nachkommen um mehr als eineinhalb Jahre geringer ist als das des Pfades Väter weibliche Nachkommen, so dass unterstellt werden kann, dass in der Regel von älteren Hengsten zwar weibliche, aber keine männlichen Nachkommen als Zuchttiere mehr aufgestellt werden. Auch in zurückliegenden Zuchtphasen nahm das Generationsintervall VäterNachkommen stets einen mehr oder weniger längeren Zeitraum ein als das Generationsintervall MütterNachkommen. Während letzteres relativ konstant blieb, hat sich das mittlere Alter der Väter bei Geburt ihrer Nachkommen, insbesondere weiblichen Geschlechts, erhöht. Das Generationsintervall Vätermännliche Nachkommen hingegen war im Laufe der zurückliegenden Generationen erheblichen Schwankungen unterlegen. Das zunehmende Durchschnittsalter der Hengste bei Geburt ihrer Nachkommen kann einerseits im gestiegenen Alter der Vatertiere bei Beginn ihrer Deckverwendung infolge längeren Renneinsatzes, andererseits in der Tendenz zur Verlängerung ihrer Deckverwendung begründet sein. Letztere kann mit dem in der Vollblutzucht gebräuchlichen Zuchtmanagement (Herbstuntersuchungen, Follikelkontrollen), der durch gezielteren und damit schonenderen Einsatz bedingten länger erhaltenen Fruchtbarkeit der Deckhengste und schließlich ihrer insgesamt verbesserten medizinischen Versorgung in Verbindung gebracht werden (Bormann, 2004). Die insgesamt langen Generationsintervalle können als typisch für die Pferdezucht angesehen werden und sind im Falle der Vollblutzucht die Folge der – wenn auch unterschiedlich langen – Rennkarriere und damit der späteren Zuchtverwendung der Pferde. Für die Hannoverschen Warmblutpferde haben Uphaus und Kalm (1994) im Durchschnitt ein nur geringfügig kürzeres Generationsintervall von 9,9 Jahren festgestellt, wobei die Väter bei der Geburt ihrer Nachkommen ebenfalls (ca. 1,5 Jahre) älter sind als die Mütter. Lediglich bei isländischen Töltern bzw. norwegischen Trottern haben Hugason et al. (1985) bzw. Klemetsdal (1993) umgekehrte Relationen zwischen den Generationsintervallen der Vatertiere (8,7 bzw. 10,9 Jahre) und Muttertiere (11,4 bzw. 11,1 Jahre) nachgewiesen. Das deutlich geringere mittlere Generationsintervall von 7,6 Jahren der in Sizilien in halbwilden Beständen gehaltenen Sanfratellanos (Chiofalo et al., 2003) dürfte mit dem überwiegenden Verzicht auf dem Zuchteinsatz vorangehende Leistungsprüfungen der Pferde in Zusammenhang stehen. Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in Deutschland 335 Verwandtschaft und bedeutende Ahnen Mehr als 99 % aller Tierpaare innerhalb der deutschen Vollblutpopulation sind mehr oder weniger verwandtschaftlich verbunden, wobei in den überwiegenden Fällen die Verwandtschaft bis zu 10 % beträgt. Immerhin wurden Verwandtschaftskoeffizienten von annähernd 58 % gefunden. Die engsten verwandtschaftlichen Beziehungen wurden im Durchschnitt innerhalb der Hengste nachgewiesen (2,9 %). Innerhalb der Gesamtpopulation (2,3 %) und der Stuten (2,3 %) sowie zwischen beiden Geschlechtern (2,5 %) nehmen sie etwas geringere Ausmaße ein. Dem entspricht die mittlere Verwandtschaft, die Biedermann et al. (2002) mit 2,3 % für die Population des Rheinisch-Deutschen Kaltbluts geschätzt haben, wohingegen Vogelreuther (1999) und Aberle (2003) für das Schwere Sächsische Warmblut bzw. das Süddeutsche Kaltblut mit jeweils 6,1 % deutlich engere Verwandtschaftsverhältnisse feststellten. Zwar sind auch wesentlich höhere Verwandtschaftskoeffizienten bekannt – so für das Schleswiger Kaltblut mit 13,0 % (Aberle, 2003) und das Schwarzwälder Kaltblut mit 15,6 % (Biedermann und Schröter, 2003) – bei denen es sich allerdings um bedeutend kleinere Populationen handelt. Den größten Beitrag zur durchschnittlichen Verwandtschaft leistet der 1991 geborene legendäre kanadische Hengst Northern Dancer. Aber auch wesentlich ältere Vatertiere wie sein in Italien gezogener Großvater Nearco (geb. 1935), der Schlenderhaner Hengst Birkhahn (geb. 1945), der eine wesentliche Stütze der deutschen Vollblutzucht nach dem 2. Weltkrieg bildete, sowie der englische Hengst Hyperion (geb. 1930) üben noch immer erheblichen Einfluss auf die aktuelle Population aus. Trotz wesentlich jüngeren Alters konnten die Hengste Surumu (geb. 1974) aus dem Gestüt Fährhof, dessen Stammbaum die Hengste Birkhahn, Hyperion und Ticino aufweist, und der dem Gestüt Zoppenbroich entstammende Königsstuhl (geb. 1976), der die Hengste Nearco und Ticino in seinem Pedigree führt und als erster und bisher einziger Triple-Crown-Sieger des deutschen Turfs in die Geschichte der deutschen Vollblutzucht eingegangen ist, nachhaltige züchterische Akzente setzen. Damit offenbart sich gleichzeitig die mitunter enge verwandtschaftliche Verflechtung erfolgreicher Pferde. Inzucht und bedeutende Inzuchtverursacher Entgegen der in züchterischen Kreisen häufig geäußerten Vermutung hält sich die mittlere Inzucht der aktuellen Population des Englischen Vollbluts in Deutschland in Grenzen. Die unkorrigierten Werte in Höhe von 0,76 % bzw. die mittels Vollständigkeitsindex korrigierten von Moureaux et al. (1995) in gleicher Höhe für die französische Vollblutpopulation ermittelten Koeffizienten von ca. 1 % machen dies deutlich. Wenngleich Torshizi et al. (1996) für australische Vollblüter (0,09 %; 5 Ahnengenerationen) und Pitra et al. (1996) für Przewalski-Pferde in Deutschland bzw. Großbritannien (0,18 bzw. 0,22 %) deutlich geringere Inzuchtkoeffizienten feststellten, dürfte die für die deutsche Vollblutpopulation geschätzte Inzucht kaum als dramatisch angesehen werden. Die von Wilkens et al. (1994) für Holsteiner Warmblutpferde (0,60 %; 4 Ahnengenerationen) und Vogelreuther (1999) für Ostfriesische und Oldenburger Pferde (0,8 %; 5 Ahnengenerationen) angegebenen Werte entsprechen ungefähr dem Niveau der in vorliegender Untersuchung gefundenen Inzuchtgrade. Von deutlich höherer Inzucht wird von Du?ek (1991) und Volenec et al. (1996) bei Kladrubern (6,60 % bzw. 7,75 %), Gandini et al. (1992) bei italienischen Haflingern (6,59 %), Biedermann et al. (2002) beim Rheinisch-Deutschen Kaltblut (1,73 %; 5 Ahnengenerationen) und Biedermann und Schröter (2003) beim Schwarzwälder Kaltblut (6,3 %; 5 Ahnengenerationen) berichtet. Wollinger (1977) und Vangen (1983) geben die durchschnittlichen Inzuchtkoeffizienten bei Lipizzanern bzw. Nordlandpferden sogar mit jeweils 10 % an. Folgt man den Aussagen von Johansson und Lush (1959), sollte erst ab einem Inzuchtkoeffizienten von 6,25 % von Inzucht gesprochen werden. Zwar wurden in Einzelfällen der vorliegenden Untersuchung innerhalb der Stuten Inzuchtkoeffizienten von 336 G. Biedermann u.a. über 15 % gefunden; gemessen an dem geringen Anteil Stuten von 0,57 % mit Inzuchtgraden über 6 % und der Tatsache, dass keiner der Hengste mit Inzucht in dieser Höhe behaftet ist, kann auch bei dieser Betrachtungsweise von moderaten Verhältnissen gesprochen werden. Über das Ausmaß von Inzuchtdepressionen sind der einschlägigen Literatur einige Angaben zu entnehmen. So haben Azevedo et al. (1982) bei Lusitanos und Arabischen Vollblutpferden, Mahon und Cunningham (1982) beim Englischen Vollblut, Cothran et al. (1984) bei Trabern sowie Klemetsdal und Johnson (1989) bei Døle-Trabern mit unterschiedlicher Deutlichkeit negative Beziehungen zwischen Inzuchtgrad und Kriterien der Fruchtbarkeit (Abfohlrate, Anzahl Sprünge pro Trächtigkeit, Resorptionshäufigkeit) nachweisen können. Wilkens et al. (1990) haben hingegen keine Auswirkungen der Inzucht – allerdings auf sehr geringem Niveau – auf die Fruchtbarkeit von Holsteiner Stuten festgestellt. Oster und Paufler (1990) konnten in ihren Untersuchungen in den Stutenherden der Haupt- und Landgestüte Marbach und Schweiganger einen Zusammenhang zwischen Inzuchtgrad und Trächtigkeitsrate erst bei Inzuchtkoeffizienten von mehr als 6,25 % ermitteln. Blazyczek et al. (2003) berichten, dass der Grad der Inzucht keinen Einfluss auf die Häufigkeit des Auftretens von Luftsacktympanie bei Arabischen Vollblutfohlen ausübt. Gandini et al. (1992) vermochten einen Zusammenhang zwischen dem Anwachsen des Inzuchtkoeffizienten und der Abnahme der Höhen- und Tiefenmaße von Haflingern nachzuweisen. Ähnlich berichten Biedermann et al. (2002) sowie Biedermann und Schröter (2003), dass sich bei Rheinisch-Deutschen bzw. Schwarzwälder Kaltblutpferden die zunehmende Inzucht negativ auf Größe, Brustumfang und Gewicht auszuwirken scheint. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass diese Beobachtungen als Folge bewusster Selektion zu werten sind, da besonders bevorzugte Zuchttiere vielfach zu kleinerem Wuchs tendieren. Dass sich die infolge enger Verwandtschaft zur aktiven Population erkannten bedeutenden männlichen Vorfahren (Nearco, Northern Dancer, Birkhahn, Hyperion) gleichzeitig als Hauptinzuchtverursacher hervortun, ist naheliegend und unterstreicht ihre und ihrer Nachkommen Begehrtheit als Vererber. Zu den Genannten treten der in England gezogene Nearco-Sohn Nasrullah (geb. 1940) und der aus dem Gestüt Erlenhof hervorgegangene Hengst Ticino hinzu. Letzterer hat sich nach dem 2. Weltkrieg eine beherrschende Stellung erworben, wurde zu einem der großen Eckpfeiler der deutschen Vollblutzucht und wird weltweit zu den bedeutendsten Hengstlinienbegründern gerechnet; er ist in den Pedigrees von Birkhahn, Surumu und Königsstuhl zu finden. Inzuchtrate Entscheidende Bedeutung für die Entwicklung einer Population kommt der effektiven Populationsgröße und damit der Inzuchtrate zu. Bisherige Schätzungen der Inzuchtrate beim Englischen Vollblut sind von Moureaux et al. (1995) für die französische Population mit 0,026 %/Jahr und Torshizi et al. (1996) für die australische Population mit 0,075 %/Jahr bekannt. Unterstellt man ein Generationsintervall von 10 Jahren, so entsprechen diese Angaben Inzuchtsteigerungen pro Generation von 0,26 bzw. 0,75 %. Cunningham (2000) gibt die Inzuchtrate der Population Großbritanniens und Irlands mit 0,2 % an und sieht darin eine tolerable Entwicklung. Im Vergleich mit den zitierten ausländischen Ergebnissen kann somit auch die für die deutsche Population festgestellte Inzuchtsteigerung als relativ gering eingestuft werden. Weitere Schätzungen der Inzuchtrate liegen für das Holsteiner Warmblut (Wilkens et al., 1990), das Ostfriesische und Alt-Oldenburger Pferd sowie das Sächsische Schwere Warmblut (Vogelreuther, 1999), das Rheinisch-Deutsche und Schwarzwälder Kaltblut (Biedermann et al., 2002; Biedermann und Schröter, 2003) sowie das Schleswiger und Süddeutsche Kaltblut (Aberle, 2003) vor; die Werte variieren zwischen 0,2 und 2,2 % und nehmen damit teilweise bedenkliche Ausmaße des Inzuchtzuwachses an. Das Englische Vollblut – genetische Analyse der Population in Deutschland 337 Im vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (2004) veröffentlichten Nationalen Fachprogramm zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung tiergenetischer Ressourcen werden allerdings Populationen, für die 200Ne1000 gilt, als sogenannte Beobachtungspopulationen bezeichnet. Darunter werden gefährdete Populationen verstanden, die unter Beobachtung zu stellen sind und in denen, sobald die Anzahl adulter männlicher Tiere unter 100 sinkt, ein Samen-Kryokonservierungsprogramm initiiert werden sollte. Besagte Grenzen der effektiven Populationsgröße entsprechen Inzuchtraten zwischen 0,25 und 0,05 %. Vergleicht man die Werte der effektiven Populationsgröße bzw. der Inzuchtrate, die für die deutsche Vollblutzucht gefunden wurden, mit besagten Grenzwerten, müsste diese in die Kategorie der in ihrer Existenz gefährdeten Beobachtungspopulationen eingereiht werden. Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass sich die Inzuchtrate mit dem Wechsel von der Elterngeneration zur derzeit aktiven Generation (F3, F4) im Vergleich zur durchschnittlichen Inzuchtrate der zurückliegenden sechs Vorfahrengenerationen (F1, F2) zumindest in der Gesamt- und Stutenpopulation verringert hat. Dieser Befund mag einerseits als die Konsequenz einer in der jüngsten Zuchtphase erfolgten gleichmäßigeren Verteilung der Vatertiere auf die Stuten, dürfte aber andererseits vorrangig als Folge einer verstärkten „Blutzufuhr“ aus dem Ausland angesehen werden. Tatsächlich nahmen in den Jahren 1990 bis 1993 die Einfuhren von Vollblutpferden im Vergleich zu anderen Jahren besonders hohe Ausmaße an. Hinzu kam die Vereinigung der Zucht der ehemaligen DDR mit der westdeutschen Population. Mit dem Wert für ?F5 verbindet sich die künftig zu erwartende Inzuchtrate, allerdings unter der Voraussetzung eines gleich verteilten Hengsteinsatzes, wie er praktisch kaum zu verwirklichen ist. Da es sich im der Analyse zu Grunde liegenden Datenmaterial, unter Vernachlässigung der möglicherweise künftig einbezogenen neuen Importhengste, ausschließlich um die im Deutschen Zuchtbuch registrierten Hengste handelt, verbindet sich damit, zumindest in der Gesamt- und Stutenpopulation, ein geringfügiger Anstieg der Inzuchtrate. 5 Schlussbetrachtung Aufgrund obiger Ausführungen wäre das Englische Vollblut in Deutschland als Population einzustufen, die einem – wenn auch gemäßigten – Gefährdungsgrad (Beobachtungspopulation) unterliegt. Tatsächlich dürfte sie von einem derartigen Status weit entfernt sein. Wie eingangs erwähnt, handelt es sich beim Englischen Vollblut um eine international verbreitete Zucht, die in vielen Ländern aller Kontinente betrieben wird. Anders als bei anderen Nutztier- und Pferdepopulationen, wird die deutsche Vollblutpopulation weit weniger isoliert gezüchtet. Vielmehr ist sie als bescheidenes Glied in die weltweit verbreitete Vollblutzucht eingebettet und mit dieser verwoben. Der Weltbestand an Vollblutpferden umfasst z. Z. ca. 196.000 Tiere; die deutsche Population ist daran lediglich mit ca. 1,2 % beteiligt. Wenn auch nicht mit allen Ländern, pflegt die deutsche Zucht einen intensiven Austausch von Zuchttieren mit den bedeutendsten Ländern, in denen Vollblutpferde gezüchtet werden. Dem jüngsten Band (35) des Allgemeinen Deutschen Gestütbuch für Vollblut kann entnommen werden, dass innerhalb der Jahre 1996 bis 1999 insgesamt 480 Stuten und 276 Hengste eingeführt wurden; dies entspricht 130 Stuten und 69 Hengsten pro Jahr. Annähernd 90 % der Tiere sind von Irland, Großbritannien, Frankreich und den USA nach Deutschland gelangt (umgekehrt wurden im selben Zeitraum 730 Stuten und 438 Hengste bzw. im Durchschnitt pro Jahr 183 Stuten und 110 Hengste ausgeführt). Hinzu kommt, dass alle Jahre deutsche Stuten zur Bedeckung ins Ausland verschickt werden. Schließlich wird ein reger leihweiser Austausch von Hengsten zwischen den Zuchten der Länder und Kontinente betrieben, womit sich ein steter Wandel in der Linienzugehörigkeit der Beschäler verbindet 338 G. Biedermann u.a. (Schwark, 1988). Die deutsche Vollblutzucht erfährt auf diese Weise permanente „Blutauffrischung“ aus der internationalen Zucht und nimmt gleichzeitig an den größeren züchterischen Fortschritten teil, die in den vielfach wesentlich umfangreicheren Populationen des Auslandes möglich sind. Bedenken bezüglich einer möglichen Gefährdung der deutschen Vollblutpopulation verlieren damit an Bedeutung. Unter diesen Aspekten wäre eine vergleichbare Analyse der weltweiten Population des Englischen Vollbluts angebracht; allerdings dürfte ein derartiges Vorhaben nur unter großen Schwierigkeiten zu bewältigen sein. Sollte die deutsche Vollblutzucht jedoch Spiegelbild der internationalen Zucht sein, müssten die hinsichtlich der Inzuchtproblematik gezeitigten Resultate dennoch Anlass zu Bedenken geben. Unter diesen Umständen wäre weltweit eine gleichmäßigere Verteilung der in großer Zahl verfügbaren Hengstlinien und die vermehrte Beachtung von Verwandtschaften bei den Paarungen zu empfehlen. Zusammenfassung Die aktuelle 2333 Tiere umfassende Zuchtpopulation des Englischen Vollbluts in Deutschland wurde hinsichtlich der Herkunft der Pferde und unter Einbeziehung von sechs Ahnengenerationen bezüglich des Generationsintervalls sowie der Verwandtschafts- und Inzuchtverhältnisse untersucht. Etwa 68 % aller Zuchtpferde wurden in Deutschland geboren, alle übrigen Tiere stammen aus dem Ausland (vorwiegend Irland, Großbritannien, Frankreich und USA). Das durchschnittliche Generationsintervall Eltern–Probanden beträgt 10,6 Jahre. Die mittlere Verwandtschaft wurde mit 2,3 %, der mittlere Inzuchtkoeffizient mit ca. 1 % geschätzt, wobei nur 4 % der Hengste und 9 % der Stuten nicht ingezogen sind. Die Inzuchtrate von 0,11 % in der letzten Generation müsste einem schwachen Gefährdungsgrad der Population gleichgesetzt werden, wenn nicht eine intensive Einbindung der deutschen Zucht in die internationale Vollblutzucht gegeben wäre. Schlüsselwörter: Englisches Vollblut; Deutschland; Herkunft; Generationsintervall; Verwandtschaft; Inzuchtkoeffizient; Inzuchtrate Literatur Aberle, K. (2003): Untersuchungen der Verwandtschaftsverhältnisse, Inzucht und genetischen Distanzen bei den deutschen Kaltblutrassen. Diss. Hannover. Azevedo, M., R. de Barreiros Pais and G. N. Barata (1982): Inbreeding effect in horses. Rev. Port. Cienc. Veter. 77, 167-177. Baumung, R. und J. Sölkner (2002): Analysis of pedigrees of Tux-Zillertal, Carinthian Blond and Original Pinzgau cattle populations in Austria. J. Anim. Breed. 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About 68 % of all the horses have been born in Germany, the rest is originating from foreign countries (mostly from Ireland, Great Britain, France and USA). The average generation interval parents-current animals amounts to 10.6 years. The mean relationship has been found out with 2.3 %. The mean coefficient of inbreeding has been estimated with 1 %, in the course of which only 4 % of the stallions and 9 % of the mares are not inbred. The rate of inbreeding of 0.11 % in the last generation would have to give rise to consider the population as a lightly endangered one, if it wasn’t be intensively mixed up with the international Thoroughbreds. Keywords: Thoroughbred; Germany; origin; generation interval; degree of relationship; coefficient of inbreeding; rate of inbreeding