Vincent van Gogh, Zwei Zypressen, 1889
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Vincent van Gogh, Zwei Zypressen, 1889
Ludwig-Maximilians-Universität Institut für Kunstgeschichte SoSe 2007 Hauptseminar: Vincent van Gogh und die Tradition des 20. Jahrhunderts bis hin zu Gerhard Richter und Joseph Beuys Dozent: Professor Dr. Rainer Crone, Professor Dr. Martin Faessler Vincent van Gogh, Zwei Zypressen, 1889 Referentin: Liao, I-Ting Studienfächer: Kunstgeschichte(6.), Theaterwissenschaft(6.), Ägyptologie(5.) Adresse: Kantstr. 23d, Zi.301 80807 München Telefonnr.: 0176-23643940 E-Mail: [email protected] Inhaltverzeichnis: 1. Einleitung 1 2. Bildbeschreibung von „Zwei Zypressen“ 1 3. Bildanalyse 3.1 Zur Entstehung des Bildes 3.2 Symbolische Andeutungen 2 3 3.3 3.4 Mehr als ein Symbolist—Wichtigkeit der stilistischen Kriterien Die metaphorische Dimension 5 6 4. Vergleichsbeispiele 7 5. Schlussbetrachtung 10 6. Literaturverzeichnis 11 7. Abbildungen 12 1. Einleitung Aufgrund Vincent van Goghs dramatischen, tragischen Lebens wird seine Kunst oft nur psychologisch interpretiert. Solche psychologisierende Kunstbetrachtung hat zur Folge, dass die stilistische Entwicklung van Goghs kaum Aufmerksamkeit bekommt, obwohl sie sicherlich auch eine wichtige Rolle in seiner Kunst spielt. Denn zu den Künstlern gehörend, die sich bemühten, den Impressionismus hinter sich zu lassen, strebte Vincent van Gogh, wie vieler seiner Zeitgenossen, nach der Schaffung einer einzigartigen Avantgarde. Durch die bestimmte Motivwahl und seine charakteristische Maltechnik versuchte er mühsam, sich von seinen Zeitgenossen abzugrenzen.1 Seine Kunst ist nie bloß eine emotionelle Reflektion eines Wahnsinnigen, der die dicke Farbe gedankenlos auf die Leinwände hinschmierte, wie manche sich vielleicht vorstellen mögen. Ganz im Gegenteil ist seine einzigartige Malweise eine beabsichtigte, persönliche Interpretationen der Natur. Deswegen ist es unüberzeugend und einseitig, Vincent van Goghs Kunst ohne Hinsicht auf die formalen Kriterien zu interpretieren. Um eine komplexere Vorstellung von van Goghs Kunst zu bekommen, wird in dieser Arbeit schwerpünktlich das Bild „Zwei Zypressen“ 2 aus dem Jahr 1889 nicht nur inhaltlich, sondern auch formal und stilistisch analysiert. Schließlich ist mit Hilfe der Vergleichsbeispiele eben festzustellen, welche Modernität van Gogh mit diesem Bild zeigt, die aber oft ungeachtet bleibt. 2. Bildbeschreibung von „Zwei Zypressen“ Zwei hohe Zypressen stehen eng nebeneinander im grasbewachsenen Wald, während über den niedrigen Horizont sich eine sanfte Berglinie erhöht. An dem bewölkten Himmel hängt rechts oben im Bild eine schmale Mondsichel. Die vordere, größere Zypresse im Vordergrund schneidet die ganze Mittelachse und streckt sich über den oberen Bildrand hinaus. Hinter ihr, auf der linken Bildhälfte ist nur die linke Hälfte der hinteren Zypresse zu sehen, deren Spitze stolz in den bleichblauen Himmel ragt. In der Ferne sieht man eine sanfte Berglinie, die sich leicht von links nach rechts steigert und den Wald und Himmel abgrenzt. Die vordere Zypresse dient als die radikale Überschneidung im Bild, und die Berglinie im Hintergrund als die horizontale. Mit Hilfe der beiden sich kreuzenden Überschneidungslinien wird die Bildkomposition stabilisiert und auf die beiden Bäumen fixiert. Die radikale Überscheinung, nämlich 1 Homburg, Cornelia: Vincent van Goghs Avantgardestrategie, in: Homburg, Cornelia(Hg.): Vincent van Gogh und die Maler des Petit Boulevard, Ostfildern-Ruit 2001, S. 23-58, S. 23-24 2 Vincent Van Gogh, Zwei Zypressen, Öl auf Leinwand, 93,4 cm x 74 cm, Juni 1889, New York, Metropolitan Museum of Art, siehe: Abbildung 1 die Zypresse, wirkt wegen der Länge des Bildes, der auffälligen Farbe und Form viel dominierender als die horizontale. Während der Übergang vom Wald zu den blau bemalten Bergen nur vage zu vermuten ist, wird der Himmel und die Berge von den dicken, weißen Wolken dazwischen deutlich getrennt. Da der Horizont ziemlich niedrig liegt, besitzt der helle Himmel im Vergleich zu dem Erdteil einen überragend großen Raum, der stark mit Bleiweiß unterlegt ist und dessen Farbe die beiden dunklen Zypressen kontrastiert. Die weißen Wolken werden von leichter Rosafarbe gefärbt. Zusammen mit der gelben Mondsichel deuten die rosafarbigen Wolken einen frühabendlichen Himmel an. Im Kontrast zu dem stark verblassten Himmel empfindet man die dunkelgrünen, im gelbgrünen Wald stehenden Zypressen noch dunkler und gleichsam mächtiger. Außerdem wirken die Zypressennadeln aus schwingendem Pinselstrich wie schwarze Flammen, die gewaltig gegen den hellen Himmel brennen. Nicht nur die Nadeln der Zypressen, sondern auch das hochgewachsene Gras und die Wolken am Himmel werden von den energischen, wirbelartigen Pinselstrichen gebildet, als ob sie vom starken Wind geweht werden. Und das Bild erweckt dadurch einen unruhigen, beweglichen Eindruck. Alle Gegenstände im Bild werden nicht detailliert ausgeführt, obwohl man sie durchaus noch benennen kann. Von einer naturgetreuen Landschaft ist hier nicht der Rede. Außer dem Farbton des Himmels bleiben die meisten Farben im Bild sehr grell und direkt, sogar übertrieben. Und die Farbe wurde so dick auf die Leinwand aufgetragen, dass die Oberflächenstruktur sich dem Basrelief nähert und die Farben wurden zum Teil auch direkt auf der Leinwand gemischt.3 Wegen der groben Farbauftragweise bleibt der Pinselduktus nachvollziehbar. Der kräftige Pinselduktus verstärkt ohne Zweifel den beweglichen, dynamischen Eindruck im Bild neben der starken Farbkontraste und geschlungenen Pinselstriche. 3. Bildanalyse 3.1 Zur Entstehung des Bildes Im Mai 1889 verließ Vincent van Gogh nach der Selbstverletzung und der folgenden Behandlung Arles, um sich in die Nervenheilanstalt St.-Paul-de-Mausole in St.-Rémy-de-Provence zu begeben. Zwei Naturmotive wurde sich in seiner St.-Rémy Phase gewidmet, die Zypressen und die Olivenbäume, die er sowohl als charakteristische Motive der Provence, als auch als seine ureigene 3 Költzsch, Georg-W. und Ronald de Leeuw(Hg.): Vincent van Gogh und die Moderne (Ausstellungskatalog Museum Folkwang Essen, Van Gogh Museum Amsterdam), Essen 1990, S. 53 Motive beanspruchte.4 Außerdem sind sie auch die Themen, die van Gogh nach der Sonnenblume wieder als Serie aufnahm.5 Bis zum Mai 1890, bevor er St.-Rémy verließ, schuf er eine ganze Reihe von Gemälden mit diesen beiden Thematiken, darunter auch das berühmte Bild „Die Sternennacht,“6 und kurz danach „Zwei Zypressen“ im Juni. Nach den experimentellen Jahren in Paris, in denen er mit sich den zeitgenössischen Kunstströmungen und den neuen Malkenntnissen bekannt machte, war van Gogh zunächst sehr begeistert von dem strahlenden Sonnenlicht, dessen blendende Helle, und die Leuchtkraft der Farben in Arles, Südfrankreich. Seitdem fing er zum Versuch an, den spezifisch südlichen Charakter mit übertriebenen Farben zum Ausdruck zu bringen.7 Nachdem er in St.-Rémy mit der Arbeit angefangen hatte, war van Gogh fasziniert von den hohen, schmalen Zypressen, die in der Provence oft zu sehen sind. Er beschrieb die Zypressen mit den folgenden Worten: „In den Linien und in den Proportionen sind sie schön wie ein ägyptischer Obelisk. Und das Grün ist von so vornehmer Art. Es ist der schwarze Fleck in der durchsonnten Landschaft, doch ist es einer der interessantesten und am schwersten zu treffenden schwarzen Töne, den ich mir vorstellen kann. Denn man muss sie hier gegen das Blau sehen, besser gesagt im Blau.“8 Erstaunt darüber, dass bisher niemand die Zypressen so gemalt hatte, wie er sie sah, wandte er sich im Juni 1889 dem Feld der Zypressen zu und versuchte, die ungewöhnlichen Töne und Farbkontraste einzufangen.9 3.2 4 Symbolische Andeutungen Vojtěch, Jirat-Wasintyński: Vincent van Gogh’s Paintings of Olive Trees and Cypresses from St.-Rèmy, in: The Art Bulletin LXXV, 4, Dezember 1993, S. 647-670, S. 647 sowie Homburg 2001, S. 24 und Költzsch 1990, S. 53 5 Költzsch 1990, S. 53 6 Vincent Van Gogh, Die Sternennacht, Öl auf Leinwand, 73,7cm x 92,1cm, 1889, New York, Museum of Modern Art, siehe: Abbildung 2. Die Sternennacht, oder genannt als „Zypressen und Dorf“ aus dem Jahr 1889 gehörte zwar zu der gewidmeten Zypressenthematik der Zeit. Jedoch wurde das heute weltbekannte Bild nie von dem Maler als gelungen gesprochen. Siehe: Homburg 2001, S. 45, sowie Elderfield, John(Hg.): Das MoMA in Berlin. Meisterwerke aus dem Museum of Modern Art, New York (Ausstellungskatalog Neue Nationalgalerie Berlin), Ostfildern-Ruit 2004, S. 264 7 House, John: Auf dem Weg zu einer modernen Landschaftsmalerei, in: Homburg, Cornelia(Hg.): Vincent van Gogh und die Maler des Petit Boulevard, Ostfildern-Ruit 2001, S. 161-199, S. 170 8 Vincent an Theo van Gogh, 25. Juni 1889, in: Schumann, Eva: Vincent van Gogh. Sämtliche Briefe, Bornheim- merten 1965, Bd. IV, Brief 596, S. 293 9 Költzsch 1990, S. 53 Anderes als ein klassisches Landschaftsgemälde, das hauptsächlich nur eine Abbildung der schönen Natur ist, zeigt diese pulsierende Landschaft van Goghs eine ganz andere Miene. Hinter der äußerlichen Erscheinung verbergen sich noch viele Symbolen, die wichtig für den Maler waren und deswegen ins Bild gebracht werden. In der abendländischen Tradition assoziiert man die Zypressen mit dem Tod und der Gottheit der Unterwelt, weil sie oft in der Nekropole des Mittelmeerraumes gepflanzt wurden. Der an sich wiederholenden, schweren Anfällen leidende van Gogh assoziierte den dunkelgrünen, lichtabweisenden „schwarzen“ Ton der Zypressen und deren flammenartigen Gestalt wohl mit dem finsteren Tod. Die Zypressen kontrastieren symbolisch und farblich eindeutig mit der Sonnenblume, die Thematik, der er sich davor gewidmet hat und deren grelle Farben ihn noch an die südliche Sonne und die Lebenskraft erinnerten.10 Zusätzlich zu den der abendländischen Vorstellungen über Zypressen verglich van Gogh die Zypressen noch mit einem ägyptischen Obelisken, womit er sich zunächst auf ihren hohen, schmalen Wuchs bezog.11 Aufgrund der formalen Ähnlichkeit besaß die funktionelle Assoziation mit ihm auch gewisse Bedeutung. Außer der spezifischen Funktion der Obelisken, dass sie sowohl die Verbindung zwischen dem himmlischen und irdischen Bereich, als auch die Verbindung zu der Sonne darstellen, muss es ein besonderes Interesse van Goghs gegeben haben. Darüber hinaus besitzen die hohen Zypressen in seinen provenzalischen Landschaften aus St.-Rémy wohl die ähnliche Funktion eines dörflichen, natürlichen Obelisken, die himmelwärts zur Sonne hinaufragen und eine Brücke zwischen dem Himmel und der Erde, zwischen Diesseits und Jenseits herstellen.12 Weiterhin entsprechen die starken Farbkontraste in „Zwei Zypressen“ einerseits der provenzalischen Natur unter dem blendenden Sonnenlicht, verstärken andererseits auch die visuelle Wirkung des Bildes, so dass die dunkle Farbe der Zypressen im Vergleich zu der verblassten Farbe des Himmels noch dunkler, mächtiger, sogar unheimlicher wirkt. Mit solch einer Farbwirkung assoziiert man die Bäume noch leichter mit dem Tod, oder mit der Vorstellung des Jenseits. Paradoxerweise besteht auch ein gewisses Äquivalent zwischen den beiden als Gegenpol gedachten Thematiken der Zypresse und der Sonnenblume. Die Zypressen wurden zwar in der abendländischen Tradition oft mit dem Tod eng verbunden, aber sie wurden wegen ihren langen Lebens und ihrer Fruchtbarkeit auch als Symbol der Unsterblichkeit gesehen. Im Gegensatz zu dem kurzen Lebenszyklus der nach Sonnenlicht strebenden Sonnenblumen, ragen die dunklen, im starken Wind schwingenden Zypressen stolz mit festem Stand in den Himmel, als ob sie eine Energie besitzen, um dem Horizont entspringen zu können. Schließlich stellen der hellblaue Himmel und die Mondsichel im Bild, hier ein Neumond, eine gegensätzliche Symbolik zum düsteren Tod dar. Der Himmel und der 10 Vojtěch 1993, S. 657 11 Homburg 2001, S. 45 12 Vojtěch 1993, S. 657 aufsteigende Neumond erinnern an das himmlische Reich nach dem Tod und dessen Trost. Der Neumond kennzeichnet auch einen Neuanfang des ewigen Zyklusses.13 3.3 Mehr als ein Symbolist—Wichtigkeit der stilistischen Kriterien Zweifellos kann man im Bild „Zwei Zypressen“ viele symbolische Andeutungen finden und nur damit weiter interpretieren. Doch Vincent van Gogh zeigt uns mit diesem Bild mehr als verborgene Symbolik. Nach eigenem Avantgardestil und der Anerkennung unter seinen Zeitgenossen strebend, bemühte sich van Gogh darum, seine eigenartige Maltechnik zu schaffen.14 Als van Gogh in der Südprovence landete, war er zunächst begeistert von der blendenden Sonne des Südens und der Landschaft unter ihr. Aber um die ungewohnte, intensive Lichtsituation des Südens wirkungsvoll ins Bild umzusetzen, musste er versuchen, statt die gesehenen Farben direkt wiedergeben, mit den Farben auf der Leinwand etwas ihm Entsprechendes zu finden. Da ihm die Wirkung nicht gelang, wenn er mit den naturgetreuen Farben malte, bemerkte er bald die Notwendigkeit einer anderen Farbgestaltung. Deswegen begann er bald dem Versuch, mit übertriebenen Farben zu arbeiten, um die gewollte Wirkung zu erzielen.15 Und seine beiden provenzalischen Naturmotive dienten zur idealen Ausübung dieser farbbetonten Malweise: Die Ölbäume sorgten im Spiel von Licht und Wind, von Silber und Gold für ständige Wechsel, während die Zypressen für Konstanz in Form und Farbe sorgten.16 Die stark kontrastierenden Farben in „Zwei Zypressen“ springen so direkt ins Augen wie die strahlende südliche Sonne. Sie sind auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich, sogar unangenehm anzuschauen, aber zugleich atemberaubend und beeindruckend. Mit Hilfe des verblassten Hintergrundes wird das Hauptthema, hier die Zypressen, deutlich hervorgehoben. Noch verschärfter wird der Farbkontrast durch die kontrastreichen Formen im Bild. Die schmale, spitzige Form der dunklen Zypressen stehen ganz im Gegensatz zu den anderen rundlichen, weichen Formen, so dass der grundsätzliche Unterschied dieser beiden Bäume aufgrund des Formkontrasts noch hervorgehoben wird, obwohl alle Gegenstände ausnahmslos mit hochstilisierten Pinselstrichen ausgeführt wurden. Obwohl van Gogh sehr großen Wert auf das Kolorit legte, ging es ihm offensichtlich nicht darum, ein Bild zu malen, das sein Motiv in kräftigen Farben zeigte, sondern darum, der Farbe selbst im Bild eine autonome Kraft zu geben. Mit Hilfe der Farben konnte man Emotionen ausdrücken und den Gegenstand interpretieren. Die Farben wurden zu einem autonomen, emotionsgeladenen Ausdrucksmittel umgewandet, das von einem direkten Bezug zur wirklichen Welt entbunden ist. Sie 13 Vojtěch 1993, S. 657 14 Homburg 2001, S. 23-24 15 House 2001, S. 170 16 Költzsch 1990, S. 53 sollten nicht so eingesetzt werden, wie sie in der Natur erschienen, sondern übersteigert und zur Widerspiegelung einer emotionellen Intensität.17 Die Zypressen erscheinen wegen des Farbkontrasts wie ein dunkles, mächtiges Monument im Bild. Und die dunkelgrünen Zypressennadeln werden so von den charakteristischen, dynamischen Pinselstrichen gebildet, dass sie gegen dem blassen Himmel den Ausdruck schwarzer Flammen verleihen, wie der Kunstkritiker Albert Aurier van Goghs Zypressen in dem Artikel aus dem Jahr 1890 beschrieb, wo es heißt, dass „ihre alptraumhaften Silhouetten wie Flammen emporrecken, die schwarz scheinen.“18 Bleibt die übertriebene Farbe das wichtigste Kriteriums eines Bildes, gehört dennoch die vereinfachte Formensprache zu van Goghs Kunst, die die „Übertreibung des Wesentlichen“ beansprucht.19 Ferner ermöglichten die vereinfacht bemalten Gegenstände van Gogh, seine charakteristische, hochstilisierte Pinselführung durchzusetzen. Weil er nicht nach den naturgetreuen Details verlangte, sondern die gesamte Bildwirkung im Auge hatte, wurden die Formen nur grob von kräftigen, wirbelartigen Pinselstrichen gebildet, die van Gogh als Bestandteil seines eigenen Stils zu entwickeln suchte. Seine stilisierte Pinselführung verstärkt die Intensität des Bildes und unterstützt dabei den Bildeffekt, der zunächst durch das übertriebene Kolorit bestimmt ist. Trotz der genial genutzten Farbkontraste, wäre ein solcher Effekt der „schwarzen Flammen“ ohne die stilistische, intensive Pinselführung van Goghs undenkbar. Kurz gefasst, nicht nur die absichtlich übertriebenem Farben, sondern auch alle stilistischen Kriterien wie die Farbauftragstechnik oder Pinselführung wurden als Mittel des Ausdrucks benutzt, um die gewünschte Effekte im Bild zu erreichen, und gleichzeitig als die visuelle Verwirklichung der „Intensität des Gedankens.“ Sogar der wilde Mistral des Süden wird auch durch die stilisierte Pinselführung ins Bild umgesetzt. 3.4 Die metaphorische Dimension Zwei hohe, schmale Zypressen stehen mit schwingenden Nadeln im Wald, während hinter ihnen eine dicke Wolke rasch zusammen wölkt. Dem Bild wird durch die dynamische Pinselführung ein beweglicher Ausdruck verliehen, und dadurch wird wohl ein typischer, windiger Tag in der Provence angedeutet, an dem der wilde Mistral stürmisch durch die Gegend bläst. Zuerst wurde der Mistral einfach als praktisches Hindernis beim Malen von van Gogh gesehen. Aber bald begann er ihn in emotionsgeladenen Begriffen zu beschreiben. So stellte er fest, dass das Malen 17 Homburg 2001, S. 36 18 Aurier, Gustav-Albert: Les Isolés. Vincent van Gogh. Mercure de France, Jan. 1890, S. 24f., wieder abgedruckt in: ders., Textes critiques, 1889-1892. De l’Impressionnisme au symbolisme, Paris 1995, S. 68-70, sowie Költzsch 1990, S. 53 19 House 2001, S. 173 im Wind seinen Bildern ein spezielles, „wildes“ und „wüstes“ Aussehen verleihe.20 Zu der physischen Anstrengung, die ihm die klimatischen Verhältnisse des Südens auferlegten, kam van Gogh eigener hoher Anspruch, seinen Gemälden eine tief metaphorische Dimension zu verleihen. Für van Gogh diente die Natur als die wichtigste Grundlage der Malerei. Nach ihm soll man malen, was man direkt vor Augen hat, und nicht nach der Erinnerung, wovon Gauguin ihm immer wieder zu überzeugen versuchte.21 Jedoch wurde von ihm keine Wiedergabe der Natur geschaffen wie in der klassischen Landschaftsmalerei, obwohl er auch das direkte Studium der Außenwelt als Modell zum Malen nutzte. Stattdessen versuchte er mit seinen stilistischen Maltechniken in den Bildern „das Wesentliche zu übertreiben.“ Doch seine Auffassung des „Wesentlichen“ war unvermeidlich subjektiv und gründete sich oft auf Assoziationsketten, die persönlichen Charakter besaßen und seiner spezifischen Seh- und Denkweise entsprachen.22 Darüber hinaus ist die Form der südlichen Natur für van Gogh mit metaphorischen Bedeutungen und persönlichen Assoziationen unterlegt, obwohl die Zypressen und die Alpine, die als typisch provenzalischen Motive gelten, ins Bild gebracht wurden. Das Bild ist eine Synthese verschiedener, von dem Künstler ausgewählter Motive, die eine besondere, symbolische Bedeutung für ihn haben. Weiterhin fasste er die Farbe auch metaphorisch auf, im Sinne einer Analogie zwischen der Hitze und Härte, die der Süden für ihn besaß, und den Farbempfindungen, die diese Gegend in ihm auslöste, und hielt es nun aus diesem Grund für zulässig, Farbkontraste zu übertreiben.23 Die gesamte Komposition und Wirkung durch den Zusammenklang von Farben und Formen sind wichtiger als die äußerliche Form der provenzalischen Natur, auch wenn die Metapher des einzelnen Bildteiles sich nicht so eindeutig lesen lässt. Das ganze Bild ist ein gutüberlegter, durchkomponierter Zusammenklang aller bildlichen Elemente, mit der die gewollte Gesamtwirkung erreicht werden sollte. 4. Vergleichsbeispiele Ähnlich wie Vincent van Gogh war Cézanne24 sehr fasziniert von der südlichen Natur, und seine schnelle Arbeitsweise war auch vergleichbar mit der hektischen Arbeitsart van Goghs, obwohl die 20 An Theo van Gogh, Juni/Juli und August 1888, sowie an Emile Bernard, Ende Juni 1888, in: Schumann 1965, Bd. IV, Brief 512, S. 100, und Brief 518, S. 111 21 In Arles versuchte Gauguin van Gogh zu überzeugen, nicht nach der Natur, sondern nach der Erinnerung zu malen. Um ein modernes Werk zu schaffen, behaupte Gauguin, muss der Künstler nach der Erinnerung malen, so dass er eine Abstraktion der Natur schaffen würde und nicht deren Wiedergabe. Doch weil die geschaffte Wirkung auf diese Weise van Gogh nicht gelang, beschloss er, die Natur als Grundlage seiner Arbeit zu nehmen. Siehe: Homburg 2001, S. 40 22 House 2001, S. 173 23 House 2001, S. 170 beiden abgesehen vom ähnlichen Streben nach Einzigartigkeit sehr unterschiedlichen Richtung einschlugen. Aus diesem Grund werden drei Gemälde Cézannes, die in dem gleichen Zeitraum wie van Goghs „Zwei Zypressen“ entstanden sind, als Vergleichsbeispiele ausgewählt, um die Modernität der Kunst van Goghs durch den Vergleich mit seinem Zeitgenossen noch deutlicher aufzudecken. Im Cézannes „Haus mit rotem Dach,“25 entstanden um 1887/90, sieht man am Ende eines steinigen Weges ein weißes Haus mit rotem Dach, das umrahmt und halb bedeckt von den Bäumen scheint. Der kleine Weg im Vordergrund, der den Blick des Betrachters nach oben zum Haus führt, biegt nach links ab und verschwindet hinter einer Reihe von Bäumen, die am linken Wegrand stehen und dient als die radikale Abschließung der linken Bildhälfte. Wie in van Goghs „Zypressen“ werden wegen der strahlenden südlichen Sonne alle hellen Partien, außer das absichtlich grell gehaltene rote Dach, stark verblasst. Aber anderes als van Goghs übertriebene Farben gibt es in diesem Bild Cézannes noch viele mittleren Farbstufen, so dass das Bild Cézannes insgesamt recht hell und ruhig bleibt. Auch anderes als die emotionsgeladenen Farbkontraste in van Goghs Bild, wird der Effekt der Farbkontraste bei Cézanne von den mittleren Farbstufen dazwischen entschärft, welche eher nur zur Stabilisierung der Bildkomposition dienen. Der in den einzelnen Motivbereichen parallel eingefügte Pinselduktus wirkt systematisch und verstärkt dabei die ruhige Bilderscheinung,26 ganz im Gegenteil zu dem metaphorisch eingesetzten, expressiven Pinselduktus bei van Goghs „Zwei Zypressen.“ Außerdem spielt die natürliche Licht- und Schattenführung noch eine gewisse Rolle in diesem Bild von Cézanne, die charakteristisch für die impressionistische Malerei ist. Das Bild „Haus mit rotem Dach“ zeigt eine ruhige, südliche Landschaft, die eher noch impressionistisch erschneit, obwohl Cézannes systematische Pinselführung und die Komposition schon die Tendenz zur Stabilisierung und Zeitlosigkeit zeigt, während bei van Goghs „Zypressen“ die Metapher durch die Farben und Formen eine wichtigere Rolle als die Wiedergabe der Natur spielt. Auch bei Cézannes „Waldstück,“27 in dem ein paar dunkle Bäume auf einem durchsonnten Hügel stehen und ihre Zweige ausstrecken, ist der impressionistische Charakter noch deutlich spürbar. Dieses Bild wurde schnell mit schmalen, parallelen Pinselstrichen gemalt, die das Spiel von Licht und Schatten unterstützten, wie üblich in der impressionistischen Malerei. 24 Paul Cézanne (1839-1906), fran. Maler, Jugendfreund von E. Zola. Cézanne befand sich ab 1861/62 in Paris im Kreis der künftigen Impressionisten, mit den er 1874 und 1877 ausstellte. Um 1880 erreichte seine Kunst ihre Reife und folgte die weiteren Entwicklungen, die wichtige Bedeutung für die moderne Kunst sind. Er lebte seit 1881 in Zurückgezogenheit vorwiegend in Aix-de-Preovence. Siehe: Cézanne, in: Lexikon der Kunst, Bd. 1, Leipzig 2004, S. 794-795 25 Paul Cézanne, Haus mit rotem Dach, Öl auf Leinwand, 70 cm x 92 cm, 1887/1890, Privatsammlung, siehe: Abbildung 3 26 Adriani, Götz: Paul Cézanne, München 2006, S.40 27 Paul Cézanne, Waldstück, Öl auf Leinwand, 72 cm x 79 cm, 1890/1892, Washington, Collection White House, siehe: Abbildung 4 Schließlich wird das Bild „der Taubenschlag in Bellevue“28 Cézannes als Vergleichsbeispiel genommen: Mitten im Bild steht ein turmartiger, grauer Taubenschlag auf der flachen Erde. Nur um ihn herum wachsen grünes Gras, Büsche und noch einige dunkelgrüne Kiefern. Sonst bleibt der restliche, ockerfarbige Erdteil kahl. Rechts vom Taubenschlag, bedeckt von den Bäumen, sind noch ein paar architektonische Elemente vage zu erkennen. Der Taubenschlag gilt in der abendländischen Tradition auch als typisches Motiv der Provence, und tauchte beispielsweise oft in den Grafiken auf als Signifikant des Südens.29 Doch hier schuf Cézanne mit der neuen Behandlung eine neue Interpretation eines alten Themas, wie van Goghs neue Formulierung der Zypressen. Und durch seinen geordneten Pinselduktus und die schlichte Bildkomposition ist die Tendenz zur Geometrisierung und Stabilisierung deutlicher als beim „Haus mit rotem Dach.“ In diesem Bild sind die impressionistischen Einflüsse schon etwas mehr zurückgetreten als in den oben genannten Beispielen Cézannes. Allerdings werden die Farben in diesem Bild sehr zurückgenommen und stark verblasst, so dass das Bild einerseits nüchtern und stabil bleibt, aber andererseits den südlichen Charakter aufgrund der trüben Farbgebung verliert. Zugleich sind alle Gegenstände so verhaftet in ihren vereinfachten, vom Pinselduktus stabilisierten Gebilden, dass diese Landschaft einem starren, unlebendigen Ausdruck verhaftet bleibt. Da die beiden Künstler nach dem einzigartigen Avantgardestil strebten, bemühten sie sich, die impressionistischen Einflüsse hinter sich zu lassen und versuchten eigenen Stil zu schaffen. Nur wurde das gemeinsame Streben nach der eigenen Modernität mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Entwicklungslinien vollzogen. Obwohl die beiden großen Wert auf Farben und Formen legten, war van Gogh die Metapher, die durch den Zusammenklang der Farben und Formen zum Ausdruck gebracht werden sollte, wichtiger als die äußere Erscheinung, während Cézanne sich der Tendenz zur Unerschütterlichkeit der strukturellen Zusammenhänge widmete.30 Doch wenn man es nur unter dem Aspekt des Herausspringens aus dem Impressionismus betrachtet, beweisen die ausgewählten Beispiele der beiden Künstlern, dass van Gogh mit den „Zwei Zypressen“ den Impressionisten schon den Rücken kehrte und seinen speziellen Wege ging, während Cézanne zu der gleichen Zeit seine eigene Richtung zwar auch schon fand, jedoch noch einigermaßen verhaftet in den impressionistischen Einflüssen war. 28 Paul Cézanne, Der Taubenschlag in Bellevue, Öl auf Leinwand, 64 cm x 80 cm, 1889/1890, Cleveland(Ohio), The Cleveland Museum of Art, siehe: Abbildung 5 29 Athanassoglou-Kallmyer, Nina Maria: Cézanne and Provence. The Painter in His Culture, Chicago 2003, S. 130-131 30 Adriani 2006, S. 38 5. Schlussbetrachtung Zurück zum Bild „Zwei Zypressen.“ Es ist ein gut überlegtes, mit voller Absicht komponiertes Bild, bei dem jedes der Bildelemente der gewünschten Bildwirkung dient. Van Gogh legte in diesem Bild großen Wert auf die stilistischen Kriterien, besonders auf die Farben, Formen, und die stilisierte Pinselführung, wobei alles dies als emotionsgeladene Ausdrucksträger genutzt wurde, um die verborgenen Metaphern auszudrücken. Van Gogh nahm die Zypressen als sein eigenes Thema für die Provence und präsentierte es auf eine sehr subjektiven Weise. In dem Aufsatz Auriers wird die Subjektivität von van Goghs Sehweise betont, „seine große Liebe zur Natur und zum Wahren—zu dem, was für ihn das Wahre ist.“ Aurier betonte auch, dass sich hinter van Goghs Malweise mehr verbirgt, „In fast allen seinen Bildern liegt [...] ein Gedanke, eine Idee, und diese Idee, die Wesensgrundlage des Werkes, ist seine wirkende Ursache und sein Endzweck zugleich. Die strahlenden, leuchtenden Symphonien seiner Farben und Linien—wie wichtig sie auch für den Maler sein mögen—sind in seiner Arbeit weiter nichts als einfache Mittel des Ausdrucks, einfache Verfahren der sinnbildlichen Darstellungen.“31 Van Gogh wählte die Motive aus, die wichtige Bedeutungen für ihn haben, und komponierte dieses Bild mit vereinfachten Formen und übertriebenen Farben zur einer relativ duschsichtigen Komposition, zu einer Synthese verschiedener Symbolik. Doch hinter der oberflächlichen Symbolik verbirgt sich in jedem Bildelement, in jedem Ausdruck im Bild eine metaphorische Dimension, die eben höchst persönlich und wichtiger als die oberflächliche Symbolik und die äußere Form ist. 31 Aurier 1890, S. 68-70, sowie House 2001, S. 178 6. Literaturverzeichnis: 1. Adriani, Götz: Paul Cézanne, München 2006 2. Athanassoglou-Kallmyer, Nina Maria: Cézanne and Provence. The Painter in His Culture, Chicago 2003 3. Elderfield, John(Hg.): Das MoMA in Berlin. Meisterwerke aus dem Museum of Modern Art, New York, Ostfildern-Ruit 2004 4. Homburg, Cornelia: Vincent van Goghs Avantgardestrategie, in: Homburg, Cornelia(Hg.): Vincent van Gogh und die Maler des petit Boulevard, Ostfildern-Ruit 2001, S. 23-58 5. House, John: Auf dem Weg zu einer modernen Landschaftsmalerei, in: Homburg, Cornelia(Hg.): Vincent van Gogh und die Maler des petit Boulevard, Ostfildern-Ruit 2001, S. 161-199 6. Költzsch, Georg-W. und Ronald de Leeuw(Hg.): Vincent van Gogh und die Moderne (Ausstellungskatalog Museum Folkwang Essen, Van Gogh Museum Amsterdam), Essen 1990 7. Maurer, Naomi E.: Ground between the Millstones. St.-Rémy, May 1889-May 1890, in: Maurer, Naomi E.: The Pursuit of Spiritual Wisdom. The Thought and Art of Vincent van Gogh and Paul Gauguin, Kranj 1998, S. 89-106 8. Pickvance, Ronald: Van Gogh in Saint-Rémy and Auvers (Ausstellungskatalog The Metropolitan Museum of Art, New York), New York, 1986 9. Vojtěch, Jirat-Wasintyński: Vincent van Gogh’s Paintings of Olive Trees and Cypresses from St.-Rèmy, in: The Art Bulletin LXXV, 4, Dezember 1993, S. 647-670 7. Abbildungen 3. Paul Cézanne, Haus mit rotem Dach, Öl auf Leinwand, 70 cm x 92 cm, 1887/1890, Privatsammlung 1. Vincent Van Gogh, Zwei Zypressen, Öl auf Leinwand, 93,4 cm x 74 cm, Juni 1889, New York, Metropolitan Museum of Art 4. Paul Cézanne, Waldstück, Öl auf Leinwand, 72 cm x 79 cm, 1890/1892, Washington, Collection White House 2. Vincent Van Gogh, Die Sternennacht, Öl auf Leinwand, 73,7cm x 92,1cm, 1889, New York, Museum of Modern Art 6. Paul Cézanne, Der Taubenschlag in Bellevue, Öl auf Leinwand, 64 cm x 80 cm, 1889/1890, Cleveland(Ohio), The Cleveland Museum of Art Ludwig-Maximilians-Universität 10. 05. 2007 Institut für Kunstgeschichte SoSe 2007 Hauptseminar: Vincent van Gogh und die Tradition des 20. Jahrhunderts bis hin zu Gerhard Richter und Joseph Beuys Dozent: Professor Dr. Rainer Crone, Professor Dr. Martin Faessler Referentin: Liao, I-Ting Vincent van Gogh, Zwei Zypressen, 1889 1. Biographie Vincent van Goghs: - - - - Am 30. März, 1853 wurde Vincent Willem van Gogh(1853-1890) in der niederländischen Kleinstadt Groot-Zundert in Brabant geboren. Er ist das älteste Kind von Theodorus van Gogh(1822-1885), Pastor der holländischen-reformierten Gemeinde, und Anna Corelia Carbentus(1819-1907). Im Jahr 1857 wurde Theodorus(1857-1891), Vincents Lieblingsbruder und sein lebenslanger Unterstützer, geboren. Arbeit nach seiner Schulzeit in die Kunsthandlung Goupil & Cie., zunächst in Den Haag, danach in London, und schließlich für kurze Zeit in Paris. Neigung zur Religion und seine vergeblichen Versuche, Theologe oder Laienprediger zu werden. August 1879, in Cuesmes gelandet, wo er die Bergarbeiter zeichnete. Es muss etwa um diese Zeit sein, dass er beschloss, Künstler zu werden. Die holländische Periode: anatomisches und perspektivisches Studium in Brüssel; Zugang zur Aquarell- und Ölmalerei. Seine Platte blieb zunächst jedoch betrübt. Ab Anfang 1886 Aufenthalt in Paris. Teilnahme am Zeichenunterricht im Atelier des Akademieprofessors Fernand Cormon. Bei Cormon lernte er bald viele jungen Künstler wie Toulouse-Lautrec und Bernard kennen. Und durch Theo fand Vincent eben Zugang zum Impressionismus und den wichtigsten Vertretern. 1886, in Paris bemühte er sich, seine Platte aufzuhellen, und begann bald, neue Vorgehensweisen zu erproben. Er experimentierte mit den impressionistischen Pinselstrich und neuen Malweise wie Pointillismus und brachte seine Kenntnisse im Bereich der Farblehre auf den neuesten Stand. Umzug im Februar 1888 nach Arles Begeisterung für das Licht des Südens, und er steigerte sich in einen beispiellosen Arbeitsrausch hinein. Es war Vincents fruchtbarste Schaffensperiode mit der Entstehung seiner heute berühmtesten Bilder, z. B. im August die Serie der Sonnenblumen. - Im Oktober 1888 kam Gauguin nach Arles zum Besuch, aber es folgte jedoch hektische Diskussionen und Streits zwischen den beiden. Schließlich kam der entgültige Bruch nach einem heftigen Streit am 23. Dezember. Vincent schnitt seine rechte Ohr ab und gab sie einer Prostituierten in einem Taschentuch. Von dieser Frau alarmiert, fand die Polizei Vincent blutend und bewusstlos im Bett und veranlasste seine Einlieferung in das örtliche Krankenhaus. - Nach der Behandlung verließ Vincent Arles im Mai, 1889, um sich in die Nervenheilanstalt St.-Paul-de-Mausole in St.-Rémy-de-Provence zu begeben. - In St.-Rémy malte er eine Reihe von Gemälde, mit der für Provence charakteristischen Motiven wie Olivenbäume und Zypressen. Jedoch litt er immer wieder unter den wiederholten Anfällen. Zu dieser Zeit bekam die Kunst Vincent van Goghs langsam 2. auf dem Markt die Aufmerksamkeit. Über Paris reiste Vincent im Mai 1890 nach Auvers-sur-Oise, um die Behandlung von Dr. Paul Gachet zu bekommen. Am 29. Juli 1890 starb Vincent van Gogh wegen des Selbstmords mit einer Pistole. Bildbeschreibung: Vincent Van Gogh, "Zwei Zypressen", Gemälde Öl auf Leinwand, 95 cm x 73 cm, Juni 1889, Metropolitan Museum of Art in New York Auf dem linken Bildfeld stehen zwei Zypressen eng zueinander im grasbewachsenen Wald, während hinter denen die Berge in der Ferne zu betrachten sind. Die vordere Zypresse steht leicht links von der Mitteachse und streckt sich über den oberen Bildrand hinaus. Die hintere Zypresse wird zum großen Teil von der vorderen bedeckt und ist nur ein kleiner Teil von ihrer linken Seite zu sehen. Der Horizont im Bild liegt niedrig, so dass der Himmel im Vergleich zu der Erde überragend großen Raum besitzt. Rechts oben im Bild hängt eine schmale Mondsichel schräg an dem wolkigen Himmel. Die Wolken an dem bleichblauen Himmel wurden von leichten Rosafarben gefärbt. Zusammen mit der gelben Mondsichel deuten die rosafarbigen Wolken wohl einen frühabendlichen Himmel an. Die dunkelgrünen, hohen Bäume im gelbgrünen Wald wirken im Gegensatz zu der stark verblassten blauen Farbe des Himmels noch dunkeler und mächtiger. Ferner verleihen die aus energisch schwingenden Pinselstrich gebildeten Nadeln der Zypressen einen flammenartigen Eindruck, als ob sie von heftigem Wind geweht werden. Nicht nur die beiden Zypressen, sondern auch das hochgewachsene Gras und der wolkige Himmel werden aus hektisch geschlungenen Pinselstrich gebildet, mit den sich eine dynamische, pulsierende Wirkung gelingt. Die Farbe werden dick auf die Leinwand aufgetragen, so dass sich den Pinselduktus klar erkennen lässt, und auch so dass die Pinselführung nachvollziehbar scheint. Der kräftige Pinselduktus verstärkt zweifellos den beweglichen, dynamischen Eindruck des Bildes. Das Bild wird nicht detailliert gemalt, und verleiht dadurch einen groben Eindruck, obwohl alle Gegenstände sich noch zu benennen lässt. 3. Bildanalyse - Im Juni 1889 in St-Rèmy-de-Provence entstanden Zypressen, Olivenbäume sind nach van Gogh die charakteristischen Motive von Provence, und sie werden von ihm als „eigene“ Themen begriffen. → Van Gogh assoziiert die Zypressen mit dem ägyptischen Obelisk. So beschreibt er die Zypressen: „In den Linien und in den Proportionen sind sie schön wie ein ägyptischer Obelisk. Und das Grün ist van so vornehmer Art. Es ist der schwarz Fleck in der durchsonnten Landschaft, doch ist es einer der interessantesten und am schwersten zu treffenden schwarzen Töne, den ich mir vorstellen kann. Denn man muss sie hier gegen das Blau sehen, besser gesagt im Blau.“32 → In der abendländischen Tradition assoziiert man die Zypressen mit dem Tod und der Gottheit der Unterwelt, aber gleichzeitig werden sie wegen ihren langen Lebens und ihrer Fruchtbarkeit auch als Symbol der Unsterblichkeit gesehen. Van Goghs Assoziation der Zypressen mit der ägyptischen Obelisken ist nicht nur wegen der formalen Ähnlichkeit, sondern auch wegen der funktionellen Assoziation, dass die Obelisken die Verbindung zwischen den himmlischen und irdischen Bereich, sowie die Verbindung mit der Sonne darstellen. → Den dunkelgrünen, fast „schwarzen“ Ton der Zypressen assoziiert van Gogh wahrscheinlich auch mit dem finsteren Tod im Gegensatz zu der Sonnenblume, deren grelle Farben sich er an die südliche Sonne und die Lebenskraft erinnert. Die dunkeln Zypressen strecken mit Energie himmelwärts hinauf und kündigen das Jenseitsleben an. 32 Vincent an Theo van Gogh, 25. Juni 1889, in: VG, Bd. IV, Brief 596, S. 293 - Der starker Farbkontrast im Bild entspricht einerseits die Provencenischen Natur unter des starken, blendenden Sonnenlichtes; verstärkt andererseits auch die visuelle Wirkung. → Um die gewollte Bildwirkung zu erreichen, muss man mit übertriebenen Farben arbeiten. Aber es ging ihm offensichtlich nicht darum, ein Bild zu malen, dass sein Motiv in kräftigen Farben zeigte, sondern darum, die Farbe selbst im Bild eine autonome Kraft zu geben. Mit Hilfe der Farbe könnte man den Gegenstand interpretieren und Emotionen ausdrücken. Die Farbe wird zu einem autonomen, emotionsgeladenen Ausdrucksmittel, das von einem direkten Bezug zur wirklichen Welt entbunden ist. → Außer dem grellen Farbkontrast stellt in diesem Bild der hellblaue Himmel und die Mondsichel, hier ein Neumond, eine kontrastierende Symbolik. Der Himmel und der aufsteigende Neumond erinnert man sich an den himmlischen Reich nach dem Tod und dessen Trost. Der Neumond kennzeichnet auch einen Neuanfang des ewigen Zyklussees. - Sogar der wilde Mistral wird durch die geschlungenen Pinselstrich im Bild angedeutet. D.h. außer den Farben wird Farbspur, Pinselduktus auch als Mittel des Ausdrucks genutzt, als die visuelle Verwirklichung der „Intensität des Gedankens“. → Die physische Erfahrung des Südens erhält bei ihm eine metaphorische Dimension. Z.B. Der Mistral wird zunächst einfach als praktisches Hindernis beim Malen gesehen. Aber bald beginnt er ihn in emotionsgeladenen Begriffen zu beschreiben. Darüber hinaus stellt er fest, dass das Malen im Wind seinen Bildern ein spezielles, „wildes“ und „wüstes“ Aussehen verleihe.33 → Seine einzelartige Technik des Farbauftrags und die stilisierte Pinselstrich werden ihm als Anerkennungsfaktoren seiner eigenen Kunst benutzt, wobei das Streben nach der 33 An Theo van Gogh, Juni/Juli und August 1888, sowie an Emile Bernard, Ende Juni 1888, in: VG, Bd. IV, Brief 512, S. 100, und Brief 518, S. 111 Einzelartigkeit ein zeitliches Phänomen in der Kunst entspricht. - Die Natur dient ihm als die Grundlage der Malerei, aber es wird keine Wiedergabe der Natur geschafft, sondern „die Übertreibung des Wesentlichen.“ → Natur als Modell zum Malen, keine „Abstraktion“ (Hier das Wort „Abstraktion“ wird von van Gogh als Kritik auf Gauguins Behauptung benutzt, dass man nicht in der Natur, sondern aus der Erinnerung oder Fantasie malen soll.) → Die Form der südlichen Natur ist ihm die metaphorischen Bedeutungen und persönliche Assoziationen unterlegt. Dieses Bild ist eine Synthese verschiedenen, von dem Künstler ausgewählten Motive, die besonderen, symbolischen Bedeutungen für ihn haben. → Die Farbwirkung und gesamte Komposition ist wichtiger als die äußerliche Form. Das Bild ist ein gutüberlegter, durchkomponierter Zusammenklang aller bildlichen Elementen, um die gewollte Wirkung zu erreichen. - Die Kunst van Goghs entspringt eindeutlich einer individuellen, sehr markanten persönlichen Sicht; doch zugleich ist sie offensichtlich bestrebt, über die oberflächliche, visuelle Erscheinung hinauszugehen. In dem Aufsatz Auriers, der im Jahr 1890 veröffentlicht worden ist, wird die Subjektivität von van Goghs Sehweise betont, „seine große Liebe zur Natur und zum Wahren—zu dem, was für ihn das Wahre ist.“ Und er betont auch, dass sich hinter van Goghs Malweise mehr verbirgt, „Er ist fast immer Symbolist. [...] ein Symbolist, der die stete Notwendigkeit fühlt, seine Vorstellung von genauen, wägbaren, greifbaren Formen mit intensiv fleischlichen, materiellen Hülle zu umkleiden. In fast allen seinen Bildern liegt [...] ein Gedanke, eine Idee, und diese Idee, die Wesensgrundlage des Werkes, ist seine wirkende Ursache und sein Endzweck zugleich. Die strahlenden, leuchtenden Symphonien seiner Farben und Linien—wie wichtig sie auch für den Maler sein mögen—sind in seiner Arbeit weiter nichts als einfache Mittel des Ausdrucks, einfache Verfahren der sinnbildlichen Darstellung.“34 4. 34 Vergleichsbeispiele Aurier, Albert: Les Isolés. Vincent van Gogh, in: Mercure de France, Januar 1890, wieder abgedruckt in: ders., Textes critiques, 1889-1892. De l’Impressionnisme au symbolisme, Paris 1995, S. 68-70 - Paul Cézanne (1839-1906) · Paul Cézanne, Paul, Haus mit rotem Dach, Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm, 1887/1890, Privatsammlung · Paul Cézanne, Der Taubenschlag in Bellevue, Öl auf Leinwand, 64 x 80 cm, 1889/1890, Cleveland (Ohio), The Cleveland Museum of Art, · Paul Cézanne, Waldstück, Öl auf Leinwand, 72 x 92 cm, 1890/1892, Washington (District of Columbia), Collection White House - Ruhige, impressionistische Landschaft, dass die Lichtführung eine wichtige Rolle im Bild spielt Tendenz zur Geometrisierung bzw. das Streben nach der Zeitlosigkeit schon vorhandeln, aber impressionistische Einflüsse immer noch spürbar - - - Auch das Streben nach der Einzelartigkeit, nur in einer unterschiedlichen Art und Weise Piet Mondrian (1872-1944) · Piet Mondrian, Avond (Evening); Red Tree, Öl auf Leinwand, 70 x 99 cm, 1908, The Hag, Haags Gemeentemuseum, · Piet Mondrian, Gray Tree, Öl auf Leinwand, 78.5 x 107.5 cm, 1911, The Hague, Haags Gemeentemuseum · Piet Mondrian, Blühender Apfelbaum, Öl auf Leinwand, 1912, Den Haag, Gemeentemuseum · Piet Mondrian, Composition A: Composition with Black, Red, Gray, Yellow, and Blue, Öl auf Leinwand, 91.5 x 92 cm, 1920, Rom, Galleria Nazionale d'Arte Moderna e Contemporanea - Beeinflusst von van Goghs Kunst wegen seiner niederländischen Herkunft - Auch für ihn ist die Natur die Grundlage der Malerei, aber sie wird eben mit metaphorischen Bedeutungen ins Bild umgesetzt. Von der Naturstudien hinzu Abstraktion der Natur, und schließlich entwickelt er sich - seine Kunst zu reiner Komposition der Farben, Formen und Linien 5. Literaturverzeichnis: - Vojtěch, Jirat-Wasintyński: Vincent van Gogh’s Paintings of Olive Trees and Cypresses from St.-Rèmy, in: The Art Bulletin LXXV, 4, Dezember 1993, S. 647-670 - Homburg, Cornelia: Vincent van Goghs Avantgardestrategie, in: Homburg, Cornelia(Hg.): Vincent van Gogh und die Maler des petit Boulevard, Ostfildern-Ruit 2001, S. 23-58 - House, John: Auf dem Weg zu einer modernen Landschaftsmalerei, in: Homburg, Cornelia(Hg.): Vincent van Gogh und die Maler des petit Boulevard, Ostfildern-Ruit 2001, S. 161-199 - Költzsch, Georg-W. und Ronald de Leeuw(Hg.): Vincent van Gogh und die Moderne (Ausstellungskatalog Museum Folkwang Essen, Van Gogh Museum Amsterdam), Essen 1990 - Maurer, Naomi E.: Ground between the Millstones. St.-Rémy, May 1889-May 1890, in: Maurer, Naomi E.: The Pursuit of Spiritual Wisdom. The Thought and Art of Vincent van Gogh and Paul Gauguin, Kranj 1998