1 Sabine Vogt Agnetha - Musik und Gender im internet

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1 Sabine Vogt Agnetha - Musik und Gender im internet
Sabine Vogt
Agnetha − eine Frauenfigur der schwedischen Popgruppe ABBA unter
musiksoziologischer Betrachtung.
Erstveröffentlichung in: Rebecca Grotjahn und Freia Hoffmann (Hg.),
Geschlechterpolaritäten in der Musikgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. (= Beiträge zur
Kultur- und Sozialgeschichte der Musik, Band 3, hg. von Eva Rieger), Herbholzheim, 2002,
S. 267-277.
1. Die schwedische Popgruppe ABBA mit ihren beiden Frontwomen Agnetha Fältskog und
Anni-Frid Lyngstad und den beiden Musikern Björn Ulvaeus und Benny Anderson ist zu
einem eingängigen Begriff geworden. Jeder kennt sie, (fast) jeder weiß es: Die internationale
Musikindustrie feiert ABBA nach wie vor als eine der erfolgreichsten Popgruppen aus den
1970er Jahren. In meiner Magisterarbeit habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, wie
vor allem die weiblichen ABBA-Figuren audiovisuell dargestellt, wie sie durch Bild, Musik
und Sprache konstruiert und lebendig werden − sowohl in den unterschiedlichsten Medien,
als auch im Reich der individuellen Fantasie. Rezeptionsanalyse verstehe ich in diesem
Zusammenhang als eine Verhandlungssache, als eine Sinnbastelei in einem wechselseitigen
Konstruktionsprozeß von medialer Repräsentation und Selbstpräsentation: Die eine Seite ist
das mediale Angebot im Prozeß der kulturellen Bedeutungsproduktion, die andere ist die der
RezipientInnen, die sich ihre Meinung vor dem Kontext ihrer eigenen Erlebnisperspektive,
den alltäglichen Nutzungs- und Interpretationsweisen bilden.1
Freilich birgt dieser Analyseansatz eine große Bandbreite von Möglichkeiten der
Dekonstruktion − unterschiedlich nach kognitiver Offenheit, emotionalem Involvement und
der Bereitschaft zur Selbstreflexion. Mein Votum für eine offen subjektive, vor allem sinnlich
erfahrbare Analyse setzt auf unser doch all zu oft verdrängtes emotionales Wissen, das bei
jeder und bei jedem von uns variiert in Abhängigkeit vom Herkommen und dem Ort der
gegenwärtigen Lebensphase, abhängt von der ethnischen und geschlechtlichen Zugehörigkeit,
dem konkreten Bildungsgrad und der bereits erfahrenen Lebensgeschichte, und − nicht zu
vergessen − abhängt auch von unserem jeweiligen Alltagskontext, in den wir die Funktionen
von Musik und Medien für uns selbst individuell einbetten.
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1
Im Kontext der angloamerikanischen Cultural Studies hat die Auffassung von Medienrezeption als eine
Verhandlung von Bedeutung (“negotiation of meaning”) durch aktive Zuschauer eine lange Tradition, die auf
den klassischen Aufsatz von Stuart Hall zurückgeht. Vgl. Stuart Hall: Encoding/Decoding, in: Culture, Media,
Language. Working Papers in Cultural Studies, 1972-1979, hrsg. von Stuart Hall u. a., London 1980, S. 128138
Es geht mir im folgenden darum zu zeigen, wie ich ABBA durch meinen sinnlichen
Zugang in meine Erlebniswelt transformiere und nach außen widerspiegele. Freilich kann ich
keine repräsentativen empirischen Untersuchungsergebnisse anbieten. Was ich zeigen
möchte, sind vielmehr Erklärungsvorschläge, die meiner eigenen Fantasie an der Schwelle
zwischen Fiktion und Wirklichkeit entspringen.2
2. Ich bezeichne ABBA gern auch als “quadrierte Vorbild-Konsumfamilie”, denn Anni-Frid
Lyngstad und Benny Andersson waren im “wirklichen” Leben ebenso Lebenspartner wie
Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus. Das ABBA-Logo steht gleichsam für die
Repräsentation eines modernen, “sauberen” Konsummärchens von zwei netten, jungen,
singenden Lebenspaaren, die auf ihren Alben und in ihren Filmclips seifenbunt-rührige Songs
im altbewährten Erzählmuster “gute Zeiten − schlechte Zeiten” (re)produzieren. Dabei knüpft
die Geschichte eines ABBA-Songs irgend wie immer an die Geschichte eines anderen Songs
an, kommentiert diese Geschichte durch neue Kontexte und so weiter und so fort ... bis
schließlich eine bis ins Unendliche ausdehnungsfähige fiktive Arena voll an hörbaren und
sichtbaren Erscheinungsbildern gewoben ist.3
Aber erst durch die Darstellung dieser Songgeschichten in den einzelnen Filmclips
bekommen ABBAs musikalische und visuelle Images so richtig Fleisch auf die Rippen. Man
sieht die Liebe und den Schmerz zweier Lebenspaare in der vermeintlichen Wirklichkeit, die
im Lauf des internationalen Siegeszuges ABBAs erst heiraten, Kinder bekommen und sich
dann wieder scheiden lassen. Und man hört sie in der klanglichen und visuellen
Figurenkonstellation von Agnetha, Frida, Björn und Benny auf ABBAs Alben und in ABBAs
Filmclips.4
ABBAs Faszination wird also durch unsere eigene Neugierde bestimmt: Welche ABBAFigur singt? Wer guckt wann in welcher Situation mit welcher Aussage scheinbar direkt für
uns in die Kamera? Welcher (vermeintliche) Kontext liegt der Songgeschichte zugrunde? In
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2
Da es zum Thema ABBA − anders übrigens als im Fall der Popikone Madonna − bislang kaum
wissenschaftliche Literatur gibt, mußte ich zunächst eine kritische Auswertung einschlägiger Bücher, Fanzines
und Reportagen von Musikjournalisten vornehmen, um mir mein eigenes Bild von dieser Gruppe zu machen.
Diese Texte sind voll von in ihrer Autorschaft kaum nachprüfbaren Selbstaussagen. Hier liegt die Gefahr, daß
sie dem Image ABBAs eher zuliefern, als es kritisch zu hinterfragen, weil sie Sachverhalte zwar nicht
verfälschen, doch immerhin einseitig darstellen.
Vgl. hierzu auch meinen Artikel The Girl With The Golden Hair. ABBAcadabra: Gedanken über ein “MiniMusical” der schwedischen Popgruppe ABBA, in: Tagungsband zur Tagung “Musik und Urbanität” der
Fachgruppe für Soziologie und Sozialgeschichte der Musik in der Gesellschaft für Musikforschung in
Verbindung mit der Akademie Schmöckwitz vom 26.11.-28.11.1999 (in Vorbereitung)
Ich bezeichne im folgenden die vier ABBA-Figuren nur mit ihren Vornamen und schreibe sie kursiv, um sie
von ABBAs Musikerpersonen unterscheidbar zu machen.
welchem Verhältnis stehen die Figuren zueinander in Beziehung? Und wie paßt sich
schließlich all das – der Diskurs in den Songgeschichten, der Stil der Kleidung, die Pose auf
dem Foto oder im Film – in die fiktionale ABBA-Biografie ein? All das ist mehr als
beeindruckend. ABBAs Image repräsentiert echte soziale Situationen! Und wir schauen nicht
nur zu, sondern sitzen sozusagen mittendrin.
Der Rezeptionsmechanismus, der sich hier offenbart, ist gar nicht so kompliziert: In den
bilderbunten ABBA-Songs bewegen sich zweifelsohne nicht die tatsächlichen Personen,
sondern ausschließlich Medienfiguren auf ihrer “Laufbahn” von einem Karrierepunkt zum
nächsten Desaster. Besonders die als "rot" und "blond" typisierten Frauenfiguren
funktionieren, indem der Körper der realen Personen hinter ihnen als inneres wie äußeres
Kommunikationsmedium mit uns als den Mediennutzern dient. Das beeinflußt in
entscheidendem Maße unser Fühlen und Denken als RezipientInnen. Ja es scheint, als ob
unsere Wahrnehmung der abgebildeten Personen sich im Grunde kaum von der realer
Personen unterscheidet.5
Bei dieser Art unserer Personenwahrnehmung handelt es sich freilich um eine
“parasoziale” Interaktionsform, weil sie innerhalb unserer Alltagswelt nicht als unmittelbare,
zweiseitige Face-to-Face-Kommunikation auftritt, sondern eine mittelbare, einseitige
Kommunikation mit den ABBA-Figuren aus der Medienwelt bleibt, die sich damit ohne
Frage einzig auf der Seite der Mediennutzer abspielt.6 Hier kann man sich in langen,
fantasievollen Reflexionen über alles ergehen, was man von und über ABBA zu wissen
meint. Und weil viele von uns durch das Verfolgen der verschiedensten Arten medialer
Seifenopern diesen Rezeptionsmechanismus mehr oder minder perfekt beherrschen, gibt die
Fülle an Identifikationspunkten im audiovisuellen ABBA-Image zweifelsohne für jede und
jeden die passenden Allusionen vor, d. h. Anspielungen auf Worte und Geschehnisse, die
Erlebnisse und Erinnerungen in der eigenen Vergangenheit wachrufen. ABBAs Figuren
funktionieren mithin als vorbildhafte Projektionsfläche, an der sich unser ganz individuelles
Interesse am eigenen Selbst und unserer Befindlichkeit gegenüber der Umwelt im Bezug auf
die Konstruktion eines fremden Anderen reflektiert. Somit können die ABBA-Figuren in uns
5
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3
Der Medienwissenschaftler Hans Wulff spricht daher von sogenannten “Parapersonen”, weil “das, was
zwischen abgebildeten Personen und uns geschieht, dem ähnelt, was sich im täglichen Leben zwischen uns
und realen Personen ereignet − und sich zugleich fundamental von jenem unterscheidet, bedingt durch die
Medialität des Geschehens ebenso wie durch den kommunikativen Rahmen, der es umgreift.” Vgl. Hans J.
Wulff: Charaktersynthese und Paraperson. Das Rollenverhältnis der gespielten Fiktion, in: Fernsehen als
“Beziehungskiste”, hrsg. von Peter Vorderer, Opladen 1996, S. 29-52
Die systematische Analyse der Prozesse der Personenwahrnehmung und -beziehungen im Umgang mit
Medien wurde durch die amerikanischen Psychologen Donald Horton und Richard Wohl begründet. Vgl.
ganz verschiedene Konturen und Repräsentationsformen annehmen − je nach
Erwartungshaltung und psychischer Architektur, biografischem und soziokulturellem Kontext
der RezipientInnen.
3. Dieser wechselseitige Konstruktionsprozeß einer Figur durch Medien und Künstler
gleichermaßen und ihre Rezeption in meiner eigenen Fantasie reizt mich, im folgenden etwas
genauer − und zwar an ABBAs Agnetha-Figur − herauszuarbeiten.7 Man könnte zwar meinen,
daß derartige Figuren als Figuren, also außerhalb einer bestimmten Konstellation definiert
seien. Doch es bedarf eines narrativen und personalen Kontextes, um eine Figur in ihren
Funktionen erfahren zu können. Es ist m. E. daher terminologisch zu unterscheiden zwischen
den Begriffen “Rolle” und “Charakter”. In einer Geschichte kann die Rolle der Mutter auf das
soziale Handeln dieser Figur ausgelegt sein. Ihr Charakter hingegen meint den konkreten,
ganzheitlich-typischen Eindruck, den diese Figur in der Geschichte hinterläßt. Mit “AgnethaFigur” bezeichne ich deshalb die fiktive Person − verkörpert von Agnetha Fältskog −, die in
ihren Songgeschichten bestimmte Charaktereigenschaften besitzt und bestimmte
soziokulturelle Rollen spielt. Der Begriff “Rolle” meint hier also eine “charakteristische
Funktion”, die die reale Person Agnetha Fältskog in der Position der Agnetha-Figur im
Rahmen einer konkreten Songgeschichte übernimmt. Agnethas Charakterzüge werden
demnach nur dann nachvollziehbar, wenn sie durch das ABBA-Image als pseudosozialem
Kräftefeld vermittelt werden. Sie sind also nicht auf die Figur selbst reduzierbar, können
andererseits aber in ganz unterschiedliche Kontexte übernommen werden, in denen sich die
Kontur des Figurencharakters dann jeweils anders abzeichnet.
ABBA − als Gruppe rezipiert − weist somit Qualitäten auf, die dem Profil der AgnethaFigur an sich selbst nicht abgelesen werden können. Dieser Bedeutungsrahmen, den das
Gruppenimage der “singenden Ehepaare” für die Bestimmung der einzelnen Figur Agnetha
darstellt, ist mit den Bedeutungen, die die Einzelfigur handelnd ausdrückt, immer
zusammenzudenken. “Charakterisierung” ist mithin keinesfalls eindimensional und einfach zu
verstehen, sondern mehrdimensional und kompliziert. Auf der einen Seite ist die
Charakterisierung einer Figur, die eine fiktive Person darstellt, eine Aufgabe für diejenigen,
die inszenieren, auf der anderen aber auch eine Tätigkeit der RezipientInnen, die sich im
7
4
Donald Horton/R. Richard Wohl: Mass Communication and para-social interaction, in: Psychiatry 19, 1956,
S. 215-229
Leider ist hier nicht der Platz, auch auf die zweite weibliche ABBA-Figur Frida näher einzugehen wie ebenso
auf den faszinierenden Kontrast zwischen Agnetha, Björn, Benny und Frida innerhalb des Viererverbunds der
Gruppe.
Idealfall komplementär zum rezeptiven Angebot verhält. Die Leistungen, die die
RezipientInnen erbringen, sind also immer bezogen auf ihr individuelles Nutzeninteresse im
Hinblick auf die Angebotsstruktur.8
Doch wie sehen diese Leistungen tatsächlich aus? Anders als beim Star-fokussierten
Fanverhalten9 verliert sich die Medienberichterstattung, wenn es um Künstlerinnen geht, allzu
oft in der Beschreibung von weiblichen Körpern in der Funktion als Projektionsflächen
männlicher Fantasien. Denn gängige öffentliche Bilder veräußerlichter Sexualität − von
“ewig-geiler-Mann-trifft-auf-willig-passive-Frau” bis S/M-Sex und Windelerotik −
bestimmen unser medial gerichtetes Bewußtsein, ob wir es wollen oder nicht.10 Oder der
(männliche) Experte empfindet sich in seiner Kritik vom stilisierten Klatschobjekt
angegriffen, ja seinerseits zum Objekt gestempelt. Es gibt jedenfalls immer noch viel zu
wenig Artikel über Künstlerinnen, in denen es ausschließlich um ihre Arbeit geht und nur
über die Personalpronomen klar wird, daß es sich um eine Frau handelt.
Anders gesagt: Frau kann sich in Interviews den Mund fusselig reden, hinterher wird man
immer eine ähnliche Geschichte lesen. Und diese Geschichte lautet allzu oft: Frauen sind
dazu da, Männern Freizeit und Kinder zu schenken.11 Somit beschränkt sich die Darstellung
von Sachverhalten zumeist auf willkürlich-kausale Vernetzungen von wenig Information im
Kontext des gesellschaftlichen Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit, der
unterschiedliche Vergesellschaftungsmuster für Männer und Frauen heraufbeschwört. Zwar
dürfen sich nach diesem Schema – prinzipiell – Frauen in der Öffentlichkeit soziale Freiheiten
8
Vgl. Erving Goffman: Rahmenanalyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrung, Frankfurt a.
M. 1989
9
Unter “Star-fokussiertem Fanverhalten” verstehe ich das Zeit- und Geld-intensive Sammeln von Items aller
Art, die Pflege eines Pseudokontakts zum Star (möglicherweise über die Mitgliedschaft in einem Fanclub mit
“Gleichgesinnten”), die übermäßige Anhäufung von Wissen bis hin zur Identifikation mit dem Image des
Stars und dessen Übernahme in die eigene Lebenswelt (die Inszenierungen sind hierbei hochkomplex). Es ist
eine spezifische, individuelle Form alltagskultureller Aktivität, die aus dem Starimage die verschiedensten
materialen Artefakte selektiert, in vielfältige interpretative Aktivitäten weiterleitet, um damit die Bindung an
den Star so oder auch anders zu organisieren. Die Motivationen für derartiges Fanverhalten sind überaus
vielschichtig. Einen interessanten Einblick zu diesem Thema geben u. a. Ien Ang: Watching Dallas, London
1985; The Adoring Audience: Fan Culture and the Popular Media, hrsg. von Lisa A. Lewis, London 1992;
Cultural Studies, hrsg. von Lawrence Grossberg, London und New York 1992; Judith Klinger/Carina
Schmiedtke-Rindt: Fantome einer fremden Welt. Über subkulturellen Eigensinn, in: Freizeit in der
Erlebnisgesellschaft. Amüsement zwischen Selbstverwirklichung und Kommerz, hrsg. von Hans A.
Hartmann, Opladen 1996, S. 147-166 und Reinhard Kopiez/Guido Brink: Fußball – Fangesänge. Eine
FANomenologie, Würzburg 1997
10
Es ist in erster Linie unsere heutige Medienwelt, in der Geschlechterrollen täglich “getan”, also diskursiv
reproduziert werden. Die Medien sind daher auch von der Medien- und Kulturwissenschaftlerin Teresa de
Lauretis als “Technologien der Geschlechter” bezeichnet worden, als zentrale Agenturen im
Konstruktionsprozeß der Zweigeschlechtlichkeit. Vgl. Teresa Lauretis: Technologies of Gender. Essays on
Theory, Film and Fiction, Bloomington 1987
11
Vgl. Daniela Rastetter: Freizeit braucht freie Zeit. Oder: Wie Männer es schaffen, Frauen die (Frei-)Zeit zu
stehlen, in: Hartmann/Haubl, Freizeit, S. 45-66
5
herausnehmen, die Frauen in der Privatsphäre versagt bleiben. Doch obwohl Frauen wie
Männer, die in der Öffentlichkeit stehen, denselben Kontexten verpflichtet sind, empfindet
man(n) Frauen gegenüber soziale Ressentiments: Sie werden letztendlich doch im männlichen
Öffentlichkeitsdiskurs als Fremde ausgeschlossen, weil sie dem Privatbereich analogen
Bezüglichkeiten (un)bewußt zugeordnet werden und natürlicherweise für eine Mutterschaft
offenbleiben.12
Auch Agnetha Fältskog geriet zu einer Figur in den Medien, mit der sie sich, wie sie in
ihrer, gemeinsam mit der schwedischen Kulturjournalistin Brita Åhmann 1996 (und 1997 in
Englisch) verfaßten Autobiografie erzählt, überhaupt nicht als sie selbst identifizieren kann:
“Stellen Sie sich beispielsweise meine Überraschung vor,” erzählt sie, “als ich, frisch
verheiratet [...], statt Hochzeitsfotos Plakate und Aufmacher sah mit ,der großen Neuigkeit’,
daß ich ein Kind erwartete von einem Schauspieler, den ich überhaupt nicht kannte! Ein
amerikanischer B-Movie-Schauspieler hatte Gerüchte in der Öffentlichkeit verbreitet. [...] Als
ich Lisa spielte, die weibliche Hauptrolle in dem Film Raskenstam, Hant i Veckan, wurde ein
Foto von mir veröffentlicht, das während der Filmaufnahmen gemacht worden war. Die
einfallsreiche Überschrift war ,Schwangere ABBA-Agnetha wieder allein’. Doch die ,ABBAAgnetha’ war nicht schwanger. Und schon gar nicht allein. Das war Lisa Mattson, die ich im
Film spielte.”13
4. Agnetha Fältskog − geboren 1950 in der südschwedischen Kleinstadt Jönköping − besaß
bereits mit 17 Jahren einen Plattenvertrag und verfügte somit über ein gesichertes
Einkommen. Sie produzierte für den schwedischen Markt Platten mit eigenen Kompositionen
und Texten und wurde mit regelmäßigen öffentlichen Radio- und Fernsehauftritten und
Tourneen von ihrer Plattenfirma CBS Cupol professionell gefördert. In Schweden kannte man
sie als romantisches junges Mädchen, das damalige Popmusik in naiv-träumerischer und eher
volkstümelnd-schnulziger Form präsentiert und auf ihren Plattencovern so gern mit seinen
langen, überblonden Haaren herumspielt.
12
Vgl. zur Problematik der Vergesellschaftung von Frauen die Artikel von Jennifer C. Post: Erasing the
Boundaries between Public and Private in Women's Performance Traditions, in: Cecilia Reclaimed. Feminist
Perspectives on Gender and Music, hrsg. von Susan C. Cook und Judy S. Tsou, Urbana und Chicago 1994, S.
35-51; Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft, in: Ein alltägliches Spiel: Geschlechterkonstruktion in der
sozialen Praxis, hrsg. von Irene Dölling, Frankfurt a. M. 1997, S. 162-174 sowie Regine
Gildemeister/Angelika Wetterer: Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der
Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung, in: Traditionen-Brüche. Entwicklungen
feministischer Theorie, hrsg. Gudrun-Axeli Knapp und Angelika Wetterer, Freiburg i. Br. 1992, S. 201-254
13
Vgl. Agnetha Fältskog/Brita Åhman: As I Am. ABBA Before & Beyond. London 1997, S. 124
6
Ihr 1975er Schwedisch-sprachiges Soloalbum Elva kvinnor i ett hus (Elf Frauen in einem
Haus) hatte sie gerade noch rechtzeitig für den schwedischen Markt fertigstellen können,
bevor es mit ABBA international so richtig losging. Von ihr erstmals selbst produziert – die
Songtexte entwarf dabei der schwedische Autor Bosse Carlgren –, ragte es aus der Reihe ihrer
bisher erschienenen vier Alben heraus: Das außergewöhnliche Albumkonzept handelt von
einem Wohnhaus in einem Stockholmer Vorort, in dem elf Frauen leben. Jede der
Frauenfiguren wartet mit einem eigenen Song auf, bei dem es um Szenen aus einem ganz
“normalen” und damit nachvollziehbaren Frauenalltag geht. Ausgefallen an dieser
Konzeptidee ist, daß die mediale Agnetha-Figur elffach vervielfältigt wird: Wie etwa Agnetha
Villskog (Möchtewald), eine attraktive 35jährige Frau, die auf das unbekannte Abenteuer
wartet. Oder die 27jährige Agnetha Grönskog (Grünwald), von der man meint, sie habe
immer so gute Ideen, doch was sie da so sagt, klingt eigentlich gar nicht immer stark. Oder
Agnetha Stjärnkog (Starwald), eine lange Jahre umjubelte, nun 45jährige Sängerin, die
äußerlich sehr müde wirkt, doch von innen her glücklich strahlt. Oder Agnetha Morskog
(Mutterwald), die im achten Monat schwanger ist. Oder Agnetha Hemskog (Heimatwald), von
der man sagt, bei ihr sei eine Schraube locker. Oder Agnetha Älskog (Liebeswald), die sich
von Männer hofieren läßt. Oder Agnetha Hatskog (Haßwald), depressiv und hilfsbedürftig ...
Durch diesen poesiealbumartigen Facettenreichtum an einzelnen Frauenfiguren erfährt die
Agnetha-Figur eine regelrechte Personalisierung, da man meinen könnte, Agnetha Fältskog
habe beim Songwriting ihren persönlichen Lebenslauf weiter gesponnen und biografisch
ausgemalt.14 Die einzelnen Frauenfiguren – schon die auffällige elfmalige Verwendung des
Vornamens “Agnetha” bzw. der Namensendung "-wald" legt diesen Schluß nahe – werden
sicherlich auch Charaktereigenschaften der tatsächlichen Agnetha Fältskog besitzen ...
Agnetha Fältskog entwarf für Agnetha das Bild einer emanzipierten Frau, die in ihrer eigenen
musikalischen Welt lebt, die kritisch auf Lebenssituationen und Belange von Frauen in der
Gesellschaft schaut, indem sie sich selbst zur Projektionsfläche der Stärken und Schwächen
ihrer Protagonistinnen macht und zugleich über ihr Leben zu räsonnieren scheint.
Auf dem Plattencover schließlich sieht man Agnetha in einer wartenden Sitzhaltung
dargestellt, bequem ausgestreckt auf einem Sofa in einem ansonsten leeren Zimmer, direkt
den Blick auf die Betrachterin des Covers gerichtet. Mit diesem Habitus wird die AgnethaFigur in schwedischer Lesart als eine nordische, wild-natürliche weis(s)e Frau mit mythischer
Lebenskraft charakterisiert, zusätzlich symbolisiert durch das golden schimmernde Haar einer
14
7
Für jede Figur entwickelte Agnetha Fältskog außerdem ein spezielles Songkonzept als Handlungsrahmen,
versehen mit der angemessenen Soundmischung und dem passenden Charakter in Agnetha Fältskogs Stimme.
Lucia, der schwedischen Lichtbringerin. Agnetha gleicht mithin jenen Weberinnen im
Märchen, die für Clarissa Pinkola Estés − eine in ihrer Forschung Carl Gustav Jung
nahestehende Psychoanalytikerin15 − den völlig eigenständigen Aspekt in der femininen
Psyche jenseits “männlicher” Zugriffe repräsentieren.
Mit ABBAs internationalem Erfolg ändert sich das: Als Mitglied der Gruppe ABBA
verkümmert Agnethas Schwedisch-blonder Weberinnenaspekt in der Medienrezeption zum
stumpfen Blondinenwitz. Auf die Figur Agnetha Fältskogs projiziert man über die Jahre eines
der potentesten Sinnbilder, das unser hollywood-buntes Medienzeitalter je produziert hat: die
platinblonde Sexbombe. Ihr pseudopsychologisches Profil stimmt ungefähr mit den Figuren
all jener blonder Berühmtheiten überein, von denen die mediale Erlebniswelt “erzählt”. Sie ist
ein echter Bestandteil unserer Alltagskultur, denn Werbung und Reportagen wiederholen
beständig, daß diese Art von äußerlich inszenierter Weiblichkeit durch (männliche)
Anerkennung und sozialem Aufstieg belohnt wird. Agnethas schwedischer Lucia-Glanz
entspricht in dieser Perspektive dem personifizierten Wasserstoffblond so berühmter
Persönlichkeiten wie Jane Mansfield, Marilyn Monroe, Brigitte Bardote, Cathérine Deneuve
oder auch Jane Fonda, die als Göttinnen des Films jedes ihrer Pressefotos geschickt zur
Karriereförderung zu nutzen verstanden.
Auf der anderen Seite nimmt in der Zeit zwischen 1974 bis 1983, in der ABBA die
internationalen Popcharts dominiert, Agnetha immer mehr ihre Kontur nach Popmaßstäben
an. Die Macher von ABBA selbst lassen also vergessen, daß Schwedens Frauen keineswegs
nur blond und sexy sind. Ausgerechnet ABBAs berühmte Schlagerballade Thank You For The
Music − 1977 auf dem Höhepunkt des Siegeszuges in die internationalen Charts entstanden −
gibt die Bastelvorlage, aus dem der naiv-unschuldigen Agnetha-Typ nach individueller
Vorstellung geformt werden kann.16
Agnetha Fältskog als stimmlicher und – zweifelsohne – optisch einladender Ankerpunkt
ABBAs17 verkörpert nun im ABBA-Image eine erschreckend einförmig konturierte Agnetha-
15
Vgl. Clarissa Pinkola Estés: Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte. München 141997
“I'm nothing special. In fact: I'm a bit of a bore. If I tell a joke, you've probably heard it before. But I have a
talent, a wonderful thing. 'Cause everyone listens when I start to sing. [...] I'm so lucky. I am the girl with
golden hair. I want to sing it out to everybody: what a joy, what a life, what a chance!” Vgl. Benny
Andersson/Björn Ulvaeus: The girl with the golden hair. 3 scenes from a mini-musical. A. Thank You For The
Music. B. I Wonder (Departure). C. I'm A Marionette, in: ABBA, ABBA – The Album, Polar Music
International AB, Stockholm 1977 (Polydor 0040 150)
17
Das läßt sich nach eingehender Analyse im Rahmen meiner Magisterarbeit ebenso am Mischungsverhältnis
der Stimmen beim ABBA-Sound (Frida unten, Agnetha oben), an der Anzahl der Solos bzw. Solosongs und
an der Selbstdarstellung der Gruppe auf den Fotos und in den Filmclips erkennen. Mit den Jahren produzierten
ABBA immer weniger Songs für zwei dichotom konstruierte, zusammen singende “Schwestern” mit
unverzichtbar hintergründigen Schatten-“Brüdern”. Statt dessen entstanden Solosongs, die zu einer immer
16
8
Figur, der ihre feminine Eigenständigkeit restlos abhanden gekommen ist. Die Konflikte, von
denen Agnetha in ihren Solosongs erzählt, handeln meist von Problemen oder Niederlagen.
Sie spielt die Rolle der schwachen Frau, während Frida doch immerhin wie Phönix aus der
Asche emporsteigt und einen eigenen Weg findet. Agnetha jagt größtenteils dem Schatten des
imaginären, männlichen Adressaten ihrer Songs hinterher (Hasta Mañana, Kisses Of Fire),
der stets alles ist, was sie hat, und doch nur die Projektionsfläche abgibt für das Ideal,
nachdem sie sucht. Sie träumt von ihrer kleinen, heilen Welt zu zweit (I've Been Waiting For
You), glaubt an das ewige Band der Liebe und erlebt doch immer wieder Enttäuschungen (My
Love, My Life, The Winner Takes It All, One Of Us).
Und mit genau diesen Assoziationen im Hinterkopf nimmt es nun wirklich nicht Wunder,
daß die ABBAs Agnetha-Figur rezipierenden Medien allzu oft Agnetha Fältskog mit
domestizierten, weich(lich)en Charaktereigenschaften darstellen, sie mithin auf ihre
Mutterrolle und auf den Mann an ihrer Seite festschreiben. Interessanterweise ist dieser
Analogieschluß von der Fiktion auf die vermeintliche Wirklichkeit auch keineswegs
unberechtigt: Agnetha Fältskog hatte während ABBAs anstrengender Aufstiegsjahre an die
Chartsspitzen zwei Kinder mit ihrem Ehemann Björn Ulvaeus bekommen. Aktiviert sind in
dieser rezeptionellen Perspektive also die Konnotationen “Frau als Musikerin” und “Frau als
Mutter”. Dieser Aspekt ist denn auch der alles entscheidende, “authentische” Knotenpunkt in
ABBAs Image, ist jener Schnittpunkt, an dem ABBAs Image der “singenden Ehepaare” in die
Realität der tatsächlichen Ehepaare übergeht. Die Agnetha-Figur funktioniert im ABBAVerbund durch ihre Bezogenheit auf die Paarbindung mit Björn – dem Kopf ABBAs, der
sowohl als einzelner Rocksänger bei ABBA in Erscheinung trat,18 als auch Teil des
Produzententeams um ABBA war. Er schrieb die doch so autobiografisch scheinenden Texte
und konturierte damit die fiktionale Person Agnetha entscheidend mit.
Zumeist schmücken Medienberichte diese Paarstruktur durch die bekannte
organisatorische Verfaßtheit von “männlichen” und “weiblichen” Statusstrukturen in der
Sozialwelt “westlich” geprägter Industrienationen aus. Anders gesagt: Der Mann trägt sein
Werk, die Frau ihren Körper zu Markte. Agnetha Fältskog wird all zu oft in einer von “ihrem”
Mann abhängigen Position dargestellt. Und somit bleibt ihr “weiblicher” Sozialstatus als
tiefer gehenden Pseudocharakterisierung der ABBA-Figuren einluden. Die “Reißer” sang fast durchweg
Agnetha Fältskog.
18
Neben Solonummern für Anni-Frid Lyngstad und Agnetha Fältskog wurde es zur Tradition, pro ABBAAlbum auch eine Solonummer für Björn Ulvaeus beizusteuern. Man versprach sich durch die besondere
Songtypik dieser Björn-Songs – der männliche Sänger wird von einem weiblichen Backgroundchor
unterstützt, unterminiert oder auch belehrt –, d. h. mit der Bedienung der Machotypik eines männlichen
9
Sängerin und Mutter dem “männlichen” Masterstatus von Björn Ulvaeus als Produzent,
Texter, Geschäfts- und Ehemann relational inkorporiert, d. h. seiner männlichen Ernährerund Schöpferrolle mit ihrer reduzierten Verfügbarkeit für die Familie untergeordnet.
Nach ihrer eigenen Aussage hatte Agnetha Fältskog tatsächlich ein problematisches
Verhältnis zu ihrem Dasein als weibliche Figur in ABBAs Gruppenverband, das sie immer
schwerer mit ihren künstlerischen Interessen und ihren Verpflichtungen als Mutter
vereinbaren konnte. Immerhin komponierte auch sie mehrere Songs für ABBA, von denen
allerdings nur Disillusion mit dem englischen Text von Björn Ulvaeus 1973 auf ABBAs Ring
Ring-Album erschien.19 Agnetha Fältskog hatte zum Zeitpunkt des Auftauchens ABBAs in
den internationalen Charts eine Qualität in ihren Kompositionen erreicht, die der des ABBASongwritingteams Benny Andersson und Björn Ulvaeus durchaus ebenbürtig ist. Ihre kreative
Mitarbeit bei den ABBA-Produktionen beschränkte sich jedoch größtenteils auf die
Erarbeitung ihrer Gesangsstimmen. Erst nachdem Agnetha Fältskog sich von ihrem Mann
scheiden ließ und schließlich ganz aus der Gruppe ausstieg, wendete sie sich wieder der
Arbeit als eigenständige Produzentin und Sängerin zu.20
Doch selbst die Scheidung von Björn Ulvaeus und Agnetha Fältskog geht in ABBAs
Image wundersam auf: Agnetha, die in Björn Ulvaeus' Texten so oft als eine in ihrer
Sehnsucht nach Sicherheit und verläßlicher Spiegelung im männlichen Anderen dargestellt
wurde, erlebt diese Liebessehnsucht in den Geschichten der ABBA-Songs nun als allein
gelassene Gefangene ihrer eigenen Tagträume – vielleicht, weil der Mann ihrer Träume eben
nicht mehr durch Björn Ulvaeus verkörpert wird? Es scheint jedenfalls, als ob Agnethas
“weibliche” Schwäche nach der Trennung des realen Paares sogar noch zunimmt: Sie ist “the
loser standing small”, fleht verzweifelt um Liebe (Lay All Your Love On Me, S.O.S., Gimme!
Gimme! Gimme! (A Man After Midnight), bis sie mit gebrochener, weinerlicher Stimme und
apathischem Gesichtsausdruck zugibt, “no self-confidence” zu besitzen.
Rock'n'Roll-Sängers im “Meister/Sklav(inn)en”-Verhältnis ganz einfach auch einen kommerziellen Effekt in
Richtung einer größeren Zielgruppe.
19
Mina Ögon kam auf Agnetha Fältskogs 1975er Album heraus, während I’m Still Alive zwar auf der 1979er
Welttournee − unmittelbar nach der Trennung des Ehepaares Fältskog/Ulvaeus − gespielt, aber auf keinem
ABBA-Album veröffentlicht wurde.
20
Agnetha Fältskog arbeitete nach der ABBA-Zeit wieder im Plattenstudio und gründete 1986 die Firma
Agnetha Fältskog Productions AB. In Schweden konnte sie ihren eigenständigen künstlerischen Status
wiedererlangen. Sie brachte u. a. zwei erfolgreiche Kinderschallplatten heraus, die sie zusammen mit ihrer
Tochter Linda (1981) und ihrem Sohn Christian (1987) einspielte, und schaffte es sogar, mit ihrem von Peter
Cetera − dem ehemaligen Leadsänger der Gruppe Chicago − 1986/87 in Los Angeles produzierten Album I
Stand Alone das in Schweden bestverkaufte Album des Jahres vorzulegen, das somit Madonna vom Platz Eins
der Charts entthronte. Danach zog sie sich ganz aus dem Musikgeschäft und den Medien zurück.
10
In der Medienwirklichkeit stilisierte man Agnetha Fältskog flugs zur bösen Eigenbrötlern,
die sich nicht in den geschlechtlich-hierarchischen Gruppenverband einfügen will und
folglich an ihrer Scheidung zerbrechen muß: Eine Frau, die nicht weiß, was sie tun soll und
sich nichts zu sagen traut (weil Agnetha Fältskog die englische Sprache nicht fließend
beherrscht), die ein ängstliches Blondchen ist, das sich vor allem fürchtet (weil Agnetha
Fältskog unter Flugangst leidet) und so weiter und so fort ... Der Schutz vor falschen
Darstellungen ihres Privatlebens, aber auch die pure Sicherung der Privatsphäre ihrer Familie,
hat bei Agnetha Fältskog inzwischen das Ausmaß eines konsequenten Sich-Zurückziehens
von jeglichen Medienaktivitäten angenommen. Agnetha Fältskogs umfangreiches
künstlerisches Schaffen bleibt somit außerhalb Schwedens − wo sie nach wie vor große
Bewunderung findet − von ABBAs Agnetha-Aufkleber der stupiden Blonden zugekleistert.
5. Das Tripel “bekannte Person der Medienöffentlichkeit”/“Figur aus der Gruppe”/“Rolle der
Figur aus der Gruppe” markiert somit jenes Kräftefeld, durch das unsere Wahrnehmung einer
“Figur”, die von einem “Star” verkörpert wird, ganz entscheidend gerichtet wird. Dieses
Kräftefeld speist unser Rezeptionsverhalten aus ganz verschiedenen Wissensquellen und
entwickelt es daher auch keinesfalls allein aus dem, was zu sehen ist. Es ist vor allem die
Traurigkeit hinter dem vermeintlichem Glück, die fasziniert, das Desaster − Quell aller
Romantik. Denn wenn‘s geklappt hat mit der Romanze, fängt das eigentliche Drama ja erst
richtig an. Es darf keine glücklichen Beziehungen geben, denn Erfüllung führt stets zum
Niedergang. Gerade so wie in den Medienmärchen von Jaqueline Kennedy-Onassis, Maria
Callas oder Prinzessin Diana muß es sein, jener traurigen “Königin der Herzen”: Man
möchte die einmal so romantisch begonnenen Geschichten zu Ende erzählt bekommen. Und
das schiere Leben will man widergespiegelt sehen: Schmerz, Schwächen, kleines Glück und
großes Versagen als Gleichnis für das eigene Dasein. Damit sorgt unsere Medienwirklichkeit
auch weiterhin dafür, daß man Agnetha Fältskog als eine Greta Garbo-Tragödin porträtiert,
allein, niedergeschlagen und vergessen, mit Tränen in ihren Augen. Naja, und Tränen − das
wissen wir ja alle von einem anderem Schlager − lügen nun mal nicht ...
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