Michelle ObamaBiografie

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Michelle ObamaBiografie
Nr. 8 | 27. September 2009
Michelle Obama Biografie | Buchmesse Frankfurt Neue Literatur aus China |
Herta Müller Atemschaukel | Urs Widmer Interview über Arbeitsglück |
Nominierte des Schweizer Buchpreises | Anne Cuneo Anne-Marie Blanc |
Weitere Rezensionen zu Sibylle Berg, Avraham Burg, Brigitte Kronauer,
Ted Kennedy, Jean Ziegler und anderen | Charles Lewinsky Zitatenlese
Die schönsten
Reisen sind Reisen
im Kopf
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Lassen Sie sich an die faszinierendsten Orte dieser
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Inhalt
Über den Tod
und andere
heitere Dinge
Er will kein Luftikus, kein Clown sein. Dennoch: Wenn Urs Widmer
über das Sterben schreibt, über seinen Deal mit dem Tod, geht’s nicht
tonnenschwer, sondern leicht und luftig zu. Nur nachts, da träume
er wie der Teufel, «und ich träume selten schön», sagt der Autor mit
der ihm eigenen Doppelbödigkeit im Interview auf Seite 12.
Urs Widmer ist zusammen mit Eleonore Frey, Jürg Laederach, Angelika
Overath und Ilma Rakusa für den Schweizer Buchpreis nominiert.
Die fünf Werke stellt Manfred Papst in der vorliegenden Nummer kurz
vor (S. 11). Der Kulturchef der «NZZ am Sonntag» ist auch Mitglied
der fünfköpfigen Jury, die in Basel den Preisträger kürt. Die mit 50 000
Franken dotierte Auszeichnung wird am 15. November an der «Buch
Basel» verliehen.
Weitere Schwerpunkte sind diesmal die Literatur Chinas (Gastland an
der Frankfurter Buchmesse) sowie die Biografien von Anne-Marie
Blanc, der legendären Darstellerin der «Gilberte de Courgenay», und
von Michelle Obama (S. 4, 16 und 19). Aber vielleicht lacht Sie aus dem
herbstlichen Strauss der funkelnden Romane, spannenden Analysen
und historischen Dokumentationen ja auch eine andere Blume an. Wir
freuen uns, wenn wir Sie zu heiterem Leservergnügen – es muss ja
nicht über den Tod sein – verführen können. Urs Rauber
Nr. 8 | 27. September 2009
Michelle Obama Biografie | Buchmesse Frankfurt Neue Literatur aus China |
Herta Müller Atemschaukel | Urs Widmer Interview über Arbeitsglück |
Nominierte des Schweizer Buchpreises | Anne Cuneo Anne-Marie Blanc |
Weitere Rezensionen zu Sibylle Berg, Avraham Burg, Brigitte Kronauer,
Ted Kennedy, Jean Ziegler und anderen | Charles Lewinsky Zitatenlese
Michelle Obama
(Seite 19).
Illustration von
André Carrilho
Belletristik
Interview
4
Yu Hua: Brüder
Eva Schestag, Olga Barrio Jiménez (Hrsg.):
Eine Sammlung chinesischer Klassiker
12 Urs Widmer, Schriftsteller
Herta Müller: Atemschaukel
Kolumne
Qiu Xiaolong: Blut und rote Seide
15 Charles Lewinsky
7
8
9
Von Manfred Papst
Von Stefana Sabin
Von Sacha Verna
Das Zitat von Johann Wolfgang von Goethe
Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger
Von Angelika Overath
Taiyo Onorato, Nico Krebs: The Great Unreal
Kurzkritiken Sachbuch
Sibylle Berg: Der Mann schläft
15 Christoph Antweiler: Heimat Mensch
Von Gerhard Mack
Von Bettina Spoerri
olivier maire/keystone
6
«Mit Phantasie geschlagen»
Von Manfred Papst
Von Geneviève Lüscher
10 Alaa al-Aswani: Ich wollt’, ich würd’ Ägypter
Von Susanne Schanda
Adalbert Hofmann: Die Männer vor der
Küchentür
Von Sieglinde Geisel
Ueli Oswald: Ausgang
Von Urs Rauber
11 Michael Stavarič: Böse Spiele
Von Urs Rauber
Sandra Willmeroth, Fredy Hämmerli: Exgüsi
Kurzkritiken Buchpreis
Von Charlotte Jacquemart
11 Eleonore Frey: Muster aus Hans
Von Manfred Papst
Provokateur aus Leidenschaft: Jean Ziegler.
Siegmar von Schnurbein (Hrsg.): Atlas der
Vorgeschichte
Von Geneviève Lüscher
24 Rainer Grunert: Vision einer fairen
Wirtschaftsordnung
Von Charlotte Jacquemart
Jürg Laederach: Depeschen nach Mailland
Sachbuch
Angelika Overath: Flughafenfische
16 Anne Cuneo: Anne-Marie Blanc
25 Rahel Levin Varnhagen: Familienbriefe
Ilma Rakusa: Mehr Meer
18 Avraham Burg: Hitler besiegen
26 Marco Hüttenmoser, Sabine Kleiner: Marie
Meierhofer 1909−1998
Von Manfred Papst
Von Manfred Papst
Von Martin Walder
Von Manfred Papst
Von Reinhard Meier
19 Christoph von Marschall: Michelle Obama
Von Tobias Kaestli
20 Judith Barben: Spin doctors im Bundeshaus
Von Urs Rauber
albrecht fuchs
Von Manfred Koch
Von Kathrin Meier-Rust
Das amerikanische Buch: Edward Kennedy
Von Andreas Mink
21 Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen
Agenda
22 Maxim Leo: Haltet euer Herz bereit
27 Boris Martin, Waldemar Abegg: Reise in eine
vergangene Zeit
Von Heidi Gmür
Brigitte Kronauer legt einen brillanten Roman vor.
Wolfgang Ullrich: Raffinierte Kunst
Von Jan von Brevern
Von Christoph Plate
Kai Diekmann (Hrsg.): Die Mauer
Von Kathrin Meier-Rust
23 Helmuth James von Moltke: Im Land der
Gottlosen
Von Klara Obermüller
Von Geneviève Lüscher
Bestseller September 2009
Belletristik und Sachbuch
Agenda Oktober 2009
Veranstaltungshinweise
Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura.), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)
Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Andreas Isenschmid, Manfred Koch, Judith Kuckart, Gunhild Kübler, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Klara Obermüller, Angelika Overath,
Stefan Zweifel Produktion Eveline Roth, Hans Peter Hösli (Art-Director), Urs Schilliger (Bildredaktion), Monika Werth (Layout), Bettina Keller, Rita Pescatore, Benno Ziegler (Korrektorat)
Adresse NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich. Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E-Mail: [email protected]
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3
Belletristik
Chinesische Literatur Gastland der Frankfurter Buchmesse 2009
ist China. Die Flut von Büchern, die aus diesem Anlass auf Deutsch
erscheinen, bringt auch Neuübersetzungen klassischer Texte
Mit dem Teelöffel
den Gelben Fluss
ausschöpfen
Yu Hua: Brüder. Aus dem Chinesischen
von Ulrich Kautz. S. Fischer,
Frankfurt a. M. 2009. 765 Seiten, Fr. 42.90.
Eva Schestag, Olga Barrio Jiménez
(Hrsg.): Eine Sammlung chinesischer
Klassiker. Band 1: Das alte China.
Band 2: Von Kaiser zu Kaiser. Band 3:
Die Goldene Truhe. Band 4: Der Aufstand
der Zauberer. S. Fischer, Frankfurt a. M.
2009. Zusammen 1880 Seiten, Fr. 147.−.
Von Manfred Papst
Es ist ein schöner Brauch, dass die
Frankfurter Buchmesse als grösste Literaturbörse der Welt jedes Jahr einem
Gastland die Möglichkeit gibt, seine
Kultur mit Ausstellungen, Lesungen und
vielem anderem mehr in «Mainhattan»
prominent zu präsentieren. Manchmal
wird damit das mediale und öffentliche
Interesse auf bisher kaum bekannte
Regionen der literarischen Weltkarte
gelenkt. Bisweilen aber erhalten auch
riesige Kulturräume wie der indische
Subkontinent oder die Volksrepublik
China ihren Auftritt. Diesen nehmen
zahlreiche Verlage des Gastgeberlands
zum Anlass, die jeweilige Literatur in
neuen oder neu aufgelegten Übersetzungen feilzuhalten.
Doch während das Angebot bei kleineren Gastländern überblickbar bleibt,
ist es in diesem Jahr schier uferlos. Der
deutschsprachige Leser, der sich darauf
einlässt, soll gleichsam mit dem Teelöffel den Gelben Fluss ausschöpfen. Zum
einen tritt ihm in beeindruckender Stimmenvielfalt die zeitgenössische chinesische Literatur entgegen. Es ist eine Literatur in doppeltem Umbruch: Formal
sucht sie mit ihren avancierten Vertretern den Anschluss an die abendländische Moderne, inhaltlich erzählt sie von
einem Milliardenvolk, das von einer
ungeheuren Beschleunigung sämtlicher
Lebensverhältnisse erfasst worden ist.
Die chinesische Wirtschaft boomt, Städ4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
te schiessen aus dem Boden, das soziale
Gefüge wandelt sich, doch die geistige
Emanzipation hält mit der ökonomischen nicht Schritt: Noch immer tun
sich die Erben Mao Zedongs schwer mit
Demokratie und Menschenrechten, mit
Dissidenten und ethnischen Minderheiten. Gerade im Vorfeld der Buchmesse,
die am 14. Oktober ihre Tore öffnet, hat
sich das wieder deutlich gezeigt.
Vom Einzelnen im Spannungsfeld
zum Kollektiv handeln deshalb zahlreiche Neuerscheinungen der chinesischen
Literatur, vom Anspruch auf privates
Glück in einem diesem entgegenwirkenden sozialen und ideologischen Kontext.
Yu Huas weltweit erfolgreicher Roman
«Brüder», der die Schrecken von Maos
Kulturrevolution, aber auch Dengs Wirtschaftspolitik mit Drastik, Verve und
umwerfender Komik schildert, ist der
beste Beweis für die Lebendigkeit und
das Niveau der chinesischen Gegenwartsliteratur; wie er in China die Zensur passieren konnte, bleibt ein Rätsel.
Philosophie und Lyrik
Im Vorfeld des chinesischen Messeauftritts widmen sich indes etliche deutsche Verlage auch dem China der Vergangenheit – einem Reich mithin, das
eine dreitausendjährige säkulare Zivilisation in sich trägt und sich lange nicht
ohne Grund als «Mitte» sah. Der Verlag
S. Fischer zum Beispiel tut dies mit einer
höchst heterogenen (und insofern natürlich anfechtbaren), aber gleichwohl
lesenswerten vierbändigen Anthologie.
Ihr erster Band gibt einen Überblick
über die Anfänge der chinesischen Literatur und Philosophie. Er führt von den
kanonischen Schriften (Buch der Urkunden, Buch der Wandlungen, Buch der
Lieder, Buch der Riten) über die Gespräche des Konfuzius zu den Daoisten Laozi
und Zhuangzi und von dort zu den «hundert Schulen». Dieser Band tut als
«Reader’s Digest» zum alten China gute
Dienste. Die zitierten Texte sind für die
Weltliteratur so zentral wie die Zeugnisse der jüdisch-christlichen und griechisch-römischen Kultur.Viele von ihnen
liegen integral übersetzt vor. Kein Gebildeter sollte auf das Vergnügen verzichten, sie ganz zu lesen.
Der zweite Band der Anthologie widmet sich der klassischen chinesischen
Lyrik, die ihren Höhepunkt in der TangDynastie (618−907) hatte, aber auch
davor und danach ungezählte Schöpfungen von höchstem Rang hervorbrachte.
Wir kennen sie freilich recht gut: Von
jeher ist sie ein Tummelfeld (nicht nur)
deutscher Übersetzer und Nachdichter
gewesen. Das Verdienst des vorliegenden Bandes liegt in der Breite der
Gedichtauswahl wie der Übertragungen:
Er bringt sowohl Texte namhafter Sinologen von Erwin Ritter von Zach bis
Günther Debon als auch solche von
deutschen Dichtern wie Albert Ehren-
aisa/ullstein bilD
stein, Bertolt Brecht und Günter Eich,
die mit Hilfe von englischen Übersetzungen und Interlinearversionen arbeiteten. Als Glücksfall darf in diesem
Zusammenhang Günter Eich gelten, der
im Paris der 1930er Jahre sechs Semester
Sinologie studiert hatte und so seine
poetische Erfindungskraft zumindest
teilweise philologisch abstützen konnte.
Neben bekannten Texten bringt Eva
Schestag indes auch etliche neuere –
darunter zahlreiche eigene – Übersetzungen als Erstdrucke. Ihre Sammlung
zeigt, dass das chinesische Gedicht, das
sich als Einheit von Bedeutung, Schrift
und Klang freilich nur im Urtext ganz
erschliesst, zu den sublimsten Schöpfungen der Weltliteratur zählt.
Band 3 und 4 der Fischer-Anthologie,
die den Abnehmer des ganzes Werks mit
einem schönen Druck des «Drei-Zeichen-Klassikers», einer über Jahrtau-
sende verwendeten Schulfibel, belohnt,
bieten solide Qualität, aber keine Überraschungen. Band 3 enthält die Novellensammlung «Die Goldene Truhe», die
vor just 50 Jahren von Wolfgang Bauer
und Herbert Franke im Hanser-Verlag
herausgegeben wurde. Sie hat sich gut
gehalten, und wer sie noch nicht kennt,
kann sie hier entdecken.
Gesellschaftsromane
Weniger bekannt, aber ebenfalls nicht
ganz neu ist Manfred Porkerts Übersetzung des Ming-Zeit-Romans «Der Aufstand der Zauberer». Sie erschien erstmals 1986 im Insel-Verlag und präsentiert uns einen reizvollen und reichhaltigen, pointierten Gesellschaftsroman,
wenn auch wohl nicht, wenn man den
strengsten Massstab anlegen will, das
Spitzenwerk der Epoche. Da müsste man
wohl dem «Traum der roten Kammer»
– bislang nur unzulänglich und stark
gekürzt ins Deutsche übersetzt, auf Englisch in der fünfbändigen Übersetzung
von David Hawkes unter dem Titel «The
Story of the Stone» erschienen – den
Vorzug geben.
Eva Schestags Kompilation ist also in
gewissem Sinn eine Buchbinder-Synthese. Dennoch kann man sie zum Einstieg
ins Gebirge der chinesischen Literatur
empfehlen. Viele andere Zugänge sind
möglich. China ist ein Imperium im Aufbruch und ein Milliardenstaat von so
eindrücklicher wie bedrohlicher Dynamik. Doch von den Städten, sagte Brecht
einmal, werde bleiben, der durch sie
hindurchging: der Wind. Ihm entsprechen die philosophischen Miniaturen
der Daoisten und die Verse von Dichtern wie Li Bai und Du Fu ebenso wie
der gewaltige, groteske Gesellschaftsroman Yu Huas. ●
Wandern im Frühling
auf dem Bergpfad.
Tinte auf Papier;
Ma Yuan (1155−1235).
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5
Belletristik
Roman Herta Müllers neues Buch beschreibt Abgründe der menschlichen Existenz
Über das Trauma
eines Deportierten
Herta Müller: Atemschaukel. Hanser,
München 2009. 300 Seiten, Fr. 34.50.
«Ich weiss, du kommst wieder», sagte
die Grossmutter, als er verhaftet wurde.
«Es war 3 Uhr in der Nacht zum 15. Januar
1945, als die Patrouille mich holte.» So
beginnt der Überlebensbericht des Leopold Auberg: zuerst im Sammellager in
der Heimatstadt gefangen gehalten,
dann in einem Viehwagon in die Sowjetunion deportiert, schliesslich in einem
ukrainischen Arbeitslager interniert.Auberg, der Ich-Erzähler im neuen Roman
von Herta Müller, ist kein Verbrecher,
sondern Mitglied der deutschsprachigen
Minderheit im rumänischen Hermannstadt – seine Ethnie machte ihn zum
Feind: «Wir waren alle in keinem Krieg,
aber für die Russen waren wir als Deutsche schuld an Hitlers Verbrechen.»
Fünf Jahre überlebt Auberg schwerste
körperliche Arbeit unter extremen klimatischen Bedingungen, erniedrigende
hygienische Verhältnisse, psychische Belastungen und «chronischen» Hunger.
Mehr als die Angst vor den Kapos oder
die permanente physische Erschöpfung
ist es «der immer neue Hunger, der
unersättlich wächst und in den ewig
alten, mühsam gezähmten Hunger hineinspringt», der die Gefangenen quält
und zu Virtuosen der Nahrungsbeschaffung macht. «Wie läuft man auf der Welt
herum, wenn man nichts mehr über sich
zu sagen weiss, als dass man Hunger
hat.»
Schweigen über das Lager
Wie alle Fragen, die sich Auberg im
Lager stellt, hat auch diese kein Fragezeichen. Denn die Lagerexistenz lässt
keine Fragen zu, auf die es Antworten
gäbe. Fragen erinnern an das tatsächliche Leben draussen, wo es auch Antworten gibt, aber das fehlende Fragezeichen verweist auf die Lagerrealität, wo
es nur die unhinterfragbare Schreckensgegenwart gibt. Deshalb zeigt die Kuckucksuhr in der Baracke nicht die Zeit
an, sondern steht für die ständige existenzielle Frage, die keine Antwort kennt:
«Kuckuck, wie lange leb ich noch.»
Auberg lebt und überlebt – und erfüllt
die Vorhersage seiner Grossmutter, die
ihn die ganze Lagerzeit begleitet hat:
«Anfang Januar 1950 kam ich aus dem
Lager nach Hause.» Aber das Zuhause
ist anders, als es war – er selber ist ein
anderer. «Jetzt war ich ein Ausgewechselter», weiss Auberg. Denn der erlebte
Schrecken lässt sich nicht vergessen
oder retouchieren, und Auberg kann
weder erzählen, was ihm widerfahren
war, noch was er selbst getan hat. «Ich
6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
steffen roth/aGentur focus
Von Stefana Sabin
Herta Müller, geboren
im rumänischen
Temeswár, lebt
seit 1987 in Berlin.
Sie hat zahlreiche
Literaturpreise
erhalten.
war froh, dass keiner etwas fragte, und
insgeheim kränkte es mich.» Er heiratet,
zieht weg, wandert aus. Aber das Lager
bleibt als grosses Schweigen immer
gegenwärtig. So ist es nicht nur die traumatische Erfahrung selber, sondern
auch das konsequente Schweigen darüber, was ihn verwandelt. «Es gibt Dinge,
über die man nicht spricht. Aber ich
weiss, wovon ich rede, wenn ich sage,
das Schweigen im Nacken ist etwas
anderes als das Schweigen im Mund.»
In dieser Unterscheidung zwischen
dem existenziellen «Schweigen im
Nacken» und dem alltäglichen «Schweigen im Mund» liegt die Sprachmacht
von Herta Müller, die mit fiktionaler
Kraft und psychologischem Instinkt das
Trauma und das posttraumatische Syndrom eines Deportierten beschreibt.
Psychologisch subtil
In Nitzkydorf bei Temeswár 1953 geboren, zog Herta Müller 1987 nach Berlin.
Schon 1984 erhielt sie für ihren ersten
Prosaband den Aspekte-Literaturpreis,
dem zahlreiche weitere Preise folgten,
darunter 1995 der Europäische Literaturpreis, 2005 der Berliner Literaturpreis. Zuletzt wurden die kollagierten
Gedichte, die 2005 unter dem Titel «Die
blassen Herren mit den Mokkatassen»
erschienen, für ihre «surreale Anmut»
(Andrea Köhler) besonders gelobt.
Gerühmt wurden auch ihre Essays «Der
König verneigt sich und tötet», die 2003
erschienen sind und in denen «eine
Poetik über Dichtung in Diktaturen»
(Michael Naumann) erkannt wurde.
Tatsächlich hat Herta Müller schon
immer die Fiktion realistisch gebrochen
und ihr eine – wenn auch implizierte –
politische Dimension verliehen. Auch
ihr Ansinnen, über die Deportationen
der Rumäniendeutschen in sowjetische
Arbeitslager zu schreiben, hat eine aufklärerische politische Dimension, denn
sie wollte damit ein historisches Tabu
brechen. So fing sie an, mit ehemaligen
Deportierten aus ihrem Dorf zu sprechen. Auch Oskar Pastior, dem aus Hermannstadt stammenden, dann in Berlin
lebenden Lyriker, der als 19-Jähriger verschleppt wurde und fünf Jahre Zwangsarbeit in ukrainischen Bergwerken leisten musste, erzählte sie von ihrem Vorhaben. Vielleicht war dieses literarische
Projekt ein spätes Durchbrechen jenes
«Schweigens im Nacken», das auch Pastior begleitet hatte. Jedenfalls erzählte
er der jüngeren Dichterin vom Lageralltag und von einer Verzweiflung, die er
als Nullpunkt der Existenz bezeichnete.
«Er wollte mir helfen mit seinen Erinnerungen», schreibt Herta Müller im Nachwort ihres Romans. Was als gemeinsames Buch Gestalt annahm, musste Herta
Müller nach Pastiors Tod 2006 alleine
zu Ende führen.
Mit «Atemschaukel» ist ihr ein politischer Roman von bemerkenswerter psychologischer Subtilität gelungen, der
den Nullpunkt der Existenz nachvollziehbar macht. ●
Krimi Oberinspektor Chen löst Fälle im China von heute. Die Leserschaft erhält dabei
auch Nachhilfe in Geschichte und Kultur des Landes
Ein Häppchen Schwalbennest
Aus dem Amerikanischen von
Susanne Hornfeck. Zsolnay, Wien 2009.
378 Seiten, Fr. 38.90.
Von Sacha Verna
Der Zufall mag die Welt regieren, aber
in Krimis hat er nichts verloren. Zufällig
stösst Oberinspektor Chen während seines fünften Falls auf ein Foto von einer
jungen Frau, deren rotes Kleid dem des
Mordopfers aufs Haar gleicht. Zufällig
ist Oberinspektor Chen eigentlich gar
nicht im Dienst, sondern schreibt eine
Seminararbeit über chinesische Liebesgeschichten, in denen sich die idealisierte Geliebte in ein Monster verwandelt.
Und zufällig wird Herr Cheng von seinen Vorgesetzten gleichzeitig dazu
gedrängt, sich mit einem Immobilienskandal zu befassen, in dem es rote
Monster zuhauf gibt. Und zwar auch
solche, denen durchaus zuzutrauen ist,
was sich in Shanghai zu einer Mordserie
an jungen Frauen auszuweiten droht.
Das sind zu viele Zufälle für einen
einzigen Krimi, gewiss. Soll man Qiu
Xiaolongs neuen Roman deshalb nicht
lesen? Doch. Nicht unbedingt, aber
bedingt. Bedingung: Man muss detaillierte Beschreibungen von Bu-Banketten
mögen. Davon, wie SchwalbennesterReisbrei mit scharlachroten Bocksdornbeeren schmeckt, nachdem man bereits
gedämpfte Süsswasserschildkröte mit
weissem Kandiszucker, Wein, Ingwer,
Frühlingszwiebeln und Jinhua-Schinken
verspeist und Maos Leibgericht – fettes,
in Sojasauce geschmortes Schweinefleisch – noch vor sich hat. Man darf es
dem seit 1994 in Amerika lebenden
Autor auch nicht übel nehmen, dass sich
seine Figuren im Small Talk über die
jüngste Vergangenheit ihres Landes aufklären, als seien sie selber nicht dabei
gewesen. Denn aufzuklären gilt es natürlich uns, die Leser im Westen, denen ein
bisschen Nachhilfe in chinesischer Geschichte durchaus gut tut.
Besonders wenn sie wie hier mit viel
chinesischer Gegenwart und einem
Showdown präsentiert wird. «Blut und
rote Seide» ist ein Krimi aus dem China
von heute, konstruiert gemäss den
gemütlichen Gattungskonventionen von
gestern und gespickt mit so vielen Konfuzius-Zitaten, dass die Weisheit bis
übermorgen reicht. ●
Weise Bemerkungen
von Konfuzius
(551−479 v. Chr.)
reichern den
Krimi an.
aisa/ullstein bilD
Qiu Xiaolong: Blut und rote Seide.
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27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7
Belletristik
Roman Brigitte Kronauer erzählt von seelischen Triebtäterinnen und der Suche nach Liebe und
Erlösung − überwältigend, brutal und brillant geschliffen
In den Jagdgründen der Liebe
Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger.
Klett-Cotta, Stuttgart 2009. 268 Seiten,
Fr. 37.90.
Von Angelika Overath
Brigitte Kronauer lesen heisst die Poesie von Strukturen erfahren. Wie sich
eine Bachsche Fuge dem Glück des
Hörens erst erschliesst, wenn die versetzten Stimmen in ihren Modulationen
erkannt und verfolgt werden, so steigert
sich das Vergnügen des Lesers, der in
Kronauers Texten nicht einfach die
Melodie einer Handlung sucht, sondern
bereit ist für Polyphonien mit ihren Engführungen, Umkehrungen, Verkürzungen. «Zwei schwarze Jäger» besteht aus
drei Kapiteln, die ein imaginatives
Klang-Sinn-Gebäude errichten: eine unabsehbare Villa, ein Schloss mit Trompel’Œil-Malerei, ein Freilichttheater, das
sich als Realität inszeniert.
Wie Eschers gezeichnete Hände sich
selbst zeichnen und seine Treppen in
kippende Räume führen, die jede Zentralperspektive narren, so spielt dieser
Text auch mit seiner Genese und der
Frage, wo sich der Glanz der Intensität
provozieren lässt, in der Wirklichkeit
(was immer das ist) oder in der Kunst
(was immer sie sein könnte). Die Grundidee des Buches geht auf eine Skulptur
in der Villa Borghese in Rom zurück:
Zwei Afrikaner ziehen mit zwei angeketteten Löwen zur Jagd. Um diese Marmorfiguren kreist die Erzählung «Zwei
schwarze Jäger», die die Schriftstellerin
Rita Palka im Schloss des Städtchens W.
vorträgt. Im Schlafgemach dieses Schlosses wiederum steht eine Porzellankopie
der römischen Gruppe.
Rita Palka entzündet den EpiphanieSchock, als sie in ihrer Erzählung eine
Frau erkennen lässt, dass nicht nur die
Löwen an die Jäger, sondern auch die
Jäger an die Löwen gekettet sind, beide
einander verbunden wie Liebende, die
sich nicht trennen, nur zerfleischen können in ihrer utopischen Jagd. Als Herr
Schüssel, der Initiator der Lesung,
nachts zur Schriftstellerin kommt, wird
er von seiner Frau überrascht, die in
ehelichem Furor die kostbare Porzellankopie ergreift und auf den Boden wirft.
Unter dem Blick ihres gepeinigten Mannes bückt sich die Gattin nach den
Scherben, und Rita, «die weiss und nie
vergessen kann, dass alles, was als
Geschichteerzähltwird,eineBeschwichtigung darstellt», hockt sich «in Gottes
Namen zum Sammeln mit auf den Boden
nieder».
Damit kann das Spiel beginnen: ein
Motiv zersplittert als teure Fälschung,
und die Autorin nimmt sich seiner an.
Das zweite Kapitel variiert nun die Jagd
(nach Liebe, Erhebung, Erlösung, nach
den «Leuchttürmen» der Begeisterung)
in fragmentierten Geschichten, die im
8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
dritten Kapitel dann enggeführt werden,
als seien sie die Wörter in den Schüttelreimen des Malers Fritz Grosse, der aus
«Nordlicht» den «Lord Nicht» macht
und aus «Baugrube» Herrn «Graubube»
erfindet. Die poetische Orthographie
steckt vertrackt und erlösend im Ort der
Sprache, und die Romanfiguren leuchten augenblickshaft auf wie Farben einer
Palette, die verschiedene Konstellationen tönen und sich mischen.
Kronauer geht durch alle Milieus.
Von der Geldschickeria der Zahnärztinnen und Steuerberaterinnen bis in die
Plüschwohnung der Supermarktkassiererin, die beschliesst, an der Bundesstrasse als Prostituierte zu arbeiten; vom
Lektor, der sich in einen Kellner verliebt
und vor dem Montblanc von der Idee
des Absoluten geschlagen wird (eine
der schönsten Passagen des Buchs), bis
zur Rachefurie Frau Piz im Rollstuhl, die
ihren Ex-Geliebten einsetzt, damit er
casanovahaft in das glückliche Elend
bürgerlicher Jungmütter fährt. Und die
scheue Wally, vom weltreisenden Holländer Oom Henk mit der Sehnsucht
«drogisiert», irrlichtert als seelische
Triebtäterin und mythisches Wald-undWiesen-Wesen durch die Jagdgründe
von Liebe, Natur, Kunst. Wer das Unbedingte nicht lassen kann, bleibt an sein
tödliches Tier gekettet. Ob die zerfleischende Enttäuschung «höheren Orts»
beabsichtigt ist, bleibt in diesem so gütigen wie brutalen, schwebendleichten
und brillant geschliffenen Roman offen,
«in Gottes Namen». ●
USA Pommes frites im Grand Canyon
Was macht Amerika aus? Der Grand Canyon und
Pommes mit Ketchup gehören sicher zu den Dingen,
die unsere kollektive Phantasie von den USA mitbestimmen. Taiyo Onorato und Nico Krebs, die beide
in Zürich ausgebildet wurden und leben, spielen mit
diesen Klischees. Sie bereisten über drei Jahre
hinweg immer wieder das Land und entdeckten das
Unerwartete des Bekannten. Sie vertrauen dabei dem
Rhythmus des Reisens; nicht der Ort, die Bewegung
zählt und die Stimmung. Keine Texte, nicht einmal
Angaben zu den Aufnahmen sollen das Gleiten zwischen dem, was sie zeigen, und dem, was wir assoziieren, stören. Entsprechend frei fliessen die Bilder
über die Buchseiten. Farbige und schwarzweisse
Aufnahmen, arrangierte und gefundene Sujets, kleine
und randlos die Seiten füllende Formate folgen aufeinander. Da spritzt der Dreck auf die Ansicht einer
trostlosen Dorfstrasse, dort verschwindet ein Highway im Schwarz der Nacht und der kruden Unterbelichtung. Es gibt Skurrilitäten wie eine Assemblage
aus Stuhlsitz und spinnenartigen Astbeinen im Wald.
Und eine Häuserreihe, die ein Hangrutsch übrig
gelassen hat. Ein Reisebuch, so ironisch und melancholisch, wie es sie nicht oft gibt. Gerhard Mack
Taiyo Onorato, Nico Krebs: The Great Unreal. Edition
Patrick Frey, Zürich 2009. 152 S., 109 Abb., Fr. 68.−.
Roman Wieder einmal umkreist Sibylle Berg das Altern nach 40 sowie das Glück zu zweit
Panik einer reifen Dame
Sibylle Berg: Der Mann schläft.
Carl Hanser, München 2009. 309 Seiten,
Fr. 34.5o.
Von Bettina Spoerri
Seit einigen Jahren haben die Protagonistinnen in Sibylle Bergs Schreiben ihr
vierzigstes Lebensjahr überschritten.
Und um dieses Thema kreisen ihre
Gedanken unaufhörlich. Immer wieder
empören sie sich von neuem über das
Skandalon der «conditio humana»: Das
unaufhaltsame Altern als Vorbote des
Todes. Mit der Beschwörung der «vanitas» und dem Aufbegehren gegen den
unabwendbaren Verlust schreibt die
Autorin eine alte Rhetorik-Tradition der
Literaturgeschichte fort. Aber sie konterkariert und trivialisiert sie gleichzeitig, indem sich die Klage in ihren Texten
in Koketterie und Tragikomik verwandelt. Angesichts des welkenden Fleisches – des eigenen zuerst einmal, dann
immer wieder auch der erschlaffenden
Haut anderer – wird die Ich-Erzählerin
im Roman «Der Mann schläft» ihrer
Endlichkeit gewahr.
Und da sie mit ihrer Körperhülle immer
weniger Eindruck beim männlichen
Geschlecht hinterlässt, hat sie sich
zunehmend auf die Entdeckung innerer
Werte verlegt. Dabei entwickelt sie nun
den einen oder anderen Moment heiterer Gelassenheit und weiser Einsichten.
Allerdings muss sich die Frau dafür
immer erst durch den Wust moralischer
und pseudoaufklärerischer Tiraden
kämpfen, denn sie ist auch einer zweiten
Obsession Bergscher Kreationen verfallen: Ihrer Meinung nach führen die
Menschen ein falsches Leben. Da sind
die braven Bürger mit ihrer Jagd nach
Geld und ihrer Autoritätsgläubigkeit,
doch ebenso verachtenswürdig sind
etwa junge Männer «aus der unteren
Mittelschicht», die ihr «kreatives Potenzial» ausleben wollen, oder Eltern, die
ihre Tochter «Freia» nennen.
Nicht selten schwingt in diesen
Schmähreden eine theatralische Lust an
immer absurderen Schuldzuweisungen
und überspanntem Getue mit – bis zur
Entlarvung der eigenen Lächerlichkeit.
Es ist diese immer wieder aufblitzende
Selbstironie im Wissen um seine neurotische Struktur, die einem das neueste
weibliche Ich in Bergs Prosa für wiederkehrende Augenblicke dreidimensional
und liebenswert werden lässt, rührend
in seiner Hilflosigkeit und seinem
ungenierten Bekenntnis zu kindlichen
Bedürfnissen. Nachdem die Frau nämlich fast schon desillusioniert Abschied
von Liebesglückträumen genommen
hat, begegnet sie unverhofft einem
Mann, der sich als Begleiter in ein abgeklärtes Alter eignet. Jenseits der vierzig
sind die Ansprüche bescheiden geworden: «Ich war alt genug zu wissen, dass
Jean michel voGe/laif
Unaufgeregte Seligkeit
Ein Gran von Unzufriedenheit jagt das
Protagonistenpaar
aus dem Paradies.
es Glück ist, einen zu treffen, den man
so gern hat, dass er einen nie stört.» Und
es scheint mehr als Torschlusspanik
oder Resignation zu sein, wenn diese
«mittelalte Dame» bei einem Riesen
von Mann unaufgeregte Seligkeit findet.
Er ist weder schön noch reich, aber er
scheint «frei von Projektionen». Und er
besitzt ein Auto und ein Haus im Tessin,
wohin sich die Verfasserin von Gebrauchsanweisungen für die nächsten
vier Jahre mit ihm zurückzieht, um einfach so oft wie möglich ihren Kopf auf
seinen runden Bauch zu betten.
Hoffnungsvolles Ende
So hätten sie glücklich bis an ihr Ende
leben können, wäre ihnen nicht eines
Tages die «unselige Idee» gekommen,
zu verreisen. Durch ein Gran von Unzufriedenheit, so der Bergsche Zeigefinger,
haben sich diese Eva und ihr Adam
selbst aus ihrem Paradies vertrieben.
Und in der exotischen Ferne, auf irgendeiner Insel im Südchinesischen Meer,
sind sie einander abhandengekommen.
Allein gelassen in einem nun viel zu
grossen Bett, rekapituliert die Frau ihr
Leben, «ehe alles begann», die Begegnung, die wachsende Vertrautheit und
die Alltagsrituale bis hin zum Aufbruch
in den Fernen Osten, dem plötzlichen
Verschwinden des Mannes und der vergeblichen Suche. Alternierend zu diesen
kurzen Kapiteln einer langen Vorgeschichte, erzählt die Frau von ihrem
Überleben danach, von ihren Abstürzen
– und dem vorübergehenden Aufgehobensein in einer Art Ersatzfamilie.
In der Komposition dieser beiden
Erzählebenen, die in einem offenen,
aber hoffnungsvollen Ende kulminieren,
verliert Sibylle Berg allerdings öfter die
Erzählfäden aus ihren Händen, und so
wird das kurzatmige Springen zwischen
Episoden, auf mehr als 300 Seiten ausgedehnt, zu einer verwirrenden und teilweise etwas ungelenken Formübung. Zu
dieser Unruhe trägt auch das extravagante Personal bei: Ein Panoptikum
bevölkert die Landschaften des Romans,
darunter ein Zwerg mit Bauplänen für
eine Arche Noah oder eine Frau, die sich
selbst die Hand abhackt und Anhängerin einer Sekte wird. Auch mit dabei
sind eine Prostituierte im Rollstuhl, ein
unerträglich altkluges Mädchen, ein
stoischer Masseur und, immer wieder,
westliche Heilsuchende. Die phantastischen Nebenfiguren bleiben aber ein
Sturm im Wasserglas, ein grotesker Aufmarsch, der den stillen, wirklich berührenden Kern der Geschichte immer wieder auf die Seite schiebt.
Dabei wäre das Glück doch im Einfachen zu finden. Sibylle Berg scheint das
zu ahnen, aber noch vertraut sie diesem
Wissen nicht. ●
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9
Belletristik
Roman Erst nach seinem Bestseller «Der Jakubijan-Bau» hat der ägyptische Autor Alaa al-Aswani sein
Erstlingswerk, einen umstrittenen Kurzroman, veröffentlicht
Wenn ein ägyptischer
Antiheld am Alltag leidet
Alaa al-Aswani: Ich wollt’, ich würd’
Ägypter. Aus dem Arabischen von
Hartmut Fähndrich. Lenos, Basel 2009.
246 Seiten, Fr. 34.80.
Der 52-jährige Alaa al-Aswani ist einer
der erfolgreichsten arabischen Autoren.
Seine Romane «Der Jakubijan-Bau» und
«Chicago» verkauften sich je eine Million Mal. Neben seiner literarischen
Arbeit schreibt er politische Artikel für
eine unabhängige Tageszeitung. Nach
wie vor behandelt der gelernte Zahnarzt
an zwei Tagen in der Woche in seiner
Praxis Patienten, obwohl er inzwischen
vom Schreiben leben kann. Und längst
kann Aswani alles publizieren, was er
will. Das war nicht immer so. Als er 1990
seinen ersten Roman veröffentlichen
wollte, kannte ihn niemand. Ausserdem
wollten die wenigen privaten Verlage,
die es damals gab, kein Risiko eingehen.
Er legte sein Manuskript der staatlichen
Buchorganisation zur Publikation vor,
und diese lehnte ab mit der Begründung,
er beleidige die Ägypter. Erst vor wenigen Jahren ist der Roman erschienen, in
einem privaten Verlag. Ergänzt um
13 Erzählungen, wurde er jetzt von Hartmut Fähndrich ins Deutsche übersetzt:
«Ich wollt’, ich würd’ Ägypter».
Student im Liebeswahn
Der etwas sperrige Titel bezieht sich auf
einen Ausspruch des ägyptischen Nationalisten Mustafa Kamil: «Ich wollt’, ich
würd’ Ägypter, wenn ich’s nicht schon
wär’.» Als spöttisches Motto ist der
Spruch dem Kurzroman mit dem Titel
«Aufzeichnungen des Issam Abdalati»
vorangestellt und wird sogleich als «eine
hirnlose Art fanatischen Tribalismus’»
denunziert. Es folgt eine wüste Verhöhnung der ägyptischen Mentalität: «Feigheit und Scheinheiligkeit, Bosheit und
Gemeinheit, Trägheit und Gehässigkeit,
das sind unsere ägyptischen Eigenschaften.»
Der in Ich-Form gehaltene Text erzählt die Lebensgeschichte eines lesehungrigen jungen Mannes mit scharfem
Verstand, der an der Mediokrität des
Alltags leidet und sich durch Heuchelei
und Vetternwirtschaft beleidigt fühlt.
Mit kaltem mitleidlosem Blick beschreibt er seinen Vater als erfolglosen
Maler, seine Mutter, wie sie sich hilflos
gegen ihre Krebserkrankung auflehnt.
Seine Kollegen am Arbeitsplatz befindet
er für wertlos und verwirft sie. «Ich kam
näher und sah», ist eine wiederkehrende
Wendung, die jeweils in eine angewiderte Beschreibung des Gesehenen
10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
Dominic nahr/laif
Von Susanne Schanda
Der Autor Alaa
al-Aswani geisselt
in seinem neuen
Buch die ägyptische
Mentalität. Strassenszene in Kairo.
mündet. Einsam bereits als Student, isoliert sich Issam in seiner Überheblichkeit und Weltverachtung immer weiter,
bis er in Paranoia verfällt und halluziniert. Im Wahn sieht er sich schliesslich
in einer Liebesbeziehung mit einer weisshäutigen, blauäugigen Deutschen mit
langen blonden Haaren, die er als Verkörperung des Edlen und Schönen
sieht.
Faszination und Abscheu
Alaa al-Aswani ist bekannt für seine
scharfe Kritik an Korruption, Doppelmoral und den Demokratie-Defiziten in
seinem Land. Vorsichtshalber erklärt er
im Vorwort, dass ein Autor nicht mit
den Aussagen seiner Figuren identifiziert werden darf. Dies wäre kaum nötig
gewesen. Indem er seinen Protagonisten
als kranken, zynischen Antihelden
zeichnet, verwehrt er nicht nur die Identifikation mit der Figur, sondern auch
eine Gleichsetzung dieser mit dem
Autor. Die radikal pessimistische Perspektive des Ich-Erzählers macht die
Lektüre zu einem ambivalenten Erlebnis
zwischen Faszination und Abscheu.
Das Buch enthält neben dem Roman
13 Kurzgeschichten, in denen menschliche Tragödien aufscheinen. Sie erzäh-
len von kindlichem Unglück, wenn ein
Junge mit Beinprothese Rad fahren
möchte wie die anderen, aufs Rad steigt,
es tatsächlich schafft und fährt, doch unmittelbar nach seinem Triumphschrei
schrecklich stürzt, oder wenn ein anderer in der Turnstunde ausgegrenzt wird,
weil er unsäglich dick ist.
Ein Glanzstück über Doppelmoral
und das Verschwimmen der Bilder von
Heiliger und Hure in einer Männerphantasie ist «Ein abgetragenes Kleid und ein
Kopftuch». Schliesslich «Madame Sitta
Mendès – ein letztes Bild»: Ein 40-jähriger Mann erinnert sich an die sonntäglichen Ausflüge, die er als Knabe zusammen mit seinem Vater zu einer Frau
machte, die er Tante Sitta nannte. Ausflüge, von denen die Mutter nichts wissen durfte. Die Erinnerungen geraten zu
einer zarten Hommage an die Geliebte
des Vaters, die Lieder von Edith Piaf
sang und als Tänzerin in einem Club arbeitete. Als Erwachsener trifft er sie unverhofft wieder. Eine Frau mit einer dicken Schicht Puder im Gesicht, fast
blind, hebt den Kopf, als er sie beim
Namen ruft: Tante Sitta. Ein melancholischer Nachruf auf vergangene Zeiten,
in dem Moralvorstellungen durch einen
Kinderblick unterwandert werden. ●
Roman Michael Stavarič erzählt von
Geschlechterkampf und Krieg
Masche
statt Stil
Kurzkritiken Schweizer Buchpreis
Eleonore Frey: Muster aus Hans.
Ein Bericht. Droschl, Graz 2009.
114 Seiten, Fr. 32.90.
Jürg Laederach: Depeschen nach
Mailland. Hrsg. Michel Mettler. Suhrkamp,
Frankfurt 2009. 188 Seiten, Fr. 32.50.
Hans ist ein Mann von 33 Jahren und ein
Aussenseiter. Ein massiger Mensch mit
wallendem Bart. Einer, der sich nicht
anpasst. Er denkt anders, hat ein anderes
Verhältnis zur Sprache, nimmt die Welt
anders wahr. Diesem Phänomen folgt
die 1939 in Frauenfeld geborene Autorin
Eleonore Frey Satz für Satz. Sie macht
für uns das Anderssein erlebbar, ohne zu
psychologisieren. Sie führt die Welt, in
der Hans lebt, vor, indem sie etwas in
Sprache bannt, das wir so noch nicht
kannten. Erst allmählich dämmert uns,
dass wir es mit einem Zustand zu tun
haben, für den die Psychologie das Wort
Autismus bereithält. Es ist ein grosser
und grober Begriff, und die Autorin vermeidet ihn tunlichst. Ihr Text kommt
ohne jede Etikette aus. Er zeugt von
höchster Aufmerksamkeit und subtilster
Einfühlung. Nie ist er voyeuristisch oder
sentimental. In seiner kristallinen Sprache eröffnet er uns eine Welt, für die das
Wort «Behinderung» zu kurz greift.
Manfred Papst
Der 1945 geborene Basler Autor, Übersetzer und Musiker Jürg Laederach, ein
so gelehrter wie furioser Sprach-Experimentator, überrascht mit einem federleichten neuen Buch. Michel Mettler,
sein 21 Jahre jüngerer Aargauer Kollege,
hat es ihm abgeluchst. Seit 2002 stehen
die beiden in regem E-Mail-Wechsel.
Mettler hat das Material aufbewahrt,
redigiert und mit einem gescheiten
Nachwort versehen. Seine eigenen
E-Mails blendet er aus. Dennoch merken
wir auf jeder Seite, wie der Enthusiasmus des Jüngeren den Älteren beflügelt.
Ihre Liebe zum Jazz, ihr Sammeleifer,
ihre Musikalität und Kennerschaft verbindet die beiden. Aber es kommt auch
anderes zur Sprache: Tagespolitik. Die
Hauskatze. Beizen im Welschland. Lektüren. Computer-Abenteuer. Nie hat man
Laederach agiler und heiterer erlebt. Die
E-Mail erweist sich als ideales Medium
für sein Feuerwerk an Gedanken und
Sprachbildern.
Manfred Papst
Angelika Overath: Flughafenfische.
Roman. Luchterhand, München 2009.
174 Seiten, Fr. 31.90.
Ilma Rakusa: Mehr Meer.
Erinnerungspassagen. Droschl, Graz 2009.
325 Seiten, Fr. 41.90.
Die Erzählerin, Reporterin, Literaturkritikerin und Dozentin Angelika Overath,
die 1957 in Karlsruhe geboren wurde
und im bündnerischen Sent lebt, legt
ihren zweiten Roman vor. Er handelt
von drei verlorenen Seelen im Niemandsland eines Transitflughafens. Tobias ist
dort für ein Salzwasseraquarium zuständig, das als Raumteiler dient. Er ist ein
etwas verschrobener Mann, der gedanklich in seiner Unterwasserwelt lebt.
Kaum jemand könnte sich stärker von
ihm unterscheiden als Elis, eine Reportagefotografin, die auf ihren Anschlussflug wartet. Sie ist nervös, übermüdet,
schlecht gelaunt. Dennoch ergibt sich
eine denkwürdige Begegnung. Sie wird
konterkariert durch den inneren Monolog eines Biochemikers, der sich in der
Raucher-Lounge des Flughafens ins Vergessen trinkt. Angelika Overath erzählt
präzis, zärtlich und bewegend von Sehnsucht und Liebe, Einsamkeit und Tod.
Manfred Papst
Die 1946 in der Slowakei geborene Autorin Ilma Rakusa, die seit vielen Jahren
als Schriftstellerin, Übersetzerin und
Publizistin in Zürich lebt, legt mit «Mehr
Meer» ein poetisches Buch der Erinnerung vor. Es führt ins Mitteleuropa der
Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg. Ilma
Rakusa schildert ihre Kindheit als Tochter eines slowenischen Vaters und einer
ungarischen Mutter. Ihre Lebensreise
führt sie von einer slowakischen Kleinstadt über Budapest, Ljubljana und
Triest bis nach Zürich und weiter in die
Welt hinaus. Musik, Literatur, aber auch
fremde Menschen und Länder erfüllen
das Leben der Heranwachsenden mit
Szenen, die sich für immer einprägen.
Sie finden ihren Nachhall in einem
klugen und ungemein reichhaltigen
Werk, das wie ein Mosaik aus unzähligen winzigen Steinchen zusammengesetzt ist und doch das Bild einer ganzen
Epoche erstehen lässt.
Manfred Papst
Michael Stavarič: Böse Spiele. C. H. Beck,
München 2009. 155 Seiten, Fr. 30.10.
markus kirchGessner/laif
Von Sieglinde Geisel
Wann hat die Welt wohl genug von dieser Jungmännerprosa gesehen? In seinem vierten Roman schreibt Michael
Stavarič über die Männer und die Frauen, mit allen Mitteln der Kunst. Denn
sein literarisches Material sind nicht
Figuren oder Handlungen, sondern
Sätze, und zwar die abgestandensten
Sätze, die wir bis zum Überdruss aus
Geschlechterdebatten kennen und aus
schlechten Liebesromanen: «dass die
Frauen Opfer bleiben und die Männer
Täter», «dass wir einander viel zu viel
bedeuten und genau das nicht für den
Alltag taugt», «dass sie noch nie einen
Mann wie mich kannte».
Der Ich-Erzähler generiert solche
Sätze mehr, als dass er sie spricht;
manchmal verschiebt er sie und ordnet
sie in kurzen Abschnitten neu. Die eine
Frau, die er liebt, ist verheiratet mit Robert samt Kind, die andere, die er liebt,
ist eine Freundin der ersten. Die eine
will von ihm erobert werden, die andere
will ihn erobern und so weiter. «Böse
Spiele» werden uns im Titel versprochen, denn von der Liebe ist es nicht
weit bis zur Gewalt. Die eine Frau
wünscht allen Männern den Tod, und
sie erklärt dem Ich-Erzähler variantenreich, wie er Robert töten soll, nicht nur
weil dieser sie geschlagen hat. Diffus ist
von «früher» die Rede, von einer quasimittelalterlichen Welt, wo man das Vieh
sortierte, Beeren sammelte und
Dörrfleisch schichtete, wo man
noch wusste, was Sache war.
Das Wort «Krieg» gehört
von Anfang an zum Spiel-Inventar, doch in der grotesken
Geschlechterschlacht, in die
alles mündet, kämpfen
Pappkameraden. Die Männer, die Frauen, die Liebe,
das Töten, der Krieg – die
grossen Worte bleiben leer. In
den leiernden «dass»-Sätzen
begegnen wir einer mehrfach
rezyklierten Rede: Der vermeintliche Monolog besteht aus nacherzählten Dialogen, gespickt mit
kursiven Zitaten: «Die Liebe
macht dir zu schaffen, sagt sie.
Deine Liebe ist meine Strassenbahn.» Wenn solche Sätze fallen, wird alles belanglos. Vom
sprachlichen Konzept, das
man anfangs noch zu erwarten geneigt war, bleibt nur
billige Masche, die verschleiern soll, dass dem
Autor der eigene Stil
abgeht. ●
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11
Interview
Urs Widmer erzählt in seinem neuen Roman eine so heitere wie
abgründige Geschichte. Sie handelt von einem abenteuerlustigen Knaben,
der als Einziger einen etwas schrulligen alten Mann sehen kann. Es ist
Herr Adamson, sein Todesbote. Interview: Manfred Papst
«Mit Phantasie
geschlagen»
Bücher am Sonntag: Herr Widmer, Ihr neues
Buch führt einen gewissen Herrn Adamson im
Titel. Haben Sie dabei an die Comicfigur gleichen
Namens gedacht, die der Schwede Oscar Jacobsson in den 1920er Jahren entworfen hat?
Urs Widmer: Ich habe tatsächlich Jacobssons
gezeichneten Herrn Adamson vor Augen gehabt. Die drei Haare, die bizarre Oberlippe.
Aber mein Herr Adamson hat einen durchaus
anderen Charakter.
Kannten Sie die Figur schon aus Kindertagen?
Im Französischlehrbuch «Pas à pas», das mein
Vater verfasst hat, gab es Adamson-Bildergeschichten. Und mein Vater hat mir die Bücher
geschenkt. Ich fand auch, dass Herr Adamson
meinem Vater glich. Allerdings ist mein Buch
keine Vatergeschichte geworden. Eher eine
Grossvater-Enkelin-Geschichte.
Sie bringen in dem Buch das Kunststück fertig, in
einem federleichten Ton vom Tod zu sprechen.
Ich beschäftige mich, höchst unfreiwillig, seit
eh und je mit dem Tod, und ich habe mir seit
langem meine kleinen Todesmythen zurechtgelegt. Hier habe ich sie nun sehr genau ausgearbeitet. Ich spiele auch nicht zum ersten
Mal damit, dass der Ich-Erzähler des Buchs
dem Autor Urs Widmer verteufelt
gleicht. Dass ich die Hauptfigur nicht
Urs Widmer
Der 1938 in Basel geborene
Schriftsteller Urs Widmer, der seit
vielen Jahren in Zürich lebt, gehört
zu den originellsten Stimmen der
Schweizer Gegenwartsliteratur.
Zu den bekanntesten Werken des
Erzählers, Dramatikers und
Essayisten zählen
«Liebesnacht» (1982),
«Indianersommer»
(1985), «Der blaue
Siphon» (1992), «Top
Dogs» (1996), «Der
Geliebte der Mutter» (2000)
und «Das Buch des Vaters». «Herr
Adamson» (200 Seiten, Fr. 33.90)
ist im Zürcher Diogenes-Verlag
erschienen und für den Schweizer
Buchpreis nominiert.
12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
bin, sieht man allein schon daran, dass das Buch
am 22. Mai 2032 einsetzt, einen Tag nach meinem 94. Geburtstag – und am Tag meines
Todes.
Wie war es für Sie, Ihren eigenen Tod literarisch
zu gestalten?
Schon ziemlich unheimlich! Aber ich benütze
da einen wunderbaren Trick. Ich lasse mich
zwar sterben – beschreibe auf der letzten Seite
meinen Tod –, aber ich hebe das Schreckliche
dieses Gedankens dadurch auf, dass ich mir
noch weitere 23 Jahre schenke. Im Moment des
Schreibens waren es sogar 24 Jahre. Ich mache
also einen Deal mit dem Tod. Ich lebe noch 24
gesunde Jahre, und dann gehe ich heiter, nicht
munter, aber gefasst ins Totenreich hinüber.
Ist dieser heitere Märchenton dem Thema angemessen?
Heiter ja, Märchenton nein. Ich nehme den Tod
ernst, und wie! Es wäre falsch, die letzten Seiten des Buches als Farce zu lesen. Der Ton des
Buches ist leicht, was es erzählt, ist tragisch. Ich
werde oft auf die Rolle des phantasievollen Luftikus festgelegt, immer noch. Aber ich selber
empfinde mich nicht so. Für mich sind die
letzten Seiten des Buches pathetisch.
Ist «Herr Adamson» ein Zukunftsroman?
Wir sind im Jahr 2032, aber ich spiele
die Karte des In-die-Zukunft-Sehens
nur ein einziges Mal aus: Wenn
ich sage, dass die israelischpalästinensische Versöhnung
am 4. September 2011 stattfindet. Das ist nur ein Tupfer, der zeigt, dass ich
mit der Zukunft spielen
könnte, wenn ich wollte.
Ich will aber nicht.
Andere Autoren werden
mit den Jahren milder. Sie
werden immer noch mutwilliger, frecher, fabulierwütiger.
Ich glaube, dass ich im
Lauf der Jahre mutiger
und angstfreier geworden bin. Deshalb wage
ich mehr beim Schreiben. Ich habe mehr Mittel
und setze sie auch ein. Mit
der Phantasie ist es wohl eher so, dass ich sie
nun mal habe. Ich habe beim Schreiben immer
das Gefühl, dass ich sie bremse. Für dieses Buch
habe ich konsequent nur Phantasien verwendet, die mit dem Thema zu tun haben. Alle
anderen Einfälle, die sich ja von selbst einstellen (und manchmal auf Anhieb durchaus reizvoll wirken), habe ich mir verboten.
Aber die Einfälle purzeln in diesem Text doch nur
so übereinander!
Ich habe eigentlich das Gefühl, ein fadengerade
auf sein Ziel loslaufendes Buch geschrieben zu
haben. Trotzdem höre ich oft, dass es von ausufernder Phantasie sei. Ich erlebe es nicht so,
weiss aber natürlich, was gemeint ist. Meine
Phantasie wuchert in Tat und Wahrheit viel
wilder, als es in meinen Büchern am Ende zu
sehen ist. Ich bin offenbar mit Phantasie
geschlagen.
«Ich beschreibe also zum
Beispiel meinen eigenen
Tod, einen ziemlichen
Hammer, und dann gehe ich
nach Hause und plaudere
vergnügt mit meiner Frau.»
Sie kokettieren!
Nicht nur. Phantasie kann eine Plage sein. Aber
ich bin trotzdem nicht verrückt geworden im
Lauf meines Lebens, und jetzt werde ich’s
gewiss nicht mehr. Das ist doch wunderbar.
Übrigens bin ich öfter ernst, als man denkt. Ich
schätze Clowns. Aber ich bin nun mal keiner.
Wollen Sie jetzt im Ernst abstreiten, dass der
Humor in Ihrem Werk eine wichtige Rolle spielt?
Ich versuche, das Tragische im Komischen aufzuheben. Aber ich mache keinen Kalauer um
seiner selbst willen. Hinter meinen Witzen sind
schwarze Löcher, und ich vertraue darauf, dass
meine Leser und Leserinnen das merken.
Verfolgen Ihre Phantasien Sie auch im Schlaf ?
Ich träume wie der Teufel, und ich träume selten schön. Das gibt mir zu denken. Offenbar
gibt es viele unaufgeräumte Seiten in mir.
marion nitsch
«Ich habe keine Arbeitsdisziplin wie Thomas Mann. Ich schreibe am Nachmittag.» Der Schriftsteller Urs Widmer im Schilfwäldchen vor seiner Klause in Zürich.
Andererseits bin ich, mindestens wenn ich
wach bin, ganz gut strukturiert. Das heisst, ich
kann ganz gut spalten. Ich beschreibe also zum
Beispiel meinen Tod, einen ziemlichen Hammer, und dann gehe ich nach Hause und plaudere vergnügt mit meiner Frau. Ich kann sozusagen den Handwerksladen hinter mir zumachen.
Und wie fühlen Sie sich bei der Arbeit?
Ich fühle auf zwei Ebenen. Zum Beispiel schreibe ich meinen Tod. Das ist auch für mich bewegend. Gleichzeitig empfinde ich so etwas wie
ein Arbeitsglück, weil ich merke, dass mir dieser Tod literarisch gut gelingt. Das konterkariert
das Basisgefühl des Tragischen und erfüllt mich
mit einem Glück der zweiten Art.
Wie entstehen Ihre Texte?
Ich gehe lange mit einem Buch im Kopf herum.
In mir wabert es. Es bilden sich Sätze, aber sie
werden nirgendwo notiert. Was in diesem Prozess verlorengeht, kann nicht wichtig gewesen
sein. Die Ideen stapeln sich im Kopf, bis eine
Art von Überdruck entsteht und ich merke:
Jetzt muss ich anfangen.
Wie geht dann der konkrete Arbeitsprozess vonstatten?
Ich schreibe auf einer elektrischen Schreibmaschine, nicht am Computer. Just, weil ich da
nicht so leicht löschen und etwas einfügen
kann. Ich bin stets gezwungen, das Ganze im
Auge zu behalten. Ich fange vorne an und höre
hinten auf. Ich verlasse eine Seite erst, wenn sie
fertig ist. Natürlich gibt es dann eine nächste
Fassung und eine übernächste. Ich merke ja oft
erst unterwegs, was ich eigentlich schreiben
will. Sowieso schreibe ich jede Seite so mehr
oder weniger zehnmal.
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13
marion nitsch
Interview
Urs Widmer behält ältere Fassungen seiner Texte auf, um sie später dem Literaturarchiv zu übergeben.
Bewahren Sie die verschiedenen Fassungen
auf ?
Früher habe ich sie einfach weggeworfen. Jetzt
behalte ich sie und gebe sie dem Literaturarchiv
in Bern. Vielleicht geben sie irgendeinem Germanisten einmal Brot und Arbeit.
Wie merken Sie, wann ein Text fertig ist und Sie
ihn loslassen müssen?
Am Schluss gerate ich in einen herrlichen
Zustand. Ich weiss nun alles genau und kann
gar keinen Fehler mehr machen. Ich weiss
genau, wann der Text fertig ist. Es ist ein Gefühl
der Evidenz. Umgekehrt habe ich ein latent
mulmiges Gefühl, wenn der Text noch unfertig
ist. Dann bossle ich eben so lange herum, bis
sich die Evidenz einstellt.
Schreiben Sie zu bestimmten Tageszeiten?
Nicht am frühen Morgen, weil ich ein Langschläfer bin. Ich habe keine Arbeitsdisziplin
wie Thomas Mann. Ich schreibe am Nachmittag. Aber eigentlich ist mir nicht besonders klar,
wann ich nun arbeite und wann nicht. Wenn ich
abends im Ohrensessel sitze und einen Rotwein
trinke, lese ich ja immer noch, nur zum Beispiel
ein Lehrbuch zur Sprache der Navajos, weil
diese in meinem Buch eine Rolle spielt. So
etwas kann ich mir nicht einfach aus den Fingern saugen.
Sie gelten als Fabulierkünstler. Trotzdem recherchieren Sie?
Natürlich kommt durch die Phantastik ein Element hinein, das im normalen Alltag nicht möglich wäre. Dieses Element aber behandle ich,
kaum hat es Einlass in meine Erfindung gefunden, mit dem grössten Realismus. Schreiben
heisst zwar gewiss, der diffusen Wirklichkeit
eine Form zu geben. Aber die Realien, von
denen ich ausgehe, müssen ihren exakten Ort
in der Wirklichkeit haben. Ich habe keine freischwebende, beliebige Phantasie. Immer führt
ein Faden zur Wirklichkeit.
Warum legen Sie solchen Wert auf diesen Punkt?
Nur so kann der Leser meine Geschichten nachvollziehen. Freie Phantasien verlieren sich im
Beliebigen. Natürlich kann ich mir ein Buch
vorstellen, in dem ich alle Schleusen öffne und
mit jedem Satz dort weitergehe, wo die Assoziation hin will. Vielleicht wäre das auch interessant. Ich habe aber meine Zweifel.
Sprechen Sie mit Kollegen oder Freunden über
Ihre entstehenden Arbeiten?
Während ich schreibe, sind meine Texte in mir
verschlossen. Einzig mit meiner Frau spreche
ich über meine Arbeit. Und oft merke ich erst
dann, worauf ich eigentlich hinaus will. Meine
Frau ist auch die erste und meine beste Leserin.
Gerade bei meinem neuen Buch hat sie mir äusserst wertvolle Hinweise gegeben.
Spielt ihr Beruf als Psychologin dabei eine Rolle?
Sie ist Psychoanalytikerin, aber sie liest meine
Bücher nicht mit diesem Blick, sondern als
jemand, der die Literatur liebt und mich liebt.
Ich bin ja dieser psychoanalytischen Welt auch
nicht fern. Literarisches Schreiben und psychoanalytisches Denken sind verwandte Disziplinen, auch wenn das Schreiben weder eine Wissenschaft ist noch therapeutische Ziele hat.
Überarbeiten Sie bereits erschienene Texte, beispielsweise wenn Sie auf Lesereisen Fehler oder
Schwächen entdecken?
Kein Buch ist ohne Fehler. Sie gehören zu ihm
und machen es auf gewisse Weise noch schöner. Was gedruckt ist, ist gedruckt. Ich habe nie
einen schon veröffentlichten Text für eine spätere Auflage nochmals überarbeitet. Ich denke
nicht daran. Sollen die Unvollkommenheiten
halt stehen bleiben. ●
»Ein Verlierer
der närrischen Sorte«
Musik, Kamerun und
Paradiesvorstellungen
Franz Rueb: Rübezahl spielte links
aussen. Erinnerungen eines Politischen, 312 Seiten, gebunden, Fr. 35.–,
k 21.80, ISBN 978-3-85990-150-6
»Jetzt hat er aus seiner Kindheit und
seiner Politikerzeit eine literarisch erstaunliche Autobiografie destilliert, ein
reiches, kluges und sprachmächtiges
Buch über die Schweiz. (…) Mit einem
mächtigen, funkelnden Vokabular –
ein Prachtpferd von Autor.«
Stan Nadolny in der NZZ
Ruedi Debrunner: Süssland. Roman,
256 Seiten, gebunden, Fr. 33.–, k 21.–,
ISBN 978-3-85990-148-3
»Greet Sweetland for me!« – Diesen
merkwürdigen Abschiedsgruss in den
Ohren, besteigt Mark Zeller in Duala das
Frachtschiff Richtung Europa. Afrika
bleibt jedoch nicht zurück: Nach einem
ereignisreichen Jahr als Musiklehrer in
Kamerun reisen seine lebhaften Erinnerungen mit – und nicht nur sie.
14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
<wm>10CAsNsjY0MDAx1TWwsDQ0sQAAOaQePQ8AAAA=</wm>
<wm>10CD2LOw6AMAzFTtTopUrahoz9TBVCgLj_UagYGLzY8pyuhI_a97ufzoBoQDGW4mpKrDmps0VKsWTHChGwDaYmEFvqH0Jt4QIG8IDpaOMFIeh382AAAAA=</wm>
edition 8, www.edition8.ch
Kolumne
Charles Lewinskys Zitatenlese
GaËtan bally / keystone
Der Witz setzt immer ein
Publikum voraus. Darum
kann man den Witz auch
nicht bei sich behalten.
Charles Lewinsky,
63, ist Schriftsteller,
Radio- und TV-Autor
und lebt in Frankreich.
Sein letztes Buch
«Zehnundeine Nacht»
ist 2008 bei Nagel &
Kimche erschienen.
Kurzkritiken Sachbuch
Christoph Antweiler: Heimat Mensch.
Was uns alle verbindet. Murmann,
Hamburg 2009. 267 Seiten, Fr. 31.50.
Adalbert Hofmann: Die Männer vor der
Küchentür. Satirische Gedankensplitter.
Bod, Norderstedt 2009. 131 Seiten, Fr. 24.90.
Es ist das zweite Buch des Universalienforschers und Ethnologen Christoph
Antweiler, und wieder geht es nicht um
das, was uns trennt, sondern um das,
was «uns alle verbindet». Ein Kulturvergleich also, der nicht die Kontraste hervorhebt, sondern die Gemeinsamkeiten.
Auf amüsante Weise werden angeblich
kulturelle Extravaganzen zerpflückt. So
gibt es bei den Eskimo keine 80 Wörter
für Schnee, sondern nur ungefähr so
viele wie im Deutschen. Oder: Initiationsriten beschränken sich nicht auf
exotische Gesellschaften, sondern kommen auch bei uns vor; das akademische
Leben ist voll davon: Matura, Promotion, Habilitation, Antrittsvorlesung. Es
gibt, so Antweiler, «eine weltweite Basis
prinzipieller Gleichheiten». Letztlich
könne die Globalisierung überhaupt nur
funktionieren, weil die Menschen sich
so ähnlich sind. Anregend, kurzweilig,
lesenswert.
Geneviève Lüscher
Vierzig Jahre war er Redaktor beim
«Zürcher Oberländer», zuständig für
das Regionalgeschehen. Nun, nach seiner Pensionierung, veröffentlicht der
66-jährige Adalbert Hofmann Kurzgeschichten. Er nennt sie auch «Gedankenstriche». Es sind 48 kräftig gezeichnete Skizzen, die von Senioren handeln,
die durchs Leben hasten, wo sie doch
nun Zeit hätten. Oder von begnadeten
Köchinnen, die eigenartigerweise oft
den Pizzakurier bestellen. Er sinniert
über die B-Post und die Hundeleinenpflicht. Die Fasnachtschüechli, die beim
Grossverteiler schon im Dezember in
der Auslage liegen. Und natürlich die
kleinen Steuersünder – jene, die so gerne
über die grossen Abzocker in der Wirtschaft herziehen. Hofmanns feine Alltagsbeobachtungen bringen uns zum
Schmunzeln, halten uns aber auch einen
Spiegel vor, in dem wir uns oft verwundert selbst betrachten können.
Urs Rauber
Ueli Oswald: Ausgang. Das letzte Jahr mit
meinem Vater. Edition Epoca,
Zürich 2009. 112 Seiten, Fr. 24.90.
Sandra Willmeroth, Fredy Hämmerli:
Exgüsi. Knigge für Deutsche und Schweizer.
Orell Füssli, Zürich 2009. 187 Seiten, Fr. 34.90.
Heinrich Oswald (1917–2008) war Unternehmer von altem Schrot und Korn:
langjähriger Knorr-Generaldirektor, Ringier-Direktionspräsident, Oberst und
Vorsitzender der nach ihm benannten
Armeereformkommission Ende der
sechziger Jahre. Ein Mann, der zeitlebens gewohnt war, zu entscheiden und
zu führen. Mit Widerspruch, vor allem
im Privaten, tat er sich schwer; eine
Opferrolle zu spielen, lehnte er ab. Im
Alter von neunzig, als er körperlich zerfällt und sich Altersdepressionen einstellen, entscheidet er sich für den Freitod. Sein Sohn Ueli beschreibt das letzte
Lebensjahr des Vaters bis zum Griff nach
dem Glas mit der Natrium-Pentobarbital-Lösung. Ein spannender, gut geschriebener, doch erschreckender Report, der
auch die Leere und Sprachlosigkeit einer
unerfüllten Vater-Sohn-Beziehung zum
Thema macht.
Urs Rauber
«Exgüsi» ist weit mehr als eine oberflächliche Betrachtung der Hassliebe
zwischen Deutschen und Schweizern.
Es ist ein Faktenbuch, das erstens erklärt,
wieso nicht die Deutschen an der «Neusten Deutschen Welle» in der Schweiz
schuldig sind, sondern wir Schweizer
selbst. Zweitens erklärt es, woher die
vielen gegenseitigen Vorurteile stammen, und drittens, wer die Bayern, Berliner, Sachsen, Aargauer, Walliser, Zürcher denn nun wirklich sind. Nach der
Lektüre des äusserst kurzweiligen Werkes wissen die Leser, dass das Maximum
eidgenössischer Flucherei das «Dammi
Siech» ist, wieso man auf den Frontseiten unserer Tageszeitungen 15 Mal eine
Wortkombination mit «Schweiz» findet,
weshalb die Rätoromanen untereinander so zerstritten sind – und was Deutsche und Zürcher gemeinsam haben.
Noch irgendwelche Fragen?
Charlotte Jacquemart
Joh. Wolfgang v. Goethe
Jeder Berufsstand hat seine eigenen
Witze. Bei Medizinern beginnen sie
mit «Treffen sich zwei rote Blutkörperchen», bei Musikern mit «Sagt ein
Bratschist zum Dirigenten» und bei
Diplomaten mit «Fährt ein Bundespräsident nach Libyen».
Nur Schriftstellerwitze kannte ich
lange Zeit keine und konnte mir
diesen Mangel nicht erklären. Schliesslich besteht die Schreiberzunft nicht
nur aus lauter humorlosen Langweilern. Vielleicht, dachte ich, neigen wir
einfach dazu, wirklich gute Pointen
nicht in fröhlicher Runde zu verschwenden, sondern sie lieber für
unser nächstes Buch aufzubewahren.
Oder nehmen wir unseren Beruf so
ernst, dass es uns gar nicht in den Sinn
kommt, darüber Scherze zu machen?
Ich brauche nicht länger über das
Problem nachzudenken, denn seit neustem kenne ich endlich einen Schriftstellerwitz, erzählt vom argentinischen
Kollegen José Pablo Feinmann. Ein
idealer Titel dafür wäre «Der Club der
toten Dichter», aber da war das Kino
leider wieder mal schneller.
Mit oder ohne Titel: Goethe hatte
völlig recht. Ich kann die Geschichte
nicht bei mir behalten. Auch in
«Bücher am Sonntag» darf mal gelacht
werden.
Also: Ein Schriftsteller ist gestorben
und kommt ans Himmelstor. Dort
wartet schon Petrus auf ihn und sagt:
«Gratuliere, Sie sind fürs Schriftstellerparadies vorgesehen. Wenn Sie es
vielleicht mal besichtigen möchten?»
«Gern», sagt der frisch Verstorbene,
und Petrus führt ihn zu einem Guckloch, durch das man ins Paradies schauen kann.
Dort sieht es so aus: Die Dichter
sitzen auf feurigen Stühlen vor rot glühenden Tastaturen, bei jedem Buchstaben, den sie tippen, verbrennen sie
sich die Finger, und sie jammern und
klagen und raufen sich die Haare.
«Wenn das das Paradies ist», meint
der tote Schriftsteller, «dann möchte
ich doch gern mal die Hölle sehen.»
«Ganz wie Sie wünschen», sagt
Petrus. Die beiden fahren mit dem Aufzug eine Million Stockwerke nach
unten, und landen in der Schriftstellerhölle. Und die ist so: Die Dichter sitzen
auf feurigen Stühlen vor rot glühenden
Tastaturen, bei jedem Buchstaben,
den sie tippen, verbrennen sie sich die
Finger, und sie jammern und klagen
und raufen sich die Haare.
Alles exakt gleich wie im Himmel.
«Wo ist denn da bitte der
Unterschied?», erkundigt sich der
tote Schriftsteller.
«Ganz einfach»,
antwortet Petrus.
«Die hier unten finden
keinen Verleger.»
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15
Sachbuch
Die Autorin Anne Cuneo führte einen persönlichen
Dialog mit der Schauspielerin Anne-Marie Blanc. Nun
liegt ein Erinnerungsbuch vor, keine klassische Biografie
Hommage an die
Grande Dame des
Schweizer Films
Gespräche im Hause Blanc. Mit DVD
«Savannah Bay». Römerhof, Zürich
2009. 284 Seiten, Fr. 44.−.
Von Martin Walder
Am 2. September wäre sie neunzig geworden, am 5. Februar ist Anne-Marie
Blanc gestorben. Die legendäre Gilberte
de Courgenay, die jurassische Wirtstochter mit dem reinen Herzen in Franz
Schnyders Klassiker von 1941. Sie war
ein blendend aussehender Star des alten
Schweizerfilms und später eine begehrte Respektsperson des neuen. Auch auf
der Bühne, der erklärtermassen ihr Herz
gehörte, war sie eine elegante, noble
Erscheinung − über Jahre am Zürcher
Schauspielhaus. Als sie älter wurde, hat
sie ihr Image lustvoll bis ins Derbe und
Dunkle konterkariert und überhaupt
Herausforderungen geradezu gesucht.
Wie gerne hätten wir Memoiren aus
ihrer Hand gelesen! Im Gespräch mit
Anne-Marie Blanc auf einem Drehplatz,
im Radiostudio oder bei ihr zu Hause
hatte man stets eine engagierte, uneitle,
kluge, sachlich genaue und farbige
Erzählerin mit der nötigen Prise ironischer Distanz vor sich. Doch derlei in
Buchform wies sie als «Voyeurismus im
Abendkleid» weit von sich: «Niemals»!
Und bis fast zuletzt wehrte sie sich auch
gegen eine Biografie. Die Schriftstellerin und Journalistin Anne Cuneo hat es
Anne-Marie Blanc
1919 in Vevey geboren, verbrachte AnneMarie Blanc ihre Kindheit in Bern. Sie
wirkt in einer Laientheater-Gruppe und
kommt 1938 ans Schauspielhaus Zürich.
Erste Filmrolle in «Wachtmeister Studer»
(1939). 1940 heiratet sie Heinrich Fueter,
der bei «Gilberte de Courgenay»
(1941) die Produktion leitet. Nach dem
Krieg Austritt aus dem SchauspielhausEnsemble und Familientätigkeit. 2004
Abschied von der Bühne mit Marguerite
Duras’ «Savannah Bay» an der Seite ihrer
Enkelin Mona Petri-Fueter. Am 5. Februar
2009 stirbt Anne-Marie Blanc in Zürich.
16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
lange versucht: «Ich bitte Sie, Anne …
Was gibt es denn über mich zu erzählen?
Anne-Marie Blanc, Schauspielerin, früher 1,68 gross, heute um einen Zentimeter geschrumpft, drei erwachsene Söhne,
liebt französischen Rotwein, manchmal
Whisky, immer aber bunte Blumen.»
Am Ende willigte sie dann doch ein,
«etwas» über sie schreiben zu lassen.
Langer persönlicher Dialog
So berichtet es Cuneo in ihrem nun nach
Blancs Tod erschienenen Erinnerungsbuch über die Ahnfrau der künstlerisch
inzwischen weit verzweigten FueterBlanc-Dynastie. Halten wir gleich fest:
Eine eigentliche Biografie ist es nicht
geworden, trotz offiziösem Anstrich mit
Rollenverzeichnis und beigefügtem Text
der Abdankungsrede von Peter-Christian Fueter. Cuneos Buch kommt eher als
ein langer Dialog mit einer lebensklugen
älteren Freundin, als sozusagen gemeinsames Blättern in der Lebensgeschichte
aus der Rückschau daher. «Gespräche
im Hause Blanc» lautet der Untertitel in
Anlehnung an eine von Blancs Parforcerollen, Peter Hacks’ Monolog «Ein
Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe».
Anne Cuneo hat Anne-Marie Blanc
über ein Vierteljahrhundert verehrt und
gekannt, sie hatte ihr gar leichtsinnig ein
Stück mit einer französischen Rolle für
sie − der ersten − versprochen und das
Versprechen eines Tages endlich eingelöst. Der Text von «Madame Paradis»
(Uraufführung 1989), der von der heilenden Beziehung einer jüngeren Schauspielerin in der Krise mit einer
berühmten älteren Kollegin handelt, ist
mit seinen immerhin 30 Seiten gar ins
Buch integriert. Die Bezugsfäden zur
realen Freundschaft zwischen der
Schauspielerin und ihrer Biografin, aus
deren Hand es schon vor Jahren ein
Fernsehporträt von Anne-Marie Blanc
gibt, spinnen sich hin und her.
Da ist also etwas sehr Persönliches
entstanden, fast Privates, eine Hommage, und man fragt sich erst einmal:
Geht denn das? Es geht so lange, als die
Porträtierte nicht hinter der Porträtierenden über Gebühr zurücktritt. Die
Gefahr ist im zweiten Teil des Buchs
nicht gebannt. Anne Cuneo hat sich in
der Form eines (auch in Sachen Chrono-
PhotoPress-archiv/keystone
Anne Cuneo: Anne-Marie Blanc.
Anne-Marie Blanc
bedient bei Aufnahmen zum Film
«Gilberte de
Courgenay» die
Szenenklappe,
10. Juni 1941.
logie) offenen Dialogs sehr weit vorgewagt und sich selber eingebracht. Anderseits offenbart gerade der Beistand, den
die ältere Frau ihrer jüngeren Freundin
in schwieriger Zeit geleistet hat, schöne
Facetten von Anne-Marie Blancs Persönlichkeit in ihrem Mix von praktischer
Nüchternheit und Empathie. Man hört
Blanc in Cuneos Dialogen geradezu
reden, in ihrer etwas lasziven verschliffenen Sprechweise, in der die welsche
Muttersprache noch irgendwo charmant
mitzuschwingen scheint.
Stationen eines Lebens
Den Grundton im Buch geben die Fakten und Erinnerungen aus erster Hand
an. Und immer wieder wird der von der
Autorin zügig und leicht erzählte Dialog
auch aufgefächert, sind andere Stimmen
(Theater- und Filmleute, Familie) und
Quellen ergänzend, erläuternd und kommentierend eingewoben – leider ohne
genaue Nachweise. Mit dem Effekt nicht
von interpretatorischer Tiefenschärfe,
aber da und dort reizvoller Beleuchtungswechsel und sanfter Retouchen.
Heftig wird Anne-Marie Blanc dort, wo
es um den Neid geht, sie habe ihre Karriere, die sie auf der Bühne 1938 und im
Film 1939 gleich unter den Fittichen des
grossen Leopold Lindtberg starten
konnte, ihrem Mann, dem Produzenten
und späteren Condor-Film-Gründer
Heinrich Fueter, zu verdanken. Tatsächlich profitierte sie vom Glück, dass
damals die gleichen Leute beiderorts
tätig waren.
So passieren die Gespräche die Stationen eines reichen, langen Lebens
Revue: Anne-Marie Blancs Herkunft
von der Genfersee-Riviera, die Jugend
als Scheidungskind in Bern, die Begeisterung fürs Theater, der Sprung von der
Elevin an Wälterlins Zürcher Schauspielhaus zur nationalen Berühmtheit
als Gilberte im Zeichen der geistigen
Landesverteidigung, die Begegnung mit
Heinrich Fueter, die Karriere im Ausland (gar an der Seite Erich von Stroheims) bis zum ausgeschlagenen Ruf
nach Hollywood, die Gründung einer
Familie mit drei Söhnen neben dem
Spielen. Hohe Disziplin war gefragt, die
hatte sie. Glück und Können ebenfalls.
Es folgten Jahre der Routine mit Filmtiteln wie «Hoheit lassen bitten» und
dann auch der Gefährdung als Schauspielerin mit zunehmendem Alter.
Krisen blieben nicht aus: «Dann
wurde ich sechzig. Und mein Mann
starb. Jetzt wurde es wirklich schwierig.» Vor allem auch diese Seiten liest
man mit Gewinn. Sie zeigen auf, wie sich
Anne-Marie Blanc dank dem Zuspruch
von Sigfrit Steiner mutig bis ins hohe
Alter neuen Herausforderungen stellte.
Eine jüngere Generation von Filmern
und Theaterleuten entdeckte sie in den
siebziger Jahren neu: Wilfried Bolliger,
Beat Kuert, Daniel Schmid, Bernhard
Giger, Walo Deuber – und sie sich damit
wohl auch selber. Vor etwas hat sich
Anne-Marie Blanc nämlich gegraut: eine
«Darstellungsbeamtin» zu werden, wie
sie es zu nennen pflegte. Das ist ihr eindrücklich gelungen. ●
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17
Sachbuch
Israel Der frühere Chef der Jewish Agency und spätere
Knesset-Vorsitzende Avraham Burg wurde zu einem
radikalen Kritiker seines Heimatlandes
Avraham Burg: Hitler besiegen. Warum
Israel sich endlich vom Holocaust lösen
muss. Campus, Frankfurt a. M. 2009.
280 Seiten, Fr. 39.50.
Von Reinhard Meier
Vor gut zehn Jahren war Avraham Burg
in der Schweiz ein ziemlich bekannter
und kontroverser Name. Er amtierte
damals als Vorsitzender der Jewish
Agency und engagierte sich in dieser
Funktion an vorderster Front im wenig
zimperlich geführten Streit um die Aufdeckung und Rückerstattung nachrichtenloser Gelder, die im Zusammenhang
mit dem Zweiten Weltkrieg auf Schweizer Banken lagerten. Burg zählte damals
zum israelischen Establishment und
kümmerte sich nicht um jene jüdischen
Stimmen, die ihm rieten, die Auseinandersetzung weniger hemdärmlig zu
führen.
Bald darauf wurde Burg zum KnessetVorsitzenden (Sprecher) gewählt. Er
verhehlte nicht seinen Ehrgeiz, zum
israelischen Regierungschef aufzusteigen. Das misslang, und Burg verwandelte sich vom Establishment-Vertreter
verblüffend zu einem Enfant terrible der
israelischen Politik und einem radikalen
Kritiker des Status quo in seinem Heimatland. Auch seine Rolle in der Auseinandersetzung um die nachrichtenlosen Konten in der Schweiz bedauert er
inzwischen.
Burg, 1955 in Israel geboren, wirft in
seinem Buch der israelischen Führungsschicht vor, in einer Art «Ghetto-Menta-
lität» zu verharren, keine grossherzigen
Versöhnungsvisionen mit den Arabern
mehr zu entwickeln und die eigene
nationalistische Politik mit der Behauptung zu rechtfertigen: «Die ganze Welt
ist gegen uns.»
Diese einseitig auf eine traumatische
Vergangenheit und eine angeblich akute
Bedrohung von Israels Existenz fixierte
Haltung hält der Autor für grundfalsch.
Noch nie sei Israel militärisch und wirtschaftlich so stark gewesen. Das mächtigste Land der Welt, die USA, ist Israels
engster Verbündeter und ganz Europa
solidarisiert sich mit Israels fundamentalen Lebensinteressen. Manchmal,
schreibt Burg, beschleiche ihn der Verdacht, viele Israeli hätten im Grunde
Angst vor einem Frieden.
Ebenso übertrieben wie die Beschwörung von Israels äusserer Bedrohung hält
Burg die in den letzten Jahren periodisch
anschwellenden Alarmkampagnen über
einen neu und in katastrophalem Ausmass sich ausbreitenden Antisemitismus. Er schildert, wie er seine Sicht zu
diesem Thema einmal in einer KnessetDebatte zum Ausdruck brachte. Der frühere Sowjet-Dissident Natan Sharansky,
inzwischen ein orthodoxer Nationalist,
behauptete demgegenüber, die Juden in
Israel und in der Welt seien heute ähnlich bedroht wie während der NaziHerrschaft in Europa.
Burgs Buch, vor zwei Jahren auf
Hebräisch erschienen, ist keine leichte
Lektüre. Zwar vermittelt sie streckenweise erhellende Einblicke in israelische
Bewusstseinsmuster. Doch in andern
Passagen mutet Burgs Argumentation
Alfonso Pecorelli
Das Mädchen und
die magische Blume
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<wm>10CD2KQQqAMBDEXtSSLa7tukdtT0VExf8_xeLBw0BIpnfXyLe17nc9XWDSQDEwV9OYsmYXSzHrAEwkjbRQpCAzQ_3_ULdwQYMHicfWXnPHX9lfAAAA</wm>
baltel/ullstein bilD
Vielleicht haben
viele Israeli Angst
vor dem Frieden
Vom jüdischen
Lobbyisten
zum Kritiker:
Avraham Burg.
allzu polemisch an. Anrührend sind die
Episoden, in denen der Autor über sein
Elternhaus erzählt. Der Vater, Josef Burg,
war noch vor der Gründung Israels aus
Nazi-Deutschland nach Palästina geflüchtet. Er war viele Jahre lang einflussreicher Minister in verschiedenen israelischen Regierungen.
Der Sohn Avraham, in seiner Jugend
ein aufbrausender Idealist, hielt ihn
lange Zeit für einen politischen Opportunisten – bis er entdeckte, dass der
Vater im Grunde ein behutsamer Brückenbauer war. Zu dieser Rolle hat der
Sohn noch nicht gefunden, weder als
Interessenvertreter des israelischen
Establishments noch als dessen unerschrockener Kritiker. ●
«Pecorelli hat im Stil eines modernen
Märchens geschrieben, es ist aber ein
Buch für jung und alt. Dem Autor ist es
gelungen, ein emotional packendes
und aufwühlendes Werk zu schaffen.»
Christian Zillner, Chefredaktor Falter Verlag, Wien
Novelle, 176 S. gebunden farbig illustriert, CHF 28.90
www.woaverlag.ch
18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
Buchvernissage: Freitag, 9. Oktober 2009, Orell Füssli
Buchhandlung im Westside, Bern Brünnen, 19.00 Uhr
USA Der deutsche Journalist Christoph von Marschall hat bereits ein Buch über Barack Obama
publiziert. Nun zeichnet er den Aufstieg und die Persönlichkeit von Ehefrau Michelle nach – in einer
Mischung aus Biografie und Homestory
Michelle Obamas Wurzeln
Christoph von Marschall: Michelle Obama.
Ein amerikanischer Traum. Orell Füssli,
Zürich 2009. 192 Seiten, Fr. 34.90.
Nach seinem Buch über Barack Obama
legt der deutsche Journalist und Historiker Christoph von Marschall nun ein
Porträt von Ehefrau Michelle vor. Topaktuell schildert er einleitend, wie sie
als First Lady Schulen und Kindergärten
besucht, welche Kleider sie trägt und
was sie sagt. Auch von Hund Bo ist die
Rede, den sie ihren Töchtern kaufte, und
von einem Gemüsegarten, den sie mit
Hilfe von Schulkindern vor dem Weissen Haus angelegt hat, um auf die Notwendigkeit gesunder Ernährung aufmerksam zu machen.
Der Autor liefert eine Art Homestory,
wie sie wohl in vielen Klatschheftchen
zu lesen ist. Dabei ärgert er sich spürbar
darüber, dass die Presseverantwortlichen des Weissen Hauses ihn nicht
näher an Michelle herankommen liessen. Er ist der Meinung, die First Lady
wäre eigentlich verpflichtet, ihm auf alle
seine Fragen Rede und Antwort zu stehen, zumal sie mehrfach gesagt habe,
dass sie für Transparenz sei. Er rächt
sich, indem er sie auf Widersprüchen zu
ertappen versucht: Sie stelle sich als
eine Art Durchschnittsfrau dar, obwohl
sie doch als hoch qualifizierte Berufsfrau schon seit Jahren überdurchschnittlich viel Geld verdient habe. Sie wolle
eine eigenständige Frau sein, und doch
habe sie sich für den Wahlkampf ihres
Mannes instrumentalisieren lassen und
spiele jetzt brav die glamouröse Präsidentengattin. Könnte man nicht auch
sagen, sie stehe aus Überzeugung loyal
zu ihrem Mann?
Familiengeschichte
Das Buch wird dort interessant, wo der
Autor auf die Vorfahren Michelle Obamas und ihre Familiengeschichte zu
sprechen kommt. Von mütterlicher Seite
weiss man fast nichts, die väterliche
Linie kann bis in die Zeit der Sklaverei
zurückverfolgt werden. Michelles Grossvater zog von South Carolina, wo noch
absolute Rassentrennung herrschte,
nach Chicago und fand eine Anstellung
bei der Post. Ihr Vater, Fraser Robinson,
wurde 1935 in Chicago geboren. Er arbeitete bei den städtischen Wasserwerken
und heiratete 1960 die Sekretärin
Marian.
Im Jahr 1962 kam Sohn Craig zur Welt,
1964 Tochter Michelle. Die Familie lebte
in beengten Verhältnissen, war aber
nicht eigentlich arm. Dank seiner Tüchtigkeit stieg der Vater in der Arbeitshierarchie auf, konnte das anfänglich
sehr schmale Einkommen verbessern,
Pete souZa/corbis
Von Tobias Kaestli
obwohl er früh schon an multipler Sklerose litt. Er investierte in seine beiden
Kinder, das heisst, er wollte ihnen die
bestmögliche Schulbildung angedeihen
lassen.
Im Sommer 1964, ein halbes Jahr nach
Michelles Geburt, hatte Präsident Lyndon B. Johnson den Civil Rights Act
unterzeichnet, der überall in den USA
die Rassentrennung beendete. Um den
tatsächlichen Prozess der Gleichberechtigung zu beschleunigen, beschlossen
viele Institutionen des Bildungswesens
besondere
Förderprogramme
für
Schwarze. Craig und Michelle profitierten davon. Beide waren intelligent und
beide schafften es an die Eliteuniversität
Princeton. 1981 nahm Michelle dort ihr
Studium auf, 1985 verfasste sie ihre
Bachelor-Arbeit, die sie mit der Widmung versah : «Für Mom, Dad und Craig
und alle meine speziellen Freunde:
Danke, dass ihr mich liebt und es mir
stets leicht macht, mich selber zu
mögen.»
Sie wusste, dass viele Schwarze unter
einem Minderwertigkeitsgefühl litten,
entsprechend hatte sie das Thema für
ihre Arbeit gewählt: «Princeton-Educated Blacks and the Black Community».
Sie wollte herausfinden, wie es mit dem
Selbstbewusstsein und dem Verantwortungsgefühl der Schwarzen stand, die
Princeton absolviert hatten. 400 ausführliche Fragebögen hatte sie verschickt, und das Ergebnis ihrer Untersuchung war, dass das Identitätsgefühl
der Schwarzen während ihres Studiums
intensiver wurde, sich aber in der Zeit
Präsidentengattin
Michelle Obama und
ihr Mann in einem
Warenlift an einem
Inaugurationsball
in Washington,
20. Januar 2009.
der gehobenen beruflichen Tätigkeit in
einer von Weissen dominierten Gesellschaft wieder abschwächte. Von Marschall stellt die Arbeit auf das «Niveau
einer Semesterarbeit im deutschen
Grundstudium». Man könnte wohl auch
zu einer ganz andern Wertung kommen:
War es nicht beachtlich, dass eine 21-jährige Studentin eine Bachelor-Arbeit auf
empirischer Grundlage zu einem solchen Thema schrieb?
Interessant und ärgerlich
Auf Princeton folgte Harvard, wo
Michelle ihre juristischen Studien mit
einem Doktorat abschloss. Sie arbeitete
danach in einer Anwaltskanzlei, in der
sie eines Tages den Harvard-Studenten
Barack Obama als Praktikanten zugeteilt
bekam. Die beiden heirateten 1992. Die
Töchter Malia und Sasha kamen 1998
und 2001 zur Welt. Die Biografie schildert recht differenziert, wie die junge
Familie funktionierte, wie Michelle Mutterschaft und Beruf unter einen Hut zu
bringen versuchte. Sie verliess die Anwaltskanzlei und arbeitete in Berufsfeldern, in denen sie sich für das einsetzen
konnte, was ihr ein Anliegen war: Förderung der sozialen Verantwortung von
Schwarzen. Sie übernahm Managementaufgaben in Non-Profit-Organisationen
und an der Universität. Von Marschall
handelt das alles unter dem Aspekt einer
cleveren Karriereplanung ab. So ist sein
Buch interessant und ärgerlich zugleich.
Sein kalt-analysierender Blick kann der
Persönlichkeit Michelle Obamas letztlich nicht ganz gerecht werden. ●
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19
Sachbuch
Politik Immer mehr verkommt die Behördeninformation zur frisierten Kommunikation von
Werbeberatern, schreibt die Psychotherapeutin Judith Barben
Das Bundeshaus als grösste
PR-Agentur der Schweiz
gegangen ist: Von der Totalrevision der
Bundesverfassung (1999), bei der Bundesrat Koller beharrlich und verharmlosend
von einer «Nachführung» der Verfassung sprach, während wichtige Neuerungen wie etwa die Einschränkung der
Kantonssouveränität im Bundesbüchlein schlicht verschwiegen wurden.
Über Adolf Ogis ungebremsten Einsatz
für die Nato-Partnerschaft für den Frieden mithilfe des zum Spin doctor
mutierten ehemaligen «Sonntagsblick»Nachrichtenchefs Thomas Suremann.
Bis zu dem von Couchepin verantworteten Engagement einer PR-Agentur zur
Bekämpfung der Inititative «Ja zur Komplementärmedizin», für die der Bund
300 000 Franken bereitgestellt hatte.
Judith Barben: Spin doctors im
Bundeshaus. Gefährdungen der direkten
Demokratie durch Manipulation
und Propaganda. Eikos, Baden 2009.
214 Seiten, Fr. 28.80.
Von Urs Rauber
«Spin doctors» sind nach Wikipedia
politische Berater, die der Darstellung
von Ereignissen in der Öffentlichkeit
den richtigen Dreh (engl. «spin») verpassen. Solche PR-Experten sind für
Judith Barben «Wahrheitsverdreher, die
in einer Demokratie nichts zu suchen
haben». Mit Akribie und Verve deckt die
56-jährige Psychologin, eine frühere
VPM-Anhängerin, die grassierende Unsitte auf, Behördeninformation durch
ein Heer von Informationsbeauftragten,
Pressesprecherinnen, Kommunikationsberatern und PR-Assistentinnen frisieren zu lassen. 2007 waren gemäss Bundesratssprecher Oswald Sigg fast 700
«Fachmitarbeiter für Kommunikation»
beim Bund angestellt – doppelt so viele
als noch im Jahr 2000.
Wer als Journalist recherchiert, kennt
die in den letzten Jahren erfolgte kommunikative Aufrüstung der Bundesverwaltung, die den Kontakt zwischen
Medien bzw. Öffentlichkeit und Behörden massiv erschwert hat. Im Gegensatz
zur Selbstdarstellung der PR-Branche
hat die Vorschaltung von Kommunikatoren den Zugang zu Bundesrat und
Ämtern nämlich nicht erleichtert, sondern erschwert und kompliziert.
Wörtchentausch mit Folgen
Politiker und
Einflüsterer:
Bundespräsident
Samuel Schmid und
Bundesratssprecher
Achille Casanova
(rechts) am 5. Juni
2005 in Bern.
Judith Barben macht unmissverständlich und zu Recht klar, was im Berner
Alltag immer wieder vergessen zu gehen
droht: dass der Bundesrat sich gegenüber Volksinitiativen und in Fragen von
verfassungsmässig verankerten Grundwerten – etwa der Neutralität – strikt
unparteiisch zu verhalten hat. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist ein
von Barben aufgezeigtes Detail bei der
Totalrevision der Bundesverfassung.
Stand in der alten Charta der Satz: «Die
oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft ist ein
Bundesrat» (Art. 95 BV alt), so hiess es
in der neuen Verfassung: «Der Bundesrat ist die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes» (Art. 174
BV neu). Was war passiert? Indem die
Wörtchen «vollziehend» und «leitend»
vertauscht wurden, erhielt die Regierung, die zuvor eine primär vollziehende
(also dem Volke dienende) und erst in
zweiter Linie eine leitende Behörde war,
stillschweigend einen Machtzuwachs.
Wenn die streitbare Autorin das Bundeshaus als «grösste PR-Agentur der
Schweiz» bezeichnet, befindet sie sich
in guter Gesellschaft. Auch die NZZ
sprach schon 2004 von der «ungebremsten PR-Lawine des Bundes». Und kürzlich hat eine Bachelor-Arbeit an der
Universität Lugano von Mélanie Chopard diesen Befund erhärtet. Barbens
Aufklärungsfibel über Propaganda, Desinformation und Manipulation ist zugleich ein Plädoyer für eine ethisch fundierte Politik, in der Transparenz und
direkte Demokratie grossgeschrieben
werden. Dass die Autorin gelegentlich
etwas ausufert und inhaltlich nicht
immer ganz konsistent argumentiert, tut
der staatspolitischen Bedeutung ihres
Büchleins keinen Abbruch. ●
Gravierender allerdings ist die von
Judith Barben aufgezeigte Tendenz von
Behörden, ihre Informationen statt fair
und objektiv immer häufiger gefiltert,
gefärbt und politisch «gedreht» abzugeben. Selbst der ehemalige Vizekanzler
Achille Casanova räumte in einer privaten Mail ein, dass «einige Kommunikationsbeauftragte der Departemente,
‹Spin doctoring›-Techniken anwenden,
obwohl sie offiziell nicht zulässig sind».
Dabei vergass er beizufügen – so die
Autorin –, dass er selbst als Bundesratssprecher Abstimmungen unzulässig
beeinflusst hat. Casanova war es nämlich gewesen, der der im Juni 2008 zur
Abstimmung gelangenden Initiative
«Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» das politische Totschlagwort
«Maulkorbinitiative» angeklebt hatte.
In ihrem gut dokumentierten und
spannenden Report zeigt die Verfasserin im Detail, wie solches «Massieren»
von Nachrichten und Informationen in
über einem Dutzend Fällen vor sich
20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
monika flueckiGer/keystone
Unzulässige Beeinflussung
Weltwirtschaft Auch mit seinem neusten Buch umkreist Jean Ziegler sein altes Thema Armut
in der Welt. Provozierend, unbeirrbar – und unbelehrbar
Begnadeter Erzähler aus Genf
Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen.
Wie sich die armen Völker gegen den
wirtschaftlichen Weltkrieg wehren.
Bertelsmann, München 2009. 320 Seiten,
Fr. 34.90.
Afghanischer Zorn
auf den Westen:
Muslime verbrennen
dänische Flagge
als Reaktion auf
MohammedKarikaturen, März
2008.
Sara Galle / Thomas Meier
Von Menschen und Akten
Die Aktion «Kinder der Landstrasse»
der Stiftung Pro Juventute
ein Düsteres
Kapitel Der
sChweizer
gesChiChte
KinDswegnahme
DurCh Die
pro Juventute
Sara Galle, Thomas Meier
Von Menschen und Akten
Die Aktion «Kinder der Landstrasse»
der Stiftung Pro Juventute
2009. 248 S. 130 Abb. s/w. Geb.
Mit DVD-ROM (Computer-DVD)
CHF 38
Ziegler zwei Erklärungen angibt: die
«unvermittelte Wiederkehr des verwundeten Gedächtnisses des Südens» einerseits und die «kannibalische Weltordnung des globalisierten Finanzkapitals»
andererseits. Ihnen geht er in den ersten
Kapiteln auf den Grund, die zwei letzten
schildern exemplarisch die Situation
von Nigeria und Bolivien.
Ziegler rekapituliert die Geschichte
der Sklaverei und der Kolonialisierung;
er analysiert jüngere Ereignisse wie die
Konferenz gegen Rassismus in Durban,
zerlegt maliziös eine Rede des französischen Präsidenten Sarkozy in Schwarzafrika. Oder er prangert die Liberalisierung der Landwirtschaft in Indien an,
schildert die Suizide indischer Bauern:
«Der Bauer verlässt seine Hütte nicht
mehr. Spricht nicht mehr. Isst nicht
mehr. (…) Eines Morgens verlässt er bei
Sonnenaufgang seine Hütte und trinkt
einen Kanister voll Pestizid aus. Als
wollte er an dem Stoff sterben, der ihn
ruiniert hat.» Ziegler versieht nicht jede
seiner Informationen mit einer Quellenangabe. Sie fehlt auch bei der erwähnten
Schilderung.
Die meisten Angaben sind aber nachvollziehbar, stützen sich auf Berichte
internationaler Organisationen, Unternehmen oder Zeitungen, auf Bücher
oder auf Gespräche. Ziegler verknüpft
sie zu einer Erzählung, in der Reportagen, Porträts, Fakten und Kommentare
mühelos ineinanderfliessen. Man kann
kritisieren,dassauchdiesesBuchwissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt.
Man kann auch anderer Meinung als
Ziegler sein – und es trotzdem lesen. Es
ist spannend und in vieler Hinsicht bedenkenswert.
Das Buch entlarve das wachsende
Unverständnis zwischen Nord und Süd,
hiess es in der Würdigung, als Zieglers
Buch letzten Dezember in Paris mit dem
internationalen Literaturpreis für Menschenrechte ausgezeichnet wurde. ●
Der unbequeme
KritiKer
«ein biografisChes
meisterwerK»
«genussreiChe
unterhaltung»
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Chronos
Bücher
zur Zeit
(Der Kleine bunD)
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Erwin Marti
Er spitzt zu, idealisiert, klagt an, leidenschaftlich – und provoziert damit regelmässig Abwehrreflexe. Vor allem in der
Schweiz. Doch Kritik und Spott vermögen Jean Ziegler, nun 75-jährig, nicht zu
stoppen. Der emeritierte Soziologieprofessor und frühere Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung
macht weiter, unbeirrbar; und unbelehrbar, würden seine Kritiker sagen.
Zieglers wirksamste Waffe in seinem
Kampf gegen den «Raubtier-Kapitalismus», gegen Unterdrückung und Armut
ist das Wort. Soeben ist sein neues Buch
auf Deutsch erschienen. Auf Französisch
wurde es seit Erscheinen vor einem Jahr
bereits rund 50 000 Mal verkauft.
Das Buch beginnt da, wo der gebürtige Thuner lebt: in Genf. Es ist der
20. März 2007. Ziegler geht mit der Botschafterin von Sri Lanka durch die
Nacht. Sie kommen von einem Bankett,
man hat über den Völkermord im Sudan
gesprochen. Westliche Vertreter hätten,
so Ziegler, vorgeschlagen, das sudanesische Regime in einer Resolution scharf
zu verurteilen. Die Botschafterin ist zornig. Sie erinnert Ziegler an die einstigen
Verbrechen des Westens. «In der eisigen Nacht», schreibt Ziegler, «erkannte
ich überrascht, dass diese Intellektuelle
buddhistischer Herkunft, die zweifellos
gebildet und eingehend über die Greueltaten von Darfur informiert war, jede
Kritik westlicher Vertreter (…) als unerträglichen Angriff auf die Völker der
südlichen Hemisphäre empfand.»
Die Botschafterin steht exemplarisch
für den «Hass auf den Westen», für den
musaDeQ saDeQ/aP
Von Heidi Gmür
Carl Albert Loosli
1877–1959
Im eignen Land verbannt
1914–1959
Erster Teil
Erwin Marti
Carl Albert Loosli 1877–1959
Im eignen Land verbannt
(1914–1959). Band 3, Erster Teil
2009. 528 S. Geb. CHF 68
Chronos Verlag
Eisengasse 9
8008 Zürich
www.chronos-verlag.ch
[email protected]
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21
Sachbuch
DDR Ein junger Journalist erforscht die Geschichte seiner jüdisch-kommunistischen Familie
Von Lenin bis Leo
Maxim Leo: Haltet euer Herz bereit.
Eine ostdeutsche Familiengeschichte.
Blessing, München 2009. 272 S., Fr. 34.90.
Von Christoph Plate
Maxim Leo ist Reporter bei der «Berliner Zeitung», gerade mal 39-jährig.
Erzählt er seinen zwei Kindern von früher, winken die ab. Das seien die immer
gleichen Geschichten. Dann kommt sich
Leo vor wie ein alter Mann, der bereits
ein Leben hinter sich hat. Mit 39!
Dieses frühere Leben, das war die
DDR. Leo war 19 Jahre alt, als in Berlin
die Mauer fiel. Ausser ihm gäbe es
natürlich viele ehemalige DDR-Bürger,
die zum 20. Jahrestag des Mauerfalls Geschichten zu erzählen hätten. Aber was
Leos Buch mit dem nicht eben eingängigen Titel «Haltet euer Herz bereit»
besonders macht, sind der Witz und
seine Lakonik, die Wehleidigkeit nicht
gestatten. Er erzählt ohne zu rechtfertigen die Geschichte seiner grossbürgerlich jüdischen Familie, die kommunistisch wurde und in der DDR zur Nomenklatur zählte.
Dank Grossvater Gerhard Leo, Jude
und einst Kämpfer in der Résistance, später Mitarbeiter im Zentralkomitee der
SED, Paris-Korrespondent des Zentralorgans «Neues Deutschland», hat der
junge Maxim sich nie die Zähne mit OstZahnpasta putzen müssen. Die Gross-
bilD archiv
Westblick Was die Mauer den Berlinern angetan hat
Das Ausflugsziel für den Ausgang: Amerikanische
Marinesoldaten halten den Blick in den Osten Berlins
fürs Fotoalbum fest. Es ist der 27. August 1963, die
Mauer ist gerade zwei Jahre alt. Nach dem Stacheldraht, der seit dem 13. August 1961 den Osten Berlins
vom Westteil abriegelte, sind erste krude Betonblöcke hingestellt worden. Mit über 100 historischen
Fotografien wollen die Herausgeber dieses Bandes
zwanzig Jahre nach dem Mauerfall daran erinnern,
was diese Mauer 28 Jahre und drei Monate lang den
Menschen Berlins angetan hat. Da zeigt man sich
anfangs Neugeborene über die Mauer, Bräute winken
22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
weinenden Eltern zu. Mauerflüchtlinge, von weitem
nur undeutlich sichtbar, werden abgeführt oder liegen
erschossen am Boden. Nach den amerikanischen
Soldaten schauen die Touristen hinüber, die Betonplatten sind bunt geworden. Spätestens hier wird
klar: Alle diese Bilder, ob von Presseagenturen oder
Privaten, zeigen die Mauer von ihrer westlichen
Seite. Im Todesstreifen auf der Ostseite war nicht gut
knipsen. Kathrin Meier-Rust
Kai Diekmann (Hrsg.): Die Mauer. Fotografien
1961−1992. Vorwort Helmut Kohl. Fackelträger,
Köln 2009. 247 Seiten, Fr. 49.50.
eltern brachten aus Paris ausserdem
begehrte Klamotten aus dem Westen in
einen Osten, der sich lange gegen Jeans
und lange Haare als Ausdruck bürgerlicher Verlotterung wehrte.
20 Jahre nach dem Mauerfall sucht
Maxim Leo die Spuren seiner Familie.
Eine Familie, in der historische Katastrophen und Neuanfänge, ebenso wie der
Kalte Krieg und der DDR-Widerstand zu
finden sind. Er befragt den FamilienPatriarchen Gerhard, der früher jeden
Zweifel an der gerechten, anti-faschistischen Sache der DDR mit Loyalität
erstickte. Er geht ins Stasi-Archiv und
entdeckt, dass der Opa in den fünfziger
Jahren im Auftrag des Geheimdienstes
der KPD, eines Vorläufers des Staatssicherheitsdienstes, ehemalige hohe SSLeute erpresste. Er spricht mit seiner
Mutter, einer Historikerin, der die DDR
alles war und für die die Partei immer
recht hatte. Und Maxim Leo befragt seinen Vater Wolf, einen Grafiker, Maler
und Bühnenbildner, Sohn eines obrigkeitshörigen Nazi-Vaters, der später die
Kommunisten verehrte.
Maxim Leos Familie ist vielleicht
etwas interessanter als andere, immerhin freundete sich der Urgrossvater in
Genf mit Lenin an, der Grossvater liess
sich im Pariser Exil von Anna Seghers
und Egon Erwin Kisch Geschichten
erzählen. Und Maxim selbst durfte, undenkbar für die meisten DDR-Jugendlichen, als 17-Jähriger mit seinem Grossvater trotz Mauer und Stacheldraht
Frankreich bereisen.
Der junge Autor erhielt 2006 den
renommierten Theodor-Wolf-Preis des
Bundes deutscher Zeitungsverleger.
Auch wenn er die Familientradition des
Journalismus fortschreibt, sieht er sich
nicht in der Tradition des parteilichen
DDR-Journalismus und fühlt sich auch
nicht zu Dank gegenüber dem untergegangenen Staat bemüssigt. Ganz anders
als sein Grossvater, dem trotz Mauer
und Antisemitismus der ostdeutsche
Staat Heimat blieb.
Maxim Leo war jung und privilegiert
genug, um mit der DDR zu spielen: Im
Westauto seines Opas, einem Citroen
Pallas, einer «Art Ferrari der DDR»,
spielte er stundenlang, er sei der Chauffeur von Erich Honecker. In den Westen
flüchten, war als Kind sein Lieblingsspiel. Als Jugendlicher gab er mit einem
westdeutschen Stadtplan von Ost-Berlin
in der Hauptstadt der DDR den Westtouristen. Die Mädchen fanden das toll
und die Ostberliner Kellner gerieten
sich in ihrer Gier nach Westgeld darüber
in die Haare, wer den jungen Mann
bedienen durfte.
Leos Erinnerungsarbeit versöhnt mit
den Brüchen in der Familiengeschichte,
nicht mit den weissen Flecken, der
Geheimnistuerei, dem Partei-Soldatentum. «Ich glaube, ich habe mich der
DDR nie so nahe gefühlt wie nach ihrem
Untergang», schreibt Leo und weist ihr
so ihren Platz in der Geschichte zu. ●
Nationalsozialismus Für seine Reformgedanken wurde Helmuth James von Moltke 1945 hingerichtet
Leben im Angesicht des Todes
Jurist, Gutsherr und
Widerständler: Helmuth
James von Moltke
während seines
Prozesses am 11. Januar
1945 in Berlin.
Helmuth James von Moltke: Im Land der
Gottlosen. Tagebuch und Briefe aus der
Haft 1944/45. Hrsg. Günter Brakelmann.
C. H. Beck, München 2009. 350 Seiten,
Fr. 42.90.
Helmuth James von Moltke ist eine der
herausragendsten Persönlichkeiten des
deutschen Widerstands gegen Hitler.
Doch im Gegensatz zu den Leuten des
20. Juli war er strikt gegen die Anwendung von Gewalt. Die klandestine Tätigkeit des von ihm gegründeten «Kreisauer
Kreises» bestand darin, dass man sich
Gedanken machte über eine Neuorientierung Deutschlands nach dem verlorenen Krieg. Für dieses Nachdenken ist
Moltke am 19. Januar 1944 verhaftet und
am 23. Januar 1945 hingerichtet worden.
«Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben», heisst es in einem
der letzten Briefe aus dem Gefängnis.
Moltkes Leben war schon bis jetzt gut
dokumentiert. Vor zwei Jahren ist eine
Biografie über ihn herausgekommen.
Die vor 20 Jahren erschienenen Briefe
an seine Frau Freya sind legendär und
wurden postum mit dem GeschwisterScholl-Preis ausgezeichnet. Nun aber ist
es seinem Biografen Günter Brakelmann
gelungen, Freya von Moltke, die heute
hoch betagt in den Vereinigten Staaten
lebt, zur Publikation bisher unveröffentlichter Dokumente aus ihrem Besitz zu
bewegen. Es sind dies das Tagebuch und
die Briefe aus der Haft: Zeugnisse eines
geistigen Widerstands, die denjenigen
eines Dietrich Bonhoeffer durchaus
ebenbürtig sind.
Gewiss, Moltke war Jurist und Gutsherr, kein Theologe. Aber er war ein tiefgläubiger Mensch, der seine Kraft aus
interfoto
Von Klara Obermüller
dem Vertrauen auf Gott bezog. Schon
seine politischen Aktivitäten waren von
seiner religiösen Überzeugung getragen
gewesen. In der Haft wurde ihm der
Glaube, neben einer eisernen Disziplin,
überlebensnotwendig.
«Hier gilt nur, was man in sich hat»,
schreibt er unmittelbar nach seiner Verhaftung aus der Prinz-Albrecht-Strasse.
Wie wahr dieser Satz ist, sollte er erfahren, als er ins KZ Ravensbrück verlegt
wurde und sich dort an nichts anderes
mehr halten konnte als an sein Tagebuch, seine Briefe und seine Lektüre.
Diese umfasste neben Werken der Philosophie, Literatur, Geschichte und
Landwirtschaft vor allem die Bibel,
immer wieder die Bibel. In sie tauchte er
ein, aus ihr bezog er Zuversicht. Hinweise auf Bibelstellen lesen sich wie
Kassiber, die er seiner über alles gelieb-
ten Frau Freya in den vom Zensor mitgelesenen Briefen zukommen liess.
Natürlich gab es auch im Gefängnisalltag eines Helmuth James von Moltke
Anfechtungen. Vor allem im Tagebuch
ist immer wieder von innerer Unruhe
und körperlichem Unwohlsein die Rede.
Doch im Grossen und Ganzen herrscht
auf diesen Seiten eine Stimmung vor, die
man nicht anders denn als Gelassenheit
und Seelenfrieden bezeichnen kann.
Und dies auch dann noch, als er dem
Tod unmittelbar ins Auge schaute. In
seinen letzten Briefen aus Tegel hat
Moltke selbst diese Erfahrung eines
letzten Aufgehobenseins in Gott
«Gnade» genannt. Als Nachgeborene
und Verschonte kann man sich vor diesem Zeugnis politischer Redlichkeit und
menschlicher Integrität nur staunend
und in Ehrfurcht verneigen. ●
Atlas Ein grossformatiges Kartenwerk lädt zum Reisen in die Vorgeschichte Europas ein
Orientierung in Raum und Zeit
Siegmar von Schnurbein (Hrsg.): Atlas der
Vorgeschichte. Theiss, Stuttgart 2009.
240 Seiten, Fr. 83.90.
Von Geneviève Lüscher
Endlich hat es jemand gewagt, einen
umfassenden, kommentierten Atlas der
europäischen Vorgeschichte herauszugeben – seit Jahren ein Desiderat.
Das unter Federführung des einstigen
Direktors der Römisch-Germanischen
Kommission in Frankfurt, Siegmar von
Schnurbein, erschienene Kartenwerk
fasst die zahllosen in archäologischen
Publikationen verstreuten Verbreitungskarten zusammen, gestaltet sie modern
und liefert den neuesten Stand der Forschung. Der Atlas richtet sich nicht an
Wissenschafter, obwohl diese ihn gerne
benutzen werden, sondern an ein inter-
essiertes Laienpublikum, das sich in
Raum und Zeit orientieren will. Auch
Schulen werden im Vorwort explizit als
Zielpublikum angesprochen.
Von den ersten Menschen in Europa
(vor 1,7 Mio. Jahren) bis zu Roms Griff
nach dem Norden, also bis etwa zur
Schlacht im Teutoburger Wald 9 n. Chr.,
lässt sich die Besiedlung und Entwicklung Europas Schicht für Schicht, Zeitepoche für Zeitepoche mitverfolgen.
Wo lebten Neandertaler, und bis
wohin reichte das Eisschild in der Altsteinzeit? Wo trafen die späten Wildbeuter und die frühen Bauern aufeinander?
Wie schnell breitete sich die Agrarwirtschaft vom fruchtbaren Halbmond über
die Türkei nach Europa aus? Wo gab es
in Europa Zinnlagerstätten; Zinn war für
die Herstellung von Bronze unabdingbar. In der Eisenzeit schliesslich können
erstmals Völker namentlich benannt
und mehr oder weniger sicher lokalisiert werden: die Thraker, die Allobroger, die Cherusker.
Für alle Epochen werden die wichtigen Funde, Fundorte oder historischen
Ereignisse mit Texten vorgestellt: das
Heiligtum von Göbekli Tepe, Stonehenge, die Scheibe von Nebra und vieles
mehr. Es versteht sich von selbst, dass
die Forschungen nicht in allen Ländern
Europas auf dem gleichen Stand sind.
Das, und auch die Tatsache, dass das
Autorenteam aus Deutschland stammt,
widerspiegelt sich in einer Vielzahl
weisser Flecken, die nicht bedeuten,
dass hier nichts stattgefunden hätte,
sondern dass hier keine Informationen
vorlagen – ein methodisch unlösbares
Problem, das die Autoren aber nicht an
ihrer Arbeit gehindert hat. Sie haben ein
Handbuch geschaffen, das in jede
Geschichtsbibliothek gehört. ●
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23
Sachbuch
Wirtschaft Vergesellschaftung des Bodens und Abschaffung des Geldzinses sei der Ausweg
aus der Krise, verspricht ein Zürcher Wirtschaftsberater
Der Traum vom fairenWirtschaften
Rainer Grunert: Vision einer fairen Wirtschaftsordnung. Ein Weg aus der Krise.
Windpferd, Oberstdorf 2009. 152 Seiten,
Fr. 22.90.
In einem ist dem Autor des Buches mit
dem vielversprechenden Titel «Vision
einer fairen Wirtschaftsordnung», dem
Zürcher Unternehmensberater Rainer
Grunert, zuzustimmen: Kaum jemand
ist heute noch in der Lage, die Komplexität des in den letzten Jahrzehnten aufgebauten, globalisierten Wirtschaftssystem zu erfassen. Aus diesem Grunde
werden Wirtschaftskrisen wie die
momentane auch in Zukunft nicht zu
verhindern sein. Im Gegenteil: Je komplexer die Welt da draussen ist, desto
krisenanfälliger wird sie. Ausser, so
glaubt Autor Rainer Grunert, wir verabschieden uns vom heutigen System und
bauen ein neues. Denn im System ortet
Grunert den Ursprung aller Schwierigkeiten – und nicht beim Menschen. Dieser ist für ihn – und darin gleicht sein
Menschenbild jenem des bengalischen
Friedensnobelpreisträgers Muhammed
Yunus – nicht nur egoistisch veranlagt,
sondern in gleichen Massen fair und
anständig.
Grunert schlägt zwei Dinge vor. Erstens: Aller Grund und Boden dieser Welt
sei auf alle Menschen zu verteilen.
Sowohl Grundbesitzrecht und Erbrecht
hält er für rechtsphilosophisch fragwürdige Konstruktionen. Die ungerechte
Verteilung von Boden, dem einzigen
wahren realen Wert auf der Welt, sei
zwar vor Jahrhunderten schon gesche-
sven torfinn/Panos
Von Charlotte Jacquemart
Reisernte in
Malawi. Schaffen
es die Frauen, ihr
Grundeinkommen
zu sichern?
hen. Das ändere aber nichts daran, dass
«nach dem Prinzip der Gerechtigkeit
die Welt niemandem anderen gehören
kann als ihren Bewohnern. Keinem mehr
und keinem weniger». Die ungerechte
Bodenverteilung will Grunert ändern:
Eine Weltbehörde für Geld und Grundbesitz kauft allen Grundbesitzern ihr
Bodeneigentum ab. Wer seinen Grund
weiterhin nutzen will, zahlt der Weltbehörde in Zukunft einen Pachtzins. In der
Ökonomie ist das von Grunert vorgeschlagene System als «Sale-and-leaseback» bereits bekannt. Allerdings ist es
in jüngster Zeit in Verruf geraten. Grunert ist sich dessen bewusst; seine Weltbehörde soll dubiose private Leasingfirmen verhindern.
Nach Grunerts schöner Utopie werden die Mieteinnahmen der Weltbehörde an alle Menschen gleichmässig verteilt. Ein Inder erhält gleich viel wie ein
Afrikaner oder Franzose. Damit wäre
allen Bewohnern ein Grundeinkommen
sicher. An dieser Stelle setzt Grunert
mit seiner Radikalkur eine Idee um, die
viele Ökonomen in der Vergangenheit
schon angedacht haben, nämlich dass
erst ein bedingungsloses Grundeinkommen den Menschen erlaubt, frei über ihr
Leben zu bestimmen. Grunert schlussfolgert, dass ein Grundeinkommen die
Nachfrage nach den Gütern der Welt
enorm stützen und damit auch Exportwirtschaften wie jener der Schweiz helfen würde, wieder auf die Beine zu kommen. Ein Grundeinkommen für alle
würde weltweit die Kaufkraft und damit
den Konsum stärken.
Zweiter Baustein des Weges aus der
Krise: Geld soll keinen Zins mehr erwirtschaften, sondern wer Geld hortet, soll
für die Aufbewahrung auf Konti und in
Tresors eine Gebühr bezahlen. Damit
wird zum einen das Kapital im Umlauf
gehalten, wo es der Realwirtschaft dient.
Zum anderen vermehre es sich nicht
mehr weiter. Die Geldvermehrung führe
nämlich dazu, dass der Geldmenge nicht
mehr genügend reale Güter entgegenstehen, was wiederum bewirkt, dass Papiergeld immer wertloser wird. Grunert
glaubt, dass die Geldmenge so stark sinken müsse, bis sie wieder in vertretbarem
Verhältnis steht zur Menge aller produzierten Waren und Dienstleistungen.
Egal ob man mit Grunerts querdenkenden Ideen etwas anfangen kann oder
nicht: Mit Sicherheit legt er den Finger
auf wunde Punkte des heutigen Wirtschaftssystems. Ebenso sicher ist, dass
seine «Visionen» kaum je umgesetzt werden können. Einen Denkanstoss bilden
sie trotzdem. ●
Kunst Ein streitbares Plädoyer für die Reproduktion von Kunstwerken
Besser als das Original
Wolfgang Ullrich: Raffinierte Kunst.
Übung vor Reproduktionen. Wagenbach,
Berlin 2009. 156 Seiten, Fr. 40.10.
Von Jan von Brevern
Die schönsten Beschreibungen des
Petersdoms stammen von Schriftstellern,
die nicht in Rom gewesen sind. Für Jean
Paul, aber auch für Kant und Schiller war
seine gewaltige Kuppel der Inbegriff des
Erhabenen. Doch nicht obwohl, sondern
gerade weil alle drei den Petersdom nur
von Kupferstichen her kannten, mag ihre
Prosa besonders beflügelt worden sein.
So zumindest argumentiert Wolfgang
Ullrich in seinem neuen Buch. Den
heute in der kunsthistorischen Lehre
üblichen Übungen vor Originalen setzt
Ullrich seine «Übung vor Reproduktionen» entgegen. Seine These: Bis ins
24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
19. Jahrhundert waren die Originale auf
Reproduktionen angewiesen, ja wurden
teilweise durch diese übertroffen. Die
Kupferstecher waren hochgeschätzte
Persönlichkeiten, die den Gemälden
nicht selten kleine Veränderungen und
Korrekturen angedeihen liessen. Der
Wert solcher Reproduktionen lag dann
auch nicht in der möglichst genauen
Kopie des Originals, sondern gerade in
den feinen Differenzen, die etwa die
Linienführung, die Komposition besser
zur Geltung brachten. Reproduktionen
regten die Einbildungskraft an: Gerade
weil sie viele Eigenschaften des Originals, Farbe oder Faktur, nicht wiedergeben konnten, war der Betrachter gezwungen, das, was er sah, zu ergänzen.
Diese Entwicklung endete laut Ullrich mit dem Siegeszug fotografischer
Reproduktionen. Weil sie nicht durch
Differenz, sondern durch grösstmög-
liche Treue zum Original bestimmt
seien, sei der Betrachter quasi entmündigt worden. An die Stelle der Imagination trete im Zeitalter der technischen
Reproduzierbarkeit der Kult um das
Original. Während Walter Benjamin
noch vom «Verlust der Aura» durch die
modernen Reproduktionsmittel sprach,
dreht Ullrich den Spiess um: Gerade die
Fotografie habe zu der Überzeugung
geführt, dass man Kunstwerke nur im
Original adäquat erfahren könne.
Eine Überzeugung übrigens, mit der
man wohl ebenso den Kunsttourismus
mit seinen zunehmend fantastischen
Besucherzahlen erklären kann, wie auch
die gelegentliche Enttäuschung des
modernen Betrachters vor dem Kunstwerk – sah es doch auf der Abbildung
viel makelloser aus. Ullrichs Buch ist ein
streitbares Plädoyer für die Reproduktion, das die Lektüre lohnt. ●
Literatur Die Familienkorrespondenz der romantischen Briefautorin Rahel Varnhagen
«Bin auch recht gesund ausser
meiner Krankheit»
Rahel Levin Varnhagen: Familienbriefe.
interfoto
Hrsg. Renata Buzzo Margari Barovero.
C. H. Beck, München 2009. 1547 Seiten,
Fr. 235.−.
Von Manfred Koch
«Leider leben wir in einer Zeit, wo die
Welt grade anfängt, baufällig zu werden», schreibt die 23-jährige Rahel
Levin, unterwegs auf einer Schlesienreise, im Sommer 1794 an ihren
ältesten Bruder Marcus Theodor
in Berlin. Wenigstens die Familienwelt der Levins war damals
noch vergleichsweise stabil.
Zwar war der Vater, ein erfolgreicher jüdischer Juwelier und
Bankier, 1790 gestorben, und
Marcus Levin musste, kaum
erwachsen,dieFührungderGeschäfte übernehmen. Das vorhandene Vermögen aber reichte aus, um Rahel die Unabhängigkeit zu sichern, die sie für
den Aufbau ihres berühmten
Salons brauchte.
In der Blütezeit ihrer «Gesellschaft» (so nannte sie selbst den
Salon) zwischen 1795 und 1805
trafen sich Berlins fähigste Köpfe
– Philosophen, Schriftsteller, Wissenschafter, Politiker – regelmässig
zu Gesprächsrunden in Rahels Elternhaus, zwanglos vereinigt durch das
Konversationsgenie der Gastgeberin,
die als Frau und Jüdin keine höhere Ausbildung erhalten, sich dafür aber – mit
der Hypersensibilität des Aussenseiters
– eine geradezu unheimlich anmutende
Menschenkenntnis erworben hatte. Die
grössten Künstler, Philosophen oder
Dichter stünden nicht über ihr, schrieb
sie 1805, denn das ihr vom Schicksal
zugewiesene Gebiet, die Domäne ihres
tiefsten Wissens, sei schliesslich «das
Leben».
Machtlos gegen die Brüder
Nach der preussischen Niederlage gegen
Napoleon 1806 zerfiel der Salon, und
die finanzielle Lage der Familie verschlechterte sich erheblich. Geld spielt
in der Korrespondenz der fünf LevinKinder in diesen Jahren eine zentrale
Rolle. Rahel konnte über ihren Vermögensanteil nicht selbst verfügen und
lebte von Zahlungen, die die zwei Kaufmanns-Brüder Marcus und Moritz ihr
jährlich aussetzten. Auch in dieses
Schicksal ergab sie sich. Als ihr Moritz
kalt erklärt, ihre Jahresbezüge müssten
angesichts der miserablen Zinserträge
von 1200 auf 800 Taler herabgesetzt werden («wonach Du Deine Einrichtung zu
treffen hast»), antwortet sie nach aussen hin gefasst: «Da ich gar keine Rechte
und Parterre-applaudissement […]. Solch
ein Dichter ohne innre Geschichte und
Welt bringt mich zum Wahnsinn, aus
Wuth und aus nicht verstehen.» Die in
Amsterdam verheiratete Schwester Rose
und später auch die Schwägerin Ernestine hingegen erhalten offenherzigere
Schreiben, in denen Rahel wiederholt ihr
existenzielles Grundgefühl erläutert:
die anderen wie niemand sonst verstehen zu können und selbst dabei verkannt zu bleiben. «Du irrst alte Rose!
und verwechselst mein tiefes Eindringen in die Gemüther der Menschen und mein schnelles Auffassen ihrer Eigenheiten mit dem
Eindruck, welchen ich auf die
Menschen mache.»
In den Jahren der materiellen
Einschränkung sieht sie sich
zunehmend als Unglückswesen,
das auch zur Aussenseiterin der
Familie wird. Dennoch kommt es
regelmässig zum Einlenken, zu
Versöhnungen. Die Brüder erhalten launige Briefe, in denen sie
ihr Leiden hinter Paradoxien verbirgt. «Seit gestern bessre ich
mich todt» oder: «Bin auch recht
gesund ausser meiner Krankheit».
Bemerkenswerter Witz
habe, so
muss ich
eigentlich die Papiere
annehmen, die du mir anbiethest.» Vereinzelt schlägt dann aber doch die Wut
durch. Marcus, der oberste Treuhänder
des väterlichen Erbes, wird in Briefen an
die Geschwister der Privatisierung des
Gewinns bei gleichzeitiger Familiensozialisierung der Verluste bezichtigt: «Verliert er, so sind wir es mit. Verdient er, so
ist er es allein. Und das seit 15 Jahren.
Macht er nicht alles mit unsern Kapitalen.» Und sie fordert – natürlich folgenlos – zu einer regelrechten Rebellion auf:
«Er hat unser Geld; er muss es uns herausgeben.» Moritz geht obskuren Geschäften nach, erdreistet sich aber, wenn
er deshalb in Zahlungsnöte kommt, ihr
«dumme und beleidigende Briefe» über
seinen Anspruch auf ein standesgemässes Leben zu schreiben.
Und auch der dritte Bruder, Lipmann,
unter dem Namen Ludwig Robert seit
1804 ein rege publizierender Schriftsteller, kommt kaum besser weg: «Der hat
kein Interesse als mechanisches Dichten
Rahel Varnhagen
(1771−1833), Gastgeberin und
Schriftstellerin.
Der Ruhm der Schriftstellerin Rahel
Levin beruht auf den ausgewählten
Briefen und Tagebuchblättern, die ihr
Mann Karl August Varnhagen von Ense
(die Heirat war 1814) nach ihrem Tod
herausgegeben hat. «Rahel. Ein Buch des
Andenkens für ihre Freunde» ist auch
heute, da man Varnhagens Eingriffe und
damit seine oft fragwürdige Modellierung der Rahel-Gestalt genau rekonstruieren kann, eine einzige Lesefreude. Das
trifft auf die vorliegende voluminöse
Edition der Familienbriefe gewiss nicht
zu. Rahels Briefe machen nur etwas mehr
als ein Viertel aus; auch epistolarisch
dominieren die Kaufmanns-Brüder.
Die Ausgabe ist Bestandteil einer textkritischen Gesamtedition der «Sammlung Varnhagen», die in den achtziger
Jahren in der Bibliothek Jagiellonska in
Krakau wieder aufgefunden wurde. Was
wissenschaftlich unumgänglich ist – die
lückenlose Wiedergabe der Briefe im originalen Lautstand, mit allen grammatikalischen und orthografischen Absonderlichkeiten – macht die Lektüre, ungeachtet der verstreuten Geistesblitze Rahels
und des bemerkenswerten Witzes vor
allem von Bruder Moritz, für NichtSpezialisten zu einer eher strapaziösen
Angelegenheit.
Ein hochinteressantes kulturhistorisches Dokument über das Leben einer
jüdischen Kaufmannsfamilie um 1800
und eine Fundgrube für künftige RahelBiografen ist das Buch aber allemal. ●
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25
Sachbuch
Biografie Marie Meierhofer war eine Pionierin der Kindererziehung in der Schweiz
Ein Leben für die Kleinsten
Marco Hüttenmoser, Sabine Kleiner:
Marie Meierhofer 1909−1998. Ein Leben
im Dienste der Kinder. hier + jetzt,
Baden 2009. 336 Seiten, Fr. 58.−.
Von Kathrin Meier-Rust
Es brauchte eine junge Medizinstudentin, um zu sehen, was da im Zürcher
Kinderspital der dreissiger Jahre geschah: Säuglinge und Kleinkinder lagen
in Gitterbettchen, die mit Tüchern verhängt waren. Jede unnötige Berührung
durch Pflegerinnen war zu vermeiden,
die Flasche legte man ins Bettchen. Herumtragen und Wiegen waren verboten,
Nuggis aus hygienischen Gründen nicht
erlaubt. Lautes Schreien galt als gesund.
Marie Meierhofer sah, handelte und
fotografierte. Diese Bilder sind das
Herzstück eines zu ihrem 100. Geburtstag erschienenen biografischen Werks.
Marie Meierhofer war die älteste
Tochter eines aargauischen Industriellenpaares, das Nacktwandern, schnelle
Autos und Luftschiffe liebte. Sie ist sieben, als ihr kleiner Bruder im Gartenteich umkommt, 16, als ihre Mutter im
Flugzeug abstürzt, 22, als ihr Vater beim
Wildwasserfahren im Ticino ertrinkt und
25, als ihre psychisch kranke jüngste
Schwester aus bis heute unklaren Gründen stirbt. Schon damals sprach sie von
«einem Fluch auf ihrer Familie», den sie
sühnen müsse, sah hier die Triebfeder für
ihren Drang, Kindern in Not zu helfen.
Nach dem Medizinstudium in Zürich
arbeitet Meierhofer zunächst im Burghölzli, dann im Kinderspital. Während
des Krieges wird sie Rotkreuzärztin für
Kinderhilfsaktionen in Frankreich, woraus sich ihr Engagement als Mitbegründerin des Pestalozzi-Kinderdorfes in
Trogen ergibt. Als Stadtärztin von
Zürich lernt sie die Situation in Kinder-
heimen und Krippen kennen, publiziert
eine Studie mit der Erkenntnis: Ohne
Zuwendung verfallen Kleinkinder in
Resignation, was ihrer Seele lebenslangen Schaden zufügt. Was heute trivial
erscheint, wollten damals weder Medizin noch Behörden hören, es dauerte
Jahre, bis Meierhofers Institut entstehen
konnte, ihre Ideen die gebührende Anerkennung fanden.
Eine Bildergeschichte bietet dieser
Band zweifellos. Trotzdem hätte man
dem Text mehr Stringenz gewünscht,
allzu sehr verlieren sich die Autoren in
Details und Zitaten. Die wichtigen Zäsuren und grossen Leistungen dieses
Lebens, gerade die wissenschaftlichen,
muss sich der Leser zusammensuchen.
Trotzdem bleibt das Bild von Marie
Meierhofers Pionierleistung eindrücklich. Es entlarvt das Reden von der Kinderfeindlichkeit in der heutigen Gesellschaft als gedankenloses Klischee. ●
Das amerikanische Buch Lebensbeichte und Testament von Ted Kennedy
«Aufgeben liegt nicht in meiner DNA»,
schrieb Edward Kennedy in seinen postum publizierten Lebenserinnerungen
True Compass (Twelve, 532 Seiten), die
in den USA zu Recht als ein Höhepunkt
dieses Bücherherbstes gefeiert werden.
Dazu hat der zum Hachette-Konzern
gehörende Verlag mit einer professionellen Kampagne beigetragen. Am Wochenende vor der Publikation lief ein
bewegendes Gespräch mit Kennedy
vom Februar 2009 im CBS-Fernsehen.
Wie hier fliessen Persönliches und die
Politik in «True Compass» stets ineinander. Als jüngstes der neun Kinder
von Joseph Kennedy und Rose Fitzgerald wurde er durch eine Serie tragischer Todesfälle völlig unerwartet
Patriarch einer Familie, die seit der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im
Zentrum der irisch-katholischen
Patronage-Politik Bostons stand. Die
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. September 2009
sobol richarD/ullstein bilD
Wie die Historikerin Doris Kearn
Goodwin sagt, hatte «Teddy» als Einziger der drei Brüder Kennedy das Glück,
sich selbst und seiner Nation Rechenschaft über sein Leben abgeben zu können. Seinen Tod vor Augen, hat der
«Löwe des Senats» diese Chance zu einer rückhaltlosen und gehaltvollen Bilanz benutzt, die nicht zufällig Züge
einer katholischen Beichte trägt. «True
Compass» ist gleichzeitig der erste und
letzte Versuch eines der Brüder, den
Mythos Kennedy in die Form eines politischen Testamentes zu giessen.
Gleich auf den ersten Seiten nennt Kennedy auch einen Erben: Barack Obama
hat dem alten Profi die Leidenschaft
und Zuversicht eingeflösst, die ihn
beim Wahlkampfeinsatz für seine Brüder John und Robert durchströmt hat.
grund allmählich als Chance begreift
und dass er Schicksalsschläge und
selbst verschuldete Tragödien als Antrieb für eine unermüdliche politische
Arbeit genommen hat, die in der Geschichte des Senats ihresgleichen
sucht. Der begeisterte Segler Kennedy
legte hier erstmals dar, dass ihm dabei
sein Glaube und speziell die Botschaft
des Matthäus-Evangeliums, den «Letzten unter Uns» beizustehen, ein «moralischer Kompass» waren. Diese
Passagen dürften für Historiker ebenso
von bleibendem Wert sein wie die vielen Details aus Kennedys Politikerleben. Lebhafte Debatten hat bereits
seine Behauptung ausgelöst, sein Bruder John habe im Herbst 1963 nach Wegen gesucht, die USA aus dem
Vietnam-Krieg zu lösen.
Edward Kennedy am
Geburtstag seiner
Mutter Rose Kennedy
(rechts) im Jahr 1983.
Unten auf einer
Aufnahme von 2006.
Macht seines Clans gab dem um die
Liebe seines dominanten Vaters
buhlenden Nesthäkchen die Freiheit zu
grossen Sünden und Fehlgriffen. Kein
Durchschnittspolitiker hätte die Serie
von Skandalen überstanden, die sich
Ted Kennedy geleistet hat. Mit einer
zumal für Politiker-Memoiren beeindruckenden Offenheit geht «True Compass» etwa der berühmt-berüchtigten
Chappaquiddick-Affäre auf den Grund:
1969 liess Kennedy eine junge Beifahrerin in seinem Auto ertrinken. Ohne den
Leser um Entschuldigung für seine Affären und sein Trinken zu bitten, macht
Kennedy aber deutlich, wie schwer er
damals an der Ermordung seiner Brüder
John und Robert getragen hat.
Doch «True Compass» erzählt auch,
wie Kennedy seinen familiären Hinter-
Das Buch atmet die Grosszügigkeit und
Wärme, die Kennedy selbst politische
Gegner attestierten. Aber der Autor
macht auch keinen Hehl aus seiner Abneigung etwa gegen Jimmy Carter, dem
er 1980 mit seiner unausgegorenen
Präsidentschaftskandidatur erheblich
geschadet hat. Kennedy zeichnet
Carter als Frömmler, der seinen Gästen
bei langen Sitzungen die scheinbar üblichen, hochprozentigen Getränke vorenthält. Freundlichere Worte findet er
für Bill und Hillary Clinton, die er vor
dem Vorwurf in Schutz nimmt, 1993
ungeschickt die Chance einer Gesundheitsreform verspielt zu haben. Die Erfüllung dieses Lebenstraums konnte er
nicht miterleben. Aber indem er «True
Compass» mit Barack Obama beginnen
und enden lässt, lässt Kennedy keine
Zweifel an den Erwartungen, die er an
seinen politischen Erben stellt. ●
Von Andreas Mink
Agenda
Grand Tour Ein Preusse fotografiert die Welt
Agenda Oktober 2009
Basel
Dienstag, 20. Oktober, 19 Uhr
Mirjam Pressler: Grüsse und Küsse an
alle. Lesung, Fr. 15.−. Aula Naturhistorisches Museum, Augustinergasse 2.
Tel. 061 261 29 50 (Literaturhaus).
Donnerstag, 22. Oktober, 19 Uhr
John Burnside: Glister. Lesung, Fr. 15.−.
Literaturhaus, Barfüssergasse 3,
Tel. 061 261 29 50.
Freitag, 23. Oktober, 19 Uhr
Yu Hua: Brüder. Mo Yan: Die Sandelholzstrafe. Lesung, Fr. 15.−.
Literaturhaus (s. oben).
Bern
gefunden, eine Auswahl getroffen und herausgegeben. Entstanden ist ein Bildband mit frühesten
Reisefotografien, die eine Welt zeigen, die im Ersten
Weltkrieg untergehen wird. Zurück in Europa klinkte
sich Abegg wieder in seine Laufbahn ein, bis die
Nazis ihn 1933 in den Ruhestand schickten. Er teilte
ihre Gesinnung nicht – es waren Menschen, die die
Welt nie gesehen hatten. Geneviève Lüscher
Boris Martin (Text), Waldemar Abegg (Fotografien):
Reise in eine vergangene Zeit. Frederking & Thaler,
München 2009. 192 Seiten, Fr. 67.90.
Belletristik
Sachbuch
1 Diogenes. 408 Seiten, Fr. 38.90.
2 Krüger. 362 Seiten, Fr. 29.90.
3 S. Fischer. 297 Seiten, Fr. 33.90.
4 Blanvalet. 666 Seiten, Fr. 43.90.
5 Allegria. 304 Seiten, Fr. 29.90.
6 Heyne. 447 Seiten, Fr. 38.90.
7
Hanser. 192 Seiten, Fr. 31.90.
8 Goldmann. 480 Seiten, Fr. 34.90.
9 Hanser. 1096 Seiten, Fr. 49.90.
10 Diogenes. 199 Seiten, Fr. 33.90.
1 Brockhaus. 275 Seiten, Fr. 35.50.
2 Brockhaus. 1216 Seiten, Fr. 38.80.
3
Rowohlt. 384 Seiten, Fr. 33.80.
4 woa. 318 Seiten, Fr. 22.90.
5
Diogenes. 315 Seiten, Fr. 40.90.
6 Nagel & Kimche. 238 Seiten, Fr. 34.50.
7 Bertelsmann. 287 Seiten, Fr. 34.90.
8
Brockhaus. 1216 Seiten, Fr. 53.50.
9 Goldmann. 237 Seiten, Fr. 30.90.
10 Kein & Aber. 175 Seiten, Fr. 27.50.
Cecelia Ahern: Zeit deines Lebens.
Peter Stamm: Sieben Jahre.
Charlotte Link: Das andere Kind.
William P. Young: Die Hütte.
John Grisham: Der Anwalt.
Elke Heidenreich, Bernd Schroeder: Alte
Liebe.
Joy Fielding: Im Koma.
Roberto Bolaño: 2666.
Urs Widmer: Herr Adamson.
Urs Widmer: Herr Adamson. Lesung,
Fr. 12.−. Thalia im Loeb, Spitalgasse 47/51, Tel. 031 320 20 20.
Samstag, 24. Oktober, 18 Uhr
Rufus Beck liest «Der kleine Nick» von
René Goscinny. Multimediale Lesung,
Fr. 28.−. Zentrum Paul Klee, Auditorium,
Tel. 0900 585 887.
Zürich
Donnerstag, 1. Oktober, 20 Uhr
Bestseller September 2009
Hugo Loetscher: War meine Zeit meine Zeit.
Mittwoch, 21. Oktober, 20 Uhr
Guinness-Buch der Rekorde 2010.
Der Duden. Die deutsche Rechtschreibung.
Eckart von Hirschhausen: Glück kommt
selten allein.
Teresa Fortis: Lockruf Saudia.
Dalai Lama XIV.: Meine spirituelle Autobiographie.
Jürg Wegelin: Mister Swatch.
Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen.
Der Duden. Die deutsche Rechtschreibung +
Korrektor.
Rhonda Byrne: The Secret. Das Geheimnis.
Mikael Krogerus: 50 Erfolgsmodelle.
Erhebung Media Control im Auftrag des SBVV; 15. 9. 2009. Preise laut Angaben von www.buch.ch.
Margrit Schriber: Die hässlichste Frau
der Welt. Lesung, Fr. 18.− inkl. Apéro.
Literaturhaus, Limmatquai 62,
Tel. 044 254 50 00.
Montag, 5. Oktober, 22 Uhr
Martin Kluger: Der Vogel, der spazieren
ging. Lesung. Restaurant Bärengasse,
Bahnhofstrasse 25. Anmeldung unter
www.restaurant-baerengasse.ch/kultur.
Donnerstag, 8. Oktober, 20 Uhr
Yan Jun: Poesie in der Stadt. Gedichte,
Soundcollagen und Gespräch. Fr. 18.−
inkl. Apéro. Literaturhaus (s. oben).
Mittwoch, 21. Oktober, 20 Uhr
Margret Atwood: Das Jahr
der Flut. Lesung, Fr. 25.−.
Kaufleuten, Klubsaal,
Pelikanplatz 4,
Tel. 044 225 33 77.
Freitag, 23., bis Sonntag, 25. Oktober
Die lange Nacht der kurzen Geschichten. Lesungen in der Stadt Zürich und in
Winterthur. Infos: www.lange-nacht.ch
Bücher am Sonntag Nr. 9
erscheint am 25. 10. 2009
Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am
Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60
oder E-Mail [email protected]. Oder sind – solange
Vorrat – beim Kundendienst der NZZ, Falkenstrasse 11,
8001 Zürich, erhältlich.
27. September 2009 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27
aP
Waldemar Abegg ist preussischer Beamter mit
Jahrgang 1873 und sieht auch so aus: Nickelbrille,
Reiserock und Schlips. In Japan zieht er sich für die
Teezeremonie einen Kimono über (Bildmitte). Abegg
hat sich eine Auszeit genommen. Er will die Welt
sehen und dabei seinem Hobby frönen: der Fotografie
mit seiner Klappkamera. Die Reise führt ihn 1905 in
die USA, nach Japan, Korea, China, Indonesien,
Birma, Indien und Ceylon. Boris Martin hat Abeggs
Reisetagebuch und 1000 kolorierte Fotos, Schwarzweiss- und Panoramabilder in einem Berliner Archiv
keystone
Montag, 12. Oktober, 20 Uhr
Jean Ziegler: Der Hass
auf den Westen.
Lesung, Fr. 12.−. Stauffacher Buchhandlung,
Neuengasse 25/37,
Tel. 031 313 63 63.
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