Seid Ihr was, das man darf fragen?

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Seid Ihr was, das man darf fragen?
Mayers Almanach
Seid Ihr was, das man darf fragen?
Bestenliste des Monats:
Top Ten Weihnachtsgeschenke für Jane-AustenFans, alle erhältlich im
offiziellen Jane-AustenGift-Shop in Bath. Und
natürlich auf dessen
durchlauchter Homepage.
10.Korrespondenz-Set mit Feder
und Siegel
9. Sonnenschirm aus weißer Spitze
8. Kuchenpodest aus Porzellan
7. Baumwollnachthemd
6. Mr. Darcy Untersetzer
5. Stolz-und-Vorurteil-Tablet-Hülle
4. „Ich wäre gern in Pemberly“Tasse
3. Mr.-Darcy-Keks-Ausstecher
2. Gebrauchspompadour aus Samt
1. Jane-Austen-Action-Figur
H
abe nun also Macbeth im
Kino angesehen. Weil so
ein Film in der Masse ja untergeht, hätte ich gar nichts
davon mitbekommen, wenn nicht dtv
rechtzeitig zur Buchmesse Film-PR mitgenommen hätte zum Aufwind der hauseigenen Übersetzung von Frank Günther.
Dort sah ich am Stand nämlich das Filmposter auf dem Buch, mit den zeitgenössischen, jungen Schauspielern Michael
Fassbender und Marion Cotillard.
Die Verfilmung schlägt gleich den
authentischen, klassischen, historisch
akkuraten Tonfall an. Oder sagt man da
Bildfall? Frank Günther sagt ja, Shakespeare brauche überhaupt keine Bilder,
sondern nur Schauspieler. Aber nun war
ich schon mal im Kino, also schaute ich
mir auch die Bilder an. Seit Leonardo
DiCaprio das Publikum mit seinem Romeo in den 90ern wachgerüttelt hat, muss
man ja auf alles gefasst sein - Opulenz,
Farbenfrohheit und Rock‘n‘Roll, aber
davon gab es bei Macbeth gottlob nichts.
Die wenigen Originalitäten, die man
sich dort leistete, blieben im Rahmen
der Geschichte. Das Ehepaar Macbeth
begräbt vor der Handlung sein Kind. Die
Kriegsmüdigkeit bekommt dann gleich
die Qualität der posttraumatischen Belastungsstörung, und da geht es Macbeth
nicht anders als Travis Bickle: Weiter-
Zwilling des Monats:
Blaue Kuttenwedelei bei dtv
Den markanten Anblick, den Trudi Canavans SoneaReihe bei Blanvalet seit 2006 bot, hielt der Verlag bei
den Covern anderer Canavan-Reihen sinnvollerweise
bei. Einfarbige, fokussierte Kuttenträgerin mit Dings
in der Hand vor puristischem Hintergrund. Dass in
den Kollegenhäusern dann auch irgendwann blaue
Frauen mit wehenden Mänteln und fuchtelnden Waffen im Nichts stolzierten, mag nicht überraschen. Aber
wie schön sich der Titel „Throne of Glass“ signalworthalber einpfercht zwischen „Game of Thrones“
und „City of Glass“, das ist schon sehr rührend.
???
BuchMarkt Dezember 2015
Matthias Mayer
kommentiert alles
Mögliche
töten und nach Legitimation suchen.
MacTaxiDriver. Das ist alles glaubhaft
und ergreifend und auch hinreichend verstörend umgesetzt. Zweitens: Sex an der
richtigen Stelle erklärt so manches, was
im Urtext nicht steht. (Aber das trifft auf
jeden Shakespeare zu.)
A
ls kleine Finte mag noch der wandernde Wald aus der Prophezeihung der Hexen erwähnt sein. Im
Urtext erfüllt sich diese Vorhersage, als
sich die feindlichen Soldaten Zweige zur
Tarnung anstecken. Aber wahrscheinlich
sieht das im Kino nicht eindrucksvoll,
sondern doof aus. Deshalb hat man hier
den Wald einfach angezündet. Rauch,
Nebel und Flammen bereichern die Bildsprache dieser kriegerischen und zerstörerischen Tragödie hervorragend, und
Macbeth staunt nicht schlecht, als ihm
die Asche um die Nase weht. Das genügt
als wandernder Wald.
Das war es aber dann auch schon mit der
künstlerischen Freiheit - ansonsten ist der
Trend des Monats:
Horrorgestalt im Lagerschuppen
Benny Blu muss rein. Das ist kein Sohn
von Ochsenknecht, sondern eine Kindersachbuchfigur aus dem Kinderleicht
Wissen Verlag, deren Plastikmodell bei
uns im Sommer draußen vor der Tür steht.
Über die Wintermonate haben wir unseren
Draußen-Benny eingelagert. Und jedes
Mal, wenn ich unser düsteres, unheimliches
Lager betrete, erschrecke ich fast zu Tode,
weil er da steht und auf mich wartet.
Schau genau!
Buch-Cover auf den Punkt
Film sehr brav, sehr gehorsam und sehr
texttreu. Das offene Ende ist bei genauem
Nachlesen eigentlich legitim dargestellt,
aber ich freue mich bei Shakespeare-Bearbeitungen sehr, wenn das Vorhandene
nicht nur bestätigt, sondern auch bereichert wird. Ich weiß nicht, ob der Film
diese feine Linie wirklich überschreitet.
Ein feines Unterschreiten ist eher der Kurs
- gar nicht so viel Wucht und Gemetzel, als
vielmehr Tränen und einsames Kämpfen.
Macbeth spielt nicht in Mittelerde. Obwohl es da auch einen wandernden Wald
gab. Auch die Falle, aus den Hexen drei
Geisterbahn-Furien zu machen, überging
er Regisseur gottlob. Auf eine Zaubertrankszene mit kaltgeschleimten Kröten
und Türkennasen im Topf freuen sich nur
Theaterregisseure und Harry-Potter-Fans.
(Dass es Schottland unter dem echten
König Macbeth übrigens gar nicht so
schlecht ging, hat Shakespeare nicht ge-
stört.) (Und apropos stören: Es ist extrem
schwierig, in einem Shakespeare-Film
die richtige Stelle für das Öffnen der
Chipstüte zu finden.)
I
ch hatte auch einen Spitzen-Bourbon mit ins Kino geschmuggelt, um
mich in Stimmung zu bringen, falls
Lady Macbeth das nicht gelänge. Scotch
wäre natürlich passender gewesen. Aber
Marion Cotillard als befremdlich fremde
frankophone Lady war gut besetzt. Wenn
sie nur mal wüsste, was sie will, die Lady.
Herr Macbeth dreht wenigstens konsequent in eine Richtung durch.
Dennoch ist es ein sehr sehenswerter,
guter Film. Schon allein, weil er dazu
führt, dass man mal wieder seinen Macbeth in die Hand nimmt. Auch wenn es
aus rein journalistischer Sicht mehr Spaß
macht, „Shades of Grey“ zu zerreißen
statt „Macbeth“ zu loben.
BuchMarkt Dezember 2015
???