Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess
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Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess
Ludwig-Maximilians-Universität München Schriften zur Empirischen Forschung und Quantitativen Unternehmensplanung Heft 19 / 2004 Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess: Entscheidungsregeln und die Dominanz des reflektiven Modells Markus Eberl Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Unternehmensentwicklung und Organisation Seminar für Empirische Forschung und Unternehmensplanung Prof. Dr. Manfred Schwaiger Kaulbachstr. 45 / I D-80539 München Tel.: (089) 2180 5640 Fax: (089) 2180 5651 e-mail: [email protected] http://www.efoplan.de FORMATIVE UND REFLEKTIVE INDIKATOREN IM FORSCHUNGSPROZESS: ENTSCHEIDUNGSREGELN UND DIE DOMINANZ DES REFLEKTIVEN MODELLS Markus Eberl Department für Betriebswirtschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Unternehmensentwicklung und Organisation Seminar für Empirische Forschung und Unternehmensplanung EFOplan Kaulbachstr. 45/I 80539 München Tel.: Fax: +49 (0) 89 / 2180 – 5638 +49 (0) 89 / 2180 – 99 – 5638 eMail: [email protected] Web: www.efoplan.de M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess II Zusammenfassung In der Marketingforschung wird oftmals mit a priori nicht beobachtbaren Größen – hypothetischen Konstrukten – gearbeitet. Obwohl die unterschiedlichen Arten, derartige Konstrukte zu spezifizieren, seit langer Zeit bekannt sind, werden die meisten Konstrukte implizit oder explizit reflektiv spezifiziert, auch wenn oft die formative Spezifikation angemessener wäre. Die Arbeit stellt diese gegenüber und vermittelt einen Überblick über die Konsequenzen, welche mit der Wahl der Spezifikation verbunden sind. Dabei bietet sich in letzter Konsequenz sogar eine andere Verfahrensart der Strukturgleichungsmodelle an. Es wird eine Vorgehensweise vorgeschlagen, mit der Konstrukte strukturierter als bislang auf ihre tatsächliche Struktur hin überprüft werden können. Diese Vorgehensweise wird im Rahmen einer Metastudie einer Anwendung zugeführt. Dabei werden die in einem internationalen renommierten Journal publizierten Konstrukte daraufhin untersucht, welche Spezifikationsart vorliegt und welche nach dem Vorschlag hin vorliegen sollte. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess III Inhaltsverzeichnis 1 PROBLEMSTELLUNG ..............................................................................1 2 ARTEN DER SPEZIFIKATION VON KONSTRUKTEN ............................2 2.1 REFLEKTIVE SPEZIFIKATION ......................................................................2 2.2 FORMATIVE SPEZIFIKATION ......................................................................5 3 FORMATIVE UND REFLEKTIVE INDIKATOREN IM FORSCHUNGSPROZESS ..........................................................................8 3.1 FORMATIVE UND REFLEKTIVE SPEZIFIKATION IM OPERATIONALISIERUNGSPROZESS ..............................................................8 3.2 FORMATIVE UND REFLEKTIVE SPEZIFIKATIONEN IN VERFAHREN DER STRUKTURGLEICHUNGSANALYSE .............................................................11 3.3 WEITERE AUSWIRKUNGEN VON FEHLSPEZIFIKATIONEN ............................12 3.3.1 Auswirkung von Spezifikationsfehlern des Typs „F“.....................12 3.3.2 Auswirkungen von Spezifikationsfehlern des Typs „R“.................13 4 BESTIMMUNG DER SPEZIFIKATIONSART..........................................15 4.1 GEWINNUNG DER SPEZIFIKATIONSHYPOTHESE AUS DER THEORIE ..............17 4.2 ÜBERPRÜFUNG MIT DER KORRELATIONSSTRUKTUR DER DATEN .................19 5 DIE DOMINANZ DES REFLEKTIVEN MODELLS .................................21 5.1 AUFBAU DER METASTUDIE ......................................................................22 5.2 DIE DOMINANZ DES REFLEKTIVEN MESSMODELLS ....................................23 6 AUSBLICK AUF DIE WEITERE FORSCHUNG ......................................24 ANHANG..........................................................................................................25 ANHANG 1: ERGEBNISSE DER METASTUDIE IM JOURNAL OF MARKETING ............26 LITERATURVERZEICHNIS .............................................................................30 M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess IV Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Reflektives Messmodell ...............................................................3 Abbildung 2: Formatives Messmodell...............................................................5 Abbildung 3: C-OAR-SE-Prozedur zur Konstruktspezifikation........................10 Abbildung 4: Mögliche Spezifikationsfehler ...................................................12 Abbildung 5: Vorgehensweise zur Bestimmung der Spezifikationsart ...........16 Abbildung 6: Verteilung der Spezifikationsfehler in der Metastudie..............23 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Verfahren der Strukturgleichungsanalyse.................................12 Tabelle 2: Entscheidungsfragen zur Unterscheidung zwischen formativer und reflektiver Spezifikation......................................................18 Tabelle 3: Im Journal of Marketing 1999-2003 publizierte latente Variablen und ihre Spezifikationsart..........................................................29 M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess Abkürzungsverzeichnis Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers der vorliegenden Arbeit Bd. Band GLS generalized least squares i.d.R. in der Regel LISREL linear structural relationships LV latente Variable MV manifeste Variable ML maximum likelihood OLS ordinary least squares PLS partial least squares SEM structural equation modeling ULS unweighted least squares Übers. d. Verf. Übersetzung des Verfassers der vorliegenden Arbeit vgl. vergleiche Vol. Volume/Jahrgang V M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess VI Symbolverzeichnis ξ [n×1] latente (exogene) Variable/n η [m×1] latente (endogene) 1 Variable/n ζ [m×1] Messfehlerterm (Störterm) der latenten Variablen η x [q×1] Vektor der manifesten Variablen zur Messung der latenten exogenen Variablen [p×1] Vektor der manifesten Variablen zur Messung der latenten y endogenen Variablen Λ 2 Γ 2 [q×1] Regressionskoeffizienten zwischen x und ξ (reflektiv) bzw. „innerhalb“ eines Konstrukts (Λx [q×n]und Λy [p×m]) [q×1] Regressionskoeffizienten zwischen η und x (formativ) bzw. [m×n] zwischen exogenen und endogenen Größen Πξ [q×1] Regressionskoeffizienten zwischen ξ und x (formativ) in PLS Πη [p×1] Regressionskoeffizienten zwischen η und y (formativ) in PLS Β [m×m] Regressionskoeffizienten zwischen endogenen Größen untereinander δ [q×1] Vektor der Messfehler (Störvariablen) der manifesten Variablen x ε [p×1] Vektor der Messfehler (Störvariablen) der manifesten Variablen y R [q×q] Korrelationsmatrix der beobachteten Variablen σij τijkl Kovarianz zwischen beobachteter Variable i und j Tetrade (Kovarianzdifferenz) der beobachteten Variablen i, j, k und l 1 Im vorliegenden Text werden auch endogene Konstrukte, die formativ spezifiziert sind, mit dem Symbol η bezeichnet, um deren nicht faktorenanalytischen Charakter zu unterstreichen. 2 Obwohl es sich im Falle einer Latenten nur um einen Vektor handelt, wurde die Notation als Matrix (mit Großbuchstaben) vorgenommen, da diese Erweiterung im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen die übliche Notation darstellt. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 1 1 Problemstellung Spricht man von theoretischen Konstrukten, handelt es sich dabei um a priori nicht direkt messbare Größen. Um Beziehungen zwischen diesen Variablen in einem sog. Strukturmodell abbilden zu können, ist in einem vorausgehenden Schritt eine Operationalisierung mittels eines Messmodells nötig [vgl. Anderson/Gerbring 1982, S. 453]. Hierzu sind dem jeweils interessierenden Konstrukt in der Regel mehrere beobachtbare Variablen zuzuordnen, „um so etwaige Verzerrungen in einzelnen Indikatoren aufzufangen“ [Homburg/Dobratz 1991, S. 214]. Die beobachtbaren Größen werden dabei meist als Indikatoren oder manifeste Variablen bezeichnet, die nicht direkt beobachtbaren Größen als latente Variablen [vgl. Homburg/Giering 1996, S. 6]. Letztere lassen sich grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten operationalisieren (spezifizieren): mittels eines formativen oder eines reflektiven Messmodells [vgl. bspw. Bollen/Lennox 1991, S. 305 f; Homburg 1995, S. 72 f; Law/Wong 1999, S. 144146; Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 269]. Ein Großteil jüngerer Forschung basiert implizit bzw. explizit auf Letzterem. Die Frage, inwieweit diese Annahme gerechtfertigt ist, ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung für die Auswirkungen auf die weitere Forschung im Marketingbereich. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, der diese Arbeit nachgeht, ob die Unterscheidung dieser Messmodelle überhaupt eine relevante Fragestellung ist, also: (1) ob unterschiedliche Spezifikationsarten überhaupt unterschiedliche Folgen für den Forschungsprozess in der empirischen Marketingforschung implizieren und vor allem (2) ob diese Unterscheidung überhaupt für die Konstrukte, welche im Marketing untersucht werden, von Relevanz ist. In Vorgriff auf die Beantwortung von Frage (1) wird die gängige Literatur dies zweifelsfrei bejahen. Die unmittelbarste Konsequenz auf den Forschungsprozess – nämlich die Entscheidung zwischen dem formativen und dem reflektiven Messmodell – ist bislang jedoch am wenigsten erforscht. Daher soll die Studie insbesondere der Frage nachgehen, (3) welche Schritte im Forschungsprozess und insbesondere bei der Operationalisierung nötig sind, um zu einer fundierten Entscheidung zu Gunsten einer Spezifikationsart zu gelangen. Die Arbeit ist daher wie folgt aufgebaut: Im ersten Schritt soll der Stand der Forschung zu den möglichen Arten von Spezifikationen von Konstrukten aufgezeigt werden. Nachdem die Grundlagen formativer und reflektiver Indikatoren erläutert wurden, schließt sich eine Diskussion an, welche Auswirkungen im Forschungsprozess durch die Alternativen formativer und reflektiver M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 2 Messmodelle impliziert werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse kann in der Folge eine Vorgehensweise entwickelt werden, die es erlaubt, Konstrukte strukturiert daraufhin zu untersuchen, ob sie in Zusammenhang mit den jeweils identifizierten Indikatoren eher als formativ oder eher als reflektiv zu behandeln sind. Mit der Kenntnis dieser Vorgehensweise und der Eigenschaften der Spezifikationsarten kann letztlich die Frage beantwortet werden, ob Fehlspezifikation überhaupt ein Problem in der Marketingforschung darstellt. Dies soll anhand einer Metastudie in einem internationalen Journal geschehen. Die beiden Möglichkeiten, Messmodelle zu spezifizieren, sollen im Folgenden zunächst überblicksartig dargestellt werden. Dabei wird klar werden, dass die Spezifikationsart eines Konstrukts insbesondere eine Funktion der gewählten Indikatoren ist (da in vorliegender Studie gemischt-spezifizierte Konstrukte nicht betrachtet werden). 2 Arten der Spezifikation 1 von Konstrukten Vielfach wird in der neueren Literatur beklagt, dass in der Vergangenheit ein Großteil von Untersuchungen mit latenten Variablen ausschließlich und ohne weitere Diskussion dem reflektiven Messmodell zugesprochen hat [vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 269]. 2 Bollen stellt schon relativ früh fest: “Most researchers in the social sciences assume that indicators are effect [reflektive, Anm. d. Verf.] indicators. Cause [formative, Anm. d. Verf.] indicators are neglected despite their appropriateness in many instances” [Bollen 1989, S. 65]. Derartige Appelle zu einer „reflektierteren” Konstruktspezifikation verhallten jedoch ungehört. Der folgende kurze Blick auf die Eigenschaften des reflektiven Messmodells mag erste Erklärungen liefern. 2.1 Reflektive Spezifikation Ein beispielhaftes reflektives Messmodell ist in Abbildung 1 dargestellt. Dabei findet die in der Literatur zu Strukturgleichungsmodellen übliche Nomenklatur Verwendung. 1 Der Begriff der Spezifikation ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit im weiten Sinne zu verstehen: Sowohl die zu Grunde liegende „reale“ Kausalbeziehung der Konstrukte und ihrer Indikatoren als auch die vom Forscher im Rahmen eines Messmodells hypothetisierte Kausalbeziehung werden mit dem Begriff Spezifikation angesprochen. 2 Neuere Ausnahmen stellen bspw. Beutin [2000], Cannon/Homburg [2001] oder Reinartz et al. [2003] dar. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess δ1 δ2 x1 x2 λ3 δ3 x3 mit: λ1 λ2 3 ξ ξ latente Variable x Vektor der manifesten Variablen [q×1] Λ Regressionskoeffizienten von x auf ξ [q×1] (Faktorladungen) δ Vektor der Messfehlerterme (Störvariablen) [q×1] Abbildung 1: Reflektives Messmodell [eigene Darstellung in Anlehnung an Edwards/Bagozzi 2000, S. 161] Die reflektive Spezifikationsart zeichnet sich dadurch aus, dass die Ausprägungen der beobachtbaren Variablen kausal 3 durch die Latente verursacht werden. Damit einher geht die Unterstellung, dass Veränderungen der unbeobachtbaren Variable zu Veränderungen aller beobachteten Indikatoren gleichermaßen (unter Vernachlässigung von Messfehlern) führen. Daher werden diese Indikatoren als „reflektiv“ [Fornell/Bookstein 1982, S. 441 f], “effects” [Bollen/Lennox 1991, S. 305 f] oder auch “eliciting” [Rossiter 2002, S. 316] bezeichnet. Sie sind „beispielhafte Manifestierungen” [ebenda, Übers. d. Verf.] einer Latenten, stellen mithin also a priori austauschbare Messungen für sie dar [vgl. Bollen/Lennox 1991, S. 308]. Als Beispiel für reflektive Indikatoren kann das Konstrukt Kundenzufriedenheit genannt werden: Wiederkauf- und Weiterempfehlungsabsicht als beispielhafte Indikatoren verändern sich immer in Folge und kausal verursacht durch den dahinter stehenden Faktor Zufriedenheit. Diese Vorstellung entspricht dem sog. domain-sampling model [Nunnally 1967, S. 175-181; Nunnally/Bernstein 1994, S. 216-220], nach dem die Definition eines hypothetischen Konstrukts gleichzeitig seine “domain” (definitorisches Feld) umreißt. Es wird angenommen, dass dieses definitorische Umfeld dabei alle beobachtbaren Variablen umfasst, die das unbeobachtbare Konstrukt konzeptionell ausmachen. Bei der Erfassung eines Konstrukts müsste daher darauf abgestellt werden, alle Items dieser Domain zusammenzutragen [vgl. Nunnally 1967, S. 175 f]. Schnell et al. [1999, S. 127 f] sprechen in diesem Zusammenhang vom „Indikatorenuniversium“ eines Konstrukts. Es fällt nicht schwer, die Praktikabilität dieser Annahme für die Operationalisierung in Frage zu stellen, da damit für jedes einzelne Konstrukt ein unendlicher Pool an 3 Zur Definition von Kausalität zwischen Konstrukt und Messmodell und ausführliche Diskussion des Kausalitätsbegriffs in diesem Zusammenhang vgl. Edwards/Bagozzi [2000, S. 157160]. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 4 Items impliziert wird. Das domain-sampling model macht sich jedoch die Annahme zu Nutze, dass diese unendlichzahligen Items ein und desselben definitorischen Umfeldes einen gemeinsamen Kern haben [vgl. Churchill 1979, S. 67 f], was zu Korreliertheit dieser Items führt [vgl. Ley 1972, S. 111 f]. Damit wird auch unterstellt, dass alle Items a priori den gleichen Grad an Validität besitzen und bei gleichem Grad an Reliabilität für die Messung des Konstrukts beliebig austauschbar sind [vgl. Jarvis et al. 2003, S. 200]. Im Falle der Abwesenheit von Messfehlern (δ = 0) würde das reflektive Modell wie in Abbildung 1 also perfekte Korrelation zwischen den Indikatoren implizieren. Damit wird auch klar, warum für die Beurteilung der Güte eines Messmodells reflektiver Prägung zu fordern ist, dass die Indikatoren hochgradig korreliert sein sollten [vgl. Bollen/Lennox 1991, S. 308]. Im Umkehrschluss wird gefolgert, das nicht oder nur wenig korrelierende Items nicht aus dem Indikatorenuniversum des Konstrukts stammen können und daher nicht zur Operationalisierung des Konstrukts taugen [vgl. Churchill 1979, S. 68]. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass diese Sichtweise von Konstrukten auf der klassischen Testtheorie basiert, welche davon ausgeht, dass die Variation einer Messvariablen sich aus der Variation der „wahren“ (nicht beobachtbaren) Konstruktvariablen plus Messfehler zusammensetzt [vgl. etwa Jarvis et al. 2003, S. 199]. Dies ist auch logisch gleichbedeutend mit der Annahme einer kausalen Beeinflussung der Messvariablen durch das Konstrukt [vgl. Bollen 1989, S. 182]. Basierend auf dieser reflektiven Annahme entwickelte Churchill [1979, S. 66] eine exemplarische Vorgehensweise zur Operationalisierung von Konstrukten. Die in seinem Grundlagenartikel vorgeschlagenen Methoden zur Beurteilung von Reliabilität und Validität eines Messinstrumentes (u.a. Coefficient Alpha und Faktorenanalyse [vgl. Churchill 1979, S. 68-72]) wurden zwar in der Folge vielfältig erweitert (bspw. durch konfirmatorische Faktorenanalyse [vgl. Gerbing/Anderson 1988]). Nichts desto trotz basieren sie aber letztlich auf dem Paradigma des domain-sampling und beurteilen die Güte eines Messinstruments im Wesentlichen unter Zuhilfenahme der Korrelationen zwischen Items. Damit zeigt sich bereits, dass der gesamte Operationalisierungs- und Skalenbereinigungsprozess nach dem Paradigma von Churchill [1979] nur dann und nur soweit sinnvoll ist, wie die Annahme einer Kausalität vom hypothetischen Konstrukt zum Item (also der Spezifikation des Konstrukts auf reflektive Art) sinnvoll und gerechtfertigt ist. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 5 Die vorgenannten Aussagen zeigen sich auch in der mathematischen Formulierung des reflektiven Messmodells [vgl. Edwards/Bagozzi 2000, S. 161]: (1) xi = λi ξ + δi (i=1,…,n) wobei in diesem System linearer Gleichungen jede einzelne manifeste Variable xi auf der Seite der Abhängigen als (mit einer Ladung λi) gewichtetes Abbild der Latenten ξ darstellbar ist. Zufällige und systematische Messfehler jeder Manifesten werden durch je eine Störvariable δi modelliert. Eine Alternative zu diesem faktorenanalytischen Weltbild stellt die formative Spezifikation dar, welche im Folgenden vorgestellt wird. 2.2 Formative Spezifikation Im Gegensatz zum reflektiven Modell ist das wesentliche Kennzeichen eines formativen Messmodells eine veränderte Beziehungsrichtung: Hier verursachen die beobachteten Indikatoren 4 die Latente. Abbildung 2 zeigt ein beispielhaftes formatives Messmodell mit einer latenten und drei manifesten Variablen. 5 x1 r12 x2 r13 r23 γ2 γ3 x3 ζ γ1 η mit: η latente Variable ζ Messfehlerterm (Störterm) x Vektor der manifesten Variablen [q×1] Γ Regressionskoeffizienten von η auf x [q×1] R Korrelationsmatrix der beobachteten Variablen [q×q] Abbildung 2: Formatives Messmodell 6 [eigene Darstellung in Anlehnung an Edwards/Bagozzi 2000, S. 162] Die Denkweise formativer Messmodelle geht auf Curtis/Jackson [1962, S. 199] zurück. Sie stellt eine Erweiterung der “operational definition”-Ansätze dar, 4 Wegen dieses Unterschiedes zum reflektiven Messmodell darf auch der Terminus Indikator/en für die folgenden Ausführungen nicht im konventionell faktorenanalytischen Sinn verstanden werden. “Rather, they are exogenous measured variables that influence the composite defined as a causally indicated variable” [MacCallum/Browne 1993, S. 534]. 5 Das hier abgebildete Messmodell ist im Rahmen eines LISREL-Strukturgleichungsmodells statistisch unteridentifiziert. Für die Ausführungen in diesem Abschnitt soll dies jedoch zunächst vernachlässigt werden. 6 Auch wenn sich die Nomenklatur in diesem Beispiel und im Folgenden nur auf exogene Indikatoren x bezieht, können formative Indikatoren ohne jede Einschränkung der Aussagen auch als Indikatoren einer latenten endogenen Variablen in einem Strukturgleichungsmodell verwendet werden. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 6 unter denen theoretischen Konzepten definitorisch nur die Bedeutung Ihrer Messvariablen zuerkannt wurde [vgl. Bagozzi 1982, S. 14-16]. Dieser strikte Operationalismus wurde mit dem Ansatz multiattributiver formativer Messung weiterentwickelt [vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 270]. 7 In diesem Modell konstituiert sich also das Konstrukt aus den es beeinflussenden Indikatoren. Damit stehen diese der latenten Variablen auch kausal vor. Veränderungen eines einzelnen Indikators führen zu einer Veränderung der Latenten. Ob und inwieweit sich damit gleichzeitig auch die anderen Indikatoren verändern, ist nur durch die Korrelationen zwischen den beobachteten Indikatoren bestimmt – Kausalität oder eine Wirkungsrichtung wird an dieser Stelle durch die Spezifikationsart jedoch nicht hypothetisiert. Dies gilt freilich auch umgekehrt: verändert sich die latente Variable, so geht dies nicht notwendigerweise mit einer Veränderung aller oder auch nur einiger Indikatoren einher [vgl. bspw. Jarvis et al. 2003, S. 201 f]. Es ist durchaus möglich, dass sich mit der Veränderung der Latenten nur die Veränderung eines Indikators beobachten lässt. Im Rahmen dieses Modells stellen die Indikatoren also „Bausteine“ des Konstrukts dar: “[..] they ‘make the attribute [latente Variable, Anm. d. Verf.] appear’” [Rossiter 2002, S. 314]. Deshalb werden diese Indikatoren als „formativ“ [bspw. Fornell/Bookstein 1982, S. 441 f; Bagozzi 1994, S. 332 oder Edwards/Bagozzi 2000, S. 162], “causes” [Blalock 1964, S. 163 f; Bollen/Lennox 1991, S. 306 f] oder auch “formed” [Rossiter 2002, S. 314] bezeichnet. Oft zitiert wird das Beispiel des sozioökonomischen Status (SES) von Hauser [1973, S. 268]: Die Indikatoren Bildung, Einkommen und Prestige des Berufs müssen nicht notwendigerweise korrelieren und bilden doch definitorische Bestandteile des Zielkonstrukts. Die Indikatoren einer latenten Variablen stellen in diesem Modell in der Regel keine austauschbaren Messungen dar, auch wenn diese Möglichkeit explizit zugelassen wird [vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 271]. Sie können untereinander unabhängig sein, da kausal von jedem Indikator nur das Konstrukt abhängt. Damit ist also – anders als bei den hochgradig korrelierten reflektiven Messvariablen – keine Aussage über Korrelationen zwischen formativen Indikatoren möglich. Die Korrelationskoeffizienten rij (i=1,…q; j=1,…q) können also alle Werte im zulässigen Intervall [-1;+1] annehmen, ohne dass dies eine Aussage über die Güte ihrer Eignung zur Erklärung des Konstrukts oder 7 Auf eine wissenschaftstheoretische Diskussion des formativen Messmodells muss an dieser Stelle verzichtet werden. Der interessierte Leser sei beispielsweise auf Bagozzi [1984, insb. S. 22 f] verwiesen. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 7 der kausalen Beziehung zum Konstrukt möglich macht. Auch völlige Unkorreliertheit ist möglich. Bollen [1984, S. 377] spricht in diesem Zusammenhang von einer “no necessary relationship”-Sichtweise. Spätestens mit dieser Aussage ist klar, dass das domain-sampling Modell bei formativen Indikatoren nicht angebracht ist: Die einzelnen Indikatoren sind – auch wenn sie korreliert sind – unabhängig voneinander inhaltlich für das Konstrukt bestimmend. Daher können sie i.d.R. nicht ohne Validitätsverlust für das Konstrukt ausgetauscht werden. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen: Die oben dargstellten klassischen multivariaten Verfahren zur Beurteilung von Reliabilität und Validität eines Messmodells für ein Konstrukt nach dem Paradigma von Churchill [1979] können nicht mehr greifen. Insbesondere die bei reflektiven Indikatoren verwendbaren Tools Faktorenanalyse und Coefficient Alpha stellen u.a. im Prozess der Skalenbereinigung und Itemselektion auf die Korreliertheit der Indikatoren eines Konstrukts ab. Da im formativen Fall die Indikatoren jedoch nicht beliebig austauschbare Messungen ein und desselben Sachverhaltes darstellen, würde eine Itemselektion mittels Korrelationsmaßen das Konstrukt als solches (also die Inhaltsvalidität) verändern. “Unfortunately, traditional validity assessments and classical test theory do not cover cause indicators” [Bollen 1989, S. 222]. Bagozzi [1994, S. 333] zeigt, dass ein grundsätzlich anderes Verständnis von Güte einer Messung verlangt ist: “Reliability in the internal consistency sense and construct validity in terms of convergent and discriminant validity are not meaningful when indexes are formed as a linear sum of measurements”. Bollen [1984, S. 381] fügt hinzu: “Indeed, use of internal-consistency checks on cause-indicators may lead researchers to discard valid measures improperly”. Die kausale Richtung von den Indikatoren hin zu der latenten Variablen bedeutet also, dass sich das Konstrukt (als Linearkombination) aus den Indikatoren 8 ergibt. Wie sich bereits aus Abbildung 2 und dem Gesagten ergibt, ist ein wesentliches Merkmal des formativen Messmodells, dass die Indikatoren keine Fehlerterme besitzen (da sie ja die kausalen Bestandteile des Konstrukts sind). Während eine reflektiv spezifizierte latente Variable in einem einfachen Messmodell wie in Abbildung 1 keinen direkten Messfehlerterm aufweist 9 , ist dies 8 Deshalb wird im Zusammenhang mit formativen Indikatoren auch oftmals eher von einem Index als einem (formativen) Konstrukt gesprochen [vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 269]. Für Zwecke der vorliegenden Arbeit sollen diese Begriffe jedoch synonym verwendet werden. 9 Dies ändert sich freilich, sobald die latente Variable als Teil eines umfassenderen Strukturgleichungsmodells als Endogene auftritt [vgl. Jöreskog/Sörbom 2001, S. 2]. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 8 jedoch beim analog einfachen formativen Messmodell allgemein der Fall. Messfehler werden also im formativen Fall bei der Latenten aufgefangen. Dies übersetzt sich in folgende Darstellung [vgl. Bollen/Lennox 1991, S. 306]: η = λ1x1 + λ2x2 + … + λqxq + ζ (2) Anders als in (1) ist hier also die Latente η als Linearkombination der Manifesten x dargestellt, was im Wesentlichen dem klassischen multivariaten Regressionsmodell entspricht. Die Regressionskoeffizienten Γ sind auch als Koeffizienten für die Validität des Indikators für das Konstrukt interpretierbar [vgl. Bollen 1989, S. 222]. Messfehler existieren nur auf Ebene der Latenten und werden mit ζ dargestellt. Der Fehlerterm 10 wird dabei als mit den Indikatoren unkorreliert angenommen (cov[xi,ζ]=0) [vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 271]. Die Erkenntnis, mit formativen Indikatoren zu arbeiten, also die Spezifikation eines Konstrukts auf formative Weise, hat Auswirkungen auf den Forschungsprozess. Die Unmittelbarste – nämlich die Entscheidung zwischen dem formativen und dem reflektiven Messmodell – ist bislang am wenigsten erforscht. Der Bedarf hierfür wird jedoch an den folgenden Abschnitten klar werden, die sich mit den Konsequenzen der Festlegung der Spezifikationsart befassen. Der Ablauf der Itemselektion ist als beispielhaft zu nennen: „Klassische“ Operationalisierung nach Churchill [1979] basiert auf dem domain-sampling-Modell (s.o.) und ist nicht sinnvoll anwendbar, sobald formative Indikatoren vorliegen. Eine Verallgemeinerung der Operationalisierung nach Churchill ist unvermeidbar. 3 Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 3.1 Formative und reflektive Spezifikation im Operationalisierungsprozess Betrachtet man die Eigenschaften formativer Indikatoren und ihre Abgrenzung zum reflektiven Pendant, ergeben sich andere Schwerpunkte im klassischen 10 Bagozzi/Fornell [1982, S. 34] formulieren eine Spezifikation ohne Fehlerterm: ξ = λ1x1 + λ2x2 + … + λnxn. Dies wäre wiederum verträglich mit der Vorgehensweise im klassischen Hauptkomponentenmodell [vgl. Edwards/Bagozzi 2000, S. 162], weil auch dafür die Annahme von fehlerfreien Messvariablen x zu treffen ist. Dies ist freilich eine eher technisch getriebene Aussage als eine mit den obigen Aussagen über Kausalrichtungen zwischen Messvariable und Konstrukt verträgliche Annahme. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 9 Operationalisierungsprozess. Diamantopoulos/Winklhofer [2001, S. 271-274] entwerfen eine entsprechende Vorgehensweise, die jedoch streckenweise nicht unproblematisch ist [vgl. die kritischen Anmerkungen bei Rossiter 2002, S. 315] und daher nur Basis des folgenden Vorschlags sein kann. Hiernach sind insbesondere die vier Schritte Inhaltliche Ausgestaltung, Indikatorausgestaltung, Umgang mit Multikollinearität und Externe Validität von Bedeutung: Analog zum Vorgehen bei Churchill [1979] stellt eine umfassende Definition des zu untersuchenden Konstrukts den ersten Schritt dar. Dies entspricht auch hier im Wesentlichen der Bestimmung des definitorischen Umfelds. Die Bedeutung der Definition für die weiteren Schritte ist bei formativen Indikatoren jedoch ungleich größer. Bei der Auswahl der Indikatoren ist jedoch anders als bei reflektiven Indikatoren vorzugehen: eine Vollerhebung des gesamten Indikatorenuniversums ist nötig, um keinen Teil des Konstrukts zu vernachlässigen [vgl. Bollen/Lennox 1991, S. 308]. 11 Die Überprüfung von Reliabilitäten im Sinne von Item-to-Total-Korrelationen ist hier also kontraproduktiv gegenüber den inhaltlichen Gesichtspunkten. Einzig sinnvolles Gütekriterium auch im Rahmen der Indikatorenbereinigung ist die externe Validität. 12 Während hohe Korrelation zwischen den Items eines reflektiven Messmodells gewünscht ist (faktorenanalytisches Weltbild) und für die Validität der Messung spricht, ist dies bei einem formativen Messmodell problematischer. Es entspricht wie in Gleichung (2) dargestellt dem multivariaten Regressionsansatz. Sind zwei Indikatoren hoch miteinander korreliert, kann auch im formativen Fall auf einen der beiden verzichtet werden, ohne die Messung substanziell zu verändern. Durch hohe Multikollinearität sind die Regressionskoeffizienten jedoch u.U. nicht mehr eindeutig bestimmbar, was im Zuge der Prüfung der Indikatorvalidität problematisch ist. Dennoch werden Maße zur Beurteilung der Eindeutigkeit der Zuordnung von Indikatoren zum jeweiligen Konstrukt sowie der inhaltlichen Relevanz vorgeschlagen. Anderson/Gerbing [1991 S. 733 f] geben hierzu je einen In- 11 Mit dem Terminus Vollerhebung ist hier die Vollständigkeit in Bezug auf alle definitorischen Bestandteile gemeint. Eine Skalenbereinigung bleibt trotzdem möglich. „Inhaltliche Vollständigkeit“ bleibt jedoch freilich wenig greifbar. 12 Zur Indikatorvalidierung werden genannt: Korrelation mit einem externen Kriterium, MIMIC-Modelle [Jöreskog/Goldberger 1975] oder die Berechnung eines Strukturgleichungsmodells, in dem ein reflektiv spezifiziertes Konstrukt hereingenommen wird, welches (bspw. aus Voruntersuchungen) bekanntermaßen vom interessierenden Konstrukt beeinflusst wird. Die praktische Problematik dieser Vorschläge muss hier nicht weiter diskutiert werden. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 10 dex (psa und csv) an, der auf Aussagen von Experten oder einem PrestestSample der Grundgesamtheit basiert. Mit der Annahme von formativen Indikatoren zeigen sich also bei der Entwicklung von Messinstrumenten Probleme der inhaltlichen Validierung, welche bei der Skalenbildung nach Churchill [1979] nicht vorhanden sind oder mittels relativ leicht objektivierbarer Kenngrößen (insbesondere den Maßen der internen Konsistenz) lösbar sind. Dagegen fallen gerade die beim Umgang mit formativen Indikatoren ungleich wichtigeren Validierungsfragen als ebenso schwerer und schlechter objektivierbar auf. Um diesen Problemen entgegenzutreten, schlägt Rossiter [2002] ein verallgemeinertes Operationalisierungsparadigma vor, welches auch formative Indikatoren mit einbezieht. Die wesentlichen Schritte (Konstruktdefinition; Klassifizierung des Objekts, auf welches sich das Konstrukt bezieht; Klassifizierung und Ermittlung der „Attribute“, also Indikatoren; Identifikation der Beurteilungssubjekte; Skalenbildung und -bereinigung sowie Aggregation zum Gesamtwert für ein Konstrukt) dieser C-OAR-SE genannten Vorgehensweise sind in Abbildung 3 dargestellt. Von Bedeutung ist hier insbesondere, dass die Klassifizierung von Indikatoren als formativ/reflektiv, ihre Selektion im Rahmen der Skalenbereinigung sowie deren initiale Generierung mittels Experteninterviews oder einem Sample von Befragten aus der Grundgesamtheit (im Folgenden ebenso als Experten bezeichnet) vorgenommen werden soll [vgl. Rossiter 2002, S. 315]. Dies bedeutet insbesondere bei der Bereinigung von Skalen einen radikalen Bruch mit der stark kennziffernorientierten Vorgehensweise nach Churchill [1979]. Construct definition Object, attribute, rater entity Bewertungsobjekt, Bewertungsattribut, Zielgruppe Object classification Open-ended Interviews, generation of item parts to represent the object Attribute classification Open-ended Interviews, generation of item parts to represent the attribute reflective formative Rater identification individual/experts/group reliability estimates (nur bei reflektiven Attributen) Scale formation Combination of object and attribute item parts, pretest (auch auf Eindimensionalität bei reflektiven Attributen) Enumeration Total scale scores derived by indexes and averages Abbildung 3: C-OAR-SE-Prozedur zur Konstruktspezifikation [eigene Darstellung in Anlehnung an Rossiter 2002, S. 306 f] M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 11 Konsequenzen aus der Art der Spezifikation eines Konstruktes zeigen sich jedoch nicht nur bereits bei der Operationalisierung, sondern müssen insbesondere in Betracht gezogen werden, wenn das interessierende Konstrukt als Teil einer hypothesenprüfenden Untersuchung betrachtet wird. Üblicherweise werden Beziehungen zwischen latenten Variablen in Strukturgleichungsmodellen modelliert. Da eine latente Variable im Rahmen dieser Modelle nicht isoliert von ihren Indikatoren zu betrachten ist, spielt auch die Richtung der kausalen Beziehung zwischen Latenter und Indikator eine Rolle. 3.2 Formative und reflektive Spezifikationen in Verfahren der Strukturgleichungsanalyse Verfahren der Strukturgleichungsanalyse haben seit ihrer Einführung in die Marketingwissenschaft [vgl. Bagozzi 1980] eine starke Verbreitung gefunden, da sie in der Lage sind, prognoseorientierte ökonometrische Verfahren mit dem eher psychometrisch fokussierten Konzept der latenten Variablen zu verbinden. Baumgartner/Homburg [1996, S. 140 f] stellen in ihrer Metastudie internationaler Journals eine überragende Rolle der Strukturgleichungsmodelle bei der Untersuchung von Zusammenhängen zwischen beobachtbaren und nicht beobachtbaren Variablen fest. Innerhalb der Verfahrensgruppe „Strukturgleichungsmodelle“ (“Structural Equation Models” oder kurz SEM) lassen sich zwei wesentliche Strömungen identifizieren: die Verfahren der Kovarianzstrukturanalyse einerseits und das Verfahren partieller kleinster Quadrate (PLS) 13 andererseits. Je nach Vorhandensein formativer oder reflektiv spezifizierter Konstrukte bietet sich aber ein anderes Verfahren mit spezifischen Vorteilen an, auch wenn beide Verfahren auf viele Problemstellungen analog anwendbar sind. Für eine vertiefte Darstellung der Spezifika der einzelnen Verfahren der Strukturgleichungsanalyse muss an andere Stelle verwiesen werden. 14 In der empirischen Forschung wurde in den letzten Jahren fast ausschließlich die Kovarianzstrukturanalyse verwendet, die ihre Beliebtheit u.a. auch der Verfügbarkeit von standardisierten Softwarepaketen wie LISREL [vgl. bspw. Jöreskog/Sörbom 2001] oder EQS zu verdanken hat. Wie auch aus der überblicksartigen 13 Fornell [1989, S. 166] spricht in diesem Zusammenhang auch von Verfahren der Varianzstrukturanalyse. Diese Bezeichnung ist jedoch im Rest der Literatur wenig üblich. 14 Der interessierte Leser sei bspw. auf Jöreskog [1973], Bagozzi [1980], Bollen [1989] oder Balderjahn [1986] für eine Darstellung der Kovarianzstrukturanalyse verwiesen. Der PLSAlgorithmus ist beispielsweise bei letztgenanntem Autor sowie bei Wold [1982a, 1982b], Lohmöller [1984,1989], Chin [1998a] und Chin/Newsted [1998] dargestellt. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 12 Zusammenstellung in Tabelle 1 ersichtlich, ist es aus mehreren Gründen prinzipiell problematisch, formative Indikatoren in Verfahren der Kovarianzstrukturanalyse zu verwenden, da u.a. ein Identifizierbarkeitsproblem impliziert wird. Kovarianzstrukturanalyse Verteilung der Beobachteten Multidimensionale NV Spezifikation der Konstrukte Prinzipiell nur reflektiv, teilweise aber im Rahmen von MIMIC-Modellierung formativ möglich Simultane Schätzung der Schätzprinzip Modellparameter durch Optimierung eines globalen Kriteriums konsistent Schätzeigenschaften der Parameterschätzer optimale Schätzung der Parameterstruktur inkonsistente Schätzung Fallwerte über Regression möglich problematisch kleine Stichprobengröße Tabelle 1: Verfahren der Strukturgleichungsanalyse Ziel Partial Least Squares Keine reflektiv und formativ Minimierung von Residualvarianzen, partielles Schätzverfahren unter Einbezug der Gesamtinformation nur consistency-at-large (bei Zahl der Indikatoren einer Latenten ∞) optimale Prognose von Beobachtungswerten konsistent i.d.R. unproblematisch 3.3 Weitere Auswirkungen von Fehlspezifikationen Wie bereits in den Abschnitten 2.1 und 2.2 angedeutet, können Fehlspezifikationen von Konstrukten schon vor der Wahl einer weniger geeigneten Schätzmethode zu massiven inhaltlichen Problemen führen. In Anlehnung an Abbildung 4 lassen sich vereinfacht 15 zwei Arten von Fehlern unterscheiden: die irrtümlich formative und die irrtümlich reflektive Spezifikation eines Konstruktes. im Modell spezifiziert reflektiv formativ reflektiv kein Fehler Fehlertyp „F“ formativ Fehler „R“ kein Fehler Realität Abbildung 4: Mögliche Spezifikationsfehler [eigene Darstellung] 3.3.1 Auswirkung von Spezifikationsfehlern des Typs „F“ Die irrtümlich formative Spezifikation eines Konstrukts ist insofern problematisch, als die für diesen Fall nach wie vor gültigen Aussagen und Empfehlungen der Skalenbildung nach Churchill [1979] nicht beachtet werden. Da bei formativen Indikatoren Reliabilität im Sinne von Item-to-Total-Korrelationen 15 Die vorliegende Arbeit beschränkt sich bewusst auf nicht gemischt-spezifizierte Konstrukte. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 13 nicht anzuwenden ist, würde u.a. dieses für reflektive Indikatoren aber wichtige Gütemaß vernachlässigt. Die interne Konsistenz des resultierenden Messmodells wäre in der Regel wohl geringer als sie sein könnte, da unreliable Indikatoren irrtümlich beibehalten blieben. Diese „Über“-Messung müsste zwar nicht notwendigerweise eine inhaltliche Verschiebung des Konstrukts bedeuten, könnte jedoch im Rahmen eines Erklärungsmodells problematisch sein, da mehr Parameter zu schätzen sind. Die Parametersparsamkeit wäre damit nicht gewährleistet, was in direkter Konsequenz zu einer schlechteren Anpassungsgüte führt (insbesondere bei Betrachtung der Gütemaße, welche die Zahl der Parameter/Freiheitsgrade mit einbeziehen). Schlechtestenfalls würde ein Hypothesensystem auf Grund unzureichender Messmodelle verworfen, obwohl das Strukturmodell an sich gültig ist. Schon bei der Wahl des Strukturgleichungsverfahrens bzw. dessen Anwendung führt eine irrtümlich formative Spezifikation zu Problemen: durch die irrtümliche Annahme, mit einem formativen Konstrukt zu arbeiten, kommt es zu einem Identifizierbarkeitsproblem oder der Implikation von Nullkovarianzen. Selbst wenn für den Fall des fehlspezifizierten Konstrukts die Identifizierbarkeit eines größeren Modells im Rahmen eines LISREL-Modells gegeben ist, kommt es zu einer Verzerrung der Parameterschätzer und ggf. einer fälschlichen Ablehnung bzw. Beibehaltung von Strukturhypothesen über die Beziehung der Konstrukte untereinander. 16 Darüber hinaus ist eine Vielzahl von Konstellationen denkbar, unter denen ein falsch spezifiziertes LISREL-Modell (selbst im MIMIC-Fall) nicht mehr identifizierbar ist oder wegen der implizierten Nullkovarianzen nicht haltbar scheint. In diesem Fall kommt also eventuell das weniger zur Hypothesenprüfung als zur Prognose geeignete PLS-Verfahren zur Anwendung. Zu Unterschieden in Schätzergebnissen und Konsequenzen einer fehlerhaften Verfahrenswahl auf die Bestätigung von Hypothesen liegen bislang keinerlei Erkenntnisse vor. 3.3.2 Auswirkungen von Spezifikationsfehlern des Typs „R“ Im Gegensatz zu der eben dargelegten fehlerhaften Beibehaltung irrelevanter Indikatoren führt jedoch eine irrtümlich reflektive Spezifikation zur Anwendung des klassischen Skalenbereinigungsprozesses nach der Logik interner Konsistenz. Indikatoren eines Konstrukts, welche nicht hoch korrelieren, wer- 16 Zum Ausmaß der Konsequenzen vgl. die Simulationsstudie von Jarvis et al. [2003, S. 210-212]. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 14 den als nicht dem Konstrukt (Faktor) zugehörig entfernt. Wenn dieses Konstrukt jedoch in der Realität aber eigentlich formativ zu spezifizieren ist, wäre dies dramatisch (vgl. Abschnitt 2.2). Die Herausnahme nichtkorrelierender Facetten eines Konstrukts würde im Umkehrschluss sogar wahrscheinlich eine Vernachlässigung wichtiger Teilaspekte des Konstrukts bedeuten: “Omitting an indicator is omitting a part of the construct” [Bollen/Lennox 1991, S. 308]. Dies bedeutet nichts anderes, als die Validität des Konstrukts zu beschneiden. Die Forderung möglichst hoher Korrelation der (vermeintlich reflektiven) Indikatoren zieht sich durch den gesamten Skalenbildungsprozess, wirkt sich aber insbesondere bei der Skalenbereinigung aus, indem valide Indikatoren zu unrecht entfernt werden. Die verbleibenden Messgrößen stellen damit ggf. ein rechnerisch ideales Modell dar, das sämtliche Gütekriterien erfüllt – die daraus abgeleiteten Aussagen sind jedoch nicht auf die tatsächlichen Konstrukte zu beziehen, sondern nur auf unvalide Teilaspekte davon. “[P]roper specification of the measurement model is necessary before meaning can be assigned to the analysis of the structural model” [Anderson/Gerbing 1982, S. 453]. Zudem ist es sogar hochwahrscheinlich, dass ein Strukturgleichungsmodell auf Basis dieser Überreste nicht bestätigt werden kann [vgl. Jarvis et al. 2003, S. 216]. Sobald diese fehlerhafte Skalenbereinigung stattgefunden hat (also die falschen oder zumindest zu wenig richtige Indikatoren übrig sind), kann auch eine anschließend „richtige“ formative Modellierung des Konstrukts (durch einfaches Umkehren der Wirkbeziehung zwischen Konstrukt und Indikatoren) den Validitätsmangel nicht mehr heilen. Im Falle der Anwendung von PLS wäre umgekehrt die Multikollinearität, welche ja durch die Auswahl der Items auf Grund von Korrelationen noch verschärft wird, ein vergrößertes Problem bei der Bestimmung einzelner bestimmender Parameter. Wie sich also zeigt, sind beide Fehler wenig wünschenswert. Für den Forscher ist es daher zwingend notwendig, die im jeweiligen Fall richtige Art der Spezifikation zu bestimmen. Die Quantifizierung einer Fehlspezifikation (insbesondere im bislang wenig erforschten Bereich einer fehlerhaften Anwendung des PLS-Algorithmus) ergibt sich dabei als Nebenprodukt einer erweiterten Handlungsanweisung zur Prüfung, ob formative oder reflektive Konstrukte vorliegen. Während eine Art und Weise, wie dies geschehen kann, bereits angesprochen wurde (vgl. der Hinweis auf Experten in Abbildung 3, S. 10), soll der folgende Abschnitt die Möglichkeiten zur Bestimmung der Spezifikationsart ausführlich und gesondert darstellen sowie eine Vorgehensweise erarbeiten, nach der die Spezifikationsart strukturiert bestimmt werden kann. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 15 4 Bestimmung der Spezifikationsart “[L]ittle attention has been devoted to the conditions in which measures should be specified as reflective or formative in the first place” [Edwards/Bagozzi 2000, S. 156]. Wie auch in Abbildung 3 (S. 10) dargestellt, stützen sich die bisherigen Empfehlungen zur Bestimmung der Spezifikationsart hauptsächlich auf die Beurteilung von Experten [vgl. Rossiter 2002, S. 306 sowie Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 271] oder subjektive Entscheidungen des Forschers anhand von Entscheidungsfragen [vgl. Chin 1998b, S.9 oder Jarvis et al. 2003, S. 203]. Dies darf freilich nicht unkritisch gesehen werden: Rossiter [2002, S. 317 f] selbst gibt zu bedenken, dass viele Konstrukte (insbesondere Einstellungen) je nach Kontext formativ als auch reflektiv spezifizierbar sind. In vielen Bereichen lassen sich auch begründete Argumente für beide Spezifikationen finden. So kann zum Beispiel das von Diamantopoulos [1999, S. 445-446] diskutierte Konstrukt „Finanzieller Erfolg im Export” sowohl mit neun reflektiven als auch drei formativen Indikatoren gemessen werden. “Of course, it is possible that researchers may have difficulty in answering some of the questions, or the answers may be contradictory [..]” [Jarvis et al. 2003, S. 203]. Daher scheint es sinnvoll, auch die Tatsache in die Entscheidung mit einzubeziehen, dass formative Indikatoren nicht notwendigerweise korrelieren müssen, reflektive dies jedoch erfüllen sollten. Bollen [1984, S. 382 f] führt beispielsweise an, dass in Fällen, in denen das Curtis and Jackson-Paradoxon 17 auftritt, reflektive Indikatoren auszuschließen sind (was freilich noch alternative Beziehungen zulässt, bevor von einer formativen Interpretation der Korrelation ausgegangen werden darf). Auf der anderen Seite muss einer rein empiriegeleiteten Bestimmung der Spezifikationsart zum Vorwurf gemacht werden, inhaltliche Gesichtspunkte hinter den Daten zu vernachlässigen und damit theorieentleert zu sein. Zuletzt ist jedoch auch zu bedenken, dass Expertenurteile – auch wenn und soweit diese durch Entscheidungsfragen geleitet sind – sich wohl auch an Analogien und Erfahrungen mit „ähnlichen“ Konstrukten orientieren, was gerade bei neuen, wenig bekannten oder schlecht vorstellbaren Begriffen wiederum problematisch ist. 17 Das Curtis and Jackson-Paradoxon problematisiert die Tatsache, dass es im reflektiven Weltbild nicht möglich ist, einen negativen Zusammenhang zwischen zwei Größen zu beobachten, die beide positiv mit demselben Konstrukt zusammenhängen [vgl. Bollen 1984, S.377 sowie Curtis/Jackson 1962, S. 195-204]. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 16 Um also Subjektivität im Forschungsprozess zu vermeiden, jedoch auch Gesichtspunkte der Inhaltsvalidität nicht zu vernachlässigen, scheint zumindest eine Absicherung der mehr oder weniger subjektiv gewählten Spezifikation wünschenswert. Abbildung 5 fasst die vorgeschlagene Vorgehensweise zur Bestimmung der Spezifikationsart überblicksartig zusammen, bevor sie in den folgenden Abschnitten detaillierter dargelegt wird. Beispielhafte Entscheidungsfrage Kausalitätsrichtung zwischen Konstrukt und Indikatoren (offen) „Ist das Konstrukt kausal für die Indikatoren oder umgekehrt?“ Kausalitätsrichtung zwischen Konstrukt und Indikatoren (temporale Präzedenz) “Is it necessarily true that if one of the items (assuming all coded in the same direction) were to suddenly change in a particular direction, the others will change in a similar manner)” [Chin 1998b, S. 9] oder Experimentaldesign [vgl. Edwards/Bagozzi 2000, S. 159] Austauschbarkeit der Messungen „Sind die Indikatoren dieses Konstrukts untereinander beliebig austauschbar?“ Hypothese: Konstrukt ist formativ Skalenbereinigung (Interne Konsistenz) Skalenbereinigung (Ext. Validität, Experten) ja TETRAD-Test auf formative Indikatoren signifikant? nein (damit aber nur reflektiv beibehalten) nein nein TETRAD-Test auf formative Indikatoren signifikant? ja (damit auch reflektiv verworfen) Formative Spezifikation mit PLS-Modell verworfen? Reflektive Spezifikation mit LISREL-Modell verworfen? ja ja Reflektive Spezifikation in LISREL-Modell verträglich? Formative Spezifikation in PLS-Modell verträglich? ja ja Ergebnis: formativ verworfen, reflektiv nicht widerlegt nein nein nein Überprüfung der Spezifikationshypothese Hypothese: Konstrukt ist reflektiv Bildung einer Spezifikationshypothese Theoretische Herleitung der Spezifikation des Konstrukts aus seiner Konzeptualisierung bzw. dem Erkenntnisziel Ergebnis: reflektiv verworfen, formativ nicht widerlegt Abbildung 5: Vorgehensweise zur Bestimmung der Spezifikationsart [eigene Darstellung] Die vorgeschlagene Vorgehensweise sieht sich in den Ablauf des Forschungsprozesses eingebettet: vor Anwendung der jeweils nötigen Skalenbereinigungsschritte, die sich wie diskutiert drastisch unterscheiden (vgl. Abschnitt 3), ist zwingend die Spezifikationshypothese zu bilden. Der Vorschlag räumt theoretischen Gesichtpunkten also eine überragende Rolle ein. Die theoretische Fundierung liefert dabei eine Hypothese über die Spezifikation, welche in der Folge an der Korrelationsstruktur empirischer Daten im Rahmen eines Pretests überprüft wird. Sobald einer der Tests die Hypothese nicht stützen kann, ist die gewählte Spezifikationsart nochmals kritisch zu hinterfragen. Die Rückkopplungspfeile in der Abbildung sollen aber keinesfalls dahin gehend interpretiert werden, dass im Sinne eines „Trial-and-Error-Vorgehens“ die Kon- M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 17 struktspezifikation so lange verändert wird, bis das Testergebnis akzeptabel ist. Gegebenenfalls muss man das Ergebnis akzeptieren, ein theoretisch fundiertes, jedoch in Bezug auf Gütemaße unbefriedigendes Messmodell spezifiziert zu haben. 4.1 Gewinnung der Spezifikationshypothese aus der Theorie Aus den in Abschnitt 2 diskutierten Eigenschaften und Abgrenzungen formativer und reflektiver Indikatoren lassen sich mehrere Entscheidungskriterien ableiten. Diese zu Entscheidungsfragen formulierten Aussagen sind ausführlich in Tabelle 2 dargestellt. Die vielerorts ähnlichen Aussagen können zu zwei Oberkriterien verdichtet werden, welche die Entscheidung zu Gunsten einer Spezifikationsart aus theoretischen Vorüberlegungen deduzierbar machen: die Richtung der Kausalität zwischen Konstrukt und Indikator sowie die Austauschbarkeit der Indikatoren als gleich valide Messungen ein und desselben Konstrukts. Edwards/Bagozzi [2000 S. 157-160] schlagen zur Ermittlung der Kausalitätsrichtung zwischen dem Konstrukt und seinen Indikatoren eine Besinnung auf die wissenschaftstheoretischen Bestandteile von Kausalität vor: (1) die Unterschiedlichkeit von Ursache und Wirkung im Sinne eigenständiger Phänomene, (2) Kovariation von Ursache und Wirkung, (3) zeitliche VorgängerNachfolger-Beziehung und (4) Ausschluss alternativer Erklärungsmöglichkeiten. Interessant ist dabei vor allem die Komponente (3), da sie am stärksten die Kennzeichnung eines Phänomens als Ursache und des anderen als Wirkung bestimmt. Diese Frage kann natürlich Experten vorgelegt werden, welche diese Entscheidungsfrage beantworten sollen – auch der Forscher selbst kann sie in seiner Entscheidung zu Grunde legen. Bollen [1989, S. 66] befürwortet hierfür Gedankenexperimente. Edwards/Bagozzi [2000, S. 159] schlagen jedoch vor, die Anwendung von Experimenten in diesem Zusammenhang in Erwägung zu ziehen. Dieses Vorgehen – auch wenn bei den genannten Autoren nur kurz als Möglichkeit angerissen – verdient jedoch zweifelsohne eine vertiefte Betrachtung. Die Anwendung von Experimenten hätte zudem den Vorteil, dass bei geschicktem Design auch zusätzlich Bedingungskonstanz geschaffen werden kann und Bedingung (4) zumindest großteils bereits erfüllt wäre. Dieses Vorgehen ist jedoch auf Grund seines eher hypothesenprüfenden Charakters erst dann geeignet, wenn apriori-Hypothesen über eine kausale Richtung bestehen (welche also wieder durch Experten oder den Forscher selbst gewonnen werden müssen). Die Entscheidungsfrage nach Chin [1998b, S. 9] “Is it necessarily true that if one of M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 18 the items (assuming all coded in the same direction) were to suddenly change in a particular direction, the others will change in a similar manner?” kann für diesen Aspekt eine angemessene Formulierung sein. Basierend auf Fornell/Bookstein [1982, S. 292] lässt sich auch die folgende Frage formulieren: „Ist das Konstrukt eine hinter der beobachteten Variable stehende Erklärung oder vielmehr eine erläuternde Kombination aus den Beobachteten?“ Autor[en] Entscheidungsfrage 18 Fornell/Bookstein [1982, S. 292] Sind die Indikatoren des Konstrukts eher als Realisationen eines Faktors zu betrachten, der etwas Beobachtetes zur Folge hat? (Î reflektiv) oder Ist das Konstrukt als erklärende Kombination von Indikatoren konzipiert? (Î formativ) Fornell/Bookstein [1982, S. 292] Ist das Konstrukt eine hinter der beobachteten Variable stehende Erklärung (Î reflektiv) oder vielmehr eine erläuternde Kombination aus den Beobachteten? (Î formativ) Bagozzi [1984, S. 331] Messen die Indikatoren alle "das Gleiche" im engeren Sinne? (Î reflektiv) Bagozzi [1984, S. 332] Ergibt sich die Bedeutung des Konstrukts aus der Bedeutung der Indikatoren (Î formativ) oder umgekehrt (Î reflektiv)? Bollen [1989, S. 65]; Diamantopoulos/Winklhofer [2001, S. 270] Richtung der Kausalität ("causal priority between the indicator and the latent variable") vom Konstrukt zum Indikator (Î reflektiv) oder umgekehrt (Î formativ) Fornell [1989, S. 163 f] Welcher Natur ist die Beziehung zwischen den Beobachtungen und dem theoretischen Modell? Ist sie deduktiv (also sind die Beobachtungen vom Modell abhängig) (Î reflektiv) oder induktiv (also sind die theoretischen Variablen abhängig von den Beobachtungen) (Î formativ)? MacCallum/Browne [1993, S. 533]; Law/Wong [1999, S. 144-146]; Rossiter [2002, S. 314-316] Repräsentieren die Items eher Konsequenzen (Î reflektiv) oder Ursachen (Î formativ) des Konstrukts? Chin [1998b, S. 9] “Is it necessarily true that if one of the items (assuming all coded in the same direction) were to suddenly change in a particular direction, the others will change in a similar manner)?” (Î reflektiv) Jarvis et al [2003, S. 203] „Sind die Indikatoren dieses Konstrukts untereinander beliebig austauschbar?“ (Î reflektiv) Tabelle 2: Entscheidungsfragen zur Unterscheidung zwischen formativer und reflektiver Spezifikation Die Austauschbarkeit der Messungen für das Konstrukt lässt sich dagegen nur aus der Konzeptualisierung des Konstrukts ableiten. Das bedeutet also, 18 Die jeweilige Schlussfolgerung ist in Klammern hinter dem jeweiligen Frageteil kursiv gesetzt, falls die entsprechende Frage mit „ja“ zu beantworten wäre. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 19 dass die Frage nach der inhaltlichen Vergleichbarkeit letztendlich nur subjektiv beantwortet werden kann und sich starrer Überprüfbarkeit entzieht. Damit wird auch hier eine a-priori-Bewertung durch den Forscher oder die Befragung von Experten unumgänglich. Hierbei müsste insbesondere die Frage gestellt werden, ob sich ein Konstrukt inhaltlich verändert, wenn und soweit einer der Indikatoren herausgenommen wird [vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 273]. Daneben ist auch eine direkte Frage „Sind die Indikatoren dieses Konstrukts untereinander beliebig austauschbar?“ denkbar [vgl. Jarvis et al. 2003, S. 203]. 4.2 Überprüfung mit der Korrelationsstruktur der Daten Da die Modelle reflektiver und formativer Spezifikation auf unterschiedlichen Parametern basieren, ist ein direkter Modellvergleich wie er bei LISRELModellen mit dem χ2-Test üblich ist, für die vorliegenden Zwecke nicht möglich. Das hier gewählte Vorgehen orientiert sich vielmehr wie in Abbildung 5 ersichtlich wird an der im ersten Schritt getroffenen Hypothese, welche aus der Theorie abgeleitet wurde. Ist diese in den nachfolgenden datengetriebenen Schritten nicht zu widerlegen, kann sie weiter gelten. Letztere Schritte stellen im Wesentlichen auf die Eigenschaft formativer Indikatoren ab, nicht notwendigerweise korreliert sein zu müssen. Sobald keine oder geringe Korrelationen vorliegen, spricht dies also gegen die Hypothese reflektiver Spezifikation. 19 Zur Untersuchung schlägt diese Arbeit zwei Analyseschritte vor: den so genannte TETRAD-Test nach Bollen/Ting [2000] sowie eine vergleichende Betrachtung verschiedener Spezifikationen im Rahmen von Strukturgleichungs20 modellen . Die erste Maßnahme ist, wie erwähnt, die Überprüfung der hypothetisierten Spezifikationsart mit dem TETRAD-Test nach Bollen/Ting [2000]. Einschränkend muss jedoch vorausgeschickt werden, dass der vorgeschlagene TETRADTest die Korrelationsbeziehungen weniger – bereits aus theoretischen Vorüberlegungen hervorgegangener – alternativer Messmodelle als „nested“ miteinander vergleicht. Damit ist auch dieser Test per Definition nicht in der Lage, ein theoretisch angebrachtes formatives Messmodell mit hoch korrelierten Indikatoren von seinem reflektiven Pendant zu unterscheiden. Insofern kann 19 Da schlecht operationalisierte, aber in Wahrheit reflektive Messmodelle, schlechte Reliabilitätswerte aufweisen, darf diese Vorgehensweise wie diskutiert nicht ohne zu Grunde liegende theoretische Vorüberlegungen angewandt werden [vgl. auch Edwards/Bagozzi 2000, S. 171]. 20 Der Vorschlag erweitert dabei die reine LISREL-Perspektive von Law/Wong [1999, S. 153 f]. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 20 die Hypothese, ein Modell sei reflektiv zu spezifizieren, höchstens verworfen, nicht jedoch im harten Sinne bestätigt werden. Der TETRAD-Test untersucht verschiedene Spezifikationsarten von Modellen. Jede alternative Modellierung impliziert individuelle theoretische Varianzbeziehungen. Als Tetrade werden dabei jeweils Differenzen von Kovarianzprodukten bezeichnet [vgl. Bollen/Ting 2000, S. 5]: “For a foursome of variables, we can arrange the six covariances into three tetrads: τ 1234 = σ 12σ 34 − σ 13σ 24 , τ 1342 = σ 13σ 42 − σ 14σ 32 , and (13) τ 1423 = σ 14σ 23 − σ 12σ 43 .” Aus verschiedenen Strukturmodellen formativer und reflektiver Spezifikation ergeben sich unterschiedliche modellimplizierte Tetraden-Gleichheiten, so dass sich diese Beziehungen zu Null addieren (sog. “vanishing tetrads”) [vgl. Bollen/Ting 2000, S. 6-8]. Der TETRAD-Test nutzt die Tatsache aus, dass verschieden spezifizierte Modelle zwar nicht in Bezug auf ihre (unterschiedlichen) Parameter, sehr wohl jedoch was ihre Tetraden-Beziehung angeht, als nested angesehen werden können, also im Rahmen eines integrierten Modells miteinander vergleichbar sind. Aus diesen Herleitungen wird schließlich eine χ2verteilte Teststatistik errechnet, die die hypothetisierte Spezifikation des Messmodells auf Verträglichkeit mit den empirischen Korrelationsbeziehungen testet. Auf diese Art und Weise kann die Nullhypothese reflektiver Spezifikation (und nur diese) verworfen oder beibehalten werden. Im Rahmen der vorliegenden Betrachtung kann der Test damit allerdings nur die Hypothese reflektiver Spezifikation verwerfen. Hat der Forscher den Verdacht, dass das zu untersuchende Konstrukt reflektiv ist, besteht das beim Testen übliche Dilemma, dass die Wahrscheinlichkeit eines Beta-Fehlers (irrtümliche Beibehaltung der Nullhypothese) nicht kontrollierbar ist. Daher sind auch die Folgeschritte im vorgeschlagenen Testablauf unverzichtbar. Eine vertiefte Darstellung des TETRAD-Testverfahrens unterbleibt an dieser Stelle, der interessierte Leser sei auf den Artikel von Bollen/Ting [2000] verwiesen. Die nächsten Schritte in der Überprüfung der Spezifikationshypothese stellen auf die oben dargestellten Strukturgleichungsverfahren ab. Ein direkter Vergleich eines reflektiven mit dem „entsprechenden“ formativen Modell (gewonnen durch einfache Umkehrung der Kausalitätsbeziehung) innerhalb eines M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 21 Verfahrens ist wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der beiden Modelle wenig dienlich, weswegen zur Analyse reflektiver Strukturen das eher zur Hypothesenprüfung geeignete LISREL-Verfahren, zur Analyse formativer Strukturen das dafür eher und universeller einsetzbare PLS-Verfahren zur Anwendung kommt. Wird ein Konstrukt als reflektiv angenommen, wird zunächst der Versuch einer Falsifizierung mit dem als Gegenhypothese angelegten formativen „Pendant“ zum Untersuchungsmodell unternommen. Dadurch wird sichergestellt, dass unter Geltung der „Reflektiv“-Hypothese eine formative Sichtweise nicht in Betracht kommt. Dies kann dadurch erreicht werden, dass ein ansonsten gleiches Messmodell auf formative Art und Weise spezifiziert im Rahmen eines PLS-Modells geschätzt wird. Wird dieses Modell abgelehnt, kann die Hypothese reflektiver Spezifikation als gefestigt gelten. Zuletzt wird das reflektive Modell selbst mittels LISREL überprüft. Dies entspricht im Wesentlichen dem seit Churchill [1979] bekannten Vorgehen der Validierung von Messmodellen mit konfirmatorischer Faktorenanalyse, die an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt wird. Der hierbei üblicherweise angewendete χ2-Test könnte das Modell schlimmstenfalls verwerfen. Ist dies nicht der Fall, so darf das Modell als bis auf weiteres gültig angenommen werden. Umgekehrt ist vorzugehen, wenn ein Messmodell als formativ aus der Hypothesenbildung entlassen wird: zunächst erfolgt die Überprüfung anhand des LISREL-Modells auf das reflektiv spezifizierte Pendant zum eigentlich hypothetisierten Modell. Wird dieses durch LISREL zurückgewiesen oder erreicht nur schlechte Anpassung, und erreicht es selbst weiterhin in der Folge akzeptable Gütemaße im PLS-Verfahren, darf das Messmodell als weiterhin gültig bestehen bleiben. Sobald ein Konstrukt eines der eben genannten Testkriterien nicht erreicht und sich ggf. widersprüchliche Aussagen ergeben, ist eine vertiefte theoretische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt unabdingbar. Eine Wahlfreiheit zugunsten eines nur auf Grund der Daten „besseren“ Modells besteht nicht. 5 Die Dominanz des reflektiven Modells Wie bereits erwähnt, wird vielfach eine Dominanz des reflektiven Messmodells unterstellt. Während diese Aussage oftmals nicht weiter belegt wird, zeigen Eggert/Fassott [2003] anhand einer Metastudie in der deutschsprachigen Zeitschrift Marketing ZFP, dass dies durchaus empirischen Beleg findet. Die vor- M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 22 liegende Studie sucht danach, den Geltungsbereich dieser Aussage auszuweiten, indem ein internationales Journal untersucht wird. 5.1 Aufbau der Metastudie Als eine der international bedeutsamsten Zeitschriften im Marketingbereich wurde das Journal of Marketing herangezogen. Die Suche wurde dabei von aktuelle verfügbaren Ausgaben rückwärts bis zum Jahr 1999 durchgeführt. Aufgrund der aktuell wieder erstarkten Diskussion um formative und reflektive Indikatoren ist mit diesem aktuellen Zeitrahmen eher davon auszugehen, dass tendenziell eine zunehmende Häufung richtiger Spezifikationen auftreten wird. Bei der Durchsicht des Journals of Marketing wurden 47 Artikel identifiziert, von denen 13 wegen unzureichenden Angaben bei der Beurteilung des verwendeten Messmodells oder wegen der Verwendung fiktiver Modelle von der weiteren Untersuchung ausgeschlossen wurden. Von den übrigen 34 Artikeln wurde das Thema der Auswahlentscheidung zwischen einem reflektiven und einem formativen Messmodell in nur fünf Beiträgen [Gruen et al. 2000; Srinivasan et al. 2002] aufgegriffen. Bei drei von diesen Beiträgen handelt es sich jedoch um denselben Autor Christian Homburg [Kuester et al. 1999; Cannon/Homburg 2001 sowie Homburg et al. 2002]. In diesen 34 Artikeln konnten 353 verwendete Konstrukte gefunden werden, welche alle in Anhang 1 aufgelistet sind. Nur formativ spezifizierte Messmodelle sind darin besonders hervorgehoben. Die Entscheidung zu Gunsten eines formativen oder reflektiven Messmodells wurde anhand der in Tabelle 2 vorgestellten Entscheidungsfragen von zwei unabhängigen studentischen Probanden vorgenommen, die zuvor mit den Entscheidungsfragen vertraut gemacht wurden. Tabelle 3 in Anhang 1 stellt ebenfalls dar, welche der identifizierten Konstrukte in der Folge von den Bewertenden als formativ identifiziert wurden. Es konnten bei der Auswertung der Bestandsaufnahme nicht alle Konstrukte verwendet werden, da 21 latente Variablen jeweils nur mit einem Indikator operationalisiert wurden. Bei weiteren elf latenten Variablen konnte keine Antwort auf die oben genannte Trennfrage zur Unterscheidung zwischen den Messmodellen gefunden werden, da bei sechs Konstrukten nur einer von mehreren Indikatoren als Beispiel genannt wurde [vgl. Kuester et al. 1999]. Die weiteren fünf latenten Variablen stellen “second order factors” dar, sind also wiederum aus Konstrukten aufgebaute Faktoren höherer Aggregationsstufe. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 23 Die nicht untersuchbaren 32 Konstrukte wurden zu Gunsten der Autoren als richtig spezifiziert angenommen. 5.2 Die Dominanz des reflektiven Messmodells Wie sich auch aus Tabelle 3 ablesen lässt, zeigt sich zunächst eine deutliche Dominanz reflektiver Spezifikation durch die Autoren des Journal of Marketing im Betrachtungszeitraum. Die Verwendung eines reflektiven Messmodells konnte in 308 Fällen bestätigt werden. Ein Anteil von 39 Konstrukten (11,05 %) wurde jedoch reflektiv spezifiziert, obwohl die Indikatoren unter Zuhilfenahme der Entscheidungsfragen eher formativer Natur waren. Damit zeigt sich ein vergleichsweiser geringer Anteil überhaupt fehlspezifizierter Modelle. Dies ist relativ gering im Vergleich zu den Erkenntnissen von Eggert/Fassott [2003, S. 10], die in der deutschsprachigen Marketing ZFP eine R-Fehlerquote von 79,6% berichten. im Modell spezifiziert reflektiv formativ reflektiv 308 (87,05%) Fehlertyp „F“: 0 (0,00%) formativ Fehlertyp „R“: 39 (11,05%) 6 (1,70%) Realität Abbildung 6: Verteilung der Spezifikationsfehler in der Metastudie [eigene Darstellung] Bei der Auswertung der 34 in die Studie aufgenommenen Artikel wurde auch auf die Anwendung spezifischer Software geachtet. Bei sechs Artikeln wurde die Nutzung eines Computerprogramms nicht berücksichtigt. In den verbleibenden 28 Beiträgen wurde die Dominanz von LISREL (18 Anwendungen) gegenüber EQS (sechs Anwendungen), welche schon in der Bestandsaufnahme von Homburg/Baumgartner [1995] festgestellt wurde, erneut ersichtlich. AMOS und CALIS haben bei jeweils zwei Studien Anwendung gefunden und signalisieren damit, dass es zwar eine Fülle von neueren Computerprogrammen auf dem Markt gibt (neben den vier verwendeten z.B. SEPATH, RAMONA, MX), sich aber nur wenige in der Marketingforschung etablieren konnten. Damit lässt sich ebenfalls die Feststellung von Homburg/Sütterlin [1990], dass LISREL durch die ständigen Erweiterungen das ausgereifteste Softwarepaket zur Kovarianzstrukturanalyse ist, replizieren. Die Anwendung eines komponentenbasierten Computerprogramms wie z.B. PLS konnte nicht festgestellt werden. Diese Tatsache reflektierte nochmals die Dominanz des LISREL-Ansatzes und die Vernachlässigung der korrekten Operationalisierung latenter Variablen. Die Softwarepakete zur Kovarianzstrukturanalyse können zwar grundsätzlich neben den reflektiven auch formative M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 24 Messmodelle abbilden, stellen aber im Bedienungskomfort gegenüber PLS, welches beide Messmodelle standardmäßig bereitstellt, keine Konkurrenz dar [vgl. Eggert/Fassott 2003, S. 17]. 6 Ausblick auf die weitere Forschung Die vorliegende Arbeit ging der erweiterten Frage nach der Operationalisierung komplexer Konstrukte nach. Hierzu wurden theoretische Grundlagen aufgearbeitet und die drastischen Konsequenzen von Fehlspezifikationen auf den eigentlichen Forschungsprozess, die Wahl der Analysemethode und ggf. dabei auftretende Probleme von Fehlspezifikationen verdeutlicht. Es wurde eine strukturierte Vorgehensweise aufgezeigt, mit der es möglich ist, eine Hypothese über die wahre Spezifikation – also die kausale Struktur – des Konstrukts aufzustellen und zu überprüfen. Es zeigte sich, dass sogar in einem hochreputierten Journal wie dem Journal of Marketing das Problem der Fehlspezifikation akut vorliegt. Obwohl das Ausmaß weniger drastisch als bei anderen Journals ist, liegt hier doch ein bemerkenswertes Problem vor. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Anwendung reflektiver Spezifikation und entsprechend der Kovarianzstrukturanalyse vor allem von der Ubiquität des Softwarepaketes LISREL profitiert hat [vgl. etwa Eggert/Fassott 2003, S. 3]. Die Softwareentwicklung wurde auch im PLS-Bereich anfangs parallel dazu vorangetrieben (allen voran LVPLS [vgl. Lohmöller 1984]). Für die praktische Handhabbarkeit wichtige Weiterentwicklungen (insbesondere die hier nicht diskutierten Jackknife-Prozeduren zur Berechnung von Gütemaßen sowie graphische Benutzeroberflächen) entstammen jedoch erst jüngerer Vergangenheit und sind derzeit in Erprobung. Die späte Renaissance des PLS-Algorithmus für Strukturgleichungsmodelle sowie die aktuelle Diskussion um formative und reflektive Spezifikation ist zweifelsohne eine einschneidende Phase in der Konstruktforschung. Die Konsequenzen für den Forschungsprozess sind enorm und werden eine Diskussion der Spezifikationsart in Publikationen unumgänglich machen. Wie die Metastudie zeigt, ist ein derartig „reflektierteres“ Vorgehen auch akut nötig. M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 25 Anhang ANHANG 1: ERGEBNISSE DER METASTUDIE IM JOURNAL OF MARKETING ............26 M. Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 26 Anhang 1: Ergebnisse der Metastudie im Journal of Marketing Autoren Journal of Marketing Titel Zou, S. ; Cavusgil, S.T. The GMS: A Broad ConceptuVol. 66 No.4/2002 alization of Global Marketing S. 40-56 EQS Strategy and Its Effect on Firm Performance Konstrukte (kursiv, wenn formative Indikatoren vorliegen und dazu unterstrichen, wenn vom Autor formativ operationalisiert) Global Marketing Strategy, Product standardization, Promotion standardization, Standardized channel structure, Concentration of marketing activities, Coordination of marketing activities, Global market participation, Integration of competitive moves, Global Orientation, Internal Experience, Globalizing Conditions, Strategy Performance, Financial Performance Coviello, N. 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Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess 28 Autoren Journal of Marketing Titel Konstrukte Grewal, R.; Comer, J.M.; Mehta, R. Vol. 65 No.3/2001 S. 17-33 Chaudhuri, A.; Holbrook, M.B. Vol. 65 No.2/2001 S. 81-93 LISREL An Investigation into the Antecedents of Organizational Participation in Business-toBusiness Electronic Markets The Chain of Effects from Brand Trust and Brand Affect to Brand Performance: The Role of Brand Loyalty Efficiency, Legitimacy, Effort-Based Learning, IT Capabilities, Environmental Dynamism Sarin, S.; Mahajan,V.; Vol.65 No.2/2001 S. 35-53 LISREL The Effect of Reward Structures on the Performance of Cross-Functional Product Development Teams Rindfleisch, A.; Moorman, C. Vol. 65 No.2/2001 S. 1-18 LISREL The Acquisition and Utilization of Information in New Product alliances: A Strength-of-Ties Perspective Ailawadi, K.L.; Neslin, S.A.; Gedenk, K. 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Eberl – Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess Autoren Journal of Marketing Titel Song, X.M.; Xie, J.; Dyer, B. Vol. 64 No.1/2000 S. 50-66 LISREL Antecedents and Consequences of Marketing Managers! Conflict-Handling Behaviors Sethi, R. Vol. 64 No.2/2000 S. 1-14 Hartline, M.D.; Maxham III, J.G.; McKee, D.O. Vol. 64 No.2/2000 S. 35-50 LISREL New Product Quality and Product Development Teams Singh, J. Vol. 64 No.2/2000 S. 15-34 EQS Performance Productivity and quality of frontline employees in service organisation Gruen, T.W.; Summers, J.O.; Acito, F. Vol. 64 No.3/2000 S. 34-49 AMOS Relationship Marketing Activities, Commitment, and Membership Behaviors´ in Professional Associations Matsumo, K.; Mentzer, J.T. Vol. 64 No.4/2000 S. 1-16 LISREL Chandon, P.; Wansink, B.; Laurent, G. Vol. 64 No.4/2000 S. 65-81 AMOS Kuester, S.; Homburg, C.; Robertson, T.S. Vol. 63 No.4/1999 S. 90-106 LISREL Nobele, C.H.; Mokwa, C. 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Zwischenbericht über ein Projekt im Auftrag des AKS / Arbeitskreis Kultursponsoring Heft 9/2002 Schwaiger, Manfred: Die Zufriedenheit mit dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians- Universität München – eine empirische Untersuchung Heft 10/2002 Eberl, Markus / Zinnbauer, Markus / Heim, Martina: Entwicklung eines Scoring-Tools zur Messung des Umsetzungsgrades von CRM-Aktivitäten – Design des Messinstrumentes und Ergebnisse der Erstmessung am Beispiel des deutschen Automobilmarktes – Heft 11/2002 Festge, Fabian / Schwaiger, Manfred: Direktinvestitionen der deutschen Bau- und Baustoffmaschinenindustrie in China – eine Bestandsaufnahme Heft 12/2002 Zinnbauer, Markus / Eberl, Markus: Bewertung von CRM-Aktivitäten aus Kundensicht Heft 13/2002 Zinnbauer, Markus / Thiem, Alexander: e-Paper: Kundenanforderungen an das Zeitungsmedium von morgen – eine empirische Studie Heft 14/2003 Bakay, Zoltàn / Zinnbauer, Markus: Der Einfluss von E-Commerce auf den Markenwert Heft 15/2003 Meyer, Matthias / Lüling, Max: Data Mining in Forschung und Lehre in Deutschland Heft 16/2003 Steiner-Kogrina, Anastasia / Schwaiger, Manfred: Eine empirische Untersuchung der Wirkung des Kultursponsorings auf die Bindung von Bankkunden Numberger, Siegfried / Schwaiger, Manfred: Cross Media, Print, and Internet Advertising: Impact of Medium on Recall, Brand Attitude, and Purchase Intention Heft 17/2003 Heft 18/2004 Unterreitmeier, Andreas / Schwinghammer, Florian: Die Operationalisierung von Unternehmenskultur – Validierung eines Messinstruments (Arbeitstitel) Heft 19/2004 Eberl, Markus: Formative und reflektive Indikatoren im Forschungsprozess: Entscheidungsregeln und Dominanz des reflektiven Modells ISSN 1862-9059