Julia Möhle - Phil.

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Julia Möhle - Phil.
Bericht über einen Studienaufenthalt in Florenz
vom 01.09.2000 bis 30.06.2001
Italien ist für die Deutschen vor allem ein beliebtes Urlaubsziel. Die meisten Erholungsbedürftigen lockt das Meer mit seinen kilometerlangen Sandstränden, das warme Sommerwetter
und „la buona cucina italiana“, die man am besten bei einem guten Glas Chianti Classico genießt. Für Kunstliebhaber, Archäologen und Historiker sind außerdem die großen Städte Rom, Florenz, Neapel – und zahlreichen Ausgrabungsstätten – Pompeji, Paestum, Fiesole,
Ercolanaeum – fester Bestandteil des Besichtigungsprogramms. Schon diese kleinen Einblikke in die italienische Kultur und Lebensart, die oft auch mit dem Erwerb der ersten italienischen Vokabeln gekrönt werden, faszinieren den Außenstehenden. Nach einem neunmonatigen Aufenthalt ist man dann vollständig italophil – auch wenn man viele Dinge mit mehr
Einsicht, Distanz und Kritik sieht und sehen kann.
Ich kam Anfang September mit dem Zug nach Florenz und stand, wie alle ausländischen Studenten, erst einmal vor dem Problem, eine kostengünstige und semizentrale Wohnung zu finden – eine Kombination, die sich eigentlich per se ausschließt. Vier Wochen später, nach einem Zwischenaufenthalt in einer zehnköpfigen Wohngemeinschaft und etlichen nervenaufreibenden Treffen mit Vermietern, die sich entweder gar nicht mehr oder nach zwei bis drei
Wochen mit einer Zusage meldeten, hatte ich endlich mein Zimmer gefunden und teilte mir
mit vier Italienern und einer Deutschen ein Appartement in der Nähe der Fakultät für Politikwissenschaft. In dieser studierte ich ab dem 9.Oktober 2000.
Die Universität in Florenz ist nicht wie in Augsburg auf einen Campus konzentriert, sondern
splittet sich in viele einzelne Fakultäten auf, die über die ganze Stadt verteilt sind und insgesamt 55 000 Studenten aufnehmen. Der Fachbereich Politikwissenschaft, der etwa 15 000
Studenten umfaßt, teilt sich ein Gebäude mit der juristischen Disziplin und ist in der Nähe des
historischen Stadtkerns gelegen, nur zwei Straßen vom zentralen Sokrates-Amt entfernt. Dort
läuft die Verwaltung der ausländischen Studenten zusammen.
Die räumliche Nähe erwies sich als sehr angenehm für die Erledigung der Formalitäten, die
ohnehin sehr viel Zeit, Geduld und Nerven in Anspruch nahmen. Als Erasmus–Student muß
man folgende Nachweise erbringen, um eine Immatrikulationsbescheinigung zu erhalten:
,permesso di soggiorno‘ (Aufenthaltsgenehmigung), ‚codice fiscale‘ (Steuernummer),
,modulario per l´assistenza sanitaria‘ (Krankenschein).
Im Gegensatz zum bürokratischen Aufwand war das Studium an der ,Università degli studi di
Firenze‘, hatte man einmal die ersten sprachlichen Hürden und Berührungsängste überwun-
den, angenehm unkompliziert. Im ersten Semester belegte ich zwei Kurse: ,Sistema politico
italiano‘ befaßte sich mit dem italienischen Wahl– und Parteiensystem und stellte gerade für
Nicht–Italiener eine ausgezeichnete Gelegenheit dar, gesellschaftliche Strukturen und traditionelle Denkweisen kennenzulernen, die sich bis heute im Wahlverhalten abzeichnen und
sich auch beim Urnengang im Mai wieder bestätigt haben. Einen Blick über die Grenzen bot
dahingegen die ,Storia delle relazioni internazionali‘, eine Aufarbeitung der internationalen
Beziehungen des 20. Jahrhunderts, wobei interessanterweise die deutsche Geschichte einen
Schwerpunkt bildete. Gerade die deutschen Studenten konnten dabei feststellen, daß im Ausland ihre Vergangenheit objektiv und sachlich, zum Teil aber auch etwas an der Oberfläche
behandelt wird.
Beide Veranstaltungen waren sechsstündig und als Vorlesung gehalten. Über den in ,Sistema
politico italiano‘ behandelten Stoff habe ich am Ende des Semesters eine mündliche Prüfung
abgeleistet, die nach der italienischen Notengebung mit 28 von 30 Punkten bewertet wurde.
Im Sommersemester hatte ich mir dann das Ziel gesetzt, von den einfacher verständlichen Vorlesungen abzugehen und mich vor allem auf ein Seminar zu konzentrieren, das mit
frei gehaltenem Referat und einer kurzen schriftlichen Arbeit schon sehr viel höhere Ansprüche auch an die Erasmus–Studenten stellte. Im Mittelpunkt der ,Storia degli organizzazioni
internazionali‘ stand - nach einem kurzen historischen Abriß – die Entwicklung der UNO.
Sehr lehrreich war in diesem Kontext die breite Beschäftigung mit britischen, amerikanischen,
französischen, belgischen und afrikanischen Quellen, die in Gruppen– oder Partnerarbeit ausgewertet und während der Sitzung präsentiert wurden. Da fast die Hälfte der Studenten nicht
italienisch war und somit viele unterschiedliche Mentalitäten zusammentrafen, entwickelten
sich oft lebhafte Diskussionen. Als positiv habe ich dabei die große Toleranz, die unter den
Studenten herrschte, aber auch die selbstverständliche Hilfsbereitschaft empfunden, mit der
den ausländischen Kommilitonen Referate verbessert oder das Bibliothekssystem erklärt worden ist.
Vor diesem Hintergrund kann ich deshalb das Fazit ziehen, daß das Studium in Florenz mir
sowohl fachlich als auch persönlich wichtige Erfahrungen eingebracht hat. Trotzdem gibt es
einige Punkte, die auf der Negativseite zu verbuchen sind. So steht zum Beispiel die didaktische und methodische Qualifikation der Dozenten zum Teil in keinem Verhältnis zum deutschen Standard. Selbst in Seminaren sind stundenlange Monologe des Sitzungsleiters keine
Seltenheit, Veranschaulichungsmittel wie Tafel oder Projektor bleiben ungenutzt. Entsprechend unausgebildet sind folglich auch die Fähigkeiten der Studenten, Material interessant
und prägnant zusammenzufassen.
Darüber hinaus ist es sehr schwierig, außerhalb der Universität Kontakt zu Italienern zu bekommen. Fast von Anfang an finden sich nicht–italienische Cliquen zusammen, die – meist in
ihrer Muttersprache oder auf Englisch – miteinander kommunizieren und zusammen Vorlesungen besuchen oder abends weggehen. Trifft man sich in der Jugendherberge, sucht man
gemeinsam ein Zimmer. Wohngemeinschaften mit Italienern sind eher selten, schwierig zu
realisieren und werden schließlich nicht mehr angestrebt. Unterstützt wird die Gruppenbildung zudem durch die Sprachkurse. Diese verbessern zwar sichtlich die Italienischkenntnisse
und bemühen sich mit Erfolg, den ausländischen Studenten durch Filme, Erzählungen und die
Mediathek die italienische Kultur und Mentalität näher zu bringen, haben aber den unbeabsichtigten Nebeneffekt, daß wieder nur Nicht–Italiener zusammenkommen und Freundschaften schließen. So führt der Erasmus–Student immer ein etwas künstlich anmutendes Inseldasein in der ihn umgebenden Gesellschaft. Ein erster Schritt, diese Isolierung aufzulösen, könnte bereits die Vermittlung eines Zimmers in einem Studentenwohnheim sein. Diese Verbindung müßte aber über eine Organisation ablaufen, da man als Einzelperson kaum reelle Aussichten auf Erfolg hat.
Da ich das Glück hatte, innerhalb meiner Wohngruppe auch italienische Freunde zu finden,
habe ich trotz aller Schwierigkeiten sehr viel über Italien, seine liebenswerten Seiten, aber
auch seine Eigenheiten gelernt. Im Gedächtnis geblieben sind mir die vielen Abende, an denen über Politik und kulturelle Unterschiede diskutiert worden ist, aber auch die Ausflüge und
Wanderungen in der näheren Umgebung, die mir die Schönheit der toskanischen Landschaft
gezeigt haben. Ich möchte die Zeit in Florenz nicht missen.
Julia Möhle