gott ist (k)ein museum

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gott ist (k)ein museum
GOTT IST (K)EIN MUSEUM
Wie kommt Religion in der Kunst des XXI. Jahrhunderts vor?
Johannes Rauchenberger
KPH Graz, Didaktischer Schwerpunkttag „Religion und Kunst“, 22. November 2012
2012 jährt sich der 50. Jahrestag der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils. Das Datum wird mit
dem von Papst Bendikt XVI. ausgerufenen “Jahr des Glaubens” erinnert: Was bedeutet dieses für
die Beziehung von Kunst und Kirche? Johannes Rauchenberger zeichnet ein Panorama des Spannungsverhältnisses zwischen Kunst und Kirche in den letzten fünf Jahrzehnten auf, prüft die Frage
an gegenwärtigen Impulsen und bemisst sie an der aktuellen Diskussion des beginnenden 21.
Jahrhunderts. Wie vielschichtig das Problem der Musealisierung für die christliche Religion ist,
welche Gefahren und Verführungen in ihr liegen, und auf welche Weise man, angesichts des
Comebacks religiöser Fragestellungen in der Gegenwartskunst, Sympathien für den Keller der
Sixtinischen Kapelle hegen könnte, zeigt der Essay GOTT IST (K)EIN MUSEUM. Am Ende steht
ein Ausblick auf ein Museum, das es realiter noch nicht, aber – sub specie aeternitatis – schon
längst gibt...
1. Trauma
Gott ist (k)ein Museum. Eine Klammer um das „k“ verunklärt den Titel meines Vortrags.
Lassen wir die Klammer weg, so erhält er eine empfindliche Schlagseite. Im Museum befinden sich
Dinge, die zwar aufzubewahren, aber nicht (mehr) Gegenstand unserer Alltagswelt sind. Aus welchen Gründen auch immer – die Dinge sind kostbar. Ihnen werden Stauräume, klimatische Sonderbedingungen und Schauräume gewährt. Wer aber sagt, dass sie dorthin gelangen und vor allem:
dass sie dort bleiben sollen? Mitte des 19. Jahrhunderts, in der Geburtsstunde der bürgerlichen und
kirchlichen Museen, wollte man etwas retten, was sonst verloren gegangen wäre. Man – als wohlhabender Bürger, als weiter blickender Prälat, als für das Schöne begabter Sprössling eines Herrscher- oder auch nur einfachen Adelsgeschlechts – erkannte: Epochen können auch untergehen, und
zwar derart, dass es einem leidtun kann, weil in ihnen eben nicht nur Schlechtes, sondern auch
Schönes hervorgebracht wurde, wie etwa Kunst. In den beiden Epochen vorher sammelte man noch
Kuriositäten, wohl aus purem Überfluss. Später wurden museale Sammlungen zum Konzentrationspunkt kultureller Kristallisation. Wer es als Künstler ins Museum schafft, hat die Unsterblichkeitsgrenze überschritten. So gesehen ist der Satz: „Gott ist ein Museum“ eine Adelung zur Ewigkeit.
1
Dass sich Gott überhaupt ins Museum eingenistet hat, verdankt sich der Tatsache, dass er in unendlich vielen Bildern abgebildet wurde. Manchmal schlechter, oft mal besser, und mitunter im Spitzenniveau dessen, was wir heute künstlerische Qualität nennen würden. Wobei in dieser Art von
Musealisierung eben nicht das Kriterium „Qualität“ die tragende Rolle spielt, sondern vielmehr
jenes des kulturellen Erbes und seines Alters. Ein einfach geschnitztes Kruzifix aus dem 11. oder
12. Jahrhundert hätte ohne Zweifel einen Sonderplatz im Museum, eines aus dem beginnenden 19.
Jahrhunderts wohl nicht. Damit oute ich mich mit einer modernen „Demütigung“ aus meiner eigenen theologischen Biografie. Nicht Galileo Galilei, nicht Sigmund Freud, nicht die gegenwärtige
Hirnforschung, sondern der Kunsthistoriker Wolfgang Schöne (1910-1989) hat sie mir vor vielen
Jahren am Ende meines Studiums angetan – mit seinem aus dem Ende der 50er-Jahre stammenden
Aufsatz und seiner schwerwiegenden (und noch schwerer zu entkräftigenden) These, die sich in
zwei Sätzen zusammenfassen lässt:
1. Gott, der christliche Gott, hat im Abendland eine Bildgeschichte gehabt.
2. Diese Bildgeschichte ist abgelaufen.1
Gehabt und abgelaufen! Freilich haben Thesen wenig Nachhaltigkeit, wenn sie nicht vermittelt oder
weitererzählt werden. Vor allem Günter Rombold zählt zu jenen, die das in einer Zweizeilenart getan haben und manches dagegen anzuschreiben versuchten, anderes einzementierten. Dieses Buch
gibt einen willkommenen Anlass, erneut eine Grundsatzfrage zu stellen und sie für den Beginn des
21. Jahrhunderts „upzudaten“. Denn dass es überhaupt möglich ist, über eine Bildgeschichte nachzudenken, war ja eigentlich die Sonnenseite der Thesen Wolfgang Schönes: „Theologie wie Kunstwissenschaften haben mit einer Bildgeschichte Gottes im Abendland zu rechnen. Aus der Inkarnationsvorstellung folgt konsequent die Notwendigkeit einer Bildtheologie.“2
Es gilt hier nicht, die Geschichte der Verifikation des Endes und der dramatischen Folgen zu erzählen, auch ist es nicht notwendig Nietzsche zu erwecken, der mittlerweile selbst in päpstlichen Enzykliken, oder, im Bilde der Kunst, beispielsweise im Abendbrevier des seligen Papstes wie in jenen
von Nives Widauer gestickten „Minor Catastrophies“ auftaucht.
(Nives Widauer, (geb. 1965 aus der Serie: minor catastrophies N° 99, 2010, Stickbild, gerahmt, 52x53 cm, KULTUMdepot Graz, aus: IRREALIGIOUS! (2011).
1
Vgl. WOLFGANG SCHÖNE: Die Bildgeschichte der christlichen Gottesgestalten in der abendländischen Kunst, in:
GÜNTER HOWE (Hg.): Das Gottesbild im Abendland. Mit Beiträgen von WOLFGANG SCHÖNE, JOHANNES KOLLWITZ,
HANS VON CAMPENHAUSEN, Berlin 1957, 7-56. Vgl. als Fragestellung meiner Dissertation: “Hermeneutische
Ortsbestimmung: Zwischen Bruch, Kontinuität und Innovation”, in: JOHANNES RAUCHENBERGER: Biblische
Bildlichkeit. Kunst – Raum theologischer Erkenntnis. (IKON. Bild + Theologie, hrsg. v. ALEX STOCK und REINHARD
HOEPS), Paderborn 1999, 63-100.
2
REINHARD HOEPS: Jenseits der Nostalgie. Was ist Bildtheologie? In: Irritierende Schönheit. Die Kirche und die
Künste. Herder Korrespondenz Spezial, April 2012, Freiburg 2012, 29-33, hier: 31.
4
ALEX STOCK: Sensibilität ist gefragt. Wie soll Theologie mit Kultur umgehen?, in: Irritierende Schönheit. Die Kirche
und die Künste. Herder Korrespondenz Spezial, April 2012, Freiburg 2012, 25-29.
2
Eine moderne Museumsauffassung, wenn sie denn wirklich gut ist, würde ohnehin im Gegenteil
jene Epochen, wo der in seiner Bildgeschichte Abgelaufene jene mitbestimmt hat, als eine in seinen
kulturellen Manifestationen für heute relevante begreifen. Und zwar nicht nur im Erzählen damaliger Auffassungen, Machtverhältnisse, Stilgeschichten, Kuriositäten oder Besonderheiten, sondern
mit der Haltung, das Abgelaufene, „auch das Verabschiedete nochmals sorgfältig in Augenschein
zu nehmen“4.
Diese Haltung gibt es, Gott sei Dank. „Gott ist (k)ein Museum“ stemmt sich schließlich am Beginn
des 21. Jahrhunderts nicht nur gegen den mitunter beklemmenden Betriebsduft vieler Diözesanmuseen, sondern hat auch Vorzeigestücke ersten Ranges vorzuweisen: Wie wäre es sonst zu erklären,
dass auch einem kirchlichen Museum, wie jenem vom Erzbistum in Köln erbauten, seinesgleichen
völlig einzigartigen und in dessen Erbauer, Planer und Betreiber mit zahlreichen internationalen
Preisen ausgezeichneten, nun schon über Jahre beinahe ungebrochene Sympathie entgegengebracht
wird? Es ist doch nicht bloß Peter Zumthors Architektur (das ist sie freilich auch), sondern vor
allem die Sorgfalt, wie im Kunstmuseum des Erzbistums KOLUMBA in Köln Kunst betrachtet
wird bzw. werden soll. Das Verabschiedete wird dabei mit der Kontrasterfahrung autonomer
Gegenwartskunst in Augenschein genommen, und es entsteht mittels ästhetischer Erfahrung eine
Brücke zwischen Welten, die ihre Kommunikationsflüsse eigentlich längst abgebrochen haben.
Derartige Flüsse zwischen Epochen und ihren kulturellen Kristallisationen zu eröffnen, sodass sie
fließen können, ist die Aufgabe der Hermeneutik. (Was nicht mit Museumsdidaktik zu verwechseln
ist!). Hermeneutik aber ist die Kunst der Übersetzung zwischen den Distanzen. Ins Bildliche übertragen landet man dabei in der Mythologie. Hermes: Der Götterbote überbringt die Botschaft der
Götter. Im Christentum überbrückt der heilige Christophorus den Fluss. So gesehen könnte die
hermeneutische Bilderfrage christlich lauten: Wie schwer vermag ein Kind zu wiegen? Im Kunstmuseum Basel ist ein Christophorus zu sehen, der mit dem Kind auf der Schulter die ganze Welt zu
tragen hat!
Meister des Basler Christophorus, Der Hl. Christophorus, 1562 (?), Öl auf Tannenholz, 113.2 x 87.8 cm, (c)
Kunstmuseum Basel
3
2. Flügelschlag
Wer aber von der Bildgeschichte des christlichen Gottes spricht, meint ja weniger das Kind, sondern vor allem den alten Mann mit Bart, an dessen Beerdigung viele erleichtert waren, auch und vor
allem Theologen. Dass man dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat, wurde erst nach und
nach bemerkt, als sich nach dem definitiven Ende so etwas wie „Langeweile“7 in den theologischen
Zirkeln breitgemacht hat. In dem Maße, als sich in der Moderne die Kunst von der Kirche getrennt
hat, hat sich auch die Theologie von den Bildern getrennt. Zu erkennen, dass die Vernunft auch eine
ästhetische Dimension, vielleicht sogar einen Flügelschwung, haben könnte, war nur wenigen beschieden: Das ist schade. Diese ästhetische Dimension muss vor allem auch konkreter werden. An
dieser Erkenntnis und diesem Desiderat setzt Bildtheologie an.8 Einer der schönsten lyrischen Sätze,
die der Kölner Bildtheologe Alex Stock in seiner bald neun-bändigen Poetischen Dogmatik ausgegraben hat, ist jener des französischen Dichters Philippe Jaccottet: „In Wirklichkeit und dem entgegen, was viele heutigen Tages verkündigen, sind die Werke der Vergangenheit, die unsere Kultur
ausmachen, nur in dem Maße vorhanden und mächtig, als sie statt zu überschatten, uns erleuchten,
statt eine Last zu sein, uns beflügeln.“9
Gott ist ein Museum: aber nur dann, wenn die Imaginationen, die er für das Inventar des Museums
als derzeitigen Hüters der Bilder ausgelöst hat, zu beflügeln vermögen. Dazu ist die oben erwähnte
Haltung wünschenswert, und nicht jener leise Zynismus, der die Folge des „Habitus betriebsinterner
Selbstmusealisierung“ sei, „in der sich aufgeklärte Religionskritik mit anschaulicher Darbietung
christlicher Kulturgeschichte“ amalgamiere, so Stock: „Was die Altvorderen von Hieronymus
Bosch bis zur Wieskirche über Himmel, Hölle und Fegefeuer gedacht und ausgemalt haben, wird
dem durchaus interessierten Publikum anschaulich vorgeführt und ist am Ausgang doch nur das
Kuriositäten- (wo nicht Grusel-)Kabinett des christlichen Glaubens, der sich aus all dem längst
zurückgezogen hat auf einen heutigentags vermittelbaren Vernunftkern, der freilich innerhalb der
Grenzen der bloßen Vernunft ohne all jene schön-schrecklichen Bilder auszukommen hat. So entgeht man dem Schreckgespenst des Fundamentalismus, der zu glauben vorschreibt, was doch nur
ein Kulturphänomen ist, und kann doch auch dem ungläubig-bildersüchtigen Auge zeigen, welcher
Einfallsreichtum dem christlichen Glauben eignet.“10 Wer also Gott im Museum finden will, sollte,
so der Rat des Vaters der Bildtheologie, die Weitsicht-Brille des vergleichenden Religionsforschers
7
Der Liturgiewissenschaftler Philipp Harnoncourt hat in diesem Wort eine wesentliche Grundmotivation für sein
Kunstprojekt “1+1+1=1 Trinität” gesehen, in dem er anlässlich seines 80. Geburtstages einen Kunst- und
Literaturwettbewerb ausgeschrieben, Kunstpreise gestiftet und Kompositions- und Tanzaufträge vergeben hat. Vgl.
PHILIPP HARNONCOURT, BIRGIT PÖLZL, JOHANNES RAUCHENBERGER: 1+1+1=1 Trinität, Wien 2011.
8
Vgl. HOEPS: Was ist Bildtheologie?, a.a.O.
9
PHILIPPE JACCOTTET: Landschaften mit abwesenden Figuren, Stuttgart 1992, 103.
10
STOCK, a.a.O., 28f.
4
oder kundigen Kunsttouristen im Museumsfach zurücklassen, und vielmehr für jene Überraschungen in der Nahsicht bereit sein, die diese Bilder eben zu vermitteln vermögen. Philippe Jaccottet
sieht darin überhaupt die Voraussetzung dafür, über das Vergangene nachzudenken.
Gott ist ein Museum – und dieses ist kein Depot als Abstellfläche. Die Präsentation seines Inventars
hätte nicht die primäre Aufgabe, Schatten und Last zur Geltung zu bringen, auch nicht aalglatte
religionsgeschichtliche Erkenntnis oder Wissensvermittlung vergangener Kuriositäten, sondern Erleuchtung – und das Glück des Flügelschlags. Von daher schleicht sich allmählich auch die Klammer in diesen Vortrag ein: Gott ist kein Museum in der Art, „was viele heutigen Tages verkündigen“, Gott ist vielmehr ein Museum, das erleuchten und beflügeln könnte. Und warum nicht auch
nach den Perfektformen Schönes, die „gehabt“ und „abgelaufen“ lauteten?
Maaria Wirkkala: "LADDER", 2011, mundgeblasenes Glas, 220x40x4 cm;
“SHARING - Permanent Collection”, 2011, Postkarten von Renaissance-Gemälden, in Lehmwände eingelassen,
Courtesy KULTUMdepot Graz, aus: Maaria Wirkkala: SHARING (2011);
Adrian Paci: Il Vangelo – Secondo Pasolini, 2004, 15 Malereien, Acryl auf Holz, 20 x 35 cm,
KULTUMdepot Graz, aus: "MITLEID | compassion" (2012)
3. Leichter und seichter
Gott ist (k)ein Museum: Die Wunden, die Wolfgang Schönes Thesen einst bei mir geschlagen haben, sind noch immer nicht vernarbt. Auch nach 15-jähriger kuratorischer Arbeit nicht. Das hier
vorgelegte „Museumsprojekt“ ist der Versuch, möglichst vielschichtig und komplex auf diese
Wunde zu reagieren. Mittlerweile ist der Großteil all jener Felder, die sich in der Schnittmenge von
Kunst und Religion finden lassen und auf das angesprochene kulturhistorische Drama aufmerksam
machen, längst von jenem verborgenen Schamgefühl befreit, das einmal den garstig breiten Graben
markierte. Zu sehr sogar, wie mir manchmal erscheinen will. Mitunter büßt sie dabei auch viel von
ihrer gerade aus dieser radikalen Infragestellung generierten Spannkraft ein. Vieles wurde ja
leichter. Nur einige Indikatoren seien schnell genannt: Spitzenkünstler von internationalem Rang
haben in den letzten Jahren in Kirchen gearbeitet und ausgestellt. Aus finanziellen Mitteln der
Kirche sehr hoch dotierte, in regelmäßigen Abständen vergebene Kultur- und Kunstpreise zeigen
von einem äußerst hohen Qualitäts-Niveau und dem Förderwillen einer Groß-Institution vor allem
junger Kunst gegenüber, bar jedes erkennbaren Eigeninteresses.11 Ausstellungszentren, Kirchen und
„Kulturkirchen“, institutionalisierte Büros und Kultur- und Kunstbeauftragte, aber vor allem auch
Einzelpersonen leisten oft hervorragende Arbeit im realen und virtuellen Ausstellungsraum.12
11
In Österreich gibt es im Unterschied zu Deutschland gleich drei regelmäßig vergebene Kunstpreise: Der Msgr. Otto
Mauer Preis, der Kunstpreis der Diözese Graz-Seckau, der Kardinal-König-Kunstpreis Salzburg.
12
Zum Engagement der katholischen Kirchen in Deutschland vgl. JAKOB JOHANNES KOCH: Nicht nur Beiwerk. Das
musisch-ästhetische Wirken der katholischen Kirche in Deutschland, in: Irritierende Schönheit. Die Kirche und die
Künste. Herder Korrespondenz Spezial, April 2012, Freiburg 2012, 2-5. Zur Situation der evangelischen Kirche vgl.
5
Aber auch Debatten, wie Kunst in Kirchen auszusehen hätte, haben zudem längst das Binnenmilieu
der Fachkreise verlassen und haben sich in den letzten Jahren auch auf die Feuilleton-Seiten
verlagert.13 Aus der Sicht des Debattenniveaus, wie sie jahrelang von einschlägigen Insidern (etwa
von der Zeitschrift von „kunst und kirche“ geführt wurden), waren die Fragen freilich oft
merkwürdig retardierend. Müsse „christliche Kunst“ figurativ oder könne sie auch „abstrakt“ sein?
Wären farbige Pixel auch ok, wenn sie von einem Künstler von Weltruhm stammen? Könne man
Heiligenlegenden wie jene der Heiligen Elisabeth ungebrochen in sozialistischer Comic-Manier in
ein Kirchenfenster zeichnen? In dieser Weise wurden etwa weit über die Grenzen Deutschlands
hinaus vor einigen Jahren das neue Kirchenfenster von Gerhard Richter im Hohen Dom zu Köln
oder die fünf kleinen Turmfenster von Neo Rauch im Naumburger Dom debattiert14
Man kann also schon einiges aufzählen. Und, wie man zur Kenntnis nehmen kann, beschränkt es
sich gar nicht ausschließlich auf den deutschsprachigen Raum, wo das Debattenfeld Kunst und
Religion in den letzten Jahrzehnten doch sehr vielschichtig und immer auch aus der Position der
Negation und der Anfechtung geführt wurde. Denn gerade der Grad der Anfechtung von Seiten der
Kunstszene gab diesen verdienten Leuten doch so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal.
4. Fremde Gewässer!
Mittlerweile wehen aber auch aus dem Süden neue, warme Winde. Papst Benedikt XVI. hat im
November 2009, anknüpfend an die erste derartiger Zusammenkünfte durch Papst Paul VI. im Jahre
1964, Künstler von heute in die Sixtinische Kapelle eingeladen – und es kamen viele mit den
klingendsten Namen. Aus der Sicht der Szene im deutschsprachigen Raum, die sich um diesen
Diskurs über Jahrzehnte bemüht hatte (und die nicht eingeladen war), konnte man durchaus
neidisch werden: Bill Viola, Jannis Kounellis, Daniel Libeskind, Zaha Hadid, Mario Botta, Arvo
Pärth, Peter Stein et ceteri et ceterae genossen diesen unvergleichlichen Raum und lauschten der
Rede des Papstes über die Schönheit.15
Aber festliche Einladungen, selbst Liebeserklärungen für die Kunst, machen noch keinen Sommer.
Jeder weiß, dass sich das Forum internationaler Kunst anderswo befindet: auf Kunstmessen,
Biennalen, der Biennale von Venedig beispielsweise oder auf der documenta (die sich in diesem
Jahr gar von einer auf einer Goldkugel balancierenden Figur auf einem Kirchturm provoziert
PETRA BAHR und HANNES LANGBEIN: “...sed etiam pictura”. Zur Rolle der Künste in der evangelischen Kirche, in:
a.a.O., 6-9.
13
Vgl. dazu: JOHANNES RAUCHENBERGER: Domestizierte Zeitgenossenschaft? Zum Idiom der Kirchenkunst um die
zweite Jahrtausendwende, in: Jahrbuch Verein Ausstellungshaus für christliche Kunst 2007-2010, Hg. vom Verein
Ausstellungshaus für christliche Kunst e.V., Regensburg 2011, 16-36.
14
Vgl. Kunst und kirche 1 (2008).
15
PAPST BENEDIKT XVI.: Begegnung mit den Künstlern, 21. November 2009, Originaltext aus:
http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2009/november/documents/hf_benxvi_spe_20091121_artisti_ge.html, abgerufen am 23. März 2012.
6
fühlte16). Beinahe zeitgleich zur Einladung der Künstler in die Sixtinische Kapelle konnte man vom
damals neuen Präsidenten des Päpstlichen Kulturrates, Gianfranco Kardinal Ravasi, die
Ankündigung vernehmen, dass sich von nun an auch der Vatikan an der Biennale Venedigs mit
einem Länderpavillon beteiligen werde. Für 2011 hat es mit der Realisierung des Pavillons noch
nicht geklappt. Vielleicht sollte man, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, zumindest bis zum
angekündigten Zeitpunkt der Umsetzung 2013 , aus dieser neuen Sicht heraus Pavillons besonders
bepreisen, an denen die Dinge der Religion und des Glaubens verhandelt werden. Schließlich klagte
man aus offiziellem Mund, dass die Kunst gottlos geworden sei, dass sie die Straßen der Säkularität
eingeschlagen habe und dass sie die Geschichten der Bibel auf ein staubiges Regal abgestellt
hätte.17 Selbst in der überkommenen nationalen Pavillon-Mentalität Venedigs wird man eines
besseren belehrt. Der deutsche Pavillon von 2011, der den „Goldenen Löwen“ erhielt, hätte jeden
expliziten „Glaubens- und Religionspavillon“ mit großer Wahrscheinlichkeit in den Schatten
gestellt, auch wenn diesen Mario Botta gebaut hätte. Seine exzentrischen Auftritte musste man nicht
lieben: Bedrängender als in Christoph Schlingensiefs „Die Kirche der Angst vor dem Fremden in
mir“ lässt sich Lebenswille, die Angst vor dem eigenen Sterben, utopische Entwürfe einer
Gegenwelt – und all dies im Kleide einer Kirche – schwer darstellen, und dies hat nichts zu tun mit
der Apotheose von St. Christoph S.
Christoph Schlingensief, "Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir", Ansicht aus dem Deutschen Pavillon der 54. Biennale von Venedig 2011, Foto: J. Rauchenberger
Schade nur, dass Schlingensiefs Kunst zu seinen Lebzeiten zwar im Kunstdiskurs, nicht aber im
Diskurs der Kirchen eine Rolle spielte. Auch an den britischen Pavillon von 2001 sei erinnert, als
der mit dem Turner Preis ausgezeichnete Mark Wallinger eine Christus-Statue – flankiert von den
berührenden Videos “Angel” und “Threshold to the Kingdom“18 – ins Zentrum stellte, die zur
Milleniumsfeier am leeren Sockel am Trafalgar-Square in London aufgerichtet war. Oder an den
tschechischen Pavillon von 2003, als mit der Künstlergruppe “Kunst-Fu” in der Arbeit “Super St.
Art” eine überdimensionale Christus-Statue als Ringturner das Verhältnis von Sport, Masse, Kult
und Stille auslotete.19 Gerade Venedig und seine auf dem Meere gebaute betörende Schönheit
führen es bei jedem Besuch aufs Neue vor, dass es durchaus angebracht sein kann, in fremden
Gewässern zu fischen: Venedig, die Kunst, die Pavillons gehören allen – warum nicht auch jenen,
die Fragen des Glaubens dort suchen? Und was hindert diejenigen, die solches interessiert, sie auch
16
Vgl. ALMUTH SPIEGLER: Um Gottes Willen!, in: kunst und kirche 2 (2012), 75.
Vgl. die Pressekonferenz zur Einladung Papst Benedikts XVI. an die Künstler am 21. November in die Sixtinische
Kapelle, http://www.zenit.org/article-18527?l=german, abgerufen am: 2. Mai 2012.
18
Vgl. JOHANNES RAUCHENBERGER, ALOIS KÖLBL: Im Anfang war das Wort, in: kunst und kirche 2 (2002), 97-102.
19
Vgl. kunst und kirche 3 (2004).
17
7
dort zu finden? Künstler, die doch eher Zweifler und Suchende sind, finden sich vielleicht gerne
unter „Heiden“ wider, die sich aber im „Vorhof der Heiden“ versammeln lassen, verdienen dennoch
einen herben Ideologieverdacht. Die derzeit wahrnehmbare frische Stimme aus Rom, die dazu auffordert, den Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen zu führen, ist unter dem Motto
„Vorhof der Heiden“20 bzw. „Vorhof der Völker“21 zu hören: Das ist ein biblisches Bild. Der
Wermutstropfen dabei: Der Tempel in Jerusalem, der jenen Vorhof bezeichnet, wo jeder Zutritt
hatte, besteht nicht mehr.
KAMERA SCURA / KUNST-FU, „Superstart“, Installation auf der 50. Biennale von Venedig, (Detail), 2003
MARK WALLINGER, Ecce Homo, 1999, Kunstharzgebundener Marmor, Staub, Blattgold, Stacheldraht, lebensgroß, Biennale Venedig 2001
MARK WALLINGER: Threshold To The Kingdom, 1999, Video, Courtesy The Artist und Anthony Reynolds Gallery London, Aus der Ausstellung: SEEING THINGS (2002)
5. Zeitmessungen
Gott ist (k)ein Museum: Es war ein Papst, der für die Kirche in ihrem Verhältnis zur modernen
Kultur einen ziemlichen Nachholbedarf empfand. Papst Paul VI. gründete dafür ein Museum, das
genau unterhalb der Sixtinischen Kapelle eingerichtet werden sollte. Er rief Künstler aus aller Welt
auf, sich durch Schenkungen an diesem Sammlungsmotiv zu beteiligen: Wie sieht religiöse Kunst
in der Gegenwart aus? Die Vision war kraftvoll. Zwei Jahre nach der Museumseröffnung bezeichnete Paul VI. es als „das Drama unserer Zeit: den Bruch der modernen Kultur mit der Religion“
(Evangelii nuntiandi, 1975). Den Verantwortlichen von damals war der Bruch der Kirche mit der
modernen Kultur also sehr wohl bewusst, nicht nur Einzelpersonen, die sich schon fast 100 Jahre
lang einer Annäherung gewidmet hatten.22 Dieses Bewusstsein zeigt(e) sich auch an konkreten
symbolischen Aktionen, später an prominenten Treffen von Papst Johannes Paul II. mit Kunstschaffenden und Wissenschaftlern, etwa in München, Wien oder Brüssel. Die erste Einladung der Künstler geschah durch Paul VI. in die Sixtinische Kapelle im Jahre 196423 – ein Jahr, bevor das II. Vatikanische Konzil zu Ende ging, welches ebenfalls einen völlig neuen Blick auf die zeitgenössische
20
Ein erstes Treffen fand im Februar 2011 an der Universität Bologna statt: http://www.zenit.org/article22548?l=german, gefolgt im April 2011 in Paris, weitere Treffen sind in Bukarest, Berlin, Prag, Barcelona und Braga
geplant.
21
Das Treffen in Paris, an der Sorbonne und am Sitz der UNESCO fand bereits unter der Bezeichnung „Vorhof der
Völker” statt, die am 24. März 2011 als Stiftung gegründet wurde. Kardinal Ravasi sieht diese Inititative in der
Nachfolge Kardinal Königs. Vgl. http://www.radiovaticana.org/ted/articolo.asp?c=580504, abgerufen am 20. Mai 2012.
22
Vgl. als Zusammenfassung: ALEX STOCK: Zwischen Tempel und Museum. Theologische Kunsttheorie, Positionen
der Moderne, Paderborn 1991.
23
PAPST PAUL VI.: Ansprache Ci premerebbe, 7.5. 1964, teilweise dokumentiert in: Ralf van Bühren: Kunst und Kirche
im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils. Konziliengeschichte. Reihe B: Untersuchungen,
hg. von WALTER BRANDMÜLLER, Paderborn 2008, 658f.
8
Kunst und Kultur eröffnet hatte. Diese Rede wurde von der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT
anlässlich der Anknüpfung an die oben erwähnte Einladung durch Papst Benedikt XVI. im Jahre
2009 mit folgenden Worten ausgegraben: „Wir haben Euch schlecht behandelt, uns mit Ersatzmitteln begnügt, mit schlichter Nachahmung und billigen Kunstwerken von wenig Wert. Wir haben uns
auf Abwege begeben, auf denen die Kunst und die Schönheit, aber auch – und das ist das Schlimmste für uns – der Gotteskult übel bedient wurden.“ Den Künstlern warf der Papst damals vor: „Man
weiß nicht, was Ihr sagen wollt, und oft wisst Ihr es selber nicht.“ Um schließlich zu fragen: „Wollen wir wieder Freunde werden?“ 24 1973, dem Jahr, als in Wien Msgr. Otto Mauer starb, hat Papst
Paul VI. die Collezione d'Arte Religiosa Moderna der Vatikanischen Museen gegründet. 40 Jahre
später fragten wir im Zuge eines Interviews bei der derzeitigen Sammlungsleiterin nach, wie sie in
der Betreuung dieser Sammlung vorgehe. Sie bestehe, so Micol Forti, vor allem aus Geschenken,
die anlässlich von Staatsbesuchen dem Papst übereignet würden.25 Aktiv Ausschau zu halten, was
sich in der Kunst der Gegenwart abspiele in Bezug auf das Christentum, aber auch in Bezug auf die
Religion im Allgemeinen, könne sie aber nicht, denn dies verbiete ihr nicht zuletzt das Statut: Für
die Sammlungen der Vatikanischen Museen kämen ausschließlich Künstlerinnen und Künstler in
Betracht, die nicht mehr leben würden. Umgekehrt gesagt: Lebende Künstler sind von der Sammlung der Arte Religiosa Moderna á la Romana automatisch ausgeschlossen. Das hat zwar etwas mit
der römisch-katholischen Zeitmessung zur Ewigkeitserfassung zu tun, für das Suchen in der Gegenwart ist dieser Passus freilich etwas problematisch. Denn es schleicht sich dabei die Frage ein:
Verdient die Etikette „Ars Religiosa“ nur das, was nicht mehr lebt? Braucht es das Sieb der Geschichte, das wenigstens am Tod des Künstlers festgemacht wird? Oder anders, ohne Untertöne
formuliert: Ist die Musealisierung die Voraussetzung für religiöse Kunst?
6. Debattenzeitraffer
Gott ist (k)ein Museum! Das II. Vatikanische Konzil hatte eine hohe Meinung von der Kunst: Sie
helfe, das Los des Menschen, das heißt die conditio humana zu erhellen und sie im Licht der
Vollendung zu sehen (vgl. Gaudium et Spes 62).
24
Zit. in: „Wir sind Michelangelo. 250 Künstler kamen zur Audienz: Wie Benedikt XVI. in der Sixtinischen Kapelle
für einen gemeinsamen „Weg der Schönheit“ warb“, in: DIE ZEIT, http://www.zeit.de/2009/49/Papst-Kuenstler
25
Vgl. Die Sammlung moderner religiöser Kunst in den Vatikanischen Museen. ALOIS KÖLBL und JOHANNES RAUCHENBERGER im Gespräch mit der Sammlungsverantwortlichen MICOL FORTI, in: kunst und kirche 2/2009 (Die Kunst
zu sammeln), Wien 2009, 46-49.
9
Im Zusammenhang dieser allgemeinen Aussage über den Sinn von Kunst und Kultur sind auch die
offiziellen Begegnungen der seit dem Konzil regierenden Päpste zu lesen – etwa in München, Brüssel, Wien und Rom. Die Rede von Papst Johannes Paul II. 1983 in Wien bedarf dabei einer besonderen Erinnerung. Sie endete mit den Worten: „Seht da, der Mensch! Übersehen und überhören Sie
ihn nie; den hoffenden, liebenden, angsterfüllten, leidenden und blutenden Menschen. Seien Sie sein
Anwalt, hüten Sie seine Welt: diese schöne, gefährdete Erde. Sie treffen sich dabei mit den Anliegen
der Kirche, die unverwandt auf jenen schaut, über den Pilatus sagte: ‚Ecce homo!‘ ‚Seht da der
Mensch‘' Jesus Christus – Gottes und des Menschen Sohn – ist der Weg zur vollen Menschlichkeit.
Er ist auch das Ziel. Möge es vielen geschenkt sein, ihn neu zu erkennen – auch durch Sie.“26
Das Konzil hatte damals keine konkrete Kunst im Blick. Wie sah die Kunst in jenen Tagen, als das
Signal der offenen Fenster und Türen in die Welt ausgesandt wurde, vor allem aus? Es war die Zeit
der Pop-Art, und Andy Warhol, Robert Rauschenberg oder Roy Lichtenstein waren bestimmend.
Aber es gab auch andere. Etwa Jackson Pollock, Barnett Newman oder Mark Rothko. Ihnen wurde,
Jahrzehnte später, von den Kunsttheoretikern mit der Einführung der Kategorie des Bilderverbotes
eine späte Ehre zuteil,27 so sehr, dass sie gar zum Brennpunkt der Frage nach Religion geworden
waren.28 Nicht zu vergessen ist die Generation der um 1930 Geborenen, die sich als die Gruppe
„Zero“ zusammenfassen lässt: Yves Klein, Günther Uecker, Lucio Fontana, Gotthard Graubner,
Roman Opalka, Karl Prantl sind nur einige der Namen: Was diese einte – und darin sind sie zeitgenössisch wie nie zuvor: Sie hatten den Materialismus satt. Sie hatten aber auch die Geschichte satt.
Sie waren nicht in der Lage irgendwo anzuknüpfen, auch nicht an der jüdischen Tradition, von der
christlichen ganz zu schweigen. Sie wollten buchstäblich bei null anfangen. Deshalb nannten sie
sich auch „Zero“. Sie wollten einen wirklichen geistigen Neustart und hatten dabei einen hochspirituellen Anspruch.29 In Italien begann einige Jahre später die Arte Povera, jene Kunst also, die mit
einfachsten Mitteln wie Erde, Holz, Stahl und Stein in die Aura der Materialität einführte. In Wien
hatte Msgr. Otto Mauer mit seiner Galerie nächst St. Stefan die junge österreichische Avantgarde
besonders gefördert, die damals Rainer, Mikl, Hollegha, Prachensky hießen, den Wiener Aktionismus aber hatte er ausgeblendet. In den frühen 70-er Jahren hatte bereits Joseph Beuys die deutsche
Kunstwelt verändert; 1972 hatte Harald Szeemann in der bahnbrechenden Documenta 5 Happening,
26
Vgl. die Ansprache in Wien: Papst Johannes Paul II., Ansprache an die Repräsentanten von Wissenschaft, Kunst und
Publizistik in der Wiener Hofburg, in: Österreichischer Katholikentag. Botschaft des Papstes, Graz 1983, 7.
27
Vgl. kunst und kirche 1 (1993).
28
Vgl. GOTTFRIED BOEHM: Ikonoklastik und Transzendenz, in: WIELAND SCHMIED (Hg.): GegenwartEwigkeit. Spuren
des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit, München 1990, 27-34; DERS.: Die Lehre des Bilderverbotes in:
Bilderverbot und Gottesbilder KuKi 1 (1993), 26-31.
29
Vgl. dazu: JOHANNES RAUCHENBERGER, ALOIS KÖLBL: Leere als Fülle: Eine Sammlung in europäischen Dimensionen. Gerhard und Anna Lenz im Gespräch mit Johannes Rauchenberger und Alois Kölbl, in: kunst und kirche 2 (2009),
32-38.
10
Aktionskunst, Fluxus, aber vor allem individuelle Mythologien in den Götterhimmel der Kunst gehoben. Diese Form der Auseinandersetzung ging mit Ausnahme der Gestalt Otto Mauers an der
offiziellen Kirche aber bereits vollkommen vorbei.
Eine explizite Terrainverlagerung von einer ikonografisch gebundenen Kunst hin zu einer im öffentlichen Kunstdiskurs diskutierten und besprochenen Kunst hat dann der ursprünglich aus Österreich stammende Kurator und Kunsthistoriker Wieland Schmied in den beiden von ihm kuratieren
Ausstellungen 1980 und 1990 in Berlin unternommen, die anlässlich der deutschen Katholikentage
möglich wurden: „Zeichen des Glaubens – Geist der Avantgarde“ (1980) und „GegenwartEwigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit“ (1990). Wieland Schmied verlagerte
das religiöse Moment in die autonome Gegenwartskunst selbst, vermied allerdings in diesen Ausstellungen tunlichst, christlich codierte Kunst zu zeigen. Das hat, im Nachhinein betrachtet, eine
ziemliche Verschiebung bewirkt, vielleicht auch zum Auseinanderdriften zwischen dem deutschsprachigen und dem romanischen Kulturraum in dieser Hinsicht beigetragen: Nicht mehr die bisherigen bekannten Codes religiöser christlicher Kunst konnten als Merkmale einer Ars religiosa weiterhin kenntlich gemacht werden, sondern eine allgemeine Transzendenz, eine frei flottierende Spiritualität, das Ritual selbst, die Mythen, die freilich ziemlich individuell geartet waren. So hatte
Mark Tobey neben Hermann Nitsch, James Lee Byars neben Francis Bacon, Barnett Newman neben Arnulf Rainer seinen Platz: Dort, und nicht mehr in den alten, mitunter gut gemeinten Ikonografien, befände sich, so die implizite geistesgeschichtliche These, der wahre Geist der Kunst. Und
eben als solcher (wahrer) Geist – das ist sein religionsgeschichtliches Implikat – auch der Geist der
Religion.30 Heißt das, dass man dabei glücklich war, dass er wenigstens irgendwo sei, dieser Geist –
auf der Höhe der Zeit und auf der Höhe der Intellektualität, wenn schon nicht in ihren Kirchen,
dann wenigstens in der modernen Kunst? Wieland Schmied, einer der ganz Großen in der Kenntnis
nicht nur der modernen Kunst, sondern auch der Philosophie und des Christentums selbst, hat ob
seines Zugangs herbe Kritik einstecken müssen: Der Religionsbegriff sei zu weit, alles somit irgendwie transzendent und verschwommen. Das mag freilich stimmen. „Zur falschen Zeit ist Religion nicht richtig am Platz. Gott ist so lange tot, wie wir ihm seine Auferstehung erlauben! Nur ein
gottloser Mensch ist menschlich! Nichts Höheres! Nichts Tieferes! Nur Lust auf die unverbrauchte
Nachbarin“31 hat uns deshalb der aus dem Wiener Aktionismus her international bekannte Künstler
Günter Brus als Zyklus für die Ausstellung „-entgegen . ReligionGedächtnisKörper in Gegen-
30
Vgl. dazu: ALEX STOCK: Religion in der Kunst. Zur Spiritualität der Avantgarde, in: DERS., Bilderfragen. Theologische Gesichtspunkte, Paderborn 2004, 45-60.
31
Abb. in: entgegen . ReligionGedächtnisKörper in Gegenwartskunst. Hg. von JOHANNES RAUCHENBERGER, ALOIS
KÖLBL, GERHARD LARCHER, Ostfildern/Ruit 1997, 170f.
11
wartskunst“, die anlässlich der II. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz 1997 stattfand, vorgeschlagen.
Günter Brus, "Der Selbstmensch", 1987, 5-teilig, Mischtechnik (Kreide) auf Papier, je 88 x 62,4 cm, Privatbesitz,
Aus der Ausstellung: ENTGEGEN. ReligionGedächtnisKörper in Gegenwartskunst, Graz 1997
Günter Brus war im kirchlichen Milieu als „Kirchenfresser“ gefürchtet, dennoch habe ich mich mit
ihm das erste und bisher einzige Mal in einer Kirche sehr anregend unterhalten. Sein Werkvorschlag war freilich auch ein impliziter Seitenhieb auf die Transzendenzbekundung der modernen
Kunst zu verstehen. Was aber aus dem Impuls der Ausstellungen Wieland Schmieds bleibt: Er hat
einer sich universalistisch verstehenden Religion die Enge und Verkrustung ihrer eigenen Zeichenwelt aufgezeigt und an der Kunst den wahren Universalismus gepredigt. Schon allein deshalb verdient dieser Ansatz großen Respekt. Eine Kriteriologie, die aus den Ausstellungen hervorgeht, ist
freilich Kleinarbeit, die angesichts der Größe, die es zu bearbeiten gilt, nicht kleinlich werden darf.
Was geschah aber nach Wieland Schmieds Ausstellungen, die vor allem im Nachhinein im Diskurs
von Kunst und Religion stark rezipiert wurden? Friedhelm Mennekes SJ hat als Symbolfigur einer
zeitgenössischen Relation von Gegenwartskunst und Kirche seit den späten 80er-Jahren des vorigen
Jahrhunderts diesbezüglich nicht nur Ausstellungen realisiert, sondern auch wichtige Theoriearbeit
geleistet.32 Der Kunsthistoriker und langjährige Museumsdirektor der Kunsthalle Hamburg, Werner
Hofmann, hatte bereits zum Lutherjahr 1983 die epochale Ausstellung „Luther und die Folgen für
die Kunst“ in Szene gesetzt, die einen völlig neuen Blick auf die Konfessionsgeschichte entworfen
hat, er entwickelte die „Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion“33 und sah die beiden kulturellen Tanker der beiden Konfessionen in der „großen Realistik“ und der „großen Abstraktion“,
eine These, die er schon Mitte der 60-er Jahre entwickelt hatte. In dieser Geschichtsachse sind auch
zwei weitere Ausstellungen zu lesen: „Glaube-Hoffnung-Liebe-Tod“ (eine von Eleonora Louis und
Christoph Geissmar-Brandi kuratierte Ausstellung der Kunsthalle Wien 1995), und „HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft“34 (eine Ausstellung im Programm von Graz 2003 –
Kulturhauptstadt Europas 200335) hatten einerseits die autonome Kunstproduktion der Moderne zur
32
Vgl. als Zusammenfassung der Ausstellungen bis 1998: FRIEDHELM MENNEKES: Zwischen Zweifel und Entzücken.
Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert, in: Stimmen der Zeit 124 (1999), 630-642, wiederabgedruckt als „Das Geistige in
der Kunst“, in: DERS.: Begeisterung und Zweifel. Profane und Sakrale Kunst, Statement Reihe S. 37 Regensburg 2003,
211-233. Als Zusammenfassung von Mennekes’ kuratorischem Wirken: GUIDO SCHLIMBACH: Für einen lange
währenden Augenblick. Die Kunst-Station Sankt Peter Köln im Spannungsfeld von Religion und Kunst. Bild – Raum –
Feier. Studien zu Kirche und Kunst VII, hrsg. von ALBERT GERHARDS, THOMAS STERNBERG, WALTER ZAHNER und
FRANK GÜNTER ZEHNDER, Regensburg 2009.
33
WERNER HOFMANN: Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion, in: DERS. (Hg.): Luther und die Folgen für
die Kunst, Kat. Ausst.Hamburg 1983, München 1983, 23-71.
34
HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft, hg. v. REINHARD HOEPS, ELEONORA LOUIS, ALOIS KÖLBL,
JOHANNES RAUCHENBERGER, München 2003.
35
Vgl. kunst und kirche 2 (2003).
12
Voraussetzung, suchten aber in ihren Ausstellungskonzepten bewusst Beziehungsachsen in die
christliche Bildtradition.
ANISH KAPOOR (*1954 Bombay (IN)/lebt in London (GB)), Untitled, 1999, Courtesy Lisson Gallery, London
ANASTASIS-IKONE IKONE (KRETO-VENEZIANISCHE SCHULE), Der Abstieg in die Hölle (Anastasis), 16. Jhdt.
Courtesy Vatikanische Museen, Rom.
RICHARD SERRA (geboren 1939 San Francisco (US), lebt in New York (US)), Deflected Glass over Neon, 1969
Courtesy Galerie m Bochum, Deutschland
Deflected Glass over Neon, 1969 Courtesy Galerie m Bochum, Deutschland
Aus der Ausstellung: HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft (2003)
Zeitgenössische Bearbeitungen von Themen wie Opfer, Sexualität, Reinheit, Martyrium wurden auf
bildliche Konzepte früherer Epochen in Bezug gesetzt und in Konstellationen erprobt.36 Dabei wurde auch die „Beständigkeit einiger Bildkonzepte des 15., 16. und 20. Jahrhunderts“37 behauptet.
Insofern konnte das bisherige kunsthistorische Modell der autonomen, von den Lasten der Tradition
sich befreienden Moderne doch sehr deutlich und nachhaltig korrigiert werden. Es wurde deutlich,
wie sich die lange andauernde Kanalisierung und Bindung kultureller Energien an christliche Vorstellungswelten wie Kreuz, Madonna, Märtyrer verhalten hat, wie die Loslösung vonstattenging,
und auf welche Weise die Themen in Moderne und Gegenwartskunst weiter bearbeitet wurden, etwa in Form von Opfervorstellungen, der Körper- und Gedächtniskunst. Fragen, die sich an diese
Ausstellungen anschlossen, waren zum Beispiel: Inwieweit wurde die modernen Bearbeitungen von
der Geschichte imprägniert? Bedeutet deren Lösung auch eine Entfesselung? Welche kulturellen
Bindungsenergien sind wiederum zeitgenössischen Symbolformen zuzutrauen? Sind darin bis dato
‚uneingeholte Formen von Religion’ zu finden?
7. Comeback mit Kellersympathien
Gott ist (k)ein Museum: Christliche Bilder haben in der öffentlichen kulturellen Wertschätzung fast
ausschließlich den Status der Musealität. Die genannten Ausstellungen haben den Blick auf einen
Horizont hin geweitet, der vom Verhältnis der Gegenwart zum musealisierten Christentum
bestimmt ist. Diese Perspektive leitet auch (schon erwähnte) Museumskonzepte: Gegenüberstellungen von alter und neuer Kunst führen dabei zu neuen ästhetischen und erkenntnistheoretischen
Konstellationen.
36
Vgl. JOHANNES RAUCHENBERGER: Mehrzeitenräume. Wo starke Bilder auszuloten sind. HIMMELSCHWER.
Transformationen der Schwerkraft – eine Nachlese zu Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas, in: Jahrbuch 2004-2006:
Verein Ausstellungshaus für christliche Kunst, Regensburg 2007, 17-45.
37
CHRISTOPH GEISSMAR-BRANDI, ELEONORA LOUIS (Hg.): Glaube Hoffnung Liebe Tod – Die Beständigkeit einiger
Bildkonzepte im 15., 16. und 20. Jahrhundert, in: Kat. Ausst.: Glaube, Hoffnung, Liebe, Tod, hg. von CHRISTOPH
GEISSMAR-BRANDI, ELEONORA LOUIS, KUNSTHALLE Wien, 1995, 6.
13
Aber wird die Sache Gottes im zeitgenössischen Kunstschaffen wirklich im Museum verhandelt? Ist
jenes, als Institution gedacht, nicht viel zu langsam, wenn es darum geht, vor allem einen Blick auf
die Gegenwart zu werfen? Gott ist kein Museum!
Inwiefern berührt Religion die Fragen der Gegenwart? Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends hat
sich nämlich die Fragestellung erneut verändert. Sie ist in vielfacher Hinsicht wieder diskutierbarer
geworden, wenngleich die Vorzeichen dafür keineswegs nur erfreulich waren. Jedenfalls erlebte das
Thema Religion mitten in die Säkularisierungsprozesse hinein ein unerwartetes Comeback: 9/11,
Kopftuch-, Kreuz- und Relativismusdebatten, Karikaturenstreit, die Grammatik von Fundamentalismus und Gewalt haben Politik, Gerichte, ja sogar geistige Wertehierarchien insgesamt durcheinandergewirbelt. Gleichzeitig werden der Ruf nach Werten und die oft diffuse Angst „sich abzuschaffen“ immer lauter.
In der Tat sind die Themen „Kunst und Kirche“ oder: „Gott in der Kunst“, oder: „Religion im
künstlerischen Diskurs der Gegenwart“ keine Inszenierungsfragen im alten Stile kontrollierter
Herrschaftsverhältnisse mehr. Sie finden sich nicht im „Vorhof der Heiden“, sondern vielmehr auf
dem Marktplatz öffentlicher Debatten: „ICONOCLASH. Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft,
Religion und Kunst“ (ZKM Karlsruhe, 2002), „100 Artists see God“ (Kalifornien, Europa,
2002/2004), „Die zehn Gebote“ (Hygienemuseum Leipzig, 2003), „Medium Religion“ (ZKM
Karlsruhe, 2008/09), „Kraftwerk Religion“ (Hygienemuseum Leipzig, 2011), „Wunder“
(Deichtorhallen Hamburg/Kunsthalle Krems (2011/12)), „Gott sehen“ (Kartause Ittingen, 2006),
„Choosing My Religion“ (Kunstmuseum Thun, 2007), „God and Goods. Spirituality and Mass
Confusion“ (Villa Manin, Codroipo, 2007), „The Return of Religion and other Myths“ (basis voor
actuele kunst, Utrecht, 2008), „1+1+1=1 Trinität“ (Graz, 2011), „IRREALIGIOUS! Parallelwelt
Religion in der Kunst“ (steirischer herbst 2011, Graz), „The Urban Cultures of Global Prayers“
(Neue Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin, Camera Austria Graz, 2011/12) sind nur einige der
Ausstellungen der letzten zehn Jahre.
Wie Kunst auf die Formen einer neuen religiösen Öffentlichkeit reagiert, ist doch die eigentliche
Fragestellung heute. Ein Gedankenexperiment: Würde man das Vermächtnis des Konzilspapstes
Paul VI. fortsetzen dürfen und dabei unterhalb der Sixtinischen Kapelle die Chance erhalten,
wenigstens ein Jahr lang das Statut außer Kraft zu setzen, neue Werke von lebenden Künstlern in
diese Sammlung aufzunehmen und diese ohne Wenn und Aber und bar jedes Einspruchs
aufzustellen, man würde Werke suchen, die sich, auch mit Witz und Ironie, der skeptischen Tradition der späten Moderne verschrieben, oder die selbst Blasphemie blasphemierten.
ANNA UND BERNHARD JOHANNES BLUME (geb. 1938 in Bork/Westfalen, lebt in Köln / geb. 1938 in Dortmund,
gestorben 2011 in Köln)
"Prinzip Grausamkeit", 2004, 70-teilige Serie, Polaroids und Texte nach Clemens Rosset, gerahmt, 73x53 cm
KULTUMdepot Graz, aus: IRREALIGIOUS! Parallelwelt Religion in der Kunst, (2011)
14
WERNER REITERER
Draft for an Altar, 2009, Tisch, Tischtuch, Papier, Mobiltelefon, Neonröhre, Elektronik, Stuhl
83 x 144 x 136 cm Format variabel, KULTUMdepot Graz, aus: Prometheus!
Die den Inszenierungsapparat von Religionen (besonders auch der römischen) dokumentierten oder
die Medialisierung der Religion befragten.
KORPYS/LOEFFLER (1966 und 1963 geboren in Bremen, leben und arbeiten in Bremen und Berlin)
Für ein Leben nach dem Tod, 2006, Video, 60 min, Courtesy Meyer Riegger Galerie
Aus: IRREALIGIOUS! Parallelwelt Religion in der Kunst (2011/12)
Werke, die sich steinbruchartig der religiösen Bildgeschichte bedienten.
MUNTEAN/ROSENBLUM, (geb. 1962 in Graz bzw. 1962 in Haifa/Israel, leben in Wien und London)
- Untitled (The overwhelming spell...), 2010, oil on canvas, 260 x 220 cm, Courtesy Georg Kargl Fine Arts Vienna,
- Not To Be. Not To Be At All (Videostills), 16:9, Audio, Pal, Loop, 2003, Courtesy Georg Kargl Fine Arts Vienna
aus: IRREALIGIOUS! Parallelwelt Religion in der Kunst (2011/12)
Werke, die die religiösen Energien bildlich einfingen.
ALOIS NEUHOLD, (geb. 1951 in Eggersdorf/Graz, lebt in St. Georgen/Stiefing)
Es wiehern die Schöpfungstruhen!
- Ein Erdwärtshymnus mit 7 Erdwärtsschachteln für eine Erdwärtsmesse.
Installation mit Arbeiten aus den Jahren 1983 – 2003,
- Bildportal mit Bildkapelle zur Bildabstiegswelt: Vor dem Entritt Weltgeratter und Schnelllaufturbo auf Null stellen!
Installation mit Arbeiten aus den Jahren 2004-2011
Aus der Ausstellung: Alois Neuhold: NICHT VON HIER (2012/13)
Die die frappant engen Grenzen von Glauben und Fundamentalismus beschritten
LIDWIEN VAN DE VEN, (geb. 1963 in Hulst/NL, lebt in Rotterdam und Berlin),
London, 04/09/2004, 2005,
- (Hijab Solidarity Day)
- Paris, 11/02/2006, Inkjet print on paper/ Digitaldruck auf Papier, 1.35x2 m, Courtesy Galerie Paul Andriesse,
Amsterdam, aus der Ausstellung: WIE DU MIR. Gegenbilder für transkulturelles Denken und Handeln (2008)
LIDWIEN VAN DE VEN,
- Billy Graham Evangelist Association, Amsterdam (2000), 2005, Fotoprint, 200x262 cm
- Islamic Center, Vienna (2000), 2001, Fotoprint, 200x250 cm
- Synagogue, Anderlecht (2000), 2005, Fotoprint, 200x250cm
- Berliner Dom, 2001, 2.00x2.50 meter (in 2 Teilen)
Silvergelatin print on baryte paper, aluminium frame
KULTUMDepot Graz, aus: IRREALIGIOUS! Parallelwelt Religion in der Kunst (2012)
Und ästhetische Therapien zur Gewaltbereitschaft verabreichten.
DANICA DAKIC (geb. 1962 in Sarajevo, lebt in Düsseldorf und Sarajevo)
Detail: "Surround", 2003, 7 C-Prints (Diasec) im Format je 50 x 42 cm,
KULTUMdepot Graz, aus: WIE DU MIR. Gegenbilder für transkulturelles Denken und Handeln (2008)
Die die vermeintliche Privatheit der Religion öffentlich machten.
Die das vielbemühte Paar eines Verhältnisses von Ästhetik und Ethik anschaulich machten.
ZENITA KOMAD
(*1980 in Klagenfurt (A), lebt in Wien (A)),
LIEBE DEINEN NÄCHSTEN, SEHR, 2012, Wachsabgüsse, Dochte,
KULTUMdepot Graz, aus: I LOVE GOD (2012)
Die die Kraft eines religiösen Bildes oder aber die Bildbestreitung beschwören.
ADRIAN PACI (geb. 1969 in Shkoder (AL), lebt in Mailand (I)),
PilgrIMAGE, 2005 Courtesy Galerie Peter Kilchmann, Zürich
Aus der Ausstellung: IRREALIGIOUS! (2011/12)
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Oder aber Werke, die sensibel wären für existenzielle Formen des Glaubens in Riten, in Poesie und
Gebet.
ZENITA KOMAD
(*1980 in Klagenfurt (A), lebt in Wien (A)),
(ICH) VERZEIH MIR (UND ALLEN ANDEREN), 2010/2011
KULTUMdepot Graz, aus: IRREALIGIOUS! Parallelwelt Religion in der Kunst (2011/12)
Und als solche die Frage der Existenz oder Nicht-Existenz Gottes neu ins Bild setzen.
ZENITA KOMAD
(*1980 in Klagenfurt (A), lebt in Wien (A)),
”gott in jeansjacke” Aus der Ausstellung: Zenita Komad: I LOVE GOD
Der Grat zwischen der Angst vor orientierungsloser Säkularisierung auf der einen, fundamentalistischer Vereinfachung auf der anderen Seite bis hin zum Missbrauch der Religion für Politik und
Gewalt ist schmal. Aber der Erfolg eines Relaunches für das 21. Jahrhundert wäre garantiert.
MAARIA WIRKKALA (geb. 1954 in Helsinki (FI), lebt in Espoo (FI))
- So What, 2011, aus der Ausstellung: Maaria Wirkkala: SHARING (2011)
- FOUND A MENTAL CONNECTION II,
Hängebrücke aus Stahl, Spielzeugtüre, Bibel, Koran, Courtesy Sammlung Block, Neues Museum Nürnberg
Aus der Ausstellung: Maaria Wirkkala: SHARING (2011)
Bis es so weit ist, muss man eine derartige Sammlung freilich anders denken. Etwa in Form einer
thematisch orientierten Ausstellungsarbeit. Im Aufbau einer eigenen Sammlung. Musealisierung
ereignet sich gerade dadurch auch, in dem man etwas zeigt, postitiv gesagt: Gott ist ein Museum!
Wenn Musealisierung die Gegenwart und das Leben darin reflektiert. (Wenn Tiere über den Minoriten-Innenhof balancieren!) Vorher wird der Pavillon in Venedig gebaut. Aber im Untergeschoss der
Sixtinischen Kapelle wäre dieses Zeigen – das sei den brothers and sisters der Neuevangelisierung
gesagt – angemessener. Die Menschen kommen einen Stock höher nicht gegenwartsmotiviert, sondern an der Faszination für Michelangelos jüngstem Gericht: Gott ist doch kein Museum!
Doch, meine Damen und Herren, wir sind nicht in Rom, und wir werden dorthin auch nicht übersiedeln. Wir sind in Graz. Hier wird, wie Sie längst gemerkt haben, an einem solchen Museum
längst gebaut. Einige von diesen Bildern habe ich Ihnen eben gezeigt. Längst hat sich dabei ein
„post-säkularer Blick“ aufgeschlagen. Geschichtliche Daten wie 9/11, Globalisierungsprozesse, die
auch und gerade an den Religionen nicht halt machen und die schlichte Übersättigung eines am
Nutzen orientierten Gebrauchsdenkens und Weltgefühls trugen das Ihre dazu bei. In den Ausstellungen der letzten 15 Jahre, die ich im Kulturzentrum bei den Minoriten, teilweise auch mit anderen
Kuratorinnen und Kuratoren machen konnte, wurden in unterschiedlichen Blickachsen diese Sichtweisen ausgelotet. Ich hätte diese Ausstellungen deshalb ex cathedra zu einem „Museum für Religion in der Kunst der Gegenwart“ erklärt - hätte man die species aeternatits (den Blick des Himmels
also) nur ein- und den Faktor Zeit (als Chronos) dabei ausgeschaltet. In Form einer breit angelegten
Publikation werden derzeit die gezeigten Werke seit 2000 noch einmal neu arrangiert: Ohne großes
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Haus zwar, aber mit einer Ausstellungsgeschichte und je neuen Ausstellungen, die sich auf das
Vorhandene beziehen: Am Ende steht dann eine Setzung, ein Ausruf, mitunter auch eine Bestreitung: GOTT IST (K)EIN MUSEUM. Dieser Setzung entspricht aber nicht nur eine virtuelle Kunsthalle sub specie aeternitatis, sondern auch eine ganz konkrete Sammlung. Noch liegt sie im Depot,
aber ihre Bilder haben eine starke Tendenz zum Eigenleben. Ich vertraue auf ihre Kraft, dass ihre
Geister aus dem Depot alter Räume entfliehen, wie die Tiere entflohen sind und sich über schwindelnden Höhen über den Hof gewagt haben – hinein in das reale Museum. Eine erste Möglichkeit,
dies vorzustellen, war mit Ihnen heute. Vielleicht finden Sie sich auf der Brücke mit den Tieren
zwischen den Heiligen Büchern wieder. Ich ersuche Sie, in Ihrem Berufsfeld verstärkt solchen Bildern Raum zu geben.
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