Tamam walla haram? oder Wieviel „Sex“ verträgt der
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Tamam walla haram? oder Wieviel „Sex“ verträgt der
Tamam walla haram? oder Wieviel „Sex“ verträgt der Orientalische Tanz? Nachdem ich in meinem letzten Beitrag berichtet hatte, welche Handlungskaskade bei Ägyptern ausgelöst wird, wenn eine Frau in ihrem Land allein unterwegs ist, egal, wie unauffällig sie sich verhält, wird es nun Zeit, die „Verwerflichkeiten“ zu betrachten, die eine orientalische Tänzerin auslösen kann. Denn wer kennt sie nicht, die Sprüche oder Gedankengänge mancher Betrachter: „Wow, das ist vielleicht eine Frau“ – „Auszieh‘n!“ – „Die könnt in meinem Schlafzimmer auch mal tanzen“ – etc., etc. Damit wir einen akzeptablen Mittelweg zwischen Tanzkunst und Klischeebedienung für uns als Solistinnen finden können, möchte ich ein paar Rahmenbedingungen analysieren, die bei Auftritten völlig unterschiedlich sein können: Publikum Kostüm Tanzstil Verhalten Jede Tänzerin muss dann für sich entscheiden, wie sie die Wahrnehmung ihrer Person beeinflussen möchte. Publikum Orientalisches Publikum Vielleicht die größte Herausforderung überhaupt, da hier der tiefste Spagat zu meistern ist: Orientalischem Publikum gefällt ein Tanz nur, wenn er „ehrlich“ ist. D.h., die Tänzerin muss die Musik in jeder Faser ihres Körpers spüren, musikalische Stimmungen authentisch umsetzen und dabei nicht vergessen, in einen Dialog mit den Zuschauern zu treten. Hier ist es vor allen wichtig, bei der Sache zu bleiben – ein aktueller Stimmungshit von Nawal braucht natürlich nicht den Tiefgang einer Om Kalthoum-Interpretation, dennoch kommt hier vor allem die Tänzerin an, die den Spaß der Musik am ehesten auch in Spaß an der Bewegung umsetzen kann - und da wiederum besonders in Spaß daran, sich anderen bei der Interpretation der Musik zu zeigen. Eine offenes Lächeln, ein keckes Glitzern in den Augen, das zum Mittanzen ermuntert und keine Scheu davor, Überschwänglichkeit zu zeigen – schon hat man in der Regel die ersten Fans. Hier braucht es weder eine atemberaubende Figur noch ein verheißungsvolles Kostüm, um zu gefallen. Die besten dieser Auftritte gelingen spontan aus dem Bauch heraus. Aber wehe dem, es handelt es sich um einen Auftritt zu anspruchsvoller, klassischer / traditioneller Musik (die im Original vielleicht noch einen Text hat und nur als Tanzmusik instrumentalisiert wurde) – hier muss man ganz genau wissen, was man tut. Die Pracht des Kostüms oder das tiefschwarze lange Haar hilft hier rein gar nichts, wenn man nicht in der Lage ist, Gefühle zu transportieren. Selbstvergessen fungiert man in diesem Moment als Sprachrohr einer anderen Welt. Erzählt die Musik davon, wie sich ein Paar nach langer Trennung wieder vereint, will das Publikum das auch sehen – man soll sich sinnlichster Bewegungen bedienen, um den weiblichen Part zu verkörpern und das auszudrücken, was die Musik vorgibt. Es verlangt Mut, Erfahrung und eine Portion Exhibitionismus, um vor Zuschauern ein fremdes Liebesglück darzustellen, aber man sollte es ganz oder gar nicht tun. Wenn man sich auf diese Rolle einlässt, wird einen orientalisches Publikum lieben. Die Beobachter erwarten Spannung, Gefühlstiefe, Sinnlichkeit und das Bewusstsein der Körperlichkeit. Es schadet nicht, sich dabei zu vergegenwärtigen, wie ungezwungen, ja teilweise für unser Verständnis sogar derb orientalische Frauen in der Abgeschiedenheit der eigenen vier Wände miteinander umgehen. Schüchtern-zögerliche Interpretationsversuche zur Musik stoßen auf keinerlei Verständnis. Eine Tänzerin, die bewusst vor Publikum auftritt, dient als Projektionsfläche eigener zurückgehaltener Alltagsemotionen und wird durch das Zahlen der Gage oder Eintrittspreise mit deren Visualisierung beauftragt. Die Zuschauer wollen ihre Sinnesorgane um die Tänzerin erweitern, die ihnen ermöglichen soll, Gefühle offen in der Gesellschaft zu erleben. Kann sie sich nicht präsentieren und dies glaubwürdig umsetzen, dann wird bestenfalls Höflichkeit gezeigt. So gesehen wird hier zwar kein Sex, aber eine ganz gehörige Portion Sinnlichkeit und Weiblichkeit (die sich wiederum auch ihrer Sexualität bewusst ist), gefordert. Wenn man sich für einen Beruf mit solchen Zielen entschieden hat, braucht man sich allerdings nicht wundern, dass man als Alltagsperson in der orientalischen Gesellschaft kaum Fuß fassen wird. Nicht-orientalisches Publikum Laienpublikum Zuschauer, die nicht selbst orientalisch tanzen, können die unterschiedlichsten Ansprüche an eine Tänzerin haben. Hier kommt es meines Erachtens sehr auf die Art der Veranstaltung an. Bei Auftritten im Rahmen von Stadt- oder Vereinsfesten sowie zu Fasching o.ä. steht die Unterhaltung im Vordergrund. Da es auf die Verstärkung der guten Stimmung weit mehr als darauf, hohe Tanzkunst zu präsentieren, wird man auch sein Repertoire entsprechend planen und somit eher weniger in Verlegenheit kommen, sich sehnsüchtig schlängelnd durch die Mengen zu bewegen. Auftritte bei Geburtstagen, Hochzeiten oder auch im Restaurant bergen das Risiko, dass ein Teil des Auditoriums unsere Einlage als überflüssig auffassen kann während andere kaum zu bremsen sind, selbst aufzuspringen und mitzumachen. Es wird die geben, die alles toll finden, ganz egal, wie man es macht. Es wird die geben, die versuchen, einem Geld in den BH zu stopfen. Und es wird die geben, in deren Köpfen während unseres Unterhaltungstanzes ein ganz anderer Film abläuft. Um dem größten Teil dieses gemischten Publikums gerecht zu werden, ist zu einen professionelles Verhalten gefragt, zum anderen tut man gut daran, bei solchen Auftritten den künstlerischen Anspruch etwas herunterzuschrauben, sich etwas mehr auf das unterhaltende Element zu konzentrieren und somit auch die Frage nach zu wenig oder zu viel Sinnlichkeit zu umgehen. Eine größere Herausforderung dürfte ein Engagement bei rein männlichem Publikum darstellen. Die erste Regel heißt natürlich, bereits bei der Buchung schon darauf hinzuweisen, dass man OT und nichts anderes anbietet. Ein Tanz mit 7 Schleiern in solch einem Rahmen dürfte wegen der erwarteten weiteren Textilablage ebenso inadäquat sein wie ein Schlängeltaxim über einem am Boden liegenden nicht mehr ganz nüchternen Gast. Es fällt schwer, daran zu glauben, dass hier wirklich OT gesehen werden möchte – viel eher glaubt man, dass ein Starter für einschlägige Männergespräche oder andersartige abendfüllende Aktivitäten gefragt ist. Wenn man solch einen Auftritt annehmen möchte, wird er sicher umso erfolgreicher sein, je kurvig-knackig die Figur ist und wie einsehbar das Kostüm bei den Mega-weiblichen Bewegungen ist. Die Betonung wird – auch wenn es sich um eine wirklich lustige Truppe handelt – deutlich mehr auf Sex als auf Sinnlichkeit liegen. Der OT als solches spielt dann nur eine ganz untergeordnete Rolle. Tanzszene Tritt man vor Publikum auf, welches selbst zum größten Teil tanzt (und damit weiblich sein dürfte), liegt in der Regel das Augenmerk auf dem Gesamtkonzept. Nicht nur gute Tanztechnik, Abwechslungsreichtum in der Choreografie, Originalität der Bewegungen und Musikalität wird erwartet, wenn Profis oder langjährig tanz- und auftrittserfahrene Kolleginnen zuschauen, sondern auch Bühnenpräsenz, Nutzung des Bühnenraums und „ägyptisches Feeling“. Ganz nebenbei soll es dann auch ein umwerfendes Kostüm sein, die Haare lang und perfekt gestylt – eine eindrucksvolle Gesamterscheinung beeinflusst zwar die Grundstimmung, mit der man sich den Vortrag ansieht, aber man lässt sich längst nicht mehr von allem begeistern. Und wie freut man sich dann, dass Kollegin X wieder mit 2 Kilo zuviel kämpft – oder wenn der Schleier beim Wurf über den Kopf die Frisur verwirbelt und den Gesichtsausdruck etwa verdümmlicht – oder Kollegin Y wegen mangelhafter Bühnentechnik nicht nur schlecht beleuchtet wird, sondern auch noch hilflos eine musiklose Pause überbrücken muss… Überlegt man sich nicht häufig während so eines Auftritts, dass man die letzte Passage selbst viel abwechslungsreicher umgesetzt hätte, dass man den Shimmy auf einem Bein während eines furiosen Zimbelsolos selbst noch vibrierender machen könnte oder der Backbend der Tänzerin vor einem lächerlich wenig ausgeprägt war? Umso höher liegt die Latte, die eine wirklich bewegende Vorstellung reißt. Entweder gelingt dies am besten bei einer bis dato eher unbekannten Tanzkollegin, auf deren Erfolg man noch nicht neidisch sein muss, oder einer guten Bekannten, der man den Erfolg wirklich gönnt. Oder jemandem, der wirklich alles miteinander vereint und souverän alle Ansprüche erfüllt: ansprechendes Aussehen, ansprechende nicht nur heruntergespulte Choreografie, sympathische Ausstrahlung, charmante Professionalität, selbstsicheres Auftreten, hingebungsvolle Musikinterpretation mit verschiedenen Stimmungen, die richtig beim Zuschauer ankommen, dazu die „korrekten Bewegungen“ – mal formell raumgreifend und präzise, mal verinnerlicht, introspektiv und gefühlsbetont. Die richtige Mischung zwischen Technik, Ausdruck, Gefühl und Präsentation sorgt hier für Erfolg – die Frage, wie erotisch der gesehene Tanz gerade war, stellt sich dann in der Regel gar nicht! Obwohl es stark auf die jeweilige Situation ankommt, lasse ich mich an dieser Stelle zu einem ersten Fazit hinreißen: - Erwartet ein Publikum stimmungsmachende Unterhaltung, ist sowohl Sexualität als auch Sinnlichkeit nicht der richtige Schwerpunkt. - Erwartet ein Publikum zu viel Sexualität im Tanz, ist es kein OT mehr. - Bietet die Tänzerin zu wenig Sinnlichkeit im Tanz, ist es noch kein OT! Fortsetzung folgt.