Dialogisches Lernen nach Urs Ruf und Peter Gallin
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Dialogisches Lernen nach Urs Ruf und Peter Gallin
Dialogisches Lernen nach Urs Ruf und Peter Gallin Problemaufriss Mit ihrem Konzept eines dialogischen Lernens versuchen die Schweizer Didaktiker Ruf und Gallin einem Problem schulischen Lernens zu begegnen, welchem sich schon die genetische Methode und das entdeckende Lernen zuwandte, nämlich dem Problem des „fertigen Stoffes“. Ruf und Gallin stellen fest, dass das Lehren kulturell feststehender Inhalte den Schüler wenig anspricht. Zu Fertigem kann der Schüler offenbar nur schwer eine interessierte Beziehung aufbauen. Folglich wendet er sich vom Inhalt – in unserem Fall von der Mathematik – ab. Schule ist der Ort, wo Lernen organisiert wird. Im Unterschied zum alltäglichen Lernen in zufälligen Situationen sind Fragen und Lösungen im schulischen Lernen fein säuberlich aufeinander abgestimmt und in einem […] Lehrplan festgehalten. Das kann dazu verleiten, die Menschen mit ihren je individuellen Nöten, Fragen und Interessen ganz außer Acht zu lassen und alle Energie darauf zu verwenden, die Stoffe streng logisch zu ordnen, in bekömmliche Häppchen zu zerlegen und in einer klar definierten Reihenfolge allen gleichzeitig zu verabreichen. [Dies] bringt es mit sich, dass man das Geschäft Schule ganz ohne innere Anteilnahme betreiben kann: für die einen ein mehr oder weniger spannendes, aber oft belangloses Spiel, in dem sie immer wieder bestätigt werden; für die anderen ein zermürbender Kampf uns Überleben. Ist die Schule einmal zu Ende, löst sich vieles auf wie ein böser Spuk. Was wichtig schien und was man unter unsäglichen Mühen eingeübt hat, verliert von einem Tag auf den andern eine Bedeutung und geht verloren. 1 In Bezug auf den Mathematikunterricht kritisieren Ruf und Gallin vor allem den zu häufigen Einsatz von Routineaufgaben, welche zu einer Fragehaltung à la »Was ist hier die richtige Formel?« ausarten kann, ohne die Sache an sich in den Blick zu nehmen. 2 Schnell wird deutlich, dass Ruf und Gallin diesen Zustand nicht als unabdingbar ansehen, sondern eine Verbesserung der Unterrichtskultur hin zu einem Unterricht, in dem die Schüler die Inhalte interessiert annehmen, für möglich und erstrebenswert halten. 1 Ruf, Urs & Peter Gallin. Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik. Band 1. Kallmeyer: Seelze-Velber, 1998. S. 19. 2 zur „Mathematikschädigung“ siehe Ruf/Gallin 1998, S. 19 Dabei beschränken sie sich nicht auf methodische Vorschläge, wie der Lehrer die Entstehung der Mathematik nachempfindbar oder die Mathematik entdeckbar machen könne, sondern stellen generell die Frage, welche Rollen Fertiges und Eigenes beim Lernen spielen können und sollen. Das dialogische Lernen Ruf und Gallin wollen die Rollen zwischen Fertigem und Eigenem, zwischen Regulärem und Singulärem neu verteilen. Präsentiert man den Schülern auf bestimmte Fragen nur die kulturell errungene reguläre Lösung, so verlaufe der Unterricht einseitig zu Lasten des Interesses und des Verstehens der Schüler. Der regulären Dimension des Unterrichts, welcher die Klasse von einer Frage zur kulturell vorgegebenen Antwort führt, wird daher eine zweite Dimension, die singuläre Dimension, hinzugefügt. Hier durchläuft der Schüler bei der Beschäftigung mit einer Frage oder einem Auftrag die Phasen »Ich mache das so!«, »Wie machst du es?« und »Das machen wir Waagerecht: Die Dimension des Regulären. Senkrecht: Die Dimension des Singulären. nach.« Dabei ist die Arbeit in beiden Dimensionen völlig verschieden: In der Dimension des Singulären spricht man die „Sprache des Verstehens“ (Wagenschein). Der Lehrer erzählt persönlich interessiert eine Geschichte, legt ein Problem dar, stellt eine Frage oder verteilt einen Auftrag. Er präsentiert eine Kernidee. Die Schüler erkunden, Fehler sind erwünscht und sollen sie im Verstehen voranbringen. Die Aufgabe des Lehrers ist es hier, die Entwicklung des Schülers zu begleiten und mit dem Schüler in einen Dialog zu treten. Ein Feedback zu der Leistung des Schülers gibt der Lehrer mit sogenannten Häkchen. Zur Dokumentation der persönlichen Auseinandersetzung des Schülers und des Dialogs nutzen die noch nicht erfüllt Schüler ein Lern- erfüllt journal. klar erkennbare Eigenleistung Wurf (großer Erfolg) In der Dimension des Regulären geht es um die Annäherung an die kulturelle Norm, um das Kennenlernen des Überlieferten. Nach der singulären Beschäftigung mit einem Thema (Ich), dem Kennenlernen anderer Ideen (Du) und dem thematischen Zusammenkommen (Wir), lernen die Schüler, wie Experten mit dem Thema umgehen. Hier spricht man die Sprache des Verstandenen, der Lehrer hat als Experte die Wissenshoheit und benotet schließlich auch defizitär, was bei einer Prüfung nicht gekonnt wurde. stützten Einblick in ihr Konzept des Lernjournals geben Ruf und Gallin in „Singuläre Spuren im Reisetagebuch“ (I 63-71). ● Ferner untersuchen sie, wie das „Mathematik erzählen“ dem Verständnis zu Gute kommen kann (I 118-141). ● Schließlich geben Ruf und Gallin am Ende des ersten Bandes einen sehr persönlichen Eindruck, wie sich das Lernen von Mathematik im Dialog zwischen den beiden abgespielt hat (I 275-315). Zwei gegensätzliche Unterrichtskonzepte Im zweiten Band beschreibt Gallin zunächst seine ganz persönliche Suche nach Kernideen (II 20-29). ● Wie Schüler Kernideen des Lehrers aufnehmen und bearbeiten, zeigt das Beispiel „Zahlenforschen“ (II 52-60). ● In „Erzählen, um sich selber zu belehren“ greifen Ruf und Gallin die Idee des Lernens durch Erzählen erneut auf (II 98-108). ● Mit „Judith und Pius – Zwei unterschiedliche Talente“ erlangt man einen Einblick in die Lernjournale der Schüler (II 135-143). ● In „Schülertexte als Lehrmittel im Mathematikunterricht“ zeigen die Autoren, wie Lernjournale für den Unterricht fruchtbar genutzt werden können (II 167-176). ● Schließlich stellt in „Unterwegs zu neuen Lehrformen auf der Sekundarstufe I“ der Lehrer Martin Hofmaier seine Erfahrungen mit dem dialogischen Lernen im Mathematikunterricht vor (II 210-226). Instruktionskonzept Wissen vermitteln und einüben Dialogisches Lernen Authentische Begegnungen zwischen Stoffen und Menschen ermöglichen Pädagogische Kernidee Alle Lernenden sollen die Sache so behandeln, wie es in den Fachbüchern beschrieben ist. Pädagogische Kernidee Jeder Lernende soll einen persönlichen Dialog mit der Sache aufnehmen und sich in seinem engen Kreis so verhalten wie die Fachleute beim Forschen. Aufgabe Man muss ein vorgegebenes Ziel erreichen. Wer es nicht schafft, ist ausgeschlossen. Auftrag Alle machen sich auf den Weg. Jeder nutzt seine Möglichkeiten, so gut er kann. Wie viel ist x? Interpretiere das Gedicht! Achte beim Lesen dieses Gedichts / dieser Gleichung auf deine Gedanken und Gefühle. Schreibe alles auf, was dir durch den Kopf geht. Übungs- und Prüfungsarbeit Die Lernenden versuchen, fachliches Wissen und normierte Verfahren so professionell wie möglich zu handhaben. Reisetagebuch Die Lernenden erzählen die Geschichten ihrer persönlichen Begegnung mit den Stoffen. Korrektur unter einer Defizitperspektive Die Lehrperson stellt die Mängel fest und misst die Abweichungen gegenüber den fachlichen Normen. Rückmeldungen unter einer Entwicklungsperspektive Die Lehrperson interpretiert die Spuren singulärer Lernprozesse und gibt Empfehlungen für die Weiterarbeit. (Tabelle aus Ruf/Gallin 1998, S. 49) Einflussreich waren Ruf und Gallin mit ihrem zweibändigen Werk Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik (Kallmeyer: Seelze-Velber, 1998). Im ersten Band stellen Ruf und Gallin mit dem Aufsatz „Authentische Begegnungen“ die Grundidee ihrer Didaktik vor (I 19-26). ● Beispielhafte persönliche Begegnungen mit einer besonderen Gleichung sind in „Regularisierendes Problemlösen und Gestalten“ mentiert (I 42-49). ● Ihr Unterrichtskonzept skizzieren Ruf und Gallin ein erstes Mal in „Lernen auf eigenen Wegen“ (I 55-59). ● Einen ersten durch Beispiele unter- In Gallins Aufsatz „Zwei Welten – Der Dreisatz im Dialogischen Mathematikunterricht“ (in: Ruf, Keller & Winter (Hrsg.). Besser lernen im Dialog. Kallmeyer: Seelze-Velber, 2008.) erhält man schließlich einen aktuellen Einblick in Gallins eigenen Unterricht.