feindbild saddam - Liebfrauenschule Sigmaringen

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feindbild saddam - Liebfrauenschule Sigmaringen
FEINDBILD SADDAM
Der „gefährlichste Mann der Welt“ im Spiegel der internationalen Presse
Jakob Milla
Seminarkurs 2002/2003 an der Liebfrauenschule Sigmaringen
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
1
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
2
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.5.1
2.5.2
2.6
2.7
Theoretischer Teil: Feindbilder
Perzeption und Realität
Probleme bei der Validierung von Feindbildern
Vorurteile
Funktion von Vorurteilen
Bedeutungszusammenhänge des Begriffs „Feindbild“
Der „Feind“ und seine Funktion
Das „Bild“ und das Image
Tiefenpsychologische Ansätze
Zusammenfassung
3
3.1
3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
3.2.5
3.3
3.3.1
3.3.2
3.3.3
3.4
3.5
Seite
4
6
6
7
8
9
9
10
12
13
14
Empirischer Teil
15
Vorgehensweise
16
Die untersuchten Zeitungen
19
Jordan Times
19
taz
19
Le Monde
20
USA TODAY
20
The Sun
20
Kategorien der Charakterisierungen Saddam Husseins
21
Neutrale Erwähnungen
21
Pejorative Beschreibungen
21
Zitate als Sonderfall
24
Die Ereignisse rund um den Irak-Krieg
24
Empirische Untersuchungen an den Darstellungen der Person Saddam Husseins
und Funktion derselben
26
3.5.1 Anzahl der Saddam Hussein betreffenden Artikel pro Ausgabe im Laufe der
Zeit bei den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
26
3.5.2 Anzahl der Erwähnungen Saddam Husseins pro Ausgabe und pro Artikel im
Laufe der Zeit bei den verschiedenen Zeitungen und Interpretation
derselben
28
3.5.3 Anzahl neutraler Erwähnungen Saddam Husseins pro Ausgabe im Laufe der
Zeit bei den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
31
3.5.4 Anzahl der pejorativen Charakterisierungen pro Ausgabe im Laufe der Zeit bei
den verschiedenen Zeitungen: Degradierung und Funktion derselben
33
3.5.5 Der Anteil der Degradierungen an allen Erwähnungen Saddam Husseins bei
den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
37
3.5.6 Der Anteil der einzelnen Degradierungssarten an allen Degradierungen in der
Jordan Times und Interpretation derselben
38
3.5.7 Der Anteil der einzelnen Degradierungssarten an den Degradierungen in der
taz und Interpretation derselben
39
3.5.8 Der Anteil der einzelnen Degradierungssarten an den Degradierungen in
Le Monde und Interpretation derselben
39
3.5.9 Der Anteil der einzelnen Degradierungssarten an den Degradierungen in
USA TODAY: Kriminelle Degradierung und deren Funktion
40
3.5.10 Der Anteil der einzelnen Degradierungssarten an den Degradierungen
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
2
in The Sun und Interpretation derselben
3.5.11 Die Summe der politisch-kriminellen Degradierungen in den verschiedenen
Zeitungen und Interpretation derselben
3.5.12 Die Summe der kriminellen Degradierungen in den verschiedenen Zeitungen
und Interpretation derselben
3.5.13 Die Summe der pathologischen Degradierungen in den verschiedenen
Zeitungen und Interpretation derselben
3.5.14 Die Summe der Beleidigungen in den verschiedenen Zeitungen
und Interpretation derselben
3.5.15 Die Summe der sonstigen Degradierungen in den verschiedenen Zeitungen
3.5.16 Die Summe aller Degradierungen in den verschiedenen Zeitungen
und Funktion derselben
3.6
Zusammenfassung
3.6.1 Artikelanzahl
3.6.2 Die Personalisierung
3.6.3 Neutrale Erwähnungen Saddam Husseins
3.6.4 Die Darstellung Saddam Husseins und deren Funktion für die Zeitungen
3.6.5 Die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Regimes von Saddam Hussein
auf die Berichterstattung der untersuchten Zeitungen
42
54
4
Schlussbetrachtung
54
5
5.1
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.1.4
5.1.5
5.2
Anhang
Artikelbeispiele
Artikelbeispiel aus der Jordan Times
Artikelbeispiel aus der taz
Artikelbeispiel aus Le Monde
Artikelbeispiel aus USA TODAY
Artikelbeispiel aus The Sun
Literaturverzeichnis
58
58
58
60
61
62
64
65
43
45
46
47
48
49
50
51
51
51
52
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
3
1 Einleitung
Saddam Hussein – sein Name ging in der letzten Zeit so oft durch die Presse wie kaum ein
anderer. Kaum ein Thema wurde so kontrovers diskutiert wie der Krieg von USA und England gegen den Irak.
Die wahren Gründe für diesen Krieg sind sicherlich interessant, ich werde mich aber nicht
mit ihnen auseinandersetzen, weil sie für mein Thema keine Rolle spielen.
Ich will mit dieser Arbeit versuchen, auf die folgende Frage Antwort zu geben:
Wie wurde Saddam Hussein von verschiedenen internationalen Zeitungen im Zeitraum
vom 23. Januar 2003 bis zum 17. April 2003 dargestellt und welche Funktion hat die jeweilige Charakterisierung Saddam Husseins?
Von der US-amerikanischen und der britischen Regierung sowie von manchen Zeitungen
wurde immer wieder betont, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen biologischer, chemischer und vielleicht auch nuklearer Art und bedrohe damit die ganze Welt, er
sei also unser Feind, den es zu vernichten gelte, wenn wir nicht von ihm vernichtet werden
wollen.
Wenn man diese Zeilen liest, drängt sich der Eindruck auf, Saddam Hussein könne ein
Feindbild der Kriegsbefürworter sein, wie schon im letzten Golfkrieg 1991, als der Irak als
Schurkenstaat gebrandmarkt wurde und Saddam Hussein zu einem Hitler oder Stalin stilisiert wurde und regelmäßig auf den frühen Beginn seiner kriminellen Karriere hingewiesen
wurde, dass er nämlich im Alter von 21 Jahren angeblich vom Schläger auch noch zum
Mörder wurde.1
Doch was ist eigentlich ein Feindbild? Ist es realitätsadäquat (der Realität angemessen)?
Lässt sich das überprüfen? Wenn ja, wie? Ist eine Validierung (die Überprüfung an der
Realität) überhaupt erwünscht? Welche Funktionen haben Feindbilder und andere Vorurteile? Welche Erklärung hat die Psychologie für Feindbilder und Sündenböcke?
Dieser Frage will ich im theoretischen Teil meiner Arbeit nachgehen, dessen Hauptzweck
sein soll, eine theoretische Grundlage für die später zu behandelnde Thematik „Saddam
Hussein als Feindbild in verschiedenen Zeitungen“ zu schaffen; diese ist nicht ohne jene
nachvollziehbar.
Im Anschluss daran will ich verschiedene internationale Tageszeitungen auf ihre Berichterstattung zum Thema Irak bzw. Saddam in der Zeit vom 23. Januar bis zum 17. April
2003 hin untersuchen, wobei ich auf die exakte Vorgehensweise später noch genauer eingehen werde.
Dabei will ich versuchen, unter Berücksichtigung meiner Ergebnisse aus dem theoretischen Teil, auf folgende Fragen Antwort zu geben:
Wie intensiv wird die Thematik von den verschiedenen Zeitungen, die ich später noch genauer vorstellen werde, im Laufe der Zeit behandelt? Wie oft ist von Saddam Hussein die
Rede? Wie wird er jeweils dargestellt? Welche Funktion hat das? Lassen sich Tendenzen
im Laufe der Zeit erkennen? Fallen Zusammenhänge zwischen den Ereignissen zum Thema Irak bzw. Saddam (die ich selbstverständlich noch schildern werde) und der Berichterstattungen der verschiedenen Zeitungen auf? Wenn ja, welche? Wie wird Saddam Hussein
1
vgl. Ulrich Encke, Saddam Hussein: Ein Portrait, München 1991, S. 10; vgl. Encke, S. 60; vgl. N.C. Menon, Mother of All Battles: Saddam's Folly, Dehli 1991, S. 4f.; vgl. Musallam Ali Musallam, The Iraqi Invasion of Kuwait: Saddam Hussein, His State and International Power Politics, London 1996, S. 34f.; vgl. John
Bulloch u.a., Saddam's War: The Origins in the Kuwait Conflict and the International Response, London
1991, S. 31; vgl. Efraim Karsh u.a., Saddam Hussein: A Political Biography, London 1991, S. 16
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
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von den verschiedenen Zeitungen degradiert (wobei die verschiedenen Arten von Degradierung noch genauer zu erklären sein werden)? Welche Funktion hat das?
Als Abschluss meiner Arbeit will ich schließlich meine Ergebnisse zusammenfassen und
eine Schlussbetrachtung anstellen. Hier will ich auch versuchen, meine Ergebnisse mit
denen von Heiner Stacharowsky zu vergleichen, der während des letzten Golfkrieges
1990/91 eine ähnliche Untersuchung durchgeführt hat2, auf die ich später noch genauer
eingehen werde.
Doch zunächst wollen wir uns dem Begriff „Feindbild“ annähern, um später das Feindbild
„Saddam Hussein“ analysieren zu können.
2 Theoretischer Teil: Feindbilder
Unter dem Begriff „Feindbild“ versteht man gemeinhin die „Perzeption [also die Wahrnehmung] eines Individuums, einer sozialen Gruppe oder eines staatlichen Akteurs unter
dem Aspekt der Feindschaft“3.
2.1 Perzeption und Realität
Man könnte von dem Begriff „Feindbild“ als eigentlich wertneutral ausgehen, über den
Realitätsgehalt des Feindbildes würde also keine Aussage gemacht; das Feindbild könnte
der Realität entsprechen oder auch nicht. Daraus würde sich ergeben, dass man das Feindbild mit der historischen und der politischen Realität vergleichen müsste, um es zu überprüfen.
Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen: Man stelle sich einen Israeli vor, der denkt,
es gebe eine Palästinenserorganisation „Hisbollah“, dann hat diese Vorstellung einen recht
hohen Realitätsgehalt. Dagegen muss man einen Paranoiker, der an eine Verschwörung
rothaariger Kellner gegen ihn glaubt, darauf hinweisen, dass die Realitätsadäquanz seines
Feindbildes relativ gering sein dürfte.
Man könnte Feindbilder daher auf einem Kontinuum hinsichtlich ihrer Realitätsadäquanz
anordnen; dabei würde der Israeli das eine Extrem darstellen und der Paranoiker das andere. Der gängige Feindbildbegriff umfasst allerdings nur die Hälfte des Paranoikers. Er unterstellt also, dass die Perzeption mit der Realität nicht übereinstimmt; das Feindbild hat
also ein Realitätsdefizit bezogen auf den Aspekt der Feindschaft.4
Die Realitätsangemessenheit der Wahrnehmung könnte auf verschiedene Arten vorliegen:
als Realitätsdefizit, wenn das Objekt nur unvollständig bzw. selektiv wahrgenommen wird
(alles außer feindlichen Motiven und Handlungen wird ausgeblendet), als Realitätsverzerrung, wenn man die Motive und Handlungen des Objekts im Sinne von Feindschaft missinterpretiert, und als Realitätsergänzung, wenn das Objekt mit zusätzlichen, real nicht
existenten Attributen ergänzt wird.5
2
vgl. Heiner Stacharowsky, Massenmedien und Kriminalität der Mächtigen, Heidelberg 1994
Jörg Becker u.a., Zur Analyse außenpolitisch relevanter Feindbilder in der Bundesrepublik 1949-1971 Band
2, Frankfurt/Main 1977, S. 99
4
vgl. Becker, S. 99f.; vgl. Becker, S. 105
5
vgl. Becker, S. 100f.
3
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
5
Es wäre also durchaus wichtig, das Feindbild mit der Realität zu konfrontieren und zu vergleichen.
2.2 Probleme bei der Validierung von Feindbildern
Will man ein Feindbild validieren (an der Realität überprüfen), tun sich verschiedene Probleme auf.
Beispielsweise ist historische Erkenntnis gesellschaftlich bestimmt, d.h. die Realität lässt
sich nicht objektiv analysieren. Ob das Feindbild „Sowjetunion“ realitätsangemessen war,
lässt sich also nicht endgültig bestimmen.6
Außerdem darf man das Verhältnis von Realitätsperzeption und Realität nicht statisch sehen. Hier gibt es aber eine sehr innige Wechselwirkung: Es ist nicht nur so, dass die Realität die Wahrnehmung beeinflusst, sondern auch so, dass Realität im Sinne der Realitätsperzeption umgestaltet wird.
Dies will ich am Beispiel der Beziehung zweier Menschen zueinander illustrieren: Der eine
hat die völlig falsche Vorstellung, der andere sei sein erbitterter Feind. Diese Wahrnehmung beeinflusst sein Verhalten: Er wird sich dem anderen gegenüber verhalten, wie man
sich einem Feind gegenüber verhält. Dieser andere wird dieses Verhalten natürlich bemerken und wird seinerseits darauf reagieren. Diese Reaktion wird der eine nun als Bestätigung der (falschen) Wahrnehmung auffassen und wird ebenfalls reagieren. Der Prozess
kann im Prinzip beliebig lange andauern. Die ursprünglich falsche Wahrnehmung des einen ist also Realität geworden.
Allgemein haben Feindbilder den Charakter von selffulfilling prophecies, von sich selbst
erfüllenden Prophezeiungen.7
Desweiteren genügt die Konfrontation und der Vergleich des Feindbildes mit der Realität
oft nicht, da sich Feindbilder von der Realität abschotten. Bei solchen Überlegungen kann
man an Untersuchungen zur Vorurteilsproblematik anknüpfen, die ebenfalls durch das
Auseinanderfallen von Perzeption und Realität charakterisiert sind.8
2.3 Vorurteile
Die Vorurteilsforschung unterscheidet zwei Formen von Fehlperzeption (falscher Wahrnehmung):
Auf der einen Seite gibt es falsche Perzeption der Realität. Sie kann jederzeit aufgrund
neuer Erfahrungen und Erkenntnissen revidiert werden. Man spricht hier von kontingenter
Fehlperzeption.
Auf der anderen Seite gibt es die Vorurteile. Sie sind starr und nicht umkehrbar; sie schotten sich von der Realität ab. Hier nutzt auch die Konfrontation mit der Realität oder Gegenargumenten nichts. Man spricht hier von systematischer Fehlperzeption.9
6
vgl. Becker, S. 101
vgl. Becker, S. 103
8
vgl. Peter Heintz, Soziale Vorurteile: Ein Problem der Persönlichkeit, der Kultur, der Gesellschaft, Köln
1957, S. 43; vgl. Werner Bergmann, Was sind Vorurteile? In: Informationen zur politischen Bildung Nr.
271/2001, S. 3; vgl. Becker, S. 105; vgl. Nathan W. Ackermann u.a., Anti-Semitism and emotional disorder,
New York 1950, S. 4f.
9
vgl. Ackermann, S. 4f.; vgl. Bergmann, S. 3; vgl. Becker, S. 105
7
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
6
Vorurteile sind sozial unerwünscht, da der Begriff einen starken normativen, moralischen
Gehalt hat. Sie verstoßen gegen drei menschliche Wertvorstellungen, gegen gesellschaftliche Normen:
Weil ein mit Vorurteilen behaftetes Individuum ohne hinlängliche Sachkenntnis urteilt,
sich gegen Gegenargumente abschottet und zu falschen Verallgemeinerungen neigt, verstößt das Vorurteil gegen die Norm der Rationalität.
Weil das mit Vorurteilen behaftete Individuum verschiedene Maßstäbe anlegt, verstößt es
auch gegen die Norm der Gerechtigkeit bzw. der Gleichbehandlung.
Und weil das mit Vorurteilen behaftete Individuum den anderen als Individuum ablehnt
und sich intolerant zeigt, verstößt es auch gegen die Norm der Mitmenschlichkeit.10
2.4 Funktion von Vorurteilen
„Funktion 1: Vorurteile dienen der Orientierung in unübersichtlichen Situationen und Verhältnissen. Vorurteile erlauben damit Verhaltenssicherheit, stellen Eindeutigkeit her und
reduzieren Unsicherheit; sie sind „identitätsstiftend“; sie sichern die Herstellung und Aufrechterhaltung von Selbstwertgefühl.
Funktion 2: Vorurteile dienen der Gruppenbildung durch Ein- und Ausgrenzungen. Vorurteile erlauben die Konzeption eines positiven Selbstkonzepts der Eigengruppe und eines
negativen Konzepts von Fremdgruppen; sie ermöglichen Diskriminierung ohne Gewissenskonflikt bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Toleranzgebots. […]
Funktion 3: Vorurteile dienen der Legitimation und Rechtfertigung von Herrschaftsausübung. Vorurteile helfen dabei, den Status quo der Machtverteilung zwischen Majoritäten
und Minoritäten zu erhalten; sie dienen der Sicherung eines Machtgefälles zwischen Majoritäten und Minoritäten. Für Minoritäten resultiert hieraus eine relative Sicherheit innerhalb
bestehender Machtgefälle.
Funktion 4: Vorurteile dienen der Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen durch Bereitstellung von „Sündenböcken“ und Mythenbildung.“11
2.5 Bedeutungszusammenhänge des Begriffs „Feindbild“
Man kann sich dem Begriff “Feindbild” auch noch auf einem anderen Wege nähern: Er
enthält zwei Bedeutungszusammenhänge: „Feind“ und „Bild“.12
2.5.1 Der „Feind“ und seine Funktion
Das Wort „Feind“ hat eine stark bewertende Komponente.13
Mit dem Wort „Feind“ werden, blickt man in die Politik, gemeinhin Attribute wie
„schlecht“, „herzlos“ und „böse“ verbunden. Das „Böse“ tritt zum Beispiel im Völkermord
oder im Terrorismus zutage, es ist die privatio boni (laut Augustinus), die Abwesenheit des
„Guten“, das essentiell notwendig ist, um die Vitalität der Zivilisation aufrecht zu erhal10
vgl. Bergmann, S. 3
Cornelia Schmalz-Jacobsen u.a. (Hrsg.), Kleines Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschland,
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1997, S. 246ff.
12
vgl. Becker, S. 105
13
vgl. Becker, S. 105
11
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
7
ten.14 Andere Theorien wiederum besagen, das „Böse“ gebe es gar nicht; Menschen könnten nicht „gut“ oder „böse“ sein; sie können nur mehr oder weniger an die jeweilige Gesellschaft angepasst und in diese integriert sein.15
All diese Assoziationen mit dem Begriff „Feind“ rühren von der Halo-Ausstrahlung des
negativen Prädikats „Feind“ her16, d.h. bei der Beurteilung von Menschen werden die Einzelurteile nach dem Positiven oder (in diesem Falle) dem Negativen hin vereinheitlicht.
Man spricht vom „Halo-Effekt“ (halo – engl. Heiligenschein).
Ein Beispiel: Wenn ein Schüler, der in einigen Fächern schlechte Noten hat, auch in Fächern schlechte Noten hat, in denen er eigentlich gar nicht schlecht ist, dann ist das auf den
Halo-Effekt zurückzuführen.17
„So sind im Feindbild eine Reihe negativer Urteile gebündelt, die gleichsam einem Vereinheitlichungszwang gehorchen und eine differenzierte Beurteilung dessen, der mit dem
Etikett „Feind“ versehen wird, unmöglich machen.”18
So wäre die Charakterisierung eines Akteurs der internationalen Politik nur unter Absehung von Differenzierung möglich.19
Das hat Auswirkungen auf die Politik: Carl Schmitt vertritt den Standpunkt, das FreundFeind-Verhältnis bestimme das Wesen des Politischen:20
„Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethische oder andere Gegensatz verwandelt
sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund
und Feind effektiv zu gruppieren.“21 Dann ist der andere zum Sündenbock, zum Feind,
einfach zum existenziell Anderen geworden, als böse und unbedingt zu töten entlarvt.22
Die spezifisch politische Unterscheidung von Freund und Feind ist nach Schmitt Grundlage aller politischen Motive und Handlungen. Sie hat den Sinn, den „äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung einer Assoziation oder Dissoziation“ zu bezeichnen23.
Da ein „Feind“ immer öffentlicher Feind ist24, ist nun die „seinsmäßige Behauptung der
eigenen Existenzform“25, also Krieg, notwendig; Krieg lässt sich, so Schmitt, durch keine
Ideale, Normen, Programme oder rationale Gründe rechtfertigen, sondern nur durch die
Selbstverteidigung gegen den Feind. Ökonomische Gegensätze oder Interessenskollisionen
lassen sich als Begründungen für Kriege nach Schmitt auch nicht anführen. Die FreundFeind-Unterscheidung ist also die einzig mögliche Legitimation eines Krieges.26
Nach Schmitt konstituiert also erst der Freund-Feind-Gegensatz das Politische, was weitreichende Konsequenzen für den politischen Sprachgebrauch hat27:
14
vgl. Jeffrey Burton Russell, Biografie des Teufels: Das radikal Böse und die Macht des Guten in der Welt,
Berlin 2002, S. 370; vgl. Peter R. Hofstätter, Einführung in die Sozialpsychologie, Stuttgart 1963, S. 372;
vgl. Augustinus, Contra adversos legis I,5, cf. De civitate Dei XI, 18, XI, 9 u.a.; vgl. Anand Amaladass
(Hrsg.), The problem of evil, Chennai 1997, S. 10
15
vgl. E. Mansell Pattison, Psychoanalysis and the concept of Evil. In: Marie Coleman Nelson u.a. (Hrsg.),
Evil: Self and Culture, New York 1994, S. 64
16
vgl. Hofstätter, S. 372
17
vgl. Becker, S. 106; vgl. Harold Garfinkel: The perception of the other: A study in social order, Harvard
University Cambridge Mass 1952, S. 378; vgl. Stacharowsky, S. 52
18
Becker, S. 106
19
vgl. Becker, S. 103
20
vgl. Becker, S. 106
21
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Berlin 1933, S. 37
22
vgl. Bernd J. Claret u.a. (Hrsg.), Theologie und Psychologie im Dialog über das Böse, Paderborn 1998, S.
80; vgl. Gerhard Kleining, Image. In: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1969,
S. 26f.; vgl. Schmitt, S. 8f.
23
Schmitt, S. 26f.
24
vgl. Becker, S. 107
25
Schmitt, S. 32; vgl. Stacharowsky, S. 58
26
vgl. Schmitt, S. 13; vgl. Schmitt, S. 32; vgl. Becker, S. 107
27
vgl. Becker, S. 109
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
8
„Alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte haben einen polemischen Sinn; sie
haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden,
deren letzte Konsequenz eine (in Krieg oder Revolution sich äußernde) Freund-FeindGruppierung ist, und werden zu leeren und gespenstischen Abstraktionen, wenn diese Situation entfällt. […]„Wenn man nicht weiß, wer in concreto durch ein solches Wort getroffen, bekämpft, negiert und widerlegt werden soll [,kann man die politischen Begriffe überhaupt nicht verstehen]. Auch was „Recht“, „Ordnung“ und „Frieden“ bedeuten, ist konkret
durch den Feind bestimmt.“28 In der Rhetorik der derzeitigen US-Regierung sind zu dieser
Kategorie wohl auch Begriffe wie „Freiheit“ und „Demokratie“ zu rechnen.
Doch auch eine andere Konsequenz ergibt sich aus der Wichtigkeit des Freund-FeindGegensatzes für die Politik:
„Im vielfachen Gebrauch der Wörter [liegt] auch die Gefahr […], dass sie sich vom gemeinten, konkreten geschichtlichen Inhalt ablösen und zu beliebig verwendbaren Etikettierungen absinken, also zu Begriffsgespenstern werden. Von hier ist es deshalb nur noch ein
Schritt zur polemischen Verwendung der „Ismen“, bei der sie endgültig ihren Sinn als
Ordnungsbegriffe verlieren. Sie werden nicht nur zu Klischees ohne klar bestimmbaren
Inhalt, sondern zu Wurfgeschossen im politischen und weltanschaulichen Kampf. Die Polemik hat diese Begriffe in Fanfarentöne oder auch in Schimpfworte verwandelt, je nachdem, wer sie gerade im Munde führt.“29 In der Rhetorik der derzeitigen US-Regierung sind
zu dieser Kategorie wohl auch Begriffe wie „Terrorismus“, „Islamismus“ oder „Fundamentalismus“ zu rechnen.
2.5.2 Das „Bild“ und das Image
„Der zweite Wortbestandteil „Bild“ deutet an, dass es sich beim Feindbild um keinen klar
umrissenen Begriff handelt, sondern um eine Vorstellung aus verschiedenen kognitiven,
emotionalen und wertenden Bestandteilen. Ein Feindbild hat den Charakter etwa dessen,
was man in der Werbung „Image“ nennt: Also die durch Werbung erzeugten Vorstellungen
und Erwartungen, die ein Käufer bei einem Produkt oder einem Markennamen hat. Die
Nennung des Feindes ruft ein diffuses Bündel von Vorstellungen hervor, die nicht logisch
miteinander verbunden sind, sondern nur einen assoziativen Zusammenhang haben.“30
Wenn also in der Zeit vor dem Irak-Krieg das Wort „Saddam“ genannt wurde, so rief dies
bei der Mehrzahl der Bewohner der USA etwa folgende Assoziationskette ab: Abgrundtief
böser Schurke, Tyrann und Massenmörder, der sein Volk unterjocht, dieser Schurke bedroht uns mit seinen Massenvernichtungswaffen, wir müssen unsere Lebensform verteidigen.
Ein Image ist also „die als dynamisch verstandene, bedeutungsgeladene, mehr oder weniger strukturierte Ganzheit der Wahrnehmungen, Vorstellungen, Ideen und Gefühle, die
eine Person – oder die Mehrzahl von Personen – von irgendeiner Gegebenheit besitzen.“31
„Beim Image handelt es sich nicht um ein Abbild eines Objektes, sondern um ein psychisches Konstrukt, das näher oder weiter vom gemeinten realen Objekt angesiedelt sein
kann, d.h. ein Image kann einen größeren oder geringeren Realitätsgehalt haben.“32
28
Schmitt, S. 13f.
Hans Wenke, Die geschichtliche Wahrheit und die historischen Klischees. In: Geschichte in Wissenschaft
und Unterricht, 12. Jahrgang, 1961, S. 623
30
Becker, S. 111
31
Gerhard Kleining, Image. In: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1969, S.
444
32
Becker, S. 112
29
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
9
„Je geringer der Zugang zur objektiven Beschaffenheit eines Meinungsgegenstandes, desto
größer ist nicht nur… die Plastizität zwischen dem Meinungsgegenstand und seinem
Image, sondern desto diffuser und weniger aufgegliedert – aber deshalb keineswegs weniger aufdringlich! – ist auch das Gesamterlebnis vom Meinungsgegenstand.“33
„Diese Erkenntnis ist für politische Images von außerordentlicher Bedeutung, weil hier
sehr häufig wenig oder gar kein Kontakt zum Meinungsgegenstand besteht. Dies gilt insbesondere für die auf dem Feld der internationalen Politik angesiedelten Images, für nationale Images und für Feindbilder. So kann die Interaktion […] zwischen Image und gemeinter Realität, nicht stattfinden, d.h. der Bürger begegnet dem Phänomen der internationalen
Politik nicht oder nur in Ausnahmefällen in der Realität, sondern nur auf der Imageebene.“34
Nun werden bei einer Vielzahl von Rezipienten identische oder ähnliche, gleichsam standardisierte geweckt, da „die Massenmedien […] den Ausgangspunkt für die Vermittlung
des gesellschaftlichen gemeinsamen Wissens“ bilden35. Es handelt sich bei Feindbildern
und Vorurteilen daher um stereotype Muster.
Feindbilder sind also meist gesellschaftlich produzierte Wahrnehmungsmuster.36
2.6 Tiefenpsychologische Ansätze
Die Tiefenpsychologie hat sich ebenfalls mit der Feindbild-Problematik beschäftigt. So
geht C.G. Jung davon aus, dass jeder Mensch bestimmte psychologische Inhalte im Schatten seiner Persönlichkeit mit sich trägt. Hierbei handelt es sich um all die Antiwerte, die in
unserem Schattenkomplex gespeichert sind, all das, was man an sich wissen könnte, was
man aber nicht wahrhaben will und all das, was man für böse hält, das Unangepasste, das
Kindische und was das Ich-Ideal nicht akzeptieren kann. Im Schatten werden „die dunkeln
Charakterzügen und Minderwertigkeiten, die als Emotionen im Schatten sitzen und eine
gewisse Autonomie besitzen“37, aufbewahrt.38
Diese „in den Schatten verdrängten Energien und [die] […] daraus entstehenden Phantasiebilder“39 werden nun in der Regel nach draußen projiziert, wobei allerdings nicht das
Ich, sondern das Unbewusste projiziert: „Man findet die Projektion vor, man macht sie
nicht.“40 Diese Projektion ruft nun starke Emotionen bei uns hervor, wobei wir die Ursachen für diese Emotionen beim anderen suchen.41 Wir haben also die „im Grunde teuflische Angewohnheit, unsere verdrängten Persönlichkeitsanteile anderen anzuhängen“42.
Durch diese Projektion sucht und findet man also beim anderen das, was man an sich selbst
ablehnt; der andere wird zum Sündenbock, zum Träger des Bösen, zum Feindbild.43
„Er stellt das Falsche, das nicht Lebbare, ja, das unbedingt zu Tötende dar.“44
33
Berndt Spiegel, Die Struktur der Meinungsverteilung im sozialen Feld - Ein psychologisches Marktmodell,
Bern 1961, S. 37
34
Becker, S. 112f.
35
Stacharowsky, S. 56
36
vgl. Becker, S. 113
37
C.G. Jung, Gesammelte Werke Band 9/2, "Anion", Der Schatten
38
vgl. Claret, S. 75
39
Claret, S. 79
40
Jung; vgl. Claret, S. 79
41
vgl. Claret, S. 79
42
Claret, S. 79
43
vgl. Claret, S. 80
44
Claret, S. 80
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
10
2.7 Zusammenfassung
Unter dem Begriff „Feindbild“ versteht man gemeinhin die nicht realitätsangemessene
Perzeption eines Individuums, einer sozialen Gruppe oder eines Akteurs der internationalen Politik unter dem Aspekt der Feindschaft. Hierbei ist zu beachten, dass das Bild vom
anderen starr und gegen die Realität und gegen Gegenargumente abgeschottet ist, d.h. es
wird im Normalfall nicht aufgrund neuer Erfahrungen revidiert. Hier ist eine Parallele zum
Vorurteil, das ebenfalls nicht realitätsangemessen ist und auch starr ist. Außerdem ist es
sowieso schwierig, die Realität objektiv zu analysieren; ebenso ist das Verhältnis Perzeption-Realität keineswegs statisch; sie beeinflussen sich gegenseitig.
Der Begriff „Feindbild“ setzt sich aus zwei Bedeutungszusammenhängen zusammen:
„Feind“ und „Bild“.
Wer als „Feind“ bezeichnet wird, der kann aufgrund des Halo-Effekts kaum mehr differenziert wahrgenommen werden; er wird als böse und als Bedrohung der eigenen Lebensweise
angesehen. Das ist wiederum für die Politik wichtig: Nur dieser Freund-Feind-Gegensatz
ermöglicht die Legitimation von Krieg, der Vernichtung des Feindes. Die Politiker müssen
sowieso, um all ihr Handeln zu rechtfertigen, versuchen, eine Freund-Feind-Gruppierung
für alles aufzuzeigen; auch Begriffe wie „Frieden“, „Freiheit“ oder „Demokratie“ werden
hauptsächlich durch diesen Gegensatz definiert.
„Feinde“ sind also für die Politik essentiell wichtig.
Der Bestandteil „Bild“ impliziert den Imagecharakter von Feindbildern: Bei Nennung des
Feindes kommt eine Assoziationskette in Gang, deren Glieder keinen logischen Zusammenhang haben, aber starke Emotionen wecken. Wenn die Massenmedien derartige
Images aufbauen, die mehr psychisches Konstrukt als realitätsgetreue Darstellung des Objekts sind, wird klar, dass Feindbilder gesellschaftlich produzierte Wahrnehmungsmuster
sind.
Die Tiefenpsychologie sieht die Ursache von Feindbildern in der Projektion der negativen,
verdrängten Eigenschaften desjenigen, der den anderen als Feind, als böse ansieht.
Auf die Ergebnisse dieses Teils werde ich später zurückkommen, da sie für meine nun folgenden empirischen Untersuchungen an der internationalen Presse insofern wichtig sind,
dass Saddam Hussein von Teilen derselben meiner Meinung nach zum Feindbild aufgebaut
wird.
3 Empirischer Teil
Zu großen Teilen habe ich mich hinsichtlich meiner Vorgehensweise an Heiner Stacharowskys Untersuchung der Berichterstattung zur Person Saddam Husseins während des
letzten Golfkrieges 1990/91 orientiert, in der gezeigt wurde, „wie ein Mächtiger aus der
Gemeinschaft Gleichrangiger ausgeschlossen und auf eine niedrigere Statusebene transformiert wird“.45
Stacharowsky befasste sich aber mehr mit der Frage, „welche Rolle die Berichterstatttung
über Kriminalität der Mächtigen im Rahmen der allgemeinen medialen Informationsverarbeitung zum Thema Kriminalität einnimmt und welcher Mechanismen sich Massenmedien
bedienen, um die Aufgabe von Personalisierung und Degradierung wahrzunehmen“.46
45
46
Stacharowsky, S. 2
Stacharowsky, S. 2
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
11
Außerdem ist an dieser Stelle festzuhalten, dass es sich bei der folgenden Untersuchung
nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung im eigentlichen Sinne handelt.
Das hat folgende Gründe:
Erstens beeinflusste schon die Auswahl der Zeitungen die Ergebnisse massiv (andere Zeitungen hätten andere Meinungen auf anderem Niveau vertreten); außerdem sind die untersuchten Zeitungen teilweise schwer vergleichbar: Sehr unterschiedlich sind Niveau und
Umfang der untersuchten Online-Berichterstattung, doch dazu später. Hätte ich mich für
andere Zeitungen entschieden, hätte dies also wesentlich andere Ergebnisse nach sich gezogen.
Ein zweiter Schwachpunkt meiner Arbeit ergibt sich daraus, dass ich die Zeitungen nur
einmal wöchentlich untersucht habe (siehe 3.1), woraus sich ergibt, dass nur ein Bruchteil
der Online-Berichterstattung in die Untersuchung einging. Um repräsentative Ergebnisse
zu erzielen, wäre die Online-Berichterstattung sieben Tage die Woche zu untersuchen gewesen, was aber den Arbeitsaufwand vervielfacht hätte.
Schließlich ist zu bemerken, dass eine rein quantitative Untersuchung nicht alle Fragen
beantworten kann. Um repräsentative Ergebnisse zu erzielen, genügt es nicht, Artikel auf
Charakterisierungen Saddam Husseins zu durchlesen; man hätte die untersuchten Artikel
vielmehr lesen müssen, was aber bei zeitweise bis zu 37 Artikeln pro Ausgabe den Arbeitsaufwand ins Unermessliche gesteigert hätte.
Aufgrund dieser drei Schwachpunkte der folgenden Untersuchung können die dabei erzielten Ergebnisse keineswegs absolut gesetzt werden; sie können aber einen Eindruck über
die Darstellung Saddam Husseins in verschiedenen internationalen Zeitungen und deren
Funktion vermitteln.
3.1 Vorgehensweise
Ich habe über den Zeitraum eines knappen Vierteljahres jeden Donnerstag verschiedene
internationale Zeitungen untersucht. Ich recherchierte nur einmal in der Woche und nicht
täglich, um den Arbeitsaufwand einigermaßen in Grenzen zu halten; selbstverständlich
ergeben sich hieraus Probleme: Ereignisse, die beispielsweise freitags waren, gingen darum nicht in die Untersuchung ein, weil am Donnerstag darauf im allgemeinen nicht mehr
darüber berichtet wurde.
Inhaltliche Abgrenzung:
Ich habe jeweils die Berichterstattung zum Irak-Konflikt untersucht, da ich auf der Suche
nach Charakterisierungen Saddam Husseins war.
Zeitliche Abgrenzung:
Ich begann meine Untersuchung am 23. Januar 2003, also während die Kriegsvorbereitungen der Amerikaner und der Briten auf Hochtouren liefen, kurz vor George Bushs Rede
zur Lage der Nation. Ich schloss die Untersuchung am 17. April 2003 ab, als Saddam Husseins Regime zusammengebrochen war, von Saddam Hussein also nur noch beispielsweise
als „Ex-Diktator“ die Rede war oder über sein Schicksal spekuliert wurde.
Diese zeitliche Abgrenzung finde ich deshalb sinnvoll, weil ich so auch untersuchen konnte, wie die Berichterstattung der verschiedenen Zeitungen auf Entwicklungen der internationalen Politik reagierten: Unter anderem auf die Kriegstrommeln vor dem 20. März 2003,
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
12
auf den Kriegsbeginn am 20. März 2003 und den Sturz des irakischen Regimes am 2. April
2003.
Ich habe nun jeden Donnerstag die Homepages des untersuchten Zeitungen besucht und
dort die Berichterstattung bezüglich des Irak-Konflikts untersucht: Ich habe jeweils gezählt, wie viele Artikel sich mit der Problematik beschäftigen und wie oft Saddam Hussein
neutral, politisch-kriminell, kriminell, pathologisch, beleidigend oder sonst pejorativ (abwertend) charakterisiert wird (doch dazu später).
Hier treten die ersten Probleme bei der Vergleichbarkeit der Ergebnisse auf, da ich feststellte, dass es zwei Arten von Zeitungs-Homepages gibt.
a) Onlineversion der gedruckten Ausgabe ohne Zusatzmaterial
Auf dieser Sorte Zeitungs-Homepage kann man die gedruckte Tagesausgabe der Zeitung
online nachlesen, ohne sich die Zeitung kaufen zu müssen. Es gibt aber keinerlei zusätzliche Meldungen, Reportagen, Kommentare o.ä. auf der Homepage. Daraus ergibt sich, dass
auf dieser Sorte Zeitungs-Homepage nur Artikel zu finden sind, die vor Redaktionsschluss,
also in den Abendstunden des Vortages, verfasst wurden. Ereignisse, die nach dem Redaktionsschluss stattfanden, gehen nicht in die Online-Berichterstattung ein.
Untersuchte Zeitungen, die in diese Kategorie gehören: Jordan Times und die taz.
b) Onlineversion der gedruckten Ausgabe mit Zusatzmaterial
Auch hier kann man die gedruckte Tagesausgabe der Zeitung online nachlesen, ohne sich
die Zeitung kaufen zu müssen; allerdings gibt es auf dieser Sorte Zeitungs-Homepage noch
zusätzliche Meldungen, Reportagen, Kommentare o.ä., die aber nicht immer als nicht in
der gedruckten Tagesausgabe befindlich gekennzeichnet sind. Diese Sorte ZeitungsHomepage wird laufend auf den neuesten Stand gebracht und mit neuen Artikeln versehen;
daher gehen auch Ereignisse, die nach dem Redaktionsschluss der gedruckten Ausgabe,
stattfanden.
Untersuchte Zeitungen, die in diese Kategorie gehören: Le Monde, USA TODAY und The
Sun.
Aus diesen beiden Arten ergibt sich, dass sich die Zeitungs-Homepages mit Zusatzmaterial
erstens viel intensiver mit der Irak- und der Saddam-Problematik auseinandersetzen als die,
die lediglich eine Onlineversion der gedruckten Tagesausgabe enthalten. Daraus ergibt
sich, dass auf diesen Homepages mit Zusatzmaterial die Person Saddam Hussein viel öfter
erwähnt bzw. charakterisiert wird.
Zweitens sind die Zeitungs-Homepages mit Zusatzmaterial aktueller als die anderen, da sie
laufend auf den neuesten Stand gebracht werden. Ereignisse, von denen auf Homepages
mit bloßen Onlineversionen der gedruckten Ausgabe, erst am nächsten Tag berichten werden, gehen bereits in die Online-Berichterstattung der Zeitungs-Homepages mit Zusatzmaterial ein. Das wird nachher zum Beispiel bei Kriegsbeginn wichtig. Dieser war am Donnerstag, den 20. März 2003 in den frühen Morgenstunden, also lang nach dem Redaktionsschluss für die Donnerstagsausgabe. Daher war an diesem Donnerstag nur auf den Homepages der Sorte b) vom Kriegsausbruch die Rede; die anderen mussten sich mit dem amerikanisch-britischen Einmarsch in die demilitarisierte Zone zwischen Kuwait und Irak begnügen.
Man kann die absoluten Zahlen der jeweiligen Charakterisierungen also nur schwer miteinander vergleichen; man muss immer auch die Art der Homepage im Hinterkopf behalten.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
13
3.2 Die untersuchten Zeitungen
Ich habe mich für fünf Zeitungen aus völlig verschiedenen Regionen der Erde mit völlig
verschiedenen Einstellungen zum Irak-Krieg entschieden. Sie mussten außerdem in Sprachen veröffentlicht werden, die ich einigermaßen beherrsche, sie mussten also deutsch-,
englisch- oder französischsprachig sein. Zuletzt war zu beachten, dass die Zeitungen Homepages haben mussten, auf denen man (auch als Nicht-Abonnent) die Berichterstattung
einsehen kann.
Ich entschied mich daher für die Jordan Times, die taz, Le Monde, USA TODAY und The
Sun, auf die ich im Folgenden näher eingehen will.
3.2.1 Jordan Times
Die Jordan Times ist eine englischsprachige Zeitung aus Jordanien, einem relativ demokratischen Anrainerstaat des Iraks mit relativ pro-westlichem Regime. Ihre Auflage beträgt
etwa 10.000 Stück; von der politischen Stoßrichtung her ist sie eher gemäßigt.
Sie hat sich von Anfang an immer vehement gegen den Irak-Krieg ausgesprochen.
Im Internet ist die Jordan Times unter http://www.jordantimes.com/ zu finden; es handelt
sich hierbei um eine bloße Onlineversion der gedruckten Ausgabe ohne Zusatzmaterial,
woraus sich bestimmte Konsequenzen ergeben (siehe 3.1).
3.2.2 taz
Sie ist die einzige alternative Tageszeitung Deutschlands und wurde 1979 gegründet. Sie
hat eine Auflage von knapp 50.000 Stück. Weil sie ihren Lesern und Machern gehört, ist
sie frei von verlegerischem Einfluss. Ihr Schwerpunkt liegt auf Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur. Politisch ist sie eher linksgerichtet; sie war von Anfang
an gegen den Irak-Krieg.
Die gedruckte Ausgabe der taz kann man auch unter http://www.taz.de/ nachlesen; Zusatzmaterial wird hier allerdings nicht zur Verfügung gestellt (siehe 3.1).
3.2.3 Le Monde
Le Monde ist eine französische Tageszeitung, die von vielen Intellektuellen gelesen wird.
Sie hat eine Auflage von stark einer halben Million Stück; auch sonst geht es ihr wirtschaftlich gut, weil sie es geschafft hat, ihre Auflage zu erhöhen. Sie wurde nach dem 2.
Weltkrieg von Hubert Beuve-Méry auf Initiative von Charles de Gaulle gegründet. Die
Informationen sind sehr gut recherchiert und die Berichterstattung ist umfassend.
Le Monde hat einen recht guten Internetauftritt unter der Adresse http://www.lemonde.fr/;
hier ist auch viel interessantes Zusatzmaterial zu finden (siehe 3.1).
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
14
3.2.4 USA TODAY
USA TODAY ist eine englischsprachige Zeitung aus den USA. Ihre Auflage beträgt ungefähr 2,2 Millionen Stück; damit ist USA TODAY die meistverkaufte Tageszeitung in den
USA.
Politisch hat diese Zeitung die Kriegspropaganda der US-Regierung immer unterstützt.
Das Niveau von USA TODAY ist hingegen relativ niedrig.
USA TODAY hat auch eine recht übersichtliche Homepage: http://www.usatoday.com/.
Hier hat man auch Zugang zu vielem Zusatzmaterial (siehe 3.1).
3.2.5 The Sun
The Sun ist eine englischsprachige Zeitung aus Großbritannien. Ihre Auflage beträgt ungefähr 3,8 Millionen; damit ist The Sun die meistverkaufte Tageszeitung Großbritanniens.
Vom Niveau her ist The Sun in die Kategorie der Boulevardpresse, der Revolverblätter
einzuordnen; auf seriösen Journalismus wird hier weitestgehend verzichtet. The Sun unterstützte von Anfang an den Kriegskurs der amerikanischen und der britischen Regierung.
Die Homepage von The Sun ist unter http://www.thesun.co.uk/ zu finden, sie ist allerdings
recht unübersichtlich. Auch The Sun veröffentlicht zusätzliche Artikel im Internet (siehe
3.1).
3.3 Kategorien der Charakterisierungen Saddam Husseins
Grundsätzlich lassen sich die Beschreibungen Saddam Husseins in zwei Gruppen einteilen:
Saddam Hussein kann entweder neutral oder pejorativ, also degradierend, abwertend beschrieben werden.
3.3.1 Neutrale Erwähnungen
Zu dieser Kategorie habe ich bloße Namensnennungen Saddam Husseins sowie all jene
Charakterisierungen der Person Saddam Husseins gezählt, die keinerlei abwertenden Inhalt
haben.47
Als neutral habe ich unter anderem eingestuft:
Saddam, Hussein, Saddam Hussein, (Irakischer) Präsident, (Irakischer) Staatschef usw.
3.3.2 Pejorative Beschreibungen
All diesen Beschreibungen der Person Saddam Husseins ist der abwertende Inhalt gemeinsam. Ich habe die Degradierungen in fünf Kategorien unterteilt:
47
vgl. Stacharowsky, S. 79f.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
15
Politisch-kriminelle Charakterisierungen:
Sie beziehen sich auf die Position Saddams als Staatsmann, als Politiker. Sie haben nur
gegenüber einem Politiker ihre Berechtigung und wirken auch nur gegenüber einem Politiker degradierend.48
Als politisch-kriminelle Charakterisierungen habe ich unter anderem eingestuft:
Tyrann, (Irakischer) Diktator, Despot, brutaler Herrscher, zutiefst repressiver Machthaber
usw.
Doch so einfach war es nicht immer: Wenn eine Zeitung beispielsweise schrieb, Saddam
Hussein müsse gestürzt werden, dann habe ich das auch als politisch-kriminelle Charakterisierung eingestuft, da nur ein Politiker gestürzt werden kann und die Aussage, er müsse
gestürzt werden, impliziert eine Degradierung Saddam Husseins.
Kriminelle Charakterisierungen:
Sie bezeichnen Saddam Hussein als kriminell im Sinne allgemein verbreiteter Kriminalität.
Derartige Degradierungen können gegenüber jedermann verwendet werden; sie sind meist
dem Strafgesetzbuch entnommen.49 Doch auch hier stieß ich wieder auf Probleme, als ich
beispielsweise auf Aussagen stieß, die besagten, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Nun habe ich folgende Überlegung angestellt: Wenn die UN Waffeninspekteure in den Irak schickt, um etwaige Massenvernichtungswaffen zu vernichten, dann ist es
wohl (nach „UNO-Recht“) verboten, Massenvernichtungswaffen zu besitzen. Jemand, der
sie dennoch besitzt, würde sich demnach „strafbar“ machen. Er wäre somit kriminell, und
der Vorwurf, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, wäre eine kriminelle
Charakterisierung und wäre folglich in diese Kategorie einzuordnen. (Selbstverständlich ist
mir bewusst, wie anfechtbar diese Argumentation ist. Natürlich haben auch die USA Massenvernichtungswaffen, aber bei ihnen wird das gemeinhin nicht als kriminell angesehen.
Bei Saddam Husseins angeblichen Massenvernichtungswaffen wird aber immer der kriminelle Gehalt dieses Sachverhaltes betont, obwohl es natürlich kein Gesetz gibt, das besagt,
Saddam als von der westlichen Welt als „Schurke“ bezeichneter irakischer Staatschef mache sich strafbar, wenn er Massenvernichtungswaffen besitzt.)
Auch wenn von angeblichen Verbindungen Saddam Husseins zu Al Kaida oder zu palästinensischen Selbstmordattentätern die Rede war, habe ich das als kriminell eingestuft, da
beispielsweise die deutsche Justiz gegen Mitglieder und Unterstützer von Al Kaida vorgeht, sie eine Verbindung also als strafbar ansieht.
In die Kategorie krimineller Charakterisierungen habe ich unter anderem eingeordnet:
Massenmörder; Krimineller; besitzt und verwendet Massenvernichtungswaffen; unterstützt
und fördert Al Kaida, palästinensische Selbstmordattentäter, antiiranische Guerillas und
andere islamistische Terroristen; könnte Ölfelder sowie Brücken und Infrastruktur zerstören usw.
Pathologische Charakterisierungen:
Hier werden Saddam Hussein physische bzw. psychische Defekte unterstellt.50 Auch hier
gab es Grenzfälle, wenn Saddam als „evil“, also als abgrundtief böse dargestellt wurde. In
diesen Fällen ging aber aus dem Kontext hervor, dass das Attribut „evil“ einen psychischen
Defekt beschreiben soll; es implizierte in diesen Zusammenhängen, dass eine Therapie
nichts nutzen würde, und dass „Bosheit“ einfach ein psychischer Defekt ist. Daher habe ich
auch Charakterisierungen wie „evil“ in die Kategorie pathologischer Charakterisierungen
eingeordnet.
Andere Beispiele waren:
48
vgl. Stacharowsky, S. 80f.
vgl. Stacharowsky, S. 80f.
50
vgl. Stacharowsky, S. 80f.
49
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
16
Gefährlicher Geisteskranker, Therapie aussichtslos, verrückt, Fanatiker usw.
Beleidigende Charakterisierungen:
Hier wird Saddam Husseins personaler Wert angegriffen, er wird im strafrechtlichen Sinne
beleidigt.51
In die Kategorie der Beleidigungen ordnete ich unter anderem ein:
Feigling (bezogen auf 1991, als er keinen nennenswerten Widerstand leistete), Hund,
„Damn your moustache!“ (etwa: „Leck mich doch mit deinem scheiß Schnauzbart!“),
denkt in Kamelen und Schwertern, Lügner, Problem, arrogant, man darf ihm keinen Funken Vertrauen entgegenbringen, hat ein aufgedunsenes Gesicht, wurde hoffentlich schon
beim ersten Angriff getötet, ungezogenes Kind der Weltpolitik, Kopf des „dirty dozen“
(des „Schmutzigen Dutzend“), mit ihm muss abgerechnet werden, gehört zu einem Haufen
Desperados, läuft (unpraktischerweise) immer noch frei herum, wird Gott viel zu erklären
haben usw.
Sonstige Degradierungen:
Wenn sich eine negative Charakterisierung in keine der obigen Gruppen einordnen ließ, so
habe ich sie in diese Kategorie eingeordnet.
In die Kategorie der sonstigen Degradierungen habe ich unter anderem eingeordnet:
Kooperiert nicht mit den UN-Waffeninspektoren, spielt nicht nach den eindeutigen Regeln
des UN-Sicherheitsrates, grausam, skrupellos usw.
3.3.3 Zitate als Sonderfall
Wenn in den untersuchten Zeitungen Saddam Hussein charakterisierende Zitate auftraten,
stellte ich fest, ob sich die entsprechende Zeitung der Meinung tendenziell eher anschloss
oder nicht. Wenn sie sich der Aussage ungefähr anschließen konnte, ging die Charakterisierung ganz normal in die Untersuchung ein; war jedoch eindeutig erkennbar, dass die
entsprechende Zeitung die Aussage nur abdruckt, weil sie beispielsweise von US-Präsident
Bush stammt, habe ich das Zitat in die Kategorie der neutralen Charakterisierungen eingeordnet; wenn beispielsweise die Jordan Times, die sich entschieden gegen den Irak-Krieg
aussprach, eine Aussage von George W. Bush abdruckte, Saddam Hussein besitze erwiesenermaßen Massenvernichtungswaffen, habe ich diese Charakterisierung nicht in die Kategorie der kriminellen, sondern in die der neutralen Charakterisierungen eingeordnet, da
sich die Jordan Times hier der Meinung Bushs nicht anschließen kann.
3.4 Die Ereignisse rund um den Irak-Krieg
Die Berichterstattungen der einzelnen Zeitungen wurden natürlich durch die Ereignisse in
der Weltpolitik beeinflusst, dabei hauptsächlich diejenigen Ereignisse, die in den zwei Tagen vor Erscheinen der jeweiligen Ausgabe stattfanden.
Daher will ich nun die für die Berichterstattung der jeweiligen Ausgabe wichtigsten Ereignisse aufzeigen:
51
vgl. Stacharowsky, S. 80f.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
17
23. Januar 2003: Am Vortag hatte US-Präsident George W. Bush in einer Rede gesagt,
die Zeit für Saddam Hussein abzurüsten, laufe aus („Time’s running out.“). Der deutsche
Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Präsident Jacques Chirac hatten in
einer gemeinsamen Erklärung ihre Kriegsgegnerschaft noch einmal betont.
30. Januar 2003: Am Vortag hatte US-Präsident Bush seine Rede zur Lage der Nation
(state of the union) gehalten und darin noch einmal für den Irak-Krieg geworben.
6. Februar 2003: Zwei Tage zuvor hatte der amerikanische Außenminister Colin Powell
dem UN-Sicherheitsrat „Beweise“ dafür vorgelegt, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze und herstelle, und dass er Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Kaida habe. Die Kriegsgegner waren damit aber nicht zu überzeugen.
13. Februar 2003: Am 11. Februar hatte der arabische Fernsehsender Al Dschasira ein
Tonband des angeblichen Drahtziehers der Anschläge des 11. September 2001 veröffentlicht.
20. Februar 2003: Am 19. Februar hatte die britische Regierung den Vorschlag einer neuen Irak-Resolution eingebracht, in der Saddam Hussein der Bruch der Resolution 1441, die
die Abrüstung Iraks unter Aufsicht von UN-Waffeninspektoren vorsah. Diese neue Resolution sollte einen Irak-Krieg legitimieren.
27. Februar 2003: Am 25. Februar hatte Saddam Hussein dem amerikanischen Fernsehsender CBS ein Interview gegeben, in dem er noch einmal betont hatte, er besitze keinerlei
Massenvernichtungswaffen. Am 26. Februar trafen sich der französische Präsident Jacques
Chirac, der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin und betonten und begründeten noch einmal ihre Kriegsgegnerschaft. Im UNSicherheitsrat war zu diesem Zeitpunkt ein Geschacher über das Abstimmungsverhalten
über eine neue Irak-Resolution im Gange; die Kriegsbefürworter und die Kriegsgegner
versuchten, noch unentschlossene Ratsmitglieder von ihrer Haltung zu überzeugen.
6. März 2003: Zwei Tage zuvor hatte der amerikanische Außenminister Colin Powell gesagt, der Krieg werde stattfinden – notfalls auch ohne Unterstützung und Legitimation
durch die UN.
13. März 2003: Am 11. März hatte sich die Mehrheit der Mitglieder des UNSicherheitsrates für eine Verlängerung und Intensivierung der Waffeninspektionen im Irak
ausgesprochen. Am 12. März hatten die Briten einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt, in dem
genau festgeschrieben war, welche Kriterien Saddam Hussein bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt zu erfüllen habe. Dieser Plan sollte dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt werden.
20. März 2003: Am 18. März hatte der britische Premierminister Tony Blair bei einer Abstimmung bezüglich des Irak-Krieges im britischen Unterhaus wieder Gegenstimmen aus
den eigenen Labour-Reihen hinnehmen müssen. Am 19. März waren die amerikanischen
und britischen Truppen in die demilitarisierte Zone zwischen Kuwait und Irak einmarschiert. Am 20. März begann in den frühen Morgenstunden der Krieg.
27. März 2003: Die amerikanischen und britischen Truppen hatten Fortschritte erzielt: Sie
hatten nach eigenen Angaben die Hafenstadt Umm Kasr unter ihre Kontrolle gebracht und
rückten auf Bagdad vor.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
18
3. April 2003: Bei Bombenangriffen auf Bagdad hatte es viele zivile Opfer gegeben.
10. April 2003: Am 9. April waren amerikanische und britische Truppen in Bagdad einmarschiert; das irakische Regime war zusammengebrochen; Saddam-Statuen wurden gestürzt.
17. April 2003: Am Vortag hatte der mit dem Wiederaufbau des Irak beauftragte USGeneral a.D. Jay Garner irakische Oppositionelle getroffen, um mit ihnen über die Zukunft
des Irak zu sprechen.
Die wichtigsten Ereignisse habe ich in die nachher folgenden Schaubilder eingetragen,
damit Tendenzen der Berichterstattung mit Ereignissen gekoppelt werden können.
3.5 Empirische Untersuchungen an den Darstellungen der
Person Saddam Husseins und Funktion derselben
3.5.1 Anzahl der Saddam Hussein betreffenden Artikel pro Ausgabe
im Laufe der Zeit bei den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
Zunächst habe ich die Anzahl der Artikel, die sich mit dem Irak und Saddam Hussein beschäftigen, gezählt, die jeweils in einer Ausgabe der entsprechenden Zeitung sind.
40
35
30
25
20
15
10
5
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times*
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde**
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
(Le Monde)
USA TODAY
The Sun
0
23.1.
Jordan Times
30.1.
6.2.
state of the
union
Powells
"Beweise"
taz
13.2.
Le Monde
20.2.
27.2.
6.3.
Geschacher mit oder ohne
im
UN
Sicherheitsrat
USA TODAY
13.3.
20.3.
Kriegs-beginn
27.3.
3.4.
10.4.
Regime bricht
zusammen
The Sun
Legende:
(Zeitung) = Weil der Server überlastet war, war leider keiner Recherche möglich.
* Aufgrund des islamischen Feiertages Hajj erschien an diesem Donnerstag die Jordan Times nicht; ich habe daher die Ausgabe vom
14.2. untersucht.
17.4.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
19
** In Le Monde wird ein Kurde mit den Worten zitiert: „Ich mag Saddam Hussein. Er ist ein mutiger Präsident und ich respektiere ihn.“
Dann schreibt Le Monde: „Er [der Kurde] verehrt ihn [Saddam Hussein].“ Das sind vier positive Charakterisierungen; ich habe daher
von den je drei politisch-kriminellen sowie kriminellen Degradierungen Saddams je zwei nicht in die Untersuchung mit einbezogen,
damit sich positive und negative Charakterisierungen wieder ausgleichen.
Beobachtung:
Schon auf den ersten Blick fällt hier auf, dass bei allen Zeitungen wichtige Ereignisse im
Zusammenhang mit dem Irak-Krieg und Saddam Hussein immer eine Erhöhung der Anzahl der Saddam betreffenden Artikel nach sich zog – je wichtiger das Ereignis, desto ausführlicher war die Berichterstattung. So ziehen beispielsweise George Bushs Rede zur Lage der Nation und Colin Powells „Beweise“ gegen Saddam Hussein nur mäßige Erhöhungen der Artikelanzahl mit sich; der Kriegsbeginn hingegen lässt die Artikelanzahl bei allen
untersuchten Zeitungen explosionsartig in die Höhe schießen.
Interpretation:
Diese Entwicklung ist wohl darauf zurückzuführen, dass das öffentliche Interesse, nach
dem sich die Zeitungen ja richten, nach großen Ereignissen größer wird. Zu Beginn der
Untersuchung war daher die Artikelanzahl relativ gering. Als schließlich das SaddamRegime gestürzt war, also am Ende des Untersuchungszeitraumes, wurde es wieder still
um den Irak und Saddam.
Beobachtung:
Vergleicht man die Daten der Zeitungen untereinander, fällt vor allem bei der Jordan Times etwas Interessantes auf: Die jordanische Zeitung hat von Anfang an größeres Interesse
an der Thematik gezeigt als beispielsweise die deutsche taz – ja, anfangs sogar mehr als Le
Monde und The Sun, die ja aufgrund der Sorte ihrer Homepage (siehe 3.1) fast automatisch
mehr Artikel zu diesem Thema veröffentlichen müssten als die Jordan Times.
(Die Jordan Times und die taz lassen sich was das anbelangt recht gut miteinander vergleichen: Sie haben eine ähnliche Grundhaltung – sie sind gegen den Krieg, und sie haben die
gleiche Sorte Homepage – siehe 3.1.)
Interpretation:
Dieses Mehr an Artikeln in der Jordan Times führe ich darauf zurück, dass Jordanien als
Nachbarland des Iraks von der dortigen Entwicklung viel unmittelbarer betroffen ist als
Deutschland oder Frankreich oder England: Wenn zum Beispiel Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen eingesetzt hätte, wären hiervon die Jordanier vermutlich wesentlich
mehr betroffen gewesen als Deutschland, Frankreich oder England.
3.5.2 Anzahl der Erwähnungen Saddam Husseins pro Ausgabe und
pro Artikel im Laufe der Zeit bei den verschiedenen Zeitungen und
Interpretation derselben
Nun habe ich untersucht: Wie oft wird Saddam Hussein jeweils pro Ausgabe erwähnt?
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
20
180
160
140
120
100
80
60
40
20
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times*
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde**
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
(Le Monde)
USA TODAY
The Sun
0
23.1.
30.1.
6.2.
13.2.
state of the
Powells
union
"Beweise"
Jordan Times
taz
Le Monde
20.2.
27.2.
6.3.
Geschacher mit oder
im
ohne UN
Sicherheitsrat
USA TODAY
13.3.
20.3.
Kriegsbeginn
27.3.
3.4.
10.4.
Regime
bricht
zusammen
The Sun
Legende:
(Zeitung) = Weil der Server überlastet war, war leider keiner Recherche möglich.
* Aufgrund des islamischen Feiertages Hajj erschien an diesem Donnerstag die Jordan Times nicht; ich habe daher die Ausgabe vom
14.2. untersucht.
** In Le Monde wird ein Kurde mit den Worten zitiert: „Ich mag Saddam Hussein. Er ist ein mutiger Präsident und ich respektiere ihn.“
Dann schreibt Le Monde: „Er [der Kurde] verehrt ihn [Saddam Hussein].“ Das sind vier positive Charakterisierungen; ich habe daher
von den je drei politisch-kriminellen sowie kriminellen Degradierungen Saddams je zwei nicht in die Untersuchung mit einbezogen,
damit sich positive und negative Charakterisierungen wieder ausgleichen.
Beobachtung:
Wenn man sich dieses Diagramm ansieht, kann man erkennen, dass, einschneidende Ereignisse in der Irak- und Saddam-Thematik deutliche Steigerungen der Anzahl der Erwähnungen Saddams nach sich ziehen; je einschneidender das Ereignis, desto eklatanter die
Steigerung.
Interpretation:
Je mehr die Irak-Problematik ins Gespräch kam, umso mehr kam auch die Person ins Gespräch, die mit diesen Ereignissen gemeinhin zentral verbunden wird – Saddam Hussein.
Das macht es für die Leser einfacher, Ereignisse einzuordnen: Wenn man ein Ereignis mit
einer Person verbinden kann, ist das Ereignis leichter greifbar als wenn es nur abstrakt geschildert wird. Man spricht von Personalisierung.
Beobachtung:
Bei der Jordan Times findet indes eine interessante Entwicklung statt: Die Anzahl der Erwähnungen Saddam Husseins ist über den gesamten Untersuchungszeitraum relativ konstant – bis auf die Ausgabe vom 10.4., als vom Zusammenbruch des irakischen Regimes
berichtet wird. In dieser Ausgabe wird Saddam Hussein etwa fünfmal so oft erwähnt wie
im Durchschnitt.
Interpretation:
17.4.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
21
Das hängt vermutlich damit zusammen, dass Saddam Hussein für den Nahen Osten eine
zentrale Rolle spielte; so auch für die arabische Bevölkerung. Aus den oben beschriebenen
Gründen (siehe 3.5.1) ist die Jordan Times gegen den Krieg und beschränkte sich nicht nur
auf Artikel über die Person Saddam Hussein, sondern ging auch ausführlich auf andere
Aspekte wie das Schicksal der irakischen Zivilbevölkerung usw. ein. Da aber Saddam
Hussein für den Nahen Osten so wichtig war, hatte jener doch ein Vierteljahrhundert lang
über den Irak geherrscht, und Saddam nun gestürzt war, ließ es sich die Jordan Times nicht
nehmen, über dieses Thema und speziell über Saddam Hussein ausgiebig zu berichten.
Beobachtung:
Bei den anderen Zeitungen verläuft die Entwicklung eher parallel zur Anzahl der Artikel
zu diesem Thema (siehe 3.5.1), nur ausgeprägter.
Beobachtung:
Wenn man außerdem die Entwicklungen von Le Monde und USA TODAY vergleicht, die
sich recht gut vergleichen lassen, weil sie die gleiche Sorte Homepage haben (siehe 3.1),
dann wird man Erstaunliches feststellen: Obwohl Le Monde auf seiner Homepage meist
mehr Artikel zum Thema Irak und Saddam veröffentlicht hat (siehe 3.5.1), wird die Person
Saddam Hussein auf der Homepage von USA TODAY viel öfter erwähnt.
Interpretation:
Das ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass Le Monde das Thema von allen Seiten zu
beleuchten versucht, also auch auf das Schicksal der irakischen Zivilbevölkerung etc. eingeht, wohingegen ich bei USA TODAY den Eindruck hatte, dass diese Zeitung versucht,
seinen Lesern klarzumachen, dass bei Nennung des Wortes „Irak“ nur an „Saddam“ zu
denken ist (und nicht, wie bei Le Monde, auch an die irakische Zivilbevölkerung etc.), um
die Situation für die Leser übersichtlich und einfach zu halten. Vermutlich aus diesem
Grunde wird Saddam Hussein von USA TODAY durchschnittlich pro Artikel öfter erwähnt als beispielsweise von Le Monde:
6.00
5.00
4.00
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
3.00
2.00
1.00
0.00
1
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
22
3.5.3 Anzahl neutraler Erwähnungen Saddam Husseins pro Ausgabe
im Laufe der Zeit bei den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
Als nächstes habe ich untersucht, wie oft Saddam Hussein jeweils neutral (siehe 3.3.1)
beschrieben wird.
140
120
100
80
60
40
20
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times*
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde**
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
(Le Monde)
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
0
23.1.
30.1.
6.2.
13.2.
state of the Powells
union
"Beweise"
Jordan Times
taz
Le Monde
20.2.
27.2.
6.3.
13.3.
Geschacher mit oder
im
ohne UN
Sicherheitsrat
USA TODAY
20.3.
Kriegsbeginn
27.3.
3.4.
10.4.
17.4.
Regime
bricht
zusammen
The Sun
Legende:
(Zeitung) = Weil der Server überlastet war, war leider keiner Recherche möglich.
* Aufgrund des islamischen Feiertages Hajj erschien an diesem Donnerstag die Jordan Times nicht; ich habe daher die Ausgabe vom
14.2. untersucht.
** In Le Monde wird ein Kurde mit den Worten zitiert: „Ich mag Saddam Hussein. Er ist ein mutiger Präsident und ich respektiere ihn.“
Dann schreibt Le Monde: „Er [der Kurde] verehrt ihn [Saddam Hussein].“ Das sind vier positive Charakterisierungen; ich habe daher
von den je drei politisch-kriminellen sowie kriminellen Degradierungen Saddams je zwei nicht in die Untersuchung mit einbezogen,
damit sich positive und negative Charakterisierungen wieder ausgleichen.
Beobachtung:
Betrachtet man dieses Diagramm, kann man feststellen, dass für die Jordan Times ungefähr
die gleiche Beobachtung wie oben gilt: Die Anzahl der neutralen Beschreibungen ist relativ konstant, doch am Tag nach dem Zusammenbruch des Saddam-Regimes schießt sie
explosionsartig nach oben.
Interpretation:
Das ist wahrscheinlich deshalb so, weil Saddam Hussein für den Nahen Osten und die arabische Bevölkerung eine immense Bedeutung hatte. (siehe 3.5.2)
Durchschnitt
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
23
Beobachtung:
Auch für Le Monde gilt ähnliches wie oben (siehe 3.5.2): Je mehr die Irak- und die Saddam-Problematik ins Zentrum der öffentlichen Diskussion rückt, desto mehr häufen sich
auch die neutralen Erwähnungen Saddam Husseins. Le Monde ist unter den untersuchten
Zeitungen diejenige, die Saddam Hussein mit Abstand am öftesten neutral charakterisiert
oder erwähnt.
Beobachtung:
Für die taz gilt ähnliches wie für Le Monde, nur spielen sich die Entwicklungen und die
Werte in einem viel kleineren Rahmen ab.
Interpretation:
Das ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die taz aufgrund der Art ihrer Homepage
(siehe 3.1) weniger über die Irak- und Saddam- Problematik berichtet.
Beobachtung:
USA TODAY erwähnt Saddam Hussein verglichen mit Le Monde recht selten neutral; in
der Phase zwischen Kriegsausbruch und dem Sturz Saddams erwähnt allerdings auch USA
TODAY Saddam Hussein relativ oft neutral.
Beobachtung:
The Sun gelingt es praktisch durchgängig, neutrale Beschreibungen zu vermeiden.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
24
3.5.4 Anzahl der pejorativen Charakterisierungen pro Ausgabe im
Laufe der Zeit bei den verschiedenen Zeitungen: Degradierung und
Funktion derselben
Nun habe ich die Anzahl der Degradierungen Saddam Husseins verglichen.
140
120
100
80
60
40
20
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times*
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
(Jordan Times)
taz
Le Monde**
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
(Le Monde)
USA TODAY
The Sun
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
0
23.1.
30.1.
6.2.
13.2.
state of the Powells
union
"Beweise"
Jordan Times
taz
Le Monde
20.2.
27.2.
6.3.
13.3.
Geschacher mit oder
ohne UN
im
Sicherheitsrat
USA TODAY
20.3.
Kriegsbeginn
27.3.
3.4.
10.4.
17.4.
Regime
bricht
zusammen
The Sun
Legende:
(Zeitung) = Weil der Server überlastet war, war leider keiner Recherche möglich.
* (Jordan Times, 13.2.) Aufgrund des islamischen Feiertages Hajj erschien an diesem Donnerstag die Jordan Times nicht; ich habe daher
die Ausgabe vom 14.2. untersucht.
** (Le Monde, 13.3.) Ein Kurde mit den Worten zitiert: „Ich mag Saddam Hussein. Er ist ein mutiger Präsident und ich respektiere ihn.“
Dann schreibt Le Monde: „Er [der Kurde] verehrt ihn [Saddam Hussein].“ Das sind vier positive Charakterisierungen; ich habe daher
von den je drei politisch-kriminellen sowie kriminellen Degradierungen Saddams je zwei nicht in die Untersuchung mit einbezogen,
damit sich positive und negative Charakterisierungen wieder ausgleichen.
Beobachtung:
Wenn man sich dieses Schaubild ansieht, fällt auf, dass sich die Zeitungen hier eindeutig in
zwei Gruppen aufteilen lassen: In die eine gehören die Jordan Times, die taz und Le Monde, in die andere USA TODAY und The Sun.
Gruppe 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass sie Saddam Hussein praktisch nie degradiert;
eigentlich wird Saddam Hussein nur nach dem Zusammenbruch seines Regimes in nennenswertem Ausmaße pejorativ charakterisiert.
Gruppe 2 hingegen orientiert sich in der Vorkriegsphase mit der Anzahl der Degradierungen an der Kriegspropaganda der amerikanischen und der britischen Regierung: Nachdem
US-Präsident George W. Bush seine Rede zur Lage der Nation gehalten hat und eindringlich für den Krieg geworben hat, geht die Anzahl der Degradierungen nach oben; nachdem
der amerikanische Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat seine „Beweise“
Durchschnitt
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
25
gegen Saddam vorgebracht hat und will, dass der Sicherheitsrat den Krieg legitimiert, erreicht die Anzahl der Degradierungen Saddam Husseins ihren Höhepunkt. Zum Kriegsbeginn hin steigert sich die Anzahl der Degradierungen Saddam Husseins noch einmal; dieses Niveau wird dann bis zum Sturz des Saddam-Regimes ungefähr gehalten; dann ebben
die Degradierungen schlagartig ab.
Interpretation:
Um diese Entwicklung zu verstehen, ist es wichtig, sich die Feindbildproblematik noch
einmal ins Gedächtnis zu rufen (siehe 2).
USA TODAY und The Sun sind für den Krieg; ihnen ist daher wohl daran gelegen, selbigen zu legitimieren. Und nach Carl Schmitt (siehe 2.5.1) ist die einzige Möglichkeit, einen
Krieg zu legitimieren, die Stigmatisierung einer Person oder einer Gruppe von Personen
zum „Feind“: Weil sich die Bevölkerung von einem „Feind“ in ihrer Existenzform angegriffen fühlt, will sie diese nun verteidigen und den „Feind“ vernichten. Eine andere Legitimation des Krieges wie beispielsweise eine Interessenskollision (oder der Besitz von
Massenvernichtungswaffen) ist demnach nicht möglich.
Vermutlich muss also Saddam Hussein für USA TODAY und The Sun als „Feind“ herhalten, um den Irak-Krieg zu legitimieren. Um dies zu bewerkstelligen, sehen sie praktisch
von jeglicher Differenzierung ab, wie man an den äußerst dünn gesäten neutralen Erwähnungen Saddam Husseins sieht: Einzelurteile (z.B. „Saddam Hussein hat 1991 ein Massaker an aufständischen Schiiten verübt.“) werden nach dem Negativen vereinheitlicht (HaloEffekt, siehe 2.5.1); alles an Saddam ist dann in der Wahrnehmung feindlich. Saddam Hussein wird also zum Feindbild aufgebaut; er bekommt das Image (siehe 2.5.2) des Schreckensherrschers, der mit Hilfe seiner angeblichen Massenvernichtungswaffen angeblich
die westliche Zivilisation bedroht und man daher die eigene Existenzform verteidigen
muss. Mit der Realität haben derartige Feindbilder und Vorurteile freilich nicht unbedingt
viel gemeinsam; das macht aber auch nichts, denn eine objektive Analyse der Realität
scheint überhaupt nicht erwünscht zu sein (siehe 2.2; siehe 2.3). Es geht vermutlich vielmehr darum, Machtausübung (siehe 2.4) und Krieg (siehe 2.5.1) zu legitimieren.
Wenn nun ein empfänglicher Leser von USA TODAY oder The Sun oft genug gelesen hat,
Saddam Hussein sei ein abgrundtiefer Schurke, ein Massenmörder, ein Unterstützer des
Terrors, eine Bedrohung der westlichen Zivilisation und damit der westlichen Existenzform, dann wird sich dieser Leser wahrscheinlich von Saddam Hussein bedroht fühlen und
wird ihn vernichtet sehen wollen, weswegen Krieg erforderlich scheint, der somit nach
Schmitt legitimiert ist.
In dem Moment, da Saddam Husseins Regime zerbrochen ist, brechen die Degradierungen
Saddam Husseins schlagartig ab: Der Feind ist vernichtet, die eigene Lebensform verteidigt, der Krieg gegen Saddam gewonnen. (Ich schreibe bewusst, dass der Krieg GEGEN
SADDAM gewonnen ist und nicht, dass der Krieg gewonnen ist. Wann dieser gewonnen
ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.)
Gruppe 1 hingegen will den Krieg wohl eher nicht legitimieren. Sie stimmen zwar der
Grundanalyse, Saddam Hussein sei ein Diktator, zu, bauen aber Saddam Hussein gezielt
nicht zum Feindbild auf.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
26
3.50
3.00
2.50
Jordan Times
2.00
taz
Le Monde
USA TODAY
1.50
The Sun
1.00
0.50
0.00
1
Beobachtung:
Saddam Hussein wurde auch im Durchschnitt von Gruppe 1 sehr selten pro Artikel degradiert und von Gruppe 2 eher häufiger.
Interpretation:
Das ist vermutlich auf die oben genannten Gründe zurückzuführen.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
27
3.5.5 Der Anteil der Degradierungen an allen Erwähnungen Saddam
Husseins bei den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
Als nächstes will ich untersuchen, welchen Anteil die Degradierungen an den Beschreibungen Saddam Husseins insgesamt haben.
100%
90%
80%
70%
60%
Jordan Times
taz
50%
Le Monde
USA TODAY
The Sun
40%
30%
20%
10%
0%
1
Beobachtung:
Auch gemessen an der Gesamtzahl der Erwähnungen Saddam Husseins degradieren USA
TODAY und The Sun Saddam Hussein öfter als die Jordan Times, die taz und Le Monde.
Interpretation:
Das ist vermutlich auf die obigen Gründe (siehe 3.5.4) zurückzuführen: USA TODAY und
The Sun ist vermutlich an einer Kriegslegitimation gelegen, die Jordan Times, die taz und
Le Monde hingegen stimmen zwar der Grundanalyse („Saddam Hussein ist ein Diktator.“)
zu, wollen aber den Krieg vermutlich nicht legitimieren und bauen daher Saddam auch
nicht zum Feindbild auf.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
28
3.5.6 Der Anteil der einzelnen Degradierungsarten an allen Degradierungen in der Jordan Times und Interpretation derselben
!
"
0% 4%
14%
45%
37%
politisch-kriminell
kriminell
pathologisch
beleidigend
sonstige
Beobachtung:
Man wird beim Studium des Diagramms feststellen können, dass die Jordan Times Saddam Hussein hauptsächlich in seiner Position als Politiker angegriffen hat (Politischkriminelle Charakterisierungen). Dies war in knapp der Hälfte der Fälle so. Doch auch auf
die „normale“ Kriminalität Saddam Husseins wurde recht viel Wert gelegt (Kriminelle
Charakterisierungen); dagegen wurden ihm nur äußerst selten psychische oder physische
Defekte unterstellt (Pathologische Charakterisierungen). Beleidigt wurde er nie.
Interpretation:
Das hat wohl einerseits damit zu tun, dass das Niveau der Jordan Times relativ gehoben ist.
Andererseits hätte die Redaktion der Jordan Times vermutlich sowieso nicht gewagt, einen
der großen Staatschefs Arabiens zu beleidigen; manche Leser, die Saddam Hussein zu einem gewissen Grad akzeptierten, weil er sich gegen die „amerikanischen Imperialisten“
auflehnte, hätten sich angegriffen fühlen können.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
29
3.5.7 Der Anteil der einzelnen Degradierungsarten an den Degradierungen in der taz und Interpretation derselben
16%
0%
0%
43%
41%
politisch-kriminell
kriminell
pathologisch
beleidigend
sonstige
Beobachtung:
Es fällt auf, dass die taz Saddam Hussein nur politisch-kriminell und kriminell degradierte.
Saddam Hussein wurde nie beleidigt; auch psychische oder physische Defekte hat die taz
Saddam Hussein nie unterstellt.
Interpretation:
Das ist vermutlich auf das relativ hohe Niveau der taz zurückzuführen.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
30
3.5.8 Der Anteil der einzelnen Degradierungsarten an den Degradierungen in Le Monde und Interpretation derselben
#
$
17%
0%
0%
55%
28%
politisch-kriminell
kriminell
pathologisch
beleidigend
sonstige
Beobachtung:
Hier sticht ähnliches wie bei der taz ins Auge: Le Monde degradierte Saddam Hussein nur
in seiner Position als Politiker, wobei dieser Anteil mehr als die Hälfte der Degradierungen
ausmacht, und in einem Viertel der Fälle als Kriminellen.
Interpretation:
Das ist vermutlich auf das hohe Niveau der Zeitung zurückzuführen.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
31
3.5.9 Der Anteil der einzelnen Degradierungsarten an den Degradierungen in USA TODAY: Kriminelle Degradierung und deren Funktion
%
21%
"&
'
22%
12%
2%
43%
politisch-kriminell
kriminell
pathologisch
beleidigend
sonstige
Beobachtung:
Dieses Diagramm unterscheidet sich grundsätzlich von denen der Jordan Times, der taz
und Le Monde. USA TODAY legte am meisten Wert darauf, Saddam Hussein als Kriminellen oder als Terroristen darzustellen: Der Anteil der kriminellen Degradierungen Saddam Husseins macht fast die Hälfte aller Degradierungen aus. USA TODAY wurde nämlich nicht müde zu behaupten, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen und
pflege Kontakte zu Al Kaida und anderen Terrororganisationen.
Interpretation:
Weil nun der „Terrorismus“ in der öffentlichen Wahrnehmung der US-Amerikaner vermutlich die westliche Zivilisation und deren Existenzform bedroht, ist nach Carl Schmitt
ein Krieg gegen diesen „Feind“ jederzeit gerechtfertigt (siehe 2.5.1); und wenn nun Saddam Hussein auch mit dem „Terrorismus“ zusammenarbeitet, wird er als Terrorist und
Bedrohung wahrgenommen; er muss also vernichtet werden, um die eigene Vernichtung zu
vermeiden. Dies legitimiert nun nach Schmitt den Krieg gegen Saddam Hussein. (Ob diese
Argumentation aber auch den Krieg gegen den Irak als Ganzes, mit unschuldiger Zivilbevölkerung, Infrastruktur etc. legitimiert, steht auf einem anderen Blatt.) Mit kriminellen
Degradierungen und Aufzeigen von Verbindungen zum „Terrorismus“ lässt sich also vor
den US-Amerikanern ein Krieg recht einfach legitimieren, was vermutlich auch das Anliegen von USA TODAY ist.
Beobachtung:
Weit weniger wichtig war es den Redakteuren von USA TODAY, Saddam in seiner Rolle
als politischer Akteur anzugreifen oder ihn auf sonstige Arten negativ zu charakterisieren.
Desweiteren kann man feststellen, dass in USA TODAY Saddam Hussein auch nicht selten beleidigt wurde, also sein personaler Wert angegriffen wurde. Bisweilen wurden ihm
auch psychische oder physische Defekte unterstellt.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
32
Interpretation:
Dass die USA TODAY in nennenswertem Ausmaß auch Beleidigungen benutzte, ist meiner Meinung nach erstens auf das recht niedrige Niveau der Zeitung zurückzuführen; zweitens lassen sich empfängliche Leser mit Hilfe beleidigender Degradierungen meiner Ansicht nach auch sehr gut gegen das beleidigte Objekt aufhetzen.
3.5.10 Der Anteil der einzelnen Degradierungsarten an den Degradierungen insgesamt in The Sun und Interpretation derselben
(
(
"
18%
31%
21%
5%
politisch-kriminell
kriminell
25%
pathologisch
beleidigend
sonstige
Beobachtung:
Hier machen den mit knapp einem Drittel größten Anteil die Angriffe auf Saddam Hussein
als politischen Akteur aus – und nicht Vorwürfe, Saddam Hussein sei ein „Krimineller“
oder ein „Terrorist“.
Interpretation:
Das liegt vermutlich daran, dass The Sun eine englische und keine amerikanische Tageszeitung ist: England war nicht das Ziel der Anschläge vom 11. September 2001; daher fühlen sich die Engländer durch den „Terrorismus“ vermutlich auch nicht so bedroht wie die
Amerikaner. Da nun der „Terrorismus“ nicht in einem so starken Ausmaß den Anschein
erweckt, er sei eine Bedrohung für England, müssen die Engländer wahrscheinlich auch
nicht ihre Existenzform gegen diesen „Feind“ verteidigen. Ein Krieg gegen Saddam Hussein als „Terrorist“ (siehe auch 3.5.9) ist also nach Carl Schmitt (siehe 3.5.1) nicht legitimierbar.
Beobachtung:
Außerdem fällt auf, dass sich The Sun in sehr starkem Ausmaße beleidigender Degradierungen Saddam Husseins bedient.
Interpretation:
Das ist vermutlich erstens auf das sehr niedrige Niveau des Blattes zurückzuführen und
zweitens auf die Tatsache, dass sich empfängliche Leser mit Angriffen auf den personalen
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
33
Wert eines Individuums meiner Meinung nach gut gegen dieses aufhetzen lassen. So wird
ein Hass gegen die Person Saddam Husseins aufgebaut.
Wenn Saddam Hussein gleichzeitig noch psychische oder physische Defekte unterstellt
werden (meist psychische, die besagen, er sei „geisteskrank“ o.ä.) und sehr oft darauf hingewiesen wird, dass Saddam Hussein ein „Diktator“, ein „Tyrann“, ein „Despot“, ein
„Gewaltherrscher“ sei, dann wird der empfängliche Leser die Vernichtung dieses „Feindes“ wohl in Kauf nehmen. Allerdings wird so der Krieg gegen Saddam Hussein meiner
Meinung nach nicht endgültig legitimiert; dies ist auch kaum möglich, da Saddam Hussein
als „Terrorist“ für die Engländer keine unmittelbare Bedrohung darzustellen scheint – eher
für die Amerikaner.
3.5.11 Die Summe der politisch-kriminellen Degradierungen in den
verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
Wie oft haben nun die einzelnen Zeitungen Saddam Hussein im untersuchten Zeitraum in
seiner Rolle als Politiker, als Mächtiger angegriffen?
(
)
160
141
140
120
100
94
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
80
60
53
40
20
15
15
0
1
Beobachtung:
Hier fällt auf, dass sich alle Zeitungen in der Grundanalyse einig sind: Saddam Hussein
kann nicht als Heilsbringer für seine Untertanen eingestuft werden. Allerdings legen die
Kriegsbefürworter unter den untersuchten Zeitungen, also USA TODAY und The Sun
mehr Wert auf diesen Sachverhalt als die Kriegsgegner unter den Zeitungen, also die Jordan Times, die taz und Le Monde.
Interpretation:
Man darf diesen Unterschied der Gesamtsumme freilich nicht überinterpretieren, wenn
man die unterschiedlichen Sorten der jeweiligen Zeitungs-Homepages (siehe 3.1) bedenkt:
Jordan Times und taz haben auf ihren Homepages bloße Onlineversionen der gedruckten
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
34
Ausgabe, wohingegen die anderen drei Zeitungen auf ihren Homepages noch Zusatzmaterial zur Verfügung stellen. Vermutlich aus diesem Grunde degradiert Le Monde als entschiedener Kriegsgegner Saddam Hussein wesentlich öfter politisch-kriminell als die beiden anderen Kriegsgegner, Jordan Times und taz.
3.5.12 Die Summe der kriminellen Degradierungen in den verschiedenen Zeitungen
In einem nächsten Schritt will ich nun untersuchen, wie oft Saddam Hussein als „Krimineller“, „Terrorist“ o.ä. bezeichnet und damit degradiert wurde.
*
400
338
350
300
250
Jordan Times
taz
Le Monde
200
149
USA TODAY
The Sun
150
100
50
7
9
17
0
1
Beobachtung:
In diesem Diagramm sticht ins Auge, dass USA TODAY auf Abstempelungen Saddam
Husseins als „Kriminellen“ oder „Terrorist“ in höchstem Maße mehr Wert legt als alle
anderen untersuchten Zeitungen – auch mehr als doppelt so oft wie The Sun, die den Krieg
auch befürwortet.
Interpretation:
Das ist meiner Meinung nach darauf zurückzuführen, dass USA TODAY den Krieg gegen
Saddam Hussein mit genau diesen Degradierungen legitimiert (siehe 3.5.9): Terroristen
haben die Anschläge des 11. September 2001 verübt. Vermutlich werden sie daher von der
Mehrheit der Amerikaner als Bedrohung ihrer eigenen Existenzform wahrgenommen, die
sie nun verteidigen. Wenn nun Saddam Hussein als „Terrorist“ oder Förderer und Unterstützer desselben dargestellt wird, wird er vermutlich damit in der öffentlichen Wahrnehmung auch zur Bedrohung für Amerika; er wird damit zum „Feind“, der vernichtet werden
muss. Damit ist der Krieg gegen Saddam Hussein nach Carl Schmitt (siehe 3.5.1) legitimiert.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
35
Beobachtung:
Dagegen tauchten in den anderen kriegsgegnerischen Zeitungen Degradierungen solcher
Art fast nie auf; es wurde lediglich auf seine Rolle als Massenmörder an Schiiten und Kurden hingewiesen.
Interpretation:
Das ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass diese Verbindung Saddam Husseins zum
internationalen Terrorismus nie bewiesen wurde.
3.5.13 Die Summe der pathologischen Degradierungen in den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben.
(
30
25
24
20
15
15
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
10
5
1
0
0
0
1
Beobachtung:
Erstens bedienten sich hauptsächlich diejenigen Zeitungen mit relativ niedrigem Niveau
pathologischer Degradierungen.
Interpretation:
Diese Beobachtung ist mit Vorsicht zu genießen: Die Zeitungen mit eher niedrigem Niveau
sind zugleich diejenigen Zeitungen, die den Krieg befürwortet haben, die also Saddam
Hussein im Allgemeinen häufiger degradierte als die kriegsgegnerischen Zeitungen. Hier
zeigt sich, dass es auch interessant gewesen sein könnte, beispielsweise eine kriegsbefürwortende Zeitung mit hohem Niveau oder eine kriegsgegnerische Zeitung mit niedrigem
Niveau zu untersuchen. Dann hätte man vielleicht Korrelationen zwischen Niveau und der
Summe der pathologischen Degradierungen erkennen können.
Beobachtung:
Zweitens fällt die Zahl der pathologischen Degradierungen Saddam Husseins wesentlich
niedriger aus als die der politisch-kriminellen Degradierungen oder gar der der kriminellen.
Interpretation:
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
36
Das ist vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass sich mit Hilfe von pathologischen
Degradierungen kein Krieg legitimieren lässt, weil ein psychischer (oder physischer) Defekt eines Individuums nicht automatisch eine Bedrohung der eigenen Lebensform darstellt
(siehe 2.5.1).
3.5.14 Die Summe der Beleidigungen in den verschiedenen Zeitungen und Interpretation derselben
+
120
102
100
80
63
60
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
40
20
0
0
0
0
1
Beobachtung:
Wenn man dieses Diagramm betrachtet, wird man feststellen, dass nur diejenigen Zeitungen Saddam Hussein beleidigt haben, die ein äußerst niedriges Niveau haben.
Interpretation:
Obwohl Jordan Times, taz und Le Monde Saddam Hussein im untersuchten Zeitraum degradiert haben, haben sie aufgrund ihres relativ hohen Niveaus auf Beleidigungen jeglicher
Art völlig verzichtet und haben sich eher auf sachliche Argumente wie Saddam Husseins
Massaker an aufständischen Schiiten 1991 verlegt.
Doch auch diese Interpretation ist aus den oben genannten Gründen (siehe 3.5.13) mit Vorsicht zu genießen: Es ging weder eine kriegsbefürwortende Zeitung mit hohem Niveau
noch eine kriegsgegnerische Zeitung mit niedrigem Niveau in die Untersuchung ein.
3.5.15 Die Summe der sonstigen Degradierungen in den verschiedenen Zeitungen
Der Vollständigkeit halber will ich nun noch aufzeigen, wie oft die verschiedenen Zeitungen Saddam Hussein auf andere Arten degradiert haben; weil man aber aus der Häufung
dieser Art von Degradierungen keine sinnvollen Schlüsse ziehen kann, weil sie bunt gemischt sind, werde ich von einer Interpretation des Schaubildes absehen.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
37
140
133
120
100
80
73
60
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
40
20
16
5
8
0
1
3.5.16 Die Gesamtsumme aller Degradierungen in den verschiedenen Zeitungen und Funktion derselben
800
729
700
600
500
403
400
300
200
86
100
28
32
0
1
Jordan Times
taz
Le Monde
USA TODAY
The Sun
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
38
Beobachtung:
Es fällt auf, dass die beiden kriegsbefürwortenden Zeitungen (USA TODAY und The Sun)
Saddam Hussein wesentlich öfter degradiert haben als die Kriegsgegner unter den untersuchten Zeitungen (Jordan Times, taz und Le Monde).
Interpretation:
Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass USA TODAY und The Sun Saddam Hussein
zum Feindbild (siehe 2) aufbauen. Vermutlich sollen die Leser dieser beiden Zeitungen
Saddam Hussein durch die Verallgemeinerung von Einzelurteilen zum Negativen hin (Halo-Effekt) als „Feind“ und „Bedrohung“ erkennen, um den Krieg gegen ihn zu legitimieren
(siehe 2.5.1). Saddam Hussein soll wohl das Image (siehe 2.5.2) des „Bösen“, des „Schurken“, des „Feindes“ bekommen. Die Validierung dieses Feindbildes durch eine objektive
Analyse der Realität scheint nicht erwünscht zu sein (siehe 2.2, 2.3), weil nur mit Hilfe
dieses Vorurteils gegenüber Saddam Hussein Machtausübung, in diesem Falle eine Invasion im Irak, gerechtfertigt werden kann (siehe 2.4). Außerdem wird Saddam Hussein durch
diese Strategie der Degradierung wohl automatisch auch in der Realität zum Feind, auch
wenn er ursprünglich gar keine feindlichen Absichten hegte: Er nimmt die feindliche Einstellung der Kriegsbefürworter zur Kenntnis und reagiert dementsprechend darauf. Das
sehen wiederum die Kriegsbefürworter als Bestätigung ihrer (ursprünglich falschen) Annahme, Saddam Hussein sei ihr „Feind“ und pochen nun noch vehementer auf die Vernichtung des „Feindes“, der im Laufe der Zeit wirklich zu einem geworden ist. Auch dieses
Feindbild hat also den Charakter einer selffulfilling prophecy (siehe 2.2).
3.6 Zusammenfassung
Bei meinen empirischen Untersuchungen an der internationalen Presse habe ich also unter
Berücksichtigung der Ergebnisse meiner Recherchen zum Thema Feindbilder folgendes
festgestellt:
3.6.1 Die Artikelanzahl
Je wichtiger ein Ereignis zum Thema Irak bzw. Saddam war, desto größer war das öffentliche Interesse daran und desto ausführlicher wurden diese Themen daraufhin von den Zeitungen behandelt. Außerdem war das öffentliche Interesse für die Problematik in Jordanien
von Anfang an recht groß, weil Jordanien als Anrainerstaat des Iraks unmittelbarer von den
dortigen Entwicklungen betroffen ist als beispielsweise Deutschland, Frankreich oder England (siehe 3.5.1).
3.6.2 Die Personalisierung
Je größer die Tragweite eines Ereignisses im Zusammenhang mit dem Irak war, desto häufiger wurde auch über die Person, die gemeinhin mit diesem Thema in Verbindung gebracht wird, berichtet. Ereignisse sind nämlich besser greifbar und verständlich, wenn sie
nicht abstrakt vorliegen, sondern man sich eine Person dahinter vorstellen kann. Das war
vor allem in USA TODAY der Fall, da diese Zeitung ein sehr niedriges Niveau hat und die
Lage für die Leser übersichtlich und einfach halten will und daher alle Ereignisse zum
Thema Irak mit der Person Saddam Hussein in Verbindung brachten. Le Monde hingegen
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
39
als Zeitung auf höherem Niveau beleuchtete auch andere Aspekte bezüglich der Personen
und Personengruppen zu dieser Thematik wie die irakische Zivilbevölkerung etc (siehe
3.5.2).
3.6.3 Neutrale Erwähnungen Saddam Husseins
Je wichtiger ein Ereignis zum Thema Irak bzw. Saddam war, desto höher wurde auch die
Anzahl der neutralen Erwähnungen Saddam Husseins. Le Monde erwähnt ihn von allen
untersuchten Zeitungen mit Abstand am häufigsten neutral (siehe 3.5.3), was aber auch mit
der Sorte der Homepage von Le Monde zusammenhängt, aus der sich fast automatisch ein
Mehr an Information ergibt (siehe 3.1). Kriegsbefürworter wie The Sun haben auf neutrale
Erwähnungen oder Charakterisierungen Saddam Husseins weitestgehend verzichtet (siehe
3.5.3).
3.6.4 Die Darstellung Saddam Husseins und deren Funktion für die
Zeitungen
Betrachtet man die Entwicklung der Degradierungen Saddam Husseins im Laufe der Zeit,
stellt man fest, dass sich die fünf Zeitungen in zwei Gruppen einteilen lassen. Gruppe 2
(USA TODAY und The Sun) schloss sich in der Vorkriegszeit der Kriegspropaganda der
amerikanischen und der britischen Regierung an, wobei vor allem Propagandaauftritte wie
Powells „Beweise“ im Sicherheitsrat merkliche Erhöhungen der Anzahl der Degradierungen nach sich zogen (siehe 3.5.4), und degradierte Saddam Hussein, wo sie nur konnte
(siehe 3.5.4; siehe 3.5.5; siehe 3.5.11; siehe 3.5.12; siehe 3.5.13; siehe 3.5.14; siehe 3.5.15;
siehe 3.5.16), um den Krieg gegen Saddam Hussein zu legitimieren. Die Legitimation des
Krieges wird mit folgender Argumentation bewerkstelligt:
„Terroristen haben die Anschläge des 11. September 2001 verübt; sie sind eine Bedrohung
der Existenzform der westlichen zivilisierten Welt. Die Terroristen sind also unsere Feinde, die es zu vernichten gilt. Dieser Krieg ist legitimiert. Saddam Hussein unterstützt und
fördert den Terrorismus. Er ist also auch ein Terrorist. Er ist also auch eine Bedrohung
unserer Existenzform, die wir nun verteidigen müssen. Folglich ist er unser Feind. Daher
ist auch der Krieg gegen Saddam Hussein gerechtfertigt (siehe 2.5.1).“
USA TODAY und The Sun bauen Saddam Hussein also zum Feindbild auf. Um dies zu
bewerkstelligen, sehen sie praktisch von jeglicher Differenzierung ab, wie man an den äußerst dünn gesäten neutralen Erwähnungen Saddam Husseins sieht: Einzelurteile (z.B.
„Saddam Hussein hat 1991 ein Massaker an aufständischen Schiiten verübt.“) werden nach
dem Negativen vereinheitlicht (Halo-Effekt, siehe 2.5.1); alles an Saddam ist dann in der
Wahrnehmung feindlich. Saddam Hussein wird also zum Feindbild aufgebaut; er bekommt
das Image (siehe 2.5.2) des Schreckensherrschers, der mit Hilfe seiner angeblichen Massenvernichtungswaffen angeblich die westliche Zivilisation bedroht und man daher die
eigene Existenzform verteidigen muss. Mit der Realität haben derartige Feindbilder und
Vorurteile freilich nicht unbedingt viel gemeinsam; das macht aber auch nichts, denn eine
objektive Analyse der Realität ist überhaupt nicht erwünscht (siehe 2.2; siehe 2.3). Es geht
vielmehr darum, Machtausübung (siehe 2.4) und Krieg (siehe 2.5.1) zu legitimieren.
Allerdings muss man zwischen USA TODAY und The Sun differenzieren: Die Leser von
USA TODAY (naturgemäß hauptsächlich US-Amerikaner) fühlen sich durch den Terrorismus stärker bedroht als die Leser von The Sun (naturgemäß hauptsächlich Briten), da
die Anschläge des 11. September 2001 den Amerikanern und nicht den Briten galt. Daher
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
40
legt USA TODAY immensen Wert auf Saddam Husseins Verbindungen zum Terrorismus
(siehe 3.5.9; siehe 3.5.12) und schafft es so, Saddam Hussein als „Feind“ darzustellen und
legitimiert so einen Krieg gegen ihn.
The Sun hingegen gelingt es meiner Meinung nach nicht endgültig, den Krieg gegen Saddam Hussein zu legitimieren. Da der Terrorismus für die Briten keine so große Bedrohung
darzustellen scheint wie für die Amerikaner, verlegt sich The Sun mehr auf Beleidigungen
Saddam Husseins (siehe 3.5.10), um dessen personalen Wert so lange anzugreifen, bis ein
Krieg gegen diesen „Hund“ akzeptabel scheint.
Gruppe 1 (Jordan Times, taz und Le Monde) hingegen ist nicht an der Legitimation des
Krieges gelegen, weil sie gegen diesen ist. Daher degradiert sie Saddam Hussein auch nur
äußerst selten (siehe 3.5.5; siehe 3.5.16) und baut ihn folglich auch nicht zum Feindbild
auf; und wo kein Feind ist, ist auch kein Krieg legitimiert. Bei der Jordan Times kommt
wohl außerdem noch hinzu, dass manche Araber Saddam Hussein zu einem bestimmten
Grad akzeptieren und honorieren, dass er sich gegen die amerikanischen „Imperialisten“
auflehnt bzw. aufgelehnt hat (siehe 3.5.4; siehe 3.5.5). Wenn diese Kriegsgegner Saddam
Hussein doch einmal degradierten, dann degradierten sie ihn aufgrund ihres relativ hohen
Niveaus nie beleidigend (siehe 3.5.14) und fast nie pathologisch (siehe 3.5.13), sondern
fast nur in seiner Position als Politiker (siehe 3.5.11) oder als Krimineller (siehe 3.5.12).
(siehe auch 3.5.6; siehe auch 3.5.7; siehe auch 3.5.8)
3.6.5 Die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Regimes von
Saddam Hussein auf die Berichterstattung der untersuchten Zeitungen
Nach dem Zusammenbruch von Saddams Regime wurde dieses Ereignis zuerst ausgiebig
behandelt und die Anzahl seiner Erwähnungen schoss noch ein letztes mal in die Höhe –
vor allem auch in der Jordan Times, da Saddam Hussein für Arabien eine zentrale Rolle
gespielt hatte – (siehe 3.5.2), danach wurde es schlagartig ruhig um Saddam Hussein: Sowohl die Zahl der Artikel zum Thema (siehe 3.5.1) als auch die Anzahl der Erwähnungen
Saddam Husseins (siehe 3.5.2) nahmen schlagartig ab – in allen untersuchten Zeitungen.
Weil Saddam Hussein nun gestürzt war, stellte er keine Bedrohung mehr da, war kein
Feind mehr, musste nicht mehr bekämpft werden; folglich musste auch kein Krieg gegen
ihn legitimiert werden und die Degradierungen Saddam Husseins wurden von den kriegsbefürwortenden Zeitungen praktisch eingestellt (siehe 3.5.4).
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
41
4 Schlussbetrachtung
[Anm.: Zur Bewertung meiner Arbeit und derer Ergebnisses muss man sich immer wieder
ins Gedächtnis rufen, dass sie keine wissenschaftliche Arbeit im eigentlichen Sinne ist. So
kamen Verzerrungen der Ergebnisse durch die Wahl der Zeitungen, durch die nur einmal
wöchentliche Untersuchung der Berichterstattung zustande sowie durch die Tatsache, dass
ich die Artikel einer rein quantitativen, nicht aber einer qualitativen Untersuchung unterzogen habe, d.h. ich habe die Artikel nicht alle gelesen, sondern nur auf Erwähnungen und
Charakterisierungen Saddam Husseins durchsucht, woraus sich ergibt, dass ich über den
Inhalt der Artikel nicht allzu viel sagen kann. Doch trotz dieser Mängel lassen sich einige
Tendenzen erkennen, die sicher auch eine wissenschaftliche Untersuchung im eigentlichen
Sinne erkannt hätte. Um diese soll es im folgenden gehen.]
Man kann also festhalten:
Die Person Saddam Husseins wurde von den unterschiedlichen Zeitungen im untersuchten Zeitraum so dargestellt und bewertet, wie es dem (von mir unterstellten) Interesse der jeweiligen Zeitung diente:
- von den kriegsbefürwortenden Zeitungen als „Feind“ und „Bedrohung“, um
den Krieg zu legitimieren und
- von den kriegsgegnerischen Zeitungen weder als „Feind“ noch als „Bedrohung“, um die Legitimation des Krieges zu vermeiden.
Die Darstellung Saddams wurde also anscheinend vollkommen instrumentalisiert.
So scheint den kriegsbefürwortenden Zeitungen wichtig gewesen zu sein, Saddam Hussein
zum Feindbild zu machen. Um ein Feindbild aufzubauen und aufrecht zu erhalten, ist es
notwendig, sich des Halo-Effekts zu bedienen, d.h. Einzelurteile (z.B. „Saddam hat nach
dem Golfkrieg 1990/91 ein Massaker an Schiiten veranstaltet.“) werden zum Negativen hin
vereinheitlicht (hier: „Saddam Hussein ist ein Schurke und ein gefährlicher Irrer.“). Dies
ist nur durch Fehlperzeption (falsche Wahrnehmung) des Objekts möglich. Diese Fehlperzeption kann vorliegen als Realitätsdefizit, wenn das Objekt nur unvollständig bzw. selektiv wahrgenommen wird (alles außer feindlichen Motiven und Handlungen wird ausgeblendet), als Realitätsverzerrung, wenn man die Motive und Handlungen des Objekts im
Sinne von Feindschaft missinterpretiert, und als Realitätsergänzung, wenn das Objekt mit
zusätzlichen, real nicht existenten Attributen ergänzt wird.
Das Feindbild hat also eine eher geringere Realitätsadäquanz, hat also mit der Realität
nicht allzu viel zu tun; es sorgt aber für eine scheinbare Übersichtlichkeit und Einfachheit
hinsichtlich komplexer Probleme (hier z.B.: „Ist ein Krieg gegen Saddam Hussein gerechtfertigt? Ist er wirklich so böse?“)
Nun scheint ein „Feind“, in diesem Falle Saddam Hussein mit seinen angeblichen Massenvernichtungswaffen und seinen angeblichen Verbindungen zum internationalen Terrorismus, eine Bedrohung der eigenen Existenzform darzustellen (sonst wäre er kein Feind). Er
scheint also vernichtet werden zu müssen, um die eigene Existenzform zu bewahren; ein
Krieg scheint also gerechtfertigt. Die Masse fühlt sich nun vom „Feind“ bedroht; ihr ist
nicht mehr an objektiver Betrachtung des Sachverhalts, sondern nur noch an der Vernichtung des „Feindes“ gelegen.
Genau dieses Mechanismus bedienten sich meiner Meinung nach die kriegsbefürwortenden Zeitungen – USA TODAY (aus den USA) und The Sun (aus Großbritannien) – mit
Hilfe unzähliger pejorativer (abwertender) Charakterisierungen, die der Degradierung Saddam Husseins dienten. Sehr häufig betonten sie, Saddam Hussein besitze Massenvernich-
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
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tungswaffen und habe Verbindungen zum internationalen Terrorismus; Saddam Hussein
wurde damit in den Feind- und Bedrohungsstatus erhoben, wohl um die Leser von USA
TODAY und The Sun die Notwendigkeit eines Krieges gegen Saddam Hussein nahe zu
bringen.
(Die Notwendigkeit eines Krieges gegen den Irak als Land mit unschuldiger Zivilbevölkerung, Infrastruktur etc. wurde so freilich nicht gerechtfertigt.)
Nach dem Zusammenbruch des Saddam-Regimes musste Saddam Hussein nicht mehr vernichtet werden, also auch kein Krieg gegen ihn mehr legitimiert werden; Saddam Hussein
schien als „Feind“ ausgedient zu haben, die pejorativen Charakterisierungen rissen schlagartig ab. Auch auf die (in der Einleitung angesprochenen) angeblichen, nie bewiesenen
Massenvernichtungswaffen wurde nicht mehr hingewiesen; ursprünglich waren diese als
Hauptkriegsgrund angeführt worden, nun verstummten diese Stimmen aber fast völlig.
Auch im letzten Golfkrieg 1990/91 hatten sich verschiedene Massenmedien durch pejorative Charakterisierungen des oben beschriebenen Mechanismus bedient, wie Heiner Stacharowsky feststellte.52 Allerdings war damals die Richtigkeit des Krieges internationaler
Konsens und praktisch alle Massenmedien bauten Saddam Hussein zum Feindbild auf.53
Meine Untersuchung hingegen ergab, dass die kriegsgegnerischen Zeitungen – untersucht
wurden hier die Jordan Times (aus Jordanien), die taz (aus Deutschland) und Le Monde
(aus Frankreich) – vom Aufbau Saddam Husseins zum Feindbild absahen; sie charakterisierten ihn meist neutral, vermutlich weil sie den oben beschriebenen Mechanismus vermeiden wollten, um eine Legitimation des Krieges, gegen den sie von Anfang an waren,
nicht zu ermöglichen.
Heiner Stacharowsky hat bei der Berichterstattung über den letzten Golfkrieg außerdem
die Wichtigkeit der Platzierung eines Artikels in der Zeitung oder einer Charakterisierung
im Artikel, also die Öffentlichkeitswirksamkeit der Darstellung Saddam Husseins, untersucht und dabei an der Bild-Zeitung, dem Spiegel und der Zeit folgendes erkannt:
„Je auffälliger – und damit meinungsbildender – ein Artikel platziert war, desto höher war
im allgemeinen auch der Anteil degradierender Charakterisierungen Saddam Husseins.
Eine gleichartige Tendenz ließ sich bei der Bild-Zeitung auch hinsichtlich der Platzierung
degradierender Charakterisierungen innerhalb des jeweiligen Artikels feststellen.“54
Eine derartige Untersuchung wäre sicherlich auch für meine Arbeit interessant gewesen,
habe ich aber nicht durchgeführt, da ich hierfür die gedruckte Ausgabe der untersuchten
Zeitungen benötigt hätte, was mindestens im Falle der Jordan Times ein Problem dargestellt hätte; so konnte ich mich auf die Homepages der Zeitungen beschränken.
Insgesamt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Darstellung Saddams von
den Zeitungen nach ihrem jeweiligen Interesse völlig instrumentalisiert wurde. Mir kam es
so vor, als habe USA TODAY das amerikanische Volk und The Sun das englische Volk
gegen den gemeinsamen „Feind“ Saddam Hussein zusammenschweißen und hinter den
US-Präsidenten George W. Bush bzw. den britischen Premierminister Tony Blair stellen
wollen.
Um dies zu bewerkstelligen, haben sie praktisch von jeder differenzierten Analyse des
Sachverhalts abgesehen. Sie scheinen sich also vollkommen von ihrem Interesse, der Aufhetzung der Masse, leiten gelassen zu haben, haben also meiner Meinung nach massiv
Propaganda betrieben; objektive Berichterstattung schien nie erwünscht oder angestrebt.
Nur die Berichterstattung der Jordan Times, die taz und Le Monde schien mir einigermaßen seriös zu sein, was aber vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass sie den Krieg mit
52
vgl. Stacharowsky, S. 160
vgl. Stacharowsky, S. 163
54
Stacharowsky, S. 161
53
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
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Hilfe von Hinweisen auf die unschuldige und doch massiv geschädigte irakische Zivilbevölkerung etc. verurteilen wollten. Vor allem in der Jordan Times konnte ich mich außerdem bisweilen des Eindrucks nicht erwehren, Saddam Hussein werde verharmlost, um den
Krieg zu verurteilen. Auch die kriegsgegnerischen Zeitungen haben sich also vermutlich
auch massiv von ihrem Interesse, der Kriegsverhinderung, leiten lassen.
An dieser Stelle endet meine Arbeit.
Jedoch drängen sich hier verschiedene Fragen auf, wenn man feststellt, wie unterschiedlich
Saddam Hussein dargestellt und bewertet wurde – von den einen als „Feind“ und „Bedrohung“, von den anderen hingegen nicht:
Entspricht das, was die Medien verbreiten, der Wahrheit?
Oder lässt sich diese Frage gar nicht beantworten?
Was ist Wahrheit eigentlich?
Gibt es sie überhaupt?
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
44
5 Anhang
5.1 Artikelbeispiele
Ich habe aus jeder untersuchten Zeitung einen Artikel ausgesucht. Der Inhalt wurde nicht
verändert; Details im Layout wie Fettdruck, Grafiken etc. sind nicht mehr rekonstruierbar,
da es mir in meiner Untersuchung nur um den Inhalt und nicht um das Layout ging.
5.1.1 Artikelbeispiel: Jordan Times (veröffentlicht 20.3.2003)
Kommentar von Michael Jansen
'An opportunistic war which could very well lead to others'
OVER THE past few days I have asked various humanitarian aid operatives here in Amman, all experts on the impact of warfare, if George Bush administration's war on Iraq is
quite different from other conflicts they have known; if, in their estimation, it is “unique”.
The majority have responded that every war is “unique” and the consequences of each are
“unique”. Only one humanitarian aid expert, an Irishman, agreed with me that George
Bush's war is special. He said: “It's the strangest war ever waged — by a mile.”
Now, let's look at just how strange it is. It is authoritatively reported that Dubya decided to
hit Iraq and topple its government several months before he stood for election as US president. The proposal to wage war was contained in recommendations he received from a
group of influential neoconservatives who drew up the project for a “new American century” and were appointed to jobs in Bush's administration. The goal of these “neo-cons” is
an “American century” of power projection.
The “neo-cons” came to power on Bush's coattails in spite of the fact that Bush did not win
the 2000 election by taking the most votes. Following a dubious count in Florida, governed
by his brother, and a series of court cases, he was put into the White House by a panel of
judges rather than the electorate.
The combination of curious circumstances means that the second US war on Iraq will be
waged by an “unelected” president who is dominated by “unelected” officials whose
agenda is not approved by the majority of US citizens.
Bush's first nine months in office were characterised by unilateralist moves which detached
the US from various international treaties, alienating the international community, and by
the collapse of major US firms due to mismanagement and false accounting. He was rescued from political ignominy by the attack on the World Trade Centre on Sept. 11, 2001,
which he exploited to rebuild his sagging credibility and waning power. He launched a
“war on terror”, specifically against Osama Ben Laden and his Al Qaeda network. But having failed to kill, capture or even locate Ben Laden, Bush set out to shift popular US animosity against Ben Laden onto the shoulders of Iraqi President Saddam Hussein, although
there was, and is, no evidence that he had ever anything to do with the attack on the US,
Ben Laden or Al Qaeda, both, once upon a time, US allies.
Bush's initial declared casus belli was Iraq's alleged weapons of mass destruction which
UN inspectors, during three and a half months of intensive investigation, could not un-
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
45
cover. So desperate did Washington become to prove that Iraq had such weapons, that it
may very well have forged documents purported to show that Baghdad was pursuing nuclear weapons as late as 2000.
Unable to secure the support for war by three permanent and six rotating members of the
UN Security Council, the Bush administration — backed by the leaders of Britain, Australia, Spain and Italy, but not their people — is going ahead with what will be, essentially, a
unilateral campaign which has popular support only in the US. While only Britain has provided a serious number of troops for this offensive, Washington claimed on Tuesday that it
has the backing of no less than 30 countries, most of them of little account. Bush clearly
settled on 30 because that was the number of countries said to be in his dad's 1991 “Gulf
war” coalition. Dad's coalition was a reality, Bush Jr's a fantasy.
Without the backing of the Security Council, UN Secretary General Kofi Annan, the European Union, NATO, the Arab League and world public opinion, the current Bush administration is not only seeking to effect “regime change” in Iraq but also to occupy the country
“for as long as necessary”. Yesterday, Washington announced that even if the Iraqi leader
left his country, as Bush demands, US troops will enter (and occupy) the country to search
for weapons of mass destruction. This declaration of intention reveals that occupation was
always Bush's goal.
Washington's stated aims are to establish a democratic government which will be a beacon
unto the undemocratic governments of the region, succour Iraq's people on a budget of
$850 million, hire US companies for $1.8 billion to reconstruct Iraq's degraded infrastructure within a year and open to US companies tenders for the upgrading of Iraq's existing oil
fields and the exploitation of reserves. The UN Development Programme estimates that
$10 billion a year will be required for three years to pay for the ravages of war and sanctions.
Nevertheless, the administration calls its scenario “liberation” of Iraq from Saddam Hussein. But “liberation” could kill, maim and retard the normal human development of millions of Iraqis as well as jeopardise their future.
First and foremost, on the military front, the Pentagon's strategy is to “shock and awe” the
Iraqi regime and armed forces into surrendering by assaulting the country, particularly the
capital, with 3,000 bombs within the first 48 hours of the campaign and thereafter strike
Baghdad with 400 Cruise missiles a day for a week or ten days. This could, quite literally,
decimate the major government and administrative buildings in the city, create havoc in
Iraq's civil society and precipitate anarchy.
On the humanitarian front, Washington's planners do not seem to know what they are doing. On Tuesday, deliveries of $10 billion worth of foodstuffs and medical supplies were
halted in the pipeline because the oil-for-food programme which has sustained 23 million
Iraqis since 1996 has been suspended due to the withdrawal of UN staff from Iraq. According to UN spokesman David Wimhurst, 15 million Iraqis are totally dependent on rations
distributed through this programme. One million of them are malnourished children who
are now at extreme risk and five million are tots, pregnant women and lactating mothers at
high risk. While the Iraqi government attempted to anticipate this cut-off by distributing
six months' worth of rations, Wimhurst said it is estimated that these rations may last only
six weeks or even less. This is so because many Iraqi families have to sell part of their rations to earn the small fee charged by the country's 46,000 distributors or to pay for goods
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
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not provided in the package. Petrol, kerosene and cooking gas are particularly important at
this time because war could cut off fuel supplies. Without gas, Iraqis cannot cook the rice,
pulses and flour in their rations.
UN agencies and international nongovernmental organisations have, in Wimhurst's words,
had to “pluck figures from thin air” for the numbers of Iraqis who will be adversely affected by the military campaign. “We have no idea of the impact of the event,” he stated.
Furthermore, the community of aid providers has not been able to raise funds because donors “are reluctant to give money until they know what it is for”. Once war comes, aid
agencies will issue an “emergency flash appeal” and hope for the best.
Major organisations, such as the UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), which
has pre-positioned in the region tents, tarpaulins, jerry cans, blankets, mattresses and stoves
for 300,000 people, have had to borrow funds from programmes in Bosnia and Afghanistan. Spokesman Peter Kessler said that UNHCR had $19.5 million on hand for Iraq but
has already spent $26 million.
This partial look at the coming scenario shows just how strange Bush's long-planned war
is. It is a war without justification, a war to be waged without the authority of the Security
Council, a war outside international law and global norms, a war which has already put the
people of Iraq at risk, a war which will not be followed by the rebuilding of the country but
by alien exploitation of their only natural resource, oil. A unique war, a strange war, a war
not to end all wars but an opportunistic war which could very well lead to other wars of
hyperpower projection. Who knows what country will be next, once Iraq has been assaulted, beaten and conquered?
5.1.2 Artikelbeispiel: taz (veröffentlicht: 6.2.2003)
Leitartikel von Bernd Pickert
Aufruf zum Krieg ohne substanziell Neues
Die Szenerie erinnert an US-amerikanische Strafprozesse: Da sitzen sie, die
skeptischen und vor Verantwortung gebückten Geschworenen, lauschen dem Plädoyer der
Anklage und haben nun über die Todesstrafe zu entscheiden. Allerdings: Als
US-Außenminister Colin Powell gestern seine Multimedia-Anklage gegen den Irak
vorbrachte, fehlte die Erwiderung der Strafverteidigung. Und: Niemand in der Jury
behauptet, unvoreingenommen zu sein.
Was der Sicherheitsrat letztlich entscheidet, wird nicht vom Gewissen der einzelnen
Mitglieder, sondern vom Ergebnis der Interessenabwägung jedes Einzelnen bestimmt
werden. So ging es beim Auftritt Colin Powells auch nicht wirklich darum, den
Sicherheitsrat zu überzeugen. Die Argumentation der US-Regierung ist unausweichlich:
Der Irak zeigt nicht, was er hat - warum tut er das, wenn er nichts zu verbergen
hätte? Um die Behauptung zu erhärten, dass der Irak etwas hat, zeigte Powell Fotos,
spielte Tonbänder und wiederholte manche bekannten Vorwürfe einfach mit der
Formulierung: "Wir wissen, dass …" Der Starr-Report, aufgrund dessen US-Präsident
Clinton vor fünf Jahren wegen der Lewinsky-Affäre des Amtes enthoben werden sollte,
war besser dokumentiert als dieser ultimative Aufruf zum Krieg.
Der US-Außenminister wollte vor allem den Ton und die Dynamik der Debatte noch
einmal entscheidend beeinflussen. Das aber war im Grunde bereits gelungen, als die
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
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US-Regierung den Termin von gestern ankündigte. Denn schon damit war klar, dass es den
anderen, vor allem den ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat, jetzt nur noch um die
Verteidigung der Institution gehen konnte. Da werden Friedensforscher und
Militärexperten in den nächsten Tagen in allen Pressemedien der Welt analysieren
können, dass das von Powell vorgelegte Material zwar einige neue Fragen, aber kaum
harte Beweise bringt - egal.
Schon vor einem halben Jahr weigerten sich Vertreter der US-Regierung, mit dem
skeptischen Ausland noch über den Wahrheitsgehalt der Bedrohungsszenarien durch den
Irak zu reden. Stattdessen drohte Washington, jeden als naiv und irrelevant
abzukanzeln, der der US-Regierung widerspreche. In der gleichen Situation ist seit
gestern auch der Weltsicherheitsrat: Wer jetzt noch Zweifel äußert und zur geduldigen
Prüfung durch die Inspektoren mahnt, wird entweder als naiv oder als nützlicher Idiot
Bagdads gelten. Und, noch schlimmer, er bezichtigt die US-Regierung der Lüge.
So entwickelt die Präsentation Powells, obwohl nicht substanziell neu, einen enormen
Druck. Der Krieg ist ein Stück näher gerückt.
5.1.3 Artikelbeispiel: Le Monde (veröffentlicht 6.2.2003)
Leitartikel; Autor nicht angegeben
Les soupçons de Powell
L'ADMINISTRATION BUSH avait choisi, mercredi 5 février, son meilleur porte-parole
pour défendre sa politique irakienne. Colin Powell inspire confiance. Ce n'est pas seulement affaire de stature et d'autorité naturelle. Ce n'est pas seulement l'histoire d'un parcours
personnel exceptionnel. C'est une manière d'être. L'homme cultive un pragmatisme prudent, jamais va-t-en-guerre. Chef d'état-major multipliant questions et réserves avant d'envisager l'emploi de la force dans les Balkans, il s'était vu vivement interpeller par la démocrate Madeleine Albright, qui lui avait lancé : "A quoi bon avoir une si belle armée si c'est
pour ne jamais s'en servir !" Colin Powell a du crédit.
Et c'est muni de ce capital de confiance qu'il a formidablement mis en scène, mercredi,
devant le Conseil de sécurité de l'ONU, l'argumentaire de Washington en faveur d'une
guerre en Irak. Le défi était de taille : ébranler le scepticisme général de l'opinion publique
mondiale à l'adresse de cet argumentaire.
L'orchestration médiatique de sa prestation par l'administration Bush n'avait rien laissé au
hasard : photos, transparents, films, compte-rendus sonores d'écoutes téléphoniques, le
tout confié à l'avance à CNN. Elle transformait cette affaire en "journée des preuves", que
le secrétaire d'Etat le veuille ou non. Preuves qu'il fallait administrer à un double chapitre :
prouver que le régime de Saddam Hussein détient encore des armes de destruction massive
(biologiques, chimiques, nucléaires) et qu'il s'emploie à les cacher aux inspecteurs du désarmement de l'ONU ; prouver que l'Irak entretient des liens avec l'organisation terroriste
islamiste Al-Qaida, qui pourrait ainsi se voir remettre par Bagdad les éléments d'un terrifiant arsenal.
Sur le premier point, M. Powell a tiré le meilleur parti du rapport du chef des inspecteurs
du désarmement, le Suédois Hans Blix. Il a pointé les manques, les carences, les bizzareries du comportement irakien, dès qu'il s'agit de répondre à certaines questions précises. Il
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a confirmé une impression générale au sein du Conseil de sécurité : l'Irak ment, ne joue pas
le jeu. Le résultat, ajouté au passé de Saddam Hussein, fonde une suspicion.
Sur le deuxième point, M. Powell livre des éléments troublants. Mais, s'ils sont nouveaux
ou à tout le moins présentés sous un jour nouveau, les services de renseignement américains eux-mêmes se refusent à les considérer comme établissant un lien réel entre Bagdad
et Al-Qaida. On reste dans le doute, l'esquisse d'indices ; la suspicion, là aussi.
On attendait la "journée des preuves"; ce fut la "journée des soupçons" réitérés. Sur la
base d'arguments qu'il avait choisis les armes, le lien avec Al-Qaida, M. Powell en reste
à évoquer des possibilités, pas une réalité factuelle. Fait-on la guerre pour des soupçons ?
A cette question, une majorité du Conseil répond non. Et suggère de laisser aux inspecteurs
du temps pour confirmer ou infirmer lesdits soupçons.
5.1.4 Artikelbeispiel: USA TODAY (veröffentlicht: 27.2.2003)
Kommentar; Autor nicht angegeben
'W' vs. Saddam in debate of millennium
WASHINGTON — Saddam Hussein challenged George W. Bush to a
debate. The odds of that happening are roughly equal to Saddam serving as grand
marshal of the 2004 Tournament of Roses parade. But if for some reason Bush
accepted, here is how it might sound.
Moderator: Mr. Bush, your opening statement please.
Bush: You invaded Kuwait, you butchered your own people, you tried to kill
my dad, you sent an entire generation of young men to be slaughtered in a
futile war with Iran. You hide your weapons, you lie, you harbor terrorists and
you deprive your own people while you build posh palaces. In Texas, we have an
expression for that: "Wanted, Dead or Alive."
Saddam: I thought that was for Osama bin Laden. Mr. Bush, I know Osama bin
Laden. Osama bin Laden may or may not be a friend of mine. And believe me, Mr.
Bush, I am no Osama bin Laden. Bush, I defeated your father, and I will
defeat you. Your forces will burn in the Mother of All Battles.
Bush: You said that in '91, too, and then your army surrendered so fast we
couldn't draw big enough circles in the sand to hold 'em.
Saddam: Yes, but I did not use the big weapons then.
Bush: I thought you didn't have big weapons. This is what you have been
telling the United Na-tions – that you have no weapons of mass destruction.
Saddam: I don't. But if you invade Iraq, I will use them – all of them. I
already have issued instruc-tions to my commanders.
Bush: We have warned those commanders. Dropped lots of leaflets warning
them. There will be no mercy for people who use weapons of mass destruction.
Saddam: I have no such weapons.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
Bush: You just said you had ordered your commanders to use them.
Saddam: Right.
Moderator: We're going in circles here. Mr. Saddam: If you have no weapons
of mass destruction, then why do you think the United States and some of its
friends are massing at your borders to re-move them?
Saddam: Ask the evil aggressor. I say it's oil. Bush is the oilman. America
is SUV-land. Ask that woman — what's her name, Huffandpuff? America wants oil
for their big fat cars.
Moderator: Huffington.
Saddam: Whatever. Bush wants oil and I don't have weapons of mass
destruction. I do not hide things or lie about them. The Iraqi people have got to know
that their dictator is not a crook. And I am not a crook.
Bush: Wrong. The French want your oil, and you do have weapons of mass
destruction. We have a word for this in Texas: "Not telling the truth." This man
is a bigger liar than Joe Millionaire. In Texas, we'd call him Joe Liar.
Saddam: This is not Texas, this is Iraq. In Iraq, we also have words: "Read
my lips, no weapons of mass destruction."
Bush: Either you prove it, or you're history. I have assembled a coalition
of the willing; not as good as my dad's, but good enough. Tougher times, these
terror times. All Dad had to do was push you out of Kuwait. Regime change is
a whole different ballgame, but regime change it is.
Saddam: You try and you die. The power of Iraq's weapons will defeat the
crusaders.
Bush: But you said you didn't have any weapons of mass destruction.
Saddam: We don't. Ask the French. They believe us. They always judge well in
the face of ag-gression. Look at how history has favored them!
Bush: Old Europe? Our boys died fighting Germans in France twice in the last
century and now both countries claim the moral high ground and all of us
Nazis. We have Americans buried all over Europe and spend billions of dollars
keeping armies there because they couldn't get along. Let the French fry
themselves. Let the Germans stew. A coalition of the willing will be enough to put
your lights out, if you know what I mean.
Saddam: I know no such expression.
Bush: Think Mussolini.
Saddam: Is that a threat? I do not react well to threats, Mr. Bush.
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Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
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Bush: Yeah, I know: Murder and torture and raping wives in front of
husbands. Killing subordinates and then making the widow pay for the bullet. Gassing
entire villages of your own people.
Saddam: I have no weapons of mass destruction. And if the United Nations
asks me to destroy them, I will not. The inspectors have found nothing but a few
old chemical shells and a few pieces of paper. In Iraq, we have a saying:
"If the inspectors cannot find it, it does not exist."
Bush: This makes absolutely no sense. The man is crazy.
Saddam: Don't you know it.
5.1.5 Artikelbeispiel: The Sun (veröffentlicht: 30.1.2003)
Kommentar; Autor nicht angegeben
Loopy Left
WHAT will it take to convince some people that Saddam Hussein is a threat to the world?
A nuclear strike at Israel? Germ warfare attacks on Cyprus? Plague unleashed on the
West?
If that’s the evidence they’re waiting for, it will be too late.
The case President Bush put in his State of the Nation address is logical and convincing.
So is the tough stand taken by Tony Blair, who knows of links between Iraq and AlQ’aida.
But the views of Commons wobblers like Tam Dalyell, Lynne Jones, Diane Abbott and
Alex Salmond are plain daft.
When Abbott shouted “Who’s next?” at the Prime Minister, he was quick to say “North
Korea.”
And he was right to do so.
The world will not be safe from terrorism until all rogue states that deal in deadly weapons
are disarmed.
The Left can’t see that.
But then they’ve been wrong about everything for the past 40 years.
Jakob Milla: FEINDBILD SADDAM – Der “gefährlichste Mann der Welt” im Spiegel der internationalen Presse
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5.2 Literaturverzeichnis
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