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Marco Politi FRANZISKUS UNTER WÖLFEN Der Papst und seine Feinde Leseprobe Kapitel XII Der heilige Petrus hatte keine Bank Die ständigen Finanzskandale im Vatikan erfüllen Jorge Mario Bergoglio – und mit ihm die Mehrheit der nichtitalienischen Kardinäle – schon vor seiner Wahl mit Ärger und Abscheu. Durch die Vatileaks-Affäre kamen die Veruntreuungen ans Licht, die der Generalsekretär des Governatorats Viganò zur Anzeige gebracht hatte: Betrügereien und falsche Rechnungen zulasten der päpstlichen Administration. Es folgte der Hinauswurf des Präsidenten der Vatikanbank (IOR: Istituto per le opere di religione) Ettore Gotti Tedeschi per Kommuniqué des Verwaltungsrats: ein in der Finanzwelt völlig unüblicher Vorgang. Darin wurde er der »Unfähigkeit« bezichtigt, »seine grundlegenden Amtspflichten zu erfüllen« ‒ ein Vorwurf, der darauf ausgerichtet war, ihn beruflich zu ruinieren.1 Benedikt XVI., der Wertschätzung und Freundschaft für den Präsidenten empfand, erfuhr die Neuigkeit aus den Fernsehnachrichten und war zutiefst erschüttert. Einige sagen, er habe geweint. Gottis Bemühungen, den IOR transparenter zu machen, waren bekannt, und genauso bekannt waren auch seine Meinungsverschiedenheiten mit Generaldirektor Paolo Cipriani, der ihm Informationen über die irregulären Konten verweigert hatte. Der Streit um Gottis Entlassung hatte die Vatikanbank noch weiter in Verruf gebracht, nachdem sie in den Neunzigerjahren – Stichwort »Enimont-Skandal« ‒ dazu gedient hatte, Schmiergelder an die italienischen Politparteien zu überweisen, und dem römischen Appellationsgerichtshof zufolge jahrzehntelang in »massivem Umfang« dazu benutzt worden war, Mafiagelder zu waschen.2 Im Vorkonklave war die Debatte über den IOR vor allem in der letzten Sitzung am 11. März nach einem kurzen Lagebericht von Kardinal Staatssekretär Bertone entbrannt. Der nigerianische Kardinal John Onaiyekan sprach vielen Purpurträgern aus dem Herzen: »Der IOR ist kein wesentlicher Bestandteil des Papsttums […] Der IOR ist nicht grundlegend, er ist kein Sakrament und er ist auch kein Dogma«.3 Ein Urteil, das dem Denken Bergoglios sehr nahe kommt. Die Kardinäle waren sich einig: Jemand musste in der Vatikanbank aufräumen. Zuvor hatte bereits die Ernennung des neuen Präsidenten der Vatikanbank Ernst von Freyberg für Irritationen gesorgt, die zu einem Zeitpunkt erfolgte, da Papst Benedikt bereits seinen Rücktritt angekündigt hatte. Seine Einsetzung am 15. Februar 2013 deutete darauf hin, dass der zukünftige Papst aus der Sache herausgehalten werden sollte. Wieder hagelte es Kritik an Kardinal Bertone. Allerdings war diese Entscheidung das Ergebnis eines mehrmonatigen Auswahlverfahrens, mit dem man die Headhunter der internationalen Agentur Spencer Stuart beauftragt hatte. Freyberg – ein deutscher Wirtschaftsanwalt, Generaldirektor der Frankfurter Unternehmensberatungsgesellschaft Daiwa Corporate Advisory und Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburger Schiffswerft Blohm + Voss ‒ wurde unter 40 Kandidaten ausgewählt. Am Tag seiner Nominierung wird bekannt, dass sein Unternehmen auch Schiffe für die deutsche Kriegsmarine baut. Nicht die beste Empfehlung für jemanden, der in Diensten des Heiligen Stuhls tätig werden soll, wenngleich Freyberg den Malteserrittern angehört 1 C. Anderson, Notice and Memorandum, 24. Mai 2012. Appellationsgerichtshof Rom, Urteil im Fall Calvi, 7. Mai 2010. 3 A. Tornielli, »www.lastampa.it«, 12. März 2013. 2 und eine Stiftung gegründet hat, die sich im Bereich der katholischen Bildung engagiert. Freyberg wird ein Teilzeitpräsident sein und sich nur drei Tage pro Woche in Rom aufhalten. In diesem Klima wird Bergoglio zum Papst gewählt. Er bekommt es mit einem verfilzten Geflecht aus politischen, religiösen und geschäftlichen Interessen zu tun. Nachforschungen der römischen Staatsanwaltschaft über den IOR haben viele unangenehme Geschichten zutage gefördert. Die UIF – die für verdächtige Transaktionen zuständige italienische Bankenaufsicht – berichtet beispielsweise, dass eines schönen Tages eine Ordensfrau der Suore Francescane Angeline an einem Schalter der Banca Prossima in Rom erschienen sei und 150.000 Dollar in Bündeln zu je hundert Scheinen auf das Konto der Schule ihres Ordens eingezahlt habe: Die Banderolen, die die Geldbündel zusammenhielten, hätten den Stempel des IOR getragen. Die UIF hält die Höhe und Herkunft dieser Summe für »nicht hinreichend legitimiert«.4 2010 beschlagnahmte die römische Staatsanwaltschaft 23 Millionen Euro auf IORKonten beim Credito Artigiano und bei der Banca del Fucino wegen Missachtung des Anti-Geldwäschegesetzes. Nachforschungen ergaben umfangreiche Aktivitäten des IOR bei der Mailänder Filiale der Frankfurter JPMorgan-Bank. Auf Anfrage der UIF bittet JPMorgan die Vatikanbank um Aufklärung, erhält jedoch keine angemessene Antwort. Auf eine zweite Anfrage, die sich diesmal auf elf konkret benannte Fälle bezieht, reagiert der IOR erneut ausweichend.5 Die Nachforschungen haben Merkwürdiges ans Licht gebracht. Binnen drei Wochen hat der emeritierte Erzbischof von Urbino, Francesco Marinelli, von seinem IOR-Konto aus, das er bei der JPMorgan-Bank unterhielt, sechs Überweisungen im Gesamtumfang von 1,5 Millionen Euro getätigt. Empfänger sind vier Verwandte des Erzbischofs. Die amerikanische Bank verlangt vom vatikanischen Institut Informationen über die »Herkunft der Gelder«, den »Zusammenhang mit Tätigkeiten [des Auftraggebers]«, die »eventuelle Herkunft Dritter« sowie über den Verwendungszweck der Überweisungen. Der IOR lässt sich nicht einmal zu einer Antwort herab. In Anbetracht der Tatsache, dass das monatliche Bruttoeinkommen eines Bischofs sich auf 1300 bis maximal 1800 Euro beläuft, stellt sich die Frage, wie Erzbischof Marinelli zu einem solchen Vermögen gekommen sein könnte. Von einem Journalisten darauf angesprochen, sagt er nur: «Ich weiß nichts von alledem.«6 Die Beamten, die die Nachforschungen leiten – der stellvertretende Leiter der Staatsanwalt von Rom Nello Rossi und die Vertreter der Anklage Stefano Fava und Stefano Pesci ‒, berichten, dass im IOR-System das totale Chaos herrscht: »Die Summen, die auf ein IOR-Konto eingezahlt werden, können ohne weiteres über eine beliebige andere Kontoverbindung, die von demselben Institut unterhalten wird, und mittels ganz unterschiedlicher Vorgänge abgehoben werden […]. Das sorgt nicht nur für Unsicherheit, was den Verwendungszweck der Beträge betrifft – was ja in Sachen Geldwäsche schon alarmierend genug wäre –, sondern löst überdies einen Mechanismus aus, der dazu führt, dass auch die Zwischenstationen nicht von den zuständigen Behörden überwacht werden können.«7 Von 2009 bis 2012 werden auf dem IOR-Konto bei JPMorgan 4 M. Lillo, »Il Fatto Quotidiano«, 18. September 2013. Ebd. 6 Ebd. 7 D. Lusi, M. E. Vincenzi, »la Repubblica«, 9. Oktober 2013. 5 1.361.000.000 Euro umgesetzt, doch um Kontrollen vonseiten der Aufsichtsbehörden zu vermeiden, wird das Konto Abend für Abend auf null gestellt.8 2012 beschließt JPMorgan, die Beziehungen zur Vatikanbank abzubrechen, und löst das Konto auf. Es ist eine ganze Flut von Einzelheiten, die nach und nach in den Medien publik wird, als Franziskus bereits gewählt ist. Das Bild, das sich Stück für Stück zusammensetzt, steht in einem denkbar scharfen Kontrast zu der »armen Kirche für die Armen«, wie der Papst sie sich wünscht. Durch weitere Ermittlungen der italienischen Justiz kommt ans Licht, dass die üblen Geschäfte, die Bischof Viganò angeprangert und der Vatileaks-Skandal an die Weltöffentlichkeit gebracht hatte, mitnichten Phantasien waren. Gotti Tedeschi übermittelt Kardinal Bertello, dem Präsidenten des vatikanischen Governatorats, die Ergebnisse einer internen Untersuchung. Stichproben haben »ergeben, dass die vom Governatorat bezahlten Preise 50 bis 150 Prozent über den marktüblichen Preisen liegen«. Hinzu kommen Interessenkonflikte.9 Und es werden weitere Details darüber bekannt, mit welchen Manövern der Vatikan gemeinsam mit Finanzminister Tremonti zu verhindern versucht hat, die Nachzahlung der Steuern zu vermeiden, die seit 2005 auf die auch zu wirtschaftlichen Zwecken genutzten kirchlichen Immobilien erhoben werden. Wohin er auch blickt, sieht Franziskus den Vatikan in Geschäfte und Transaktionen verwickelt, die wenig mit religiösem Engagement oder karitativer Wohltätigkeit zu tun haben. Eine Kirche, die sich allzu sehr auf die Organisation im weltlichen Sinne konzentriert, so seine Warnung, verliert ihren Sinn. Einige Monate lang bleibt er misstrauisch und trifft nicht einmal offiziell mit Bankpräsident Freyberg zusammen, obwohl der deutsche Manager, wenn er in Rom ist, ebenfalls im Gästehaus Santa Marta logiert. Der Papst nimmt sich Zeit und verkündet noch vier Monate nach seiner Wahl: »Der hl. Petrus hatte kein Bankkonto, und als er seine Steuern zahlen musste, schickte ihn der Herr ans Meer, um zu fischen, damit er im Bauch des Fisches das Geld finde, mit dem er zahlen konnte«.10 Alarmiert erklärt Cipriani, der Generaldirektor des IOR, in einem Interview, dass ein eigenes Finanzinstitut die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls garantiere. Über ein Instrument wie den IOR zu verfügen, sei »unabdingbar«.11 Franziskus hat seine Pläne. 24 Stunden nach Ciprianis Interview – ein zufälliges Zusammentreffen – ernennt er den »Prälaten« des IOR: Msgr. Battista Ricca, Leiter des Gästehauses Santa Marta und anderer kirchlicher Unterkünften wie dem internationalen Priesterhaus in der Via della Scrofa, wo Bergoglio seine Bekanntschaft gemacht hat. Der Papst hat entschieden. Der IOR wird bestehen bleiben, aber von Grund auf verändert und ein für alle Mal den internationalen Transparenzstandards angeglichen werden. Prälat Ricca wird im Verwaltungsrat des Instituts »das Auge und das Ohr« des Papstes sein. In rascher Abfolge richtet Franziskus am 26. Juni die für den IOR zuständige Untersuchungskommission ein und trifft am 10. Juli mit der Kommission und – endlich – auch mit dem Präsidenten der Vatikanbank zusammen. Freyberg seufzt erleichtert auf. 8 M. Lillo, V. Pacelli, »Il Fatto Quotidiano«, 6. September 2013. C. Bonini, »la Repubblica«, 6. September 2013. 10 Franziskus, Tagesmeditation in der Domus Sanctae Marthae (11. Juni 2013). 11 F. Marchese Ragona, »Il Giornale«, 14. Juni 2013. 9 Der Papst beginnt, ihm Dokumente zuzuschicken, die er eigenhändig mit Randnotizen versehen hat. »Es ist schön, Dokumente mit handschriftlichen Anmerkungen des Papstes zu bekommen«, sagt der Bankier.12 Der Prozess der grundlegenden Umgestaltung der Bank kommt in Gang. Und im Zuge der Sparmaßnahmen wird den fünf Kardinälen, die der Kommission zur Beaufsichtigung des IOR angehören, die jährliche Sonderprämie von 25.000 Euro gestrichen. Eigentlich hatte Franziskus sich erst im zweiten Jahr seines Pontifikats um die vatikanischen Finanzen kümmern wollen, doch die rasche Abfolge der negativen Schlagzeilen hatte ihn gezwungen, die Angelegenheit vorzuziehen. »Das wirtschaftliche Problem wurde außerplanmäßig in Angriff genommen«, vertraut er den Journalisten auf dem Rückflug von Brasilien an, um dann mit einem Bild aus dem Fußballsport fortzufahren: »Doch diese Dinge passieren, wenn jemand im Regierungsamt in eine Richtung geht, der Ball dann aber von der anderen Seite geschossen kommt, und du musst ihn abfangen […] Ich weiß nicht, worauf es hinauslaufen wird. […] Doch eines ist klar: Die Merkmale des IOR – sei es nun eine Bank, ein Hilfsfonds oder was auch immer – müssen Transparenz und Ehrlichkeit sein.«13 Ernst von Freyberg ‒ 57 Jahre alt, mit diskretem Auftreten und, seinen eigenen Worten zufolge, der Mentalität eines »mittelständischen Unternehmers« ‒ erinnert sich noch genau an den Moment, als Bertone ihn anrief, um ihn über seine Ernennung in Kenntnis zu setzen: »Ich holte tief Luft und dachte: Gott steh mir bei!« Als Geschäftsmann glaubt er nicht an eine Bankenethik, aber er hat sich ein präzises Ziel gesetzt: »Meine Aufgabe ist es, den IOR von seinem schlechten Ruf zu befreien und in ein modernes, effizientes und diskretes Finanzinstitut umzuwandeln. Absolute Transparenz und total compliance mit den internationalen Regeln.« Strenge Einhaltung aller Anti-Geldwäsche-Gesetze. Am Ende des Ratzinger-Pontifikats zählt der IOR 5200 Institutionen (Ordensinstitute, Stiftungen usw.) und 13.700 Privatleute zu seinen Kunden.14 Zu Letzteren gehören 5000 Angestellte des Vatikans, etwa 8000 Priester und Ordensleute und 700 Diplomaten und »Sonstige«. Das Guthaben auf den Privatkonten beläuft sich auf 1,1 Milliarden Euro. Mitte Mai 2013 ruft Freyberg ein Expertenteam der internationalen Agentur Promontory in die Bank: 20 bis 25 Personen, denen er den Präsidentensalon im Wehrturm Nikolaus V. im Vatikan zur Verfügung stellt, um alle Kunden und Konten genauestens zu überprüfen. 13 Monate später sind die 18.900 Positionen analysiert. Freyberg hat 396 Konten auflösen lassen, deren Inhaber nicht berechtigt waren, die Dienste des IOR in Anspruch zu nehmen. Gelöscht wurden ferner 2600 »schlafende Konten«: gefährliche Mogelpackungen. Weitere 359 Konten bleiben unter Beobachtung. Die Eröffnung eines Kontos ist ab sofort nur mehr »katholischen Einrichtungen, Geistlichen, Angestellten oder ehemaligen Angestellten des Vatikans, die Inhaber eines Lohn- oder Rentenkontos sind, sowie beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten« gestattet. Die Auflösung der laufenden Konten geht mit einer gründlichen Überprüfung einher. Die Kontoinhaber, versichert Freyberg, »können nicht einfach mit dem Geld verschwinden oder es auf die Kaimaninseln schaffen. Es gibt keine Barabhebungen. Sie können es nur 12 M. Politi, »Il Fatto Quotidiano«, 15. September 2013. Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013). 14 Istituto per le opere di religione, Jahresbericht 2012. 13 in Länder überweisen, die sich an die internationalen Regeln halten. Wenn nötig, melden wir der Finanzinformationsbehörde eine „verdächtige Transaktion“.«15 Freyberg hat sich bei seinem Amtsantritt eine Aufstellung der sogenannten »externen Konten« aushändigen lassen – diese Konten wurden in der Vergangenheit für Personen eröffnet, die aufgrund ihres Status kein Anrecht darauf hatten ‒ und es sich zur Aufgabe gemacht, sie restlos zu löschen. Der ehemalige Ministerpräsident Giulio Andreotti hatte ein solches Konto, um ein Beispiel aus der Politik zu nennen,16 oder auch der inzwischen wegen Korruption verurteilte Lobbyist Angelo Balducci, der seinerzeit mit dem Titel eines »Gentiluomo di Sua Santità« geehrt worden war. Die von Promontory durchgeführten Überprüfungen haben Positionen von Kunden ans Licht gebracht, »die uns nicht behagen«, wie der Präsident des IOR gesteht. Die Beziehungen zu diesen Unerwünschten, die dem Profil nicht entsprechen, »werden abgebrochen«. Es scheinen weniger als 100 Personen zu sein. Freyberg erklärt, es handele sich um eine zweistellige Zahl. Aber die Namen der irregulären Kontoinhaber gibt er nicht preis. Mit der Zeit nutzt man neue Verfahren, um verdächtige Operationen aufzudecken, die sodann automatisch dem Generaldirektor der Bank Rolando Marranci und gleichzeitig dem Risk Manager Antonio Montaresi gemeldet werden. Das vatikanische Kontrollorgan, die Finanzinformationsbehörde AIF (Autorità di informazione finanziaria), erhält täglich eine Liste mit den Guthaben über 10.000 Euro sowie eine Aufstellung der vom IOR vorgenommenen Transaktionen. Schwachpunkte des IOR-Systems sind traditionell die externen Konten und die Privatkonten von Angehörigen des Klerus, deren Bewegungen (auch wenn es dabei um eher kleine Beträge geht) beträchtliche Unregelmäßigkeiten aufweisen, wie interne Quellen des IOR einräumen. Und schließlich ist da noch das Problem der bevollmächtigten Unterschriften. Die Möglichkeit, Priester als Strohmänner für undurchsichtige Transaktionen einzusetzen, ist einer der Gründe dafür, dass der IOR als Geldwäschekanal so attraktiv ist. Freyberg hat ein Handbuch erstellen lassen, das detailliert beschreibt, welche Verfahrensweisen die Bankangestellten anwenden müssen, um Kunden, Bevollmächtigte, Spenden und Vorgänge aller Art zu überwachen. Zudem wird ein digitalisiertes EDV-System entwickelt, um für die Kontoinhaber – ganz gleich, ob es sich um einen Schweizer Gardisten, einen vatikanischen Angestellten, einen Priester, einen Bischof oder einen Kardinal handelt ‒ ein Risikoprofil zu erstellen. Dabei nimmt man für jede Kategorie ein Transaktionsvolumen an, das gemessen an der Dauer des Bankverhältnisses, der Identität des Unterschriftenbevollmächtigten, der Art und Häufigkeit der Vorgänge, der Höhe der Beträge und der beteiligten geographischen Regionen als »normal« gelten kann. Am 28. Juni 2013 wird ein vatikanischer Prälat verhaftet. Er ist Rechnungsprüfer der APSA, der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, heißt Nunzio Scarano und stammt aus Salerno. In der Stadt kennt man ihn unter dem Namen »Monsignor 500«, weil er die Angewohnheit hat, befreundeten Unternehmern einen Deal vorzuschlagen: 500-EuroScheine im Tausch gegen Barschecks über fünf- bis zehntausend Euro. Die Staatsanwaltschaft Salerno ermittelt wegen Geldwäsche. Die Verhaftung erfolgt nach der versuchten Durchführung eines abenteuerlichen Plans, bei dem es darum geht, 20 15 16 M. Politi, »Il Fatto Quotidiano«, 15. September 2013. G. Nuzzi, Vatikan AG, München (Goldmann) 2011. Millionen Euro in bar illegal aus der Schweiz zu importieren. Im Einvernehmen mit dem Finanzbroker Giovanni Carenzio – so die Rekonstruktion der Ermittler – verständigt sich Msgr. Scarano mit einem ehemaligen Angehörigen des italienischen Geheimdiensts (AISI), Giovanni Maria Zito, der mit einem Privatflugzeug nach Lugano fliegen, das Geld abheben und es nach Italien zurückbringen soll. Die Operation schlägt fehl, obwohl Zito sich wie vorgesehen in die Schweiz begibt. Der Ex-Agent verlangt seinen vereinbarten Lohn und erhält von Scarano einen ersten Scheck über 400.000 Euro. Als er weitere 200.000 fordert, gibt der Prälat ihm einen zweiten Scheck, den er dann jedoch mit der Begründung sperren lässt, er habe ihn verloren. Gegen Scarano wird Anzeige erstattet, und die Affäre kommt ans Licht. Allein 2009 hat der Prälat von seinen Konten beim IOR 560.000 Euro in bar abgehoben.17 Durch dieses schamlos mit dem Priesterrock bemäntelte Intrigengeflecht gerät der Vatikan erneut ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, und man erfährt Einzelheiten aus dem Leben des Monsignore. Auf dem Konto des 61jährigen, spätberufenen Scarano (er hatte zunächst bei einer Bank gearbeitet), der bei der Haftprüfung als »erfahrener Straftäter« charakterisiert wird, geht Monat für Monat eine Gutschrift über rund 20.000 Euro ein. Als Verwendungszweck wird, recht vage, das Stichwort »Wohltätigkeit« angegeben, und der Auftraggeber ist der Reedereibesitzer Cesare D’Amico. In einem abgehörten Telefonat prahlt Scarano damit, er habe eine Provision von 2,5 Millionen Euro kassiert, um Gelder der Familie D’Amico nach Italien zurückzuholen. 1999 kaufte er von den Suore Piccole Operaie dei Sacri Cuori für knapp 300.000 Millionen alte Lire einen kleinen zweistöckigen Palast mitten im Zentrum von Salerno. Nacheinander erwirbt er eine Garage, eine Sechs-Zimmer-Wohnung und wird, wie »Il Mattino« berichtet, Teilhaber bei drei verschiedenen Immobiliengesellschaften. Als bei Scarano eingebrochen wird und er daraufhin selbst die Polizei ruft, finden die Carabinieri in seinem Haus eine Kunstsammlung mit Werken von De Chirico und Guttuso sowie einem Altarkruzifix aus Sankt Peter von Gian Lorenzo Bernini.18 Aus den mitgeschnittenen Telefonaten geht hervor, dass Scarano enge Beziehungen zum IOR unterhält. »Ich wollte dir sagen, dass ich die Erlaubnis der Direktion [des IOR] bekommen habe. Also, ich gebe dir Bescheid, wann du willst, … wegen dieser Giroangelegenheit!«, sagt der Monsignore zu seinem Gesprächspartner. Und als andere Banken sich nach seinen Transaktionen erkundigen, erklärt Scarano, ebenfalls am Telefon: »Ich habe den Direktor [des IOR, Paolo Cipriani] gefragt, und er sagt: „Nunzio, nein, pass auf … wir haben schon Hunderte von diesen Briefen bekommen und sie alle beantwortet, und deine Antwort wird mehr oder weniger genauso ausfallen wie die anderen, es ist normal, dass wir über den Betrag auf einem laufenden Konto keine Auskunft geben“.«19 Scarano ist ein wichtiger Kunde für den IOR. Bei der Vatikanbank ist man über die Angelegenheit schockiert. »Wir sind in einen Sumpf geraten«, gibt Freyberg zu, »aber wir hatten ein Team, um die Sache anzugehen. In einer sechsstündigen Versammlung haben wir fünf Leute darauf angesetzt, die alles durchkämmen, was in den letzten zehn Jahren auf Scaranos Konto passiert ist. Das Ergebnis war ein 89seitiger Bericht, den wir der Finanzinformationsbehörde übergeben haben.« 17 A. Tornielli, »www.lastampa.it«, 28. Juni 2013. E. Fittipaldi, »L’Espresso«, 16. August 2013. 19 M. Lillo, V. Pacelli, »Il Fatto Quotidiano«, 3. Juli 2013. 18 Der Papst unterstützt diese umfassende Säuberung. Papstsprecher Lombardi lässt verlauten, dass Scarano einen Monat zuvor ‒ sobald man erfahren hatte, das in Salerno wegen Geldwäsche gegen ihn ermittelt wurde ‒ von der APSA suspendiert worden sei. Der Heilige Stuhl »erklärt sich in vollem Umfang zur Kooperation« mit den italienischen Justizbehörden bereit. Der Papst selbst vermittelt den deutlichen Eindruck, dass der Vatikan einen neuen Kurs eingeschlagen und sein früheres Stillschweigen hinter sich gelassen hat. Von den Journalisten auf dieses Thema angesprochen, antwortet er: »Wir haben da diesen Monsignore, der im Gefängnis ist. Er ist nicht ins Gefängnis gekommen, weil er der seligen Imelda gleicht!«20 Das ist eine argentinische Redensart, um anzudeuten, dass Scarano nicht gerade ein Unschuldslamm ist. Franziskus verschanzt sich nicht hinter geschraubten Sätzen, sondern macht mit seiner plastischen Ausdrucksweise klar, dass der Prälat im Gefängnis sitzt, weil er es verdient hat. Franziskus kann sich in dieser Weise äußern, weil die detaillierten Berichte des IOR und der AIF über Scaranos Machenschaften direkt auf seinem Schreibtisch gelandet sind. In den letzten zehn Jahren besaß der Monsignore zehn Konten; fünf waren zum Zeitpunkt seiner Verhaftung leer, drei waren aktiv, bei zweien handelte es sich um Depots. Scarano operierte mit unterschiedlichen ausländischen Währungen. Innerhalb von zehn Jahren hat er sieben Millionen Euro umgesetzt: 4,7 gingen ein, 2,3 wurden abgebucht. Eine Überprüfung, wie sie nach dem Scarano-Skandal durchgeführt wurde, hatte der IOR noch nicht erlebt. Scaranos Konten wurden eingefroren, und auch die vatikanische Justiz hat inzwischen offizielle Ermittlungen eingeleitet. Am 1. Juli müssen der Generaldirektor des IOR Paolo Cipriani und sein Stellvertreter Massimo Tulli ihren Hut nehmen: Auch gegen sie ermittelt der Promotor Iustitiae, der vatikanische Staatsanwalt. Für Franziskus’ Säuberungsvorhaben erweist sich die Scarano-Affäre als Glücksfall. Die Entlassung der alten Führungsriege beschleunigt die Reform der Vatikanbank. Am 1. Oktober 2013 veröffentlicht Freyberg zum ersten Mal die Bilanzen des IOR und stellt sie online. Der Nettogewinn wird mit Datum vom 31. Dezember 2012 auf 86,6 Millionen Euro beziffert und hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht. Die der Bank anvertrauten Sparguthaben belaufen sich auf 6,3 Milliarden Euro. Im sanierten IOR, so Freyberg, sollen die »Geldeinlagen ausschließlich für religiöse Werke im Dienst der Kirche verwendet werden«. Für Franziskus ist dies das erste konkrete Ergebnis seines Pontifikats. Die Säuberung der Bank ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber real. Die Finanzinformationsbehörde AIF – das allgemeine Organ zur Kontrolle der Geldbewegungen in allen Bereichen der vatikanischen Verwaltung, das von Benedikt XVI. eingerichtet und von Kardinal Bertone ein Jahr später in seinen Befugnissen wieder eingeschränkt worden war ‒ erhält unter Franziskus unbegrenzte Überwachungs- und Präventionskompetenzen. Der Papst widmet dem Thema nicht weniger als drei Dokumente: ein Dekret vom 8. August 2013, das Gesetz XVIII vom 8. Oktober und die Reform der AIF vom 15. November desselben Jahres. Die AIF wird Teil der Egmont-Gruppe, eines internationalen Zusammenschlusses staatlicher FIUs , und unterzeichnet Vereinbarungen mit einer Reihe von Ländern, darunter die Vereinigten Staaten, Italien und Deutschland. Zum ersten Mal steht der 20 Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013). Vatikan den italienischen Justizbehörden ernsthaft Rede und Antwort. Dass die Kontrollen tatsächlich greifen, zeigt sich an der deutlich gestiegenen Zahl der Hinweise auf verdächtige Transaktionen: von ganzen sechs im Jahr 2012 auf 105 in den ersten zehn Monaten des Jahres 2013. Und der Papst eröffnet eine weitere Front. Er ermächtigt die internationale Agentur Ernst & Young, die wirtschaftlichen Aktivitäten und die Verwaltung des vatikanischen Governatorats zu durchleuchten.21 Ziele sind höhere Effizienz und geringere Kosten. Zum ersten Mal werden die Wirtschaftsmysterien des päpstlichen Staates von ausländischen Agenturen überprüft. Diese Maßnahme sorgt im vatikanischen Apparat für Verdruss. Man fürchtet, dass zu viele ausländische Augen indiskrete Blicke in die Machtgeheimnisse der Zentralregierung der katholischen Kirche werfen könnten. »Man muss darauf achten, dass die Souveränität des Heiligen Stuhls gewahrt bleibt«, meldet sich ein Kardinal zu Wort, der die Akten sehr genau kennt, »weil die Finanzfrage zur Souveränität eines Staates gehört, und die wiederum ist Grundlage der kirchlichen Sendung.« Franziskus helfen die Erfahrungen, die er in Argentinien gemacht hat. Gleich nach seinem Amtsantritt als Erzbischof von Buenos Aires hatte er sich mit einem Finanzskandal im Dunstkreis des vom Bankrott bedrohten Banco de Crédito Provincial auseinandersetzen müssen. Ein Prälat und enger Mitarbeiter seines Vorgängers Kardinal Quarracino hatte das Erzbistum in eine skrupellose Transaktion verstrickt, bei der es um zehn Millionen Dollar ging. Bergoglio beauftragt die internationale Beratergesellschaft Arthur Andersen, lässt die Konten der Erzdiözese en détail überprüfen und beweist, dass kein einziger Dollar aus dem Kuhhandel in der Bistumskasse gelandet ist und es sich bei einer angeblich von Kardinal Quarracino unterzeichneten Bürgschaft überdies um eine Fälschung handelt. Im Vatikan betrachtet er die Finanzen als eine Angelegenheit, die streng überwacht werden muss. Am 9. Dezember 2013 billigt das europäische Komitee zur Verhinderung von Geldwäsche Moneyval einen Bericht, der bestätigt, dass der Heilige Stuhl »innerhalb kurzer Zeit eine breite Palette von Maßnahmen« ergriffen und insbesondere den rechtlichen Rahmen zur »Kriminalisierung der Geldwäsche […] und eventuellen Beschlagnahmung« genutzt und verbessert hat.22 Gleichwohl verlangt Moneyval, dass auch in Zukunft stichprobenartige Überprüfungen der Vatikanbank und der APSA durchgeführt und insbesondere die Schuldigen vom Vatikan bestraft und die illegalen Gelder konfisziert werden müssten. Der europäische Bericht zollt der entschlossenen Politik des neuen Pontifikats Anerkennung. 2012 war das Institut des Heiligen Stuhls von Moneyval nur mit einem knappen Ausreichend bewertet worden und hatte die Regeln lediglich in neun von 16 grundlegenden Punkten erfüllt. Franziskus weiß, dass die Reinigung der Ställe eine Herkulesaufgabe ist und nie beendet sein wird. Im Januar 2014 hat er die Kardinalskommission zur Überwachung des IOR runderneuert und unter anderem Staatssekretär Parolin und den Wiener Erzbischof Schönborn, einen der bekanntesten Reformer im deutschsprachigen Raum, in dieses Gremium berufen. 21 22 »Adnkronos«, 18. November 2013. Moneyval, Progress Report – The Holy See, 9. Dezember 2013. Die Trockenlegung der Finanzsümpfe duldet keinen Aufschub. Gegen Ende seines ersten Pontifikatsjahrs hat Franziskus einen Wirtschaftsrat aus acht Bischöfen und sieben Laienexperten eingesetzt, um das Wirtschaftsgebaren und die administrativen und finanziellen Aktivitäten sämtlicher Strukturen des Heiligen Stuhls einer ständigen Kontrolle zu unterstellen. Die Leitung dieses Rats hat er dem Münchner Kardinal Reinhard Marx anvertraut, der auch der Gruppe der mittlerweile neun Kardinäle angehört, die den Papst in der Kirchenleitung unterstützen. Gleichzeitig ist ein neues vatikanisches Ressort – eine Art Kombination aus Schatzamt, Haushalts- und Finanzministerium ‒ entstanden. Es nennt sich Wirtschaftssekretariat, und sein Präfekt ist der Kardinal von Sidney, George Pell, ebenfalls Mitglied des K9-Rats, dem der Papst seinen persönlichen Sekretär Msgr. Xuereb als Generalsekretär zur Seite gestellt hat. Das Dikasterium ist direkt dem Papst verantwortlich und soll das Management der vatikanischen Organe vor allem im Einkauf operativ kontrollieren, um das für einige Beteiligte höchst profitable Dickicht der Auftragsvergabe und Beschaffung, das seit jeher den Ruf des Vatikans beschädigt, mit der Wurzel auszurotten. Für die Rechnungsprüfung der einzelnen Einrichtungen wird ein Generalrevisor zuständig sein, und der detaillierte Jahreshaushalt des Heiligen Stuhls und der Vatikanstadt soll veröffentlicht werden, wie das Motu Proprio Fidelis dispensator et prudens festschreibt. Während der Papst, was die endgültige Form des IOR betrifft, noch zu keinem Entschluss gelangt ist, ist die APSA inzwischen erstmals offiziell als »Zentralbank« des Vatikans bezeichnet worden. Jedenfalls sollen, wenn es nach Franziskus geht, alle Güter der Kirche nicht nur auf die Notwendigkeiten der Evangelisierung, sondern auch auf die Bedürfnisse der Armen ausgerichtet sein. Als Ernst von Freyberg im Juli 2014 zu seinen Geschäften in Deutschland zurückkehrt, wird die Leitung des IOR dem 51jährigen französischen Finanzier Jean-Baptiste de Franssu anvertraut. De Franssu war zuvor Geschäftsführer bei Invesco Europa und Präsident des europäischen Investmentfondsverbands EFAMA. Mit der Amerikanerin Mary Ann Glendon wird zum ersten Mal eine Frau Mitglied im Verwaltungsrat des IOR. De Franssus Ernennung leitet die zweite – technokratische – Phase ein, nachdem das erste Stadium der IOR-Reform vor allem den Aufräumarbeiten gewidmet gewesen war. Das Institut für die religiösen Werke wird seinen Bankcharakter mehr und mehr verlieren und sich stattdessen zu einer Einrichtung entwickeln, die sich auf Finanzberatung und Zahlungsdienstleistungen für Ordenskongregationen, Bistümer und den Klerus spezialisiert. Der neue französische Bankpräsident hat außerdem die Schaffung eines »Vatican Asset Managements« angekündigt, in dem die komplette vatikanische Güterverwaltung zusammengeführt werden soll. Ein Projekt, das innerhalb des päpstlichen Staates auf heftigen Widerstand stoßen wird. De Franssu muss sich mit einem unerwarteten Einbruch der Wirtschaftskraft des IOR auseinandersetzen. Der Rechenschaftsbericht zum Jahr 2012 hatte einen Reinerlös von 86,6 Millionen Euro verzeichnet. Dem stehen im Jahr 2013 2,9 Millionen Euro gegenüber. Freybergs Transparenzmaßnahmen haben nicht nur zur Auflösung laufender Konten geführt, sondern überdies Fehlinvestitionen ans Licht gebracht, die von den Verantwortlichen vergangener Jahre getätigt worden waren. Dennoch sagt der Haushalt für 2013 dem Papst eine Summe von 54 Millionen für karitative Werke zu. De facto haben die Italiener innerhalb von 20 Monaten ihren Zugriff auf die finanziellen Schaltstellen des Vatikans verloren. Ein Franzose (De Franssu) leitet den IOR, ein Spanier (Abril y Castello) die Kommission zur Bankenaufsicht, ein Amerikaner (Wells) das AntiGeldwäsche-Komitee, ein Deutscher (Marx) den Wirtschaftsrat, ein Australier (Pell) das neue Finanzministerium, und ein Schweizer (René Bruelhart) ist Präsident der AIF. Und nie zuvor haben die Hinterzimmer des Vatikans so vielen ausländischen Agenturen offengestanden: Promontory, Ernst & Young, KPMG und McKinsey (um die vatikanischen Kommunikations- und Medienstrukturen zu rationalisieren). Es bleibt noch viel zu tun. Bei seinen Verhören durch die römische Staatsanwaltschaft hat Msgr. Scarano die Existenz von Nummernkonten bei der APSA enthüllt, deren Inhaber »externe Laien« seien.23 Ein weiteres Kapitel, das bisher noch nicht in Angriff genommen wurde, betrifft die Güterverwaltung der Kongregation de Propaganda Fide, die in den letzten Jahren wiederholt von Skandalen erschüttert wurde. Das energische Eingreifen von Kardinal Pell, der begonnen hat, die wirtschaftliche Situation der verschiedenen Verwaltungen des Heiligen Stuhls zu überprüfen, hat die Existenz geheimer (wenn auch völlig legaler) Sparvermögen in den Kongregationen, päpstlichen Räten und im Staatssekretariat ans Licht gebracht, deren Wert sich auf »Hunderte Millionen von Euro« beläuft. Gelder, wie der australische Purpurträger erklärt hat, die »nicht in den offiziellen Bilanzen des Heiligen Stuhls auftauchten«.24 Pell, der im Vatikan »the Ranger« genannt wird, hat, was die Kontrolle der Wirtschaftsaktivitäten der vatikanischen Verwaltungen betrifft, vom Papst weitreichende Vollmachten erhalten. Sein Projekt einer zentralisierten Verwaltung der Gelder und Immobilien wurde allerdings durch den Einwand blockiert, dass das von ihm geleitete Wirtschaftssekretariat nicht gleichzeitig Verwaltungs- und Überwachungsorgan sein kann. Doch der bloße Plan hat bereits genügt, um hinter den Kulissen eine schmutzige Kampagne gegen ihn loszutreten. Seine Gegner werfen ihm vor, er habe Hunderttausende von Euro in die Ausstattung seines neuen Sekretariats gesteckt und auch seine persönlichen Spesen allzu großzügig bemessen: 2.508 Euro für Maßanfertigungen des vatikanischen Hofschneider Gammarelli, 1.103 Euro für ein Flugticket von Rom nach London, 1.150 Euro für einen Flug nach Dresden, 1.238 Euro für eine Flugreise nach München.25 Wer dieses Thema in der Kurie anschneidet, sticht in ein Wespennest. Ein unterirdisches Netz aus weitverzweigten Interessen beäugt die Reformen des argentinischen Papstes mit Argwohn und Ärger. Auch auf die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien ist ein Schatten gefallen, weil die vatikanische Finanzinformationsbehörde Personen, die beträchtliche Barsummen über die Grenzen zwischen den beiden Staaten bringen, mit Namen kennt, diese Namen aber nicht an die italienischen Behörden weitergibt. 2012 wurden bei Einreisen in den Vatikan 598 und bei Ausreisen nach Italien 1782 Devisenerklärungen verzeichnet. Für denselben Zeitraum wurden der Zollstelle Roma1 von in den Vatikan einreisenden Personen 13 und von aus dem Vatikan Ausreisenden vier solcher Erklärungen vorgelegt. Die Diskrepanz lässt auf massive Steuerhinterziehung schließen.26 Wenig transparent erscheint bislang 23 »www.ilfattoquotidiano.it«, 2. Oktober 2013. G. Pell, »Catholic Herald«, 3. Dezember 2014. 25 E. Fittipaldi, »L’Espresso«, 5. März 2015. 26 M. Lillo, V. Pacelli, »Il Fatto Quotidiano«, 7. Dezember 2013. 24 mangels Informationen vonseiten des IOR auch die Kontrolle der Spenden, die vermutlich das höchste Geldwäscherisiko bergen. Im Januar 2014 wurde Msgr. Scarano erneut verhaftet, weil er mithilfe fiktiver Spenden Geldbeträge in Höhe von sechs Millionen Euro gewaschen haben soll. In diese Affäre sind ein Notar und etwa 50 weitere Personen verwickelt. Papst Franziskus ist von dieser Verderbtheit der Herzen angewidert. »Wir sind alle Sünder, aber wir sind nicht alle korrupt«, hat er beim Treffen mit den Generaloberen katholischer Männerorden gesagt. »Es werden Sünder, aber keine Korrupten akzeptiert.« Korrupte müssten aus den Seminaren und Instituten ausgeschlossen werden, so der Pontifex. Und die Werke der Kirche müssten mit Herzensarmut geführt werden, ohne dass der Priester sich mit der Mentalität eines Unternehmers identifiziere und aufhöre, Priester zu sein. Worte eines Rufers in der Wüste. »Franz von Assisi. Er ist für mich der Mann der Armut«, hat der argentinische Papst kurz nach seiner Wahl zu den Journalisten gesagt. Wer im Dienst der Kirche arbeitet, dem steht ein bescheidener Stil gut zu Gesicht. Denn eine »reiche Kirche« wird leblos. Das ist Franziskus’ schwerster und einsamster Kampf. Viele Menschen in seinem Umfeld sind zwar höflich, aber träge. In Kriegszeiten, so lautet seine Mahnung bei einer Audienz für Caritas Internationalis, müsse man sich um die Verwundeten kümmern. »Wir müssten sogar die Kirche verkaufen, um den Armen zu essen zu geben.« »Das meint er nicht wörtlich«, merkt Kardinal Bagnasco an, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, und bezeichnet diesen Ausspruch als »provozierenden Denkanstoß«. Für ihn ist die Geschichte damit erledigt. »Wer soll ihm die Kirchen denn abkaufen? Und wozu?«, fragt Bagnasco. »Außerhalb von Italien hat man das mit leerstehenden Kirchen so gemacht, aber ich weiß nicht, ob das ein gutes Geschäft gewesen ist.«27 Im Centro Astalli, einer Einrichtung der jesuitischen Flüchtlingshilfe, provoziert Franziskus erneut: »Die leeren Klöster braucht die Kirche nicht, um sie in Hotels zu verwandeln und Geld zu verdienen.« Sein Appell ist unmissverständlich: »Die leeren Klöster gehören nicht euch, sie sind für das Fleisch Christi, das die Flüchtlinge sind.«28 Rom ist voller Klöster und Generalate, die in Hotels umgewandelt und oft im Rahmen undurchsichtiger Transaktionen und mit der Hilfe fragwürdiger Geschäftsleute verkauft worden sind. Ein Umdenken ist nicht in Sicht. Kurz vor Papst Bergoglios 77. Geburtstag wird das ehemalige römische Generalat eines Ordens – heute ein Vier-Sterne-Hotel mit Pool, das luxuriöse Grand Hotel del Gianicolo ‒ im Rahmen einer gegen die ’Ndrangheta gerichteten Operation beschlagnahmt. Die Affäre ist ein Klassiker ihrer Gattung. In den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts wird ein kleines Hotel am Rand der kalabrischen Stadt Palmi in eine milliardenschwere Kapitalgesellschaft umgewandelt, die das Generalat kurz vor Anbruch des Heiligen Jahrs 2000 für 15 Milliarden Lire käuflich erwirbt. Beim Notar legen die Käufer etwa elf Milliarden Lire in bar auf den Tisch, auch wenn sie anschließend – um die Transaktion zu verschleiern – einen Kredit über 13 Milliarden aufnehmen.29 Die gemeinsamen Ermittlungen der Staatsanwaltschaften von Reggio Calabria und Rom 27 I. Scaramuzzi, »TMNews«, 24. Mai 2013. Franziskus, Ansprache beim Besuch des römischen Flüchtlingszentrums »Astalli« (10. September 2013). 29 G. Baldessarro, »www.repubblica.it«, 12. November 2013. 28 führen zur Beschlagnahmung eines Vermögens im Wert von 150 Millionen Euro: 53 Immobilien in Rom, in der Provinz Bologna und in Kalabrien. Die Ermittler vermuten, dass hinter den Hotelbesitzern Giuseppe und Pasquale Mattiani der Mafiaclan Gallico steht.30 Es ist kein Zufall, dass ein Dokument über die Güterverwaltung der religiösen Orden, das Kardinal Braz de Aviz, der Präfekt der Kongregation für die Institute geweihten Lebens, auf Wunsch des Papstes veröffentlicht hat, die Forderung enthält, dass »Entscheidungen auch in der Phase der Immobilienveräußerung mit Augenmaß« getroffen werden sollen. In diesem Bereich wurden in den vergangenen Jahrzehnten allzu viele dubiose Geschäfte abgeschlossen. Im ersten Jahr seines Pontifikats wird Franziskus das Ausmaß der durch Veruntreuung und zwielichtige Geschäfte verursachten Probleme deutlich. In der deutschen Kirche eskaliert der Skandal um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst. Für den Bau seiner neuen Residenz hat er 31 Millionen Euro ausgegeben: 15.000 für die Badewanne, 350.000 für die Wandschränke, weitere 783.000 für die Einrichtung eines »Mariengartens«. Die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« berichtet, dass die Kostenvoranschläge für den neuen Bischofssitz – die sich auf 17 Millionen Euro beliefen – auf zehn Projekte verteilt worden seien, um keine Genehmigung vonseiten des Vatikans einholen zu müssen, die immer dann erforderlich ist, wenn ein Betrag die FünfMillionen-Euro-Grenze überschreitet. Die Gläubigen der Diözese sind empört, die deutsche Bischofskonferenz beruft eine Untersuchungskommission ein, Franziskus schickt den Bischof ins Exil, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind.31 Dann wird er abgesetzt und im Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung untergebracht. Seit seinem Amtsantritt hat der Papst wegen eines Finanzdebakels in der Größenordnung von 800 Millionen Euro auch in Slowenien bereits zwei Bischöfe zum Rücktritt gezwungen: Marjan Turnšek, den Bischof von Maribor, und Anton Stres, den Bischof von Ljubljana. Franziskus hat in diesem Fall Canon 401 § 2 des Kodex des Kanonischen Rechts zur Anwendung gebracht, der den Amtsverzicht eines Bischofs vorsieht, wenn dieser »wegen seiner angegriffenen Gesundheit oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund nicht mehr recht in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen«. In Kamerun tritt der Erzbischof von Yaoundé, Simon-Victor Tonyé Bakot, von der Bühne ab, nachdem die Gläubigen sich über die schlechte Verwaltung der kirchlichen Besitztümer beschwert haben. Nach Berichten von Radio Vatikan war er in zahlreiche Immobiliengeschäfte verwickelt. Die Diözese Yaoundé besitzt das größte Immobilienvermögen von ganz Kamerun.32 Italien macht dem Pontifex aufgrund der geschäftlichen Ambitionen vieler Klerusangehörigen die meisten Sorgen. Franziskus sieht sich von reißenden und verantwortungslosen Wölfen umgeben. Nachdem Scarano aufgeflogen ist, muss der Papst im November 2013 mitansehen, wie der Ordensobere der Kamillianer, Renato Salvatore, verhaftet wird. Hintergrund ist ein Machtkampf um die Verwaltung von 200 Krankenhäusern überall auf der Welt. Dabei geht es um Auftragsvergaben und öffentliche Gelder in Millionenhöhe. Als die Neubesetzung der Ordensämter anstand, hatte Pater Salvatore mit der Hilfe des römischen Steuerberaters Paolo Oliverio – der seinerseits inzwischen verhaftet worden 30 R. Frignani, M. Proto, »www.corriere.it«, 12. November 2013. M. Politi, »Il Fatto Quotidiano«, 18. Oktober 2013. 32 A. Tornielli, »www.lastampa.it«, 31. Juli 2013. 31 ist, weil er für Mitglieder der ’Ndrangheta und andere Vertreter der Unterwelt Geld gewaschen haben soll ‒ zwei Mitbrüder entführen lassen, um zu verhindern, dass sie gegen seine Wiederwahl stimmten. Oliverio bedient sich zweier Steuerfahnder, die ihm treu ergeben sind und eine kriminalpolizeiliche Überprüfung simulieren. Die beiden Priester Rosario Messina und Antonio Puca werden in die Büroräume der römischen Finanzpolizei gebracht, dort festgehalten und einem fingierten Verhör unterzogen. Ein abgehörtes Telefonat bringt den Plan ans Licht: »Also, am Montag schnappst du dir diesen Scheißpfaffen«, sagt Oliverio zu einem der Fahndungsbeamten, »und bringst ihn zur Finanzpolizei … und da halten wir ihn dann drei bis vier Stunden fest«. Der Untersuchungsrichter erklärt, Pater Salvatore sei »infolge der Nichtanwesenheit der beiden Geistlichen … mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen« wiedergewählt worden. Am Tag seiner Wahl war er »ständig mit Paolo Oliverio in Kontakt«.33 Oliverio, der Steuerberater, auf den sich der Obere des Kamillianerordens so fest verlassen hatte, ist einer dieser umtriebigen Geschäftemacher mit einem dicht geknüpften Netz von Beziehungen zur Welt des Business, der Institutionen und der Kirche. Auf seinen Computern finden die Ermittler Hinweise auf Kontakte zu hohen Prälaten, Geheimdienstfunktionären, Unternehmern und Politikern. Franziskus steht vor einem Sumpf. Was die menschliche Schwäche angesichts der Versuchung der Macht betrifft, hat sich der argentinische Papst nie Illusionen hingegeben, doch in letzter Instanz fallen alle diese Affären immer auf den Vatikan zurück. 2013 tritt ein weiterer großer Skandal in seine finale Phase ein: Das Italienische Institut für Dermatologie (IDI), das gemeinsam mit dem Krankenhaus San Carlo di Nancy von der Kongregation der Töchter der Unbefleckten Empfängnis geleitet wird, steht kurz vor dem Bankrott. Die Gründung dieser Einrichtungen geht wie so oft auf den karitativen und selbstlosen Impuls einer großen Persönlichkeit des Katholizismus zurück: Luigi Maria Monti hatte die Kongregation der Konzeptionisten in den ersten Jahren der italienischen Einigung ins Leben gerufen, damit sie sich um die Erziehung bedürftiger verwaister Jugendlicher kümmerte. Daraufhin eröffnete der Orden in mehreren italienischen Regionen Institute und Krankenhäuser. Ein Jahrhundert später knirscht es im Gebälk. 2003 verschärft sich die finanzielle Situation des IDI, was aber von den Betreibern verschwiegen wird. Nach weiteren acht Jahren ist es offiziell. Die Löhne der 1500 Angestellten werden nicht mehr regelmäßig ausgezahlt. Das Defizit soll sich auf 450 bis 600 Millionen Euro belaufen. Am 18. Februar 2013 ernennt Kardinal Bertone nur wenige Tage nach dem Rücktritt Benedikts XVI. Giuseppe Kardinal Versaldi, den Verantwortlichen der Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Apostolischen Stuhls, zum außerordentlichen Geschäftsführer der Einrichtung. Am 30. März 2013 ernennt die Regierung drei Kommissare, die die außerordentliche Verwaltung des IDI übernehmen sollen. Am 14. April 2013 wird Pater Franco Decaminada, bis 2011 geschäftsführender Direktor des IDI, gemeinsam mit dem ehemaligen Verwaltungsdirektor des Instituts Domenico Temperini und Antonio Nicolella, einem Berater der Kongregation und ehemaligen Agenten des italienischen Geheimdienstes SISMI, verhaftet. Der Pater weist jegliche Verantwortung zurück und sagt, er habe von allem nichts gewusst. Die Ermittlungen 33 I. Cimmarusti, »www.iltempo.it«, 7. November 2013. ergeben eine »Spoliation« von 14 Millionen Euro aus dem Vermögen des IDI; vier Millionen davon waren Gelder, auf die Pater Decaminada unmittelbaren Zugriff hatte.34 Bei einer Durchsuchung in den Räumen der Konzeptionisten in der Via della Conciliazione hatten die Ermittler im Jahr zuvor zu Protokoll gegeben, dass die Tageseinnahmen von 60.000 bis 70.000 Euro nicht mehr auf die IDI-Konten eingezahlt wurden und dass Decaminada bei einer Gelegenheit »6,8 Millionen Euro auf einmal abgehoben« hatte. Außerdem hatte sich herausgestellt, dass »viele Personen vom IDI monatliche Lohnzahlungen erhalten, obwohl sie nie im Krankenhaus angestellt waren und niemand weiß, welche Aufgaben sie innerhalb der Struktur wahrgenommen haben«.35 Vieles ist merkwürdig. Zwischen 2006 und 2009 hatte Decaminada die wirtschaftliche Leitung des IDI praktisch ganz an einen unbekannten Unternehmer aus der Campagna namens Giovanni Rusciano übergeben. 2011 hatte die ASI Roma3 den Rechnungshof darauf hingewiesen, dass der IDI dieselben medizinischen Dienstleistungen mehrmals in Rechnung gestellt hatte.36 Gesellschaften und Scheinunternehmen fliegen auf, die als Auffangbecken für Geldströme aus dem IDI und der italienischen Provinz des Konzeptionistenordens gedient haben: »Elea F.P.«, »Elea s.p.a.«, »GI.Esse Service« (einziger Eigentümer: Decaminada), »Punto immobiliare s.r.l.« (Geschäftsführer: Decaminada). Im Kongo hat der Manager des IDI die Ölförderungsgesellschaft Ibos II gegründet.37 Die Fernsehsendung Report von Milena Gabanelli dokumentiert sogar Bargeldsummen, die Decaminadas Büro in Schuhkartons verlassen haben.38 Allen Verdächtigen werden Beteiligung an einer Straftat, Unterschlagung und die Ausstellung von Rechnungen über Transaktionen vorgeworfen, die niemals stattgefunden haben. Gleichsam in Sichtweite des Papstes wird eine medizinische Einrichtung der Kirche, die auf dem Gebiet der Dermatologie und Onkologie Herausragendes geleistet hat, so heruntergewirtschaftet, dass ihr nun die Zwangsversteigerung droht. Die Schulden belaufen sich inzwischen auf 750 Millionen Euro. Franziskus hat oft gegen Diebstahl und Schmiergelder und gegen vermeintliche Wohltäter der Kirche gepredigt, die in Wirklichkeit Steuern hinterziehen. An einem Septembermorgen – bei der Messe im Gästehaus Santa Marta – wendet er sich mit besonders schmerzlichen Worten gegen den Götzendienst des Geldes. Wer am Geld hängt, entfernt sich von Gott. »Das Geld macht das Denken krank, es macht den Glauben krank…« Das geschieht auch in der Kirche, fügt er hinzu. Die Liebe zum Geld lässt Priester und Bischöfe Sünden begehen. Und wenn die Habgier die Oberhand gewinnt, dann werden die Menschen »geistig korrupt« und laufen Gefahr, »die Religion als eine Quelle des Profits zu betrachten«. Der Herr, so sein abschließender Wunsch, »möge uns allen helfen, nicht dem Götzenkult des Geldes zu verfallen«. Sehr hart ist auch die Mahnung von den »volksfernen« korrupten Politikern, die der Papst in der Messe für die italienischen Parlamentarier an seine Zuhörer richtet. 34 »www.repubblica.it«, 4. April 2013. »www.ilmessaggero.it«, 6. Juli 2012. 36 E. Fittipaldi, »www.espressonline.it«, 27. Oktober 2013. 37 I. Sacchettoni, »www.corriere.it«, 5. April 2013. 38 I. Sacchettoni, »www.corriere.it«, 27. Januar 2013. 35 Es ist ein ungleicher Kampf. Das verfilzte Gestrüpp aus Kirchenleuten und Geschäftemachern wuchert in Italien und insbesondere in Rom seit der Gründung des Staates der Vatikanstadt am 11. Februar 1929. Es auszumerzen ist eine Herausforderung, die die Kräfte eines einzelnen Mannes übersteigt. Kapitel XIII Die Feinde von Papst Franziskus Die Feinde von Papst Franziskus agieren und reden im Verborgenen. Sie applaudieren mit den anderen, heucheln Papsttreue und mögen es gar nicht, wenn man sie als Gegner des argentinischen Pontifex bezeichnet. Schließlich, so sagen sie, wollen sie doch nur verhindern, dass er Fehler macht. Doch wenn sie unter sich sind, wetzen sie ihre Zungen. Ähnlich wie Kardinal Siri, der von Kriegsende bis 1987 Erzbischof von Genua war. Er hielt Johannes XXIII. für unfähig und nannte das Zweite Vatikanische Konzil eine Katastrophe. In gewissen Kurienkreisen ist es en vogue, sich über Franziskus’ einfache Sprache zu mokieren und ihm doktrinelle Unstimmigkeiten vorzuwerfen. »Er redet wie ein Landpfarrer«, hat ein Kardinal zu Andrea Riccardi gesagt.1 »Wenn alle Landpfarrer so geredet hätten, dann wäre die Kirchengeschichte anders verlaufen«, hat der Gründer der Gemeinschaft Sant’Egidio dagegengehalten. Auch im Ausland gibt es Kardinäle, die ein Loblied auf Benedikt XVI. singen und sticheln, man müsse »dem Papst mit der Theologie ein bisschen helfen«. Ein deutscher Prälat versteigt sich zu der Frage: »Was können wir mit einer Copacabana-Theologie anfangen?« Das Murren auf den Fluren der Kurie beginnt schon am Abend nach der Wahl. Dem Chor derer, die von Franziskus’ schlichtem Auftreten begeistert sind, gesellen sich Stimmen hinzu, die subtile Kritik üben: weil er keine Stola und keine roten Schuhe getragen und weil er ostentativ das Wort Papst vermieden habe. Bergoglio hat zu viele Klischees durchbrochen. »Man wollte eine Veränderung, einen neuen Stil, aber mit einem so frischen Wind hatten die Kardinäle nicht gerechnet!«, so der humorvolle Kommentar des 80jährigen Kardinals und früheren Erzbischofs von Westminster Murphy-O’Connor. »So einer war dann doch eine Überraschung.« Eine unliebsame Überraschung für die Nostalgiker des Ratzingerismus, der die intellektuelle Verteidigung der katholischen Identität und Tradition in einen raffinierten theologischen, philosophischen und kulturellen Diskurs gekleidet hatte. »Franziskus achtet mehr auf die pastoralen als auf die doktrinellen Positionen«, erklärt das Oberhaupt einer vatikanischen Behörde: »Damit ist er das genaue Gegenteil seines Vorgängers.« Als der Papst im Interview mit der Zeitschrift »Civiltà Cattolica« sagt, man könne sich nicht ständig mit den Themen Abtreibung, Verhütung und Homo-Ehe befassen, bricht sich der Unmut der Konservativen auf den einschlägigen Webseiten Bahn. Die Forderung, der Papst solle für »Klarheit« sorgen, lässt nicht lange auf sich warten. Irritiert zeigt man sich auch darüber, dass er nicht gegen das HomophobieGesetz Stellung nimmt, das im italienischen Parlament diskutiert wird. Oder gegen die Leitlinien der UNO zur Sexualerziehung der Jugendlichen, die in der Frage, was natürlich und was »widernatürlich« ist, Verwirrung stiften würden.2 Franziskus’ Ausdrucksweise verstört und erschreckt die traditionalistischsten Kreise der Kurie. Es erschreckt sie, wenn er davon spricht, dass eine falsche Ausbildung an den Priesterseminaren »kleine Monster« hervorbringe.3 Und es verstört sie, wenn er die 1 A. Riccardi, »Criterio«, Dezember 2013. P. Deotto, »www.riscossacristiana.it«, 12. November 2013. 3 Franziskus, »Weckt die Welt auf«, http://de.radiovaticana.va/storico/2014/01/03/papst_traf_ordensleute_%E2%80%9Eweckt_die_ welt_auf!%E2%80%9C/ted-760987. 2 »salbungsvollen Priester« anprangert, die sich der Eitelkeit hingeben und »ein affektiertes Verhalten, eine gezierte Sprache an den Tag legen«, Priester, die einem »Schmetterling« gleichen und »dem Gott Narziss ergeben« sind.4 Es erschüttert sie, dass er die Grenzen der frommen Ermahnungen nicht respektiert, sondern mit seiner direkten Sprache den Finger in die Wunde legt. Der Papst, der sich während der Generalaudienz bückt, um einer Frau ihre heruntergefallene Tasche aufzuheben, hält nichts davon, wenn man allzu sehr auf den sakralen Charakter des päpstlichen Amtes pocht. »Sein Stil der großen Einfachheit ist denen ein Dorn im Auge, die sich den Papst immer auf dem Thron und mit der Mitra auf dem Kopf vorstellen«, sagt der Vizedekan des Kardinalskollegiums Giovanni Battista Re. In der Kurie bilden sich Nester der Kritik und Missstimmung. Franziskus’ Tendenz, das Zeremoniell zu vereinfachen, beunruhigt die eifrigen Hüter des Protokolls, die eine »Herabsetzung […] der Symbolik der heiligen Riten, Bräuche, Gegenstände und Gebäude« beklagen.5 Dass Franziskus sich bei seinem Südkoreabesuch das gelbe Band, das ihm eine Überlebende der während des Zweiten Weltkriegs von den Japanern vergewaltigten »Sexsklavinnen« geschenkt hat, auf das weiße Papstgewand heftet, ist für sie unerträglich. Einige Kardinäle haben sich noch immer nicht damit abgefunden, dass Franziskus nicht in der päpstlichen Wohnung leben will. »Ein Oberhaupt muss dort anzutreffen sein, in seiner Wohnung«, sagt ein Kardinal mit Nachdruck. »Es ist nicht gut, dass manche ihm zufällig begegnen und andere nicht.« Und ein langjähriger Purpurträger setzt hinzu: »Die Residenz so vieler Päpste leer stehen zu lassen, ist ihnen gegenüber praktisch eine Kritik […] es ist widersinnig, auf der einen Seite zu wohnen und sich dann für die offiziellen Pflichten auf die andere Seite des Apostolischen Palasts hinüberzubegeben«. Seit Monaten sind kleine Sticheleien darüber im Umlauf, dass im päpstlichen Arbeitszimmer »das Licht ausgegangen« und für die Gläubigen und Passanten auf dem Petersplatz am späten Abend nicht mehr zu erkennen sei, dass der Papst noch arbeite. Was die Kardinäle und Prälaten, die sich gegen den neuen Kurs sperren, nicht offen sagen können, bricht sich im Netz auf den konservativen Webseiten Bahn. In dieser Phase des Umbruchs beschränken sich die Seiten und Blogs der Minderheiten nicht darauf, in eigener Sache zu sprechen, sondern machen sich zum Sprachrohr von Widerständen und Kritiken in durchaus nicht unwichtigen Bereichen der Hierarchie und des kirchlichen Apparats. In Rom und weltweit. »Es kursiert eine heimtückische Ratzingernostalgie, die dazu benutzt wird, seinen Nachfolger zu verunglimpfen«, macht ein Kenner der Kurie, der Sekretär der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika Guzmán Carriquiry, seinem Ärger Luft.6 Das Trommelfeuer der Kritik ist unerbittlich. Dieser Papst, der sich in den Generalaudienzen das Scheitelkäppchen aus- und wieder anzieht, es womöglich verschenkt oder gegen eine Mütze aus dem Publikum tauscht, spiele den »alten Großvater, der seinen Enkel unterhält«, und neige dazu, »die Symbole des Papsttums zu entsakralisieren, um sie abzuwerten und abzuschaffen«.7 Die Seite »Pontifex« wirft ihm von Anfang an »Populismus, Pauperismus und Demagogie« vor. »Gefallsüchtiger Papst« 4 Franziskus, Tagesmeditation Wie ein Priester sein muss (11. Januar 2014). S. Magister, »www.espressonline.it«, 21. März 2013. 6 G. Galeazzi, »www.lastampa.it«, 8. Oktober 2013. 7 »apostatisidiventa.blogspot.it«, 3. Juni 2013. 5 nennt ihn der Blog »Messa in Latino« und bezeichnet seinen Stil als »stillschweigende Kritik am Pontifikat Benedikts«. In den Vereinigten Staaten toben sich die Franziskusgegner auf der Seite »Tradition in Action« aus. Unter der Überschrift »Bergoglio und die Demontage der päpstlichen Symbole« werden dort 48 Protokollverstöße des Papstes aufgelistet. Der Stil der Website erinnert an die amerikanischen Wahlkampagnen, die auf die Vernichtung des Gegners abzielen. Das Sündenregister lässt nichts aus: von der Anordnung der Kerzen auf dem Altar bis zur Abschaffung des päpstlichen Mercedes, von der Weigerung, spitzenbesetzte Gewänder zu tragen, bis hin zu der Tatsache, dass der Diakon nicht vor dem Papst niederkniet, wenn dieser während der Messe den Segen erteilt. Ein Vorwurf folgt auf den anderen. Man ist nicht einverstanden mit seiner »unpassenden« Art, die Kommunion auszuteilen, man ist nicht einverstanden mit seiner Weigerung, auf dem Thron zu sitzen. Vom Symbol des Thrones sind die Konservativen geradezu besessen. »Tradition in Action« stellt eigens Fotografien nebeneinander, die Franziskus und Benedikt XVI. in der Lateranbasilika zeigen, um deutlich zu machen, dass der argentinische Papst Ratzingers schweren vergoldeten Thron eingemottet hat und sich mit einem einfachen weißen Sessel begnügt. Wieder und wieder wird dazu aufgerufen, mit Papst Franziskus keinen Personenkult zu treiben. Das heißt, die Distanz zu ihm zu wahren. Dann ist da der Vorwurf, er wolle »den Mantel der Autorität Christi nicht anlegen« und glaube »augenscheinlich, dass die katholische Lehre sich der Menschheit anpassen müsse und nicht umgekehrt«.8 Es ist ein ganzer Sturm von zum Teil sogar höhnischen Angriffen. »Die Welt applaudiert Bergoglio mit seinem Pauperismus […] weil er den Menschen nach dem Mund redet […] und ihnen sagt, was sie hören wollen: Gott vergibt immer alles […] es lebe die Liebe […] wir haben uns alle lieb […] Solidarität, Miserabilismus, Drittweltismus, Ökologismus und – das kann nie schaden – eine kleine Prise Feminismus«.9 Ähnliches ist, wenn auch subtiler, vorsichtiger und indirekter, in manchen Räumen des Vatikans zu hören. Der Papst, der im Gästehaus Santa Marta selbst an den Kaffeeautomaten geht und vertraulich mit den Rezeptionisten plaudert, treibt die Anhänger der päpstlichen Sakralität in den Wahnsinn. Solche Kratzer auf der Ikone einer beinahe himmlischen Autorität sind für manche Vertreter der kirchlichen Welt unerträglich und werden den Katholizismus ins Unheil stürzen. Ein verheerender Schritt in Richtung Protestantismus! Man kann eine ganze Stunde lang mit einem Kardinal sprechen, ohne dass er auch nur die leiseste Kritik am Papst äußert, und dann, plötzlich, als man schon fast an der Tür ist, bricht es aus ihm heraus: »Es ist nicht gut, dass ein Papst den Zeitungen Interviews gibt […] Er richtet zu viele Kommissionen ein […]. Er kritisiert die Priester zu oft: Sie tun doch auch viel Gutes!« Msgr. Georg Gänswein hat im Gespräch mit der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit« eine verbreitete Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Die rechte Hand Benedikts XVI. habe Franziskus’ Entscheidung, nicht in der päpstlichen Wohnung zu wohnen, als, so schreibt die Zeitung (wenn auch in Anführungszeichen), einen »Affront« empfunden. Wörtlich 8 9 L. Verrecchio, »www.traditioninaction.org«, 24. September 2013. M. Castagna, »www.agerecontra.it«, 18. April 2013. zitiert sie Gänsweins resignierten Kommentar: »Ich warte jeden Tag von Neuem, was heute anders sein wird [als vorher].«10 Als seine Worte Aufsehen erregen, erklärt der Sekretär Benedikts XVI., er habe der Zeitung kein Interview gegeben. Präzise Signale einer zudem formell geäußerten Nichtübereinstimmung kommen aus den konservativen Bereichen des US-amerikanischen Episkopats. Der Bischof von Providence (Rhode Island) Thomas Joseph Tobin hat gegenüber dem Bistumsblatt seine Enttäuschung darüber bekundet, dass der Papst im Interview mit der »Civiltà Cattolica« die Frage der Abtreibung und der »ungeborenen Kinder« nicht ausführlicher behandelt habe. Der Pontifex, so fügte er hinzu, müsste die Lebensschutzbewegungen klarer ermutigen. In Philadelphia hat Bischof Charles Chaput, der erste indianische Bischof der Kirchengeschichte, auf der Homepage seiner Diözese die Mahnung veröffentlicht, dass »alle direkten Angriffe auf unschuldiges menschliches Leben wie Abtreibung und Euthanasie an den Fundamenten des Hauses Gottes rütteln«. Francis Kardinal George, ehemaliger Erzbischof von Chicago, hat öffentlich erklärt: »Ich möchte den Papst fragen, ob ihm eigentlich bewusst ist, was er mit seinem Satz: „Wenn jemand schwul ist […] ‒ wer bin ich, über ihn zu urteilen?“ ausgelöst hat.« In Italien haben die Kreise, die sich gegen Veränderungen und insbesondere gegen das von Franziskus angestrebte partizipative Kirchenmodell sträuben, im Giuliano Ferraras »Foglio« ihr bevorzugtes Sprachrohr gefunden. Alles, was die Nostalgiker der ratzingeristischen Ideologie nicht selbst zu sagen wagen, fließt durch die von Laien verfassten Beiträge dieser Zeitung. Der Historiker Roberto de Mattei, Anhänger des Kreationismus und streitbarer Kritiker des II. Vatikanischen Konzils, hat sich im »Foglio« gegen die Hypothese von einer Reform der päpstlichen Monarchie gewandt. De Mattei – der die stillschweigende Unterstützung eines Teils der kirchlichen Hierarchie genießt – will es nicht dulden, dass man in Bezug auf den Bischof von Rom von einem Ehrenprimat oder einem Primat der Liebe spricht, also dieselbe Formel verwendet wie Franziskus selbst am Abend seiner Wahl. Was den römischen Pontifex auszeichne, so De Mattei polemisch, sei seine oberste, »vollumfängliche und absolute« Jurisdiktionsgewalt, die ihn von jedem anderen Bischof unterscheide. Der Papst besitze die souveräne Regierungsgewalt. Daran etwas zu ändern, warnt De Mattei, »würde nicht nur an die historische Form, sondern an das göttliche Wesen des Papsttums rühren«.11 Mit solchen Signalen, die dem argentinischen Papst über Dritte zugespielt werden, will man sein Vorgaben, die »Kollegialität« in den Strukturen der katholischen Kirche zu stärken, im Keim ersticken. Je länger Bergoglio im Amt ist, desto klarer formiert sich der Widerstand gegen die von ihm verfolgte Linie. Zwei Vertreter des Traditionalismus, der Journalist Alessandro Gnocchi und der Kirchenrechtler und Dozent für Bioethik Mario Palmaro, beide Mitarbeiter bei Radio Maria, haben ebenfalls im »Foglio« unter dem Titel »Dieser Papst gefällt uns nicht« einen Artikel aufgesetzt, der sich liest wie ein Manifest. Schlag auf Schlag wird darin Franziskus’ »zur Schau gestellten Armut« kritisiert, seine Ablehnung des Proselytismus verurteilt, sein angeblicher moralischer Subjektivismus angeprangert – wegen seiner Aussage im Gespräch mit Scalfari: »Jeder von uns hat seine Sicht des 10 11 »www.zeit.de«, 4. Dezember 2013. R. de Mattei, »Il Foglio«, 28. März 2013. Guten und auch des Bösen. Wir müssen ihn dazu anregen, sich auf das zuzubewegen, was er als das Gute erkannt hat« ‒ und seine Vorstellung von der Kirche als einem Feldlazarett in Bausch und Bogen verdammt. Das Beunruhigendste an Bergoglios Denkweise, so das vom diskreten Applaus der Papstgegner begleitete Fazit von Gnocchi und Palmaro, sei die »Vorstellung von einem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen doktrineller Strenge und Barmherzigkeit: Wo die eine herrscht, kann die andere nicht sein […]. Wir haben es hier mit dem Phänomen eines Anführers zu tun, der der Masse genau das sagt, was sie hören will.« Die beiden fordern Bergoglio heraus. Es gebe »Gesetze, die nicht einmal der Stellvertreter Christi ändern kann«, erklären sie. »Christus kann keine Option unter vielen sein. Zumindest nicht für seinen Stellvertreter.«12 Am Tag nach der Veröffentlichung spricht Radio Maria den beiden Mitarbeitern die Kündigung aus, während Franziskus zum Telefon greift und Palmaro anruft, um den Verdacht einer Zensur im Keim zu ersticken. Mit der Zeit werden die Vorkämpfer des Traditionalismus immer aggressiver und versprühen ihr Gift gegen die Worte des Papstes, die sie als »unverständlich, unpassend, irreführend« bezeichnen. Seine Sprechweise, so ihr Vorwurf, habe dem Amt des Stellvertreters Christi »seinen sakralen Charakter, seine Autorität und seine Ehrwürdigkeit genommen«: Der Papst sei inzwischen nur mehr der »Präsident eines religiösen Vielvölkerstaats«.13 Auch in Amerika haben nichtgeistliche Katholiken die Feindseligkeiten gegen den Pontifex eröffnet. Der konservative Publizist Michael Novak wirft den ersten Stein: »Ein Freund hat mich gefragt, ob der Papst eigentlich weiß, was für einen Schaden er mit diesen spontanen Kommentaren anrichtet. Wenn man von „Obsession“ spricht, weil sich jemand kontinuierlich für den Lebensschutz engagiert, dann tut das weh.« Novak – ein Anhänger von Johannes Paul II. und Papst Ratzinger – stimmt in den Chor der katholischen Traditionalisten ein und erklärt, Franziskus ermutige mit seinen Äußerungen »zur Kritik an der Kirche, und zwar vonseiten ihrer erklärten Gegner, die nur auf eine solche Gelegenheit gewartet haben«.14 In den Vereinigten Staaten ist, daran erinnert der Historiker Massimo Faggioli, der sich auf die Geschichte des Christentums spezialisiert hat, ein stabiles Netzwerk aus Universitäten, Colleges und katholischen Lobbys am Werk, das – nicht anders als die konservativen protestantischen Kreise – die Meinung vertritt, eine traditionalistische Glaubenssicht sei unabdingbar für das moralische Wohl Amerikas. Dieser Block betrachtet Franziskus’ pastorale Neuerungen mit Argwohn – wenn nicht gar mit offener Feindseligkeit. Der passive Widerstand ist eine uralte Methode, Kritik zum Ausdruck zu bringen, ohne sich dabei allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. »Lassen wir ihn reden«, lautet das Motto dieser stillschweigenden Opposition, die aufdringlicher wird, weil sie darauf vertraut, dass die Päpste kommen und gehen, die Kurie aber bleibt. Die Kurie ist eine komplexe Welt, ein Schmelztiegel der Nationalitäten, ein Mosaik aus Personen größeren oder kleineren Formats, die großenteils von einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein und einer engen Bindung an die Institution beseelt sind. Was sie motiviert, ist oft – aber nicht immer – der Stolz, in einem Kommandozentrum von internationaler Bedeutung zu arbeiten. Und komplex ist auch die Mentalität der hohen 12 A. Gnocchi, M. Palmaro, »Il Foglio«, 9. Oktober 2013. »Una Vox«, Juli 2014. 14 P. Mastrolilli, »www.lastampa.it«, 21. September 2013. 13 Würdenträger, die sich nicht so ohne Weiteres in diese oder jene Schublade einordnen lassen. Da gibt es Prälaten, die bereit sind, wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion zu spenden, den Frauen aber den Zugang zu leitenden Ämtern verwehren wollen. Andere haben kein Problem damit, wenn jemand schwul ist, pochen jedoch mit großer Strenge auf die Pflicht des Papstes, sich an das Protokoll zu halten. Wieder andere sind sozial sehr aufgeschlossen und sperren sich gleichzeitig gegen die Aussicht auf eine Demokratisierung der kirchlichen Tradition. Die Lager der Traditionalisten und Reformer weisen unzählige Schattierungen auf: Alle haben ihre Gründe, und zuweilen gibt es Überschneidungen. »Unser Einfluss beruht auf unserer Vielfalt«, behaupten die aufgeklärten Konservativen und führen die vielen Gelegenheiten ins Feld, bei denen hohe staatliche Autoritäten vor den uralten Seilschaften der römischen Institution die Segel streichen mussten. »Wir sind glaubwürdig, weil wir mit der Zeit gehen«, sagen dagegen die gemäßigten Reformer und verweisen auf die Flexibilität, die der Heilige Stuhl im Lauf der Jahrhunderte immer wieder an den Tag gelegt hat. Die unerwartete Schnelligkeit, mit der die letzten Konklaves zu einem Ergebnis geführt haben, zeigt, dass das Kardinalskollegium in der Lage ist, über unterschiedliche Auffassungen zu sprechen und sich zu verständigen: zur größeren Ehre der Kirche von Rom. Der Vatikan ist keine homogene Masse. Ein Kern von Prälaten ist glücklich über den neuen Kurs und dankbar für die Wahl, die das Konklave getroffen hat. Andererseits war die Kurie schon vor dem Konklave in mehrere Gruppierungen gespalten: die Anhänger von Scola, die Parteigänger des brasilianischen Kardinals Scherer und die Befürworter des argentinischen Papstes. Den Vatikan hat Kardinal Bergoglio nie sonderlich gemocht. Zu seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires hatte er kein gutes Verhältnis zu Nuntius Adriano Bernardini, der dem damaligen Kardinal Staatssekretär Sodano sehr nahestand. Die konservativen argentinischen Bischöfe beschwerten sich in Rom über Bergoglio, weil er in ethischen Fragen zu nachgiebig sei. Als Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz war er mit einer Reihe von Bischofsernennungen vonseiten des Vatikans alles andere als einverstanden. Und Rom erwiderte seine Antipathie. 2009 ernannte Kardinal Bergoglio den Bibelwissenschaftler, Schriftsteller und damaligen Präsidenten der Argentinischen Gesellschaft für Theologie Victor Manuel Fernández zum Rektor der Katholischen Universität Buenos Aires. Daraufhin musste er mit ansehen, wie der Vatikan die Angelegenheit wegen angeblicher Zweifel an der Rechtgläubigkeit des Theologen hinauszögerte. Erst im Mai 2011 konnte Fernández nach unerfreulichen Szenen in den Vorzimmern des Vatikans als Rektor der Universität vereidigt werden. Es hat Bergoglio immer schon Unbehagen bereitet, wenn jemand sich an den Vatikan wandte, um eine mutmaßliche doktrinelle Abirrung zur Anzeige zu bringen. Auch die obsessive Leidenschaft für die sogenannten nicht verhandelbaren Grundsätze hat er nie geteilt. In Rom wollen sie »die Welt in ein Kondom stecken«, so lautet ein ihm zugeschriebenes Bonmot aus seiner Zeit als Kardinal. Vielmehr zeigte er sich vor Ort, in Buenos Aires, zunehmend beunruhigt von der sich stetig verschlechternden Situation der Kirche. Einem befreundeten Priester vertraute er an: »Wenn meine Mutter und deine Mutter heute auferstehen würden, dann würden sie den Herrn anflehen, dass er sie wieder unter die Erde schickt, um den Verfall dieser Kirche nicht mitansehen zu müssen.«15 Gianni Valente, der befreundete römische Journalist, bei dem Bergoglio oft zum Abendessen war, erinnert sich, dass er so selten wie möglich in den Vatikan kam. »Der höfische Geist sagte ihm nicht zu, und die mangelnde Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Ortskirchen genauso wenig«.16 Ihn verdross der Ehrgeiz der Bischöfe, die geradezu manisch in immer größere Diözesen wechselten, als ginge es darum, die Stufen einer Erfolgsleiter hinaufzuklettern. Mit der Selbstbezüglichkeit der Kurie und mit dem Karrierismus in ihrem Inneren ist Franziskus noch nie zurechtgekommen. In den verschlungenen Gängen der Kurie sind Fallen aufgestellt, in die Franziskus leicht hineingeraten kann. So hat man den Papst, als er Msgr. Battista Ricca zum Prälaten für den IOR ernannte, über gewisse Einzelheiten im Unklaren gelassen. Gegen Ricca, einen altgedienten Diplomaten des Heiligen Stuhls, sind im Apostolischen Palast recht konkrete Vorwürfe im Umlauf. Während seiner Zeit in Montevideo, wohin er 1999 versetzt worden war, hatte man ihm ein Verhältnis mit einem Hauptmann der Schweizer Armee namens Patrick Haari nachgesagt. Nach wiederholten Vorkommnissen war es Nuntius Janusz Bolonek im Jahr 2001 gelungen, beim Staatssekretariat Riccas Abberufung zu erwirken.17 Zum Zeitpunkt seiner Ernennung jedoch übergibt das Staatssekretariat, das noch von Kardinal Bertone geleitet wird, dem Papst eine makellose Personalakte. Die Bombe platzt erst später. Und Franziskus zeigt der Situation gewachsen. Den Journalisten erklärt er: »Was Msgr. Ricca betrifft: Ich habe getan, was das Kanonische Recht zu tun vorschreibt, nämlich die Investigatio previa durchgeführt. Und aus dieser Investigatio geht nichts von dem hervor, was ihm vorgeworfen wird; wir haben nichts dergleichen gefunden.«18 Das beweist, dass man den argentinischen Papst nicht vollständig über die Situation unterrichtet hatte. Doch gleich im Anschluss erteilt der Pontifex den Mitarbeitern der Medien wie auch des Vatikans, die sich immer wieder gerne der kompromittierenden Macht der Information bedienen, eine kleine Lektion in Sachen Eleganz: »Ich sehe, dass man häufig in der Kirche – außerhalb dieses Falles und auch in diesem Fall – zum Beispiel nach „Jugendsünden“ sucht und das dann veröffentlicht. Nicht nach Straftaten, die Straftaten sind eine andere Sache – der Missbrauch von Minderjährigen ist eine Straftat. Nein, nach Sünden. Aber wenn ein Mensch – Laie, Priester oder Schwester – eine Sünde begangen und sich dann bekehrt hat, vergibt sie der Herr, und wenn der Herr vergibt, dann vergisst er, […] und wir haben nicht das Recht, nicht zu vergessen«.19 Verglichen mit seiner Zeit in Buenos Aires ist Franziskus in einem Punkt im Nachteil: Zuhause kannte er die 800 Priester seiner Diözese persönlich. In Rom besitzt er keine vergleichbare Kenntnis des vatikanischen Apparats, und solange er über kein hinreichend breit aufgestelltes Team verfügt, besteht die Gefahr, dass sich Vorfälle wie der beschriebene wiederholen. 15 C. Martini Grimaldi, Ero Bergoglio, sono Francesco, Venedig (Marsilio) 2013. G. Valente im Gespräch mit dem Verfasser. 17 S. Magister, »www.espressonline.it«, 28. August 2013. 18 Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013). 19 Ebd. 16 Die Kurie ihrerseits ist verunsichert und weiß nicht, in welche Richtung Franziskus’ Revolution verlaufen wird. »Die Muster von früher sind nicht mehr gültig«, bemerkt Renato Kardinal Martino mit der Erfahrung des langjährigen Diplomaten. Das Gefühl, nicht genau zu wissen, wo diese neue Entwicklung hinführen wird, verbindet Anhänger und Gegner. »Ich bete für den Papst, denn eines Morgens, wenn die Flitterwochen vorbei sind und die Zeit der Entscheidungen kommt, werden sie am Fuß der Mauer auf ihn warten«, seufzt der über 80jährige Kardinal Roger Etchegaray, der als Botschafter Johannes Pauls II. in allen Krisenregionen dieser Welt unterwegs war und die von Bergoglio eingeleitete Wende begrüßt. »Zu Füßen der Mauer« ist eine französische Redewendung und meint eine Situation, in der man den Schwierigkeiten von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. »Amtsträger auszutauschen ist einfach. Das Schwierige ist, die Mentalität und die Gewohnheiten der Christen zu verändern, die sich in die Vergangenheit zurücksehnen«, sagt Etchegaray abschließend. Ein Papst, der tagtäglich etwas Neues hervorbringt, sorgt für Verwirrung. Der heimtückischste Feind von Franziskus’ Reformpolitik lauert im vatikanischen Unterholz. In den Reihen derer, die es gewohnt sind, mit zwielichtigen Gestalten unterschiedlichster Provenienz zusammenzuarbeiten, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Was die ökonomischen Verhältnisse betrifft, so befriedigt der Vatikan bei jenen, die Christus beiseitegeschoben und sich der Weltlichkeit hingegeben haben – wovor der Papst immer wieder warnt ‒, ein gewisses Wohlstandsbedürfnis. Der Leiter eines vatikanischen Amts, der 2.800 Euro verdient, kann seine Bezüge durch das Amt eines päpstlichen Zeremoniars um weitere 2.000 Euro aufstocken. Wenn er zudem auf der Gehaltsliste des Domkapitels von Sankt Peter steht, sind das noch einmal 1.500 Euro. Wer einer Kommission angehört, erhält dafür zwischen 600 und 800 Euro. Das alles steuerfrei. Von den vergünstigten Mieten für die Dienstwohnungen ganz zu schweigen.20 Doch manche wollen noch mehr. Sie sind in der Minderheit, aber sie sind reißende Wölfe. Die Skandale, die immer wieder von den Medien enthüllt werden, fügen dem Heiligen Stuhl unabsehbaren Schaden zu. »In den letzten Amtsjahren Johannes Pauls II. hat das Fehlen eines Papstes, der mit straffer Hand regiert, üble Praktiken hervorgebracht«, erzählt ein Diplomat, der die Geschehnisse im Vatikan aus der Nähe verfolgt hat. »Dabei hat sich ein ungesundes Machtsystem herausgebildet, das demontiert werden muss«. Ein Netz aus persönlichen Beziehungen und Interessen, dem skrupellose Akteure diesseits und jenseits des Tibers angehören. Das beweisen die mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Finanzskandale. Die Omertà ist ein starker Klebstoff. Ein nordeuropäischer Kardinal gesteht, er sei seinerzeit von einem Bischof kontaktiert worden, der von finsteren Machenschaften in einem vatikanischen Dikasterium erfahren hatte. Es ging um Millionen von Euro. Der Kardinal schickte einen Brief ans Staatssekretariat und berief sich auf sein Gewissen. Er bekam nie eine Antwort. Er selbst wagte es nicht, die Sache publik zu machen. Die Kurie ist ein Geflecht aus vielen Einzelleben. Ein Szenario aus ausgeklügelten Überlegungen und tödlichen Treibsanden. Zusammengehalten wird das Ganze seit jeher – über alle Spannungen, Gegensätze und Konflikte hinweg – von der Idee des Papsttums als absoluter Macht. Die sich mit einem einzigen Kameraschwenk darstellen ließe: von 20 F. Di Giacomo, »Il Venerdì di Repubblica«, 10. Januar 2014. Berninis Kolonnaden, die die ganze Welt umarmen, über die Kuppel von Michelangelo als Sinnbild einer perfekt strukturierten Kirche bis hin zu dem Kreuz auf ihrer Spitze als Verweis auf Christus und seinen Stellvertreter, der höher steht als alle Könige und Präsidenten dieser Welt. Dieses Ensemble ist es, das Franziskus auseinanderdividiert: Auf der einen Seite stehen die, die sich nicht von der alten Vorstellung und Ausübung der Macht trennen können. Und auf der anderen Seite stehen die, die bereit sind, sich auf das Abenteuer einer Umgestaltung der Kirche einzulassen, weil sie wollen, dass diese Kirche den Männern und Frauen des dritten Jahrtausends etwas zu sagen hat. Die Kurie ist auch ein Mikrokosmos aus Eifersüchteleien, Selbstverleugnung, vernichtendem Tratsch, Karrierismus und Dienstbarkeit. »Es gibt Heilige an der römischen Kurie«, hat der Papst schon mehrfach gesagt und damit die mustergültigen Prälaten gemeint, die ihre Arbeit mit großer Professionalität erledigen und gleichzeitig Männer des Gebets sind und sich in ihrer freien Zeit den Werken der Nächstenliebe widmen. Dennoch weiß Franziskus auch um die Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten. »Ich glaube, dass die Kurie sich nicht mehr ganz auf dem Niveau befindet, das sie einmal gehabt hat«, erklärt er wenige Monate nach seinem Amtsantritt und denkt mit Wehmut an den »Kurienbediensteten vom alten Schlag« zurück, »der treu seine Arbeit erledigt hat«.21 Es gibt eine soziologische Erklärung für die sinkende Qualität des Kurienpersonals: den Rückgang der Berufungen. In der Vergangenheit, als die Berufungen noch zahlreich waren, schickte ein Bischof die besten Priester in den Vatikan und hatte noch immer genug hervorragende Leute für seine Diözese. Heute, in Zeiten des Priestermangels, neigt ein Bischof dazu, die begabtesten der jungen Priester als seine engsten Mitarbeiter an sich zu binden. Der Kirchenhistoriker Alberto Melloni beschreibt das Szenario, in das Franziskus hineingeraten ist, mit sehr harten Worten. Er spricht von einer Kurie, deren Personal »die Vorstellung geerbt hat, gleichzeitig die Mitte und das Ganze zu sein«. In diesem Umfeld gedeihe ein von Heuchelei und übler Nachrede getränkter Karrierismus, der auf »Selbstüberschätzung« und gleichzeitig auf der »Geringschätzung ebender institutionellen Dimension [beruht], deren man sich bedient«.22 Der Niedergang, so Melloni, habe sich in dem Dritteljahrhundert zwischen Wojtyłas Wahl und Ratzingers Rücktritt verschärft. Franziskus weiß, dass er innerhalb der Kurienstruktur noch reichlich isoliert dasteht und dass viele kirchliche Kreise in Rom und außerhalb ihm zwar applaudieren, sich aber scheuen, in seine Fußstapfen zu treten. »Er läuft Gefahr, wenige Nachahmer zu finden«, bemerkt Bischof Giancarlo Bregantini. Und er wird noch deutlicher: »Obwohl ihn alle „heilig, gut und tüchtig“ nennen, besteht das Risiko, dass der Papst am Ende alleine bleibt«.23 Doch seine argentinischen Freunde wissen, dass Franziskus stur sein kann. 21 Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013). A. Melloni, Quel che resta di Dio, Turin (Einaudi) 2013. 23 M. Tulli, »Ansa«, 18.12.2013. 22