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Marco Politi
FRANZISKUS UNTER WÖLFEN
Der Papst und seine Feinde
Leseprobe
Kapitel XII
Der heilige Petrus hatte keine Bank
Die ständigen Finanzskandale im Vatikan erfüllen Jorge Mario Bergoglio – und mit ihm
die Mehrheit der nichtitalienischen Kardinäle – schon vor seiner Wahl mit Ärger und
Abscheu. Durch die Vatileaks-Affäre kamen die Veruntreuungen ans Licht, die der
Generalsekretär des Governatorats Viganò zur Anzeige gebracht hatte: Betrügereien
und falsche Rechnungen zulasten der päpstlichen Administration. Es folgte der
Hinauswurf des Präsidenten der Vatikanbank (IOR: Istituto per le opere di religione)
Ettore Gotti Tedeschi per Kommuniqué des Verwaltungsrats: ein in der Finanzwelt völlig
unüblicher Vorgang. Darin wurde er der »Unfähigkeit« bezichtigt, »seine grundlegenden
Amtspflichten zu erfüllen« ‒ ein Vorwurf, der darauf ausgerichtet war, ihn beruflich zu
ruinieren.1
Benedikt XVI., der Wertschätzung und Freundschaft für den Präsidenten empfand,
erfuhr die Neuigkeit aus den Fernsehnachrichten und war zutiefst erschüttert. Einige
sagen, er habe geweint. Gottis Bemühungen, den IOR transparenter zu machen, waren
bekannt, und genauso bekannt waren auch seine Meinungsverschiedenheiten mit
Generaldirektor Paolo Cipriani, der ihm Informationen über die irregulären Konten
verweigert hatte. Der Streit um Gottis Entlassung hatte die Vatikanbank noch weiter in
Verruf gebracht, nachdem sie in den Neunzigerjahren – Stichwort »Enimont-Skandal« ‒
dazu gedient hatte, Schmiergelder an die italienischen Politparteien zu überweisen, und
dem römischen Appellationsgerichtshof zufolge jahrzehntelang in »massivem Umfang«
dazu benutzt worden war, Mafiagelder zu waschen.2
Im Vorkonklave war die Debatte über den IOR vor allem in der letzten Sitzung am 11.
März nach einem kurzen Lagebericht von Kardinal Staatssekretär Bertone entbrannt.
Der nigerianische Kardinal John Onaiyekan sprach vielen Purpurträgern aus dem Herzen:
»Der IOR ist kein wesentlicher Bestandteil des Papsttums […] Der IOR ist nicht
grundlegend, er ist kein Sakrament und er ist auch kein Dogma«.3 Ein Urteil, das dem
Denken Bergoglios sehr nahe kommt. Die Kardinäle waren sich einig: Jemand musste in
der Vatikanbank aufräumen.
Zuvor hatte bereits die Ernennung des neuen Präsidenten der Vatikanbank Ernst von
Freyberg für Irritationen gesorgt, die zu einem Zeitpunkt erfolgte, da Papst Benedikt
bereits seinen Rücktritt angekündigt hatte. Seine Einsetzung am 15. Februar 2013
deutete darauf hin, dass der zukünftige Papst aus der Sache herausgehalten werden
sollte. Wieder hagelte es Kritik an Kardinal Bertone. Allerdings war diese Entscheidung
das Ergebnis eines mehrmonatigen Auswahlverfahrens, mit dem man die Headhunter
der internationalen Agentur Spencer Stuart beauftragt hatte. Freyberg – ein deutscher
Wirtschaftsanwalt, Generaldirektor der Frankfurter Unternehmensberatungsgesellschaft
Daiwa Corporate Advisory und Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburger Schiffswerft
Blohm + Voss ‒ wurde unter 40 Kandidaten ausgewählt.
Am Tag seiner Nominierung wird bekannt, dass sein Unternehmen auch Schiffe für die
deutsche Kriegsmarine baut. Nicht die beste Empfehlung für jemanden, der in Diensten
des Heiligen Stuhls tätig werden soll, wenngleich Freyberg den Malteserrittern angehört
1
C. Anderson, Notice and Memorandum, 24. Mai 2012.
Appellationsgerichtshof Rom, Urteil im Fall Calvi, 7. Mai 2010.
3
A. Tornielli, »www.lastampa.it«, 12. März 2013.
2
und eine Stiftung gegründet hat, die sich im Bereich der katholischen Bildung engagiert.
Freyberg wird ein Teilzeitpräsident sein und sich nur drei Tage pro Woche in Rom
aufhalten.
In diesem Klima wird Bergoglio zum Papst gewählt. Er bekommt es mit einem verfilzten
Geflecht aus politischen, religiösen und geschäftlichen Interessen zu tun.
Nachforschungen der römischen Staatsanwaltschaft über den IOR haben viele
unangenehme Geschichten zutage gefördert. Die UIF – die für verdächtige
Transaktionen zuständige italienische Bankenaufsicht – berichtet beispielsweise, dass
eines schönen Tages eine Ordensfrau der Suore Francescane Angeline an einem Schalter
der Banca Prossima in Rom erschienen sei und 150.000 Dollar in Bündeln zu je hundert
Scheinen auf das Konto der Schule ihres Ordens eingezahlt habe: Die Banderolen, die die
Geldbündel zusammenhielten, hätten den Stempel des IOR getragen. Die UIF hält die
Höhe und Herkunft dieser Summe für »nicht hinreichend legitimiert«.4
2010 beschlagnahmte die römische Staatsanwaltschaft 23 Millionen Euro auf IORKonten beim Credito Artigiano und bei der Banca del Fucino wegen Missachtung des
Anti-Geldwäschegesetzes. Nachforschungen ergaben umfangreiche Aktivitäten des IOR
bei der Mailänder Filiale der Frankfurter JPMorgan-Bank. Auf Anfrage der UIF bittet
JPMorgan die Vatikanbank um Aufklärung, erhält jedoch keine angemessene Antwort.
Auf eine zweite Anfrage, die sich diesmal auf elf konkret benannte Fälle bezieht, reagiert
der IOR erneut ausweichend.5
Die Nachforschungen haben Merkwürdiges ans Licht gebracht. Binnen drei Wochen hat
der emeritierte Erzbischof von Urbino, Francesco Marinelli, von seinem IOR-Konto aus,
das er bei der JPMorgan-Bank unterhielt, sechs Überweisungen im Gesamtumfang von
1,5 Millionen Euro getätigt. Empfänger sind vier Verwandte des Erzbischofs. Die
amerikanische Bank verlangt vom vatikanischen Institut Informationen über die
»Herkunft der Gelder«, den »Zusammenhang mit Tätigkeiten [des Auftraggebers]«, die
»eventuelle Herkunft Dritter« sowie über den Verwendungszweck der Überweisungen.
Der IOR lässt sich nicht einmal zu einer Antwort herab. In Anbetracht der Tatsache, dass
das monatliche Bruttoeinkommen eines Bischofs sich auf 1300 bis maximal 1800 Euro
beläuft, stellt sich die Frage, wie Erzbischof Marinelli zu einem solchen Vermögen
gekommen sein könnte. Von einem Journalisten darauf angesprochen, sagt er nur: «Ich
weiß nichts von alledem.«6
Die Beamten, die die Nachforschungen leiten – der stellvertretende Leiter der
Staatsanwalt von Rom Nello Rossi und die Vertreter der Anklage Stefano Fava und
Stefano Pesci ‒, berichten, dass im IOR-System das totale Chaos herrscht: »Die Summen,
die auf ein IOR-Konto eingezahlt werden, können ohne weiteres über eine beliebige
andere Kontoverbindung, die von demselben Institut unterhalten wird, und mittels ganz
unterschiedlicher Vorgänge abgehoben werden […]. Das sorgt nicht nur für Unsicherheit,
was den Verwendungszweck der Beträge betrifft – was ja in Sachen Geldwäsche schon
alarmierend genug wäre –, sondern löst überdies einen Mechanismus aus, der dazu
führt, dass auch die Zwischenstationen nicht von den zuständigen Behörden überwacht
werden können.«7 Von 2009 bis 2012 werden auf dem IOR-Konto bei JPMorgan
4
M. Lillo, »Il Fatto Quotidiano«, 18. September 2013.
Ebd.
6
Ebd.
7
D. Lusi, M. E. Vincenzi, »la Repubblica«, 9. Oktober 2013.
5
1.361.000.000 Euro umgesetzt, doch um Kontrollen vonseiten der Aufsichtsbehörden zu
vermeiden, wird das Konto Abend für Abend auf null gestellt.8 2012 beschließt
JPMorgan, die Beziehungen zur Vatikanbank abzubrechen, und löst das Konto auf.
Es ist eine ganze Flut von Einzelheiten, die nach und nach in den Medien publik wird, als
Franziskus bereits gewählt ist. Das Bild, das sich Stück für Stück zusammensetzt, steht in
einem denkbar scharfen Kontrast zu der »armen Kirche für die Armen«, wie der Papst
sie sich wünscht.
Durch weitere Ermittlungen der italienischen Justiz kommt ans Licht, dass die üblen
Geschäfte, die Bischof Viganò angeprangert und der Vatileaks-Skandal an die
Weltöffentlichkeit gebracht hatte, mitnichten Phantasien waren. Gotti Tedeschi
übermittelt Kardinal Bertello, dem Präsidenten des vatikanischen Governatorats, die
Ergebnisse einer internen Untersuchung. Stichproben haben »ergeben, dass die vom
Governatorat bezahlten Preise 50 bis 150 Prozent über den marktüblichen Preisen
liegen«. Hinzu kommen Interessenkonflikte.9 Und es werden weitere Details darüber
bekannt, mit welchen Manövern der Vatikan gemeinsam mit Finanzminister Tremonti zu
verhindern versucht hat, die Nachzahlung der Steuern zu vermeiden, die seit 2005 auf
die auch zu wirtschaftlichen Zwecken genutzten kirchlichen Immobilien erhoben
werden.
Wohin er auch blickt, sieht Franziskus den Vatikan in Geschäfte und Transaktionen
verwickelt, die wenig mit religiösem Engagement oder karitativer Wohltätigkeit zu tun
haben. Eine Kirche, die sich allzu sehr auf die Organisation im weltlichen Sinne
konzentriert, so seine Warnung, verliert ihren Sinn.
Einige Monate lang bleibt er misstrauisch und trifft nicht einmal offiziell mit
Bankpräsident Freyberg zusammen, obwohl der deutsche Manager, wenn er in Rom ist,
ebenfalls im Gästehaus Santa Marta logiert. Der Papst nimmt sich Zeit und verkündet
noch vier Monate nach seiner Wahl: »Der hl. Petrus hatte kein Bankkonto, und als er
seine Steuern zahlen musste, schickte ihn der Herr ans Meer, um zu fischen, damit er im
Bauch des Fisches das Geld finde, mit dem er zahlen konnte«.10 Alarmiert erklärt
Cipriani, der Generaldirektor des IOR, in einem Interview, dass ein eigenes Finanzinstitut
die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls garantiere. Über ein Instrument wie den IOR zu
verfügen, sei »unabdingbar«.11
Franziskus hat seine Pläne. 24 Stunden nach Ciprianis Interview – ein zufälliges
Zusammentreffen – ernennt er den »Prälaten« des IOR: Msgr. Battista Ricca, Leiter des
Gästehauses Santa Marta und anderer kirchlicher Unterkünften wie dem internationalen
Priesterhaus in der Via della Scrofa, wo Bergoglio seine Bekanntschaft gemacht hat. Der
Papst hat entschieden. Der IOR wird bestehen bleiben, aber von Grund auf verändert
und ein für alle Mal den internationalen Transparenzstandards angeglichen werden.
Prälat Ricca wird im Verwaltungsrat des Instituts »das Auge und das Ohr« des Papstes
sein.
In rascher Abfolge richtet Franziskus am 26. Juni die für den IOR zuständige
Untersuchungskommission ein und trifft am 10. Juli mit der Kommission und – endlich –
auch mit dem Präsidenten der Vatikanbank zusammen. Freyberg seufzt erleichtert auf.
8
M. Lillo, V. Pacelli, »Il Fatto Quotidiano«, 6. September 2013.
C. Bonini, »la Repubblica«, 6. September 2013.
10
Franziskus, Tagesmeditation in der Domus Sanctae Marthae (11. Juni 2013).
11
F. Marchese Ragona, »Il Giornale«, 14. Juni 2013.
9
Der Papst beginnt, ihm Dokumente zuzuschicken, die er eigenhändig mit Randnotizen
versehen hat. »Es ist schön, Dokumente mit handschriftlichen Anmerkungen des Papstes
zu bekommen«, sagt der Bankier.12 Der Prozess der grundlegenden Umgestaltung der
Bank kommt in Gang. Und im Zuge der Sparmaßnahmen wird den fünf Kardinälen, die
der Kommission zur Beaufsichtigung des IOR angehören, die jährliche Sonderprämie von
25.000 Euro gestrichen.
Eigentlich hatte Franziskus sich erst im zweiten Jahr seines Pontifikats um die
vatikanischen Finanzen kümmern wollen, doch die rasche Abfolge der negativen
Schlagzeilen hatte ihn gezwungen, die Angelegenheit vorzuziehen. »Das wirtschaftliche
Problem wurde außerplanmäßig in Angriff genommen«, vertraut er den Journalisten auf
dem Rückflug von Brasilien an, um dann mit einem Bild aus dem Fußballsport
fortzufahren: »Doch diese Dinge passieren, wenn jemand im Regierungsamt in eine
Richtung geht, der Ball dann aber von der anderen Seite geschossen kommt, und du
musst ihn abfangen […] Ich weiß nicht, worauf es hinauslaufen wird. […] Doch eines ist
klar: Die Merkmale des IOR – sei es nun eine Bank, ein Hilfsfonds oder was auch immer –
müssen Transparenz und Ehrlichkeit sein.«13
Ernst von Freyberg ‒ 57 Jahre alt, mit diskretem Auftreten und, seinen eigenen Worten
zufolge, der Mentalität eines »mittelständischen Unternehmers« ‒ erinnert sich noch
genau an den Moment, als Bertone ihn anrief, um ihn über seine Ernennung in Kenntnis
zu setzen: »Ich holte tief Luft und dachte: Gott steh mir bei!« Als Geschäftsmann glaubt
er nicht an eine Bankenethik, aber er hat sich ein präzises Ziel gesetzt: »Meine Aufgabe
ist es, den IOR von seinem schlechten Ruf zu befreien und in ein modernes, effizientes
und diskretes Finanzinstitut umzuwandeln. Absolute Transparenz und total compliance
mit den internationalen Regeln.« Strenge Einhaltung aller Anti-Geldwäsche-Gesetze.
Am Ende des Ratzinger-Pontifikats zählt der IOR 5200 Institutionen (Ordensinstitute,
Stiftungen usw.) und 13.700 Privatleute zu seinen Kunden.14 Zu Letzteren gehören 5000
Angestellte des Vatikans, etwa 8000 Priester und Ordensleute und 700 Diplomaten und
»Sonstige«. Das Guthaben auf den Privatkonten beläuft sich auf 1,1 Milliarden Euro.
Mitte Mai 2013 ruft Freyberg ein Expertenteam der internationalen Agentur
Promontory in die Bank: 20 bis 25 Personen, denen er den Präsidentensalon im
Wehrturm Nikolaus V. im Vatikan zur Verfügung stellt, um alle Kunden und Konten
genauestens zu überprüfen. 13 Monate später sind die 18.900 Positionen analysiert.
Freyberg hat 396 Konten auflösen lassen, deren Inhaber nicht berechtigt waren, die
Dienste des IOR in Anspruch zu nehmen. Gelöscht wurden ferner 2600 »schlafende
Konten«: gefährliche Mogelpackungen. Weitere 359 Konten bleiben unter Beobachtung.
Die Eröffnung eines Kontos ist ab sofort nur mehr »katholischen Einrichtungen,
Geistlichen, Angestellten oder ehemaligen Angestellten des Vatikans, die Inhaber eines
Lohn- oder Rentenkontos sind, sowie beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten«
gestattet.
Die Auflösung der laufenden Konten geht mit einer gründlichen Überprüfung einher. Die
Kontoinhaber, versichert Freyberg, »können nicht einfach mit dem Geld verschwinden
oder es auf die Kaimaninseln schaffen. Es gibt keine Barabhebungen. Sie können es nur
12
M. Politi, »Il Fatto Quotidiano«, 15. September 2013.
Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013).
14
Istituto per le opere di religione, Jahresbericht 2012.
13
in Länder überweisen, die sich an die internationalen Regeln halten. Wenn nötig,
melden wir der Finanzinformationsbehörde eine „verdächtige Transaktion“.«15
Freyberg hat sich bei seinem Amtsantritt eine Aufstellung der sogenannten »externen
Konten« aushändigen lassen – diese Konten wurden in der Vergangenheit für Personen
eröffnet, die aufgrund ihres Status kein Anrecht darauf hatten ‒ und es sich zur Aufgabe
gemacht, sie restlos zu löschen. Der ehemalige Ministerpräsident Giulio Andreotti hatte
ein solches Konto, um ein Beispiel aus der Politik zu nennen,16 oder auch der inzwischen
wegen Korruption verurteilte Lobbyist Angelo Balducci, der seinerzeit mit dem Titel
eines »Gentiluomo di Sua Santità« geehrt worden war. Die von Promontory
durchgeführten Überprüfungen haben Positionen von Kunden ans Licht gebracht, »die
uns nicht behagen«, wie der Präsident des IOR gesteht. Die Beziehungen zu diesen
Unerwünschten, die dem Profil nicht entsprechen, »werden abgebrochen«. Es scheinen
weniger als 100 Personen zu sein. Freyberg erklärt, es handele sich um eine zweistellige
Zahl. Aber die Namen der irregulären Kontoinhaber gibt er nicht preis.
Mit der Zeit nutzt man neue Verfahren, um verdächtige Operationen aufzudecken, die
sodann automatisch dem Generaldirektor der Bank Rolando Marranci und gleichzeitig
dem Risk Manager Antonio Montaresi gemeldet werden. Das vatikanische
Kontrollorgan, die Finanzinformationsbehörde AIF (Autorità di informazione finanziaria),
erhält täglich eine Liste mit den Guthaben über 10.000 Euro sowie eine Aufstellung der
vom IOR vorgenommenen Transaktionen. Schwachpunkte des IOR-Systems sind
traditionell die externen Konten und die Privatkonten von Angehörigen des Klerus,
deren Bewegungen (auch wenn es dabei um eher kleine Beträge geht) beträchtliche
Unregelmäßigkeiten aufweisen, wie interne Quellen des IOR einräumen. Und schließlich
ist da noch das Problem der bevollmächtigten Unterschriften. Die Möglichkeit, Priester
als Strohmänner für undurchsichtige Transaktionen einzusetzen, ist einer der Gründe
dafür, dass der IOR als Geldwäschekanal so attraktiv ist.
Freyberg hat ein Handbuch erstellen lassen, das detailliert beschreibt, welche
Verfahrensweisen die Bankangestellten anwenden müssen, um Kunden,
Bevollmächtigte, Spenden und Vorgänge aller Art zu überwachen. Zudem wird ein
digitalisiertes EDV-System entwickelt, um für die Kontoinhaber – ganz gleich, ob es sich
um einen Schweizer Gardisten, einen vatikanischen Angestellten, einen Priester, einen
Bischof oder einen Kardinal handelt ‒ ein Risikoprofil zu erstellen. Dabei nimmt man für
jede Kategorie ein Transaktionsvolumen an, das gemessen an der Dauer des
Bankverhältnisses, der Identität des Unterschriftenbevollmächtigten, der Art und
Häufigkeit der Vorgänge, der Höhe der Beträge und der beteiligten geographischen
Regionen als »normal« gelten kann.
Am 28. Juni 2013 wird ein vatikanischer Prälat verhaftet. Er ist Rechnungsprüfer der
APSA, der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, heißt Nunzio Scarano und stammt
aus Salerno. In der Stadt kennt man ihn unter dem Namen »Monsignor 500«, weil er die
Angewohnheit hat, befreundeten Unternehmern einen Deal vorzuschlagen: 500-EuroScheine im Tausch gegen Barschecks über fünf- bis zehntausend Euro. Die
Staatsanwaltschaft Salerno ermittelt wegen Geldwäsche. Die Verhaftung erfolgt nach
der versuchten Durchführung eines abenteuerlichen Plans, bei dem es darum geht, 20
15
16
M. Politi, »Il Fatto Quotidiano«, 15. September 2013.
G. Nuzzi, Vatikan AG, München (Goldmann) 2011.
Millionen Euro in bar illegal aus der Schweiz zu importieren. Im Einvernehmen mit dem
Finanzbroker Giovanni Carenzio – so die Rekonstruktion der Ermittler – verständigt sich
Msgr. Scarano mit einem ehemaligen Angehörigen des italienischen Geheimdiensts
(AISI), Giovanni Maria Zito, der mit einem Privatflugzeug nach Lugano fliegen, das Geld
abheben und es nach Italien zurückbringen soll. Die Operation schlägt fehl, obwohl Zito
sich wie vorgesehen in die Schweiz begibt. Der Ex-Agent verlangt seinen vereinbarten
Lohn und erhält von Scarano einen ersten Scheck über 400.000 Euro. Als er weitere
200.000 fordert, gibt der Prälat ihm einen zweiten Scheck, den er dann jedoch mit der
Begründung sperren lässt, er habe ihn verloren. Gegen Scarano wird Anzeige erstattet,
und die Affäre kommt ans Licht. Allein 2009 hat der Prälat von seinen Konten beim IOR
560.000 Euro in bar abgehoben.17
Durch dieses schamlos mit dem Priesterrock bemäntelte Intrigengeflecht gerät der
Vatikan erneut ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, und man erfährt Einzelheiten
aus dem Leben des Monsignore. Auf dem Konto des 61jährigen, spätberufenen Scarano
(er hatte zunächst bei einer Bank gearbeitet), der bei der Haftprüfung als »erfahrener
Straftäter« charakterisiert wird, geht Monat für Monat eine Gutschrift über rund 20.000
Euro ein. Als Verwendungszweck wird, recht vage, das Stichwort »Wohltätigkeit«
angegeben, und der Auftraggeber ist der Reedereibesitzer Cesare D’Amico. In einem
abgehörten Telefonat prahlt Scarano damit, er habe eine Provision von 2,5 Millionen
Euro kassiert, um Gelder der Familie D’Amico nach Italien zurückzuholen.
1999 kaufte er von den Suore Piccole Operaie dei Sacri Cuori für knapp 300.000
Millionen alte Lire einen kleinen zweistöckigen Palast mitten im Zentrum von Salerno.
Nacheinander erwirbt er eine Garage, eine Sechs-Zimmer-Wohnung und wird, wie »Il
Mattino« berichtet, Teilhaber bei drei verschiedenen Immobiliengesellschaften. Als bei
Scarano eingebrochen wird und er daraufhin selbst die Polizei ruft, finden die Carabinieri
in seinem Haus eine Kunstsammlung mit Werken von De Chirico und Guttuso sowie
einem Altarkruzifix aus Sankt Peter von Gian Lorenzo Bernini.18
Aus den mitgeschnittenen Telefonaten geht hervor, dass Scarano enge Beziehungen
zum IOR unterhält. »Ich wollte dir sagen, dass ich die Erlaubnis der Direktion [des IOR]
bekommen habe. Also, ich gebe dir Bescheid, wann du willst, … wegen dieser
Giroangelegenheit!«, sagt der Monsignore zu seinem Gesprächspartner. Und als andere
Banken sich nach seinen Transaktionen erkundigen, erklärt Scarano, ebenfalls am
Telefon: »Ich habe den Direktor [des IOR, Paolo Cipriani] gefragt, und er sagt: „Nunzio,
nein, pass auf … wir haben schon Hunderte von diesen Briefen bekommen und sie alle
beantwortet, und deine Antwort wird mehr oder weniger genauso ausfallen wie die
anderen, es ist normal, dass wir über den Betrag auf einem laufenden Konto keine
Auskunft geben“.«19 Scarano ist ein wichtiger Kunde für den IOR.
Bei der Vatikanbank ist man über die Angelegenheit schockiert. »Wir sind in einen
Sumpf geraten«, gibt Freyberg zu, »aber wir hatten ein Team, um die Sache anzugehen.
In einer sechsstündigen Versammlung haben wir fünf Leute darauf angesetzt, die alles
durchkämmen, was in den letzten zehn Jahren auf Scaranos Konto passiert ist. Das
Ergebnis war ein 89seitiger Bericht, den wir der Finanzinformationsbehörde übergeben
haben.«
17
A. Tornielli, »www.lastampa.it«, 28. Juni 2013.
E. Fittipaldi, »L’Espresso«, 16. August 2013.
19
M. Lillo, V. Pacelli, »Il Fatto Quotidiano«, 3. Juli 2013.
18
Der Papst unterstützt diese umfassende Säuberung. Papstsprecher Lombardi lässt
verlauten, dass Scarano einen Monat zuvor ‒ sobald man erfahren hatte, das in Salerno
wegen Geldwäsche gegen ihn ermittelt wurde ‒ von der APSA suspendiert worden sei.
Der Heilige Stuhl »erklärt sich in vollem Umfang zur Kooperation« mit den italienischen
Justizbehörden bereit. Der Papst selbst vermittelt den deutlichen Eindruck, dass der
Vatikan einen neuen Kurs eingeschlagen und sein früheres Stillschweigen hinter sich
gelassen hat. Von den Journalisten auf dieses Thema angesprochen, antwortet er: »Wir
haben da diesen Monsignore, der im Gefängnis ist. Er ist nicht ins Gefängnis gekommen,
weil er der seligen Imelda gleicht!«20 Das ist eine argentinische Redensart, um
anzudeuten, dass Scarano nicht gerade ein Unschuldslamm ist. Franziskus verschanzt
sich nicht hinter geschraubten Sätzen, sondern macht mit seiner plastischen
Ausdrucksweise klar, dass der Prälat im Gefängnis sitzt, weil er es verdient hat.
Franziskus kann sich in dieser Weise äußern, weil die detaillierten Berichte des IOR und
der AIF über Scaranos Machenschaften direkt auf seinem Schreibtisch gelandet sind. In
den letzten zehn Jahren besaß der Monsignore zehn Konten; fünf waren zum Zeitpunkt
seiner Verhaftung leer, drei waren aktiv, bei zweien handelte es sich um Depots.
Scarano operierte mit unterschiedlichen ausländischen Währungen. Innerhalb von zehn
Jahren hat er sieben Millionen Euro umgesetzt: 4,7 gingen ein, 2,3 wurden abgebucht.
Eine Überprüfung, wie sie nach dem Scarano-Skandal durchgeführt wurde, hatte der IOR
noch nicht erlebt. Scaranos Konten wurden eingefroren, und auch die vatikanische Justiz
hat inzwischen offizielle Ermittlungen eingeleitet.
Am 1. Juli müssen der Generaldirektor des IOR Paolo Cipriani und sein Stellvertreter
Massimo Tulli ihren Hut nehmen: Auch gegen sie ermittelt der Promotor Iustitiae, der
vatikanische Staatsanwalt. Für Franziskus’ Säuberungsvorhaben erweist sich die
Scarano-Affäre als Glücksfall. Die Entlassung der alten Führungsriege beschleunigt die
Reform der Vatikanbank.
Am 1. Oktober 2013 veröffentlicht Freyberg zum ersten Mal die Bilanzen des IOR und
stellt sie online. Der Nettogewinn wird mit Datum vom 31. Dezember 2012 auf 86,6
Millionen Euro beziffert und hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht. Die
der Bank anvertrauten Sparguthaben belaufen sich auf 6,3 Milliarden Euro. Im sanierten
IOR, so Freyberg, sollen die »Geldeinlagen ausschließlich für religiöse Werke im Dienst
der Kirche verwendet werden«.
Für Franziskus ist dies das erste konkrete Ergebnis seines Pontifikats. Die Säuberung der
Bank ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber real. Die Finanzinformationsbehörde AIF –
das allgemeine Organ zur Kontrolle der Geldbewegungen in allen Bereichen der
vatikanischen Verwaltung, das von Benedikt XVI. eingerichtet und von Kardinal Bertone
ein Jahr später in seinen Befugnissen wieder eingeschränkt worden war ‒ erhält unter
Franziskus unbegrenzte Überwachungs- und Präventionskompetenzen. Der Papst
widmet dem Thema nicht weniger als drei Dokumente: ein Dekret vom 8. August 2013,
das Gesetz XVIII vom 8. Oktober und die Reform der AIF vom 15. November desselben
Jahres.
Die AIF wird Teil der Egmont-Gruppe, eines internationalen Zusammenschlusses
staatlicher FIUs , und unterzeichnet Vereinbarungen mit einer Reihe von Ländern,
darunter die Vereinigten Staaten, Italien und Deutschland. Zum ersten Mal steht der
20
Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013).
Vatikan den italienischen Justizbehörden ernsthaft Rede und Antwort. Dass die
Kontrollen tatsächlich greifen, zeigt sich an der deutlich gestiegenen Zahl der Hinweise
auf verdächtige Transaktionen: von ganzen sechs im Jahr 2012 auf 105 in den ersten
zehn Monaten des Jahres 2013.
Und der Papst eröffnet eine weitere Front. Er ermächtigt die internationale Agentur
Ernst & Young, die wirtschaftlichen Aktivitäten und die Verwaltung des vatikanischen
Governatorats zu durchleuchten.21 Ziele sind höhere Effizienz und geringere Kosten. Zum
ersten Mal werden die Wirtschaftsmysterien des päpstlichen Staates von ausländischen
Agenturen überprüft. Diese Maßnahme sorgt im vatikanischen Apparat für Verdruss.
Man fürchtet, dass zu viele ausländische Augen indiskrete Blicke in die
Machtgeheimnisse der Zentralregierung der katholischen Kirche werfen könnten. »Man
muss darauf achten, dass die Souveränität des Heiligen Stuhls gewahrt bleibt«, meldet
sich ein Kardinal zu Wort, der die Akten sehr genau kennt, »weil die Finanzfrage zur
Souveränität eines Staates gehört, und die wiederum ist Grundlage der kirchlichen
Sendung.«
Franziskus helfen die Erfahrungen, die er in Argentinien gemacht hat. Gleich nach
seinem Amtsantritt als Erzbischof von Buenos Aires hatte er sich mit einem
Finanzskandal im Dunstkreis des vom Bankrott bedrohten Banco de Crédito Provincial
auseinandersetzen müssen. Ein Prälat und enger Mitarbeiter seines Vorgängers Kardinal
Quarracino hatte das Erzbistum in eine skrupellose Transaktion verstrickt, bei der es um
zehn Millionen Dollar ging. Bergoglio beauftragt die internationale Beratergesellschaft
Arthur Andersen, lässt die Konten der Erzdiözese en détail überprüfen und beweist, dass
kein einziger Dollar aus dem Kuhhandel in der Bistumskasse gelandet ist und es sich bei
einer angeblich von Kardinal Quarracino unterzeichneten Bürgschaft überdies um eine
Fälschung handelt.
Im Vatikan betrachtet er die Finanzen als eine Angelegenheit, die streng überwacht
werden muss. Am 9. Dezember 2013 billigt das europäische Komitee zur Verhinderung
von Geldwäsche Moneyval einen Bericht, der bestätigt, dass der Heilige Stuhl »innerhalb
kurzer Zeit eine breite Palette von Maßnahmen« ergriffen und insbesondere den
rechtlichen Rahmen zur »Kriminalisierung der Geldwäsche […] und eventuellen
Beschlagnahmung« genutzt und verbessert hat.22 Gleichwohl verlangt Moneyval, dass
auch in Zukunft stichprobenartige Überprüfungen der Vatikanbank und der APSA
durchgeführt und insbesondere die Schuldigen vom Vatikan bestraft und die illegalen
Gelder konfisziert werden müssten. Der europäische Bericht zollt der entschlossenen
Politik des neuen Pontifikats Anerkennung. 2012 war das Institut des Heiligen Stuhls von
Moneyval nur mit einem knappen Ausreichend bewertet worden und hatte die Regeln
lediglich in neun von 16 grundlegenden Punkten erfüllt.
Franziskus weiß, dass die Reinigung der Ställe eine Herkulesaufgabe ist und nie beendet
sein wird. Im Januar 2014 hat er die Kardinalskommission zur Überwachung des IOR
runderneuert und unter anderem Staatssekretär Parolin und den Wiener Erzbischof
Schönborn, einen der bekanntesten Reformer im deutschsprachigen Raum, in dieses
Gremium berufen.
21
22
»Adnkronos«, 18. November 2013.
Moneyval, Progress Report – The Holy See, 9. Dezember 2013.
Die Trockenlegung der Finanzsümpfe duldet keinen Aufschub. Gegen Ende seines ersten
Pontifikatsjahrs hat Franziskus einen Wirtschaftsrat aus acht Bischöfen und sieben
Laienexperten eingesetzt, um das Wirtschaftsgebaren und die administrativen und
finanziellen Aktivitäten sämtlicher Strukturen des Heiligen Stuhls einer ständigen
Kontrolle zu unterstellen. Die Leitung dieses Rats hat er dem Münchner Kardinal
Reinhard Marx anvertraut, der auch der Gruppe der mittlerweile neun Kardinäle
angehört, die den Papst in der Kirchenleitung unterstützen. Gleichzeitig ist ein neues
vatikanisches Ressort – eine Art Kombination aus Schatzamt, Haushalts- und
Finanzministerium ‒ entstanden. Es nennt sich Wirtschaftssekretariat, und sein Präfekt
ist der Kardinal von Sidney, George Pell, ebenfalls Mitglied des K9-Rats, dem der Papst
seinen persönlichen Sekretär Msgr. Xuereb als Generalsekretär zur Seite gestellt hat. Das
Dikasterium ist direkt dem Papst verantwortlich und soll das Management der
vatikanischen Organe vor allem im Einkauf operativ kontrollieren, um das für einige
Beteiligte höchst profitable Dickicht der Auftragsvergabe und Beschaffung, das seit jeher
den Ruf des Vatikans beschädigt, mit der Wurzel auszurotten. Für die Rechnungsprüfung
der einzelnen Einrichtungen wird ein Generalrevisor zuständig sein, und der detaillierte
Jahreshaushalt des Heiligen Stuhls und der Vatikanstadt soll veröffentlicht werden, wie
das Motu Proprio Fidelis dispensator et prudens festschreibt. Während der Papst, was
die endgültige Form des IOR betrifft, noch zu keinem Entschluss gelangt ist, ist die APSA
inzwischen erstmals offiziell als »Zentralbank« des Vatikans bezeichnet worden.
Jedenfalls sollen, wenn es nach Franziskus geht, alle Güter der Kirche nicht nur auf die
Notwendigkeiten der Evangelisierung, sondern auch auf die Bedürfnisse der Armen
ausgerichtet sein. Als Ernst von Freyberg im Juli 2014 zu seinen Geschäften in
Deutschland zurückkehrt, wird die Leitung des IOR dem 51jährigen französischen
Finanzier Jean-Baptiste de Franssu anvertraut. De Franssu war zuvor Geschäftsführer bei
Invesco Europa und Präsident des europäischen Investmentfondsverbands EFAMA. Mit
der Amerikanerin Mary Ann Glendon wird zum ersten Mal eine Frau Mitglied im
Verwaltungsrat des IOR.
De Franssus Ernennung leitet die zweite – technokratische – Phase ein, nachdem das
erste Stadium der IOR-Reform vor allem den Aufräumarbeiten gewidmet gewesen war.
Das Institut für die religiösen Werke wird seinen Bankcharakter mehr und mehr
verlieren und sich stattdessen zu einer Einrichtung entwickeln, die sich auf
Finanzberatung und Zahlungsdienstleistungen für Ordenskongregationen, Bistümer und
den Klerus spezialisiert. Der neue französische Bankpräsident hat außerdem die
Schaffung eines »Vatican Asset Managements« angekündigt, in dem die komplette
vatikanische Güterverwaltung zusammengeführt werden soll. Ein Projekt, das innerhalb
des päpstlichen Staates auf heftigen Widerstand stoßen wird.
De Franssu muss sich mit einem unerwarteten Einbruch der Wirtschaftskraft des IOR
auseinandersetzen. Der Rechenschaftsbericht zum Jahr 2012 hatte einen Reinerlös von
86,6 Millionen Euro verzeichnet. Dem stehen im Jahr 2013 2,9 Millionen Euro
gegenüber. Freybergs Transparenzmaßnahmen haben nicht nur zur Auflösung laufender
Konten geführt, sondern überdies Fehlinvestitionen ans Licht gebracht, die von den
Verantwortlichen vergangener Jahre getätigt worden waren. Dennoch sagt der Haushalt
für 2013 dem Papst eine Summe von 54 Millionen für karitative Werke zu.
De facto haben die Italiener innerhalb von 20 Monaten ihren Zugriff auf die finanziellen
Schaltstellen des Vatikans verloren. Ein Franzose (De Franssu) leitet den IOR, ein Spanier
(Abril y Castello) die Kommission zur Bankenaufsicht, ein Amerikaner (Wells) das AntiGeldwäsche-Komitee, ein Deutscher (Marx) den Wirtschaftsrat, ein Australier (Pell) das
neue Finanzministerium, und ein Schweizer (René Bruelhart) ist Präsident der AIF. Und
nie zuvor haben die Hinterzimmer des Vatikans so vielen ausländischen Agenturen
offengestanden: Promontory, Ernst & Young, KPMG und McKinsey (um die vatikanischen
Kommunikations- und Medienstrukturen zu rationalisieren).
Es bleibt noch viel zu tun. Bei seinen Verhören durch die römische Staatsanwaltschaft
hat Msgr. Scarano die Existenz von Nummernkonten bei der APSA enthüllt, deren
Inhaber »externe Laien« seien.23 Ein weiteres Kapitel, das bisher noch nicht in Angriff
genommen wurde, betrifft die Güterverwaltung der Kongregation de Propaganda Fide,
die in den letzten Jahren wiederholt von Skandalen erschüttert wurde. Das energische
Eingreifen von Kardinal Pell, der begonnen hat, die wirtschaftliche Situation der
verschiedenen Verwaltungen des Heiligen Stuhls zu überprüfen, hat die Existenz
geheimer (wenn auch völlig legaler) Sparvermögen in den Kongregationen, päpstlichen
Räten und im Staatssekretariat ans Licht gebracht, deren Wert sich auf »Hunderte
Millionen von Euro« beläuft. Gelder, wie der australische Purpurträger erklärt hat, die
»nicht in den offiziellen Bilanzen des Heiligen Stuhls auftauchten«.24 Pell, der im Vatikan
»the Ranger« genannt wird, hat, was die Kontrolle der Wirtschaftsaktivitäten der
vatikanischen Verwaltungen betrifft, vom Papst weitreichende Vollmachten erhalten.
Sein Projekt einer zentralisierten Verwaltung der Gelder und Immobilien wurde
allerdings durch den Einwand blockiert, dass das von ihm geleitete
Wirtschaftssekretariat nicht gleichzeitig Verwaltungs- und Überwachungsorgan sein
kann. Doch der bloße Plan hat bereits genügt, um hinter den Kulissen eine schmutzige
Kampagne gegen ihn loszutreten. Seine Gegner werfen ihm vor, er habe
Hunderttausende von Euro in die Ausstattung seines neuen Sekretariats gesteckt und
auch seine persönlichen Spesen allzu großzügig bemessen: 2.508 Euro für
Maßanfertigungen des vatikanischen Hofschneider Gammarelli, 1.103 Euro für ein
Flugticket von Rom nach London, 1.150 Euro für einen Flug nach Dresden, 1.238 Euro für
eine Flugreise nach München.25 Wer dieses Thema in der Kurie anschneidet, sticht in ein
Wespennest.
Ein unterirdisches Netz aus weitverzweigten Interessen beäugt die Reformen des
argentinischen Papstes mit Argwohn und Ärger. Auch auf die Beziehungen zwischen
dem Heiligen Stuhl und Italien ist ein Schatten gefallen, weil die vatikanische
Finanzinformationsbehörde Personen, die beträchtliche Barsummen über die Grenzen
zwischen den beiden Staaten bringen, mit Namen kennt, diese Namen aber nicht an die
italienischen Behörden weitergibt. 2012 wurden bei Einreisen in den Vatikan 598 und
bei Ausreisen nach Italien 1782 Devisenerklärungen verzeichnet. Für denselben
Zeitraum wurden der Zollstelle Roma1 von in den Vatikan einreisenden Personen 13 und
von aus dem Vatikan Ausreisenden vier solcher Erklärungen vorgelegt. Die Diskrepanz
lässt auf massive Steuerhinterziehung schließen.26 Wenig transparent erscheint bislang
23
»www.ilfattoquotidiano.it«, 2. Oktober 2013.
G. Pell, »Catholic Herald«, 3. Dezember 2014.
25
E. Fittipaldi, »L’Espresso«, 5. März 2015.
26
M. Lillo, V. Pacelli, »Il Fatto Quotidiano«, 7. Dezember 2013.
24
mangels Informationen vonseiten des IOR auch die Kontrolle der Spenden, die
vermutlich das höchste Geldwäscherisiko bergen. Im Januar 2014 wurde Msgr. Scarano
erneut verhaftet, weil er mithilfe fiktiver Spenden Geldbeträge in Höhe von sechs
Millionen Euro gewaschen haben soll. In diese Affäre sind ein Notar und etwa 50 weitere
Personen verwickelt.
Papst Franziskus ist von dieser Verderbtheit der Herzen angewidert. »Wir sind alle
Sünder, aber wir sind nicht alle korrupt«, hat er beim Treffen mit den Generaloberen
katholischer Männerorden gesagt. »Es werden Sünder, aber keine Korrupten
akzeptiert.« Korrupte müssten aus den Seminaren und Instituten ausgeschlossen
werden, so der Pontifex. Und die Werke der Kirche müssten mit Herzensarmut geführt
werden, ohne dass der Priester sich mit der Mentalität eines Unternehmers identifiziere
und aufhöre, Priester zu sein.
Worte eines Rufers in der Wüste. »Franz von Assisi. Er ist für mich der Mann der
Armut«, hat der argentinische Papst kurz nach seiner Wahl zu den Journalisten gesagt.
Wer im Dienst der Kirche arbeitet, dem steht ein bescheidener Stil gut zu Gesicht. Denn
eine »reiche Kirche« wird leblos. Das ist Franziskus’ schwerster und einsamster Kampf.
Viele Menschen in seinem Umfeld sind zwar höflich, aber träge.
In Kriegszeiten, so lautet seine Mahnung bei einer Audienz für Caritas Internationalis,
müsse man sich um die Verwundeten kümmern. »Wir müssten sogar die Kirche
verkaufen, um den Armen zu essen zu geben.« »Das meint er nicht wörtlich«, merkt
Kardinal Bagnasco an, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, und
bezeichnet diesen Ausspruch als »provozierenden Denkanstoß«. Für ihn ist die
Geschichte damit erledigt. »Wer soll ihm die Kirchen denn abkaufen? Und wozu?«, fragt
Bagnasco. »Außerhalb von Italien hat man das mit leerstehenden Kirchen so gemacht,
aber ich weiß nicht, ob das ein gutes Geschäft gewesen ist.«27
Im Centro Astalli, einer Einrichtung der jesuitischen Flüchtlingshilfe, provoziert
Franziskus erneut: »Die leeren Klöster braucht die Kirche nicht, um sie in Hotels zu
verwandeln und Geld zu verdienen.« Sein Appell ist unmissverständlich: »Die leeren
Klöster gehören nicht euch, sie sind für das Fleisch Christi, das die Flüchtlinge sind.«28
Rom ist voller Klöster und Generalate, die in Hotels umgewandelt und oft im Rahmen
undurchsichtiger Transaktionen und mit der Hilfe fragwürdiger Geschäftsleute verkauft
worden sind. Ein Umdenken ist nicht in Sicht. Kurz vor Papst Bergoglios 77. Geburtstag
wird das ehemalige römische Generalat eines Ordens – heute ein Vier-Sterne-Hotel mit
Pool, das luxuriöse Grand Hotel del Gianicolo ‒ im Rahmen einer gegen die ’Ndrangheta
gerichteten Operation beschlagnahmt.
Die Affäre ist ein Klassiker ihrer Gattung. In den Neunzigerjahren des letzten
Jahrhunderts wird ein kleines Hotel am Rand der kalabrischen Stadt Palmi in eine
milliardenschwere Kapitalgesellschaft umgewandelt, die das Generalat kurz vor Anbruch
des Heiligen Jahrs 2000 für 15 Milliarden Lire käuflich erwirbt. Beim Notar legen die
Käufer etwa elf Milliarden Lire in bar auf den Tisch, auch wenn sie anschließend – um die
Transaktion zu verschleiern – einen Kredit über 13 Milliarden aufnehmen.29 Die
gemeinsamen Ermittlungen der Staatsanwaltschaften von Reggio Calabria und Rom
27
I. Scaramuzzi, »TMNews«, 24. Mai 2013.
Franziskus, Ansprache beim Besuch des römischen Flüchtlingszentrums »Astalli« (10.
September 2013).
29
G. Baldessarro, »www.repubblica.it«, 12. November 2013.
28
führen zur Beschlagnahmung eines Vermögens im Wert von 150 Millionen Euro: 53
Immobilien in Rom, in der Provinz Bologna und in Kalabrien. Die Ermittler vermuten,
dass hinter den Hotelbesitzern Giuseppe und Pasquale Mattiani der Mafiaclan Gallico
steht.30 Es ist kein Zufall, dass ein Dokument über die Güterverwaltung der religiösen
Orden, das Kardinal Braz de Aviz, der Präfekt der Kongregation für die Institute
geweihten Lebens, auf Wunsch des Papstes veröffentlicht hat, die Forderung enthält,
dass »Entscheidungen auch in der Phase der Immobilienveräußerung mit Augenmaß«
getroffen werden sollen. In diesem Bereich wurden in den vergangenen Jahrzehnten
allzu viele dubiose Geschäfte abgeschlossen.
Im ersten Jahr seines Pontifikats wird Franziskus das Ausmaß der durch Veruntreuung
und zwielichtige Geschäfte verursachten Probleme deutlich. In der deutschen Kirche
eskaliert der Skandal um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst. Für den
Bau seiner neuen Residenz hat er 31 Millionen Euro ausgegeben: 15.000 für die
Badewanne, 350.000 für die Wandschränke, weitere 783.000 für die Einrichtung eines
»Mariengartens«. Die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« berichtet, dass die
Kostenvoranschläge für den neuen Bischofssitz – die sich auf 17 Millionen Euro beliefen
– auf zehn Projekte verteilt worden seien, um keine Genehmigung vonseiten des
Vatikans einholen zu müssen, die immer dann erforderlich ist, wenn ein Betrag die FünfMillionen-Euro-Grenze überschreitet. Die Gläubigen der Diözese sind empört, die
deutsche Bischofskonferenz beruft eine Untersuchungskommission ein, Franziskus
schickt den Bischof ins Exil, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind.31 Dann wird er
abgesetzt und im Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung untergebracht.
Seit seinem Amtsantritt hat der Papst wegen eines Finanzdebakels in der
Größenordnung von 800 Millionen Euro auch in Slowenien bereits zwei Bischöfe zum
Rücktritt gezwungen: Marjan Turnšek, den Bischof von Maribor, und Anton Stres, den
Bischof von Ljubljana. Franziskus hat in diesem Fall Canon 401 § 2 des Kodex des
Kanonischen Rechts zur Anwendung gebracht, der den Amtsverzicht eines Bischofs
vorsieht, wenn dieser »wegen seiner angegriffenen Gesundheit oder aus einem anderen
schwerwiegenden Grund nicht mehr recht in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte
wahrzunehmen«. In Kamerun tritt der Erzbischof von Yaoundé, Simon-Victor Tonyé
Bakot, von der Bühne ab, nachdem die Gläubigen sich über die schlechte Verwaltung der
kirchlichen Besitztümer beschwert haben. Nach Berichten von Radio Vatikan war er in
zahlreiche Immobiliengeschäfte verwickelt. Die Diözese Yaoundé besitzt das größte
Immobilienvermögen von ganz Kamerun.32
Italien macht dem Pontifex aufgrund der geschäftlichen Ambitionen vieler
Klerusangehörigen die meisten Sorgen. Franziskus sieht sich von reißenden und
verantwortungslosen Wölfen umgeben. Nachdem Scarano aufgeflogen ist, muss der
Papst im November 2013 mitansehen, wie der Ordensobere der Kamillianer, Renato
Salvatore, verhaftet wird. Hintergrund ist ein Machtkampf um die Verwaltung von 200
Krankenhäusern überall auf der Welt. Dabei geht es um Auftragsvergaben und
öffentliche Gelder in Millionenhöhe.
Als die Neubesetzung der Ordensämter anstand, hatte Pater Salvatore mit der Hilfe des
römischen Steuerberaters Paolo Oliverio – der seinerseits inzwischen verhaftet worden
30
R. Frignani, M. Proto, »www.corriere.it«, 12. November 2013.
M. Politi, »Il Fatto Quotidiano«, 18. Oktober 2013.
32
A. Tornielli, »www.lastampa.it«, 31. Juli 2013.
31
ist, weil er für Mitglieder der ’Ndrangheta und andere Vertreter der Unterwelt Geld
gewaschen haben soll ‒ zwei Mitbrüder entführen lassen, um zu verhindern, dass sie
gegen seine Wiederwahl stimmten. Oliverio bedient sich zweier Steuerfahnder, die ihm
treu ergeben sind und eine kriminalpolizeiliche Überprüfung simulieren. Die beiden
Priester Rosario Messina und Antonio Puca werden in die Büroräume der römischen
Finanzpolizei gebracht, dort festgehalten und einem fingierten Verhör unterzogen. Ein
abgehörtes Telefonat bringt den Plan ans Licht: »Also, am Montag schnappst du dir
diesen Scheißpfaffen«, sagt Oliverio zu einem der Fahndungsbeamten, »und bringst ihn
zur Finanzpolizei … und da halten wir ihn dann drei bis vier Stunden fest«. Der
Untersuchungsrichter erklärt, Pater Salvatore sei »infolge der Nichtanwesenheit der
beiden Geistlichen … mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen« wiedergewählt
worden. Am Tag seiner Wahl war er »ständig mit Paolo Oliverio in Kontakt«.33
Oliverio, der Steuerberater, auf den sich der Obere des Kamillianerordens so fest
verlassen hatte, ist einer dieser umtriebigen Geschäftemacher mit einem dicht
geknüpften Netz von Beziehungen zur Welt des Business, der Institutionen und der
Kirche. Auf seinen Computern finden die Ermittler Hinweise auf Kontakte zu hohen
Prälaten, Geheimdienstfunktionären, Unternehmern und Politikern. Franziskus steht vor
einem Sumpf. Was die menschliche Schwäche angesichts der Versuchung der Macht
betrifft, hat sich der argentinische Papst nie Illusionen hingegeben, doch in letzter
Instanz fallen alle diese Affären immer auf den Vatikan zurück.
2013 tritt ein weiterer großer Skandal in seine finale Phase ein: Das Italienische Institut
für Dermatologie (IDI), das gemeinsam mit dem Krankenhaus San Carlo di Nancy von der
Kongregation der Töchter der Unbefleckten Empfängnis geleitet wird, steht kurz vor
dem Bankrott. Die Gründung dieser Einrichtungen geht wie so oft auf den karitativen
und selbstlosen Impuls einer großen Persönlichkeit des Katholizismus zurück: Luigi Maria
Monti hatte die Kongregation der Konzeptionisten in den ersten Jahren der italienischen
Einigung ins Leben gerufen, damit sie sich um die Erziehung bedürftiger verwaister
Jugendlicher kümmerte. Daraufhin eröffnete der Orden in mehreren italienischen
Regionen Institute und Krankenhäuser.
Ein Jahrhundert später knirscht es im Gebälk. 2003 verschärft sich die finanzielle
Situation des IDI, was aber von den Betreibern verschwiegen wird. Nach weiteren acht
Jahren ist es offiziell. Die Löhne der 1500 Angestellten werden nicht mehr regelmäßig
ausgezahlt. Das Defizit soll sich auf 450 bis 600 Millionen Euro belaufen. Am 18. Februar
2013 ernennt Kardinal Bertone nur wenige Tage nach dem Rücktritt Benedikts XVI.
Giuseppe Kardinal Versaldi, den Verantwortlichen der Präfektur für die wirtschaftlichen
Angelegenheiten des Apostolischen Stuhls, zum außerordentlichen Geschäftsführer der
Einrichtung. Am 30. März 2013 ernennt die Regierung drei Kommissare, die die
außerordentliche Verwaltung des IDI übernehmen sollen.
Am 14. April 2013 wird Pater Franco Decaminada, bis 2011 geschäftsführender Direktor
des IDI, gemeinsam mit dem ehemaligen Verwaltungsdirektor des Instituts Domenico
Temperini und Antonio Nicolella, einem Berater der Kongregation und ehemaligen
Agenten des italienischen Geheimdienstes SISMI, verhaftet. Der Pater weist jegliche
Verantwortung zurück und sagt, er habe von allem nichts gewusst. Die Ermittlungen
33
I. Cimmarusti, »www.iltempo.it«, 7. November 2013.
ergeben eine »Spoliation« von 14 Millionen Euro aus dem Vermögen des IDI; vier
Millionen davon waren Gelder, auf die Pater Decaminada unmittelbaren Zugriff hatte.34
Bei einer Durchsuchung in den Räumen der Konzeptionisten in der Via della
Conciliazione hatten die Ermittler im Jahr zuvor zu Protokoll gegeben, dass die
Tageseinnahmen von 60.000 bis 70.000 Euro nicht mehr auf die IDI-Konten eingezahlt
wurden und dass Decaminada bei einer Gelegenheit »6,8 Millionen Euro auf einmal
abgehoben« hatte. Außerdem hatte sich herausgestellt, dass »viele Personen vom IDI
monatliche Lohnzahlungen erhalten, obwohl sie nie im Krankenhaus angestellt waren
und niemand weiß, welche Aufgaben sie innerhalb der Struktur wahrgenommen
haben«.35
Vieles ist merkwürdig. Zwischen 2006 und 2009 hatte Decaminada die wirtschaftliche
Leitung des IDI praktisch ganz an einen unbekannten Unternehmer aus der Campagna
namens Giovanni Rusciano übergeben. 2011 hatte die ASI Roma3 den Rechnungshof
darauf hingewiesen, dass der IDI dieselben medizinischen Dienstleistungen mehrmals in
Rechnung gestellt hatte.36
Gesellschaften und Scheinunternehmen fliegen auf, die als Auffangbecken für
Geldströme aus dem IDI und der italienischen Provinz des Konzeptionistenordens
gedient haben: »Elea F.P.«, »Elea s.p.a.«, »GI.Esse Service« (einziger Eigentümer:
Decaminada), »Punto immobiliare s.r.l.« (Geschäftsführer: Decaminada). Im Kongo hat
der Manager des IDI die Ölförderungsgesellschaft Ibos II gegründet.37 Die
Fernsehsendung Report von Milena Gabanelli dokumentiert sogar Bargeldsummen, die
Decaminadas Büro in Schuhkartons verlassen haben.38
Allen Verdächtigen werden Beteiligung an einer Straftat, Unterschlagung und die
Ausstellung von Rechnungen über Transaktionen vorgeworfen, die niemals
stattgefunden haben. Gleichsam in Sichtweite des Papstes wird eine medizinische
Einrichtung der Kirche, die auf dem Gebiet der Dermatologie und Onkologie
Herausragendes geleistet hat, so heruntergewirtschaftet, dass ihr nun die
Zwangsversteigerung droht. Die Schulden belaufen sich inzwischen auf 750 Millionen
Euro.
Franziskus hat oft gegen Diebstahl und Schmiergelder und gegen vermeintliche
Wohltäter der Kirche gepredigt, die in Wirklichkeit Steuern hinterziehen. An einem
Septembermorgen – bei der Messe im Gästehaus Santa Marta – wendet er sich mit
besonders schmerzlichen Worten gegen den Götzendienst des Geldes. Wer am Geld
hängt, entfernt sich von Gott. »Das Geld macht das Denken krank, es macht den
Glauben krank…« Das geschieht auch in der Kirche, fügt er hinzu. Die Liebe zum Geld
lässt Priester und Bischöfe Sünden begehen. Und wenn die Habgier die Oberhand
gewinnt, dann werden die Menschen »geistig korrupt« und laufen Gefahr, »die Religion
als eine Quelle des Profits zu betrachten«. Der Herr, so sein abschließender Wunsch,
»möge uns allen helfen, nicht dem Götzenkult des Geldes zu verfallen«. Sehr hart ist
auch die Mahnung von den »volksfernen« korrupten Politikern, die der Papst in der
Messe für die italienischen Parlamentarier an seine Zuhörer richtet.
34
»www.repubblica.it«, 4. April 2013.
»www.ilmessaggero.it«, 6. Juli 2012.
36
E. Fittipaldi, »www.espressonline.it«, 27. Oktober 2013.
37
I. Sacchettoni, »www.corriere.it«, 5. April 2013.
38
I. Sacchettoni, »www.corriere.it«, 27. Januar 2013.
35
Es ist ein ungleicher Kampf. Das verfilzte Gestrüpp aus Kirchenleuten und
Geschäftemachern wuchert in Italien und insbesondere in Rom seit der Gründung des
Staates der Vatikanstadt am 11. Februar 1929. Es auszumerzen ist eine
Herausforderung, die die Kräfte eines einzelnen Mannes übersteigt.
Kapitel XIII
Die Feinde von Papst Franziskus
Die Feinde von Papst Franziskus agieren und reden im Verborgenen. Sie applaudieren
mit den anderen, heucheln Papsttreue und mögen es gar nicht, wenn man sie als Gegner
des argentinischen Pontifex bezeichnet. Schließlich, so sagen sie, wollen sie doch nur
verhindern, dass er Fehler macht. Doch wenn sie unter sich sind, wetzen sie ihre Zungen.
Ähnlich wie Kardinal Siri, der von Kriegsende bis 1987 Erzbischof von Genua war. Er hielt
Johannes XXIII. für unfähig und nannte das Zweite Vatikanische Konzil eine Katastrophe.
In gewissen Kurienkreisen ist es en vogue, sich über Franziskus’ einfache Sprache zu
mokieren und ihm doktrinelle Unstimmigkeiten vorzuwerfen. »Er redet wie ein
Landpfarrer«, hat ein Kardinal zu Andrea Riccardi gesagt.1 »Wenn alle Landpfarrer so
geredet hätten, dann wäre die Kirchengeschichte anders verlaufen«, hat der Gründer
der Gemeinschaft Sant’Egidio dagegengehalten. Auch im Ausland gibt es Kardinäle, die
ein Loblied auf Benedikt XVI. singen und sticheln, man müsse »dem Papst mit der
Theologie ein bisschen helfen«. Ein deutscher Prälat versteigt sich zu der Frage: »Was
können wir mit einer Copacabana-Theologie anfangen?«
Das Murren auf den Fluren der Kurie beginnt schon am Abend nach der Wahl. Dem Chor
derer, die von Franziskus’ schlichtem Auftreten begeistert sind, gesellen sich Stimmen
hinzu, die subtile Kritik üben: weil er keine Stola und keine roten Schuhe getragen und
weil er ostentativ das Wort Papst vermieden habe. Bergoglio hat zu viele Klischees
durchbrochen. »Man wollte eine Veränderung, einen neuen Stil, aber mit einem so
frischen Wind hatten die Kardinäle nicht gerechnet!«, so der humorvolle Kommentar
des 80jährigen Kardinals und früheren Erzbischofs von Westminster Murphy-O’Connor.
»So einer war dann doch eine Überraschung.«
Eine unliebsame Überraschung für die Nostalgiker des Ratzingerismus, der die
intellektuelle Verteidigung der katholischen Identität und Tradition in einen raffinierten
theologischen, philosophischen und kulturellen Diskurs gekleidet hatte. »Franziskus
achtet mehr auf die pastoralen als auf die doktrinellen Positionen«, erklärt das
Oberhaupt einer vatikanischen Behörde: »Damit ist er das genaue Gegenteil seines
Vorgängers.« Als der Papst im Interview mit der Zeitschrift »Civiltà Cattolica« sagt, man
könne sich nicht ständig mit den Themen Abtreibung, Verhütung und Homo-Ehe
befassen, bricht sich der Unmut der Konservativen auf den einschlägigen Webseiten
Bahn. Die Forderung, der Papst solle für »Klarheit« sorgen, lässt nicht lange auf sich
warten. Irritiert zeigt man sich auch darüber, dass er nicht gegen das HomophobieGesetz Stellung nimmt, das im italienischen Parlament diskutiert wird. Oder gegen die
Leitlinien der UNO zur Sexualerziehung der Jugendlichen, die in der Frage, was natürlich
und was »widernatürlich« ist, Verwirrung stiften würden.2
Franziskus’ Ausdrucksweise verstört und erschreckt die traditionalistischsten Kreise der
Kurie. Es erschreckt sie, wenn er davon spricht, dass eine falsche Ausbildung an den
Priesterseminaren »kleine Monster« hervorbringe.3 Und es verstört sie, wenn er die
1
A. Riccardi, »Criterio«, Dezember 2013.
P. Deotto, »www.riscossacristiana.it«, 12. November 2013.
3
Franziskus, »Weckt die Welt auf«,
http://de.radiovaticana.va/storico/2014/01/03/papst_traf_ordensleute_%E2%80%9Eweckt_die_
welt_auf!%E2%80%9C/ted-760987.
2
»salbungsvollen Priester« anprangert, die sich der Eitelkeit hingeben und »ein
affektiertes Verhalten, eine gezierte Sprache an den Tag legen«, Priester, die einem
»Schmetterling« gleichen und »dem Gott Narziss ergeben« sind.4 Es erschüttert sie, dass
er die Grenzen der frommen Ermahnungen nicht respektiert, sondern mit seiner
direkten Sprache den Finger in die Wunde legt.
Der Papst, der sich während der Generalaudienz bückt, um einer Frau ihre
heruntergefallene Tasche aufzuheben, hält nichts davon, wenn man allzu sehr auf den
sakralen Charakter des päpstlichen Amtes pocht. »Sein Stil der großen Einfachheit ist
denen ein Dorn im Auge, die sich den Papst immer auf dem Thron und mit der Mitra auf
dem Kopf vorstellen«, sagt der Vizedekan des Kardinalskollegiums Giovanni Battista Re.
In der Kurie bilden sich Nester der Kritik und Missstimmung. Franziskus’ Tendenz, das
Zeremoniell zu vereinfachen, beunruhigt die eifrigen Hüter des Protokolls, die eine
»Herabsetzung […] der Symbolik der heiligen Riten, Bräuche, Gegenstände und
Gebäude« beklagen.5 Dass Franziskus sich bei seinem Südkoreabesuch das gelbe Band,
das ihm eine Überlebende der während des Zweiten Weltkriegs von den Japanern
vergewaltigten »Sexsklavinnen« geschenkt hat, auf das weiße Papstgewand heftet, ist
für sie unerträglich.
Einige Kardinäle haben sich noch immer nicht damit abgefunden, dass Franziskus nicht
in der päpstlichen Wohnung leben will. »Ein Oberhaupt muss dort anzutreffen sein, in
seiner Wohnung«, sagt ein Kardinal mit Nachdruck. »Es ist nicht gut, dass manche ihm
zufällig begegnen und andere nicht.« Und ein langjähriger Purpurträger setzt hinzu: »Die
Residenz so vieler Päpste leer stehen zu lassen, ist ihnen gegenüber praktisch eine Kritik
[…] es ist widersinnig, auf der einen Seite zu wohnen und sich dann für die offiziellen
Pflichten auf die andere Seite des Apostolischen Palasts hinüberzubegeben«. Seit
Monaten sind kleine Sticheleien darüber im Umlauf, dass im päpstlichen Arbeitszimmer
»das Licht ausgegangen« und für die Gläubigen und Passanten auf dem Petersplatz am
späten Abend nicht mehr zu erkennen sei, dass der Papst noch arbeite.
Was die Kardinäle und Prälaten, die sich gegen den neuen Kurs sperren, nicht offen
sagen können, bricht sich im Netz auf den konservativen Webseiten Bahn. In dieser
Phase des Umbruchs beschränken sich die Seiten und Blogs der Minderheiten nicht
darauf, in eigener Sache zu sprechen, sondern machen sich zum Sprachrohr von
Widerständen und Kritiken in durchaus nicht unwichtigen Bereichen der Hierarchie und
des kirchlichen Apparats. In Rom und weltweit. »Es kursiert eine heimtückische
Ratzingernostalgie, die dazu benutzt wird, seinen Nachfolger zu verunglimpfen«, macht
ein Kenner der Kurie, der Sekretär der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika
Guzmán Carriquiry, seinem Ärger Luft.6
Das Trommelfeuer der Kritik ist unerbittlich. Dieser Papst, der sich in den
Generalaudienzen das Scheitelkäppchen aus- und wieder anzieht, es womöglich
verschenkt oder gegen eine Mütze aus dem Publikum tauscht, spiele den »alten
Großvater, der seinen Enkel unterhält«, und neige dazu, »die Symbole des Papsttums zu
entsakralisieren, um sie abzuwerten und abzuschaffen«.7 Die Seite »Pontifex« wirft ihm
von Anfang an »Populismus, Pauperismus und Demagogie« vor. »Gefallsüchtiger Papst«
4
Franziskus, Tagesmeditation Wie ein Priester sein muss (11. Januar 2014).
S. Magister, »www.espressonline.it«, 21. März 2013.
6
G. Galeazzi, »www.lastampa.it«, 8. Oktober 2013.
7
»apostatisidiventa.blogspot.it«, 3. Juni 2013.
5
nennt ihn der Blog »Messa in Latino« und bezeichnet seinen Stil als »stillschweigende
Kritik am Pontifikat Benedikts«.
In den Vereinigten Staaten toben sich die Franziskusgegner auf der Seite »Tradition in
Action« aus. Unter der Überschrift »Bergoglio und die Demontage der päpstlichen
Symbole« werden dort 48 Protokollverstöße des Papstes aufgelistet. Der Stil der
Website erinnert an die amerikanischen Wahlkampagnen, die auf die Vernichtung des
Gegners abzielen. Das Sündenregister lässt nichts aus: von der Anordnung der Kerzen
auf dem Altar bis zur Abschaffung des päpstlichen Mercedes, von der Weigerung,
spitzenbesetzte Gewänder zu tragen, bis hin zu der Tatsache, dass der Diakon nicht vor
dem Papst niederkniet, wenn dieser während der Messe den Segen erteilt. Ein Vorwurf
folgt auf den anderen. Man ist nicht einverstanden mit seiner »unpassenden« Art, die
Kommunion auszuteilen, man ist nicht einverstanden mit seiner Weigerung, auf dem
Thron zu sitzen. Vom Symbol des Thrones sind die Konservativen geradezu besessen.
»Tradition in Action« stellt eigens Fotografien nebeneinander, die Franziskus und
Benedikt XVI. in der Lateranbasilika zeigen, um deutlich zu machen, dass der
argentinische Papst Ratzingers schweren vergoldeten Thron eingemottet hat und sich
mit einem einfachen weißen Sessel begnügt. Wieder und wieder wird dazu aufgerufen,
mit Papst Franziskus keinen Personenkult zu treiben. Das heißt, die Distanz zu ihm zu
wahren.
Dann ist da der Vorwurf, er wolle »den Mantel der Autorität Christi nicht anlegen« und
glaube »augenscheinlich, dass die katholische Lehre sich der Menschheit anpassen
müsse und nicht umgekehrt«.8 Es ist ein ganzer Sturm von zum Teil sogar höhnischen
Angriffen. »Die Welt applaudiert Bergoglio mit seinem Pauperismus […] weil er den
Menschen nach dem Mund redet […] und ihnen sagt, was sie hören wollen: Gott vergibt
immer alles […] es lebe die Liebe […] wir haben uns alle lieb […] Solidarität,
Miserabilismus, Drittweltismus, Ökologismus und – das kann nie schaden – eine kleine
Prise Feminismus«.9
Ähnliches ist, wenn auch subtiler, vorsichtiger und indirekter, in manchen Räumen des
Vatikans zu hören. Der Papst, der im Gästehaus Santa Marta selbst an den
Kaffeeautomaten geht und vertraulich mit den Rezeptionisten plaudert, treibt die
Anhänger der päpstlichen Sakralität in den Wahnsinn. Solche Kratzer auf der Ikone einer
beinahe himmlischen Autorität sind für manche Vertreter der kirchlichen Welt
unerträglich und werden den Katholizismus ins Unheil stürzen. Ein verheerender Schritt
in Richtung Protestantismus!
Man kann eine ganze Stunde lang mit einem Kardinal sprechen, ohne dass er auch nur
die leiseste Kritik am Papst äußert, und dann, plötzlich, als man schon fast an der Tür ist,
bricht es aus ihm heraus: »Es ist nicht gut, dass ein Papst den Zeitungen Interviews gibt
[…] Er richtet zu viele Kommissionen ein […]. Er kritisiert die Priester zu oft: Sie tun doch
auch viel Gutes!«
Msgr. Georg Gänswein hat im Gespräch mit der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit«
eine verbreitete Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Die rechte Hand Benedikts XVI. habe
Franziskus’ Entscheidung, nicht in der päpstlichen Wohnung zu wohnen, als, so schreibt
die Zeitung (wenn auch in Anführungszeichen), einen »Affront« empfunden. Wörtlich
8
9
L. Verrecchio, »www.traditioninaction.org«, 24. September 2013.
M. Castagna, »www.agerecontra.it«, 18. April 2013.
zitiert sie Gänsweins resignierten Kommentar: »Ich warte jeden Tag von Neuem, was
heute anders sein wird [als vorher].«10 Als seine Worte Aufsehen erregen, erklärt der
Sekretär Benedikts XVI., er habe der Zeitung kein Interview gegeben.
Präzise Signale einer zudem formell geäußerten Nichtübereinstimmung kommen aus
den konservativen Bereichen des US-amerikanischen Episkopats. Der Bischof von
Providence (Rhode Island) Thomas Joseph Tobin hat gegenüber dem Bistumsblatt seine
Enttäuschung darüber bekundet, dass der Papst im Interview mit der »Civiltà Cattolica«
die Frage der Abtreibung und der »ungeborenen Kinder« nicht ausführlicher behandelt
habe. Der Pontifex, so fügte er hinzu, müsste die Lebensschutzbewegungen klarer
ermutigen. In Philadelphia hat Bischof Charles Chaput, der erste indianische Bischof der
Kirchengeschichte, auf der Homepage seiner Diözese die Mahnung veröffentlicht, dass
»alle direkten Angriffe auf unschuldiges menschliches Leben wie Abtreibung und
Euthanasie an den Fundamenten des Hauses Gottes rütteln«. Francis Kardinal George,
ehemaliger Erzbischof von Chicago, hat öffentlich erklärt: »Ich möchte den Papst fragen,
ob ihm eigentlich bewusst ist, was er mit seinem Satz: „Wenn jemand schwul ist […] ‒
wer bin ich, über ihn zu urteilen?“ ausgelöst hat.«
In Italien haben die Kreise, die sich gegen Veränderungen und insbesondere gegen das
von Franziskus angestrebte partizipative Kirchenmodell sträuben, im Giuliano Ferraras
»Foglio« ihr bevorzugtes Sprachrohr gefunden. Alles, was die Nostalgiker der
ratzingeristischen Ideologie nicht selbst zu sagen wagen, fließt durch die von Laien
verfassten Beiträge dieser Zeitung.
Der Historiker Roberto de Mattei, Anhänger des Kreationismus und streitbarer Kritiker
des II. Vatikanischen Konzils, hat sich im »Foglio« gegen die Hypothese von einer Reform
der päpstlichen Monarchie gewandt. De Mattei – der die stillschweigende Unterstützung
eines Teils der kirchlichen Hierarchie genießt – will es nicht dulden, dass man in Bezug
auf den Bischof von Rom von einem Ehrenprimat oder einem Primat der Liebe spricht,
also dieselbe Formel verwendet wie Franziskus selbst am Abend seiner Wahl. Was den
römischen Pontifex auszeichne, so De Mattei polemisch, sei seine oberste,
»vollumfängliche und absolute« Jurisdiktionsgewalt, die ihn von jedem anderen Bischof
unterscheide. Der Papst besitze die souveräne Regierungsgewalt. Daran etwas zu
ändern, warnt De Mattei, »würde nicht nur an die historische Form, sondern an das
göttliche Wesen des Papsttums rühren«.11
Mit solchen Signalen, die dem argentinischen Papst über Dritte zugespielt werden, will
man sein Vorgaben, die »Kollegialität« in den Strukturen der katholischen Kirche zu
stärken, im Keim ersticken.
Je länger Bergoglio im Amt ist, desto klarer formiert sich der Widerstand gegen die von
ihm verfolgte Linie. Zwei Vertreter des Traditionalismus, der Journalist Alessandro
Gnocchi und der Kirchenrechtler und Dozent für Bioethik Mario Palmaro, beide
Mitarbeiter bei Radio Maria, haben ebenfalls im »Foglio« unter dem Titel »Dieser Papst
gefällt uns nicht« einen Artikel aufgesetzt, der sich liest wie ein Manifest. Schlag auf
Schlag wird darin Franziskus’ »zur Schau gestellten Armut« kritisiert, seine Ablehnung
des Proselytismus verurteilt, sein angeblicher moralischer Subjektivismus angeprangert
– wegen seiner Aussage im Gespräch mit Scalfari: »Jeder von uns hat seine Sicht des
10
11
»www.zeit.de«, 4. Dezember 2013.
R. de Mattei, »Il Foglio«, 28. März 2013.
Guten und auch des Bösen. Wir müssen ihn dazu anregen, sich auf das zuzubewegen,
was er als das Gute erkannt hat« ‒ und seine Vorstellung von der Kirche als einem
Feldlazarett in Bausch und Bogen verdammt.
Das Beunruhigendste an Bergoglios Denkweise, so das vom diskreten Applaus der
Papstgegner begleitete Fazit von Gnocchi und Palmaro, sei die »Vorstellung von einem
unüberbrückbaren Gegensatz zwischen doktrineller Strenge und Barmherzigkeit: Wo die
eine herrscht, kann die andere nicht sein […]. Wir haben es hier mit dem Phänomen
eines Anführers zu tun, der der Masse genau das sagt, was sie hören will.« Die beiden
fordern Bergoglio heraus. Es gebe »Gesetze, die nicht einmal der Stellvertreter Christi
ändern kann«, erklären sie. »Christus kann keine Option unter vielen sein. Zumindest
nicht für seinen Stellvertreter.«12 Am Tag nach der Veröffentlichung spricht Radio Maria
den beiden Mitarbeitern die Kündigung aus, während Franziskus zum Telefon greift und
Palmaro anruft, um den Verdacht einer Zensur im Keim zu ersticken. Mit der Zeit
werden die Vorkämpfer des Traditionalismus immer aggressiver und versprühen ihr Gift
gegen die Worte des Papstes, die sie als »unverständlich, unpassend, irreführend«
bezeichnen. Seine Sprechweise, so ihr Vorwurf, habe dem Amt des Stellvertreters Christi
»seinen sakralen Charakter, seine Autorität und seine Ehrwürdigkeit genommen«: Der
Papst sei inzwischen nur mehr der »Präsident eines religiösen Vielvölkerstaats«.13
Auch in Amerika haben nichtgeistliche Katholiken die Feindseligkeiten gegen den
Pontifex eröffnet. Der konservative Publizist Michael Novak wirft den ersten Stein: »Ein
Freund hat mich gefragt, ob der Papst eigentlich weiß, was für einen Schaden er mit
diesen spontanen Kommentaren anrichtet. Wenn man von „Obsession“ spricht, weil sich
jemand kontinuierlich für den Lebensschutz engagiert, dann tut das weh.« Novak – ein
Anhänger von Johannes Paul II. und Papst Ratzinger – stimmt in den Chor der
katholischen Traditionalisten ein und erklärt, Franziskus ermutige mit seinen
Äußerungen »zur Kritik an der Kirche, und zwar vonseiten ihrer erklärten Gegner, die nur
auf eine solche Gelegenheit gewartet haben«.14
In den Vereinigten Staaten ist, daran erinnert der Historiker Massimo Faggioli, der sich
auf die Geschichte des Christentums spezialisiert hat, ein stabiles Netzwerk aus
Universitäten, Colleges und katholischen Lobbys am Werk, das – nicht anders als die
konservativen protestantischen Kreise – die Meinung vertritt, eine traditionalistische
Glaubenssicht sei unabdingbar für das moralische Wohl Amerikas. Dieser Block
betrachtet Franziskus’ pastorale Neuerungen mit Argwohn – wenn nicht gar mit offener
Feindseligkeit.
Der passive Widerstand ist eine uralte Methode, Kritik zum Ausdruck zu bringen, ohne
sich dabei allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. »Lassen wir ihn reden«, lautet das
Motto dieser stillschweigenden Opposition, die aufdringlicher wird, weil sie darauf
vertraut, dass die Päpste kommen und gehen, die Kurie aber bleibt.
Die Kurie ist eine komplexe Welt, ein Schmelztiegel der Nationalitäten, ein Mosaik aus
Personen größeren oder kleineren Formats, die großenteils von einem ausgeprägten
Sendungsbewusstsein und einer engen Bindung an die Institution beseelt sind. Was sie
motiviert, ist oft – aber nicht immer – der Stolz, in einem Kommandozentrum von
internationaler Bedeutung zu arbeiten. Und komplex ist auch die Mentalität der hohen
12
A. Gnocchi, M. Palmaro, »Il Foglio«, 9. Oktober 2013.
»Una Vox«, Juli 2014.
14
P. Mastrolilli, »www.lastampa.it«, 21. September 2013.
13
Würdenträger, die sich nicht so ohne Weiteres in diese oder jene Schublade einordnen
lassen. Da gibt es Prälaten, die bereit sind, wiederverheirateten Geschiedenen die
Kommunion zu spenden, den Frauen aber den Zugang zu leitenden Ämtern verwehren
wollen. Andere haben kein Problem damit, wenn jemand schwul ist, pochen jedoch mit
großer Strenge auf die Pflicht des Papstes, sich an das Protokoll zu halten. Wieder
andere sind sozial sehr aufgeschlossen und sperren sich gleichzeitig gegen die Aussicht
auf eine Demokratisierung der kirchlichen Tradition. Die Lager der Traditionalisten und
Reformer weisen unzählige Schattierungen auf: Alle haben ihre Gründe, und zuweilen
gibt es Überschneidungen.
»Unser Einfluss beruht auf unserer Vielfalt«, behaupten die aufgeklärten Konservativen
und führen die vielen Gelegenheiten ins Feld, bei denen hohe staatliche Autoritäten vor
den uralten Seilschaften der römischen Institution die Segel streichen mussten. »Wir
sind glaubwürdig, weil wir mit der Zeit gehen«, sagen dagegen die gemäßigten Reformer
und verweisen auf die Flexibilität, die der Heilige Stuhl im Lauf der Jahrhunderte immer
wieder an den Tag gelegt hat. Die unerwartete Schnelligkeit, mit der die letzten
Konklaves zu einem Ergebnis geführt haben, zeigt, dass das Kardinalskollegium in der
Lage ist, über unterschiedliche Auffassungen zu sprechen und sich zu verständigen: zur
größeren Ehre der Kirche von Rom.
Der Vatikan ist keine homogene Masse. Ein Kern von Prälaten ist glücklich über den
neuen Kurs und dankbar für die Wahl, die das Konklave getroffen hat. Andererseits war
die Kurie schon vor dem Konklave in mehrere Gruppierungen gespalten: die Anhänger
von Scola, die Parteigänger des brasilianischen Kardinals Scherer und die Befürworter
des argentinischen Papstes.
Den Vatikan hat Kardinal Bergoglio nie sonderlich gemocht. Zu seiner Zeit als Erzbischof
von Buenos Aires hatte er kein gutes Verhältnis zu Nuntius Adriano Bernardini, der dem
damaligen Kardinal Staatssekretär Sodano sehr nahestand. Die konservativen
argentinischen Bischöfe beschwerten sich in Rom über Bergoglio, weil er in ethischen
Fragen zu nachgiebig sei. Als Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz war er
mit einer Reihe von Bischofsernennungen vonseiten des Vatikans alles andere als
einverstanden. Und Rom erwiderte seine Antipathie.
2009 ernannte Kardinal Bergoglio den Bibelwissenschaftler, Schriftsteller und damaligen
Präsidenten der Argentinischen Gesellschaft für Theologie Victor Manuel Fernández zum
Rektor der Katholischen Universität Buenos Aires. Daraufhin musste er mit ansehen, wie
der Vatikan die Angelegenheit wegen angeblicher Zweifel an der Rechtgläubigkeit des
Theologen hinauszögerte. Erst im Mai 2011 konnte Fernández nach unerfreulichen
Szenen in den Vorzimmern des Vatikans als Rektor der Universität vereidigt werden.
Es hat Bergoglio immer schon Unbehagen bereitet, wenn jemand sich an den Vatikan
wandte, um eine mutmaßliche doktrinelle Abirrung zur Anzeige zu bringen. Auch die
obsessive Leidenschaft für die sogenannten nicht verhandelbaren Grundsätze hat er nie
geteilt. In Rom wollen sie »die Welt in ein Kondom stecken«, so lautet ein ihm
zugeschriebenes Bonmot aus seiner Zeit als Kardinal.
Vielmehr zeigte er sich vor Ort, in Buenos Aires, zunehmend beunruhigt von der sich
stetig verschlechternden Situation der Kirche. Einem befreundeten Priester vertraute er
an: »Wenn meine Mutter und deine Mutter heute auferstehen würden, dann würden
sie den Herrn anflehen, dass er sie wieder unter die Erde schickt, um den Verfall dieser
Kirche nicht mitansehen zu müssen.«15 Gianni Valente, der befreundete römische
Journalist, bei dem Bergoglio oft zum Abendessen war, erinnert sich, dass er so selten
wie möglich in den Vatikan kam. »Der höfische Geist sagte ihm nicht zu, und die
mangelnde Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Ortskirchen genauso wenig«.16 Ihn
verdross der Ehrgeiz der Bischöfe, die geradezu manisch in immer größere Diözesen
wechselten, als ginge es darum, die Stufen einer Erfolgsleiter hinaufzuklettern. Mit der
Selbstbezüglichkeit der Kurie und mit dem Karrierismus in ihrem Inneren ist Franziskus
noch nie zurechtgekommen.
In den verschlungenen Gängen der Kurie sind Fallen aufgestellt, in die Franziskus leicht
hineingeraten kann. So hat man den Papst, als er Msgr. Battista Ricca zum Prälaten für
den IOR ernannte, über gewisse Einzelheiten im Unklaren gelassen. Gegen Ricca, einen
altgedienten Diplomaten des Heiligen Stuhls, sind im Apostolischen Palast recht
konkrete Vorwürfe im Umlauf. Während seiner Zeit in Montevideo, wohin er 1999
versetzt worden war, hatte man ihm ein Verhältnis mit einem Hauptmann der Schweizer
Armee namens Patrick Haari nachgesagt. Nach wiederholten Vorkommnissen war es
Nuntius Janusz Bolonek im Jahr 2001 gelungen, beim Staatssekretariat Riccas
Abberufung zu erwirken.17
Zum Zeitpunkt seiner Ernennung jedoch übergibt das Staatssekretariat, das noch von
Kardinal Bertone geleitet wird, dem Papst eine makellose Personalakte. Die Bombe
platzt erst später. Und Franziskus zeigt der Situation gewachsen. Den Journalisten erklärt
er: »Was Msgr. Ricca betrifft: Ich habe getan, was das Kanonische Recht zu tun
vorschreibt, nämlich die Investigatio previa durchgeführt. Und aus dieser Investigatio
geht nichts von dem hervor, was ihm vorgeworfen wird; wir haben nichts dergleichen
gefunden.«18
Das beweist, dass man den argentinischen Papst nicht vollständig über die Situation
unterrichtet hatte. Doch gleich im Anschluss erteilt der Pontifex den Mitarbeitern der
Medien wie auch des Vatikans, die sich immer wieder gerne der kompromittierenden
Macht der Information bedienen, eine kleine Lektion in Sachen Eleganz: »Ich sehe, dass
man häufig in der Kirche – außerhalb dieses Falles und auch in diesem Fall – zum Beispiel
nach „Jugendsünden“ sucht und das dann veröffentlicht. Nicht nach Straftaten, die
Straftaten sind eine andere Sache – der Missbrauch von Minderjährigen ist eine Straftat.
Nein, nach Sünden. Aber wenn ein Mensch – Laie, Priester oder Schwester – eine Sünde
begangen und sich dann bekehrt hat, vergibt sie der Herr, und wenn der Herr vergibt,
dann vergisst er, […] und wir haben nicht das Recht, nicht zu vergessen«.19
Verglichen mit seiner Zeit in Buenos Aires ist Franziskus in einem Punkt im Nachteil:
Zuhause kannte er die 800 Priester seiner Diözese persönlich. In Rom besitzt er keine
vergleichbare Kenntnis des vatikanischen Apparats, und solange er über kein
hinreichend breit aufgestelltes Team verfügt, besteht die Gefahr, dass sich Vorfälle wie
der beschriebene wiederholen.
15
C. Martini Grimaldi, Ero Bergoglio, sono Francesco, Venedig (Marsilio) 2013.
G. Valente im Gespräch mit dem Verfasser.
17
S. Magister, »www.espressonline.it«, 28. August 2013.
18
Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013).
19
Ebd.
16
Die Kurie ihrerseits ist verunsichert und weiß nicht, in welche Richtung Franziskus’
Revolution verlaufen wird. »Die Muster von früher sind nicht mehr gültig«, bemerkt
Renato Kardinal Martino mit der Erfahrung des langjährigen Diplomaten.
Das Gefühl, nicht genau zu wissen, wo diese neue Entwicklung hinführen wird, verbindet
Anhänger und Gegner. »Ich bete für den Papst, denn eines Morgens, wenn die
Flitterwochen vorbei sind und die Zeit der Entscheidungen kommt, werden sie am Fuß
der Mauer auf ihn warten«, seufzt der über 80jährige Kardinal Roger Etchegaray, der als
Botschafter Johannes Pauls II. in allen Krisenregionen dieser Welt unterwegs war und
die von Bergoglio eingeleitete Wende begrüßt. »Zu Füßen der Mauer« ist eine
französische Redewendung und meint eine Situation, in der man den Schwierigkeiten
von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. »Amtsträger auszutauschen ist einfach. Das
Schwierige ist, die Mentalität und die Gewohnheiten der Christen zu verändern, die sich
in die Vergangenheit zurücksehnen«, sagt Etchegaray abschließend.
Ein Papst, der tagtäglich etwas Neues hervorbringt, sorgt für Verwirrung. Der
heimtückischste Feind von Franziskus’ Reformpolitik lauert im vatikanischen Unterholz.
In den Reihen derer, die es gewohnt sind, mit zwielichtigen Gestalten
unterschiedlichster Provenienz zusammenzuarbeiten, um ihre eigenen Interessen zu
verfolgen. Was die ökonomischen Verhältnisse betrifft, so befriedigt der Vatikan bei
jenen, die Christus beiseitegeschoben und sich der Weltlichkeit hingegeben haben –
wovor der Papst immer wieder warnt ‒, ein gewisses Wohlstandsbedürfnis. Der Leiter
eines vatikanischen Amts, der 2.800 Euro verdient, kann seine Bezüge durch das Amt
eines päpstlichen Zeremoniars um weitere 2.000 Euro aufstocken. Wenn er zudem auf
der Gehaltsliste des Domkapitels von Sankt Peter steht, sind das noch einmal 1.500
Euro. Wer einer Kommission angehört, erhält dafür zwischen 600 und 800 Euro. Das
alles steuerfrei. Von den vergünstigten Mieten für die Dienstwohnungen ganz zu
schweigen.20
Doch manche wollen noch mehr. Sie sind in der Minderheit, aber sie sind reißende
Wölfe. Die Skandale, die immer wieder von den Medien enthüllt werden, fügen dem
Heiligen Stuhl unabsehbaren Schaden zu. »In den letzten Amtsjahren Johannes Pauls II.
hat das Fehlen eines Papstes, der mit straffer Hand regiert, üble Praktiken
hervorgebracht«, erzählt ein Diplomat, der die Geschehnisse im Vatikan aus der Nähe
verfolgt hat. »Dabei hat sich ein ungesundes Machtsystem herausgebildet, das
demontiert werden muss«. Ein Netz aus persönlichen Beziehungen und Interessen, dem
skrupellose Akteure diesseits und jenseits des Tibers angehören. Das beweisen die mit
schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Finanzskandale. Die Omertà ist ein starker
Klebstoff. Ein nordeuropäischer Kardinal gesteht, er sei seinerzeit von einem Bischof
kontaktiert worden, der von finsteren Machenschaften in einem vatikanischen
Dikasterium erfahren hatte. Es ging um Millionen von Euro. Der Kardinal schickte einen
Brief ans Staatssekretariat und berief sich auf sein Gewissen. Er bekam nie eine Antwort.
Er selbst wagte es nicht, die Sache publik zu machen.
Die Kurie ist ein Geflecht aus vielen Einzelleben. Ein Szenario aus ausgeklügelten
Überlegungen und tödlichen Treibsanden. Zusammengehalten wird das Ganze seit jeher
– über alle Spannungen, Gegensätze und Konflikte hinweg – von der Idee des Papsttums
als absoluter Macht. Die sich mit einem einzigen Kameraschwenk darstellen ließe: von
20
F. Di Giacomo, »Il Venerdì di Repubblica«, 10. Januar 2014.
Berninis Kolonnaden, die die ganze Welt umarmen, über die Kuppel von Michelangelo
als Sinnbild einer perfekt strukturierten Kirche bis hin zu dem Kreuz auf ihrer Spitze als
Verweis auf Christus und seinen Stellvertreter, der höher steht als alle Könige und
Präsidenten dieser Welt.
Dieses Ensemble ist es, das Franziskus auseinanderdividiert: Auf der einen Seite stehen
die, die sich nicht von der alten Vorstellung und Ausübung der Macht trennen können.
Und auf der anderen Seite stehen die, die bereit sind, sich auf das Abenteuer einer
Umgestaltung der Kirche einzulassen, weil sie wollen, dass diese Kirche den Männern
und Frauen des dritten Jahrtausends etwas zu sagen hat.
Die Kurie ist auch ein Mikrokosmos aus Eifersüchteleien, Selbstverleugnung,
vernichtendem Tratsch, Karrierismus und Dienstbarkeit. »Es gibt Heilige an der
römischen Kurie«, hat der Papst schon mehrfach gesagt und damit die mustergültigen
Prälaten gemeint, die ihre Arbeit mit großer Professionalität erledigen und gleichzeitig
Männer des Gebets sind und sich in ihrer freien Zeit den Werken der Nächstenliebe
widmen. Dennoch weiß Franziskus auch um die Dinge, die nicht so sind, wie sie sein
sollten. »Ich glaube, dass die Kurie sich nicht mehr ganz auf dem Niveau befindet, das sie
einmal gehabt hat«, erklärt er wenige Monate nach seinem Amtsantritt und denkt mit
Wehmut an den »Kurienbediensteten vom alten Schlag« zurück, »der treu seine Arbeit
erledigt hat«.21 Es gibt eine soziologische Erklärung für die sinkende Qualität des
Kurienpersonals: den Rückgang der Berufungen. In der Vergangenheit, als die
Berufungen noch zahlreich waren, schickte ein Bischof die besten Priester in den Vatikan
und hatte noch immer genug hervorragende Leute für seine Diözese. Heute, in Zeiten
des Priestermangels, neigt ein Bischof dazu, die begabtesten der jungen Priester als
seine engsten Mitarbeiter an sich zu binden.
Der Kirchenhistoriker Alberto Melloni beschreibt das Szenario, in das Franziskus
hineingeraten ist, mit sehr harten Worten. Er spricht von einer Kurie, deren Personal
»die Vorstellung geerbt hat, gleichzeitig die Mitte und das Ganze zu sein«. In diesem
Umfeld gedeihe ein von Heuchelei und übler Nachrede getränkter Karrierismus, der auf
»Selbstüberschätzung« und gleichzeitig auf der »Geringschätzung ebender
institutionellen Dimension [beruht], deren man sich bedient«.22 Der Niedergang, so
Melloni, habe sich in dem Dritteljahrhundert zwischen Wojtyłas Wahl und Ratzingers
Rücktritt verschärft.
Franziskus weiß, dass er innerhalb der Kurienstruktur noch reichlich isoliert dasteht und
dass viele kirchliche Kreise in Rom und außerhalb ihm zwar applaudieren, sich aber
scheuen, in seine Fußstapfen zu treten. »Er läuft Gefahr, wenige Nachahmer zu finden«,
bemerkt Bischof Giancarlo Bregantini. Und er wird noch deutlicher: »Obwohl ihn alle
„heilig, gut und tüchtig“ nennen, besteht das Risiko, dass der Papst am Ende alleine
bleibt«.23 Doch seine argentinischen Freunde wissen, dass Franziskus stur sein kann.
21
Franziskus, Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien (28. Juli 2013).
A. Melloni, Quel che resta di Dio, Turin (Einaudi) 2013.
23
M. Tulli, »Ansa«, 18.12.2013.
22