Das Leben und Werk der Friederike Caroline Neubert

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Das Leben und Werk der Friederike Caroline Neubert
Das Leben und Werk der Friederike Caroline Neuber
(Die Neuberin)
Diplomarbeit
Schauspiel Zentrum Hürth
Studiengang: Schauspieler
Leitung: Arved Birnbaum
Köln, Dezember 2014
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung ..................................................................................................................................... 1
2.
Das Leben der Friederike Caroline Neuber ................................................................................. 2
2.1.
Taufe und erste Wünsche....................................................................................................... 2
2.1.1.
2.2.
Umzug nach Zwickau ............................................................................................................ 2
2.2.1.
2.3.
Die Welt, in die sie hineingeboren wird ......................................................................... 2
Das Frauenbild ............................................................................................................... 3
Fluchtversuch und erfolgreiche Flucht .................................................................................. 4
2.3.1.
Das Leben der Komödianten.......................................................................................... 5
2.3.2.
Reisen in der Zeit ........................................................................................................... 6
2.3.3.
Theater im 17. & 18. Jahrhundert ................................................................................. 7
2.4.
Die Spiegelberg´sche und die Haack-Hoffman´sche Truppe ................................................ 8
2.5.
Erste Schritte zum Wandel des Theaters ............................................................................... 9
2.5.1.
Die Frau auf der Bühne ................................................................................................ 10
2.6.
Gründung der ersten Neuber´schen Komödiantengesellschaft ........................................... 10
2.7.
Die Messe in Leipzig ........................................................................................................... 12
2.8.
Beginn der Reformation ...................................................................................................... 13
2.9.
Tod August des Starken und der Kampf um das Theater .................................................... 15
2.10.
Flucht in die Unsicherheit ................................................................................................ 17
2.11.
Kiel, Frankfurt und Straßburg.......................................................................................... 19
2.12.
Rückkehr nach Leipzig und die Vertreibung des Hanswurst ........................................... 20
2.13.
Weitere Neuerungen ........................................................................................................ 21
2.14.
Der Abstieg beginnt ......................................................................................................... 22
2.15.
Die Reise nach Sankt Petersburg ..................................................................................... 23
2.16.
Zurück nach Deutschland ................................................................................................ 24
2.17.
Neugründung und ein harter Kampf ................................................................................ 26
2.18.
Der unaufhaltsame Abstieg .............................................................................................. 27
2.19.
Der Lebensabend ............................................................................................................. 28
3.
Auswertung und Fazit ................................................................................................................ 29
4.
Anhang ....................................................................................................................................... 31
4.1.
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 31
4.2.
Bildquelle ............................................................................................................................ 31
4.3.
Interview mit Mareike Marx ............................................................................................... 32
2
1.
Einleitung
Mein erster Gedanke, nachdem ich den Briefumschlag mit dem Thema „Das Leben und
Werk der Friederike Caroline Neuber (Neuberin)“ geöffnet und gelesen hatte, war: wer
ist diese Frau? Ich hatte noch nie etwas von ihr gehört, aber scheinbar war sie so wichtig
bzw. hatte sie etwas erreicht, worüber es sich lohnen würde eine Diplomarbeit zu
schreiben. Meine Neugier war sofort geweckt und ich fand es anspornend, dass ich noch
nichts über sie wusste, da ich das Thema so völlig unvoreingenommen angehen konnte.
Ich muss gestehen, dass ich mich selbst dabei erwischt habe, wie ich nach einigem Lesen und den paar Informationen, die ich dadurch hatte, dachte „Ja gut, die Frau hat eine
Theatergruppe geleitet, ist mit ihr ein bisschen durchs Land gereist und hat versucht das
Theater zu kultivieren, na und?“. Kurzzeitig fragte ich mich, ob das Thema, gerade weil
es sich „nur“ um ihr Leben und Werk dreht, nicht etwas zu eingeschränkt sei und ob ich
es schaffen würde, mich lange und ausführlich genug damit zu beschäftigen. Doch je
mehr ich las und mir über das Thema Gedanken machte, desto bewusster wurde mir, auf
welche „falsche Fährte“ ich geraten war und wie sehr ich mich mit meinen anfänglichen
Gedanken geirrt hatte.
Um den Leser vor diesem „Fehler“ zu bewahren, ist meine Arbeit so aufgebaut, dass ich
die zeitgeschichtlichen Hintergründe an den passenden Stellen in die Lebensgeschichte
eingebettet habe. Außerdem habe ich diese Arbeit, anders als üblich, im Präsens geschrieben, was dem Leser ein besseres eintauchen in die Geschichte ermöglichen soll.
Ich möchte nicht nur über Friederike Caroline Neuber und ihr Leben schreiben, sondern
den Blick ein wenig erweitern. Es soll zum Ausdruck kommen, was diese Frau gegen
jeden Widerstand, in einer Zeit geleistet hat, in der Frauen noch zum Eigentum des
Mannes zählten unmündig waren und in der das Ansehen der Schauspieler mehr als
miserabel war.
1
2.
Das Leben der Friederike Caroline Neuber
2.1.
Taufe und erste Wünsche
Friederike Caroline Neuber wird am 9. März 1697 in Reichenbach im Vogtland als erste
Tochter des Gerichtsinspektors Daniel Weißenborn, der bei ihrer Geburt einundvierzig
ist und dessen viele Jahre jüngerer Frau Anna Rosine geboren. Beide Eltern stammen
aus wohlhabenden Familien. Die Taufe in der Peter-Paul Kirche wird zum gesellschaftlichen Event, da der Erb- und Lehnsherr Adam Friedrich von Metzsch der Taufpate des
kleinen Mädchen ist, dessen Weg so ganz anders verlaufen sollte, als es sich alle an diesem Sonntag vorstellen. Ihr wird an diesem Tag Schönheit und Tugend gewünscht, auf
dass sie reich heirate und eine Familie gründen möge, sodass am Sterbebett all ihre
Kinder und Enkel um sie sind. 1
2.1.1. Die Welt, in die sie hineingeboren wird
Friederike wird in eine Zeit hineingeboren, in der in jeglicher Hinsicht Aufbruch
herrscht. Mitteleuropa erholt sich vom Dreißigjährigen Krieg, dem dadurch entstandenen enormen Bevölkerungsrückgang und dem Einbruch der landwirtschaftlichen Produktivität.2 Deutschland gleicht einem Flickenteppich, bestehend aus hunderten sogenannten Territorialstaaten (selbstständigen Herrschaftsgebieten), von denen manche
nicht größer als ein Bauerngut sind.
Den Menschen ist ihr Platz in der Gesellschaft und der Welt durch die Ständeordnung
unverrückbar zugewiesen. An der Spitze stehen die Fürsten, welche uneingeschränkt
herrschen. Danach folgt der Adel und die Geistlichen, doch auch die Handwerker und
Kaufleute gewinnen als aufstrebender Stand an Bedeutung.3
2.2.
Umzug nach Zwickau
Im Jahre 1702 zieht Familie Weißenborn nach Zwickau, der Geburtsstadt des Vaters, in
der er sich als Notar nieder lässt. Doch die Idylle des dreigiebligen Hauses trügt, denn
Daniel Weißenborn ist jähzornig und cholerisch. Er beschimpft und misshandelt sowohl
seine Frau und als auch die Tochter.
1
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.11f
Vgl..http://de.wikipedia.org/wiki/17._Jahrhundert
3
Vgl. Ebd., S.14f
2
2
Im November 1705 stirbt Anna Rosine plötzlich und das ganze Dorf munkelt, ihr Mann
habe sie zu Tode getrieben. Da der Mann „Herr im Haus“ ist und mit seiner Familie
umgehen kann, wie er will, gibt es kein Verfahren. Nichtsdestotrotz halten sich die Gerüchte, auch dass Daniel Weißenborn nicht Friederikes leiblicher Vater sei, sondern ihr
Pate Adam Friedrich von Metzsch, der Erb- und Lehnsherr der Grafschaft Reichenbach.
Weißenborn, so heißt es, hätte nur „herhalten“ müssen, damit Anna Rosine ehrenhaft
verheiratet und versorgt worden sei.
Nach dem Tod ihrer Mutter ist die achtjährige Friederike allein mit ihrem Vater, dessen
Wutausbrüche nicht nachlassen. Er ist Ende vierzig, hat die Gicht und ist durch die
Schmerzen oft bettlägerig. Weißenborn weiß nicht, was er mit Friederike machen soll.
Einen Sohn hätte er zuerst auf die Lateinschule, dann zur Universität geschickt, sodass
er Recht oder Theologie studieren und in seine Fußstapfen hätte treten können. 4
2.2.1. Das Frauenbild
Es besteht zwar noch keine Schulpflicht, trotzdem gehört es sich auch für ein Mädchen
die Grundlagen in Lesen, Schreiben, Rechnen, Französisch und feinen Manieren zu beherrschen. Das soll ihr später dabei helfen, ein großes Haus zu führen, die Kinder gut zu
erziehen und „[...]dem Gatten eine gehorsame und unterhaltsame Gefährtin[...]“5 zu
sein. Dazu sind zu Friederikes Zeit laut Gesellschaft angeblich „[...]Geduld, Sanftmut,
Nachgiebigkeit und Selbstverleugnung“ 6nötig.
Bis zu ihrem Tod ist Friederikes von ihrer Mutter unterrichtet worden. Daher kann die
aufgeweckte und wissbegierige Achtjährige bereits lesen, schreiben, rechnen und hat
Grundkenntnisse in Französisch. In die örtlichen Schule kann ihr Vater sie nicht schicken, da dort nur die Grundlagen unterrichtet werden. Wahrscheinlich wurde sie infolge
dessen, von ihrem Vater unterrichtet. Das erklärt, warum sie als Leiterin ihrer Theatergruppe in den Briefen an Behörden und Fürsten Latein und juristische Fachausdrücke
verwendet.Als Kind erträgt sie ihren Vater, hält sich zurück und versucht, es ihm recht
zu machen. Aber nun, mit fünfzehn, ist sie kein wehrloses Kind mehr, sondern ein junges mutiges, kluges und entschlossenes Mädchen und sie erträgt es nicht länger, von
ihrem Vater gedemütigt zu werden.
4
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.16ff
Ebd. S.18, Z.26f
6
Ebd. S.18, Z.30f
5
3
2.3.
Fluchtversuch und erfolgreiche Flucht
Das wird Friederike bewusst, als sie den freundlichen, sanftmütigen Gottfried Zorn, ein
Jurastudent und Gehilfe ihres Vaters, kennenlernt und sich sofort in ihn verliebt. Endlich
ist sie einem Menschen begegnet, der ganz anders ist, als ihr Vater. Der zehn Jahre ältere
Gottfried Zorn ist Friederikes einzige Hoffnung, dem Vater durch eine schnelle Heirat
entkommen zu können. Doch diese Hoffnung scheint nach einem heftigen Streit zwischen Friederikes Vater und Gottfrieds Mutter zu zerplatzen. Weißenborn wird ihr gegenüber handgreiflich und verweist sie samt Sohn des Hauses.
Aber Friederike lässt nichts unversucht. Sie schreibt heimliche Briefe an ihren Liebsten,
in denen sie ihn bittet, mit ihr wegzulaufen. Doch der liebe, sanftmütige Gottfried ist
ängstlich und lethargisch. Der alte Weißenborn ahnt, dass noch Kontakt zwischen seiner
Tochter und Gottfried besteht und droht Friederike, sie zu erschießen. Aber Gottfried
Zorn macht keinerlei Anstalten, Friederike aus ihrer Lage zu befreien. Also befreit sie
sich selber und verlässt am 14. April 1712, nach einem erneuten Streit mit ihrem Vater,
überstürzt das Haus und läuft zu Gottfried. Sie ist glücklich, ihrem Vater endlich entkommen zu sein und voller Hoffnung auf die Zukunft und das neue Leben. Doch
Gottfried ist schockiert über Friederikes übereilter Entscheidung und beschwört sie,
wieder nach Hause zu gehen. Er ist überfordert mit dem Mädchen, das voller Tatendrang vor seiner Haustür steht und ihn bittet, mit ihr zu fliehen. Wohin, dass weiß sie
selbst noch nicht, bloß weg, weg von ihrem Vater, weg von den Schlägen und ihrem
früheren Leben. Gottfried ist ein schwacher Mensch, der immer dem größten Druck
nachgibt, also flieht er mit Friederike. Sie wollen nach Bayreuth, dort heiraten und eine
Familie gründen. Die Flucht ist beschwerlich und Gottfrieds geringe Ersparnisse sind
schnell aufgebraucht. Da Friederike nichts besitzt und Gottfried seinen letzten Besitz,
eine Perücke, die jeder ordentlicher Mann zu dieser Zeit braucht, nicht hergeben kann,
verkauft Friederike kurz entschlossen ihre langen dichten Locken. 7
Sie wandern weiter nach Reichenbach, wo selbst Friederikes Pate sie nicht aufnehmen
will. Zum Glück hat Gottfried eine Schwester, die ihnen so lange Unterkunft gewährt,
bis der Erlös von Friederikes Haaren aufgebraucht ist. Währenddessen erlässt das Gericht in Zwickau auf Drängen von Friederikes Vater einen Steckbrief gegen seine „ehrlose Tochter“ und ihren „Entführer“.
7
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.20ff
4
Am 19. Mai 1712 werden die beiden auf der Straße festgenommen und nach sechs Tagen Gefangenschaft unter großem Spektakel nach Zwickau gebracht, wo die beiden
Entflohenen den Massen vorgeführt und über den Marktplatz zum Gefängnis gebracht
werden. Dort bleiben sie weitere dreizehn Monate in Haft. Die gerade mal fünfzehnjährige, schmächtige Friederike, nimmt bei den Befragungen tapfer alle Schuld auf sich,
indem sie die Wahrheit sagt: Gottfried habe sie nicht entführt, vielmehr sei sie zu ihm
gegangen und habe ihn überredet mit ihr zu fliehen.
Als Weißenborn seine Tochter zurückfordert, beeindruckt Friederike mit ihren klaren
und ohne Angst formulierten Aussagen und energischen Briefen, in denen sie das Unrecht, das ihr widerfährt, höflich aber entschieden gegenüber der Obrigkeit vorbringt.
Ein solches Verhalten ist man von einer Frau nicht gewöhnt, da diese zu der Zeit als
hilflos und ungebildet gelten.
Sowohl Gottfried, als auch Friederike, werden bald darauf freigelassen. Doch während
Gottfried schnell wieder Arbeit findet und sich irgendwann zu den Soldaten nach Dresden absetzt, bleibt Friederike allein zurück. Ihr bleibt keine Wahl, sie muss zurück ins
verhasste Heim, zurück zu ihrem Vater, zurück in ihr altes Gefängnis.
Dort erträgt sie es ganze drei Jahre. Mit neunzehn Jahren klettert sie im Sommer 1716
aus dem Fenster, vor dem Johann Neuber auf sie wartet. Er ist ein treuer und verlässlicher Freund, der durch den frühen Verlust seines Vaters sein Studium nicht beginnen
kann und mit seiner Mutter bis zum heutigen Tag in Armut lebt. Sie fliehen zusammen,
diesmal für immer und sie haben ein klares Ziel: Sie wollen zu den Komödianten. 8
2.3.1. Das Leben der Komödianten
Diese Entscheidung bedeutet für beide, ganz besonders aber für Friederike, den endgültigen Abschied vom bürgerlichen Leben. Für Frauen ist die Rückkehr unmöglich, so
will der Schritt gut überlegt sein, da das Ansehen des Theatervolkes zu dieser Zeit mehr
als miserabel ist. Die Komödianten werden auf eine Stufe mit den Huren gestellt, sie
gelten als sündig und werden verachtet. Ihnen werden die heiligen Sakramente verweigert und nach dem Tod werden sie wie die Aussätzigen vor den Stadtmauern verscharrt,
um die „heilige Erde der Friedhöfe“ nicht zu entweihen.
8
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.22ff
5
Obwohl auch in dieser Zeit das Laientheater bereits an Schulen, in Kirchen und Bürgerhäusern praktiziert und als beliebter Zeitvertreib angesehen wird, zählen die fahrenden
Komödianten zum Abschaum der Gesellschaft. Vom Volk und den Fürsten werden sie
geduldet und für die Zeit eines Jahrmarktes oder eines kurzen Gastspiels in die Städte
oder sogar den Schlossgarten aufgenommen. Solange sie in ihren Komödiantenbuden
auf der Bretterbühne stehen, wo sie laut Gesellschaft hingehören, werden sie bejubelt.
Doch wenn sie sich in die Gärten, die Säle der Schlösser, die Bauernstuben oder Stadthäuser wagen, werden sie schnell vertrieben.
Friederike ist fromm und gläubig, doch als Frau hat sie keine große Wahl. Männer können zur See fahren oder Soldat werden, Frauen bleibt in dieser Zeit nur das Kloster oder
die Komödianten. Neben Verstoßenen, Sündern und Scharlatanen schließen sich auch
immer mehr Studenten, auf der Suche nach Abenteuern und Glanz oder mangelndem
Geld für die Universität, den Komödianten an. 9
2.3.2. Reisen in der Zeit
Die Reise dauert mehrere Wochen. Befestigte Straßen gibt es zu dieser Zeit in ganz Europa kaum und während sie im Herbst und Winter unter Matsch und Schnee versinken,
werden sie jetzt im Sommer, von dichtem Grün überwuchert. Die meiste Zeit gehen sie
zu Fuß. Manchmal wenn sie Glück haben kommt ein Bauernkarren vorbei und nimmt
sie ein Stückchen mit, doch die Straßen sind wenig befahren. Es tummeln sich Soldaten,
Landstreicher, Räuberbanden, Bettler und Komödianten auf den Straßen.
Letztere ziehen mit ihren voll bepackten Wagen, auf denen sich Küchengeräte, Federbetten, Textbücher, Requisiten, Kulissen, Kostüme und Körbe mit dem was sie zum
Leben brauchen stapeln, von einer Spielstätte zur anderen. Meist in kleinen Gruppen,
oft nur mit der eigenen Familie, reisen sie durchs Land. Sind die Kassen gefüllt, wartet
auf sie ein warmes kleines Zimmer in einem Gasthof. Bei schlechtem Wetter haben sie
keine Zuschauer und somit kein Geld, hungern oft und es muss ein Schuppen oder der
Platz unter einem der Wagen zum Schlafen ausreichen. Selten werden sie alt, wer keine
eiserne Gesundheit hat fällt leicht der Schwindsucht zum Opfer. 10
9
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.25ff
Vgl. Ebd, S.34f
10
6
2.3.3. Theater im 17. & 18. Jahrhundert
Das Theater in Deutschland wird Ende des 16. Jahrhunderts vor allem durch zwei Strömungen geprägt. Die eine kommt aus Italien, mit den Masken und bunten Kostümen.Doch leider wird in den darauf folgenden Jahrzehnten, bei den Fahrenden Gruppen
in Deutschland, aus der in Italien mit satirischem Witz und großer Eleganz glänzenden
Commedia dell´Arte, ein derbes Klamaukspiel, in dem keine Obszönität ausgelassen
wird und keine Prügelei zu brutal ist. Die andere kommt über den Ärmelkanal und
bringt Shakespeares Dramen. Die Deutschen machen daraus ein blutiges, pompös und
pathetisch inszeniertes Schauspiel mit legendären Kampfszenen. Berühmt sind besonders die so naturgetreu wie möglich dargestellten Folterungen und Hinrichtungen. Das
Blut fließt in Strömen aus Schweineblasen, auf der Bühne türmen sich herrenlose
Gliedmaßen und oft genug hält das Publikum das Szenario für real.
Die Schauspieler und das Publikum sprechen zu dieser Zeit häufig nicht dieselbe Sprache. Zum einen existiert noch keine gesamtdeutsche Sprache, da jedes Fürstentum seinen eigenen oft stark ausgeprägten Dialekt hat. Zum anderen bestehen die Wandertruppen in den Anfängen meist nur aus den übergesiedelten Italienern oder Engländern, die
kein Deutsch sprechen und sich auch nur langsam öffnen und Schauspieler aus Deutschland aufnehmen. Doch das stört niemanden, denn das Theater lebt zu dieser Zeit mehr
von Taten als von Worten.
Nach und nach werden aus den englischen und italienischen Wandergruppen deutsche
Komödiantengesellschaften, die beide Stile vereinen und etwas Neues daraus schaffen.
Sie übernehmen von den Engländern weniger die Texte, als vielmehr die Spielform und
bringen einige Elemente der Commedia dell´Arte hinzu. Es entsteht eine neue, eigene
Darstellungsform der deutschen Komödiantengesellschaften. Aus ihr heraus wächst der
Hanswurst, ein Gegenstück zum italienischen Arlecchino oder dem englischen
Pickelhering, eine hinzugefügte Dienerfigur, die in den übersetzten und stark
vereinfachten französischen und italienischen Tragödien auftritt. Für ihn gibt es keine
Tabus auf der Bühne. Er furzt, rülpst, lässt die Hosen herunter, ist dumm und schlau
zugleich, prügelt und wird verprügelt. Er ist der Star des Theaters im 17. Jahrhundert
und eine Theatergruppe ohne guten Hanswurst wird mit Schimpf und Schande von der
Bühne gejagt und mit Steinen beworfen. 11
11
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.29ff
7
2.4.
Die Spiegelberg´sche und die Haack-Hoffman´sche Truppe
Das ist die Welt, in die Friederike und Johann aufgebrochen sind. Sie wollen zur
Spiegelberg´schen Komödiantentruppe, einer der berühmtesten Truppen ihrer Zeit. Der
Prinzipal Christian Spiegelberg hat selbst bei einem der besten gelernt – bei Johann
Velten, einem der bekanntesten Schauspieler und Prinzipale im 17. und 18. Jahrhundert.
Spiegelberg lockt nicht nur damit, dass er neben den äußerst beliebten Haupt- und
Staatsaktionen, den derben, blutigen Stücken, die von Königen und Staatsgeschäften,
Krieg, Mord und Rache handeln, seinen Schauspielern auch ab und zu erlaubt,
französische Dramen auf die Bühne zu bringen. Er gilt auch als der erste Prinzipal, der
mit seiner Truppe Abenteuerreisen in die große weite Welt unternimmt. In den Norden,
nach Schweden, Norwegen und Dänemark zieht es ihn besonders.
Das fasziniert Friederike und Johann. Wo genau sie auf die Truppe treffen, ist nicht
belegt, doch die, trotz ihrer Narbe im Gesicht durch ihre dichten Locken, die gerade
Nase und dem vollen Mund, sehr schöne Friederike und der junge ruhige Johann, der
bereitwillig überall aushilft, werden sofort aufgenommen. Am 5. Februar 1718 heiraten
die beiden Komödianten Friederike und Johann in der Hof- und Domkirche St. Blasius
in Braunschweig. Daraus lässt sich schließen, dass sie zuvor nicht nur ihren Prinzipal
auf Anhieb begeisterten, sondern auch den Herzog Ludwig Rudolph von Braunschweig,
welcher der Hochzeit in der Domkirche zustimmte.
Doch die Neubers bleiben der Spiegelberg´schen Truppe nicht lange erhalten. 1719
wechseln sie zur Haack - Hofmann´schen Truppe, die als die beste im ganzen Land gilt
und mit der die beiden durch ganz Deutschland reisen. Sie spielen in Dresden, Hamburg
Nürnberg, Hannover, Frankfurt am Main, Braunschweig, Leipzig und jeden Winter in
Breslau. Die Truppe ist berühmt für das große Talent ihrer Schauspielerinnen und
Schauspieler, doch im Programm unterscheiden sie sich nicht sonderlich von den
anderen Komödiantengesellschaften. Sie spielen das, was gefragt ist: Geschichten voller
Liebesleid, Mord und Totschlag, mit Motiven aus dem Leben antiker Helden und
Göttern, gemischt mit Tagesereignissen und Moderomanen. Auch biblische Geschichten
sind sehr angesagt und garantieren eine volle Kasse. Die Geschäfte laufen gut. Stücke
von Corneille und Moliére und einem kaum bekannten Shakespeare werden nur im
Kern übernommen und aus dem Stegreif vorgespielt.
Friederikes Phantasie und ihr Spieltrieb sind durch ihre düstere Kindheit nicht erstickt
worden.
8
Sie liebt es auf der Bühne zu stehen, denn dort darf sie all ihre Talente ausleben: tanzen,
singen und lachen, laut sein und kokettieren. Sie kann sich austoben und all das
ausleben, was ihr früher vom Vater verboten wurde. Sie ist stets neugierig, lernt sehr
schnell und trifft auf ihren Reisen viele andere Komödianten von denen sie sich
schauspielerische Elemente abschaut. Besonders die Gesellschaften aus Frankreich
begeistern sie. Diese spielen Stücke von Molière, Jean Racine und Pierre. Die Tragödien
und Komödien haben eine stringente Handlung und das Spiel der Komödianten ist klar
strukturiert. Sie spielen nicht aus dem Stegreif, sondern tragen die auswendig gelernten
Verse im Alexandriner Rhythmus vor. Es ist ein verfeinertes, kunstvolles Spiel um
Geschichten von Ehre, Liebe und Verrat, die alle mit einer lehrreichen Moral enden.
Schon jetzt keimt in Friederike der Wunsch auf, das deutsche Theater nach diesem
Beispiel zu reformieren.12
2.5.
Erste Schritte zum Wandel des Theaters
Friederike zählt schon nach kurzer Zeit zu den besten Schauspielerinnen Deutschlands.
Gemeinsam mit ihrem Kollegen Friedrich Kohlhardt überzeugt sie ihren Prinzipal einige dieser neuen Stücke in das Programm der Truppe aufzunehmen. Obwohl die Stücke,
anders als die Stegreifpossen und Hanswurstiaden, schwerere Kost sind und für den
ungebildeten Zuschauer stellenweise auch Längen haben, ist die Haack-Hoffmann´sche
Truppe sehr erfolgreich damit. Hauptsächlich wegen Friederike, die durch ihre lebendige Darstellung das Publikum ganz in ihren Bann zieht. Besonderen Anklang finden die
Stücke bei den Gebildeten, die sich vereinzelt zu den Komödianten trauen. Unter ihnen
ist eines Tages auch der junge Leipziger Gelehrte Johann Christoph Gottsched. Der Philosoph und Schriftsteller ist begeistert von der bildschönen und talentierten jungen Komödiantin und der Truppe, der sie angehört. Hier sieht er zum ersten Mal einen neuen
Keim des Theaters aufblühen. Er ist noch neu in Leipzig, aber fest entschlossen an diesem Ort Karriere zu machen und die deutsche Sprache und damit auch das Theater zu
verbessern. Genau wie Friederike ist er der Meinung, dass das Theater den Zuschauern
einen moralischen Spiegel vorhalten müsse und nicht nur rein zur Unterhaltung diene.
Mit der Aufführung des Stücks Gespräche aus dem Reich der Toten gelingt Friederike
mit ihrem Witz, Charme und komödiantischen Talent der Durchbruch.
12
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.32ff
9
In dieser Parodie über die Studenten der großen Universitäten verkörperte Friederike die
vier Studenten, die ihr scheinbar auf den Leib geschrieben sind. Von wem das Stück
verfasst wurde, ist nicht bekannt, aber es wird vermutet, dass die Neuberin an der handlungsreichen und folgerichtig aufgebauten Komödie mit Anfang und Ende mitgewirkt
hat. Es wird für immer das „Neuberin-Stück“ genannt. Friederike findet Gefallen an den
Hosenrollen denn obwohl es beim gebildeten Publikum für Aufruhr sorgt und an einen
Skandal grenzt, fühlt sie sich wohl so ganz ohne die eng zugeschnürten Korsagen und
die hinderlich langen Röcke.13
2.5.1. Die Frau auf der Bühne
Frauen betreten erst nach und nach die Bretter, die die Welt bedeuten. Jahrhunderte lang
werden alle Rollen, ob heilige Maria, schöne Helena oder Julia, von jungen Männern
verkörpert. Egal ob beim Kirchenspiel, mittelalterlichen Mysterienspielen, in den Schulen oder den ersten Wandergruppen, es werden nur Männer eingesetzt, da den Frauen
von der Kirche die Sünde der Verführung und Verderbnis den Männern gegenüber
nachgesagt wird und es ihnen verboten ist zu spielen. Erst die Wanderkomödianten
durchbrechen dieses Verbot langsam, da sie meist mit ihren Familien reisen und jedes
Mitglied aus der Gruppe Kosten verursacht und daher arbeiten muss. 14
2.6.
Gründung der ersten Neuber´schen Komödiantengesellschaft
Im Jahr 1725 stirbt Sophie Julie Elenson-Haack-Hoffman. Sie ist Prinzipalin der HaackHoffmann´schen Truppe, zu der auch Friederike und Johann gehören, die sie von ihrem
ersten Ehemann, nach dessen Tod, übernommen hat. Wie alle Frauen im 18. Jahrhundert
ist sie unmündig und brauchte zur Führung ihrer Geschäfte einen Ehemann. So kam es,
dass sie weitere zweimal geheiratet hat um ihre Truppe weiter führen zu können. Jetzt
da sie tot ist und ihr letzter Mann in einer Nacht und Nebelaktion die Truppe verlassen
hat, löst sich die Haack-Hoffmann´sche Truppe auf.
Friederike und Johann, beide 29, blicken positiv in die Zukunft. Sie sind ambitioniert
und haben Theatererfahrung bei den Besten sammeln können. So ist es für sie undenkbar, in eine andere Komödiantengesellschaft zu wechseln, daher wagen sie, zusammen
mit ihrem Kollegen Kohlhardt, den mutigen Schritt und gründen in Dresden ihre erste
eigene Komödiantengesellschaft.
13
14
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.38f
Vgl. Ebd, S.41f
10
Sie haben Glück, denn durch die Auflösung der Haack-Hoffmann´schen Truppe steht
das sehr begehrte „Königlich Polnische und Churfürstlich-Sächsische HoffComödianten Privileg“zur Verfügung, welches sie sich durch ihr schnelles und mutiges
Handeln am 8. August sichern. Das Privileg bedeutet keineswegs eine feste Anstellung
am Hof, vielmehr ist es eine Art Passierschein durch die Stadttore. Dieser Schein und
die Erlaubnis des Landesherrn, überall spielen zu dürfen, ist zwar keine Garantie für
volle Kassen, aber es erleichtert das Leben der Komödianten ungemein und ist gleichzeitig ein wohlklingender Titel, der für Qualität steht. Zudem dürfen sonst keine Gaukler oder andere Komödiengesellschaften ohne Genehmigung innerhalb der Stadtmauern
spielen und Geld verdienen. Es grenzt an eine Monopolstellung.15
Friederike ist als Prinzipalin nun ihre eigene Herrin. Nach außen hin vertritt ihr Mann
Johann die Gesellschaft, doch schon nach kurzer Zeit ist nicht mehr abzustreiten, dass
Friederike die eigentliche Führungsperson der Neuber´schen Komödiantengesellschaft
ist. Nicht nur ihr ungebrochener Spieltrieb, sondern vor allem ihre unerschöpfliche
Energie und ihr Durchsetzungsvermögen, mit dem sie ihre Ziele in Angriff nimmt, machen sie zum Mittelpunkt ihrer Gesellschaft. Sie gilt als die erste Frau Deutschlands, die
ihre Truppe nicht von ihrem Mann geerbt, sondern eigenständig aufgebaut hat. Für dieses Ziel hat sie hart gekämpft und viele Entbehrungen auf sich genommen.
Friederike ist eine harte Prinzipalin. Wer zur Neuber´schen Truppe gehören will, muss
nicht nur Talent mitbringen, sondern vor allem Werte erfüllen wie Pünktlichkeit, Fleiß
und einen vorbildlichen Lebenswandel. Unverheiratete Frauen und Männer werden stets
getrennt untergebracht. Liebende haben es besonders schwer bei ihr. Wer nicht schnell
genug heiratet, kann sich seine Liebelei „aus dem Kopf schlagen“. Friederike hat am
eigenen Leib erfahren müssen, wie schnell man verurteilt und verachtet wird, wenn man
sich nicht an die gesellschaftlichen Regeln hält. Und da die Komödianten durch ihre
ständige Wanderschaft bei der Bevölkerung sowieso schon als unmoralisch und sittenlos
gelten, will Friederike diesen Ruf in ihrer Truppe nicht noch durch unverheiratete Paare
verstärken.16
Friederike gilt als temperamentvolle Schönheit mit ihrer schlanken Gestalt, den blonden
Locken, die das Gesicht mit den strahlend blauen Augen, dem vollen Mund und den
hohen Wangenknochen, umrahmen.
15
16
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.42ff
Vgl. Ebd. S.49f
11
Doch es gibt verständlicherweise kaum Bilder von ihr, da eine Komödiantin selten reich
genug ist, um sich selbst porträtieren zu lassen. Auch von ihrem Mann Johann existieren
keine Bilder. Ihn beschreibt man hingegen als groß und hager, blass und blond, demnach das komplette Gegenteil zu seiner Frau. Sein ganzen Leben steht er in ihrem
Schatten seiner Frau und auf der Bühne bedient er hauptsächlich die kleinen, oft stummen Rollen. Er konzentriert sich auf die Dinge hinter der Bühne, kümmert sich um die
Vorbereitungen der Gastspiele, schreibt Briefe und steht Friederike mit seiner ruhigen,
bedächtigen Art mit Rat und Tat zur Seite.
Schnell spricht sich herum, dass die berühmte Neuberin eine eigene Gesellschaft gegründet hat und so sind schon in den ersten Jahren ihrer Prinzipalschaft etwa zwanzig
der besten Schauspielerinnen und Schauspieler des Landes unter ihrer Führung versammelt. Darunter die beliebte Madame Gründler aus Wien, das Ehepaar Lorenz aus
Frankfurt und sogar Friederikes und Johanns erster Prinzipal Christian Spiegelberg
schließt sich ihnen an. Es sind Namen, die uns heute nicht mehr viel sagen, doch es sind
nur ein paar von denen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als bedeutende
Schauspieler gelten und sich maßgeblich am Aufbau des bürgerlichen Theaters in
Deutschland beteiligen. Auch ein junger Student schließt sich der Neuber´schen Komödiantengesellschaft an. Gottfried Heinrich Koch, der mit 25 Jahren aus Geldmangel sein
Studium aufgeben musste und von nun an die Rolle des Alleskönners in der Neuber´schen Gesellschaft einnimmt. Er ist mitverantwortlich für den Bühnenbau, das Entwerfen der Kostüme, das Übersetzen von Texten aus dem Französischen und er ist zudem noch ein begabter Schauspieler.17
2.7.
Die Messe in Leipzig
Leipzig gilt Mitte des 18. Jahrhunderts als glänzende Metropole Deutschlands und wird
zu Friederikes neuer Heimat und wichtigstem Spielort.
Die Leipziger Messe findet dreimal im Jahr, zu Ostern, Michaeli und Neujahr, statt und
ist ein großes Ereignis. Aus ganz Europa, Arabien, der Türkei und Armenien kommen
Kaufleute, Händler und Künstler, um ihre Waren und Dienstleistungen auf der Messe
anzubieten. Es gibt alles, was man sich vorstellen kann: Mandeln, Feigen, Gewürze,
Gläser, Uhren und Schmuck, Seide und andere Stoffe, mathematische und chirurgische
Instrumente, Kaffee und Felle, chinesisches Porzellan und Safran aus Indien.
17
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.51ff
12
Es ist ein riesiges Spektakel und genau der richtige Ort für Friederike und ihre neue
Komödiantentruppe. Doch die Konkurrenz ist enorm. Außer den anderen Komödianten
sind zur Messezeit auch Feuerfresser, Schlangenmenschen, Seiltänzer, Magier, Taschenspieler und Wahrsager in der Stadt.18
Zur Ostermesse im Jahr 1727 spielt Friederike mit ihrer Truppe zum ersten Mal in Leipzig. Sie bekommen für die Zeit der Messe den „Boden über den Fleischbänken“, einen
Raum über den Verkaufshallen der Schlachter, welche direkt hinter dem großen Rathaus
liegen. In diesem ersten festen Theaterraum Leipzigs, in bester Lage, baue sie ihre Bühne auf. Es ist ein schlichter Raum und die Bühne ist ein Podest, um das ein paar Bänke
gestellt werden. Es gibt ein paar selbst gebastelte und bemalte Kulissenwände, aber die
Bilder in den Köpfen der Zuschauer entstehen hauptsächlich durch die Worte und das
Spiel der Schauspieler bei Kerzenlicht.
Die Neuber´sche Gesellschaft spielt oft, hauptsächlich die beliebten Haupt- und Staatsaktionen, aber ab und zu auch eines der französischen Stücke in deutschen Versen. Friederikes Auftritt in „Gespräche aus dem Reich der Toten“ hat sich in die Köpfe der Menschen gebrannt und so ist es nicht verwunderlich, dass die Neuber´sche Gesellschaft
schnell zur Hauptattraktion der Messe wird.19
2.8.
Beginn der Reformation
Auch Johann Christoph Gottsched ist unter den Zuschauern. Für ihn sind die Aufführungen wie eine Offenbarung. Besonders beeindrucken ihn die wenigen, aus dem Französisch übersetzten Stücke. Er verzweifelt daran, dass das deutsche Theater immer noch
in einer Art chaotischem Zustand steckt, während die Franzosen ihr Theater bereits als
bürgerliche Kunst wertschätzen. Er will die klassisch-griechische Einheit von Zeit, Ort
und Handlung dem deutschen Theater zugrunde legen, die besagt, dass die Geschichte
an einem Ort ohne Nebenhandlungen nur zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang spielen darf. Des weiteren möchte durchsetzen, dass die Schauspieler eindimensionale Charaktere darstellen, die ohne Brüche und Zweifel agieren und ihm ist wichtig,
dass nicht mehr aus dem Stegreif gesprochen wird, sondern in gebundener Rede und im
Alexandriner Versmaß. Das Wichtigste für Gottsched aber ist, dass der Zuschauer auf
der Bühne ein moralisches Beispiel präsentiert bekommt.
18
19
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.46f
Vgl. Ebd. S.54ff
13
Bei der Neuber´schen Gesellschaft sieht er erste Ansätze seiner Ziele und wagt sich auf
der Ostermesse 1727 zu Friederike, um sie für seine Ideen zu gewinnen.20 Friederike
und Johann fühlen sich geehrt durch Gottscheds Aufmerksamkeit. Sie träumen schon
lange von einer festen Spielstätte, einem Treffpunkt für Künstler und Kunstliebhaber.
Und nun kommt dieser Gelehrte aus dem feinen Bürgertum und bietet ihnen seine Unterstützung an. Für Friederike ist es ein unerwarteter Glücksfall, und so beschließt sie in
Zukunft für die Verwirklichung der großen Theaterreform eng mit Gottsched zusammenzuarbeiten. Der Magister und die Prinzipalin, ein doch etwas ungleiches Paar, werden Geschichte schreiben. Sie wollen das Theater revolutionieren und sind in ihrem
Vorhaben beide voneinander abhängig. Gottsched, der ohne die Neuber´sche Gesellschaft seine Theorien nicht in die Praxis umsetzen kann, und Friederike, die Gottsched
braucht, damit er ihr für die Bühne gute deutsche Stücke liefert.
Nach einem Jahr hat Friederike acht neue Stücke. Die ersten Aufführungen sind erfolgreich, doch Friederike kennt das Publikum, seine Launen und dessen Begeisterung für
prunkvolle Kostüme. Deswegen heckt sie eine List aus, um neue Kostüme für ihre
Truppe zu bekommen. Noch aus Zeiten der Haack-Hoffmann´schen Truppe kennt Friederike den jetzigen Dresdener Hofpoeten und Zeremonienmeister Johann Ulrich König.
Er ist eitel und um ihm zu schmeicheln, bittet sie König die Übersetzung eines alten
Stückes für sie zu überarbeiten und zu verfeinern. Ihre Rechnung geht auf. Schnell hat
sie das neue Stück von König und damit „sein Werk“ auf der Bühne auch noch besser
zur Geltung kommt, deckt er Friederike mit neuen Kostümen ein. Es sind Seidenroben,
Spitzenhemden, Schuhe, Perücke, Umhänge und Reifröcke, die bei Hof nicht mehr gebraucht werden und stellenweise schon etwas verschlissen sind, aber für die Truppe ist
es ein wertvoller Besitz.21
Doch die Harmonie bleibt nicht lange bestehen. Gottsched hält sich nur locker an seinen
Teil der Verabredung. Die versprochenen Dramen und Komödien im Versmaß um die er
sich kümmern wollte, lassen stets auf sich warten. Immer wieder müssen Friederike und
Johann ihm Briefe schreiben, doch der Magister hat Wichtigeres zu tun. Er ist Professor
an der Leipziger Universität geworden und stellt auf der Herbstmesse 1729 sein Werk
Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen vor.
20
21
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.60ff
Vgl. Ebd. S.62ff
14
Darin lobt er Friederike und die tollen schauspielerischen Leistungen ihrer Truppe zwar,
doch davon hat sie nicht wirklich viel. Als mit der Postkutsche am ersten Ostertag 1730
wieder kein neues Stück gekommen ist, tobt Friederike. Ihr Leben und das ihrer Komödianten hängt von den neuen Stücken ab. Sie hat laufende Ausgaben, wie etwa die Unterkünfte, Verpflegung und Löhne ihrer Komödianten. Dazu kommen Kosten für Papier,
Tinte und Kerzen für Rollenabschriften, Ersatz für Kostüme und neue Farbe für Kulissen. Auch die Erneuerung der Spielerlaubnis die in jeder Stadt und jedem Dorf beantragt werden muss, kostet Geld. Obwohl ihre Eintrittspreise recht hoch sind ( zwei Mark
für die ersten, acht Schilling für die letzten Reihen), braucht Friederike bei nahezu jeder
Vorstellung ein volles Theater um keine Schulden zu machen.
Die fehlenden neuen Stücke bringen zusätzliche die komplette Theaterplanung durcheinander. An Sonn- und Feiertagen herrscht ein Spielverbot für die Komödianten, weshalb
Friederike und ihre Komödianten diese Tage normalerweise für das ungewohnte Auswendiglernen der Texte nutzen. Die Vorbereitung von neuen Stücken dauert bei der
Neuber´schen Truppe oft lange. Hier gehören Proben, das Einstudieren von Text, Gebärden und Ausdruck zum täglichen Prozess. Immer wieder stocken die Proben, weil
Fragen zur Sprache und ihrer Bedeutung auftauchen. Es ist eine ganz neue Art des Denkens, die sich entwickelt und später als Zeit der Aufklärung bezeichnet wird. 22
2.9.
Tod August des Starken und der Kampf um das Theater
Trotz aller Schwierigkeiten ist die Truppe um die umjubelte Prinzipalin Friederike erfolgreich. Auch die neuen, verfeinerten Stücke finden immer mehr Anklang und sogar
gebildete Bürger und Adlige wagen sich immer öfter ins Theater. Bis 1733 der sächsische Kurfürst August der Starke stirbt, was während der darauf folgenden Staatstrauer
für Friederike und die anderen Komödianten ein monatelanges Spielverbot in ganz
Sachsen bedeutet. Des Weiteren erlischt damit das vom Landesherren erteilte königlichkurfürstliche Privileg. Die Neuber´sche Truppe ist nun wieder zu einer einfachen
Komödiantentruppe degradiert und jeder Stadtrat kann ihnen das Betreten seiner Stadt
untersagen.
23
Die Neuber´sche Komödiantentruppe macht sich keine großen Sorgen,
denn der sächsische Oberhofmarschall hat ihnen versichert, dass Augusts Sohn und
Nachfolger Friedrich August II ihr Privileg verlängern wird.
22
23
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.67ff
Vgl.Ebd. S.77f
15
Doch während sie sich wieder außerhalb von Sachen auf Wanderschaft begeben, tritt ein
großer Konkurrent in Leipzig auf. Joseph Ferdinand Müller, ein gefeierter und geliebter
Hanswurst Darsteller, meldet im August für seine neu gegründete Komödiantengesellschaft Anspruch auf das königlich-kurfürstliche Privileg an. Er hat Erfolg und als Friederike zu Michaeli wieder in die Stadt kommt, ist ausgerechnet ihr größter Konkurrent
im Besitz des Privilegs. Zudem erhebt er Anspruch auf die Bühne über den Fleischbänken – Friederikes Bühne. Er behauptet die Spielstätte sei untrennbar mit dem Privileg
verbunden und somit in seinen Besitz übergegangen. Friederike und Johann haben hunderte Reichstaler in den Ausbau der Bühne investiert und das weiß Müller genau. Er
will über Friederike triumphieren und sie zerstören. Sie ist nicht nur eine Konkurrentin
er hat sie sich auch persönlich zum Feind gemacht, nachdem sie ihn, den ambitioniertesten Hanswurst, der von ihrer neumodischen Denkweise nichts hält, aus ihrer Gesellschaft warf.
Es kommt ein heftiger Streit auf, der gleichzeitig ein Kampf der beiden Theaterrichtungen ist. Das alteingesessene Hanswursttheater mit seinen lauten Späßen gegen die neue,
feinere und lehrreiche Form des Theaters. Müller hat einflussreiche Freunde und ist
nicht nur beim einfachen Volk, sondern auch bei Hofe sehr beliebt. Doch obwohl er das
königlich-kurfürstliche Privileg inne hat, steht der Leipziger Rat hinter Friederike, was
einen monatelang dauernden, zähen Streit um das Theater zur Folge hat. Friederike fühlt
sich gedemütigt, hat sie sich doch vom Dresdener Hof Unterstützung und Anerkennung
für ihre Theaterreform erhofft. Sie schreibt viele Briefe, in denen sie ihrem Unmut Ausdruck verleiht und Bittgesuche, in denen sie um Gerechtigkeit und Achtung bittet und
versucht, den Wert ihrer Leistung in Worte zu fassen. Die Bittschriften gehen an Herzogin Christine Luise von Braunschweig und Josepha, Königin von Polen und Kurfürstin
von Sachsen. Sie schreibt viele solcher Briefe und Lobpreisungen, sehr private, persönliche Gedichte, zu Geburtstagen, Hochzeiten und Todestagen an Fürsten, Herzöge und
Prinzessinnen. Für Friederike ist es eine Möglichkeit sich bei den Herrschenden beliebt
zu machen. Man könnte sagen sie betreibt eine frühe Form des Marketings. 24
Entgegen aller Erwartungen bekommt Friederike am 20. Mai 1734 den Zuschlag für die
hart umkämpfte Bühne über den Fleischbänken. Wer genau die Fäden gezogen hat oder
ob ihre Bittschriften den Ausschlag gegeben haben ist nicht bekannt, aber es ist ein Tag
des Triumphs für Friederike und ihr Komödianten.
24
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.80f
16
Doch der Sieg ist nicht von langer Dauer. Ausgerechnet Friederikes eigener Ehemann
tritt wenige Tage später zusammen mit Müller ins Rathaus und macht von seiner ehelichen Vormundschaft gegenüber seiner Frau Gebrauch. Er verkündet, er und damit auch
seine Frau, würden nach dieser Messe das Theater über den Fleischbänken aufgeben
und es Müller überlassen. Es ist ein Schock für Friederike. Warum er diesen Schritt getan hat, ob er es satt hatte der ewige Zweite zu sein und als Ehemann und Prinzipal endlich auch mal eine Entscheidung treffen wollte, ist reine Spekulation. Doch ihm muss
bewusst gewesen sein, dass er seine Frau mit diesem Schritt am meisten treffen würde
und es zudem den Ruin der gesamten Theatergruppe bedeuten könnte.
Ein letztes Mal bäumt sich Friederike auf und versucht mit erneuten Briefen an den Rat
der Stadt und den König auf die Ungerechtigkeit der eheliche Vormundschaft aufmerksam zu machen. Während die Antworten erneut auf sich warten lassen, verarbeitet Friederike den ganzen Streit in dem von ihr geschriebenen Stück „Das Deutsche Vorspiel“.
Auf der Bühne zeigt sie dem Publikum den Kampf zwischen dem Hanswursttheater und
dem geregelten Schauspiel. Die Vorrede in dem Spiel hält sie nicht in ihrer Rolle, sondern als Friederike: Reformerin, Theaterprinzipalin und berufstätige Frau. Obwohl Friederike normalerweise nicht viel davon hält, ihre Schriften drucken zu lassen, da sie damit automatisch ihren Konkurrenten zur Verfügung stehen, lässt sie dieses Stück und die
Vorrede noch im selben Jahr drucken. Es soll ruhig jeder lesen was sie zu sagen hat.25
2.10. Flucht in die Unsicherheit
Doch das alles hilft nicht bei dem noch Ausstehenden „Urteil“. Der Hof verkündet,
dass Müller im Recht sei und Friederike sich einen anderen Platz zum spielen suchen
müsse. Aber die Suche bleibt erfolglos und so muss Friederike im Jahr 1734, gedemütigt und mit leerer Kasse Leipzig mit ihrer Truppe verlassen. Zum ersten Mal in ihrem
Leben ist sie zutiefst verunsichert. Bisher hatte sie selbst in den unsichersten Zeiten das
Vertrauen in sich, ihre Theaterreform und in Johann. Sie hatte eine Anlaufstelle in Leipzig, was ihr ein Stück Heimatgefühl gab. All das ist nun verloren und sie ist besorgt,
dass sich mit dieser Niederlage auch ihre Gönner von ihr Abwenden. Sie braucht Monate um sich von dieser Niederlage zu erholen, doch ihre Sorgen sind zum Größten Teil
unbegründet.
25
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.82ff
17
Der Braunschweiger Herzog Ludwig Rudolf, der ein begeisterter Anhänger von Friederike ist, seit er sie bei ihrem Debüt in der Spiegelberg´schen Truppe gesehen hat, erweist
ihr eine der größten Ehren, die es zu dieser Zeit für eine Komödiantengesellschaft zu
erreichen gibt. Zur Karnevalszeit im Februar 1735 lädt er Friederike ins Opernhaus nach
Braunschweig ein. Hier betritt sie mit ihrer Gesellschaft eine für deutsche Schauspieler
zu dieser Zeit unerreichbare Bühne. Das kleine Braunschweig ist zwar im Vergleich zu
Leipzig nur ein geringer Trost, aber hier baut Friederike wieder neues Selbstvertrauen
auf. Doch auch hier hält das Glück nicht lange. Herzog Ludwig stirbt bald und sein
Nachfolger Karl I kann mit Friederikes Kunst nicht viel anfangen. 26
In den folgenden Jahren sind die wichtigsten Stationen Frankfurt, Kiel und Hamburg.
Friederike versucht Hamburg zu ihrem neuen Hauptstützpunkt zu machen, obwohl sie
hier bisher noch nicht den großen Erfolg erzielt hat. Die Neuberin hat lernen müssen,
dass ihre Kunst nicht jedermann´s Geschmack trifft, aber sie hofft, hier im großen Hamburg genug Zuschauer zu finden, die ihr Theater füllen und ihre Truppe satt machen.
Die Hamburger Bude ist schäbig und ärmlich. Damit sich auch die reicheren Bürger zu
ihnen ins Theater gesellen können, baut Johann alles um. Danach spielt die Neuber´sche
Truppe dort Stücke wie Iphigenia, Molieres Kranken in der Einbildung, Cäsar und Cato.
Wenn die Neuberin den Hanswurst in ihrem Theater auftreten lässt, dann nur nachdem
sie den derben „Haudrauf“ in einen, vom italienischen inspirierten listigen Harlekin
verwandelt hat. Anders als Gottsched will auch Friederike nicht ganz auf die lustigen
und energiegeladenen Burlesken verzichten, da sie selbst einen großen Spaß hat sie zu
spielen und in verfeinerter Form auf die Bühne zu bringen.
Ab 1735 beginnt Friederike mit einer Art Werbung. Zusätzlich zu den herkömmlichen
Theaterzetteln lässt sie kleine Programmhefte drucken, in denen sie den Inhalt und Informationen zum nächsten Stück veröffentlicht. Damit unterstützt sie den aufkommenden Austausch über Stücke, deren Moral und Handlung. 27
Bis Dezember bleibt die Neuber´sche Truppe in Hamburg. Es sind keine leichten Zeiten,
denn obwohl Friederike gehofft hat die gebildeten Frühaufklärer zu erreichen, welche
über die Regelung der deutschen Sprache, deren Freiheit und Moral philosophieren,
schließen diese sie und ihre Kunst aus. Alles in allem wollen die Hamburger mehr Spektakel und Spaß als das gemäßigte Theater.
26
27
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.87ff
Vgl. Ebd. S.94ff
18
Als Friederike in einem Theaterzettel ihrer Wut Ausdruck verleiht, kommt es zu einem
Eklat und ihre letzten Vorstellungen werden vom Hamburger Rat verboten.28
2.11.
Kiel, Frankfurt und Straßburg
Doch das stört Friederike wenig, da sich schon ein neuer Weg aufgetan hat. Der theaterbesessene Herzog Karl Friedrich von Schleswig Holstein, der den Ruf hat selbst ab und
zu auf der Bühne zu stehen, hat Friederike und ihr Truppe nach Kiel eingeladen. Die
Reise der mal wieder verarmten Gesellschaft zu Fuß durch Regen, Nebel und Schnee ist
beschwerlich, doch in der Residenzstadt Kiel angekommen werden sie sehr herzlich
empfangen. Friederike darf ihre Bühne im Saal des Ball-Hauses errichten, einer Sporthalle in der eine frühe Art des Federballs gespielt wird. Der Herzog ist begeistert von
der Neuberin und ihren Darbietungen, sodass er der Neuber´sche Gesellschaft im Februar 1736 das „Hoch-Fürstliche Schleswig-Holsteinische Hoff-Comödianten“ Privileg
erteilt. Zusätzlich befreit er die Truppe von allen anfallenden Gebühren und Abgaben,
was an Ehre und barem Geld nicht zu übertreffen ist. Es ist eine gute Zeit im kleinen
Kiel, was aber leider zu klein ist, um das Theater lange voll zu halten. Die nächste Stadt
soll Frankfurt sein, welche nach Leipzig die größte und bedeutendste Messestadt des
Reiches und ein lohnendes Ziel ist. Doch die Neuber´sche Truppe ist mittlerweile so
groß und angesehen, dass sie nicht mehr aufs Geratewohl in ferne Städte zieht, da das
Risiko einer Ablehnung oder einer Zeit des Spielverbots zu groß ist. Also werden wieder Briefe und Anträge geschrieben. Von einer ersten Ablehnung lässt sich Friederike
nicht beirren und schickt ein erneutes Bittgesuch mit angefügten Zeugnissen des Herzogs von Holstein und der Versicherung auch kostenlos für die Armen der Stadt zu spielen. Das scheint den Rat beeindruckt zu haben, denn Friederike erhält die Spielerlaubnis.
29
Um das in Frankfurt wartende Publikum vorzubereiten und neugierig zu machen, ruft
Friederike eine bisher beispiellose Werbestrategie ins Leben, indem sie durch einen
Kaufmann an vornehme Frankfurter Familien eine Abhandlung „Über die Schaubühne“ verbreiten lässt. Damit hat sie Erfolg auf ganzer Linie, denn als sie zur Herbstmesse
1736 in Frankfurt ankommt, ist ihre Theaterbude immer gut besucht. Bis in den Juni des
nächsten Jahres bleibt Friederike mit ihren Komödianten in Frankfurt.
28
29
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.97
Vgl. Ebd. S.98ff
19
Innerhalb dieser Zeit macht die Truppe nur in der spielfreien Adventszeit eine vierwöchige Reise ins französische Straßburg. Es ist eine unglaubliche Erfahrung für die Neuber´sche Gesellschaft. Hier müssen sie keine Bude bauen, sondern dürfen jeden Tag in
einem der zwei festen, beheizbaren Theater vor einem mit theaterbegeisterten Menschen
ausverkauftem Saal spielen. Selbst sehr langatmige Stücke werden hier mit Begeisterung aufgenommen. Friederike schreibt euphorische Briefe an Gottsched und berichtet
ihm von der hier herrschenden Theaterkultur und bitten um neue Stücke. Doch es ist
auch dieses Mal wieder vergebens. In den 13 Jahren der Zusammenarbeit haben er und
seine Anhänger nur 27 Stücke geschrieben, eine magere Ausbeute.
Aber das Programm der Neuber´schen Komödiantengesellschaft mit seinen 75 Tragödien und Komödien und 93 lustigen Nachspielen bietet selbst für das aktive Frankfurter
und Straßburger Publikum genug Auswahl.30
2.12.
Rückkehr nach Leipzig und die Vertreibung des Hanswurst
Zur Herbstmesse 1737 kehrt Friederike mit ihrer Truppe zurück nach Leipzig. Es spricht
sich schnell herum und alle gehen zur Neuberin, um zu sehen was es nach dreieinhalb
Jahren Neues gibt. Doch sie müssen warten, da Friederike erst eine neue
Komödiantenbude bauen muss. Der Rat und die Stadt Leipzig sieht die Neuberin mit
ihren guten Schauspielerinnen und Schauspielern und dem umfang- und abwechslungsreichen Programm
wieder sehr gerne in der Stadt zurück, aber ihr altes Theater über
den Fleischbänken ist immer noch in Müllers Besitz. Die schon fast an ein Holzhaus
erinnernde neue Komödiantenbude ist 40 Meter lang und 19 Meter breit und steht vor
dem grimmaischen Tor am Garten einer berühmten, kunstliebhabenden Patrizierfamilie.
Müller ist nicht einverstanden damit, dass seine schärfste Konkurrenz wieder in der
Stadt ist und mit offenen Arme empfangen wird. Er hätte es gerne gesehen, wenn er sie
für immer hätte vertreiben können. Doch dieses Mal hat er keine Chance. Die Neuberin
bleibt und darf sogar, anders als er mit seiner Gruppe, noch zwei Wochen über die Messe hinaus Theater spielen.
Während sich die Komödianten in der neuen Umgebung einrichten, sich auf die bevorstehende Messe vorbereiten und beim Bau der Bude helfen ist Friederike sehr beschäftigt. Sie schreibt ein neues geheimnisvolles Stück und alle sind gespannt was dabei raus
kommt.
30
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.101ff
20
Denn Friederike verarbeitet ihr Erlebnisse in ihren Stücken. Sie möchte mit ihren Vorspielen dem Publikum auf eine angenehme und beschauliche Art und Weise den Gedanken nahe bringen, dass Theater eine geregelte Kunst sein sollte und auch die „erzieherischen“ Elemente nicht zu kurz kommen dürfen. Dieses neue Stück, welches die
Neuberin im Oktober 1737 präsentiert, nennt sich Der alte und der neue Geschmack.
Friederike rächt sich darin an ihrem Konkurrenten Müller, indem sie den unmoralischen
Hanswurst für immer von ihrer Bühne vertreibt. Es gibt, wie so oft keine schriftlichen
Dokumente aus der Zeit. Doch, durch einige Jahrzehnte später aufgeschriebene, mündlich überlieferte Berichte lässt sich vermuten, dass dieses Ereignis zu einer Legende
seiner Zeit wurde.
Der Hanswurst, von der Neuberin selbst verkörpert, ist vor Gericht geladen und erwartet
sein Urteil. Mit lautem Gelächter und Prügel wird er von der Bühne vertrieben. Doch er
muss nicht sterben. Der Richter, in diesem Fall die edle Schauspielkunst selbst, ist nachsichtig und will den Hanswurst nur verbessern. So bekommt er symbolisch ein reines
weißes Jäckchen angezogen und die edle Schauspielkunst verwandelt den lauten, derben
Hanswurst in einen flinken, gewitzten Harlekin der geregelten Komödie.
Der Auftritt sorgt für Aufsehen in Sachsen. Die Nachricht, die Neuberin sei wieder zurück und besser denn je erreicht auch den königlich-kurfürstlichen Hof in Dresden.
Friedrich August II beschließt zu seinem großen Jagdfest dieses Jahr anstatt Müller die
Neuber´sche Gesellschaft für die Unterhaltung auf sein Schloss ein zu laden. Endlich
hat Friederike mit ihrer Truppe den Ruf von dem sie immer geträumt hat. Sie brechen
auf zum Schloss in der Hoffnung unter der Schirmherrschaft des Fürsten ein festes Theater bauen zu dürfen. Doch nach fünf Tagen, in denen sie viel gespielt, viel Beifall und
Geld bekommen haben muss Friederike erkennen, dass sie für den Fürsten wohl nach
wie vor nur die Unterhaltung auf seinen Festen sein wird.31
2.13.
Weitere Neuerungen
Die Neuberin ist berühmt und wo immer sie auftaucht laufen die Menschen zu ihrer
Bude. Obwohl sich das Publikum in seiner Flucht vor den Sorgen des Alltags von den
Komödianten nur unterhalten lassen will, sucht Friederike stets nach etwas Neuem, um
das Theater zu verbessern.
31
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.104ff
21
Trotz des Skandals von 1735 reist die Neuber´sche Komödiantengesellschaft im Frühjahr 1738 erneut nach Hamburg und es gibt wieder eine Neuerung. Für dieses Ereignis
mietet die Neuberin das Opernhaus mit seiner großen Bühne.
Schon immer hat es Friederike gestört, dass sich die Musik im Theater mehr nach der
Lust und Laune der Musiker, als nach dem Geschehen auf der Bühne richtet. Sie ist sehr
beliebig, was oft dazu führt, dass die auf der Bühne hergestellte Stimmung zerstört wird.
Das will Friederike unbedingt ändern und dafür ist sie nach Hamburg gekommen. Hier
lebt der Komponist und Musikschriftsteller Johann Adolph Scheibe. Er ist vor allem
durch seine Wochenschrift Der critische Musicus bekannt. In seiner veröffentlichten
Theorie der Theatermusik schreibt er:
„So verschieden die Tragödien und Komödien unter sich selbst sind, so verschieden muß auch die dazu gehörige Musik sein“ 32
Was für uns ein völlig normaler Gedanke ist, grenzt für die Menschen im 18. Jahrhundert an eine Revolution, die wieder Theatergeschichte schreiben wird. Doch genau das
ist es wonach die Neuberin sucht. So komponiert Scheibe für sie als erster Deutscher
Theatermusik, die dem Inhalt und der Stimmung des Stückes folgt. Diese Entwicklung
führt später dazu, dass Beethoven eine Ouvertüre zu Goethes Egmont oder Mendelssohn-Bartholdy die Ouvertüre zum Sommernachtstraum komponieren wird. Doch die
Menschen sind noch nicht bereit für diese Neuerung und so finden die Stücke mit der
eigens komponierten Musik kein großes Publikum.33
2.14.
Der Abstieg beginnt
Friederike Caroline Neuber ist nun etwa vierzig Jahre alt und ihre Ziele und die Erfüllung ihres Lebenstraums scheinen in immer größere Ferne zu rücken. Als sie sich vor
circa zehn Jahren mit dem Philosophen und Magistrat Gottsched zusammentat, war sie
so voller Hoffnung und Zuversicht das Theater zu revolutionieren. Sie glaubte fest an
die Entstehung einer deutschen Theaterkultur nach dem Vorbild der Franzosen. Nun ist
sie zwar berühmt, doch ihr Theater wird immer leerer. Selbst wenn sie den Harlekin
wieder springen lässt oder Burlesken aufführt, reicht das kaum aus die Kasse zu füllen.
Das einfache Volk liebt den Hanswurst und die Zauberer, während sich die Bürger in
ihren Häusern mit Fragen über die deutsche Sprache, Vernunft und Moral beschäftigen.
32
33
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.112, Z.26f
Vgl. Ebd. S.111ff
22
Als die Neuberin mit ihrer Truppe 1739 ein letztes Mal nach Hamburg reist, um dort im
Opernhaus zu spielen, scheint es nicht schlimmer kommen zu können. Es herrscht Streit
und Eifersucht wegen der Rollen unter den Komödianten und immer wieder drohen sie
damit die Neuber´sche Truppe zu verlassen und eine Konkurrenztruppe zu gründen.
Friederike ist kurz davor aufzugeben, da sie die immer größer werdenden Schulden
nicht mehr tilgen kann. Sie hat nicht einmal mehr genug Geld, um mit ihrer zwanzigköpfigen Truppe zurück nach Leipzig zu reisen. Doch als die Situation nicht mehr auswegloser werden kann, kommt an einem kalten, grauen Januartag 1740 der rettende Ruf
aus Sankt Petersburg.34
2.15.
Die Reise nach Sankt Petersburg
Es geht auf ans Ende der Welt. Da am russischen Zarenhof viele deutsche Minister arbeiten und der Reichtum und die Macht um Zarin Anna und Zar Peter den Großen legendär ist, erhält die Neuberin mit der Einladung Tausende Taler. Das reicht aus um ihre
Schulden zu begleichen und die Reise für sich und ihre Schauspieler zu bezahlen.
Im Januar 1740 verabschiedet sich die Neuberin mit einer großen Vorstellung im Hamburger Opernhaus, welches durch die Einladung nach Russland gut besucht ist. Das Ende besteht aus einer Abschiedsrede, die Friederike nicht in einer Rolle, sondern als
selbstbewusste Frau und Prinzipalin vorträgt. In dieser Rede entlädt sie ihren ganzen
Frust und Ärger über das Hamburger Publikum, was in einer regelrechten Publikumsbeschimpfung gipfelt. Es ist ein Skandal und diesmal wird vom Magistrat der Stadt nicht
nur eine Aufführung verboten, sondern er entzieht der Neuberin die komplette Spielerlaubnis. Aber darum schert sich Friederike nicht mehr. Sie zieht mit ihrer Truppe nach
Russland um dort ihr Glück zu machen.
Für Gottsched ist die Nachricht, dass die Neuberin nach Russland geht, wie ein Schlag
ins Gesicht. Zwar gab es in den letzten Jahren immer mehr Unstimmigkeiten zwischen
den beiden, doch arbeiten sie nun schon seit dreizehn Jahren an ihrem gemeinsamen
Ziel. Außerdem bräuchte Gottsched Friederikes Unterstützung nun mehr denn je, da
sich in der Öffentlichkeit erste Widerstände gegen ihn erheben. Doch das ist kein Grund,
der Friederike aufhält. Im März 1740 macht sie sich mit Johann und ihrer Komödiantengesellschaft auf den Weg nach St. Petersburg.
34
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.115ff
23
Es ist die längste Reise, die die Neuber´sche Truppe bisher gemacht hat, doch einige
Mitglieder können oder wollen sich nicht auf dieses unsichere Abenteuer einlassen und
verlassen die Truppe. Als die Truppe in St. Petersburg ankommt, haben sie eine erschöpfende zweimonatige Reise von Leipzig über Danzig nach Riga und St. Petersburg hinter
sich. Es ist der kälteste Winter seit langem gewesen, aber jetzt im Frühling werden die
Tage wieder milder und die Komödianten aus Sachsen werden sehr freundlich empfangen und sogleich zu Hofschauspielern ernannt. Die Zarin ist begeistert von dem erfrischenden deutschen Spiel und alles scheint erneut in bester Ordnung. Doch im Herbst
des selben Jahres erkrankt die Zarin Anna an einer schweren Infektion und stirbt am 24.
Oktober. Damit ist auch die Zeit der Neuberin am Zarenhof vorbei, denn Anna´s Nachfolgerin Regentin Elisabeth liebt nur ihre Macht und die Männer und kann mit dem
deutschen Theater nichts anfangen. So wird die Neuber´sche Truppe im Dezember mit
voller Kasse in ihre Heimat zurückgeschickt. 35
2.16.
Zurück nach Deutschland
Pünktlich zur Ostermesse kommt die Neuberin in Leipzig an. Sie musste den harten
russischen Winter abwarten, bevor sie sich mit ihrer Truppe auf die Rückkehr begeben
konnte. Nun sind die Kassen wieder fast leer, doch sie verfolgt noch immer ihren Traum
eines dauerhaften, festen Theaters.
In Leipzig hat sich nicht viel verändert. Sowohl Müller als auch Johann Friedrich
Schönemann machen Theater. Letzterer gründete, nachdem er die Neuber´schen Gesellschaft verlassen hatte, seine eigene Schauspieltruppe und hat sich mit Professor Gottsched zusammen getan. Friederike muss sich erneut ein Theater suchen und mietet sie
sich eine Reitbahn, die sie umbauen lässt. Sie bekommt Unterstützung von Graf Brühl,
einem der mächtigsten Männer Sachsens, der mit seinem kurfürstlich-königlichen Hof
über die Messezeit in Leipzig ist. Er verschafft ihr eine Sondergenehmigung, sodass sie
nach der Messe zweimal in der Woche Stücke aufführen darf. Es ist ein guter Anfang,
denn das durfte bisher noch keine andere Schauspieltruppe. In den folgenden Monaten
ist ihr Theater gut besucht. Sie war lange weg und ist wieder zur Attraktion geworden.36
35
36
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.118ff
Vgl. Ebd. S.124ff
24
Doch die Situation zwischen der Prinzipalin und Gottsched bleibt angespannt, denn ungeachtet davon, dass er die Zusammenarbeit mit Schönemann erst begonnen hat, nachdem Friederike das Land verlassen hatte, nimmt sie ihm übel, dass er Schönemann, jetzt
wo sie wieder da ist, nicht sofort fallen lässt. Obwohl die Zusammenarbeit mit ihm immer schwierig war, geht es jetzt, wo der einflussreiche Mann ihren stärksten Konkurrenten unterstützt, nicht nur um Eitelkeiten, sondern schlicht und ergreifend um die eigene
Existenz. Außerdem war Gottsched für Friederike die für sie so wichtige Brücke zum
Bürgertum, ihrer eigenen Herkunft. Als Gottsched versucht mit beiden Gesellschaften
zusammenzuarbeiten und fordert, dass die Kostüme immer den Stücken der Zeit entsprechen müssen, gipfelt das für ihn in einer Blamage. Friederike findet die Idee lächerlich und möchte Gottsched beweisen, dass sie im Recht ist und das Publikum die glänzenden, der aktuellen Mode entsprechenden Kostüme, liebt. So zeigt sie in einem Nachspiel den dritten Akt von Gottscheds Sterbenden Cato in dem die Kostüme römisch
schlicht und die Füße der Schauspieler mit fleischfarbenen Bandagen umschlungen sind.
Gottsched hat sich davon Ruhm und Ehre versprochen, aber vom Publikum erntet er nur
Hohn. Doch das ist erst der Anfang von Friederikes Spottzug. Als nächstes stellt sie
Gottsched selbst als komische Figur in dem Vorspiel Der aller kostbarste Schatz dar und
die Menge tobt. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, bei der ein paar wenige von
Gottscheds Anhängern gegen die Aufführung protestieren. Sie werden von Friederikes
Gefolgschaft, die in der Überzahl ist, zum Schweigen gebracht.
Überall in Leipzig ist man begeistert von dem Spektakel und Gottsched, der einen Versuch startet das Stück verbieten zu lassen, scheitert kläglich. Dahinter steckt erneut Graf
Brühl, der sich selbst an dem Skandal erfreut und weitere Aufführungen befiehlt. Es
entbrennt ein Streit zwischen der Neuberin und Gottsched. Doch Gottsched hat eine
große Gemeinde von Anhängern und es fällt ihm nicht schwer, gegen die Neuberin zu
arbeiten. Das launenhafte Publikum hat seinen Spaß gehabt und das Theater wird bald
wieder leerer. In dem ganzen Trubel stirbt auch Friederikes langjähriger Freund und
Mitglied ihrer Truppe Kohlhardt. Die Schulden werden immer größer und nachdem die
Prinzipalin selbst die Spielgebühren an den Leipziger Rat nicht entrichten kann, muss
sie die Truppe 1743 auflösen und zieht sich mit Johann in die kleine sächsische Stadt
Oschatz zurück.37
37
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.128ff
25
2.17.
Neugründung und ein harter Kampf
Nachdem die Neuberin so plötzlich aus Leipzig verschwunden ist, entstehen jede Menge Gerüchte. Sie sei nach Berlin gezogen, um dort nach einem festen Theater zu suchen,
sie habe sich von Johann getrennt und beide führen ein ruhiges Leben oder sie habe ihre
Gesellschaft neu gegründet. Nur letzteres entspricht der Wahrheit. Woher sie das Geld
und die Ausstattung bekommen hat weiß man nicht, aber im April 1744 kommt sie zurück nach Leipzig und die meisten ihrer Schauspieler schließen sich ihr wieder an. Indes
muss Friederike feststellen, dass ihr Theater in der Rennbahn zu einer Oper umgebaut
wurde. Ab Sommer spielt sie wieder, doch es ist in ihrer Heimat für Schauspieler
schwerer geworden. Anfangs darf sie nur drei Mal im Jahr während der zweiwöchigen
Messe spielen und bekommt erst 1745 die Erlaubnis auch außerhalb dieser Zeit ein Mal
in der Woche Stücke zu zeigen.
Im Herbst desselben Jahres zieht sie mit ihrer Truppe ein letztes Mal nach Frankfurt,
aber wo sie beim letzten Mal so freundlich empfangen wurde, interessiert sich jetzt keiner mehr für ihre Kunst. Die Neuberin hat ihr ganzes Leben lang gekämpft, aber jetzt
geht es ums Überleben. Doch auch wenn das Leben nun von Schulden, Unruhen unter
den Komödianten und immer weniger Publikum bestimmt ist, wird die Neuberin immer
mehr von den jungen Studenten verehrt.
Unter ihnen befindet sich auch der gerade achtzehnjährige Pfarrerssohn aus Kamenz:
Gotthold Ephraim Lessing. Er ist ein quirliger Theologiestudent, der es nicht aushält nur
zu Hause über seiner Bibel zu arbeiten. Er und seine Freunde genießen das Leben in der
sich im Aufbruch befindlichen Stadt Leipzig. Sie gehen in Gasthäuser, trinken, rauchen,
lachen und diskutieren über Literatur und Philosophie. Aber vor allen Dingen gehen sie
gerne ins Theater. Die Zeiten sind hart und sie hungern lieber als eine Vorstellung der
Neuberin zu verpassen. Doch als der Hunger zu groß wird beschließt Lessing französische und englische Stücke ins Deutsche zu übersetzen und sie der Neuberin zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug darf er kostenlos in die Neuber´schen Aufführungen. Lessing schreibt zu dieser Zeit an seinem Jugendwerk Der junge Gelehrte. Die Neuberin
erkennt das Talent des jungen Studenten und spielt das Stück am 8. Januar 1748 mit
ihrer Truppe. Sie merkt, dass sie eine Entdeckung gemacht hat, doch auch diese kann
den drohenden Ruin nicht mehr aufhalten.38
38
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.132ff
26
2.18.
Der unaufhaltsame Abstieg
1748 kommt Schönemann zurück nach Leipzig und in seiner Truppe ist eine große Zahl
an jungen, guten Schauspielerinnen und Schauspielern. Er hat zwar bei Friederike gelernt, doch anders als sie hält Schönemann nicht starr an den Regeln und den Theatertheorien fest. Er geht mit der Zeit und lässt seine Schauspieler weniger pathetisch spielen. Die Neuber´sche Komödiantengesellschaft ist klein geworden. Die besten Schauspielerinnen und Schauspieler sind gegangen, einige sogar nach Wien um am Theater
am Kärntnertor die Neuber´sche Reformation der „Leipziger Schule“ zu lehren. Auch
Lessing hat die Truppe verlassen. Schönemann will die Bühne auf der Rennbahn in der
Friederike zur der Zeit wieder spielt. Es dauert nicht lange bis der Besitzer Friederikes
dauernde Schulden satt hat und die Bühne an Schönemann vermietet. Die Neuberin bekommt diesmal auch keine Unterstützung von der Stadt, da ihre Vorstellungen in letzter
Zeit nur spärlich besucht waren und sie schon drei Jahre die Spielgebühren nicht mehr
gezahlt hat. Ein letztes Mal bäumt sie sich auf, schreibt Briefe an Stadträte, Minister
und Könige doch auch ihr Versprechen für jeden Spielabend sechs Groschen extra
Spielgebühr zu zahlen hilft in diesem Kampf nicht. Friederike versucht zu retten, was zu
retten ist. Sie verkauft einen Teil der Kostüme, um davon ihre Schulden bezahlen zu
können. Doch das reicht nicht. Sie hat ihr ganzes Leben lang für die Veränderung im
Theater gekämpft, doch jetzt merkt sie nicht, dass sie stehen geblieben ist und sich die
Theaterkunst, weg von den steifen, genau vorgeschriebenen Gebärden, weiterentwickelt
hat. Da Schönemann nicht nur Gottsched, sondern auch ein großes Publikum hinter sich
hat, setzt er alles daran seine frühere Prinzipalin und jetzige Konkurrentin endgültig aus
Leipzig zu vertreiben. 39
Die Neuberin eröffnet im Oktober ein letztes Mal ein Theater auf einem Färberboden.
Doch als 1749 zudem noch ihr ehemaliger Mitstreiter und Freund Gottfried Heinrich
Koch aus Wien als erbitterter Konkurrent zurückkommt und ohne Kostüme und vollständige Truppe das sächsisch-polnische Privileg zugesprochen bekommt, ist die Lage
aussichtslos. Nun scheinen sich endgültig alle von Friederike ab zu wenden, denn das
Privileg ist von Graf Brühl erteilt worden, der bis vor kurzem noch ihr Gönner war. Zudem erhebt Koch nun Anspruch an Friederikes Theater und fordert sie auf Leipzig zu
verlassen. Mit Schönemann hat Koch sich so geeinigt, dass er jeden Spieltag von ihm
drei Taler bekommt und ihn im Gegenzug in Ruhe lässt.
39
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.138f
27
Friederike wird das Angebot nicht unterbreitet. Koch überbietet ihre Miete und sie muss
das Theater räumen. Koch schafft, wovon Friederike ihr Leben lang geträumt hat. Von
1750-1758 spielt er fest in Leipzig. Im selben Jahr (1750) müssen Friederike und Johann wegen stetig wachsender Schulden die Neuber´sche Komödiantengesellschaft
endgültig auflösen.40
2.19.
Der Lebensabend
Friederike und Johann sind über fünfzig Jahre alt – alte, arme Komödianten. Da sie weder Familie noch einen Prinzipal haben, der sie für Kost und Logis die Rollen der Alten
spielen lässt, zieht Friederike als Schauspielerin durch die Städte und ernährt beide
mehr schlecht als recht, bis 1753 eine Einladung aus Wien kommt. Kaiserin Maria Theresia will das Wiener Theater nach dem Beispiel der Neuber´schen „Leipziger Schule“ reformieren. Friederike reist nach Wien, wo sie eine große Attraktion ist und ihre
Vorstellungen zu Anfang gut besucht sind. Sie lehrt, was sie kann, doch auch hier in
Wien ist das, was vor zehn Jahren in Kiel, Leipzig oder Straßburg als „vernünftig und
natürlich“ galt, nur noch pathetisch, unnatürlich und langweilig. Auch hier hat die Entwicklung die Neuberin überholt. Doch sie feiert auch einzelne Erfolge. So zum Beispiel
mit ihrem selbst geschriebenen Lustspiel Das Schäferfest oder Die Herbstfreude, das
zum Namenstag der Kaiserin im Oktober 1753 uraufgeführt wird. Ende 1754 kehrt die
Neuberin nach Deutschland zurück und zieht erneut mit einer winzigen Truppe als Prinzipalin durch die umliegenden Kleinstädte Dresdens. Da sich ihr Traum von einem dauerhaften, festen Theater immer noch nicht erfüllt hat, bewirbt sie sich für die Leitung
der herzoglichen Bühne in Weimar. Doch das ganze Vorhaben ist von Anfang an zum
Scheitern verurteilt. Als 1756 der siebenjährige Krieg ausbricht muss sie ihre letzte
Schauspielergesellschaft auflösen.
Friederike und Johann haben Glück, denn in den harten Zeiten des Krieges finden sie
Unterschlupf beim kurfürstlich-königlichen Leibarzt in Dresden. Johann stirbt am 3.
März 1759. Als Dresden 1760 bombardiert wird, flieht Friederike mit der Familie des
Arztes in ein Haus nach Laubegast, welches sie, als sie krank wird, verlassen muss. Ihren letzten Unterschlupf findet sie bei einem Bauern. Dort stirbt sie im Alter von
dreiundsechzig Jahren am 29. November 1760.41
40
41
Vgl. Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.142ff
Vgl. Ebd. S.147ff
28
3.
Auswertung und Fazit
Friederike Caroline Neuber wurde im ganzen Land als Schriftstellerin, Prinzipalin und
Schauspielerin anerkannt und geschätzt. Doch wirklich geliebt wurde ihre Kunst nur
von sehr wenigen. Der Schritt, ihrer Theaterreform, war zu groß. Sie war zu fortschrittlich und ihre klassisch-französischen Stücke waren nur eine Übergangserscheinung in
Deutschland. Das „Französische “ war das Ideal. Ein viertel Jahrhundert später, in einem seiner 17 Briefe der Reihe „Briefe die neueste Literatur betreffend“, erkannte Lessing:
„[...]das wir mehr in den Geschmack der Engländer als der Franzosen einschlagen […] daß das Große, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns
wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte[...] Wenn man die Meisterstücke
des Shakespeare mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen
übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von besseren Folgen gewesen sein, als
das man sie mit dem Corneille oder Racine so bekannt gemacht hat.“
42
Diese Erkenntnis ist im Nachhinein ein Schlüssel, um das tragische Schicksal der
Neuberin zu verstehen. Nichtsdestotrotz war der Schritt den sie machte ein unverzichtbarer hin zur folgenden Epoche des Sturm und Drang und der darauf folgenden deutschen Klassik. Diese beiden Epochen haben nur wenige Jahrzehnte später das Publikum
mit ihrem Theater auf ganz neue Art und Weise in den Bann gezogen.43
Wäre Friederike hundert Jahre alt geworden, so hätte sie sich bestimmt an Friedrich
Schiller mit seinen Räubern, Johann Wolfgang von Goethe mit seinem Egmont und
nicht zuletzt an ihrer „Entdeckung“ Gotthold Ephraim Lessing mit seiner Minna von
Barnhelm erfreut.
Friederike Caroline Neuber, auch bekannt als die Neuberin, hat als fahrende Komödiantin, ungewöhnliche Prinzipalin, gebildete Frau und Dichterin ihr ganzes Leben für die
Anerkennung ihres Berufsstands, die Kultivierung des Theaters und die Selbstbestimmung der Frau gekämpft. Heute, rund 250 Jahre nach ihrem Tod ist sie fast in Vergessenheit geraten. Und auch als ich mein Thema am 21. Oktober 2014 bekam, wusste ich
nichts über Friederike Caroline Neuber.
42
43
Petra Oelker: Die Neuberin, August 2004, S.75f, Z.28ff
Vgl. Ebd. S.109f
29
In den letzten sieben Wochen habe ich mich intensiv mit meinem Thema auseinandergesetzt und nicht nur jede Menge über die Schauspielerin, Poetin und Theaterprinzipalin
erfahren und gelernt, sondern auch über die Zeit und die Umstände, in denen sie gelebt
hat. Meiner Meinung nach ist sie völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten, da sie die
ersten Grundsteine dafür gelegt hat, dass sich das Theater und der Berufsstand der
Schauspieler zu dem entwickeln konnten was sie heute sind.
Außerdem ist mir im Laufe der Zeit bewusst geworden, wie glücklich ich mich schätzen
kann in der heutigen Zeit zu leben und meinen Beruf ausüben zu dürfen. Wir beschweren uns immer über zu niedrige Löhne und zu wenig Arbeit, was auch in der heutigen
Zeit seine Berechtigung hat, aber verglichen mit dem, womit die Neuberin zu kämpfen
hatte, sind es doch eher Probleme der kleineren Sorte. Besonders beeindruckt hat mich
ihr unbändiger Wille und ihre enorme Stärke, die sie, trotz aller Widerstände und so
manchem Misserfolg, nicht haben aufgeben lassen. Auch daran kann man sich ein Vorbild nehmen.
Nachdem ich mich so lange mit dem Leben und Schicksal der Neuberin beschäftigt und
auseinandergesetzt hatte, wollte ich für mich einen Bezug zur heutigen Zeit schaffen.
Zudem kam in mir die Frage auf, wie es wohl in der heutigen Zeit als Frau in einer leitenden Position am Theater ist. Durch „Zufall“ stieß ich auf die Homepage der Schauspielerin, Regisseurin und Theaterprinzipalin Mareike Marx. Als jüngste Intendantin
leitet sie seit März 2011 das Metropoltheater. Ich kontaktierte sie und traf mich am
2.12.2014 mit ihr zu einem Interview. Sie erzählte mir, dass sie genau wie die Neuberin
schon immer von einem eigenen Theater geträumt hat. Dieser Traum erfüllte sich
schneller als erwartet, als sie im März das vor der Auflösung stehende Severins Burgtheater übernahm. Sie berichtete, dass es am Anfang natürlich Schwierigkeiten gab und
dass sie, bezüglich ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer Position, ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht hat. Aber alles in allem glaubt sie, hätten diese Erfahrungen
genauso einem jungen Mann in ihrer Position passieren können. 44
Für mich ist das ein Beweis dafür, dass Friederike Caroline Neuber, obwohl sie ihr Leben lang nie die Anerkennung bekam, die sie verdient hatte, nicht ohne Grund gekämpft
hat. Sie war Vorreiterin für uns, die nachfolgenden Generationen von Frauen, für die es
heute selbstverständlich ist, selbstbestimmt leben und in Führungspositionen arbeiten zu
können. Doch wir sollten nicht vergessen, dass es ein langer harter Weg dahin war!
44
Vgl. Interview mit Mareike Marx, Anhang
30
4.
Anhang
4.1.
Literaturverzeichnis
Oelker, Petra: Die Neuberin, Die Lebensgeschichte der ersten großen deutschen Schauspielerin, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg, August 2004
Söhn, Gerhardt: Die stille Revolution der Weiber, Frauen der Aufklärung und Romantik
30 Portraits, Reclam Bibliothek Leipzig, 1. Auflage, 2003
http://de.wikipedia.org/wiki/Friederike_Caroline_Neuber (21.10.2014, 16:15 Uhr)
http://odl.vwv.at/deutsch/odlres/res9/Literatur/Lit_Aufkl_Dramentheorie.htm
(21.10.2014, 17:00 Uhr)
http://www.zeit.de/2010/48/Theater-Neuberin/komplettansicht (21.10.2014, 10:30 Uhr)
http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/theater/deutsches_theater/index.jsp
(27.10.2014, 12:00 Uhr)
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Wanderb%C3%BChne (05.11.2014, 21:45)
http://de.wikipedia.org/wiki/17._Jahrhundert (16.11.2014, 23:00 Uhr)
4.2.
Bildquelle
Titelbild: http://mein-infodienst.de/bild/galerie/typ/2/nr/571/ (5.12.2014, 1:00 Uhr)
31
4.3.
Interview mit Mareike Marx
Jenny Krauser: Wie bist du zur Schauspielerei gekommen?
Mareike Marx: Schon als Kind und Jugendliche war ich viel im Theater. Mit 14 habe
ich in einer Off-Produktion im Horizont Theater ein Stück gesehen und war so begeistert, dass ich gespürt habe, das möchte ich auch machen. Schon während der Schulzeit
habe ich mich viel mit Tanz und Sprache beschäftigt und nach dem Abitur habe ich die
Aufnahmeprüfung an einer Kölner Schauspielschule gemacht und bestanden. Leider bin
ich dann durch eine Zwischenprüfung gefallen, mit dem Argument „Ich hätte nicht den
Charakter einer Schauspielerin“. Das hat mich damals erst mal sehr in meinem Selbstwertgefühl getroffen, doch dann habe ich mich auf dem Markt beworben und bin ins
Berufsleben gestartet.
Jenny Krauser: Wie kam es, dass du dein eigenes Theater eröffnet hast?
Mareike Marx: Damals war ich gerade dabei hier im Theater, das sich noch Severins
Burgtheater nannte, mein zweites Stück als Regisseurin auf die Bühne zu bringen, als es
mitten in einer Probe plötzlich hieß das Theater werde aufgelöst. Ich solle bitte alle
meine Requisiten und Kostüme mitnehmen um meinen Beitrag dazu zu leisten, dass die
Auflösung so schnell und so gut über die Bühne geht wie möglich. Ich habe dann, ohne
drüber nachzudenken, sofort gesagt: „Nein, das Theater wird sich nicht auflösen, ich
werde es übernehmen!“ Wir waren mitten in der Probe, meine Schauspieler standen auf
der Bühne und der damalige Leiter meinte dann nur etwas perplex „Ja eh gut eh ok.
Wenn du es übernehmen willst, dann müssen wir mal einen Kaffee trinken gehen und
darüber reden.“ Ich hab immer von einem eigenen Haus geträumt, aber ich war damals
26 und dass es so früh sein würde, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Und dann
ging alles unglaublich schnell. Anfang Dezember kam das raus mit der Auflösung und
zum März 2011 habe ich dann das Theater übernommen.
Jenny Krauser: Wie ging es nach der Übernahme weiter?
Mareike Marx: Am Anfang war es unglaublich anstrengend. Es musste unglaublich
viel gemacht werden und Sachen kamen auf mich zu, mit denen ich nicht gerechnet hätte.
Ich habe hier Nächte lang durchgearbeitet und bin irgendwann aus dem Theater raus
gekrochen, als es schon wieder hell war, mit dem Bewusstsein, es war zwischendurch
mal dunkel und ich habe immer noch nicht alles erledigt, was ich mir vorgenommen
hatte. Zudem musste ich sofort in den Spielbetrieb einsteigen.
32
Ich hatte mir zwar etwas Geld geliehen, um die laufenden und sofort anfallenden Kosten decken zu können, doch das Geld reichte lange nicht aus, um groß über die Runden
zu kommen. Es musste sofort losgehen, sodass sich das Theater so schnell wie möglich
selber tragen konnte.
Jenny Krauser: Was war das Schwierigste, das in der Zeit auf dich zugekommen ist?
Mareike Marx: Ich glaub das Schwierigste für mich war meinen Platz als Chefin zu
finden bzw. zu etablieren und ein Auge dafür zu bekommen wer gut ins Theater rein
passt und wer nicht. Zu Anfang hatte ich durchaus mit Neid zu kämpfen und bin angegriffen worden. Heute habe ich die Erfahrung gemacht und lasse es gar nicht mehr so
weit kommen. Am Anfang habe ich immer noch versucht alle glücklich zu machen und
habe mich oft verpflichtet gefühlt Zugeständnisse zu machen, die ich vielleicht überhaupt nicht leisten konnte, die auch der Betrieb nicht leisten konnte und die, im Nachhinein gesehen, auch gar nicht so nötig waren. Dinge, die ich selber als Schauspielerin
oder Regisseurin gar nicht von einem Intendanten verlangen würde und wo ich mit mir
selber viel anspruchsloser umgegangen wäre.
Jenny Krauser: Als du das Theater übernommen hast warst du die jüngste und zählst
auch heute noch zu den jüngsten Intendantinnen Deutschlands. Wie war das Verhältnis
zu älteren Schauspielerinnen und Schauspieler?
Mareike Marx: Sehr unterschiedlich. Es war, glaube ich, schon für manche älteren
Schauspieler schwierig, mich als Frau und dann so jung zu akzeptieren. Aber es gab
genauso gut andere, die da gar nicht drüber nachgedacht haben. Und heute ist das sowieso kein Problem mehr. Mein Team steht voll und ganz hinter mir und dem Haus.
Jenny Krauser: Gab es oder gibt es Situationen, in denen du dich, weil du eine Frau
bist, in deiner Position benachteiligt fühlst?
Mareike Marx: Man soll zwar nie alle über einen Kamm scheren, aber ich glaube das
Männer von ihrem Grundwesen her schon etwas anders gestrickt sind. Ich glaube dieses
Selbstverständnis irgendwo hinzugehen und zu sagen „hier bin ich, ich bin jüngster
Intendant Deutschlands“ ist einfach ein ganz anderes. Ich bin mit Abstand die jüngste
Intendantin und die PR Managerin, die ich damals engagiert hatte meinte, dass ist die
Story, die wir nehmen müssten, um dein Theater in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
33
Das war mir damals schon etwas unangenehm und ich war verunsichert, ob wir das so
groß aufbauschen sollten, doch die PR Managerin meinte, dass wir doch eine Story haben wollen und dass es so der beste Weg sei. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Bescheidenheit und Unsicherheit bei Mädchen / Frauen häufiger vorkommt und Jungs /
Männer weniger Scham haben sich anzupreisen. Ansonsten kann ich nicht sagen, dass
die Angriffe oder negativen Erlebnisse passiert sind, weil ich eine Frau bin. Klar wurde
ich am Anfang nicht immer ernst genommen und es gab Unkenrufe das Theater würde
sich nicht lange halten, aber das hätte einem Mann genauso gut passieren können.
Jenny Krauser: Bei meiner Anfrage für das Interview hast du mir schon erzählt, dass
Friederike Caroline Neuber eins deiner großen Vorbilder ist. Was inspiriert dich am
meisten an ihr?
Mareike Marx: Zum einen natürlich, dass sie als gebildete Bürgerin zum Theater abgehauen ist und all ihre Bildung dafür eingesetzt hat Theaterstücke zu schreiben, zu
übersetzen und zu inszenieren. Zum anderen natürlich, dass sie in der etwas zurückgebliebenen, einfachen Unterhaltung des „Hanswursttheaters“ in Deutschland, mit seinem Schweineblut und dem Slapstick so taff „aufgeräumt“ hat. Ich weiß, dass auch sie
immer von einem festen Haus geträumt hat und ich finde es so tragisch, dass sie dieses
Ziel nie erreicht hat, dass sie mit ihren Schauspielern immer unterwegs war. Und man
muss sich mal vorstellen, was das damals geheißen hat. Die haben zu Fuß die Alpen
überquert und viele hatten danach verkrüppelte Füße, weil ihnen die Zehen abgefroren
sind. Dagegen sind unsere Probleme heute von Gehältern und Gleichberechtigung eher
gering.
Jenny Krauser: Was ist dir wichtig, wenn du Theater machst?
Mareike Marx: Mir ist wichtig, dass sich mein Publikum niemals gedemütigt oder herabgesetzt fühlt. Das klingt jetzt vielleicht etwas drastisch. Aber tatsächlich fühle ich
mich manchmal, wenn ich ins Theater gehe, dumm, weil ich das Gefühl habe, dass alles
super intellektuell ist und es so aufgebaut ist, dass ich es nur verstehe, wenn ich vorher
noch sechs Inszenierungen von anderen Regisseuren gesehen habe. Auf der anderen
Seite fühle ich mich angegriffen, wenn mir auf der Bühne zu viel Nacktheit oder Grobheit präsentiert wird und vermeintliche Schocker wie Blut und Urinieren auf der Bühne
unbegründet eingesetzt werden. Mein Ansatz von Theater ist, dass ich alle, ob Kinder,
ob Erwachsene, jeden, der hier hinkommt, unterhalten möchte.
34
Ich möchte ihnen etwas mitgeben, sie zum Nachdenken anregen, aber ich möchte unter
keinen Umständen, dass sich einer meiner Gäste dumm fühlt und ich glaube, dass das
möglich ist.
Jenny Krauser: Zum Schluss würde mich noch interessieren ob du ein Erfolgsrezept
hast.
Mareike Marx: Ich glaube egal was man macht, man muss es mit Liebe machen. Also
ich mach alles, was hier anfällt unheimlich gerne. Ich nähe zum Beispiel auch teilweise
die Kostüme für die Stücke und habe einfach Spaß daran meine Energie und mein
Herzblut da hineinzugeben und ich glaube am Ende ist es auch das, was beim Publikum
ankommt.
35