Sarah Gold und Karlyn De Jongh machen aus

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Sarah Gold und Karlyn De Jongh machen aus
Arte bella
Sarah Gold und Karlyn De Jongh machen aus dem alten
Palazzo Bembo einen jungen Ort für Künstler. Dahinter steckt
eine faszinierende Geschichte über Kunst und Leidenschaft
T e xt: D a n i e l B o e s e , P o rTRÄ T: M atti a B a l s am i n i
Draußen der Canal
Grande, drinnen die
Kunst: Karlyn De
Jongh und Sarah
Gold auf dem Balkon
des Palazzo Bembo
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Während der Biennale 2011 schloss
sich der Künstler Xing
Xin täglich in einer
Gefängniszelle ein
Im ehemaligen
Zimmer des Bankdirektors baute
Toshikatsu Endo seinen Holzblock auf
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W
ie sagen wir denn Nein zu
Yoko Ono? Das wird schwer“,
sagt Sarah Gold. „Wir können
aber unmöglich Feuer im Palazzo Bembo legen!“ Yoko Ono will diesen
Sommer in Venedig 16 Silikon-Frauen verbrennen und die Überreste zeigen. Das Feuer soll im Innenhof des Palazzo lodern, das
hat der Assistent der Künstlerin gerade gemailt. Der Palazzo Bembo ist aber nicht nur
der Ort, den Sarah Gold und ihre Kuratoren-Kollegin Karlyn De Jongh zu neuem
Leben erweckt haben, sondern auch der
Familiensitz von einer der vier Gründerfamilien Venedigs und steht unter strengstem
Denkmalschutz. Jeder neue Nagel muss genehmigt werden – aber wegen der unter
acht Schichten Wandbemalung verborge­
nen Fresken ist das unmöglich, genau wie
das von Yoko Ono gewünschte Feuer.
Also werden Sarah Gold und ihre CoKuratorin Karlyn De Jongh Nein zu Yoko Ono sagen müssen. „Wir werden ihr
vorschlagen, das Feuer am Ende des Lido
brennen zu lassen“, erklärt der Künstler
Rene Rietmeyer ihren Kompromiss. Gold,
De Jongh und Rietmeyer sind wohl die heißesten Newcomer in der Kunstmetropole
Venedig, seit sie 2011 bei der 54. Biennale
mit der Ausstellung „Personal Structures“
auf der Bildfläche erschienen. Das „Kollateral-Event“ war die Entdeckung der Biennale – und das obwohl kaum ein Kunstprofi
ihre Namen kannte. Das Trio kommt aus
den Niederlanden, Sarah Gold, 35, wuchs
aber in Süddeutschland auf. Karlyn De
Heute Hotspot
der Kunst, aber
gebaut wurde
der Palazzo
Bembo schon
Ende des 15.
Jahrhunderts –
von der Adelsfamilie Bembo,
die Kohle importierte
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Jongh, 32, studierte in Leiden, Rene Rietmeyer, 55, hat in den letzten zwei Jahrzehn­
ten die halbe Welt bereist. Gemeinsam bauen sie jetzt den Palazzo Bembo zu einer
neuen Institution der Kunst in Venedig auf.
Das Projekt begann als Schnellschuss –
sie hatten keine sechs Wochen Zeit von der
Anmietung des Hauses bis zur Eröffnung.
Aber es wurde ein voller Erfolg – 70 Meter
neben der Rialto-Brücke am Canal Grande
zeigten sie Marina Abramović, Joseph Kosuth, Roman Opalka und Lawrence Weiner, insgesamt 28 Künstler, es kamen über
70 000 Besucher. Keine einfache Leistung,
versucht doch jedes Emirat und jeder Milliardär mit genug Geld, zur Biennale in einer abgelegenen Gasse eine „amazing art
show“ zu zeigen. Bei den meisten sind dann
die Palazzi spannender als die Kunst. Ganz
anders im Palazzo Bembo: Die monumentalen, schwarz verkohlten Holzblöcke von
Toshikatsu Endo beeindruckten genauso
wie das zarte Farbband von Judy Millar.
Im Frühjahr 2013 planen sie gerade die
nächste Ausstellung für die 55. Biennale im
Sommer. Am Donnerstag kommt der Wiener Ur-Aktionist Hermann Nitsch, 75, um
seinen Raum anzusehen. Gotthard Graubner hat sich ein paar Wochen später angekündigt – noch ist unklar, welche seiner
großen Leinwände man durch das enge
Treppenhaus des Palazzos bugsieren kann.
„Staunen von Raum zu Raum“, sagt Karlyn
De Jongh, „das ist unser Konzept.“ 64 Künstler aus allen Kontinenten werden sie zeigen,
neben Yoko Ono auch viele unbekannte.
Sarah Gold und Karlyn
De Jongh sind die wohl
heißesten Newcomer der
Kunstmetropole Venedig
Judy
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Millar
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(oben)
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spannte
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Farbband
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Matelli
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Besucher
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seiner
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schwebenden
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Skulptur
Skulptur
Darryn George aus Neuseeland ist einer, auf
den sie sich besonders freuen: Er wird einen
Raum in Schwarz auskleiden.
In Venedig wohnten sie am Anfang in
einem kleinen Apartment auf der Insel der
Glasbläser, Murano. Jetzt haben sie Wohnung und Büro in Laufnähe zum Palazzo
bezogen. Weil ihre Ausstellung mit Künstlern der A-Liste von keinem Unternehmen
gesponsert und keiner Regierung präsentiert wird, sprechen wir über Geld: „Wer ist
denn euer Oli­garch oder Hedgefonds-Milliardär?“ Mit Un­verständnis im Blick hebt
Karlyn De Jongh die Augenbrauen. Dass es
in der Stadt, in der ein Milliardär wie François Pinault mit seiner Sammlung gleich
zwei Palazzi füllt, undenkbar erscheint, ohne
enorm viel Geld in der ersten Liga der Kunstwelt zu spielen, kann De Jongh nicht nachvollziehen. Dennoch reagieren alle drei mit
niederländischer Offenheit: Für ihr erstes
Buch und die vier Symposien, die sie ab 2007
in Tokio, Amsterdam, New York und Venedig
veranstaltet haben, waren das rund 230 000
Euro. Sie haben sich über acht Jahre von NoBudget über Low-Budget zu Mini-Budget
hochgearbeitet. Sie wagten Dinge, die anderen unmöglich erscheinen – Lawrence Weiner und Joseph Kosuth zum Symposium
einzuladen zum Beispiel – mit einem fast
amerikanisch anmutenden Esprit: „Just do it.“
Die Ausstellung 2011 kostete 450 000 Euro, dafür gründeten sie in den Niederlanden
die Stiftung „Global Art Affairs“. Die Symposien waren keine geheime Gelddruckmaschine, finanziert haben sie das meiste über
den Verkauf von Rene Rietmeyers Werken:
minimalistischen Installationen aus bunten
Boxen. Rietmeyer selbst ist ein Künstler in
der Mitte seiner Karriere – hätte er einen
Galeristen, würde der wahrscheinlich gerade versuchen, Direktoren einer renommierten Institution zur entscheidenden
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„Mid-Career-Retrospective“ zu überreden. Aber Rietmeyer hat keinen Galeristen,
er verkauft direkt und hängt in guten europäischen Sammlungen – unter anderem der
Caldic Collection, einer der großen niederländischen Unternehmenssammlungen.
Entscheidend für den Erfolg von „Personal Structures“ war auch nicht das Geld,
sondern die Leidenschaft und der Ernst, mit
dem Karlyn De Jongh und Sarah Gold mit
Künstlern arbeiten. „Unsere Arbeit ist unser
Leben“, sagt Gold. „Wir kennen kein Wochenende.“ Sie nehmen sich lange Zeit, um
ein Interview vorzubereiten. Sarah Gold hat
sich eine ursprüngliche Begeisterung erhalten, mit außergewöhnlichen Künstlern zu
arbeiten: „Du sprichst dann schließlich mit
Marina Abramović!“ Und man kann das
Funkeln in ihren Augen sehen.
D
as Ganze hat als Projekt von Rene Rietmeyer begonnen, 2003 hatte er ein
Buch mit dem Titel „Personal Structures“ veröffentlicht. 2005 lernte er Sarah
Gold kennen, als sie für die Caldic Collection arbeitete. Sie verliebten sich, er begeisterte sie bei einer Diskussion in der Badewanne dafür, gemeinsam Symposien über
„Zeit, Raum und Existenz“ zu veranstalten.
„Die grundlegendsten Themen der Kunst“,
so Rietmeyer. 2007 stieß Karlyn De Jongh
dazu, direkt von der Universität Leiden. Sie
machen keine Ausstellungen, um davon zu
leben – sondern leben, um Ausstellungen
zu machen. Die Leidenschaft für Kunst war
ansteckend, inzwischen leben sie in einer
Arbeiten mit
Leidenschaft an
fundamentalen
Themen der
Kunst: Rene
Rietmeyer, Karlyn De Jongh
und Sarah Gold
Ménage-à-trois. Sie sind keine dogmati­schen
Verfechter offener Beziehungen, sondern
niederländische Freigeister, erklärt Sarah
Gold: „Gemeinsames Essen mit Freunden
erlaubt unsere Gesellschaft, gemeinsame
Zärtlichkeiten aber nicht. Wieso nicht?“ Karlyn De Jongh fügt hinzu: „Wir wollen ein
möglichst interessantes Leben führen. So
wie Hermann Nitsch sagt: Bewusst leben.“
Hohes Interesse für die Perspektive der
Künstler kennzeichnet ihren Ansatz. Sarah
Gold sagt: „Wir lassen die Künstler sprechen.“ 2,5 Kilo wiegt das Buch, das sie 2009
bei DuMont mit den Mitschriften der Symposien und zusätzlichen Interviews veröffentlichten. Die abstraktesten Themen Zeit,
Raum und Existenz könnten ja schnell auch
die langweiligsten sein und die Trockenheit
einer schlechtbesuchten Ringvorlesung ausstrahlen. Nicht aber bei Gold und De Jongh
– der Palazzo Bembo strahlte 2011 nicht die
Argumentationsstrenge einer Themenausstellung aus, sondern Entdeckungsfreude
von hoher Intensität, sinnlich erfahrbar.
Genauso sinnlich wie es zu Venedig mit den
Schaufenstern voller bunter Lederschuhe,
feinziselierten Masken und frischen Tramezzini-Sandwiches passt.
Am anziehendsten sind diese Qualitäten für die Künstler. „Heinz Mack will ins
nächs­te große Buch“, erzählt Gold. Bald soll
es fertig sein, und die Arbeit der letzten drei
Jahre zeigen. Mack wird auch im Sommer
ausstellen, erzählt Rietmeyer: „Unser Traum
ist: Neben Heinz Mack auch Otto Piene, den
Veteranen von Zero, zur Eröffnung auf den
Sie machen keine
Ausstellungen, um davon
zu leben, sondern leben, um
Ausstellungen zu machen
Kuratorin imelbstversuch:
Selbstversuch:
Karlyn
Karlyn
De De
Jongh
Jongh
als als
Jüngstes Projekt:
Arnulf Rainer übermalt Fotos von
Gold und De Jongh
Akteurin am Kreuz bei Hermann Nitschs „Orgien Mysterien Theater“
Balkon des Palazzo Bembo zu bringen.“ Die
Einladungen sind schon verschickt.
Fuhren sie anfänglich noch aus den Niederlande zu den Künstlern – allein 932 Kilometer, um Roman Opalka zu treffen – leben sie seit 2011 in Venedig. „Früher waren
wir für die Interviews immer unterwegs,
heute kommen die meisten zu uns. Alle zwei
Jahre ist die ganze Kunstwelt in der Stadt“,
erzählt Gold. Das Unternehmen „Personal
Structures“ würde nicht so wachsen, wenn
Sarah Gold und Karlyn De Jongh nicht eine
gute Hand für die Arbeit mit Künstlern hätten. Man kann die beiden wohl am besten
als Kuratoren für Künstler verstehen – als
„artists’ curators“. Sie sind keine Starkuratoren wie Hans-Ulrich Obrist oder Carolyn
Christov-Bakargiev, die mit Vielfliegerstatus und wasserfallartigem Zugriff auf aktuelle Theorie glänzen. Sie geben den Künstlern Raum und machen ihre kuratorische
Arbeit auf den ersten Blick unsichtbar. Man
muss schon ihre Kunstbücher lesen, um
mehr zu verstehen. Mit Lawrence Weiner
haben sie 24 Stunden auf seinem Hausboot
in Amsterdam verbracht und ein fast genauso langes Interview geführt – das Buch
trägt den Titel „Ménage à quatre“. Den Wiener Aktionisten Hermann Nitsch trafen sie
in Neapel und interviewten ihn über mehrere Tage während der Vorbereitung seiner
130. Aktion. Sie sind die ersten, die je über
ihre Erfahrung, am „Orgien Mysterien Thea­
ter“ als Akteur teilzunehmen, Tagebuch
geführt haben. Die Bilder davon waren im
Palazzo zu sehen: Sarah Gold und Karlyn
De Jongh nackt am Kreuz, mit verbundenen Augen und rotem Blut auf der Haut.
Furchtlos gehen sie für die Kunst über ihre
eigenen Grenzen.
Ausstellung: „Personal Structures 2013“, Palazzo
Bembo, 1. Juni bis 24. November 2013
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