männer gegen

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männer gegen
www.emma.de | Männer gegen Prostitution: Ich kaufe keine Frauen! | Schwarzer über Putin | Hebammen schlagen Alarm | Neue Männer tragen Opas Bart
EMMA – das politische Magazin von Frauen Nr. 3/14 (314)
001_EMMA_Titel_3_14 09.04.14 17:21 Seite 1
G 4155 F 9 € (It) 9 € (Lux) 12,50 SFr 7,50 € (A)
7,50 € (D)/Nr.3 (314)
Mai/Juni 2014
www.emma.de
MÄNNER
GEGEN
PROSTITUTION
HANS BROICH
Ich kaufe
keine Frauen!
Schwarzer über Putin • Hebammen schlagen
Alarm • Neue Männer tragen Opas Bart
002_003_Inhalt 09.04.14 17:23 Seite 2
Inhalt
98
76
Wir teilen uns die
Kinderarbeit 50/50.
Junge Frauen ziehen
in den Heiligen Krieg.
4 Editorial: Alice Schwarzer über Putin
Nicht lange her, dass wir Russland überfallen haben.
8 Franziska Becker: Bikini-Diät
Die EMMA-Cartoonistin hat Tipps für die Traumfigur.
14 Lena Dunham: Das Rolemodel
In der Serie „Girls“ revolutioniert sie das Frauenbild.
16 Stephanie Bschorr: Die Unternehmerin
Ihr Unternehmerinnenverband ist für die Quote.
18 Dilma Rousseff: Die Präsidentin
In Brasilien bekämpfte sie einst den Staat.
20 Margaret Atwood: Die Realistin
In der Wildnis lernte sie, nie straight zu denken.
22 Frauenministerin Schwesig
Der Start der Frau aus dem Osten ist vielversprechend.
24 Gewalt in Beziehungen
Nur noch jede zwölfte Anzeige führt zum Prozess.
27 Philosophin Gehring: Wohin mit dem Krieg?
Sie träumt von einem Weltgastrecht für Frauen.
FRAUEN UND DIE EU-WAHL
28 Unsere Lobby in Brüssel
So kämpft die Women’s Lobby für Frauenrechte!
31 Die EU nutzt uns Frauen!
Was wir auch in Deutschland der EU verdanken.
33 Der Siegeszug der Marine Le Pen
Wieso ist die Rechtspopulistin so erfolgreich?
PROSTITUTION: PARADIGMENWECHSEL
34 Der Paradigmenwechsel
Aufstand gegen Prostitution: von Brüssel bis Berlin.
36 Der Schwedische Weg
EMMA und die Schweden luden zur Information.
40 Prostitution: Zum Beispiel Pulheim
EMMA-Reporterin in einer Stadt wie viele.
46 Gespräch mit einem, der Nein sagt
Hans Broich sucht Männer für Zéromacho.
49 Zéromacho: Das Manifest
Die Forderungen der Männer gegen Prostitution.
50 Beim Barte des Helden
Alles, was Sie über Männer & Bärte wissen müssen.
53 Sonya Kraus: Liebeserklärung
Ohne Hebamme hätte sie die Geburt nie überstanden.
54 Hebammen schlagen Alarm!
Der gesamte Berufsstand steht auf dem Spiel.
58
Es gibt sie noch –
die Anderen.
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Seite 50
Verena Mörath, Amr Abdallah Dalsh/REUTERS, Jimmy Nelson Pictures BV/www.beforethey.com, Phillip Toledano, Sven Simon/imago
56 Ruby Cups: Tampons adieu!
Das Ding macht nicht nur Frauen in Afrika glücklich.
57 Deckstein über Online-Shopping
Sie erklärt ihrer Freundin Renate die Folgen.
58 Before they pass away
Jimmy Nelson hat bedrohte Völker porträtiert.
76 Frauen im heiligen Krieg
Junge Frauen aus Deutschland ziehen in den Djihad.
78 Die Stunde der Schwestern
Welche Rolle Frauen bei den Muslimbrüdern spielen.
DOSSIER: FRAUENARBEIT
80 Frau muss nur wollen!
Wie die Trumpf-Chefin die Arbeitszeit flexibilisiert.
86 Die 32-Stunden-Woche …
… die Lösung für Mütter und Väter mit Kleinkindern.
88 Hannelore muss sich ändern!
Warum Frauen für Familie Nachteile in Kauf nehmen.
90 Ingenieurinnen in die Kita!
Das empfiehlt Wirtschaftswissenschaftler Koppel.
92 Die Krux mit der Mütterrente
Und warum die Rente ab 63 vor allem Männern nutzt.
93 Das Leid mit der Pflege
Pflege ist doch Frauensache, warum also bezahlen?
95 Annette Anton: Bluffen lernen!
Darum sollten Frauen sich so aufplustern wie Männer.
98 Echte 50/50-Eltern
Suse und Micha über Hochs & Tiefs fairer Elternschaft.
102 Liebe Elisabeth Niejahr!
Alice Schwarzer über Gendergap & Prostitution.
10
12
104
107
108
110
114
115
IMMER IM HEFT
Magazin
Kultur
Bücher
Impressum
LeserInnen-Forum
LeserInnen-Briefe
Die lieben KollegInnen
Die nächste EMMA
SERVICE
7 EMMA im Abo
106 Marktplatz/Kleinanzeigen
113 EMMA-Shop
PROSTITUTIO
Lena Dunham (li)
und ihre Girls.
14
Ich will meine
Hebamme haben!
54
N
FRAUEN
Geht K AUF
gar n
icht!
www.emm
a.de
Der Anti-ProstitutionsAufkleber. Jetzt
bestellen! Seite 113
Manuela Schwesig –
die Neue für Frauen.
22
Gabo
004_005_Editorial_korr 10.04.14 13:29 Seite 4
Russland &
der Westen
I
n Deutschland passiert gerade
etwas sehr Ermutigendes: Die
Menschen glauben den Medien
nicht mehr. Obwohl die
Berichterstattung in Sachen
Ukraine, Krim & Russland sich in
überwältigender Mehrheit und unerschütterlicher Selbstgerechtigkeit einig
ist in der Verurteilung von Putin und
Verharmlosung des Westens, scheinen
immer mehr Menschen das anders zu
sehen. Laut Umfragen bilden sich zwei
Drittel ihre eigene Meinung. Jenseits
von Tagesschau, Spiegel und Bild.
Auch 69 Jahre nach 1945 haben die
Deutschen, quer durch alle Generationen, offensichtlich keinen Bock auf
Krieg. Sie haben die deutsch-russische
Geschichte nicht vergessen. Und sie
haben ein Gespür für politische Propaganda. Denn sie haben schon einmal
so gnadenlos falsch gelegen, dass sie so
schnell nicht wieder mitmachen möchten im Chor der Selbstgerechten, der
in der Regel Unrecht gebiert.
Sehr viele Deutsche waren gegen
beide Irakkriege, viele haben ziemlich
rasch die Propaganda-Lügen im Kosovokrieg durchschaut („Nie wieder
4
EMMA Mai/Juni 2014
Auschwitz“), und die Mehrheit hat zu
Recht gebilligt, dass Deutschland sich
auch in jüngster Zeit nicht an humanitär
verbrämten, militärischen Interventionen
wie in Libyen oder Syrien beteiligte.
Jetzt also Russland. Präsident Putin
ist die Inkarnation des Bösen und wird
mit Hitler verglichen. Moskau wird
beschuldigt, einen neuen kalten Krieg
anzetteln und in die Ukraine einmarschieren zu wollen. Was eine Verkehrung der Tatsachen ist.
Denn es war zunächst der Westen,
der seit dem Fall der Mauer keine Ruhe
gab und unaufhaltsam Richtung Osten
drängte – und weiter drängt. Zwölf Länder des ehemaligen Warschauer Paktes
sind heute Mitglieder der Nato. Und im
Süden Russlands reihen sich die USMilitärbasen an der Nordgrenze Afghanistans – oder rasseln die Gotteskrieger
in den islamistisch beherrschten Ländern
mit Maschinengewehren und Raketenbasen. Die jetzt in diesen Ländern herrschenden Islamisten waren in den 80er
Jahren nicht zuletzt von Amerika unterstützt worden. Sie sollten den so genannten „grünen Gürtel“ um die Sowjetunion
bilden: den Gürtel der Gotteskrieger.
Was funktioniert hat.
Kein Zweifel: Russland ist heute
eingekreist. Jetzt also auch noch die
Ukraine? Der Geburtsfehler des UkraineKonflikts war, dieses Land vor die Alternative zu stellen: EU oder Russland!
Denn die Ukraine ist traditionell ein
Brückenland, neigt halb zum Westen,
halb zum Osten, und genau das hätte
sie auch bleiben sollen. Aber das scheint
jetzt verspielt. Statt diese West/OstLage als Stärke zu begreifen, ist sie nun
eine Schwäche und befindet sich das
Land in einer Zerreißprobe. Für diese
Zerreißprobe tragen beide Verantwortung: Putin und der Westen.
004_005_Editorial_korr 10.04.14 13:29 Seite 5
Editorial
Alle Länder, die in den letzten zwanzig Jahren
gewaltsam „befreit“ wurden, gehörten einst
zum sowjetischen Machtbereich.
Wenige Westländer, allen voran
Deutschland, haben nach der Eskalation
versucht, zu Befriedung und Kompromiss
beizutragen. Doch der wurde innerhalb
weniger Stunden von dem sehr gemischt
besetzten Majdan-Platz (von aufrecht empört bis nationalistisch bzw. faschistoid)
hinweggefegt – und sodann von einem
traditionell käuflichen Parlament bestätigt.
Der heute amtierende Präsident Alexander
Turschinow, Ökonom und TimoschenkoVertrauter, ist also auch nicht gerade
demokratisch legitimiert. Was den Westen nicht hindert, dies hochtönend von
Russland in der Krim zu fordern.
Überhaupt der Ton. Die West-Medien
scheinen in ihrer Herablassung Russland
gegenüber und der Schuldverteilung –
guter Westen, böser Osten – quasi gleichgeschaltet. 97 Prozent der auf der Krim
lebenden Menschen votierten (bei einer
Wahlbeteiligung von 90 Prozent) für die
Zugehörigkeit zu Russland? Und das
„störungsfrei“ unter den Augen internationaler Beobachter, wie es heißt? Na und!
„Wir“, die EU und Amerika, „erkennen das
nicht an“ und drohen mit „Sanktionen“.
Und wir drohen nicht nur, wir handeln.
Der Westen führt gerade seinen ersten
erfolgreichen „Finanzkrieg“. Entwaffnend
offen schrieb die FAZ: „Die modernen
Waffen sind nicht länger Panzer, Flugzeugträger oder unbemannte Drohnen. Die
Konflikte dieser Welt werden mit Kapitalattacken, Finanzsanktionen und Ratingagentur-Offensiven geführt. Durch den
Druck der Finanzmärkte wird eine Ökonomie und damit ein ganzes Land in die
Knie gezwungen. Der erste Schauplatz der
neuen Kriegsführung ist Russland.“ – In
der Tat: Bereits im März stürzten die russischen Kurse und der Rubel ins Bodenlose.
Vorgeblich handelt der Westen wie
immer im Namen von Demokratie und
Menschenrechten. Doch ob wir ein Vor-
gehen als „demokratisch“ und „völkerrechtlich legitimiert“ bezeichnen, scheint nicht
von der Art des Vorgehens abzuhängen,
sondern auch von der jeweiligen Interessenlage. Stichwort: Irak; Stichwort: Afghanistan; Stichwort: Kosovo; Stichwort: Serbien;
Stichwort: Libyen; Stichwort: Syrien.
Dabei fällt auf, dass all diese Länder, die
in den letzten 20 Jahren unter der Flagge
der Heilsbringung von der Nato in die
Knie gezwungen wurden, in den Zeiten
der Teilung der Welt in West- und Ostblock der Machthemisphäre der Sowjetunion angehörten. Heute herrschen in
diesen „befreiten“ Ländern das Chaos
und/oder die Islamisten. Überall hat der
Westen zehntausende, ja hunderttausende
von Toten hinterlassen, auch solche in den
eigenen Reihen. Und verbrannte Erde.
Seit Auflösung dieser Blöcke schreiten
wir unaufhaltsam gen Osten. 1990 noch
hatte der Westen dem damaligen russischen Präsidenten Michail Gorbatschow,
der die Öffnung friedlich eingeleitet hatte,
versprochen, den Machtbereich der Nato
nicht weiter gen Osten auszudehnen. Seither ist viel passiert, zu viel. In Russlands
Nachbarländern Polen und Tschechien
sind amerikanische Raketen stationiert.
Würde die Ukraine Teil der EU, stünde
die Nato bald an der russischen Grenze.
Heute ist inzwischen selbst Gorbatschow, der einstige Gegenspieler Putins,
an seiner Seite: Der Präsident der Öffnung hält Putins Strategie der eisernen
Faust inzwischen für richtig. Denn die
Einkreisung Russlands macht nicht nur
Putin Sorgen. So lange ist es schließlich
noch nicht her, dass Nazi-Deutschland
Russland überfallen hat – am Ende lagen
da 25 Millionen Tote: Kinder, Frauen,
Männer. 25 Millionen.
Die letzten Überlebenden sowie die
Kinder und Kindeskinder der Ermordeten
leben heute in Russland. Präsident Putin
ist eines dieser Kinder. Seine Eltern waren
in dem von der deutschen Wehrmacht
827 Tage, also zweieinhalb Jahre lang,
belagerten Leningrad (heute Petersburg).
Der Vater hatte schwer verletzt überlebt,
die Mutter war traumatisiert, der ältere
Bruder Victor starb mit anderthalb Jahren
in der umzingelten Stadt. Die Zahl der
Toten in Leningrad in der Zeit der Belagerung wird auf eine halbe bis anderthalb
Millionen geschätzt. Das Grauen in der
eingeschlossenen Stadt, zuletzt ohne Essen
und ohne Wasser, ist kaum vorstellbar.
Ein Russland ohne einen wie Putin
würde vermutlich in der Faust der Mafia
enden. Das scheinen auch die berechtigten Putin-Kritiker nicht immer zu Ende
zu denken. Putin ist heute das kleinere
Übel – und in den Augen seiner Landleute mutiert er gerade zum Helden.
Am 8. Mai wird auch Russland den
69. Jahrestag des Endes des Zweiten
Weltkrieges feiern. Dann marschieren die
allerletzten Veteraninnen und Veteranen
stolz mit ihren Orden durch die Straßen.
Jetzt wurden Stimmen laut, die den Ausschluss des russischen Präsidenten von der
gemeinsamen Siegesfeier in der Normandie forderten. Ausgerechnet. Ausgerechnet
der Präsident des Landes, das den höchsten
Preis bezahlt hat.
Am 25. Mai sind Wahlen in der Ukraine.
Seit Wochen ist von Einschüchterung der
heutigen Oppositionellen, Schlägertrupps
der Ultrarechten, ja sogar Toten zu hören.
Es ist zu befürchten, dass die Wahlen in der
zerrissenen Ukraine nicht so gemäßigt verlaufen werden, wie die auf der Krim. Der
Krisenherd an der Nahtstelle zwischen
Europa und Russland schwelt weiter. Zeit,
wieder Brücken zu schlagen – statt sie
niederzureißen.
Mai/Juni 2014 EMMA
5
006_007_Hausmitteilung_Abo_korr2 11.04.14 15:10 Seite 6
Über uns
Flitner/Gabo
Hier sind sie, die schlanken
EMMAs! 1. Reihe: Alexandra Eul,
Angelika Mallmann, Chantal Louis,
2. Reihe: Silvia Kretschmer, Irina
Rasimus, Margitta Hösel, dahinter:
Franziska Becker, Anett Keller.
Es fehlen Praktikantin Anna
und Herausgeberin Alice –
rechts im diätfeindlichen Outfit.
Liebe Leserin, lieber Leser,
6
EMMA Mai/Juni 2014
Zehn EMMAs wiegen zusammen 676 Kilo, macht
muss“, sagt eine, die schon viel über das Problem
einen Schnitt von 68 Kilo pro Frau. Vier von uns lie-
nachgedacht hat. Einerseits findet sie Diäten „echt
gen unter diesem Schnitt, sechs drüber. Wobei „das
peinlich“ und ist ein Genussmensch: „Ich würde
feministische Umfeld“ hilfreich sei, sich damit ab-
niemals auf abends essen gehen und ein, zwei Glas
zufinden, sagt eine von denen, die drüber sind. Aber
Wein verzichten.“ Andererseits hat sie immer wie-
klar: Selbst bei EMMA sind Diäten Thema – auch
der mal Diät gemacht, „so ein-zweimal im Jahr“:
wenn die meisten von uns so tun, als wäre es
Brigitte-Diät („gähn“), Kohlsuppen-Diät („kotz“),
keines für sie. Und auch bei EMMA waren wir uns
Diätpulver („hm“). Eigentlich wünscht sie sich, „den
einig: Okay, wir sagen die Wahrheit – aber … unsere
ganzen Quatsch zu vergessen“. Aber: „Auf das Fach
Namen dürfen nicht genannt werden! Darauf
‚lustige Dicke‘ habe ich auch keinen Bock.“ Eine
bestanden drei, und die anderen waren ebenfalls
andere findet sich mit 74 Kilo „viiiel zu dick“. Doch:
erleichtert. Sechs EMMAs finden sich „zu dick“, sie
„Ich fand mich auch schon zu dick, als ich noch
wären gerne drei bis zehn Kilo los. Drei EMMAs fin-
60 Kilo wog.“ Eine, die 75 Kilo wiegt, sagt selbstbe-
den sich „normal“. Und nur eine findet sich „viel zu
wusst: „Seit ich die 50 überschritten habe, habe ich
dünn“ (stimmt). Sie futtert massig Nüsse zwischen-
mich von dem ganzen Gedöns ums Dick- oder Dünn-
durch und abends Nudeln, vergebens: Sie kommt
sein verabschiedet.“ Aber fünf Kilo weniger hätte
über Kleidergröße 34/36 nicht drüber. Davon kön-
sie trotzdem gern. Und eine andere in ähnlicher
nen wir übrigen neun nur träumen. Diäten haben
Gewichtsklasse sagt gelassen: „Ehrlich, ich habe in
wir alle schon gemacht. Drei von uns waren in ihrer
meinem ganzen Leben noch nie eine Waage beses-
Jugend sogar essgestört, haben das aber jetzt im
sen.“ Aber Diät gemacht hat auch sie schon und
Griff. Die eine wiegt heute 60 Kilo und würde gerne
mit FDH 6,5 Kilo abgenommen – „doch jetzt schon
nur noch „so ein bisschen abnehmen, drei Kilo wäre
wieder drauf“. Mehrere Mal ist von „zu dicken Ober-
gut“. Die andere war mit 14 durch das Buch „Die
schenkeln“ die Rede und dass frau nur noch Männer-
Bikini-Diät für junge Mädchen“ in die Magersucht
jeans kaufen kann. Übrigens: Mittags essen wir
gerutscht und hing sieben lange Jahre drin. Heute
immer zusammen. Wir sind alle ziemlich verfres-
wiegt sie 70 Kilo und sagt: „Ich kann mir gar nicht
sen. Das Essen wird von der Praktikantin in einem
mehr vorstellen, Diät zu machen.“ DIÄT. „Ich bin
nahegelegenen Bistro geholt. Und wenn dann eine
zerrissen zwischen meiner politischen Kritik an
zum dritten Mal hintereinander nur Salat isst,
dem Diätterror – und dem praktischen Wunsch, ein
kommt unvermeidlich von einer von uns die dro-
paar Kilo weniger zu haben. Damit ich mir auch
hende Frage: „Du machst doch nicht etwa Diät?!“
die Kleider kaufen kann, auf die ich jetzt verzichten
Und die Antwort: „Wo denkst du hin!“
006_007_Hausmitteilung_Abo_korr2 11.04.14 15:10 Seite 7
Ja,
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meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen.
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Wege und vor allem: Sie verpassen keine Ausgabe.
008_009_Cartoon 09.04.14 17:59 Seite 8
008_009_Cartoon 09.04.14 17:59 Seite 9
010_011_Magazin 09.04.14 18:03 Seite 10
Magazin
Wunderbares Brasilien
Neuigkeiten aus dem WM-Land: Laut einer Studie zur „Toleranz sexueller Gewalt gegen Frauen“ glauben 59 Prozent der BrasilianerInnen,
PASCHA DES MONATS
dass es „weniger Vergewaltigungen gebe, wenn
Akif Pirinçci, Autor
Frauen wüssten, wie sie sich zu verhalten
Nein, um Akif Pirinçci geht es hier eigentlich
nicht. Der ist Mitte 50, also in der Midlifecrisis,
und hat ein Buch veröffentlicht, das für die
FAZ von einem „Sarrazin auf Speed“ ist und
Die Zeit mit „Mein Kampf“ von Hitler vergleicht. Wir reden von „Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle
und Zuwanderer“. Pirinçci, der im Alter von
neun Jahren mit seinen Eltern aus der Türkei
nach Deutschland kam, muss für dieses
krude frauen- und menschenfeindliche Machwerk nun nicht auch noch von EMMA zum
Pascha gekürt werden. Unser Pascha des
Monats ist der Pirinçci-Leser! Der, der seine
Naturfaserkleider und das Bioessen bei
Manufactum kauft („Es gibt sie noch, die guten
Dinge“). Plus das Pirinçci-Buch aus dem
Manufactum-Verlag. Manchmal greift er auch
zum Klepper- oder Lodenmantel, ganz wie
der Herr Papa. Nur ins Bordell geht er nicht
mehr heimlich. Die Scham ist längst vorbei.
haben“. 62 Prozent finden: „Frauen, die sich pro-
Zürcher Frauenzentrale
vokant anziehen, verdienen es, vergewaltigt zu
werden“. Gesagt, getan. Nach Schätzungen werden 527 000 Frauen im Jahr vergewaltigt. Die
Journalistin Nana Queiroz initiierte daraufhin die Internet-Aktion. Rund 20 000 Brasilianerinnen
stellten Protest-Selfies (wie oben) ins Netz. Präsidentin Rousseff erklärte sich solidarisch mit
dem Protest: „Nana Queiroz verdient meine Solidariät und meinen Respekt. Regierung und
Gesetz stehen an der Seite der Frauen, die Opfer von Gewalt sind.“ #naomerecoserestuprada
Von Beinen & Baggern
Beine übereinandergeschlagen, Nacken gebogen, Blick nach unten.
So sitzen die beiden nackten jungen Herren auf dem Sofa. „Kommt
Ihnen etwas seltsam vor?“ steht quer über der Postkarte. Klar! lautet die Antwort. So sitzt kein Mensch, jedenfalls kein männlicher.
„Wir wollten zeigen, wie skurril und seltsam es wirkt, wenn Männer
in typischen sexistischen Frauenposen dargestellt werden“, erklärt
die Salzburger „Watchgroup gegen sexistische Werbung“. Einen
Monat lang waren die Karten in drei Motiven als Freecards zu
haben. Prompt sorgte die Aktion für einen Eklat unter Salzburger
Werbern: „Wir brauchen keine Mini-Alice-Schwarzers, die uns ihre
Auffassung von richtigem Einsatz von Sex vorschreiben wollen“,
Am 3. August 1914, wenige Tage nach Aus-
rügte Heinz Polak von der Agentur „Polak & Friends“. Doch Ger-
bruch des 1. Weltkriegs, trafen sich 50 Vertre-
hard Scheuer von „Markenstellwerk“ konterte: „Der Werbung ist
terinnen von Schweizer Frauenorganisationen
auch mit Möchtegern-Hugh-Hefners nicht gedient!“ Polak insistierte:
und gründeten die „Frauenzentrale Zürich“.
Man werbe schließlich auch mit nackten Männern. Tatsächlich: Bei einer Werbung für eine
Im Kampf gegen die Folgen des Krieges orga-
Baufirma hatte die Agentur einen Bagger auf den nackten Unterleib eines Mannes montiert.
nisierten sie Volksspeisungen, Flick- und
Slogan: „Unser bestes Stück ist 27 Meter lang und reißt alles nieder.“ Herrn Polak kommt
Wärmestuben, Kurse im Gemüsean-
daran offenbar nichts seltsam vor. Postkarten bei: www.watchgroup-salzburg.at
bau oder sparsames Kochen.
Heute hat die Zürcher Frauenzentrale 1 400 Mitglieder und die
Einmal quer durch Wien
Schweizer Frauenpolitik ein Jahr-
Auf die Plätze – fertig – los! In diesem Jahr werden es 31 000 Frauen und Mädchen aus zahl-
hundert lang mitgeprägt. Die
reichen Nationen sein, die am 25. Mai im Wiener Prater auf den Rundparcours von fünf bzw.
Beratungsstelle war eine
zehn Kilometern an den Start gehen. Von Spaßläuferinnen über Nordic-Walkerinnen bis hin
der wenigen
zu Spitzensportlerinnen, wie die vielfache deutsche Meisterin Sabrina Mockenhaupt. Keine
Frauenorgani-
50 Jahre nachdem die amerikanische
sationen in der
Pionierin Kathrine Switzer 1967 mit
Schweiz, die sich 2013 gegen die Verrich-
ihrem legendären Antritt beim Bos-
tungsboxen in Zürich eingesetzt hat – und
ton-Marathon das generelle Verbot
gegen die Auffassung, Prostitution sei ein
von Frauen bei öffentlichen Lauf-
„Beruf wie jeder andere“. Zum Jubiläum
veranstaltungen
haben die Frauen eine großartige Dokumen-
(EMMA 3/12), steigt 2014 in Wien das
tation herausgegeben: „Beraten Bewegen Be-
größte Frauenlauf-Event Europas –
wirken“. 250 Seiten reich bebilderte Geschich-
und endet am Sonntagnachmittag mit
gebrochen
hatte
te des Kampfes gegen Entrechtung und für
einer Party. www.oesterreichischer-
Menschenwürde. www.frauenzentrale-zh.ch
frauenlauf.at
10
EMMA Mai/Juni 2014
010_011_Magazin 09.04.14 18:03 Seite 11
Tierfreundin Lucia
Der italienische Fleischproduzent „Bresaole
Pini“ hatte die Rechnung ohne Lucia gemacht:
iese kleine Amerikanerin weiß heute, dass sie ihre Chancen ihren Vorgängerinnen verdankt.
D
Über 45 000 Unterschriften hat die 14-jährige
Zum Beispiel Harriet Tubman (1820–1913), der legendären geflüchteten Sklavin, die selber
Tierrechtlerin mit ihrer Online-Petition gegen
hunderten von SklavInnen zur Flucht verholfen hat – und später eine engagierte Frauenrechtle-
dessen geplanten Bau einer Massenschlacht-
rin wurde, für schwarze wie weiße Sisters. Die Amerikanerinnen haben sich einen „Women‘s
anlage für Schweine in Bernburg gesammelt
history month“ ausgedacht, im März. Und zu diesem Monat der Frauengeschichte hat die Foto-
– und das Großprojekt damit vorerst gestoppt.
grafin Eunique Jones mit dieser wunderbaren Girls-Serie beigetragen: „Because of them, we
Der Stadtrat will prüfen, was es mit der Anlage
can …“ (Dank ihnen können wir). An jedem Tag im März hat sie ein anderes Mädchen online ge-
auf sich hat. Lucia kämpft für Tierrechte, seit
stellt, das sich in eines der großen Vorbilder hineingedacht und es auf seine Weise dargestellt
sie als Neunjährige in Bayern auf einem Gna-
hat. Die Serie beschränkt sich nicht auf historische, sondern zeigt auch lebende Idole, von
denhof für Tiere war. Seither ist sie nicht nur
Ms.-Gründerin Gloria Steinem bis Schriftstellerin Toni Morrison. „Es gibt eigentlich viel zu viele
Vegetarierin, sondern liest auch alles, was ihr
Frauen, um diese Serie auf nur einen Monat zu beschränken“, klagt Fotografin Jones. Aber das
zum Thema in die Finger kommt. Kurz vor
ist schon mal ein Anfang. Begonnen hatte Jones vor einem Jahr im „Black history month“ mit
Weihnachten hat Lucia auch Horst gerettet.
Kindern von Freundinnen und Nachbarn. Zum Nachmachen! www.becauseofthemwecan.com
Horst ist ihr neues Kaninchen. Eigentlich sollte
Horst ein Braten werden. Jetzt hat er den
Philipp Schalber/Diener, Maike Glöckner
Mehrheit in Deutschland für Porno-Verbot!
Himmel auf Erden bei Lucia. Und die plant
schon die nächste Aktion. In Aschersleben, wo
Laut einer Spiegel-Umfrage von April 2014 sind 71 % aller Frauen für die Sperrung der Porno-
die Schülerin aufs Gymnasium geht, soll eine
seiten im Internet – und 52 % aller Männer (gesamt 59 %). Unter 30 sind 39 % dafür, über 60
Legehennen-Anlage
72 %. Je weiblicher und je älter, desto Porno-kritischer. Mit 13 hatten 15 % der Mädchen
450 000 Hühner. Also das Grauen. Für die
schon Kontakt mit Pornografie und 50 % der Jungen – mit 16 sind es 63 % der Mädchen und
Hühner. Nächste Woche will Lucia aus Sach-
89 % der Jungen. In den letzten vier Wochen keine Pornos konsumiert hatten 92 % der Mäd-
sen-Anhalt sich mit TierrechtlerInnen aus
chen – und 46 % der Jungen. Derselbe Spiegel beginnt seine Titelgeschichte über die Frage
Berlin treffen zum Protest-Flyer verteilen. Und
„Wie schädlich ist Pornographie?“ mit der Behauptung: „Sexualforscher plädieren für einen
die 45000 Unterschriften gegen die Massen-
entspannteren Umgang mit der Flut der Nacktfilme (Hervorhebung EMMA) aus dem Internet.“
schlachtanlage gehen noch ans Wirtschafts-
Und die Politik? Die scheint das Problem nicht zu beschäftigen.
ministerium des Landes. Frau weiß ja nie.
Couragierte Alice Nkom
KatholikInnentag
Sie müssen sich nicht einmal küssen, um im Gefängnis zu
Im schönen, barocken Regensburg wird es
landen. In Kamerun reichen schon ein gemeinsamer Knei-
drei Tage lang heiß hergehen. Vom 28. Mai bis
penbesuch oder eine SMS, um Artikel 347a des Strafgesetz-
1. Juni findet dort der 99. Katholikentag statt:
buchs zu erfüllen: Sexuelle Handlungen zwischen Men-
„Mit Christus Brücken bauen“. Die Schwes-
schen gleichen Geschlechts werden mit bis zu fünf Jahren
tern dürfen mitbauen. Eins von neun Schwer-
Haft bestraft. Auch Nachbarn und sogar Eltern denunzieren
punktthemen ist den „Frauen und Männern“
gern jene, die aus der Geschlechterrolle fallen. „Die Lage
gewidmet, also der Geschlechterfrage. Dabei
ist geradezu hoffnungslos“, klagt Alice Nkom. Dennoch oder gerade deshalb hat die 69-jährige
geht es um „Das Ende der Bescheidenheit“
gebaut
werden:
für
Anwältin als einzige den Mut, homosexuelle Frauen und Männer vor Gericht zu vertreten. Dafür
von Frauen in kirchlichen Führungspositionen
wurde sie jetzt mit dem Menschenrechts-Preis von amnesty international ausgezeichnet. Alice
ebenso wie um gerechte Sprache oder sexu-
Nkom, zweifache Mutter und achtfache Großmutter, ist das Einzelkämpferinnentum gewohnt:
elle Gewalt. Dem Problem Prostitution &
1969 wird sie die erste Anwältin des Landes und gründet das Projekt „Lady Justice“ für Frauen-
Frauenhandel sind insgesamt sieben Veran-
rechte. 2003 folgt die „Association pour la Défense des Droits des Homosexuel(le)s“, kurz: AD-
staltungen gewidmet. EMMA-Mitarbeiterin
HEFHO. Rund sechzig Frauen und Männer hat Nkom bisher verteidigt. Jüngst forderte darum
Bettina Flitner stellt am Freitag ihre Fotoserie
ein Anwaltskollege im Fernsehen bibelschwingend ihren Tod. Aber Alice Nkom lässt sich nicht
„Freier“ vor und diskutiert mit bei „Stoppt
einschüchtern: „Solche Drohungen zeigen nur, dass unser Kampf weitergehen muss!“
Menschenhandel!“ www.katholikentag.de
Mai/Juni 2014 EMMA
11
012_013_Kultur 09.04.14 19:08 Seite 12
Kultur
TIPPS
Die Selbert im TV
Als Iris Berben 1950 geboren wurde, galt für Frauen noch der „Gehorsamsparagraf“: „Dem
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EMMA Mai/Juni 2014
Manne steht die Entscheidung in allen das eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“.
Ehefrauen waren zur Hausarbeit verpflichtet, der Gatte durfte ihre Kauf- und Arbeitsverträge
kündigen. Jetzt spielt Berben die Frau, die entscheidend mit dafür gesorgt hat, dass diese
Gesetze auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind: Elisabeth Selbert (1896–1986). Ihr
ist zu verdanken, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ am 23. Mai 1949 ins
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geschrieben wurde. Wie die Kasseler Juristin
und Sozialdemokratin Selbert Zehntausende Frauen gegen die ignoranten Politiker mobilisierte,
erzählt – pünktlich zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes – der ARD-Film „Sternstunde ihres
Lebens“. Drehbuch: Ulla Ziemann; Regie: Erica von Moeller; Produktion: Juliane Thevissen.
Elisabeth Selbert wäre begeistert gewesen. Sternstunde ihres Lebens, 21. Mai, 20.15 Uhr, ARD
20 Feet
From Stardom
Schon der Vorspann des oscarprämierten Dokumentarfilms
„20 Feet From Stardom“ ist programmatisch: Er zeigt Plattencover, auf denen die Köpfe der Frontsänger überklebt sind. Zu sehen sind nur die, die
sonst im Hintergrund stehen: die Backgroundsängerinnen. Deren großer Einfluss auf die
Geschichte der Rock- und Popmusik wird unterschätzt. Merry Clayton, Darlene Love und
Lisa Fischer heißen diese Sängerinnen, die ihr Leben lang auf der Bühne standen.
Niemand kennt sie, obwohl sie in Welthits von Joe Cocker, den Rolling Stones und Sting
mitsangen. Und ihre Stimmgewalt die der Frontsänger nicht selten übertraf – und inspirierte. Regisseur Morgan Neville rückt die Frauen ins Rampenlicht. Jetzt im Kino
Bildhauerin Sintenis
Komponistin Muntendorf
Sie hat den „Berliner Bär“ geschaffen, der,
Ob Musiktheater, Performance oder Elektro-
der jetzt die ganze Hauptstadt verschandelt –
nik, das „Experimentieren mit offenem Aus-
aber dafür kann sie nichts. Renée Sintenis
gang und das mutige Erkunden noch nicht
(1888 –1965) war eine bedeutende Bildhaue-
kartierter Handlungs- und Ausdrucksfelder“
rin, die viele Plastiken von Mensch und Tier
seien Grundzüge in den spartenübergreifen-
schuf – und im Berlin der 20er Jahre eine der
den Werken der Komponistin Brigitta Mun-
spektakulärsten Erscheinungen in der Da-
tendorf. Dafür verleiht ihr die Ernst-von-Sie-
menszene war. Jetzt zeigt Würzburg knapp
mens-Musikstiftung am 24. Mai in München
200 Werke der Bildhauerin. Museum im
den Förderpreis, dotiert mit 35 000 Euro.
Kulturspeicher Würzburg, bis 22. Juni
Muntendorf wurde 1982 in Hamburg geboren
und studierte u.a. bei Younghi Pagh-Paan in
Bremen und Rebecca Saunders in Köln. Hier
gründete sie 2009 auch das „Ensemble Garage“. Seit Oktober 2013
unterrichtet sie Komposition an der Universität
Siegen. JL
Manu Theobald/Ernst von Siemens Musikstiftung
FILM Das Mädchen Wadjda Der erste
Film aus Saudi-Arabien – von einer
Regisseurin – über ein afghanisches
Mädchen, das von einem Fahrrad und
der Freiheit träumt. Jetzt auf DVD. •
Yves Saint Laurent Er revolutionierte
die Mode für die moderne Frau und
steckte sie als Erster in Anzüge. Fünf
Jahre nach dem Tod von YSL jetzt ein
Film über ihn und seinen Lebensgefährten. • MUSIK Pumeza: Voice of
Hope Südafrikanische Traditionals
und Opernarien. Eine gewagte Mischung der Sängerin aus dem Township. Neneh Cherry: Blank Project
Seit 1996 das erste und diesmal düster-experimentelle Solo-Album der
Schwedin. Joan As Police Woman:
The Classic Das vierte Solo-Album der
Sängerin Joan Wasser tönt mitreißend soulig. Rainbirds: Yonder Katharina Franck hat „Blueprint“ und
zwölf weitere Rainbirds-Hits in tanzbare Elektronik-Songs verwandelt. •
AUSSTELLUNG Ulrike Rosenbach in
Bonn Vom 5.5. – 5.10. zeigt das Landesmuseum Werke der feministischen
Performancekünstlerin und Malerin.
Marianne Werefkin in Bietigheim Bis
6.7. zeigt die Städtische Galerie 100
Werke der großen Avantgarde-Künstlerin (1860 – 1938), "russischer Rembrandt" genannt. Ellen Gronemeyer in
Aachen Bis 15.6. zeigt das LudwigForum die erschreckend komischen
Bilder der jungen deutschen Malerin.
Ute Mahler in Hamburg Bis 29.6. zeigen die Deichtorhallen Fotos des Ostberliner Fotografenpaares Ute und
Werner Mahler. Sie wurde früh in der
DDR bekannt mit ihren modernen
Modefotos. Künstlerinnen in St. Pölten Bis 12.10. steht das Landesmuseum noch „im Zeichen der Frauen“, darunter: Elfriede Mejchar.
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Cannes: Campion! Ana Mendieta
Sie war die erste Regisseurin,
Die Kubanerin, die
die die Goldene Palme in
mit zwölf von ihren
Cannes erhielt. Und die letzte.
Eltern nach Amerika
Das war 1993 für „Das Piano“.
geschickt wurde, war
Da war sie gerade hoch-
erst 36 Jahre alt, als
schwanger und kam nicht zur
sie starb – aber hin-
Verleihung. Diesmal ist sie da,
terließ ein verzwei-
und wie. Jane Campion, 59, ist
felt-kühnes, vielfälti-
beim 67. Filmfestival an der Croisette die Präsidentin der Jury. Wer auch immer
ges Werk. Jetzt zeigt
die Preise diesmal kassieren wird, eine Jury unter ihrem Vorsitz wird die Frauen
Salzburg eine erste Retrospektive von Ana Mendieta
nicht ignorieren. Denn in allen Filmen der Neuseeländerin stehen Frauen im
(1948 –1985): 150 multimediale Arbeiten, von Foto bis zu
Mittelpunkt: vom „Engel an meiner Tafel“ (1990), die Verfilmung der Autobio-
Skulpturen (s. S. 25). Mendietas zentrale Themen sind:
grafie ihrer großartigen Landsmännin Janet Frame, bis hin zu der wahnsinnig
spannenden TV-Serie „Top of the Lake“ (2013, Star: ihr Alter Ego Holly Hunter).
Identität, Gewalt und Natur. Der sorgfältig editierte
Katalog „Traces“ erschien bei Hatje Cantz (35 €).
Museum der Moderne Salzburg, bis 6. Juli
Eric Gaillard/Reuters, © The Estate of Ana Mendieta Collection
Und immer sind die Bilder und Plots der Anthropologin und Regisseurin, die –
als Tochter einer Schauspielerin/Autorin sowie eines Regisseurs – ihre Drehbücher auch selbst schreibt, von avantgardistischer Kühnheit. Sie zeigt uns
Menschen und Landschaften mit anderem Blick. Übrigens: Frauen dürfen bei
Campion älter werden und weiße Haare haben. Ganz wie sie selbst.
Zweimal Musik in Frankfurt
Ab sofort können sich
Frauen auf die Bühnen:
Sisters in Law in München
Frauen für den Jazz-
Vom 7. bis 11. Mai findet in
workshop „Soulsisters“
Frankfurt das „Women of
Es ist eine der hinreißendsten Szenen des Films: Beatrice Ntuba und Vera
anmelden, Start: 11. Juli.
the World Festival“ statt.
Ngassa, die mit ihren weißen Gerichtsperücken stolz in die Kamera blicken.
Mädchen haben die
Diesmal u.a. mit ZAZ,
Gemeinsam kämpfen die Richterin und die Staatsanwältin in Kumba, einem
Chance, noch einen Platz
Angélique Kidjo, Wallis Bird,
Dorf in Kamerun, dafür, dass geschlagene und vergewaltigte Frauen zu
bei „Bandfieber“ zu er-
Mariza und Lisa Stansfield.
ihrem Recht kommen. „Sisters in Law“ ist einer von sieben Filmen der Britin
gattern, Start: 29. April.
womenoftheworld-
Kim Longinotto, die das Dokumentarfilmfest München im Rahmen einer
frauenmusikbuero.de
festival.de
Retrospektive zeigt. dokfest-muenchen.de, 7.–14.5.
Violette
Gabrielle
Gegen Ende ihres Lebens
Gabrielle ist 22, lebt in
hat sie gesagt: „Hätte ich
einer betreuten WG
ken und Gewehre schultern: Es
nicht geschrieben, wäre ich
und arbeitet als Hilfs-
ist eine bizarre Gesellschaft, die
vielleicht Putzfrau gewor-
kraft im Büro. In einem
Deborah Sengl für ihre erste
den.“ Zum Glück hat sie
Chor lernt sie Martin
große Ausstellung ins Essl Muse-
Rattenscharf
Ratten, die Pamphlete schwen-
geschrieben. Violette Leduc
kennen. Die beiden
um (bei Wien) zitiert. Mit fast 200
(1907–1972), die von Simo-
verlieben sich. Doch die Menschen in ihrer Umge-
präparierten weißen Nagern und
ne de Beauvoir entdeckt
bung reagieren schockiert – denn sowohl Gabriel-
dem schwarzen „Nörgler“ inter-
und gefördert wurde (hier
le als auch Martin sind geistig behindert. Dürfen
pretiert die Wienerin „Die letzten
beide im Café Deux Magots)
die beiden eine Beziehung miteinander haben?
Tage der Menschheit“, inspiriert
– und ihr das mit lebens-
Oder gar Sex? Gabrielle Marion-Rivard, die Haupt-
von Karl Kraus. Die Rattenpara-
langer amouröser Verehrung dankte. Martin Provost,
darstellerin, hat das Williams-Beuren-Syndrom
bel ist die bisher größte Arbeit
der Regisseur, hat unübersehbar ein Faible für große
(ein Gendefekt, der mit einer besonderen Bega-
der Künstlerin. Sengl ist hundert
Frauen, die aus dem Kleinen kommen. Nach der
bung für Musik einhergeht) und spielt sich quasi
Verfilmung des Lebens von Séraphine – der Putz-
selbst. Ihr zur Seite stellte Regisseurin Archam-
frau, die eine Malerin wurde – nun also Violette
bault den Schauspieler Alexandre Landry. Heraus-
uns“, der das Mit-
Leduc, die Autorin von La Bâtarde (Die Bastardin),
gekommen ist ein hinreißender Liebesfilm, der
einander schwer
die schon zu einer Zeit offen Frauen liebte, als das
behutsam die Grenzen zwischen Fürsorge und
noch gar nicht angesagt war. Ab 5. Juni im Kino
Bevormundung auslotet. Jetzt im Kino
Jahre nach Kraus geboren. Es ist „der Krieg in
macht, sagt sie.
D.B.B. Bis 25. Mai
014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 14
Menschen
Lena Dunham Das Rolemodel
Die unangepasste New Yorkerin revolutioniert das Frauenbild in ihrer Serie „Girls“ und im
Leben. Lena pfeift auf Größe 38 und Photoshop. Text: Christiane Heil. Foto: Splashnews.
N
ie hat ein Outfit die amerikanische Fernsehnation tiefer gespalten als der Bikini von Lena Dunham. Nach dem Auftritt
der Schauspielerin in der Serie „Girls“ in einem blaugrünen
Nichts über Hüftspeck und Cellulite fand die 80-jährige Moderatorin Joan Rivers es an der Zeit, die 27-Jährige an ihre Vorbildfunktion zu erinnern. Sie mahnte öffentlich: „Lena, weil du amüsant bist,
ist es in Ordnung so auszusehen wie du aussiehst. Aber rede anderen
Mädels nicht ein, dass sie sich auch so präsentieren sollen!“
Der Erfinderin, Regisseurin und Hauptdarstellerin der Serie
„Girls“, in der es um vier Mittzwanzigerinnen geht, die in Brooklyn
ihre Sexualität ausprobieren und nach dem Sinn des Lebens suchen,
hat sich nach drei Girls-Staffeln längst an Verrisse gewöhnt. Sie
sagt: „Beleidigungen lassen mich kalt. Niemand kann mich so sehr
hassen wie ich mich selbst. Jede Bösartigkeit, die jemand mir an
den Kopf werfen könnte, habe ich mir allein in der vergangenen
halben Stunde gesagt.“ Das sagt Lena zwar nicht als Lena, sondern
als Girls-Protagonistin Hannah. Sie macht allerdings keinen Hehl
daraus, dass ihr Drehbuch aus ihrem Leben geschöpft ist.
Seit „Girls“ im Frühjahr 2012 in den USA Premiere feierte,
polarisiert die 2013 vom Time-Magazine unter die „100 einflussreichsten Menschen der Welt“ gewählte Dunham wie keine andere. Ob beim Tischtennis mit nackten Brüsten, als ungelenke Kellnerin im Café Grumpy oder im Bett mit rammelnden Männern,
ihre Titelheldin Hannah gibt nie die sprichwörtlich gute Figur
ab. Ihre Brüste sind zu klein, die Hüften zu rund und die Rollen
am Bauch zu üppig. „Endlich weiß ich, dass ich keine Größe 32
tragen muss, um Sex zu haben“, jubelt seither nicht nur Bloggerin
Rhea Mirror.
Dunham, die als Tochter des Popart-Künstlers Carroll Dunham
und der Fotografin Laurie Simmons in Manhattans Künstlerviertel
Soho aufwuchs, wird mal als Frauenidol der Generation Y gefeiert,
mal als kleines, dickes Mädchen mit Hang zu Exhibitionismus verspottet. Aber alle kennen sie, alle regen sich über sie auf. Jeden
Sonntag schalten über eine Million AmerikanerInnen den Kabelkanal HBO an, um der zweifachen Golden-Globe-Preisträgerin und
„Herrin der Ängste“ beim (Über)Leben zuzusehen.
Dunham war der New York Times schon zu Schulzeiten durch
Eigenwilligkeit aufgefallen. Mal schrieb das Blatt über die Modeentwürfe der Elfjährigen, mal berichtete es über ein veganes
Abendessen der Sechzehnjährigen, bei dem sich die Girls über Justin
Timberlakes Musik mokierten („Bitte schreiben Sie, dass niemand
in diesem Raum eine CD von ihm besitzt“).
In diesen Jahren besucht Lena die Eliteschule Saint Ann’s in
Brooklyn Heights, in der auch Drehbuchschreiben, Kostümschneidern und Schauspielerei auf dem Lehrplan stehen. Rückblickend beschreibt sie sich als altkluge Besserwisserin. „Ich hatte
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EMMA Mai/Juni 2014
nicht viele Freunde. Viele haben mich abgelehnt, weil ich ständig
redete und den Leuten auf die Nerven fiel.“
Nach Abschluss der Highschool zog die New Yorkerin in den
Mittleren Westen und studierte an die Kunstakademie der liberalen
Universität Oberlin, wo sie sich für kreatives Schreiben entschied.
Als Zwanzigjährige verfasste sie erste Drehbücher, führte Regie und
versuchte sich an Kurzfilmen, deren Hauptdarstellerinnen unübersehbar autobiografische Züge trugen: komisch, ein wenig neurotisch und so uncool, dass sie schon wieder cool waren.
Nicht ganz unerwartet erzählt Dunhams erster Film „Tiny
Furniture“ die Geschichte der orientierungslosen Aura, die nach
dem Universitätsabschluss aus dem Mittleren Westen nach New
York zurückkehrt, wo sie sich als Kellnerin durchschlägt und
immer wieder auf egozentrische Männer reinfällt.
Dunhams provokante Nacktheit als Antwort auf die Dauersalven unrealistischer Körperideale hat ihr inzwischen den Ruf der
Verfechterin eines neuen amerikanischen Feminismus eingebracht. Wo Carrie Bradshaw und Freundinnen in der Kultserie
„Sex and the City“ Quickies in Spitzenunterwäsche absolvierten,
kommen die sexuellen Abenteuer von Dunhams Hannah Horvath
in „Girls“ realistisch schwitzig und unromantisch daher. Privat teilt
sie das Bett seit zwei Jahren mit Jack Antonoff, dem Gitarristen
der amerikanischen Band „Fun“.
Lena Dunhams Blick auf Amerika beschränkt sich allerdings
nicht auf den Mikrokosmos ihrer „Girls“-Protagonistinnen. So
warb sie bei der politisch zögerlichen Generation Y um Stimmen
für Barack Obama, und auch in der Debatte um die wieder aufgeflammten Missbrauchsvorwürfe der Tochter gegen Woody Allen
bewies Dunham Charakter. Via Twitter lobte sie den Offenen Brief
von Dylan Farrow, die Allen des sexuellen Missbrauchs bezichtigt,
als „mutig und kraftvoll“.
Dass das Eis für gesellschaftliche Rebellinnen gelegentlich dünner ist als erhofft, erfuhr Dunham bei ihrem Vogue-Cover. Da die
Unkonventionelle auf dem Titel des Glamourblattes ungewohnt
glatt daherkam, setzte der Blog „Jezebel“ eine Prämie für die unretouchierten Originale aus. Tatsächlich belegten dann die Aufnahmen, dass die Fotoredakteure von Vogue bei Dunhams Falten,
Hals und Kinn Hand angelegt hatten. Ein weiteres Mal entlud
sich ein Kübel Dreck im Internet über Lena. Die ließ sich nicht
einschüchtern: „Ich kann nicht nachvollziehen, warum es falsch
sein soll, eine Frau auf dem Cover zu haben, die anders als das
typische Model aussieht“, erklärte Lena Dunham gewohnt
selbstbewusst. „Egal ob mit oder ohne Photoshop.“
!
Termine
Immer mittwochs um 20.15 Uhr auf TNT Glitz: „Girls“
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Menschen
Stephanie Bschorr Die Unternehmerin
Sie zeigt als Präsidentin des Unternehmerinnenverbandes, dass Frauen als Arbeitgeberinnen
mehr verstehen von flexiblen Arbeitszeiten – und fordert die Quote. Text: Ursula Weidenfeld.
E
in bisschen wirkt es so, als habe sich Stephanie Bschorr
irgendwann einfach mal vorgenommen, Karriere-Juristin,
Vorzeige-Engagierte und Muster-Mutter Nummer 1 zu
werden. Die temperamentvolle Berlinerin ist Partnerin der Steuerberaterkanzlei HTG, seit zwei Jahren Präsidentin des Bundesverbandes der Unternehmerinnen (VdU), und Mutter zweier
gut geratener Söhne. Sie spricht mehrere Fremdsprachen, setzt
sich für den Berliner Dom und „Kinder in Not“ ein. Nebenbei
joggt und segelt sie, liest und reist, hilft bei den Hausaufgaben
und Referaten, bildet sich regelmäßig weiter.
Fröhlich schüttelt sie den Kopf. Geplant war das so nicht. Es
ist nur so gekommen.
Aufgewachsen ist die stets gut gelaunte Rheinländerin in
einem Kölner Arzthaushalt, mit zwei Geschwistern. Eine Familie
mit traditionellen Rollenmustern, die von den Kindern positiv
erlebt werden. Der Vater arbeitet, die Mutter, gelernte Kinderkrankenschwester, kümmert sich um Haushalt und Kinder. Stephanie Bschorr stellt das nie in Frage. Auch nicht, als sie selbst
zum Jura-Studium nach München geht, und dort ihren späteren
Mann, der ebenfalls Jura studiert, kennenlernt.
Nach dem Studium und einer Zeit in den USA gehen beide
nach Berlin. 1990, Berlin boomt. Er wird Anwalt und dann
Partner in einer der traditionsreichsten Berliner Rechtsanwaltskanzleien und Notariate, sie startet in der Steuerberatung. Als
die Kinder kommen, ist für beide sonnenklar, dass sie sich
darum kümmert.
Und doch verlässt sie in dieser Phase der Familiengründung den
traditionellen Weg. Sonnenklar ist für sie nämlich auch, dass sie
weiter arbeiten und vorankommen will. Auch wenn sie die Arbeitszeit reduziert, während er sich mit vollem Einsatz in seinem Beruf
engagiert. Um weiter arbeiten zu können, organisiert sie die Betreuung der Kinder mit Bekannten aus der Mutter-Kind-Gruppe
privat, und sie schafft es: Sie wird Partnerin in ihrer Kanzlei.
„Heute würde ich es anders machen“, sagt Bschorr trotzdem.
Wäre sie heute jung, gäbe es von vornherein eine echte Arbeitsteilung in der Familie. Wäre sie heute jung, könnte sie auch von
den neuen Arbeitszeitmodellen in ihrer 80-Personen-Kanzlei
profitieren. Arbeitszeitmodelle, die die jungen Männer und
Frauen selbstverständlich in Anspruch nehmen, ohne sich um
ihr Fortkommen zu sorgen. Den durch ihre eigene FamilienTeilzeit bedingten Gehaltsunterschied zu den anderen Partnern
in der Kanzlei gäbe es dann wohl auch nicht.
Auch deshalb hat sich die 48-Jährige zur Chefin des Unternehmerinnenverbandes wählen lassen. Der VdU brauchte vor
zwei Jahren, nach der schweren Erkrankung und dem Tod der
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EMMA Mai/Juni 2014
langjährigen Präsidentin Petra Ledendecker, einen Neustart.
Bschorr stellte sich zur Verfügung. Sie will dafür sorgen, dass die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf – „das ist immer noch der
Kern des Problems“ – für beide Geschlechter zufriedenstellend
geregelt wird. Der VdU ist der größte Zusammenschluss von
Unternehmerinnen und weiblichen Führungskräften in Deutschland. Er repräsentiert über 1600 Firmen mit einer halben Million
MitarbeiterInnen und einem Umsatz von 85 Milliarden Euro.
Die Unternehmerinnengruppe gilt zwar nicht gerade als die
Speerspitze der Revolution. Dazu würden Unternehmerinnen
wie Regine Sixt, Marli Hoppe-Ritter (Ritter-Sport), oder Rosely
Schweizer (Henkell Söhnlein) auch kaum taugen.
Doch vielleicht ist das in der derzeitigen Situation gar kein
Nachteil. In der öffentlichen Debatte entschieden, aber anschlussfähig zu sein, ist für Bschorr der größte Vorteil des VdU.
Weil von alleine nichts passiert, sagt sie. Man muss kämpfen,
reden, überzeugen.
Und auch mal aufstehen und gehen. Zum Beispiel in Verhandlungen mit der Bank. Maßlos geärgert hat sie sich, dass sie
erst einmal keinen Kredit bekam, als sie Teilhaberin der Kanzlei
werden wollte. Die Bank forderte eine Bürgschaft ihres Ehemanns. Sie brach die Gespräche ab und suchte sich ein Institut,
das in Gender-Fragen ein bisschen weiter entwickelt war.
Als Verbandspräsidentin und als Arbeitgeberin hat sie ein
feines Gespür dafür entwickelt, dass viele Unternehmen heute
gar nicht mehr gegen flexible Arbeitszeitmodelle, Jobsharing,
Quoten oder Mentoringprogramme für Frauen sind. Manche
haben sich aus Überzeugung geöffnet, manche notgedrungen,
wegen des absehbaren Fachkräftemangels. Deshalb lehnt Bschorr
einen harten Konfrontationskurs ab. „Wir müssen die Männer
gewinnen“ sagt sie, wenn man ihr vorwirft, im Lager der männlich bestimmten Wirtschaftsverbände zu anschmiegsam zu sein.
Ohne die Unterstützung der Männer in den Unternehmen,
sagt sie, werden die Frauen zwar über eine Quote in die Führungsetagen kommen – nur bleiben würden sie dort wahrscheinlich nicht. Da müsse man nur in die Führungsetagen der großen
Konzerne schauen. Dort seien in den vergangenen Jahren einige
Frauen in die Vorstände gekommen – die meisten seien schon
wieder weg. Viel klüger erscheint es der löwenmähnigen Juristin,
Verbündete zu suchen. Da seien die Männer, die selbst mehr Zeit
für die Familie fordern. Die Manager, deren Töchter Familie und
Karriere vereinbaren wollen. „Die müssen wir ins Boot holen,
wir dürfen sie nicht vor den Kopf stoßen,“ findet Bschorr – und
weiß sich mit dieser Position beim VdU gut aufgehoben.
Dessen Wahlspruch lautet: Fortschritt in Tradition.
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Menschen
Dilma Rousseff Die Präsidentin
Die brasilianische Staatschefin bekämpfte einst den Staat als Guerillera im Untergrund. Heute
kämpft sie für soziale Gerechtigkeit. Text: Eva Karnofsky. Foto: Friedemann Vogel/Getty Images.
I
nzwischen haben sich die Gemüter darüber beruhigt, dass
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff während der zwanzigjährigen Militärdiktatur in linken Widerstandsgruppen aktiv
war. Dilma – damals noch mit dicker schwarzer Hornbrille –
war Ende der Sechzigerjahre für die Guerilla als Kurier unterwegs und hatte angeblich Waffen unter ihrem Bett versteckt.
Sie selbst hatte immer bestritten, selbst an bewaffneten Aktionen
teilgenommen zu haben. Aber sie wurde dennoch verhaftet –
und gefoltert.
Heute ist das einstige Opfer des Regimes die Präsidentin
ihres Landes. Und wenn im Oktober gewählt wird in Brasilien,
hat die Ex-Guerillera gute Chancen, zum zweiten Mal gewählt
zu werden. Zwar wünschen sich die meisten der fast 200 Millionen BrasilianerInnen grundlegende Änderungen, doch viele
trauen der taffen ersten Frau im Regierungspalast zu, selbst das
Steuer herumreißen zu können.
Vor allem die aufstrebende Mittelschicht verlangt nach besseren Schulen, Universitäten und Krankenhäusern und ging
dafür in den letzten Monaten immer wieder auf die Straße. Die
Präsidentin versprach, sich darum zu kümmern, seitdem ist es
wieder ruhiger geworden. Man glaubt ihr, dass sie zu ihrem
Wort steht. Ebenso geht man davon aus, dass diese Frau die
Korruptionsskandale des staatlichen Energieriesen Petrobras in
den Griff bekommt, schließlich hat sie sich schon zu Beginn
ihrer Präsidentschaft mit aller Härte von Mitstreitern getrennt,
die in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten. 2012 hat die
Präsidentin mit Maria das Graças Foster erstmals eine Frau an
die Spitze des Weltkonzerns Petrobras gesetzt.
Dilma Rousseff, die 66-jährige Volkswirtin aus wohlhabender Familie, lenkt seit dem 1. Januar 2011 Brasiliens Geschicke.
Ihr populärer Vorgänger Lula hatte sie persönlich seiner Arbeiterpartei als Kandidatin vorgeschlagen. Zuvor hatte sie in Lulas
Regierung als Ministerin für Bergbau, Energie und Kommunikation und dann als Präsidialamtsministerin einiges bewegt.
Dilma ist eine Macherin: Sie initiierte ein Wachstumsprogramm, das Investitionen in Höhe von 183 Milliarden Euro in
die Infrastruktur, die Energieversorgung und die Stadtsanierung
vorsah. Und das nicht nur mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016, sondern vor
allem, um Brasilien zum global player zu machen. Zudem initiierte Dilma die Kampagne „Licht für alle“: Bis 2015 sollen alle
Haushalte in Brasilien Strom haben. Die Chancen stehen gut,
dass sie dieses Ziel erreicht. Die stetige Zunahme des Energieverbrauchs führt allerdings immer öfter zu Stromausfällen,
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EMMA Mai/Juni 2014
dennoch gehen die meisten Bürger davon aus, dass Dilma auch
da Abhilfe schaffen wird.
Als die Präsidentin gegen anfänglichen Widerstand entschied, dass für Brasiliens Erdölplattformen nicht mehr wie früher 15, sondern 60 Prozent nationale Materialien verwendet
werden müssen, bewies sie Weitblick. Es war zwar kurzfristig
teurer, führte jedoch zur Schaffung von 40 000 Arbeitsplätzen
auf brasilianischen Werften und brachte dem Land technisches
Know-how.
Schon als Guerillakämpferin war es Rousseff um die Abschaffung der Armut gegangen, und auch heute ist die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ihr oberstes Ziel. Deshalb setzt sie
immer zuerst auf Wachstum und erst dann auf Umweltschutz.
In Lulas Kabinett legte Dilma sich ständig mit Umweltministerin Marina Silva an. Die nahm schließlich ihren Hut, weil sie
die aggressive Wachstumspolitik nicht mittragen wollte.
Ein Parlamentsabgeordneter spottete damals, Dilma sei die
demokratischste Person der Welt – wenn man nur mit ihr einer
Meinung sei. Auch wurde geklagt, die harte Ministerin bringe
selbst Mitarbeiter zum Weinen. Darauf antwortete Dilma cool:
„Ich finde es interessant, dass eine Frau, wenn sie eine Führungsposition ausübt, immer als hart und rigide charakterisiert
wird.“
Privat gilt die zweimal geschiedene Dilma keineswegs als
hart. Sie meditiert, verbringt ihre Freizeit mit ihren beiden
Hunden, liebt Literatur, Filme von Glauber Rocha und Musik
von Wagner, Puccini, den Beatles und Chico Buarque. Und sie
mag die neuen Technologien: Auf ihrem iPad, von dem sie sich
kaum je trennt, betrachtet sie gern ihre virtuelle Kunstgalerie.
Sie hat aus der zweiten Ehe mit einem Rechtsanwalt eine Tochter
und ist seit 2010 Großmutter.
Die Guerillera war 1970 festgenommen, gefoltert und zu gut
sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihre Folterer zeigte
sie später an – vergeblich. Sie waren durch ein Amnestiegesetz
geschützt. 2006 wurde Dilma immerhin eine Entschädigung
zugesprochen. Als Präsidentin konnte sie dann ein Gesetz
unterzeichnen, das eine Wahrheitskommission ins Leben rief,
die allen Menschenrechtsverletzungen aus dieser Zeit nachgehen soll. Die Präsidentin von Brasilien hat ihre politische
Vergangenheit nicht vergessen.
emma.de
Dossier: Qué mujeres – von Müttern & Machos (4/10)
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Menschen
Margaret Atwood Die Realistin
Die in der Wildnis aufgewachsene Tochter von InsektenforscherInnen hat bis heute nicht
gelernt, straight zu denken. Text: Alexandra Kedves. Foto: Imeh Akpanudosen/Getty Images.
S
ie sind groß, grünäugig und geheimnisvoll, die vier Neugeborenen in dem Lehmhüttenhaufen, der nach der Apokalypse
irgendwie zum Nabel der Welt geworden ist. Oder zumindest
zum Nabel der Menschheit. Der Menschheit? Die vier Babys sind
Mischlinge: Sie haben Menschenmütter und genmanipulierte Halbmenschenväter, und keiner weiß, was das für die Zukunft bedeutet.
Fürs Finale von Margaret Atwoods jetzt auf Deutsch erschienenen
Roman „Die Geschichte von Zeb“ (im Original „MaddAddam“) –
und damit ihrer großen Endzeit-Trilogie – bedeutet es jedenfalls
ein halbes Happy End. Die Kult-Kassandra schenkt sich und uns
einen Hoffnungsschimmer, nachdem die Spezies Homo sapiens
den Karren an die Wand gefahren hat. „Ich habe nicht die
geringste Ahnung, wie sich in Wirklichkeit alles entwickeln wird“,
sagt sie dazu und gestattet sich ein Lächeln zwischen Schalk und
Wehmut. Das überrascht bei dieser Autorin, die seit der Veröffentlichung von „The Handmaid’s Tale“ („Der Report der
Magd“) im Jahr 1985 von vielen wie eine Prophetin verehrt wird –
eine harte, eine strenge Prophetin.
Atwoods Albtraum von einer christlichfundamentalistischen USDiktatur, die Frauen versklavt, wirkte in den 90ern weit hergeholt.
Mittlerweile aber, in Zeiten der allgemeinen Fanatisierung und Überwachung, wirkt das Szenario ungemütlich vertraut. Dass Atwood im
scheinbar Fernsten stets so zielgenau das Eigene, Unsere trifft, liege
daran, dass sie eben keine Science-Fiction schreibe, erklärt sie.
Zu den realitätsverankerten literarischen Zukunftsforschern zählt
die Autorin etwa Aldous Huxley, George Orwell und, mit Verve,
sich selbst: Wenn durch ihren Action-starken „Zeb“ intelligente
Transplantationsorganschweine trotten, wenn dort Bienen als rare
Kostbarkeit verehrt und Menschen genmanipuliert werden, wenn
künstlich erzeugte Krankheiten die Menschheit ebenso in Schach
halten wie die Kameraaugen allüberall, ist das kein Phantasma.
Schließlich wollte die 1939 in Ottawa geborene Tochter von
InsektenforscherInnen, die in der kanadischen Wildnis aufwuchs
und erst mit elf Jahren eine öffentliche Schule besuchte, selbst einmal Naturwissenschaftlerin werden. „Mein Bruder und ich hatten
kein Fernsehen, kein Radio, keine Spielkameraden, und die Science
Fiction-Welten waren ein Paradies für uns. Doch bereits damals war
klar: Er kann sich so was viel besser ausdenken als ich.“ Sie lacht.
Ich begegne der Schriftstellerin aus Toronto in Greater Norwich. Die großartige kleine Stadt im Südosten Englands mit rund
230 000 Einwohnern hat viele Pluspunkte. Norwich verfügt über
eine phänomenale Buchladendichte, eine Universität von internationalem Renommee (University of East Anglia, UEA) – und seit
2012 über den Titel „Unesco City of Literature“.
Chris Gribble, der Chef des Writer Centers, findet im Morgengrauen Zeit für einen vogelkundlichen Spaziergang mit der
20
EMMA Mai/Juni 2014
passionierten Ornithologin Margaret Atwood und ihrem Mann.
Eine Ehrensache für ihn, die Autorin ist ja als (dritte) „Unesco
Visiting Professor for Creative Writing“ für zwei Monate in Norwich und lehrt an der UEA. Atwood gewährt hier nicht nur dem
Nachwuchs Einblicke ins Geschäft des Schreibens. Sie tritt auch
am Literaturfestival auf – und wie! Frisch wie eine Kindergärtnerin singt sie da aus dem zweiten Band ihrer Endzeit-Trilogie ein
Kinderlied vor und animierte das Publikum zum Mitmachen.
Die 74-Jährige ist nach einer ersten, gescheiterten Ehe seit vier
Jahrzehnten mit dem Ex-Romancier Graeme Gibson zusammen.
Was sie nicht hindert, in ihrem Werwolf-Gedicht das heulende
Männermonstrum abzukanzeln und sich sich vor den langbeinigen, manikürten Wölfinnen von heute zu verneigen. Und sie liest
in diesem trockenen Atwood-Ton aus „Zeb“, lässt sich auf naturwissenschaftliche Exkurse ein, um endlich bei ihrem Credo zu
landen: „I am a strict agnostic.“
Die scheinbar alterslose Prophetin mit 400 000 Twitter-Followern hält den Humanismus und die Naturwissenschaften für die
Leitplanken auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft. Darin
könnten auch ihre Tochter und ihre beiden Enkelkinder gut
leben. Denn: „Nicht alles am Fortschritt ist schlecht, Nierentransplantate von Schweinen etwa sind genial.“
„Die Geschichte von Zeb“ erzählt auch von einem misanthropischen Forscher, der eine umweltverträglichere, freundlichere Spezies
schaffen will, als wir Menschen es sind: die Craker. Und es gelingt
ihm. Was ihm nicht gelingt, ist, den Hunger nach einem Gott,
einer Ursprungserzählung, nach Erzählen und Singen überhaupt,
auszumerzen: Eine brillante Pointe in diesem brillanten Roman, der
sich ansonsten, in all seiner knallharten Intellektualität, vor der
Kraft der Natur verneigt. „New York wäre nach der Kapitulation
des Menschen schneller überwuchert, als man schauen kann“, sagt
die Booker-Preis-Trägerin und Verfasserin von 14 Romanen sowie
Gedicht- und Erzählbänden, Libretti und Sachbüchern.
Unbequem, wie immer, stellt Atwood in „Zeb“ die Figuren denn
auch vor ein moralisches Dilemma: Darf man drei Menschen töten,
um die Gruppe, die Menschheit, zu retten? Ihre Antwort lautet: Ja.
Man habe von ihr ja auch nie verlangt, ein braves Mädchen zu sein,
sagt sie vergnügt – und strahlt dabei wie eine, die das ohnehin auf
keinen Fall geworden wäre. „Alice Munro hatte es diesbezüglich
schwerer“, sagt sie. Eine tragische Kassandra ist Margaret
Atwood jedenfalls nicht. Eher eine feurige Wahrsagerin.
Gekürztes Portrait aus dem Schweizer Tages-Anzeiger (18.3.2014)
Weiterlesen
Margaret Atwood: Die Geschichte von Zeb (Berlin Verlag, 22.99 €)
014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 21
Sven Simon/imago
022_023_Schwesig_korr2 11.04.14 15:41 Seite 22
SPD-Frauenministerin Schwesig führt von der Leyens Politik weiter.
Die Frauenministerin
auf dem richtigen Weg
A
uf die Frage des Spiegel nach ihrer
Meinung zum Betreuungsgeld
reagierte sie erwartungsgemäß
kritisch und erklärte: „Mein Mann und
ich haben gute Erfahrungen mit dem
Kita-Besuch unseres Sohnes gemacht.“
Mein Mann und ich. Der Vater zuerst.
Und genau so ist es in der Tat in ihrem
Leben. Der Mann, von Beruf Kaufmann,
arbeitet teilzeit, um sich um den inzwischen siebenjährigen gemeinsamen Sohn
in Schwerin kümmern zu können. Sie
macht derweilen Karriere als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend. Dennoch sagt sie, nehme sie
sich jede Woche einen Nachmittag frei,
um dem Sohn bei den Hausaufgaben helfen zu können.
In der Person der 40-jährigen Manuela
Schwesig kommen die Erfahrungen des
Protestes der Frauenbewegung West und
des Selbstbewusstseins der Frauen Ost
zusammen. Schließlich waren die OssiFrauen schon Kranführerinnen, als die
22
EMMA Mai/Juni 2014
Wessi-Frauen ihre Ehemänner noch um
Erlaubnis bitten mussten, nebenher arbeiten gehen zu dürfen. Konkret: Die Mutter der Frauenministerin war Statistiker,
der Vater Schlosser. Und die Tochter ist
nach einem Umweg über das Finanzamt
genau da gelandet, wo sie hin wollte: in
der Familienpolitik.
Denn eigentlich wollte Schwesig Kinderheimerzieherin werden, hat sie mal
verraten. Als Ministerin allerdings kann sie
nicht zuletzt für Kinder mehr bewirken.
Mit ihrer Familienpolitik knüpft die SPDSeiteneinsteigerin (erst seit 2003 in der
Partei) an die Politik ihrer Vorvorgängerin
Ursula von der Leyen an. Und sie führt
deren emanzipierte Politik nicht nur fort,
sondern weiter. Seit sie Ministerin ist,
macht Emanzipation wieder Schlagzeilen.
Hier ihre interessantesten Vorstöße:
Die 32-Stunden-Woche für Mutter und
Vater. Mit der Idee preschte Schwesig
wenige Wochen nach Amtsantritt vor und
erntete prompt Schlagzeilen. Zwar äußerte
die Kanzlerin sich zurückhaltend und
sprach Regierungssprecher Steffen Seibert
von einem „persönlichen Debattenbeitrag“
der Ministerin, doch ist das Thema, das in
der Opposition auch Andrea Nahles schon
angeschlagen hatte, seither auf dem Tisch.
Das Elterngeld plus ist eine richtig gute
Idee! Es soll das Aussteigen der Mütter aus
dem Beruf abbremsen. 40 Prozent aller
deutschen Frauen steigen für drei oder
mehr Jahre aus, wenn sie ein Kind bekommen. Dagegen setzt die Ministerin das
Elterngeld plus: Erhöhung von 14 auf 28
Monate, wenn der zu Hause gebliebene
Elternteil wieder arbeiten geht.
Plus Partnerschaftsbonus Arbeiten Mutter
und Vater Teilzeit (zwischen 25 und 30
Stunden), verlängert sich das Elterngeld
um weitere vier Monate. Zu dem Paket gehört auch der Rechtsanspruch, von Teilzeit
wieder in Vollzeit zu wechseln.
022_023_Schwesig_korr2 11.04.14 15:42 Seite 23
Und die Frauenquote? Zusammen mit
SPD-Justizminister Maas hat die Frauenministerin am 26. März „Leitlinien“ für
ein halbherziges Gesetz vorgestellt, das
2015 in Kraft treten soll. Es sieht eine
Mischung aus verbindlichen Quoten und
Flexi-Quote vor. 30 Prozent Frauen in
Aufsichtsräten großer Aktiengesellschaften
bei Neubesetzungen ab 2016 (betrifft 110
Unternehmen), verbindliche Quotenpläne
bei Unternehmen mit mehr als 50 Prozent Bundesbeteiligung (wie die Deutsche
Bahn), eigenverantwortliche Frauenförderpläne bei börsennotierten Unternehmen
(davon wären 3 500 Firmen betroffen). –
Das alles reicht nicht, wäre aber ein erster
Schritt.
Ebenfalls in die Debatte eingebracht
hat Schwesig eine steuerliche Erleichte-
„Mein Ziel ist eine
Partnerschaft auf
Augenhöhe bei Kindererziehung und Beruf.“
MANUELA SCHWESIG
rung für Alleinerziehende. Und dass auch
sie für den Mindestlohn ist, und zwar
ohne Unterscheidung nach West und Ost,
versteht sich. „Mein Ziel“, erklärt Schwesig, „ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe
bei Kindererziehen und Beruf“.
Die Chancen, das Angekündigte in
absehbarer Zeit auch durchzusetzen, stehen nicht schlecht. Schließlich demons-
triert auch der SPD-Parteivorsitzende
Gabriel öffentlich seine Mitverantwortung als Vater (und ist übrigens mit einer
berufstätigen Zahnärztin aus dem Osten
verheiratet).
Und Kanzlerin Merkel? Die hält sich zwar
persönlich bedeckt in der Frauenfrage, ist
aber doch diejenige, die von der Leyen zunächst zur Frauenministerin und sodann
zur Verteidigungsministerin gemacht hat.
Kommentar Genossin Schwesig: „Ich finde
gut, dass mit Ursula von der Leyen erstmals eine Frau Verteidigungsministerin ist.
Unabhängig vom Parteibuch.“
Hört sich ganz so an, als käme endlich
wieder eine gewisse Frauensolidarität auf
in der Regierung, unabhängig vom
Parteibuch.
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024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:21 Seite 24
E
s gibt da diese beiden Zahlen, die
ihm keine Ruhe lassen: Die 28 und
die 10. Die erste stammt aus dem
Jahr 1985, die zweite aus dem Jahr 2012.
Und hinter diesen Zahlen verbirgt sich,
sagt Kriminologe Christian Pfeiffer, eine
„besorgniserregende Entwicklung“. Man
könnte es auch anders nennen: ein handfester Skandal.
1985 endeten 28 Prozent aller Anzeigen
wegen Vergewaltigung mit der Verurteilung des Täters. Mehr als jeder vierte Vergewaltiger landete also hinter Gittern –
oder bekam eine Bewährungsstrafe. Heute
ist es nur noch jeder zehnte. Anders gesagt:
90 Prozent aller (mutmaßlichen) Täter
werden nicht zur Verantwortung gezogen.
Und das gilt nur für die angezeigten Fälle,
also das so genannte Hellfeld. Das riesige
Dunkelfeld ist gar nicht eingerechnet: All
die sexuellen Übergriffe, die die Opfer aus
Scham, Angst oder fehlendem Vertrauen
in die Justiz für sich behalten und die nie
in irgendeiner Statistik landen.
Pfeiffer ist Leiter des Kriminologischen
Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN)
und ehemaliger niedersächsischer Justizminister – und er will wissen, warum das so
ist. Was ist in den letzten 30 Jahren passiert, dass Opfer, die eine Vergewaltigung
anzeigen, es in der Justiz mit einer „beständig sinkenden Verurteilungswahrscheinlichkeit“ des Täters zu tun bekommen?
Das würden Pfeiffer und seine KollegInnen
gern herausfinden. Einige Verdachtsmomente hat Kriminologe Pfeiffer schon jetzt.
Verdachtsmoment Nr. 1: „Früher waren 30
bis 40 Prozent fremde Täter. Diese Zahl ist
drastisch rückläufig. Heute finden die meisten angezeigten Vergewaltigungen im sozialen Nahfeld statt.“ Jeder zweite sexuelle
24
EMMA Mai/Juni 2014
Übergriff passiert durch den eigenen Freund
oder Ehemann beziehungsweise Ex-Mann.
Jeder fünfte Vergewaltiger ist ein Bekannter
oder Nachbar, jeder zehnte ein Familienmitglied. In 69 Prozent der Fälle ist der
Tatort die eigene Wohnung.
Das wird auch schon 1985 so gewesen
sein. Aber offenbar hat bei den Frauen ein
Bewusstseinswandel stattgefunden: Seit
1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe
strafbar. Frauen nehmen es nicht mehr
hin, dass die Gewalt im Namen der Liebe
erlaubt sein soll. Aber: Wenn der eigene
Ehemann, Lebensgefährte oder Ex-Freund
der Täter ist, lässt sich die Tat noch
schwerer beweisen. Auch wenn die Kriminaltechnik in den letzten drei Jahrzehnten
Nur noch jede
zwölfte Anzeige führt
zu einer Verurteilung.
Quantensprünge gemacht hat – was nutzt
der DNA-Test, wenn der Täter schlicht
und einfach behauptet, es habe sich um
„einvernehmlichen Sex“ gehandelt?
Verdachtsmoment Nr. 2: Diese Behaup-
tung ist unter anderem deshalb so schwer
zu widerlegen, weil der Vergewaltigungsparagraf § 177 dringend reformbedürftig
ist. Das Gesetz sieht vor, dass der Täter
Gewalt anwenden bzw. seinem Opfer „mit
einer Gefahr für Leib und Leben“ drohen
muss. Immer wieder haben Gerichte das
Ausmaß an Gegenwehr, das eine Frau
leisten muss, damit die Tat überhaupt als
Vergewaltigung gewertet wird, höchst
erstaunlich definiert. Allen voran der
Bundesgerichtshof, der 2006 einen Freispruch wie folgt begründete: Dass „der
Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen
deren ausdrücklich erklärten Willen den
Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“,
belege „nicht die Nötigung des Opfers
durch Gewalt. Das Herunterreißen der
Kleidung allein reicht zur Tatbestandserfüllung nicht aus“.
Andere RichterInnen folgen dem
höchstrichterlichen Vorbild. Der letzte
spektakuläre Fall dieser Art war der Freispruch von Roy Z. durch das Landgericht
Essen im November 2012. Der 31-jährige
schwere Alkoholiker, dessen Gewalttätigkeit aktenkundig war, hatte in seiner
Marler Wohnung eine 15-Jährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte zuvor gesagt:
„Nein, ich will das nicht“, die Vergewaltigung aber aus Angst über sich ergehen
lassen. Roy Z. gehörte nach Ende des
Prozesses zu den 92 Prozent Tätern, die
keinerlei Konsequenzen zu tragen haben.
Es gibt in Deutschland viele solcher
Fälle, die meisten machen aber keine
Schlagzeilen. Rund drei Viertel der Verfahren wird noch vor dem Prozess von den
Staatsanwaltschaften eingestellt. Mit Begründungen wie dieser: „Aus der Tatsache,
dass der Beschuldigte Haus- und Studiotür
abgeschlossen hatte, kann nicht der Schluss
eines strafbaren Verhaltens gezogen werden.“ Oder dieser: „Sie empfanden die
Handlungen des Beschuldigten als abstoßend und verkrampften sich für ihn erkennbar. Dass der Beschuldigte dennoch versuchte, den Vaginalverkehr durchzuführen
und dabei auch oberflächlich eindringen
Ana Mendieta: Beschwörung der Olokun-Yemaya, 1977 © The Estate of Ana Mendieta Collection (siehe auch S. 13)
Gewalt
in Beziehungen
024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:22 Seite 25
konnte, stellt jedoch keine gewaltsame Erzwingung dieser sexuellen Handlung dar.“
Auf der Website „vergewaltigt.angezeigt.
eingestellt“ sammeln Opfer diese Art von
Begründungen für Verfahrenseinstellungen und Freisprüche, die den immer noch
zutiefst patriarchalen Blick der deutschen
Justiz auf sexuelle Gewalt werfen: Der
Mann darf davon ausgehen, dass ihm eine
Frau grundsätzlich sexuell zur Verfügung
steht. Welche Rolle spielen also die Formulierung des § 177 und vor allem die
höchstrichterliche Rechtssprechung für
die bedrückend niedrige Verurteilungsquote von 8,4 Prozent?
Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) kämpft
seit Jahren für eine Reform des täterfreundlichen Vergewaltigungsgesetzes. „Vergewaltigung – Schluss mit der Straflosigkeit!“ fordert auch Terre des Femmes in einem
Appell, den über 20 000 Menschen unterzeichnet haben. Die Unterschriften sollen
im Mai Justizminister Heiko Maas (SPD)
übergeben werden.
Verdachtsmoment Nr. 3: Betrachtet man
die einzelnen Bundesländer, fällt auf: Es
gibt ein riesiges Gefälle zwischen Ländern
mit den höchsten und denen mit den
niedrigsten Verurteilungsquoten: von 24
Prozent zu vier Prozent. „Wir haben eine
gesplittete Republik“, warnt Kriminologe
Pfeiffer. „In einigen Bundesländern funktioniert der Rechtsstaat bei Vergewaltigungen, in anderen offenbar nicht.“
Hinzu kommt: Bei den Ländern mit
hohen Verurteilungsquoten gibt es laut
KNA keinen Unterschied zu anderen Gewalttaten. Der Tatverdächtige einer Vergewaltigung wird also genauso häufig angeklagt und verurteilt wie jemand, gegen den
wegen Raubes ermittelt worden ist. In
Ländern mit einer niedrigen Verurteilungsquote von vier Prozent ist das anders: Hier
werden Tatverdächtige anderer Gewalttaten, 3,5 mal häufiger verurteilt als mutmaßliche Vergewaltiger.
26
EMMA Mai/Juni 2014
Christian Wyrwa
024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:22 Seite 26
„In manchen Bundesländern funktioniert
offenbar der Rechtsstaat nicht.“
KRIMINOLOGE CHRISTIAN PFEIFFER
Pfeiffer hat auch hier eine Vermutung:
„Es gibt offenbar große Unterschiede zwischen den Ländern, was die Arbeitsweise der
Polizei anbelangt.“ Entscheidend dafür, ob
ein Strafverfahren eingeleitet wird, sei zum
Beispiel, wie die Aussage des Opfers aufgenommen wird. So mache es einen enormen
Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Aussage in eigenen Worten notiert oder ob sie
per Tonband oder Video aufgezeichnet
werde. Ein Beispiel: „Ein Opfer hatte ausgesagt, der Täter habe sie an den Armen
festgehalten“, erzählt Pfeiffer. „In der Version des Polizisten wurde daraus, der Täter
habe das Opfer ‚umarmt‘.“
Das Kriminologische Forschungsinstitut will auch diese Einflüsse untersuchen.
Und Kriminologe Pfeiffer steht nicht
allein mit seinem Alarmruf. Am 31. März
hatte Frauenministerin Schwesig ein Jahr
nach dem Start des „Hilfetelefons Gewalt
gegen Frauen“ (www.hilfetelefon.de) Bilanz
gezogen. „Die Zahlen sind erschreckend“,
sagte Schwesig. 47 504 Mal haben zwischen 8. März und 31. Dezember hilfesuchende Frauen und Mädchen die Nummer
08000/116 016 gewählt, das macht fast
160 Anrufe pro Tag. 18 800 mal wurde aus
dem Anruf ein Beratungsgespräch.
Rund um die Uhr sind 60 geschulte
Beraterinnen im Kölner „Bundesamt für
Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben“ im Einsatz. Anruferinnen können in
15 Sprachen, einschließlich Gebärdensprache, beraten oder an die passenden
Beratungsangebote vermittelt werden.
Die meisten Frauen, nämlich 6 471,
riefen an, weil sie Opfer der so genannten
„Häuslichen Gewalt“ sind. Täter ist also
der eigene Ehemann oder Lebensgefährte.
Jede siebte Anruferin (rund 2 600) meldete
sich, weil sie „Gewalt außerhalb von Paarbeziehungen“ erlitten hatte.
Auch die aktuelle EU-Studie, für die
42 000 Frauen in allen 28 Mitgliedsstaaten befragt wurden, förderte ein erschreckendes Ausmaß an Gewalt zutage: Jede
dritte Frau in Deutschland war/ist seit
ihrem 15. Lebensjahr Opfer körperlicher
und/oder sexueller Gewalt. Jede fünfte hat
diese Gewalt in ihrer Beziehung oder
durch den Ex-Mann erlitten.
Kriminologe Pfeiffer und sein Forschungsinstitut können diese Gewalt
nicht verhindern. Aber sie könnten womöglich herausfinden, warum die Täter
in Deutschland immer öfter ungestraft
davonkommen – und damit die Opfer
ermutigen, sich zu wehren.
CL
emma.de
Sexualgewalt: Haben Opfer eine Chance?
(4/11), Vergewaltigung, das straflose
Verbrechen (4/10)
024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:22 Seite 27
D I E P H I LO S O P H I N
Wohin mit
dem Krieg?
E
in Wort wird zentnerschwer:
K-R-I-E-G. Natürlich kennen wir
das Wort, aber für die meisten von
uns bezeichnet es Nachrichten von
anderswo. Oder ein Etwas aus Geschichtsbüchern. Der 1. Weltkrieg ist
ein fernes Gespenst. Der 2. Weltkrieg
endete 1945, unsere Mütter oder Großmütter
haben ihn noch erlebt. Aber wenn wir jünger als
70 Jahre alt sind? Dann sind wir Friedenskinder.
Wir kennen Erzählungen und Fotos von Elend
und Luftschutzkellern. Vereinzelt noch Baulücken in Städten. Hinzu kommen aktuelle aber
ferne Kriege aus zweiter Hand, Nachrichtenschnipsel, wackelige Kamerafahrten, KommentatorInnen vor hastig arrangiertem Hintergrund.
Wir misstrauen den Bildern, während sie uns
zugleich gefangen halten. Wenn wir aber hinsehen: Was wäre zu tun? Scham und Ohnmacht
mischt sich mit der gleichwohl vorhandenen
Erleichterung, „hier“ sicher zu sein.
Ein diffuser Schrecken: Krieg ist die Katastrophe
schlechthin. Ich zum Beispiel empfinde neben
den Bombentoten oder Schusswaffen das als
besonders fürchterlich, was zwischen Uniformierten und Zivilisten passiert, was marodierende
Milizen anrichten. Dazu das, was Schmerzen,
Verletzungen, Tod wie eine Lache umgibt,
die auch in Jahrzehnten nicht trocknen wird:
Angst, Grauen, Trauer, Panik, Verrat. Der Zerfall jeglicher Freundschaft und Fürsorge. Zu
lindern ist das nicht – oder eben durch Hass.
Hass wiederum treibt Kriegsbereitschaft und
Kriegsgeschäfte weiter voran. Überhaupt, ja:
die Geschäfte. „Sicherheit“ ist ein Gut, dessen
Aktienkurse man durch Kriegsangst und Krieg
hochtreibt. Es gibt Ökonomien des Krieges,
Branchen, für die sich Krieg rechnet, und militärische Eliten, deren Handwerk er ist. Die
Soldaten und neuerdings auch Soldatinnen
sind nur zu verheizendes Material.
Und Waffen sind Material, das verbraucht sein
will, zumal in Zeiten, in denen es kein teures
(also lukratives) Wettrüsten mehr gibt. Die
„neuen“ Kriege gehen darum so: Immer seltener
steigen heute ganze Staaten offiziell ein. Stattdessen toben heute, wo geschossen, vergewaltigt,
verstümmelt wird, die Wölfe: Warlords, Clanchefs, Milizen, Söldner, Mafia. Ein schmutziger
Alptraum mit leisem Beginn und ohne Ende.
Krieg ist nach wie vor Männersache, auch das
macht ihn gespenstisch. Trotz Frauen im
Soldatenberuf: In der Eskalation fallen die Geschlechterrollen wieder brutal auseinander.
Schon lange sterben in Kriegen prozentual mehr
Zivilpersonen als Militärs. Systematische Vergewaltigungen sind ein Instrument auch der Kriegführung des 21. Jahrhunderts. Und das Leben
danach mit den Ex-Kämpfern, die das Vergewaltigen und Morden professionell betrieben
haben? Frauensache. Das Grauen geht auch
nach Kriegsende im Kleinen weiter.
Wohin also mit dem Krieg? Einfach nur hoffen,
dass er uns nicht trifft? Und wenn ich etwas
tun will: Wie kann ich heute noch friedenspolitische Zeichen setzen? Gibt es Friedensdemonstrationen, die hie die Waffenproduzenten und
da die Warlords, marodierende Milizionäre, die
Mafia beeindrucken? Oder auch nur den Sohn
meiner Nachbarin, der mit Kumpels weltweit
World of Warcraft spielt? Ist ja nur ein Spiel,
meinte die Nachbarin, eine überzeugte Pazifistin. Unlängst meldete ihr Sohn sich als Zeitsoldat zum Bund. Gewalt öffentlich anprangern,
Heroisierung verweigern, Bilderkonsum hinterfragen. Reicht das aus?
Ich habe Traum: Lasst uns in großem Stil weibliche Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufnehmen!
Öffnet die Kindergärten für afghanische Mädchen, bietet ihren Müttern Wohnraum und
einen Job, schafft Studienplätze für syrische
Studentinnen, holt weibliche afrikanische Vertriebene – kurzum: Schafft ein Weltgastrecht
für Frauen! Aufenthalt so weit und so lange sie
es wollen. Nehmen wir den kriegführenden
Parteien die andere Hälfte der Menschheit weg,
ihr Ruhekissen und ihre Zukunft.
Angenommen, diejenigen, zu denen Soldaten,
Waffenschmuggler, Milizionäre zurückkehren
wollen, könnten mit den Füßen abstimmen.
Angenommen, ihre Frauen, ihre Mütter, ihre
Töchter wären keine Geiseln des Territoriums
mehr. Dann endlich würde Krieg sich nicht
mehr lohnen.
„
Ich habe einen
Traum. Lasst uns
weibliche Flüchtlinge
aus Kriegsgebieten
aufnehmen. Ein Weltgastrecht für Frauen
schaffen!
PETRA GEHRING
lehrt Philosophie an der
TU Darmstadt. Zahlreiche
Veröffentlichungen.
Mai/Juni 2014 EMMA
27
028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:38 Seite 28
workers
Equality
economic
framework
Guarantee
men
European
Ensure
justice
gender
EU equality
Europe
internal
equal
realise
Independence
access
Strategie
Gender
implement
UN
Adopt poverty
sexual
violence realisation
work
Women
women
level policies
develop
Parliament
forms
promotion
sustainable
groups
ensure
end
discrimination
future
democracy
Establish
comprehensive
action
girls directive
support
process
elections
human
political
social
rights
one
Zwischen dem 22. und 25. Mai sind rund 400 Millionen
Wahlberechtigte der EU-Staaten aufgerufen, das EUParlament zu wählen, darunter 62 Millionen Deutsche.
Zur Wahl stehen 751 Abgeordnete (z. Zt. sind 35 Prozent Frauen). Doch die Motivation der EuropäerInnen
ist schwach. 2009 gingen nur noch 43 Prozent an die
Urnen. Was bedauerlich ist, gerade für Frauen. Denn
in Brüssel werden Empfehlungen und sogar Gesetze
zur Gleichstellung der Frau geschmiedet, die die
heimischen Paschas auf Trab bringen und oft fortschrittlicher sind als das nationale Recht. Das gilt auch und
gerade für Deutschland. Gleichzeitig aber gibt es
ein sehr berechtigtes Unbehagen der BürgerInnen an
der Europäischen Union. Die straffe Zentralisierung,
Bürokratisierung und Normierung übergeht oft nationale Eigenheiten. Not täte eine Dezentralisierung
bei gleichzeitiger Intensivierung des europäischen
Zusammenhaltes. – Nachfolgend ein Bericht über die
so tatkräftige Frauenlobby in Brüssel, ein Interview
mit der EU-Expertin Uta Klein und ein Schlaglicht auf
die Rolle der Frauen in der Neuen Rechten Europas.
In Frankreich lässt gerade Marine Le Pen mit ihrer
Front National die etablierten Parteien erzittern.
28
EMMA Mai/Juni 2014
028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:38 Seite 29
Unsere Lobby in Brüssel
G
eht es um Frauenpolitik, heißt es
oft: Frauen haben keine Lobby.
Das stimmt nicht. In einem Büro
in der Brüsseler Rue Hydraulique sitzt sie,
die Lobby: die European Women’s Lobby
(EWL). Eine Dachorganisation für 2 000
Frauenorganisationen aus allen EU-Mitgliedsstaaten. Sie kämpft seit nunmehr
24 Jahren für „Frauenrechte“ und die
„Gleichberechtigung von Frauen und Männern“. Und zwar da, wo unsere Gesetze
von morgen gemacht werden: auf EUEbene.
VIVIANE TEITELBAUM, PRÄSIDENTIN
„Im 21. Jahrhundert sollten unsere
Gesellschaften vom System der
Prostitution befreit werden.“
41 Frauen sitzen im Vorstand der
EWL, sie kommen aus den Koordinierungsstellen der Lobby auf nationaler
Ebene: In Deutschland ist das der Deutsche Frauenrat. Sieben gewählte Vorstandsfrauen bilden das „Executive Committee“: Sie treffen sich regelmäßig, um
sich über das Tagesgeschäft der Lobby auszutauschen. Präsidentin der EWL ist derzeit die Belgierin Viviane Teitelbaum. Und
wenn ein Mal im Jahr die Vollversammlung einberufen wird, kommen 100 Dele-
gierte aus den 28 Mitgliedsländern – und
aus drei weiteren assoziierten Staaten wie
der Türkei – nach Brüssel, zum Beispiel
um über Prostitution, Abtreibung oder die
Quote zu debattieren.
Die professionellen Feministinnen haben
für 2014 noch viel vor.
Denn zwischen dem 22. und 25. Mai
wählen die 28 Mitgliedsstaaten das EUParlament (Deutschland: 25. Mai). Im
Juni werden erstmalig die 751 EU-Abgeordneten über den Präsidenten der Europäischen Kommission abstimmen, eines
der mächtigsten Ämter in Europa. Es folgt
die Ernennung der „Hohen VertreterIn für
Außen- und Sicherheitspolitik“ und der
PräsidentIn des Europäischen Rates.
„Die EU hat nach wie vor ein männliches Gesicht“, klagt Serap Altinisik, Mitglied der Women’s Lobby. Zu den wenigen
Ausnahmen gehören Catherine Ashton, die
derzeitige Hohe Vertreterin für Außen- und
Sicherheitspolitik und die neun Kommissarinnen (von 28), wie Viviane Reding für
Justiz oder Cecilia Malmström für Inneres.
„Wir müssen die Regierungen und Politiker also immer wieder an die Versprechen erinnern, die sie mit Unterzeichnung
der Europäischen Verträge eingegangen
sind“, sagt Altinisik. Schon 1957, zur
Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, war die „Entgeltgleichheit“
der Geschlechter Thema der Römischen
Verträge, seither wurden die Paragraphen
für Gleichberechtigung kontinuierlich ausgebaut. Aber was de jure auf dem Papier
steht und was de facto in den Mitgliedsstaaten umgesetzt wird, unterscheidet sich
oft erheblich.
Serap Altinisik sitzt im Sekretariat der
Women’s Lobby. Die gebürtige Hannoveranerin, deren Eltern aus der Türkei nach
Deutschland kamen, hat davor fünf Jahre
das Referat gegen Gewalt gegen Frauen bei
Terre des Femmes geleitet. Heute koordiniert sie aus Brüssel mit acht weiteren
Frauen die Arbeit der Lobby für die
gesamte EU: Die Frauen schreiben an Ge-
setzesentwürfen mit, erstellen Studien zum
Stand der Gleichberechtigung in den Mitgliedsstaaten und werden von EU-Institutionen als Expertinnen eingeladen. „Und
wenn nicht, geben wir trotzdem unseren
Senf dazu!“, sagt Altinisik. Der Einfluss
der Frauenlobby ist seit ihrer Gründung
1990 stetig gewachsen, ihre Arbeit wird
von vielen EU-PolitikerInnen aktiv unterstützt. Altinisik selbstbewusst: „Wir müssen heute nicht mehr bitten, wir fordern.“
Die 39-Jährige leitet außerdem die
„50/50 Campaign“, die Kampagne für eine
SERAP ALTINISIK, KAMPAGNEN
„Die Europäische Union hat nach
wie vor ein männliches Gesicht.
Das muss sich ändern!“
paritätische Besetzung aller EU-Ämter.
Wie schon zur letzen Wahl 2009 stellte
die Frauenlobby dazu Kampagneninstrumente zur Verfügung: Wie zum Beispiel
Brief-Entwürfe an die Parteien in den
Mitgliedsstaaten, in denen sie u. a. dazu
aufgefordert werden, Wahllisten für das
EU-Parlament paritätisch zu besetzen.
Beispiel Deutschland: SPD, Grüne und
Linke haben ihre Listen paritätisch besetzt.
Die CDU schickt etwa ein Drittel Frauen
ins Rennen. Bei den Republikanern ist nur
Mai/Juni 2014 EMMA
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einer der 20 Listenplätze mit einer Frau
besetzt.
Bisher sind 35 Prozent der EU-Abgeordneten weiblich, fünf Prozent mehr als
2009. Deutschland hat 99 Sitze (zukünftig
96), davon 38 mit Politikerinnen besetzt
(macht 38 Prozent). Im Vergleich: Spitzenreiterinnen sind Finnland und Kroatien, hier liegt der Frauenanteil bei 62,
bzw. 50 Prozent.
Wie es nach der EU-Wahl aussieht?
Schwer zu sagen. Aber eines steht für Altinisik schon jetzt fest: „Die neu gewählten
Politikerinnen dürfen auf keinen Fall als
der Liberalen und Demokraten (ALDE)
ihren Fraktionsvorsitzenden Guy Verhofstadt aus Belgien. Und die Europäische
Linke (PEL) ihren griechischen Vizepräsidenten Alexis Tsipras. Nur die Europäische Grüne Partei (EGP) hat eine
Kandidatin und einen Kandidaten: Die
Deutsche Ska Keller und den Franzosen
José Bové. Doch die haben keine Chance.
Die Frauenlobby reagierte prompt auf
ihrer Webseite: „Mehr als 50 Prozent der
europäischen Bevölkerung wird sich mit
diesen Kandidaten nicht identifizieren
können“. Für die Zukunft fordern die
tution. Lobby-Präsidentin Teitelbaum:
„Im 21. Jahrhundert sollten Gesellschaften
vom System der Prostitution und der
Gewalt gegen Frauen befreit werden.“
Schon im Jahr 2006 hat die Lobby u. a.
mit „Mouvement du Nid“ ihre bisher
bekannteste Kampagne gestartet: den so
genannten Brussels’ Call, den Brüsseler
Appell: „Zusammen für ein Europa ohne
Prostitution“. 200 Organisationen aus allen
Mitgliedsstaaten haben diesen Appell unterzeichnet, der u.a. Ausstiegsmöglichkeiten für Prostituierte und die Bestrafung
der Freier fordert.
In Brüssel, europaweit, weltweit. Der Slogan „Abolish Prostitution“ ist zur Kampfansage geworden.
Hinterbänklerinnen im Parlament enden.“
Die Frauenlobby ist entschlossen, die
Neuen zu pushen.
Einer der begehrten „Top Jobs“ ist das
Amt des oder der PräsidentIn und der
VizepräsidentInnen im Parlament. Es gibt
davon 14, bisher drei Frauen. Oder der
Vorsitz in einem der 22 ständigen Fachausschüsse, immerhin zehn haben bereits
eine Frau an der Spitze. Im Sommer 2014
wird es schließlich um den Top Job unter
den EU-Top-Jobs gehen: Die Wahl des
Kommissionspräsidenten durch das EUParlament. Die europäischen Parteien
gehen deshalb im Mai 2014 erstmalig mit
SpitzenkandidatInnen für die Parlamentswahl ins Rennen – es sind quasi ausschließlich Männer. Die europäischen Sozialdemokraten (PES) haben den deutschen
SPD-Mann Martin Schulz auserkoren, die
Europäische Volkspartei (EPP) nominierte
den ehemaligen luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker, die Allianz
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EMMA Mai/Juni 2014
Frauen deshalb eine verbindliche Regelung: Sowohl bei der Wahl des Kommissionspräsidenten als auch bei der darauf
folgenden Ernennung der Kommissare aus
den Mitgliedsstaaten soll immer eine Frau
und ein Mann vorgeschlagen werden. Die
nächsten EU-Wahlen sind 2019. Die
KommissarInnen werden schon diesen
Sommer ernannt.
Einen Überblick ihrer Themen gibt die
Women’s Lobby in ihrem „Manifesto“ zur
EU-Wahl und unter „Take Action!“ auf
ihrer Webseite: Sie fighten u. a. für ein
Europa ohne Gewalt gegen Frauen (2016
soll zum Jahr gegen Gewalt gegen Frauen
ernannt werden); für gleichen Lohn für
gleiche Arbeit; für die gerechte Aufteilung
der meist unbezahlten Wohlfahrtsarbeit
zwischen Frauen und Männern; für eine
Verbesserung der Anti-Diskriminierungsgesetze der EU; für mehr Beteiligung von
Frauen mit Migrationshintergrund; für das
Recht auf Abtreibung – und gegen Prosti-
Doch es sind nicht alle Frauenorganisationen immer einer Meinung. Der Deutsche Frauenrat zum Beispiel unterstützt
den Brüsseler Appell nicht, er konnte ihn
aber auch nicht verhindern: Die Mehrheit
hat ja dafür gestimmt. Oder: Wenn das
Brüsseler Büro eine Demonstration für das
Recht auf Abtreibung vor dem europäischen Parlament organisiert, dann sind die
Malteserinnen nicht dabei. „Sie müssen
wegen der rigiden Abtreibungspolitik in
Malta einfach eine andere Strategie fahren“, versteht Altinisik. Doch in einem
Punkt sind sich alle einig: Ein Europa
ohne Gleichberechtigung hat keine
ALEXANDRA EUL
Zukunft.
Im Netz
www.womenlobby.org
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Die EU nutzt uns Frauen!
Das Gesetz verbietet die Benachteiligung
von Menschen aufgrund ihres Alters, ihrer
immer ein Motor für die Frauenpolitik. Sagt
ethnischen Herkunft, Religion oder WeltUta Klein, und die muss es wissen: Seit Mitte
anschauung, einer Behinderung – und
der 1990er Jahre forscht die Soziologie-Proihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orifessorin, die die „Gender Research Group“
entierung,. Dagegen hatte sich die deutsche
an der Universität Kiel leitet, zum Thema
Wirtschaft lange gesträubt.
„Gleichstellungspolitik in der Europäischen
Genau. Aber auch die Regierung hatte sich
Union“. Im EMMA-Interview erklärt sie,
gesperrt, weil das Konzept eines „Antidiswarum deutsche Frauen der EU eine Menge
kriminierungsrechts“ für Deutschland ganz
fortschrittlicher Gesetze zu verdanken haben. ungewohnt war. Aber die EU-Richtlinien
mussten in nationales Recht umgesetzt werden. Denn Richtlinien sind quasi Gesetze auf
EU-Ebene. Ein anderes Beispiel ist die so
genannte Unisex-Richtlinie vom Dezember
2004, die dafür gesorgt hat, dass es seit 2012
keine unterschiedlichen Versicherungstarife
mehr für Frauen und Männer geben darf.
Bei den Europawahlen wählen ist wichtig –
gerade für Frauen! Denn die EU war schon
EU-Kommissarin Reding: Pro-Quote
Spielt die EU eigentlich eine Rolle bei der
Frauenpolitik der Mitgliedsländer?
Ja, auf jeden Fall! Allerdings kommt es darauf an, welches Niveau an Gleichstellung
die Länder schon haben. In den skandinavischen Ländern zum Beispiel gab es ja
früher mehrere Volksentscheide gegen
einen EU-Beitritt. Es liegt die Vermutung
nahe, dass besonders Frauen dagegen gestimmt haben, weil sie Angst hatten, dass
ihr hohes Gleichstellungsniveau durch den
Beitritt zur EU wieder gesenkt wird.
Wenn wir aber auf Deutschland schauen,
hat sich die EU sehr positiv ausgewirkt.
Wie zum Beispiel?
Wir haben zum Beispiel das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) der EU
zu verdanken. Vier AntidiskriminierungsRichtlinien der EU haben dafür gesorgt,
dass in Deutschland 2006 endlich dieses so
genannte Antidiskriminierungsgesetz in
Kraft getreten ist.
Wer erlässt denn die Richtlinien?
In den meisten Fällen der Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament gemeinsam. Deshalb ist es auch so wichtig zu
wählen, denn wir als EU-BürgerInnen wählen unsere Vertretung für das Parlament. Im
Europäischen Rat sitzen die Fachministerinnen und -minister der einzelnen Regierungen. Der Erfolg der EU-Gleichstellungspolitik ist also immer auch abhängig von den
Regierungskonstellationen in den Mitgliedsländern.
Wer ergreift denn überhaupt die Initiative
für eine solche Richtlinie?
Die EU-Kommission. Sie besteht aus 28
Kommissarinnen und Kommissaren aus je
einem Mitgliedsland, davon sind zur Zeit
neun Frauen. Da ist also noch Luft nach
oben. Er oder sie ist jeweils für ein Ressort
zuständig. Die Kommission überwacht
einerseits, ob die Mitgliedsländer das EURecht auch umsetzen. Mit ihrem Initiativrecht unterbreitet sie aber auch Gesetzentwürfe. Je nach Besetzung kann also die
Kommission ein Motor der Gleichstellungspolitik sein. Ein Beispiel dafür ist der Vorstoß von Justiz-Kommissarin Viviane Reding
zur Frauenquote.
Wie kommt es eigentlich, dass die EUGesetze in Sachen Gleichstellungspolitik
meist so fortschrittlich sind?
Viele dieser progressiven Richtlinien oder
auch andere Maßnahmen werden aus ökonomischen Interessen verabschiedet. Ein
schönes Beispiel dafür ist der allererste Artikel
der EU, damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, zu Gleichstellungsfragen: Artikel 1.19 zur Lohngleichheit, der
schon in den Römischen Verträgen von
1957 steht. Weshalb ist der da reingekommen? Weil damals von den sechs Gründerstaaten nur Frankreich das Lohngleichheitsgebot in der Verfassung stehen hatte und
argumentierte: „Wenn nur wir uns daran
halten, ist das für uns ein Wettbewerbsnachteil!“ Mit diesem Argument wurde die
gleiche Bezahlung für Männer und Frauen in
den Vertrag aufgenommen. Für die reale
Umsetzung des Artikels hat man dann
allerdings nicht besonders viel getan.
Das ökonomische Interesse allein kann es
also nicht sein.
Stimmt. Die EU ist ja durch die frühen Mitgliedsländer geprägt, dazu gehören eben auch
Dänemark seit 1973 oder ab 1995 Schweden
und Finnland, also die besonders fortschrittlichen skandinavischen Länder oder die
Niederlande. Hinzu kommt, dass die frauenpolitischen Akteurinnen auf EU-Ebene
immer schon höchst erfolgreich waren.
Meine Kollegin Alison Woodward spricht
vom sogenannten „Velvet Triangle“ der EUGleichstellungspolitik. Dieses „samtene Dreieck“ besteht an der einen Ecke aus den
Aktivistinnen der Frauenbewegung, die sich
schon in den 70er Jahren auf EU-Ebene eingemischt haben. NGOs haben auf der europäischen Ebene große Einflussmöglichkeiten.
An der zweiten Ecke des Dreiecks sind die
„Femokratinnen“, die „feministischen Bürokratinnen“, die vormals frauenpolitisch engagiert waren und jetzt in den EU-Institutionen sitzen. Und die dritte Ecke bilden
die feministischen Wissenschaftlerinnen, die
einen wichtigen Think Tank für die Politik
darstellen. Und dieses Dreieck ist auf der
EU-Ebene enorm effizient. Die European
Women’s Lobby zum Beispiel, der Dachverband der Frauenorganisationen, hat sowohl
einen kurzen Draht zur EU-Kommission als
auch einen Sitz im Gleichstellungsausschuss
des EU-Parlaments. Aus meiner Sicht ist die
Mai/Juni 2014 EMMA
31
028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:39 Seite 32
Gleichstellungspolitik ganz klar der erfolgreichste Teil der EU-Sozialpolitik.
Welche Sanktionen hat die EU denn zur
Verfügung, wenn ein Land eine Richtlinie
nicht fristgemäß umsetzt? Wie zum Beispiel Deutschland, das mit der Richtlinie
zur Bekämpfung des Menschenhandels
inzwischen über ein Jahr im Verzug ist.
Dann verlangt die Kommission als Hüterin der europäischen Gesetzgebung zunächst
eine Stellungnahme von der säumigen
Regierung. Der nächste Schritt ist eine
Mahnung, danach eine Fristsetzung. Und
wenn dann immer noch nichts passiert,
leitet der Europäische Gerichtshof ein
„Vertragsverletzungsverfahren“ ein. Er kann
dann Buß- oder Zwangsgelder festlegen.
Auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat mit seinen Urteilen immer wieder
entscheidende Impulse gegeben.
Ja! Denken wir zum Beispiel an die Klage von
Tanja Kreil für die uneingeschränkte Zulassung von Frauen zur Bundeswehr. Die Energieelektronikerin hatte sich vor dem Verwaltungsgericht Hannover ganz gezielt darauf
berufen, dass der Ausschluss der Frauen vom
Dienst an der Waffe gegen EU-Recht verstößt. Und das Gericht hat daraufhin den
Europäischen Gerichtshof gebeten, sich zu
dieser Frage zu äußern – das ist ein so genanntes „Vorabentscheidungsverfahren“. Der
EuGH hat schließlich im Januar 2000 erklärt,
dass der Ausschluss von Frauen tatsächlich
gegen EU-Recht verstößt. So musste sich die
Bundeswehr für Frauen öffnen. Wir können
aber auch noch weiter zurück gehen: In den
80er Jahren, also zu Kohls Zeiten, musste
Deutschland die Rechtsstellung für Teilzeitbeschäftigte deutlich verbessern. Da gab es zum
Beispiel 1986 das Urteil des EuGH zu den sogenannten Bilka-Frauen. Die Verkäuferinnen
hatten geklagt, weil sie von der betrieblichen
Altersvorsorge ausgeschlossen waren. Der Gerichtshof ist also schon lange immer wieder ein
starker Motor für die Gleichstellung.
Nochmal zurück zu den Frauen in der
Armee. Polen zum Beispiel hat erst 2010,
also zehn Jahre nach dem Kreil-Urteil, Frauen in seinen Streitkräfte zugelassen. Wie
kann das sein?
Weil es keine EU-Richtlinie gibt, in der
steht: Bis zu einem bestimmten Termin
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EMMA Mai/Juni 2014
müssen die Streitkräfte aller EU-Mitglieder
für Frauen geöffnet sein. Hätte in Polen
aber eine Frau geklagt, hätte sie auf jeden
Fall Recht bekommen.
Nun gibt es in der EU auch Länder wie
Polen oder Irland mit einem extrem restriktiven Abtreibungsrecht oder Malta, das bis
2011 die Ehescheidung verboten hatte. Kollidieren diese Gesetze nicht mit EU-Recht?
In bestimmten Bereichen hat die EU nicht
das Recht einzugreifen. Das sind die sogenannten „Home Issues“ („Heimangelegenheiten“) der Mitgliedsländer. Dazu gehören
viele Bereiche des Familienrechts, die immer
noch als genuiner, an Traditionen gebundener Gesetzesbereich der Mitgliedsstaaten be-
UTA KLEIN „Auf die deutsche
Frauenpolitik hat sich die EU sehr
positiv ausgewirkt.“
trachtet werden. Da kann es, wie übrigens
auch bei der Gewalt gegen Frauen, Empfehlungen oder Aufforderungen geben. Mehr
nicht. Die EU kann auch nicht das Ehegattensplitting im deutschen Steuersystem verbieten oder die Systematik der Sozialversicherungssysteme vorschreiben. Zum Beispiel
die vom Mann abgeleitete Witwenrente, die
ja auf einem traditionellen Geschlechterbild
beruht und das man in Skandinavien gar
nicht kennt. Da kann die EU nur durch
politischen Druck etwas verändern. Und sie
hat das Splitting ja schon als kontraproduktiv für die Gleichstellung der Geschlechter
kritisiert. Bisher leider ohne Erfolg.
Es gibt aber doch eine Tendenz, die Kompetenzen der EU gegenüber den Ländern
auszudehnen.
Ja, die Kompetenzen weiten sich aus. Am
Anfang, ab 1957, gab es zunächst nur deklamatorische Äußerungen auf dem Papier, wie
eben die Lohngleichheit. Erst ab Mitte der
1970er Jahre tut sich dann was, weil sich da
die Zweite Frauenbewegung auswirkt. So hat
zum Beispiel eine EU-Richtlinie schon 1976
die Quote legitimiert! Die dritte Etappe
beginnt in den 1990er Jahren, da wird das
sogenannte Gender Mainstreaming als
Strategie verankert, und der frauenpolitische
Einfluss verstetigt sich. 1999 wird im Amsterdamer Vertrag Gleichstellungspolitik als
Gemeinschaftsziel festgelegt. Und ab 2000
gibt es einen immensen Paradigmenwechsel:
Bis dahin haben sich die EU-Richtlinien zur
Gleichstellung auf den Bereich Arbeitsmarkt
und Beschäftigung beschränkt. Die UnisexRichtlinie 2002 hat das Gleichstellungsthema zum ersten Mal auf private Güter und
Dienstleistungen erweitert. Und durch die
Antidiskriminierungsrichtlinien ist der Schutz
vor Diskriminierung über das Geschlecht
hinaus ausgedehnt worden.
Auch das EU-Parlament kritisierte schon
1994 die Diskriminierung von Homosexuellen, gerade hat es Prostitution als Verstoß
gegen die Menschenwürde verurteilt.
Das ist richtig. Hier befinden wir uns im Bereich des „Soft Law“. Das sind sozusagen
Normvorgaben, die aber rechtlich nicht bindend sind. Die EU arbeitet hier mit dem
Prinzip „Blaming and Shaming“. In EU-Publikationen wird zum Beispiel aufgeführt, in
welchen Mitgliedsstaaten es Nachholbedarf
gibt. Wenn das bei einem Land häufig der
Fall ist, erzeugt das durchaus einen gewissen
Druck auf Regierungen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der Ausbau der Kinderbetreuung. Deutschland hatte den Ausbau der Kinderbetreuung ja komplett verschlafen. Die
EU hatte aber Ziele vereinbart: Bis 2010 sollte es für 33 Prozent der Kinder unter drei
Jahren und für 90 Prozent der Drei- bis
Sechsjährigen einen Betreuungsplatz geben.
Daran kann man sehen, dass die EU auch
mit den sogenannten „Soft Laws“ eine
große Wirkung erzeugen kann.
Weiterlesen
Uta Klein: Geschlechterverhältnisse,
Geschlechterpolitik und Gleichstellungspolitik in der EU (Springer VS, 39.95 €)
028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:39 Seite 33
Der Siegeszug der Marine Le Pen
E
s kommt mir vor, als sei ich als
Kind in einen Zaubertrank geplumpst, ein bisschen wie Obelix“,
sagt sie zu dem Interviewer und strahlt. So
kommt es den Franzosen auch vor. Die
etablierte politische Klasse, von links bis
konservativ, zittert vor ihr. Denn die Umfragen sagen ihr einen wahrscheinlichen
Sieg bei den Europawahlen voraus.
Marine Le Pen, 45, ist die Tochter eines
Models und des antisemitischen, rassistischen, homophoben, ultrarechten JeanMarie Le Pen. Der Vater gründete 1972
den Front National und kam in seiner Zeit
auf maximal zwölf Prozent. Seit 2011 steht
die Tochter an der Spitze der rechtspopulistischen Partei und verordnete ihr mit
Erfolg einen Modernisierungskurs.
Bei den Kommunalwahlen im März
eroberte der Front National 15 Rathäuser,
darunter traditionelle rote Hochburgen,
und zogen 1 200 seiner Kandidaten in die
Stadträte. Jeder vierte Franzose bzw. Französin würde sie wählen, 45 Prozent bezeugen Sympathie für die taffe Blondine. Was
ist los in Frankreich? Rückt die Nation der
Liberté und Fraternité nach rechts?
Spitzensteuersatz auf 46 Prozent heben.
Zur Strategie der Leaderin passt, dass sie es
verstanden hat, in den vergangenen Jahren
renommierte linke und liberale Köpfe aus
dem sozialistischen und bürgerlichen Lager
in den Front National zu holen.
Bei den EU-Wahlen im Mai kandidiert Marine Le Pen mit der Absicht, ein
Frankreich unter ihrer Ägide aus der
Europäischen Union zu lösen – „nach
konsequente Laizität: „Der Glaube ist
eine strikt private Angelegenheit, und
seine Ausübung darf nicht Gegenstand
von Provokation sein.“ Das Prinzip der
Laizität ist zwar in Frankreich eigentlich
eine Selbstverständlichkeit, dennoch hat
vor allem die Linke im Namen des Kulturrelativismus den Siegeszug des politisierten Islam inklusive Kopftuch und Scharia
keinen Einhalt geboten.
Es scheint komplizierter. Ja, auch die
Tochter hat was gegen Fremde und will
die jährliche Einwandererzahl von
200 000 auf 10 000 im Jahr reduzieren.
Aber vom Antisemitismus des Alten hat
sie sich radikal distanziert; von ihrem erfolgreichsten Parteigenossen, Steeve Briois, der
bei den Kommunalwahlen das Rathaus
der Arbeiterstadt Hénin-Beaumont eroberte, heißt es, er sei homosexuell – und was
die modernen Frauen angeht, die werden
von Marine persönlich verkörpert: Rechtsanwältin, zwei Mal geschieden, drei Kinder, Patchworkfamilie mit Lebensgefährten (der Theoretiker des Front National),
pro Recht auf Abtreibung.
Und damit ist das Verwirrspiel noch
lange nicht zuende. Die charismatische
Chefin des Front National plädiert für
einen starken (Sozial)Staat, die Reindustrialisierung Frankreichs sowie eine Achse
Frankreich/Deutschland/Russland. Sie will
die Macht der Banken beschränken, sie gar
„teil- oder zeitweise verstaatlichen“ und den
Jeder vierte Franzose würde die Rechtspopulistin wählen.
einer Volksbefragung“, versteht sich.
Denn das ist die wohl größte Verheißung
der Front-National-Führerin: La Grande
Nation. Frankreich den Franzosen! Damit
erobert die Kandidatin die Herzen der
geknickten, von Selbstzweifeln geplagten
Franzosen auch weit über die klassische
rechte Klientel hinaus.
Hinzu kommt: Nicht nur die Frauen
goutieren ihre Kritik am politischen
Islam. Marine Le Pen plädiert für eine
Ist die Front-National-Leaderin eine
Wölfin im Schafspelz? Ist sie die Repräsentantin einer neuen rechtspopulären
Bewegung, die im Begriff ist, ganz Europa
zu erfassen? Und die in die von den etablierten Parteien gelassene Lücke der
Politikmüdigkeit stößt?
Die Antwort ist offen. Aber eines ist
klar: Bei den EU-Wahlen am 25. Mai
wird in Frankreich vor allem eine
triumphieren: Marine Le Pen.
Mai/Juni 2014 EMMA
33
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 34
Der Paradigmen
ach jahrzehntelangem Ignorieren bzw. Tolerieren kriegt
die Sache plötzlich Drive. Auf
europäischer Ebene forderten
Parlament und Europarat im Februar/April
mehr Hilfe für Frauen in der Prostitution,
verstärkte Verfolgung der Profiteure – und
das Verbot des Sexkaufs, also die Bestrafung von Freiern. In Deutschland, dem
„Bordell Europas“, ist man noch nicht ganz
so weit. Aber man schreitet ebenfalls mit
Siebenmeilenstiefeln voran.
Am 8. April, also fünf Monate nach Erscheinen des EMMA-Appells gegen Prostitution – der zum Auslöser einer gesamtgesellschaftlichen Debatte wurde – legten
CDU/CSU ihre Eckpunkte zur Änderung
des Prostitutionsgesetzes vor. Sie sind auf
den Punkt! Und man kann nur hoffen,
dass die Sozialdemokraten diese Forderungen mittragen und nicht in Versuchung
geraten, sie zu verwässern. Was die SPD
allerdings nicht hindern sollte, vielleicht
sogar darüber hinaus zu gehen.
Noch vor der Sommerpause will die
schwarz-rote Koalition über die überfällige
Änderung des Prostitutionsgesetzes von
2002 debattieren – und im Herbst das neue
Gesetz verabschieden. Die Union tat nun
den ersten Schritt. Hier ihre Eckpunkte:
N

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34
Die Altersgrenze für Prostituierte soll
von 18 auf 21 Jahre angehoben werden. Zum Schutz junger Frauen in der
Prostitution, die immer jünger werden.
Eine Anmeldepflicht für Prostituierte
soll eingeführt werden. Damit man
weiß, welche und wie viele Frauen überhaupt anschaffen, Zwangsprostituierte
aufgespürt werden und Frauen nicht
einfach spurlos verschwinden können.
EMMA Mai/Juni 2014





Gesundheitsuntersuchungen sollen wieder Pflicht werden. Das schützt die
Frauen nicht nur vor Krankheiten –
und ist darum schon lange auch ihr
eigener Wunsch.
Flatrate-, Gang-Bang- und Rape-Prostitution sollen als Verletzung der Menschenwürde verboten werden.
Die Beratung von Prostituierten – endlich auch zum Ausstieg? – soll verstärkt
und das Aufenthaltsrecht von Zeuginnen gegen Menschenhandel und
Zwangsprostitution verbessert werden.
Eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten soll eingeführt werden, geregelt
in einem eigenen „Prostitutionsstättengesetz“, nicht im Gewerberecht. Prostitution ist also nicht länger ein „Beruf
wie jeder andere“.
Die Polizei soll die Prostitutionsstätten
kontrollieren können. Zuhälterei und
Menschenhandel sollen stärker bestraft
werden. Und Menschenhändler sollen
auch ohne Aussage der Opfer zur
Rechenschaft gezogen werden können.
Nur ein Punkt ist halbherzig. Erwartungsgemäß. Ausschließlich Freier von „Zwangs-
Die CDU/CSU legt Eckpunkte für ein neues
Prostitutionsgesetz vor.
Die Forderungen sind
auf der Höhe der Zeit.
prostituierten“ sollen in Zukunft bestraft
werden. Doch da Zwangsprostitution erfahrungsgemäß nur sehr schwer beweisbar
ist, ist das nicht mehr als eine folgenlose
Geste. Diese Halbherzigkeit war zu erwarten, weil es in Deutschland – im Gegensatz
zu vielen anderen europäischen Ländern –
bis vor kurzem noch kein kritisches Verhältnis zur Prostitution gab.
Die Debatte hatte erst wirklich begonnen
mit dem EMMA-Appell gegen Prostitution im November 2013. Jetzt, nach nur
fünf Monaten, sind wir dafür allerdings
schon ganz schön weit in dem Land, das
heute als europäische Drehscheibe des
Menschenhandels gilt.
Die Europäische Union zeigt, wo es
lang geht. Ende Februar hatte das EU-Parlament beschlossen, Prostitution als „Verstoß gegen die Menschenwürde“ zu klassifizieren und den 28 Mitgliedsstaaten das
„Schwedische Modell“ empfohlen, also die
Freierbestrafung. Im April legte der Europarat nach: „Wir fordern die Mitgliedsländer auf, die Kriminalisierung des Sexkaufs,
basierend auf dem Schwedischen Modell,
als effektivste Maßnahme im Kampf gegen
den Menschenhandel zu betrachten.“
Als die britische EU-Abgeordnete mit
der Platznummer 547 am 26. Februar die
Hand hob, um mit Ja zu stimmen, tat sie
das mit hochgerecktem Siegerdaumen. Zu
Recht. Denn neben Mary Honeyball
hoben exakt 342 weitere ParlamentarierInnen ihre Hand. Damit hatte das EUParlament mit klarer Zweidrittel-Mehrheit entschieden: „Prostitution ist mit der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich des Ziels der
Gleichstellung der Geschlechter, unvereinbar.“
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 35
wechsel
Auch in der so genannten „freiwilligen“
Prostitution „werden alle intimen Handlungen auf einen Marktwert reduziert und
Menschen dadurch zu Waren oder Gegenständen degradiert, die dem Kunden zur
Verfügung stehen“, heißt es in dem EUReport. Und weiter: Prostitution sei „untrennbar mit der Ungleichbehandlung der
Geschlechter in der Gesellschaft verbunden“ und habe „Auswirkungen auf den
gesellschaftlichen Status von Frauen und
Männern sowie ihre Beziehungen untereinander und die Sexualität“.
Der Europarat, eine Art UNO auf Europaebene, in dem alle 47 europäischen
Staaten Mitglied sind, fordert wenig später die Länder außerdem auf, die Werbung für Prostitution zu verbieten sowie
ausreichend Beratungszentren und Ausstiegsprogramme einzurichten, in denen
Prostituierte, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, rechtlichen und gesundheitlichen Beistand bekommen.
Mit einer überwältigenden Mehrheit
von 102 Ja-Stimmen verabschiedeten die
125 Mitglieder des Europarates ebenfalls
ein klares Votum für die Freierbestrafung.
Für Deutschland allerdings konstatierte
der Report des Europäischen Rates: „Sowohl die Situation der Prostituierten als
auch das Vorkommen des Menschenhandels haben sich verschlimmert.“
Und was passiert in Deutschland? Während die Hauptstadt die Debatte noch vor
sich hat, wird auf Länderebene längst
gehandelt. Denn Länder und Kommunen
müssen ausbaden, was der Gesetzgeber
2002 verbockt hat. Das Saarland zum Beispiel will nicht warten, bis das neue Prostitutionsgesetz kommt. Denn in dem
Grenzland zu Frankreich, das kürzlich die
Freierbestrafung eingeführt hat, hat die
Plötzlich passiert etwas: in Europa,
in Deutschland, in den Kommunen –
ja sogar in der alternativen Szene.
Prostitution „unerträgliche Ausmaße“ angenommen, so die Oberbürgermeisterin
von Saarbrücken, Charlotte Britz (SPD).
Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer (CDU), die wie Britz zu den
ErstunterzeichnerInnen des EMMA-Appells
„Prostitution abschaffen!“ gehört, forderte
darum gemeinsam mit ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner von der
schwarz-roten Bundesregierung bereits im
März Maßnahmen, die den Eckpunkten
der Union entsprechen. In Baden-Württemberg ging Frauenministerin Karin Altpeter (SPD) noch einen Schritt weiter. Sie
spricht sich klar für das „Schwedische Modell“ aus, also die generelle Freierbestrafung.
Auch die Kommunen verlieren langsam die
Geduld. So hatte Sylt Anfang des Jahres
ein im Herzen von Westerland geplantes
„Edelbordell“ verhindert. Im hohen Norden, in Schwerin, gehen die BürgerInnen
gegen einen Neubau mit Wohnungsbordellen auf die Barrikaden. Und in Nordrhein-Westfalen hat der Stadtrat von
Waldbröl ebenfalls gerade ein Bordell im
Stadtzentrum verhindert. Die Kreisstadt
hat knapp 20 000 EinwohnerInnen und ist
eher konservativ gestrickt; im Rat sitzen 17
Abgeordnete für die CDU und neun für
die SPD, dazu vier Unabhängige Wähler,
drei FDPler und zwei Grüne. 28 der 35
Europa geht voran –
EU-Parlament und
Europarat fordern das
Verbot des Sexkaufs:
die Freierbestrafung.
Abgeordneten sind Männer. Aber an diesem 27. März 2014 sind sich alle 35 einig:
Der von einem einschlägig bekannten Bordellbetreiber mitten im Zentrum geplante
„Saunaclub mit sexuellen Dienstleistungen“ muss verhindert werden!
Und der Stadtrat von Waldbröl wusste
auch, wie: Ganz einfach, indem er das
„Mischgebiet“ via Änderung des Bebauungsplans kurzerhand in ein „Wohngebiet“ umwandelte. Abgeschmettert. Kein
Puff in der Kaiserstraße. Mit diesem Ratsbeschluss liegt Waldbröl ganz oben auf
der Höhe des europäischen Fortschritts.
Kein Wunder: Hatte doch der komplette
Stadtrat im Oktober 2013 den EMMAAppell gegen Prostitution unterzeichnet.
Bezeichnend für den Stimmungswandel
ist auch die jüngste Entwicklung bei Terre
des Femmes (TdF). Deren Vorsitzende
Irmingard Schewe-Gerigk hatte noch im
November 2013 im TV-Gespräch mit
Alice Schwarzer offensiv Position pro Prostitution bezogen – was allerdings bei den
TdF-Mitgliedern eine Welle von Protesten
auslöste. Denn früher einmal hatte die
Frauenrechtsorganisation Prostitution als
„frauenverachtend“ und „unvereinbar mit
der Menschenwürde“ verurteilt. Auf der
Vereinssitzung, die als Folge des Eklats
anberaumt wurde, entschied die Mehrheit
nun im März: Auch Terre des Femmes ist
jetzt für ein Verbot des Sexkaufs!
Die Zeit scheint reif für einen Paradigmenwechsel. Aus dem „Bordell Europas“,
wie Deutschland zwölf Jahre nach der fatalen Reform genannt wird, wird in nicht
allzu ferner Zeit hoffentlich wieder ein
Land werden, in dem in Sachen Prostitution der Schutz der Frauen und ihre Menschenwürde entscheidend ist – und
nicht das Geschäft mit der Ware Frau.
Mai/Juni 2014 EMMA
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Am 14. März lud die Schwedische
Botschaft in Kooperation mit EMMA
zu einer Info-Veranstaltung.
Um diese aus erster Hand zu bekommen,
hatte EMMA eine Informationsveranstaltung Schwedens in Berlin angeregt – und die
Schwedische Botschaft die Initiative mit offenen Armen aufgenommen. So kamen am
14. März sieben schwedische und deutsche
ExpertInnen und rund hundert geladene
Gäste in die Botschaft, darunter zahlreiche
Bundestagsabgeordnete und weitere PolitikerInnen wie die baden-württembergische
ie schwedische Justizkanzlerin
Anna Skarhed (Foto) formuliert
es höflich, aber es ist klar, was sie
meint: Nach der Lektüre deutscher Zeitungen habe sie festgestellt, dass „bei
Ihnen ziemlich viele Mythen über das schwedische Prostitutionsgesetz kursieren. Heute
haben Sie Gelegenheit, Fakten zu hören.“
Wer gelesen hat, was in den letzten
Monaten in deutschen Medien so alles
über das so genannte Schwedische Modell
verbreitet wurde, wusste die Contenance
der Justizkanzlerin zu schätzen.
Auf Seite 1 der Zeit hatte zum Beispiel
eine Autorin über den „Triumph des Staatsfeminismus“ gewettert, der dem Schwedischen Modell zugrunde liege. Vokabeln wie
„Umerziehung“ fielen. Auch habe die
Gewalt gegen Prostituierte in Schweden
„erheblich zugenommen“. Quelle? Keine.
Und für Percy MacLean, bis 2012 Vorsitzender Richter des Berliner Verwaltungsgerichts, ist die Verfolgung der Freier in
Schweden gar „unappetitlich, menschenverachtend und würdelos“, ja gar „lebensbedrohend“, denn wie einst die DDR-Grenzkontrolleure verfolge die schwedische Polizei die
Sexkäufer mit „einer Art Röntgenstrahlung“.
Quelle? Keine. Richter MacLean war es übrigens, der im Jahr 2000 mit seinem Urteil,
Prostitution sei nicht länger „sittenwidrig“,
die Schleusen für das Prostitutionsgesetz von
2002 geöffnet hatte.
Selbst der Deutsche Frauenrat hatte
sich scharf gegen das Schwedische Modell
ausgesprochen. Begründung: „Auch die
Prostituierten selbst würden der Gefahr
der Kriminalisierung ausgesetzt.“ Quelle?
Keine.
Höchste Zeit also für Fakten.
D
36
EMMA Mai/Juni 2014
Für die Prostituierten
hat sich die Situation
verschlechtert – für
die Bordellbesitzer
verbessert.
KOMMISSAR DÖRNHÖFER
In Schweden sind
die Frauen Opfer –
in Deutschland sind
sie Konsumartikel.
SOZIALARBEITERIN
CONSTABEL
Wir haben in
Deutschland eine
Gesetzeslage, die es
den Strafverfolgern
sehr schwer macht.
STAATSANWÄLTIN LOTZ
Sozialministerin Karin Altpeter oder der
Vorsitzende des Menschenrechts-Ausschusses
des Bundestages, Michael Brand. Ebenfalls
dabei: VertreterInnen von Frauenrechtsorganisationen und Bürgerinitiativen sowie von
Wissenschaft und Medien. Sie alle wollten
wissen: Was hat es denn nun wirklich auf
sich mit dem Schwedischen Modell?
Also lautete die Ausgangsfrage von Moderator Ranga Yogeshwar: „Was können wir
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 37
Der Schwedische Weg
von Schweden lernen?“ Denn eins stehe fest:
Das Land, das 1999 als erste Nation weltweit den Sexkauf unter Strafe stellte und
gleichzeitig die Prostituierten völlig entkriminalisierte, „hat nicht nur ein Gesetz geändert, sondern auch eine Haltung“.
Wie auch Deutschland mit seinem Prostitutionsgesetz von 2002 nicht nur ein Gesetz geändert hat, sondern eine Haltung, das
beschrieb der vierfache Vater Yogeshwar an-
schaulich: Er sei „aus allen Wolken gefallen“,
als zur Abitur-Feier seines Sohnes plötzlich
„ein Puffbesuch im Pascha angestanden hat“.
Yogeshwar gehört zu den ErstunterzeichnerInnen des EMMA-Appells „Prostitution abschaffen!“ Sein Sohn habe glücklicherweise
nicht ins Pascha gehen wollen und „eine Ausrede gefunden“. Die braucht ein 18-Jähriger
heutzutage in Deutschland offenbar, wenn er
nicht in den Puff gehen will.
Das Sexkaufverbot
ist ein sehr effektives
Werkzeug, das
ziemlich leicht
anzuwenden ist.
KOMMISSAR TROLLE
Wir signalisieren
den Frauen, dass die
Schande nicht bei
ihnen liegt, sondern
beim Käufer.
SOZIALARBEITERIN GREEN
Das Sexkaufverbot
öffnet uns den Weg
zu den Frauen und in
die Strukturen des
Menschenhandels.
STAATSANWALT AHLSTRAND
Die schwedischen Gäste konnten über
solche Berichte nur fassungslos den Kopf
schütteln. Denn für sie steht außer Frage,
was Christian Berg, Pressesprecher der
Schwedischen Botschaft, in seiner Begrüßungsrede betonte: „Prostitution ist ein
Verstoß gegen die Menschenwürde.“
„Die Straßenprostitution hat sich markant verringert“, berichtete Justizkanzlerin
Skarhed, die die Auswertung des Gesetzes
im Jahr 2010 geleitet hatte. Die ehemalige
Bundesrichterin hatte dazu mit PolizistInnen, StaatsanwältInnen und StreetworkerInnen gesprochen sowie mit ehemaligen
bzw. aktiven Prostituierten. Fazit der Bilanz: Die Millionenstadt Stockholm hat
noch etwa zehn Straßenprostituierte. Einen
Rotlichtbezirk Marke Hamburger Herbertstraße gibt es nicht, Bordelle waren in
Schweden schon vor dem „Sexköpslagen“,
dem Sexkaufgesetz von 1999, verboten.
Folge: „Schweden ist für den internationalen Menschenhandel kein attraktiver
Markt mehr.“ Was man vom Nachbarland
Dänemark nicht behaupten kann. Dort
habe sich die Zahl der Prostituierten auf
der Straße wie im Internet stetig erhöht.
Wie aber funktioniert das schwedische
Gesetz nun in der Praxis? Wie kann die Polizei Freier auf der Straße überhaupt erkennen? Wie die Sexkäufer entdecken, wenn die
Prostitution über das Internet organisiert
wird? Und wie finden die Sozialarbeiterinnen die Prostituierten? Darüber berichteten
an diesem Tag in Berlin drei PraktikerInnen: Kriminalkommissar Jonas Trolle aus
Stockholm, Staatsanwalt Thomas Ahlstrand
aus Göteborg und Sozialarbeiterin Lisa
Green aus Malmö. Um ihre Berichte mit
den Erfahrungen in Deutschland abzugleichen, stehen ihnen drei deutsche Pendants
gegenüber: Kriminalhauptkommissar Uwe
Dörnhöfer aus München, Staatsanwältin
Kerstin Lotz aus Frankfurt und Sozialarbeiterin Sabine Constabel aus Stuttgart.
„Das Sexkaufverbot ist ein sehr effektives Werkzeug, das ziemlich einfach anzuwenden ist“, erklärte Kommissar Trolle.
Auf dem Straßenstrich kenne man die
Frauen. „Wenn wir sehen, dass ein Mann,
der womöglich vorher noch am GeldautoMai/Juni 2014 EMMA
37
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 38
maten war, auf sie zugeht, sprechen wir die
beiden an. Dann hören wir oft Sätze wie
‚Das ist meine Freundin‘ oder ‚Das ist ein
Bekannter meines Vaters‘.“ Wenn man
dann Mann und Frau getrennt befrage,
stelle sich sehr schnell heraus, ob das
stimmt. „Zum Beispiel, indem wir den
Mann nach dem Namen seiner ‚Freundin‘
fragen und er einen falschen sagt. Das sind
in der Regel kurze, einfache Befragungen.“
Auch die oft gehörte Behauptung, dass
die Prostitution sich nur ins Internet verlagert habe und deshalb für die Polizei unauffindbar sei, sei schlichtweg falsch. „Wir finden die Frauen auf die gleiche Weise wie
die Freier – über Foren und Annoncen.“
Außerdem gebe es eine sehr gute Zusammenarbeit mit Hotels, die der Polizei meldeten, sobald sie Prostitution vermuteten.
Auch Nachbarn von „Modelwohnungen“
riefen an, wenn sie einen Verdacht hätten.
In Deutschland läuft es bisher genau umgekehrt: Hier legen Hotels Visitenkarten
von Bordellen aus und gehört es zum guten
Service, einem Gast auch schon mal eine
Dame aufs Zimmer zu bestellen. Und was
die Wohnungsprostitution anbelangt: Nachbarn, die sich darüber beschweren, haben
ganz schlechte Karten, denn die Prostitution
ist in der Regel hierzulande in ganz normalen Wohnhäusern inzwischen erlaubt.
„Natürlich gibt es auch bei uns eine gewisse Dunkelziffer“, räumte Kommissar
Trolle ein. Wer Schweden das vorwerfen
möchte, sei daran erinnert, dass sich die
Prostitution in Deutschland in einem vollständig unüberschaubaren Graubereich abspielt. Hierzulande, wo die Mehrheit der
Prostituierten aus Osteuropa kommt, haben
Hunderttausende Frauen in der Prostitution weder einen festen Wohnsitz noch sind
sie irgendwo gemeldet. Ergo kann die
Polizei die Verschiebe-Ströme von Bordell
zu Bordell nicht nachvollziehen. Auch wer
sich in den zahllosen Wohnungsbordellen
verbirgt, weiß kein Mensch.
Und noch etwas ganz Entscheidendes
läuft anders in Deutschland: „Wenn in
Hamburg die Polizei einen Freier mit einer
Prostituierten sieht, kann sie nichts unternehmen. Wenn das in Göteborg passiert,
macht sich der Freier strafbar, und wir
sprechen mit der Frau. Die kommt fast
immer aus Bulgarien, Slowenien oder
einem anderen osteuropäischen Land“,
38
EMMA Mai/Juni 2014
erklärt Staatsanwalt Thomas Ahlstrand. So
erfahre man von ihrer Lage und ihrem Zuhälter. Und man befrage auch den Freier,
wie der Kontakt zu der Frau zustande gekommen sei. „Das Sexkaufverbot eröffnet
uns einen Weg zu den Prostituierten und
in die Strukturen des Menschenhandels,
den wir ansonsten nie gefunden hätten.“
Interessanterweise gehört der 57-jährige
Jurist zu denjenigen, die 1999 dem „Sexköplagen“ zunächst sehr skeptisch gegenüber standen. „Ich dachte damals: Wieso
sollen wir uns in das Privatleben der Menschen einmischen?“ Dann habe er angefangen, im Bereich Menschenhandel zu arbeiten und die Wirkung des Schwedischen
Modells bei der Verfolgung der Täter erlebt. „Heute halte ich das Sexkaufverbot
für eine der besten Erfindungen, die
Schweden jemals gemacht hat.
emma.de
Die Debatte auf Video
EMMA hat die Veranstaltung in der
Schwedischen Botschaft filmisch dokumentiert. Auszüge aus der Debatte
stehen auf EMMAonline.
Stichwort Themen/Prostitution.
Was Staatsanwältin Kerstin Lotz aus
Frankfurt berichtet, klingt anders. Ganz
anders. „Wir haben 2013 kein einziges
Menschenhandels-Verfahren mit rumänischen Opfern führen können. Und das,
obwohl die Zahl der rumänischen Prostituierten in Frankfurt ständig steigt und die
Erkenntnisse der Polizei steigende Opferzahlen nahelegen“, klagt sie. Der Grund:
„Wir haben eine Gesetzeslage, die es den
Strafverfolgern sehr schwer macht.“ Und
den Tätern leicht.
In Deutschland ist heutzutage noch
nicht einmal die Vermittlung einer Frau in
ein Bordell strafbar. Lotz: „Und der Straftatbestand im § 232 ist so kompliziert gefasst, dass es unglaublich schwer ist, ihn
nachzuweisen.“ Dazu braucht die Staatsanwaltschaft zwingend die Aussage des Opfers. Aber: „Die Frauen sind meist sehr,
sehr jung und in einem schlechten körperlichen und psychischen Zustand. Die sind
oft gar nicht in der Lage zu beschreiben,
ob sie Opfer sind oder nicht.“ Hinzu
kommt: Die Verteidiger richteten ihre
Verteidigung immer wieder darauf aus,
dass die Frau ja habe flüchten können.
Aber, so die Staatsanwältin: „Die Frau
wurde oft jahrelang von Bordell zu Bordell
verschoben. Und jetzt weisen Sie mal
nach, dass es nicht einen Moment gegeben
hat, in dem sie hätte flüchten können.“
Der Münchner Kommissar Uwe Dörnhöfer kann das nur bestätigen. „Die Staatsanwaltschaft winkt in vielen Fällen von
Menschenhandel gleich ab, weil sie den
Fall für aussichtslos hält.“
Und Staatsanwältin Lotz beklagt ein weiteres Problem: „Es kann nicht sein, dass man
in einem Bordell immer wieder Opfer von
Menschenhandel findet, ohne dass dem
Bordellbetreiber eine Sanktion droht.“ Auch
hier bestehe „dringender Handlungsbedarf“.
Das Schwedische Modell, erklärte die deutsche Staatsanwältin in der Schwedischen
Botschaft, fände sie für Deutschland „absolut übertragbar und wünschenswert“.
Das sieht auch Kommissar Dörnhöfer
so. „Das deutsche Prostitutionsgesetz ist
eine Schimäre. Für die Prostituierten ist
nichts besser geworden – im Gegenteil: Für
sie hat sich die Situation verschlechtert!“
Die einzige Veränderung seit der Reform
von 2002 ist laut Dörnhöfer: „Es sind nur
noch mehr Bordelle und noch mehr Prostituierte geworden.“ Und dieses Angebot „erzeugt eben auch eine Nachfrage. Wie kommen denn die Abiturienten darauf, für 20
Euro ins Bordell zu gehen?“ Die Antwort
gibt ein Bordell-Flyer, den der Kommissar
ins Publikum hält: „100 Frauen für 70
Euro!“ Seine Forderung: „Wir brauchen
dringend eine Verringerung der gesellschaftlichen Akzeptanz!“ Und endlich neue Gesetze: Der Erste Kriminalhauptkommissar
im Bereich Organisierte Kriminalität in
München präsentiert einen umfangreichen
Maßnahmenkatalog, den er schon 2009 gemeinsam mit einer Bund-Länder-Gruppe
erarbeitet hatte: von der Meldepflicht für
Prostituierte, die von Bordell zu Bordell
verschoben würden, über bundeseinheitliche Kontrollmöglichkeiten für die Polizei
bis hin zur Telefonüberwachung beim Verdacht auf Zuhälterei. „Sonst kommen wir
an die Täter schlichtweg nicht ran.“ Die
Vorschläge liegen nun seit fünf Jahren bei
der jeweiligen Bundesregierung. Passiert ist
bisher – nichts.
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 39
Moderator Yogeshwar befragt Sozialarbeiterinnen (li). EMMA-Redakteurin Chantal Louis bei der Podiumsdiskussion.
Anscheinend gehört Michael Brand, der
Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag, zu denjenigen, die das
ändern wollen. Er stellte sich und Kommissar Dörnhöfer nach all dem, was er gehört
hatte, die Frage: „Ist es sinnvoll, das baufällige Haus an einigen Ecken zu reparieren –
oder sollte man es besser einreißen und neu
aufbauen?“ Will heißen: Die Gesetzgebung
radikal in Richtung Schwedisches Modell
reformieren und damit einen Paradigmenwechsel einleiten. Die Antwort des Kommissars fiel eindeutig aus: „Ich hätte nichts
dagegen, alles einzureißen und neu aufzubauen.“ Denn: „Es gibt keine Prostitution
ohne Menschenhandel.“
Das Haus, das Schweden gebaut hat,
hat mehrere hierzulande bisher unbekannte Elemente. Zum Beispiel: Schwedische
SozialarbeiterInnen arbeiten nicht nur mit
den Frauen, sondern auch mit den Freiern.
Jeder entdeckte Freier bekommt von der
Polizei eine Karte der Beratungsstelle der
örtlichen „Prostitution Unit“. Viele gehen
hin. 700 bis 800 Gespräche im Jahr mit
Sexkäufern führen Lisa Green und ihre
KollegInnen allein in Malmö.
Die schwedische Sozialarbeiterin entkräftet einen weiteren Mythos über das
Schwedische Modell: Weil die Prostituierten in die Illegalität abtauchten, erreiche
die Sozialarbeit die Frauen nicht mehr. Es
sei genau anders herum, erklärte Green.
„Wir signalisieren den Frauen ja ganz klar,
dass Schuld und Schande nicht bei ihnen
liegen, sondern beim Käufer. Deshalb vertrauen sie sich uns an.“ Außerdem suche
man die Frauen permanent dort auf, wo
sie zu finden sind: Auf der Straße, in Hotels, im Internet. In ganz Schweden ist die
Zahl der Prostituierten, die sich an die
Beratungsstellen wenden, gestiegen. Rund
60 Frauen kommen allein in Stockholm
pro Woche in die Prostitution Unit.
„In Schweden sind die Frauen Opfer –
in Deutschland sind sie Konsumartikel“,
kommentiert die Stuttgarter Sozialarbeiterin
Sabine Constabel. „Bei uns wird so getan,
als könnte man die Sexualität aus dem Körper extrahieren – als ob sie nicht zutiefst mit
dem Inneren verbunden wäre.“
Die vielbeschworene „Freiwilligkeit“ sei
äußerst relativ, erklärte Constabel, die seit
24 Jahren mit Prostituierten arbeitet und
im Stuttgarter Rotlichtviertel das Prostituierten-Café „La Strada“ betreibt. Viele Frauen aus Osteuropa würden von ihren Familien geschickt und erklärten: „Ich bin
freiwillig hier – weil ich muss.“ Viele der
meist sehr jungen Frauen machten ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit Freiern. Und
die Frauen werden immer jünger. Die osteuropäischen Zuhälter, berichtet Constabel,
rekrutierten ihre Ware inzwischen in Kinderheimen. „Kürzlich hat sogar eine der
‚Hausdamen‘ gesagt: Ich arbeite nicht im
Bordell, sondern im Kindergarten!’“
Ob eine Prostituierte in Deutschland
Ausstiegshilfe bekomme, ist „Glückssache“,
weiß die erfahrene Sozialarbeiterin. Kein
Wunder: Die meisten deutschen Beratungsstellen sind im Dachverband „Bufas“ organisiert, der nicht nur die Gesetzesreform von
2002 gutheißt und offen mit Bordellbetreibern kooperiert, sondern sogar die Abschaffung der Gesetze gegen Zuhälterei fordert.
So berichtet Constabel von einer Prostituieren, die sich mit ihrem Wunsch auszusteigen dreimal an eine Beratungsstelle gewandt
habe. Dort wurde sie jedes Mal in die Prostitution zurückgeschickt: Sie habe nur den
Flyer einer Agentur bekommen. „Damit
sollte sie ihr Selbstmarketing optimieren.
Dann würde es ihr schon besser gehen“.
Ein solcher Zynismus wäre in Schweden undenkbar. „Als wir das Gesetz gemacht haben, hatten wir zwei Hoffnungen“, erklärt Justizkanzlerin Anna Skarhed.
„Wir wollten die Abschreckung der Freier
erreichen. Und wir wollten, dass Schweden
ein weniger attraktives Land für Menschenhändler wird. Beide Ziele haben wir
erreicht.“ Und dann wird sie noch einmal
sehr grundsätzlich: „Es geht nicht um eine
so genannte moralische Gesetzgebung. Es
geht um Menschenrechte – und um die
Gleichheit der Geschlechter.“
Nach den drei Stunden geballter Informationen in der Schwedischen Botschaft
gab es viele nachdenkliche Gesichter beim
deutschen Publikum. Nicht zuletzt unter
den PolitikerInnen.
Was die unnachahmliche taz nicht
hinderte zu spötteln: Die „Verkaufsveranstaltung“ für „Schwedens erfolgreichsten
Exportartikel“ sei geglückt. Eigentlich konsequent. Wer, wie die taz, Sexualität für
eine Dienstleistung und Frauenkörper für
verkäuflich hält, wer von „Sexarbeiterinnen“
und „Sexindustrie“ spricht, der ist wohl
endgültig im Kapitalismus angekommen.
Und in dem geht es eben nur noch ums
Geschäft, ums Kaufen und Verkaufen. Wie
durfte die Postfeministin Laury Penny noch
kürzlich in der taz räsonieren? „Sex gegen
Geld tauschen, das tun alle Frauen in dieser
Gesellschaft mehr oder weniger.“ Von welcher Gesellschaft spricht die Engländerin?
Von der schwedischen wohl kaum. Und
auch nicht von der, die immer mehr deutsche Frauen und Männer wollen.
CHANTAL LOUIS
Mai/Juni 2014 EMMA
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034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 40
So präsentiert sich das Pulheimer Bordell Paradiso im Internet. Tageskarte mit all incl. und 5 x Sex: nur 79,99 €.
EMMA-Redakteurin
Alex Eul was here.
Zum
F
ahren Sie Ihren Rechner hoch und
starten Sie Ihren Internet-Browser.
Klicken Sie auf Google Maps.
Dann tippen Sie: Pulheim, Deutschland.
Eine Kleinstadt, von der Sie, wenn Sie
nicht zufällig aus dem Rhein-Erft-Kreis
stammen, wahrscheinlich noch nie gehört
haben. Sie werden auf der Online-Landkarte sehen, so denn Sie mittlerweile auf
„Enter“ gedrückt haben, dass Pulheim
eine von vielen Gemeinden zwischen
Köln und Düsseldorf ist. Kleinstädte, zersplittert in noch kleinere Ortsteile, an
denen die meisten Menschen mit Tempo
40
EMMA Mai/Juni 2014
70 vorbei oder durch die sie mit Tempo 50
durch fahren.
Diese Geschichte spielt in Pulheim. Sie
könnte auch in vielen anderen Kleinstädten in dieser oder in einer anderen Ecke
von Deutschland spielen. Pulheim ist nur
ein Exempel.
Zum Beispiel Pulheim: 53 786 Einwohner, über die Hälfte Frauen. Gut katholisch, die CDU ist mit 24 von 54 Sitzen im Rat die stärkste Partei (SPD: 14,
Grüne: 7). 72 Quadratkilometer Fläche,
17 Schulen, 13 Kirchen, 90 Kinderspiel-,
33 Tennis- und zwei Golfplätze. Und ein
Billig-Puff. Der bietet Männern für 79,99
Euro eine „Tageskarte ohne Zeitbegrenzung, all incl. und 5 x Sex“.
Zoomen Sie nun in die Karte rein.
Sehen Sie die L 183, namentlich Bonnstraße? Diese Straße führt nach Pulheim.
Wenn Sie diese Straße befahren, passieren
Sie Felder, die im Frühjahr gelb sind vom
Ginster, im Sommer gold vom Korn und
im Winter mit einer glitzernden Schicht
Raureif überzogen. Strommaste flimmern
in der Nachmittagsonne. Wir passieren
Brauweiler, der bekannteste der zwölf
Stadtteile.
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 41
Nein, das sind nicht die Damen vom Paradiso. Das sind die Funkenmariechen des Karnevalvereins Ahl Häre.
Beispiel Pulheim
Hier steht die ehrwürdige Abtei Brauweiler, Pulheims Aushängeschild. Auch
ihre dunklen Kapitel sind heute aufgearbeitet: 1933 errichteten die Nazis für
zwölf Monate ein Konzentrationslager in
der ehemaligen Benediktinerabtei. Ab
1941 nutzte die Gestapo sie als Gefängnis. In den 1970er Jahren war die Abtei
eine Fachklinik für Psychiatrie und Neurologie.
Heute, nach einer Renovierung für 35
Millionen Euro, ist von alledem nichts
mehr zu spüren. Die großen Säle, die aufgeräumten Höfe und der spitze Kirch-
turm der St. Nikolaus Kirche, der hoch
über die Bäume ragt, sind ein beliebtes
Ausflugsziel. Nicht nur für Pilger zwischen Köln und Aachen. Der „Freundeskreis Abtei Brauweiler“ lockt mit Klassikkonzerten und Ausstellungen. Das ist
Pulheim, wie es sich gerne zeigt.
Wir fahren weiter auf der L 183, kreuzen die S-Bahn mit Direktverbindung
nach Köln und stoßen auf die Venloer
Straße. Jetzt könnten wir direkt links fahren, ins Pulheimer Zentrum, einen Parkplatz am Straßenrand suchen und auf der
Einkaufsmeile rauf und wieder runter
schlendern. Entlang der Lädchen, die
Tee, Blumen und Engelsfiguren anbieten;
und vorbei an dem Büchergeschäft, das
in der Kommunionszeit die Kinderausgabe der Bibel genau so prominent ausstellt wie die Sex-Schmonzette „Fifty Shades
of Grey“. Wenn wir Glück haben, erleben wir ein Stadt- oder Schützenfest mit
Karussell, Wurstbude und Losstand.
Wir fahren trotzdem erst mal rechts,
Richtung Kentucky Fried Chicken und
dann scharf links in die Industriestraße,
wo der so genannte Zentralort Pulheim
an das Gewerbegebiet grenzt. Am Ende
Mai/Juni 2014 EMMA
41
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 42
der Straße steht ein umzäunter Klotz in
Bonbonrosa, mit gusseisernem Tor inklusive Sichtschutz. An der Tür steht in
Neonpink auf knallblauem Hintergrund
„Pauschalclub Paradiso“. Das ist Pulheim,
wie es sich nicht so gerne zeigt.
Der spitze Kirchturm der Nikolaus-Kirche
ist von hier nicht zu sehen. Schade, denn
der Heilige Nikolaus hatte zumindest der
Legende nach ein Herz für die Frauen
hinter dem Gittertor. So geht die Legende
über die „drei Jungfrauen“: Ein Vater entscheidet, seine drei Töchter in die Prostitution zu schicken, weil er nicht genügend Geld für die Mitgift hat. Nikolaus,
damals noch kein Bischof, hört das und
wirft in drei Nächten je einen Goldklumpen durchs Fenster. Die Töchter müssen
sich nicht prostituieren.
Durch die Fenster im Pauschalclub wirft
niemand Goldklumpen, da ist Geiz geil.
Auf Kosten von Frauen, die mit falschen
Hoffnungen hierherkamen oder vielleicht
auch dazu gezwungen wurden. Und die
nun festsitzen. Im Bordell von Pulheim.
Mit Sauna im Keller. Deshalb ist der Puff
offiziell ein „Saunaclub“. Und kein Puff.
Aber solche Dinge werden in Pulheim nur
hinter vorgehaltener Hand gesagt. Denn
den Puff gibt es ja eigentlich nicht.
Deshalb fahren wir auch erstmal weiter. Rechts, im Kreisverkehr wenden und
nach ein paar Metern erneut rechts. Geradewegs rein ins Pulheimer Stadtzentrum. Wir parken nur wenige Meter entfernt vom „Alten Rathaus“. Das ist so
etwas wie das Herz der Stadt. Es ist noch
gar nicht so lange her, dass es in ein
„Haus der Vereine“ umgewandelt wurde.
Die Vereine sind so etwas wie die Seele der
Stadt, „gute Beispiele für den Gemeinschaftssinn der hier lebenden Menschen“
(Zitat der Stadt Pulheim).
Denn: „Man fühlt sich wohl hier.“
Schließlich ist Pulheim im Rhein-ErftKreis die Stadt mit der geringsten Kriminalitätsrate – mal abgesehen von einem
Anstieg der Sexualdelikte. Pulheim hat
42
EMMA Mai/Juni 2014
Prost: Man kennt sich, man schätzt sich. Bürgermeister Keppeler (2. v. li) bei
Eröffnung des „Brauhaus Malzmühle“ im Alten Rathaus, Treffpunkt der Stadt.
außerdem die höchste Kaufkraft im Kreis.
Und eine Arbeitslosenquote unter Durchschnitt. Nicht zufällig wohnen angesehene Persönlichkeiten wie Jürgen Rüttgers,
der ehemalige NRW-Ministerpräsident,
in Pulheim.
Der Bau einer Bäderlandschaft im
Ortsteil Stommeln. Ja oder nein? Darüber
Die Stadt Pulheim:
90 Kinderspielplätze,
33 Tennisplätze,
17 Schulen, 13 Kirchen
und ein Puff.
stritten sich die BürgerInnen sechs Jahre
lang. Neuerdings mischt auch der Arbeitskreis „Besseres Pulheim“ mit, eine Initiative aus Geschäftsleuten. Bei einem Stadtrundgang in der Einkaufszone rund um
das Alte Rathaus wurde im November die
Marschrichtung für 2014 festgelegt: Die
Gestaltung der Blumenbeete soll ansehnlicher werden, die Bürgersteige sauberer
und die Schaufenster der Geschäfte einladender. „Wir wollen uns gegenseitig die
Augen öffnen“, sagt Horst Engel, Kopf
der Initiative und langjähriges Mitglied
im Pulheimer Stadtrat. Zwischen den
Blumenbeeten und dem gusseisernen Tor
vor dem Pauschalclub Paradiso liegen
weniger als zwei Kilometer.
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 43
Pulheim“. Der Pascha-Prinz Harald I.
heißt mit bürgerlichem Namen Harald
Müller und ist Vater eines Sohns. Seinen
Beinamen hat der 48-Jährige aus folgendem Grund: Müller ist der Immobilienmanager, genannt „Hausmeister“, im
selbsternannten größten Bordell Europas,
dem Pascha in Köln. Er ist außerdem der
Bruder von Hermann Müller, dem Besitzer des Großbordells. Einer der ersten
Amtshandlungen als Pulheimer Prinz
Karneval war für Müller eine Einladung
an die Vereinskumpanen: „Wir werden
mit großem Geschirr den Tabledance
besuchen. Das ganze Regiment kommt
dann vorbei.“ Wenige Wochen später
marschierten der Prinz und sein Gefolge
voll kostümiert in den Pascha Nightclub mit direktem Zugang zum Laufhaus
nebenan.
In Pulheim gingen die Dinge derweil ihren
Norbert Rohde, KG Ahl Häre (re), trägt sich ein ins Goldene Buch der Stadt.
Der Pascha-Prinz Harald I., auch ein Ahl Här, wird in Pulheim gefeiert.
Aber wir stehen ja noch vor dem Alten
Rathaus. Einer von zwei Geschäftsführern
der Betreibergesellschaft „KG-Ahl-HäreVeranstaltungs GmbH“ heißt Norbert
Rohde, gebürtiger Pulheimer, dreifacher
Vater und vierfacher Großvater, wegen seines „langjährigen großen Einsatzes“ im Goldenen Buch der Stadt verewigt. Wie zuvor
schon sein Vater. Seit 1986 ist er der Präsident der größten Karnevalsgesellschaft „Ahl
Häre“. Frauen sind seit 1996 zugelassen.
Der Karneval hat in Pulheim eine
„besondere Bedeutung“, steht auf der
Internetseite der Stadt. Ein „gesellschaftsbildendes Kraftfeld“ mit „menschenverbindender Wirkung.“ Für alle NichtRheinländer: Der traditionsreiche Karneval
ist außerdem die wichtigste Stellschraube
der Lokalpolitik.
Die Session 2013 sollte für das Städtchen Pulheim tatsächlich eine besondere
Bedeutung erhalten – weit über die Stadtgrenzen hinaus. Die Ahl Häre stellte das
Dreigestirn und der Kölner Express jubelte: „Ab sofort regiert Prinz ‚Pascha‘ in
Der Karneval hat
in Pulheim eine
besondere Bedeutung.
Die Session 2013 mit
Puff-Prinz auch.
gewohnten Gang. Kein Wort in der
Lokalpresse. Keine Bürgerinitiative, die
protestierte. Als eine Stadträtin das
Thema bei einer Ratssitzung auf den
Tisch brachte, erntete sie Gleichmut.
„Alle fanden das völlig normal.“
Eine Mutter aus Pulheim machte eine
ganz ähnliche Erfahrung: Sie erfuhr eher
zufällig von ihrem Sohn, welcher Narr das
Regiment übernommen hatte. Der hatte
die Neuigkeit auf dem Pausenhof aufgeschnappt. Als sie das Thema bei Nachbarn und Freunden ansprach, schwiegen
die einen beschämt, die anderen hatten
„gar nichts mitbekommen“. Dabei gab es
längst Irritationen, auch in dem Karnevalsverein selbst: „Liebe Frau Schwarzer,
ich kann Ihnen versichern, dass die Frauen
in der Pulheimer KG nicht so nonchalant
über den Beruf des Prinzen hinweggegangen sind, wie sie es behaupten“, schrieb
eine der Vereinsfrauen. Doch keine der
empörten Frauen will mit Namen genannt werden. Pulheim ist klein – und der
Ruf schnell ruiniert.
Offiziell tönte es ohnehin ganz anders
aus der rheinischen Kleinstadt. „Harald
Mai/Juni 2014 EMMA
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Nach dem Kirchgang
am Sonntag geht es
in Pulheim um das
werte Befinden und
die guten Geschäfte.
Müller ist ein normales Mitglied der Gesellschaft“, rechtfertigte sich KG-Präsident Rohde im Kölner Stadt-Anzeiger.
Und der Tabledance-Club sei eine „ganz
normale Adresse im Kölner Gastro-Angebot“.
Rohde selbst verkehrt natürlich in feineren Kreisen: Seit er im Ruhestand ist,
steht er als Mitglied der Truppe „Cäcilia
Wolkenburg“ des Männergesangsvereins
Köln beim bekannten „Divertissementchen“ auf der Bühne der Kölner Oper. In
Pulheim hat er schon im Kirchenchor
gesungen. Seine Ehefrau Gisela leitete
früher den katholischen Kindergarten in
St. Kosmas und Damian (mit 10 214
registrierten Gläubigen eine der größten
katholischen Gemeinden im gesamten
Erzbistum Köln).
Wir verlassen jetzt den Platz vor dem
Alten Rathaus, steigen ins Auto und machen uns auf den Weg nach St. Kosmas
und Damian. Wer sich in Pulheim verfährt, versteht rasch, wieso die Stadt ihren
„teils kleinstädtischen, teils dörflichen
Charakter“ betont. Wer sich in Pulheim
verfährt, versteht nicht, wie in dieser Stadt
mit ihren immer enger zulaufenden Straßen, den dicht aneinandergebauten Einfamilienhäusern, den gepflegten Vorgärten
und gestutzten Hecken und den Carports
vor der Haustür einem irgendetwas entgehen kann. So ein Puff zum Beispiel.
Vor allem nicht sonntags, nach der
Messe auf dem Vorplatz der Pfarrkirche
St. Kosmas und Damian. Da, wo sich die
Pulheimer nach dem Kirchgang die
Hände schütteln und über das werte
Befinden und die guten Geschäfte plauschen. Wenn die Küsterin das Körbchen
für die Kollekte in die hölzernen Sitzrei44
EMMA Mai/Juni 2014
hen reicht (600 Sitzplätze), wandern
Fünf- und Zehn-Euro-Scheine hinein.
So ein Schein, nicht mehr, bleibt vielen Frauen im Pauschalclub Paradiso nach
einem Tag Prostitution. Wie das zustande
kommt? So: Eine Tageskarte für frei
Saufen inklusive fünf Mal Sex kostet die
Freier 79,99 Euro, ein Drei-StundenTicket inklusive drei Mal Sex 59,99 Euro,
das Ticket für frei Saufen plus ein Mal
Sex (11 bis 16 Uhr) 29,99 Euro. Zieht
man da die Betriebskosten, die Kosten für
das Freibier und den Gewinn des Bordellbetreibers ab, plus das Geld, dass die
Prostituierten vermutlich für Zimmer,
Essen und Getränke zahlen, dann bleibt
nicht mehr viel übrig. Auf der Webseite
verspricht der Bordell-Betreiber „Spaß
ohne Ende“. Den Freiern.
Rufen wir doch einfach mal an, sagen wir,
um einen Junggesellenabschied zu organisieren! Es meldet sich eine Frau, die erklärt, dass Gruppen sich vorher anmelden
müssen, damit auch sicher genug
„Damen“ anwesend sind. Normalerweise
sind immer 15 bis 30 Damen da, zwischen 18 und 37 Jahren alt und „international“. Fragt man die Frau am Telefon
nach Gruppenrabatt, antwortet sie: „Wir
sind ja wohl schon günstig genug!“
Vor vier Jahren hieß der Puff noch
„Partytreff Pulheim“ und war ein FlatrateBordell. Davon zeugen immer noch Einträge in den einschlägigen Foren. Auf
bordellcommunity.com äußert sich ein
Freier erbost darüber, dass den Gästen
nur drei Frauen zur Verfügung standen:
„Bis ich die Dritte so weit hatte, dauerte
es Stunden. Eine sehr Junge. Sie fühlte
sich sichtlich unwohl und hatte einen
kleinen Teddybären und einen Eisbären
dabei, die sie streichelte. Sie zitterte, war
abweisend und teilnahmslos. 20 Minuten
vor den drei Zimmern gesessen. Sie wollte
unbedingt das letzte Zimmer, das frei
wurde (nur Herauszögerei!). Dann aber
schnell den Gummi drum und ich musste
ran, während sie teilnahmslos weiterhin
ihre Teddys streichelte. Nachdem ich abgespritzt hatte, springt sie ohne Ton wie
von einer Tarantel gestochen auf und rast
mit ihren Tierchen aus dem Zimmer.“
Ob Pulheims Bürgermeister Frank
Keppeler manchmal im Internet surft?
Und auf bordellcommunity.com geht? In
seinem Neujahrsgrußwort 2014 stimmt er
seine Bürger zuversichtlich auf das neue
Jahr ein. Besonders die „Neugestaltung
der Pulheimer Bildungslandschaft“ und
die „Verbesserung der Vereinbarkeit von
Familie und Arbeit“ sind in Pulheim auf
gutem Wege. „Sauberkeit, Sicherheit und
Ordnung“ sind Keppeler ein Anliegen.
Pulheim wirbt um junge Familien mit
Kindern. Denn Pulheim hat das gleiche
Problem wie die meisten kleinen Städte:
Die Jungen ziehen weg.
Keppeler blieb. Als das Bordell vor
rund zwanzig Jahren aufmachte, hatte er
gerade Abitur gemacht am katholischen
Gymnasium Kloster Knechtsteden im
nahen Dormagen, wo „der christliche
Glaube Grundlage der Bildungs- und Erziehungsarbeit“ ist. Danach studierte er
Jura und arbeitete als Rechtsanwalt. 18
Jahre war Keppeler alt, als er in die CDU
eintrat. Und erst 36 Jahre, als er 2009
zum Oberbürgermeister der Stadt gewählt
wurde. Das Bordell gab es da immer
noch.
2010 kam die Frauen-Flatrate und
damit auch das Mädchen mit den Stoffteddys in die Stadt. Seit kurzem ist der Pauschalclub Paradiso – laut eigener Webseite
„mit neuer Führung“ – damit beschäftigt
zu expandieren. Da, wo heute der Klotz in
Rosa steht, stand bis vor kurzem noch ein
schäbiger, grau-verklinkerter Bungalow.
Die Geschäfte scheinen zu laufen.
Am 25. Mai 2014 sind Kommunalwahlen. Auf Bundesebene wird eine Reform
des Prostitutionsgesetzes diskutiert. Nicht
nur in Deutschland, sondern in gesamt
Europa wird die Frage nach der Menschenwürde gestellt. Was ist davon im gut
katholischen Pulheim angekommen?
Dierk Timm, Spitzenkandidat der
Pulheimer SPD und Vorsitzender der
SPD-Fraktion im Stadtrat, antwortet auf
Beim Puffgang in
Pulheim gibt es Freibier satt, fünf Mal Sex
für 79,99 Euro und
„Spaß ohne Ende“.
Brauerei zur Malzmühle Schwartz GmbH & Co. KG (3), pulheim.de, Stefanie Stockem
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 45
eine Anfrage von EMMA: „Die Ansiedlung eines Bordellbetriebs in einem
Gewerbegebiet sehe ich nicht als problematisch an.“ Marlies Stroschein, stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt und
weibliche Spitzenkandidatin der SPD,
schließt sich kommentarlos an. Auch die
Grünen möchten keine Stellungnahme
abgeben. Sie verweisen auf die offizielle
Stellungnahme ihrer Stadt. Allerdings
schickte Grünen-Sprecher Thomas Roth
vorab noch schnell eine ganz persönliche
E-Mail: „Von der Existenz des Bordells
weiß ich nichts“, schreibt er. Und versichert: „Prostitution spielt in meinem
direkten Umfeld keine Rolle. Wir sind
davon in keiner Form betroffen, weder
persönlich, privat noch in meinem Freundeskreis.“
Bürgermeister Frank Keppeler (CDU)
lässt seinen Pressesprecher antworten,
Dirk Springob. „Die Existenz dieses Saunaclubs ist für die Stadtverwaltung nicht
von einer moralischen Bewertung, sondern von der rechtlichen Beurteilung abhängig“, schreibt der. Und: Grundsätzlich
sei der Betrieb eines „Saunaclubs“ in
einem Gewerbegebiet zulässig. Der Pressesprecher weist allerdings daraufhin, dass
die Stadt Pulheim in den Jahren 1992 bis
2008 gegen insgesamt fünf Bordellbetriebe in Wohngebieten „vorgegangen sei“.
Immerhin.
Pulheim hat 79 Millionen Euro Schulden. Die Stadt nehme aber „durch ihr
Grundstücksmanagement viel Geld ein“,
erklärte Bürgermeister Keppeler im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger 2009.
Pulheim präsentiert sich als attraktiver
„Wirtschaftsstandort mit Wohnqualität“.
Und das Bordell nebenan?
Wie hoch die steuerlichen Einnahmen
sind, die eine Stadt mit einem solchen
Bordell macht, das ist ein Geheimnis.
Auch Pulheim will keine Auskunft geben,
aus „rechtlichen Gründen“. In einer
Anfrage an die NRW-Regierung aus dem
Jahr 2013 zum Thema „Sexsteuer in
nordrhein-westfälischen Kommunen“ heißt
es: „Es liegen keine Erkenntnisse vor,
welche Kommunen die Einführung einer
solchen Steuer planen“.
Eine „Sexsteuer“ gibt es nicht, auch
wenn sich der Begriff eingebürgert hat.
Erhoben wird eine sogenannte „Vergnü-
gungsstättensteuer“ von den Bordellen und
anderen „Prostitutionsobjekten“. Sowie
eine Pauschalsteuer, eine Art Einkommenssteuer von den (angeblich selbstständigen) Prostituierten. Ob und wie das
im Detail abläuft, ist Angelegenheit der
Kommunen und der zuständigen Finanzdirektionen. Und die sind erfinderisch.
Im benachbarten Städtchen Elsdorf
zahlen Prostituierte pro „Veranstaltungstag“ sechs Euro an die Stadt. Laut Satzung „unabhängig von der tatsächlichen
Inanspruchnahme und der Anzahl sexueller Dienstleistungen“. Wie viele Kommunen in NRW in welcher Höhe Steuern
durch die Prostitution beziehen, darüber
kann allerdings weder das Finanzministerium, noch das Ministerium für Kommunales oder das Frauenministerium, das
von Hause aus für das Thema zuständig
wäre, Auskunft geben.
Fahren wir also noch mal zurück zu dem
rosafarbenen Betonklotz in der Industriestraße. Über den es laut Pressesprecher
Springob bisher „keinerlei Beschwerden
gegeben hat“. Ganz im Gegenteil: „Der
Betrieb läuft unauffällig und wird von der
Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.“
Etwa 500 Meter hinter dem Bordell
beginnt ein Neubaugebiet mit Reihenhäusern und verkehrsberuhigten Straßen.
Die Art von Häusern, in die typischerweise die jungen und zahlungskräftigen Familien einziehen, die zukünftig Pulheims
wichtigster Wirtschaftsfaktor sein sollen.
In dem Neubaugebiet sind Straßen nach
Edelsteinen benannt. Der kürzeste Weg
von Köln in die Saphirallee führt direkt
an dem Bordell vorbei.
Noch ein paar Meter weiter geht es
links zu Pulheims Moschee. Und dann
wird es so richtig ländlich. Hier stehen
prächtig sanierte Bauernhöfe und alte
Apfelbäume. Wer sich die Zeit nimmt,
trifft im Sommer Pilgerreisende, die ein
Kreuz vor sich hertragen und landeinwärts ziehen, während einer laut aus der
Bibel vorliest. Mission Nächstenliebe.
Nächstenliebe ist Pulheim wichtig. Der
Aktionsring „Besser kaufen in Pulheim“,
eine Interessensgemeinschaft Pulheimer
Unternehmer, sorgt sich schon seit 1978
um den Erhalt der „lebens- und liebenswürdigen Stadt“. Nicht nur aus kommer-
„Der Betrieb läuft
unauffällig und wird
von der Öffentlichkeit
nicht wahrgenommen.“
(Stadt Pulheim)
ziellem Interesse, betonen die Initiatoren.
In Pulheim ist immer was los vor dem
Alten Rathaus: Ostermarkt, Weinmarkt,
Weihnachtsmarkt. Die Oldtimer-Tour
„de Flönz“ nicht zu vergessen. Die wird
auch von der Karnevalsgesellschaft Ahl
Häre organisiert. Dann kommen die, die
es sich leisten können, mit ihrem Oldtimer vor das Alte Rathaus gefahren. Die
Gäste johlen und klatschen bei jedem
Wagen, der an die Startposition für die
gemeinsame Spritztour fährt. Aber Anfassen verboten! „Sie dürfen sich reinsetzen“,
sagt der Besitzer des silbernen Porsches
stolz. Und sein Freund sagt: „Reinsetzen
ist wahrscheinlich nicht das Problem.
Sondern Rauskommen. Der macht nachher die Tür zu und fährt mit Ihnen sonst
wo hin.“
Harald Müller ist auch da. Es ist einer
seiner letzten großen Auftritte in der Session 2013. Der Pascha-Prinz schlürft auf
dem Rücksitz einer schwarzen Stretchlimousine Champagner. Als der Wagen
an die Startposition fährt, johlt und
klatscht niemand. Einige Wochen später
macht die KG Ahl Häre es offiziell: In der
Session 2014 gibt es im zentralen Pulheim
kein Dreigestirn.
Sie können Ihren Browser jetzt wieder
schließen und den Rechner runterfahren.
Setzen Sie sich ins Auto und fahren Sie
mal in die nächste Kleinstadt. Halten Sie
diesmal ausnahmsweise an. Und gucken sie nicht weg. ALEXANDRA EUL
emma.de
Themen: Prostitution
Mai/Juni 2014 EMMA
45
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 46
Das Gespräch
mit einem,
der NEIN sagt
Er ist einer von 2 362. So viele Männer haben bisher
das Manifest der Zéromachos, der Nullmachos, unterschrieben. Darin heißt es: „Lasst uns eine Welt schaffen, in der niemand mehr auf die Idee kommt, sich den
Zugang zum Körper eines anderen kaufen zu können,
und in der Sex weder mit Geld noch mit Gewalt zu tun
hat!“ Auch Hans Broich will eine Welt ohne Prostitution –
und er findet, dass gerade Männer sich dafür einsetzen
sollten. Deshalb hat er seinen Namen unter das Manifest gesetzt. Das fordert unter anderem die Bestrafung der Sexkäufer. In Frankreich, dem Mutterland
der 2011 gegründeten Zéromachos, ist dieses Ziel
schon fast erreicht. Und das auch Dank ZéromachoGründer Patric Jean (EMMA 1/2014) und seinen Mitstreitern, die via Interviews, Filmclips und Presseerklärungen eine unüberhörbare Stimme im Kampf
gegen das „système prostitueur“ geworden sind. In
Deutschland war es bisher noch recht still um die
knapp 200 Nullmachos, die das Manifest hierzulande
unterzeichnet haben. Doch das ändert sich gerade.
Nicht zuletzt Dank Hans Broich, 23, Student der
Agrarökonomie und Sohn der SchauspielerInnen
Margarita Broich und Martin Wuttke. Vor kurzem gab
er sein erstes Interview zum Thema Prostitution. Und
das soll erst der Anfang sein: Mitunterzeichner und
Mitstreiter gesucht! – Chantal Louis traf Hans zusammen mit seiner Lebensgefährtin Bérénice in seiner
Wohngemeinschaft in Berlin-Schöneberg. Bérénice ist
bei den Femen aktiv und Mutter einer sechsjährigen
Tochter. Hans ist seit deren zweiter Lebenswoche der
soziale Vater des kleinen Mädchens – das einmal in
einer Welt ohne Prostitution aufwachsen soll.
46
EMMA Mai/Juni 2014
Hans, wie bist du eigentlich dazu gekommen, dich gegen Prostitution zu engagieren?
Ich laufe permanent mit einem kleinen,
sechsjährigen Mädchen durch die Stadt
und sehe dabei auf Werbeplakaten nur
nackte Frauen. Da geht es zunächst noch
gar nicht um Prostitution, sondern um den
alltäglichen Sexismus, der mir überall begegnet. Dagegen zu halten ist schwer, weil
ein unglaublicher Mediendruck herrscht.
Wir kaufen der Kleinen schlichte, praktische Schuhe, aber im Kindergarten haben
alle Mädchen rosa Prinzessinnen-GlitzerSchuhe. Als das Barbie-Dreamhouse hier
in Berlin stand, sind alle Mädchen aus dem
Kindergarten hingegangen. Was nun die
Prostitution angeht: Prostitution ist in
meinen Augen gleichzeitig Auswuchs und
Förderer von Sexismus.
Dabei gehörst du zu der Generation junger Männer, die mit dem Slogan von der
Prostitution als „Beruf wie jeder andere“
aufgewachsen ist.
Klar! Als ich in der Oberstufe war, sind
Mitschüler in der großen Pause ins Artemis gefahren (ein Großbordell in Berlin,
Anm. d. Red.). Das waren zwar nicht
meine Freunde, aber ich bekam das mit,
weil ganz offen darüber gesprochen
wurde. Auch in meinem früheren Freundeskreis habe ich das gemerkt. Man muss
dazu sagen, dass wir viel in Berlin-MitteKreisen unterwegs waren. Das war so ein
Milieu mit reichen Künstler-Kindern.
Und eines Abends hat mich eine Freundin, mit der ich aufgewachsen bin, angerufen und gesagt: „Ich bin hier in so einer
Bar, kommt doch da nach der Arbeit
noch hin!“ Dann sind Bérénice und ich
hingefahren und kamen in einen dunklen
Raum. Da war eigentlich nur ein Barkeeper, und in der Ecke saßen ein paar
aufgebrezelte Frauen. Dann wurden wir
in einen Hinterraum geführt. Da standen
Leder-Couches und auf einer saß ein
bekannter Berliner Gastronom und hatte
zwei 20-jährige Frauen auf dem Schoß.
Wenn da zwei Frauen auf dem Schoß von
einem sechzig Jahre alten, wahnsinnig
unattraktiven Mann sitzen, dann weiß
man einfach, was los ist. Wir waren da in
einer Art Bordell gelandet. Und was besonders eklig war: Alle haben so getan, als
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 47
„Prostitution geil zu
finden, das hat nichts
mit Testosteron zu tun,
sondern mit Sexismus.“
HANS BROICH
Werner Hallatschek
Deutschland. Denn ohne die Nachfrage
der Männer gäbe es keine Prostitution.
ob das völlig normal wäre. Die Freundin,
die uns da hinbestellt hatte, hat uns sogar
noch einen Porno auf ihrem iPhone gezeigt
und gesagt: „Guckt mal, der ist so hardcore,
das ist quasi eine Vergewaltigung.“ Wir
sind dann sofort gegangen.
Hast du selbst nie gedacht: Das würde ich
auch gern mal …?
Nein! Das wäre für mich nie in Frage
gekommen. Ich würde mich zu Tode
schämen. Ich möchte keinem anderen
Menschen auf diese Weise begegnen.
Viele Leute, mit denen ich über Prostitution diskutiere, wollen Statistiken hören.
Das ist für mich gar nicht der Punkt. Es
ist eine Sache des gesunden Menschenverstandes.
Und wie bist du zu Zéromacho gekommen?
Durch meine Freundin Bérénice. Die ist
sehr feministisch aufgewachsen. Das erste
Buch, aus dem sie mir vorgelesen hat, war
der Interviewband von Alice Schwarzer
mit Simone de Beauvoir. Die Mutter von
Bérénice ist Französin und hat eines
Tages den Kontakt zu Florence Montreynaud hergestellt. Die ist quasi die Initiatorin von Zéromacho. Vor ungefähr anderthalb Jahren kam sie nach Berlin, um
auch in Deutschland Unterschriften für
Zéromacho zu sammeln, und wir haben
uns mit ihr in einem Café getroffen. Sie
hat mir das Manifest von Zéromacho
gezeigt und mich gefragt, was ich dazu
denke. Ich fand alles richtig, was da stand,
und habe es selbstverständlich unterschrieben.
Darin fordern die Zéromachos auch die
Bestrafung der Freier.
Genau. Und die Nullmachos waren in
Frankreich eine laute Stimme in der Debatte um das neue Gesetz, nach dem in
Zukunft die Freier bestraft werden sollen.
Ich wünsche mir so ein Gesetz auch für
Du bist bei den Femen, Bérénice. Wie bist
du denn zu denen gestoßen?
Bérénice: Hans und ich haben zusammen
den Dokumentarfilm „Nos seins, nos
armes“ (Unsere Brüste, unsere Waffen)
von Caroline Fourest über die Femen geschaut. Da war ich total begeistert! Ich
habe die Femen angeschrieben und gesagt, dass ich mitmachen will. Bis dahin
hatte ich immer allein gestanden mit meiner Haltung – und habe dann endlich
Frauen gefunden, die mit mir auf einer
Linie sind.
Hans: Das sind alles kluge, junge Frauen.
Und ich fand es toll, dass es junge Menschen in meinem Alter gibt, die über
Sexismus und Prostitution nicht nur diskutieren, sondern auch Aktionen machen
und handeln!
Bérénice: Ich habe dann im Dezember
2013 bei der Aktion vor dem Berliner
Großbordell Artemis mitgemacht. Hans
war auch dabei und hat unsere Jacken
gehalten.
Hans: Ich war so stolz! Ich war, glaube
ich, aufgeregter als Bérénice.
Bérénice: Das Schwierige an so einer Aktion
ist übrigens gar nicht, sich auszuziehen.
Das sind wir Frauen schließlich gewöhnt.
Das Schreien und dabei stark sein, das ist
der Punkt. Und wenn man diese Slogans
immer wieder ruft – „Importiert kein
Menschenfleisch! Sex ist kein Grundrecht!“ – dann bekommen sie wirklich eine
ganz große Kraft, auch für einen selbst.
Das habe ich als eine Art Rückeroberung
meines Körpers empfunden. Und ich fand
übrigens plötzlich auch meine kleinen,
abgestillten Brüste wieder schön.
Mai/Juni 2014 EMMA
47
034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 48
Hans Broich und Lebensgefährtin Bérénice, eine aktive Feme.
Hans, deine Eltern sind die SchauspielerInnen Margarita Broich und Martin
Wuttke. Was sagen denn die zu deinem
Engagement?
Zu dem Interview auf SpiegelOnline haben
sie bisher erstaunlicherweise gar nichts gesagt. Vermutlich müsste ich mit meiner
Mutter eine Diskussion darüber führen,
dass es schließlich auch „freiwillige“ Prostituierte gibt. Mit Feminismus oder überhaupt der Idee, sich politisch zu engagieren
– damit bin ich nicht aufgewachsen. In
dem Künstlermilieu, in dem ich groß geworden bin, war eher so eine Laissez-faireHaltung angesagt. Da war es schick, alles
laufen zu lassen und keine Moral oder Haltung zu etwas zu haben. Und das beobachte
ich auch bei meiner Generation: Eine Haltung zu haben, das ist uncool geworden
und wird als spießig abgestempelt.
Und wie haben Kollegen oder Freunde
auf das Interview mit dir reagiert?
Ich jobbe in einem Nachtclub, und da
kamen von Gästen schon Sprüche wie:
„Aha, du vergleichst mich also mit einem
Vergewaltiger …“ Oder: „Ich lese auch
SpiegelOnline, Hans.“ Und dann kein
Wort mehr. Meine Freunde weichen dem
Thema eher aus. Wenn ein Freund von
mir ein Interview über Prostitution gegeben hätte, würde ich doch nachfragen! Es
48
EMMA Mai/Juni 2014
„Das Schwierige bei
einer Femen-Aktion ist
nicht das sich Ausziehen,
sondern das Schreien.“
BÉRÉNICE
fragt aber keiner. Es sagt auch keiner: „Was
redest du da für einen Quatsch?“ Das wäre
ja auch okay, denn dann könnte man
wenigstens darüber diskutieren. Aber sie
ziehen es vor, die Sache zu ignorieren. Mit
einer Ausnahme: Ich hatte noch nie erlebt,
dass sich meine Mitbewohner über ein
politisches Thema gestritten haben. Diesmal aber schon. Das fand ich super. Ich
dachte: Wenn sich nur ein paar Wohngemeinschaften in Deutschland jetzt mal über
das Thema Prostitution auseinandersetzen,
dann hat das Interview schon was bewirkt.
Gab es auch Zuspruch?
Mein Patenonkel hat mir aus Irland gemailt, dass er es gut, richtig und wichtig
findet. Dieser Patenonkel hat mich sehr geprägt. Meine Eltern haben als Schauspieler
ja abends oft gearbeitet und ich war viel
mit ihm zusammen. Er schrieb an diesem
Morgen allerdings auch: „Lies die Kommentare nicht!“ Und: „Du musst dir darüber im Klaren sein, dass jetzt ein paar Millionen Menschen eine Meinung über dich
haben.“ Ich habe gedacht: „Ich finde gut,
dass jetzt ein paar Millionen Menschen
wissen, dass ich eine Meinung habe!“
Und wie wird es jetzt weitergehen mit
Zéromacho Deutschland?
Bisher haben wir ja erstmal nur das Manifest unterschrieben. Wir, das sind rund
120 Männer. Ich will aber auf jeden Fall
weitermachen! Inzwischen habe ich eine
deutsche Zéromacho-Seite auf Facebook
erstellt und hoffe, dass wir auf diesem Weg
mehr Unterzeichner und Mitstreiter finden. Und wenn jetzt auch noch EMMA
das Manifest veröffentlicht, kann es richtig
losgehen. Ich finde es wahnsinnig wichtig,
dass sich gerade Männer zu Wort melden
und ihren Geschlechtsgenossen erklären:
Prostitution geil zu finden und Frauen zu
erniedrigen, hat nichts mit Testosteron
zu tun, sondern mit Sexismus!
Im Netz
www.facebook.com/freierbestrafung
www.zeromacho.fr
034_049_Prostitution_korr 11.04.14 15:15 Seite 49
Männer sagen Nein zur Prostitution!
Ist Prostitution ein „Herrenrecht“? Bedeutet sie „sexuelle Freiheit“ für Frauen?
Ist sie eine unvermeidliche Realität, damit Männer ihre „ununterdrückbaren
Bedürfnisse“ befriedigen können?
Nein! Schluss mit dieser Propaganda!
Wir, Männer jeden Alters, unterschiedlichster Herkunft und verschiedenster
Lebensumstände, weigern uns, unsere Sexualität im Rahmen von Geschäftsbeziehungen auszuleben. Für uns ist Sexualität Kommunikation zwischen
Menschen, die unter Gleichen stattfinden sollte – mit Respekt vor dem/der
anderen, vor seiner/ihrer Freiheit und seiner/ihrer Lust.
Wir sagen:
• NEIN zu diesem Markt des Elends, der die Verletzlichsten dazu treibt,
ihren Körper zu vermieten!
• NEIN zu einer Machokultur, die Sexualität dazu benutzt, um andere zu
dominieren und zu entwürdigen!
• NEIN zu Bordellen, auch gewerberechtlich anerkannten, wo von Zuhältern
ausgebeutete Frauen eingepfercht sind, um Männern zu Diensten zu sein.
• JA zur sexuellen Freiheit!
• JA zu gegenseitigem Begehren und gemeinsamer Lust!
Wir vertreten das Prinzip der Gleichheit zwischen den Geschlechtern und
fordern deshalb die Politik auf:
• Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen sowie Ausstiegsprojekte und
wirkliche Alternativen zur Prostitution zu schaffen
• Eine anti-sexistische Sexualerziehung in die Lehrpläne aufzunehmen,
die den Respekt vor dem/der PartnerIn und seiner/ihrer Lust und seinen/
ihren Wünschen vermittelt.
• Die Bestrafung der Freier, die den Prostitutionsmarkt überhaupt erst
schaffen, nach dem „Schwedischen Modell“ einzuführen
Lasst uns eine Welt schaffen, in der niemand mehr auf die Idee kommt,
sich den Zugang zum Körper eines anderen kaufen zu können. Eine Welt,
in der Sex weder mit Geld noch mit Gewalt zu tun hat!
 www.facebook.com/freierbestrafung
Mai/Juni 2014 EMMA
49
050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 50
D
ieser Text beginnt mit einer Feststellung, die meine Kolleginnen
überaus peinlich finden, man
könnte sogar sagen: mit einer Art ComingOut. Es ist nämlich so: Ich mag Bärte.
Ich führe diese Präferenz auf eine frühkindliche Prägung zurück, denn meine
Mutter hatte über ihrem Bett(!) ein Poster
von Che Guevara hängen. Es handelte
sich um das berühmte Bild des Guerillakämpfers, der im Original ja gar nicht
sooo gut aussah, in der schwarz-weißen
scherenschnittartigen Variante aber überzeugend den jungen schönen Wilden gab.
Offensichtlich hat sich mir das Poster als
eine Art Prototyp des gutaussehenden
Mannes eingebrannt. Verstärkt wurde dies
durch die Tatsache, dass ich ohnehin kaum
bartlose Männer kannte, denn wir befinden
uns im linken studentischen Milieu der
1970er Jahre, in dem mann Marx und Engels, beide Träger ausufernder Bärte, auch
optisch nacheiferte und so den spießigen,
glattrasierten Vätern sein revolutionäres Potenzial plastisch vor Augen führte. Als Vorbild war aber auch der Typus Partisan angesagt, der zum Beispiel in Spielfilmen über
den spanischen Bürgerkrieg auftauchte und
mit hohlen, unrasierten Wangen erheblich
mehr Sexyness aufwies als die wohlgenährten Schreibtischtäter Karl und Friedrich.
50
EMMA Mai/Juni 2014
BEIM BARTE
DES HELDEN
Ja, jedenfalls mag ich also Bärte. Theoretisch. In der Praxis ist es so, dass mir
Bärte, die nicht auf Postern oder in Filmen über den spanischen Bürgerkrieg
auftauchen, sondern im wahren Leben,
nicht so nahe kommen, dass sie mich
kratzen und pieksen könnten. Was ich
mit alledem sagen will, ist: Ich bin, vermutlich als einziges Mitglied der EMMARedaktion, in der Lage, unvoreingenommen und sogar mit einem gewissen
Wohlwollen über das Thema Bärte zu
schreiben.
Dass Bärte zurzeit ein bedeutendes
Thema sind, erschließt sich jedem und
jeder, der oder die gelegentlich seine oder
ihre Nase entweder in hippe Kneipen
deutscher Großstädte oder in Zeitschriften
steckt, die prominente Männer wie Jake
Gyllenhaal oder Ingo Zamperoni abbilden. Hinzu kommen Modeanzeigen mit
Herren, die man noch vor einem Jahr der
Mitgliedschaft bei den Taliban verdächtigt
hätte. Sogar der einst schmierig gegelte
Bild-Chefredakteur Kai Diekmann gehört
nach seinem Ausflug ins Silicon Valley
nun in die Rübezahl-Riege.
Kleiner empirischer Test: Von vier
Männern auf dem Titel der Gala Men
haben drei bewucherte Wangen, nämlich
Pep Guardiola (mittel), James Franco
(lang) und Ashton Kutcher (Ziege, neudeutsch: Goatee). Im Inneren des Magazins präsentieren sich Schauspieler Erol
Sander oder Fußballer David Beckham
mit kompletter Gesichtsbehaarung. Sogar
zwei von vier Protagonisten eines Artikels, der beweisen soll, dass Männer „im
Bad auf Expansionskurs“ sind, sprich:
Kosmetika benutzen, tragen Vollbart.
Kein Wunder, dass sich auch Chefredakteur Christian Krug fürs Editorial-Foto
nicht rasiert hat, und das augenscheinlich
seit Wochen.
Ein weiteres und definitiv todsicheres
Zeichen für die Hipness des Bartes: Auch
Schwule, bekanntlich Early Adopters jedweden Trends, tragen welche. Sogar Boy
George hat einen. Und das will nun wirklich was heißen.
Kein Zweifel: Bärte sind angesagt. Und
zwar lange Bärte. Der Drei-Tage-Bart
scheint der Bezeichnung „Bart“ nicht
mehr würdig. Männer lassen ihre Wangen
bewachsen, was das Rasierzeug hält. Bekanntlich wohnt jeder Mode eine Botschaft inne. Die Frage ist also: Was wollen
uns die Männer mit ihren Bärten sagen?
Bei einigen wenigen Exemplaren springt
die Message spontan ins Auge. Denn geht
man dem Phänomen an die Haarwurzel,
stößt man auf eine sehr einfache Erkennt-
050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 51
George
Clooney
nis: Der Bart ist in diesen emanzipierten
Zeiten quasi das einzige, was den (angezogenen) Mann noch von der Frau unterscheidet. Manchen Männern ist dieser
Unterschied eklatant wichtig. Zum Beispiel eben den Taliban. Oder Bushido,
der inzwischen eine gewisse Sympathie
für diese Herren zu hegen scheint, und
das nicht nur die gemeinsame Art der
Barttracht betreffend. Bushidos Neuköllner Lieblingsmoschee wird wegen salafistischer Umtriebe vom Verfassungsschutz
beobachtet, und so ist es ja auch durchaus stimmig, dass der Rapper jene Menschen, denen Allah den Bartwuchs versagt hat, als „Fotzen“ und „Nutten“
tituliert.
Aber wir wollen nicht ungerecht sein.
Auch unter www.bibellexikon.de findet
sich unter dem Stichwort „Bart“ eine
klare Ansage: „Ihr sollt nicht den Rand
eures Haupthaares rundscheren, und den
Rand deines Bartes sollst du nicht zerstören“, wird Moses zitiert. Der biblische
Urvater brachte auch andernorts seine
Abneigung gegen den Unisex-Style zum
Ausdruck: „Es soll nicht Mannszeug auf
einem Weibe sein und ein Mann soll
nicht das Gewand eines Weibes anziehen,
denn wer solches tut, ist ein Gräuel für
Jahwe, deinen Gott.“
Es gibt zunehmend Menschen, die solche biblischen Befehle auch 2 000 Jahre
später noch wörtlich befolgen. So fordert
zum Beispiel im Internet der passionierte
Christ Hans-Jürgen Böhm in seiner 34seitigen Abhandlung „Der Bart des Mannes“ die Herren der Schöpfung unmissverständlich auf: „Handle nach dem Wort
GOTTES: Lass deinen Bart ohne jegliche
Eingriffe wachsen.“
„Den Rand
deines Bartes
sollst du nicht
zerstören“,
befahl schon
Moses.
Kai Diekmann
Schließlich war auch Gottes
Sohn Bartträger. Das wissen wir
nicht nur aus zahllosen Jesus-Filmen, sondern auch aus Jesajas
Hohelied: „Seine Wangen sind wie
Beete von Würzkraut.“
Worum es dem frommen Verfasser der
Abhandlung eigentlich geht, ist klar: „Die
Frage, die sich jeder Gläubige stellen sollte, ist, inwieweit er bereit ist, willentlich
die Rolle einzunehmen, welche ER für
ihn als Mann oder Frau vorgesehen hat.“
Wir wissen nicht, ob Henning Baum
christlicher Fundamentalist ist. Aber der
„Letzte Bulle“, der schon Vollbart trug,
als sein blondes Gesichts-Gewöll in den
Talkshows noch für Irritation sorgte, ist
jedenfalls großer Anhänger der Geschlechterdifferenz. Der breitschultrige Schauspieler sagt in Interviews Sätze wie: „Der
Mann muss raus aus der Höhle und auf
die Jagd gehen!“ Oder: „Wäschewaschen
ist Frauensache.“
Aber die Sache ist augenscheinlich
komplizierter. Denn das Gros der neuen
Bartmänner gehört gar nicht zum Typus
Bin Laden, Vader Abraham (der mit den
Schlümpfen) oder Kanadischer Holzfäller.
Nein, es sind die netten jungen Männer
mit den Strickmützen und den schwarzen
Nerdbrillen, die ihre Gesichtsbehaarung
wuchern lassen.
Und jetzt wird es richtig spannend. Betrachtet frau nämlich die weiteren Körpersignale, die die Bartträger so aussenden,
kommt sie zu dem Schluss, dass es sich um
eine klassische Doublebind-Botschaft handelt. So ist zum Beispiel der gemeine Hipster keineswegs ein Mann wie ein (Henning)
Baum, also nicht mit Holzfällerschultern
ausgestattet, sondern mit bisweilen beängs-
tigendem Untergewicht. Dieses betont
er auch noch, indem
er seine Spinnenbeinchen in superenge, ebenfalls hochmodische Jeans
quetscht. Von Muskeln keine Spur. Eine
veritable Axt kann der bärtige Nerd keinesfalls schwingen.
Hinzu kommt: Die Jungs lassen ihrem
Bart erklärtermaßen intensive Pflege angedeihen. Sie ölen, wachsen, striegeln das
Gewucher, auf dass es nicht gar zu wild
werde. Google spuckt bei den Suchbegriffen „Bart“ und „Pflege“ eine halbe Million Ergebnisse aus und fördert Produkte
zutage wie das „Beard Conditioning Oil“,
den „Moisture Kick Spray Conditioner“
oder den „Men Expert Hydra Energy
Feuchtigkeits-Fluid“. Sorry, aber echte
Blockhütten-Bauer haben so was nicht im
Badezimmerschränkchen.
Wir haben es also mit einer Art Persönlichkeitsspaltung zu tun. Und die kennen
wir Frauen nur zu gut. Wir senden nämlich auch zur Genüge Doublebind-Botschaften aus. Wir werden Geschäftsführerin – und lächeln unsere Untergebenen
permanent an. Wir werden AutokonzernManagerin – und stöckeln auf Pfennigabsätzen durch die Chefetage. Wir werden
Ministerin – und nehmen den Namen
unseres Mannes an. Alles halb so wild mit
der Emanzipation, soll das heißen.
Nun ist ja bekanntlich auch der Mann
ob seiner Rolle in der Gesellschaft verwirrt. (Das war er übrigens auch damals
in den 1970ern, als der Freundeskreis
meiner Mutter nicht nur mit glattrasierten Nazivätern, sondern auch mit
frauenbewegten Lebensgefährtinnen konMai/Juni 2014 EMMA
51
050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck_korr 11.04.14 13:01 Seite 52
Google spuckt
bei den Begriffen „Bart“ und
„Pflege“ eine
halbe Million
Ergebnisse aus.
Bushido
Brad Pitt
frontiert war.) Und da fungiert der Bart als Symbol der
Selbstvergewisserung. Denn eins
ist klar: Der Bart bedeutet Macht. Das
wussten schon die alten Pharaonen, die
bei wichtigen repräsentativen Events
einen Zeremonialbart trugen, also eine
Attrappe, die sie anlegten wie später Könige ihre Krone.
Wie reagieren nun die Frauen auf die
Zuwendung der Herrn zum kleinen –
oder je nach Bartlänge auch großen – Unterschied? Sie bürsten gegen. Dafür jeden-
falls scheint es Anzeichen zu geben:
Die Frau entdeckt den Bart. „Angeschnauzt“ heißt eine Aktion, zu der
jüngst die Schweizer Frauenzeitschrift annabelle aufrief. In einer Zürcher Boutique
wurde ein Fotoautomat postiert und diverse Kunstbärte bereitgestellt. Auf der annabelle-Website konnten UserInnen dann
für das beste Bartträgerinnen-Foto voten.
Frauen der DGB-Jugend protestierten
zum Equal Pay Day – mit Bärten! BravoGirl, die ihre jungen Leserinnen stets mit
trendigen Gimmicks ausstattet, entschied
sich in einer ihrer letzten Ausgaben für ein
Paar Ohrringe – mit Bart! Ein schwarzer
Schnäuzer war, natürlich in doppelter
Ausführung, auf den Metallträger aufgeklebt. Slogan: „Be moustached!“
Dazu muss man wissen, dass im alten
Ägypten auch die Pharaoninnen den
Zeremonialbart anlegten. Gewisse Parallelen drängen sich hier auf. Warten wir also
gelassen auf den ersten Auftritt von Angela Merkel mit Bart. Auch den würde ich
ganz bestimmt mögen.
CHANtAl louiS
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Diesmal geht es in der EMMAKolumne der TV-Moderatorin
und Buchautorin um etwas
sehr Persönliches.
Eine Liebeserklärung
an meine Hebamme
W
„weh tun“) bevor, also dann auch gleich drei
verschiedene Hebammen. Wie verlockend!
Möglicherweise ist so was einem in dieser Situation schnurz, ich war jedoch sehr
dankbar, dass mich eine Bekannte über die
freiberuflichen so genannten Beleghebammen aufklärte. Schon während der Schwangerschaft kann frau diese erfahrenen Geburtshelferinnen kennenlernen, ihnen
Löcher in den Bauch fragen, Ängste gestehen und mit ihnen alle Möglichkeiten der
Entbindung durchsprechen. Geduldig und
einfühlsam wird dann das Bäuchlein abgetastet, vermessen und gehorcht, welche
Töne das Alien im Bauch so von sich gibt.
Das Großartigste aber: Diese Beleghebamme ist zu jeder Tages- und Nachtzeit
für einen da, wenn’s wirklich ernst wird. Sie
begleitet die werdende Mutter ins Krankenhaus und hilft uns, das letzte große Abenteuer dieser technologisierten Zeit zu meistern: Wenn aus eins plötzlich zwei werden.
Außerdem versorgt sie den Säugling
nicht nur in seinen ersten Lebensminuten,
sondern leistet auch die Nachsorge, besucht Mutter und Kind bis zu zehn Mal zu
Hause. Die Beleghebammen kennen die
Historie „ihrer“ Babys von der ersten Sekunde und helfen den frischgebackenen
Mamis, die neue Situation und all die
Auas zu meistern.
er dem Ursprung der Wortes
„Kreißsaal“ auf den Grund
geht, findet heraus, dass die
Bezeichnung vom Verb „kreischen“ inspiriert wurde, was logisch erscheint. Denn
genau dort, an diesem Ort, muss das
Runde durchs enge Eckige. Mutter Natur
(die blöde Schlampe) ist mit uns Frauen
mal wieder nicht zimperlich umgegangen,
als sie sich diese Methode fürs Kinderkriegen ausdachte.
Klar, es hatten schon ein paar Milliarden Frauen vor mir geschafft, Kinder in
die Welt zu pressen. Was mich hinsichtlich einer natürlichen Geburt jedoch keinen Deut beruhigte. Die verdammte Familienplanung hätte ich doch besser bis
kurz vor der Menopause aufschieben sollen
– falls überhaupt!
Schlaue Überlegungen, leider etwas zu
spät: Ich war im sechsten Monat schwanger
und panisch beim Gedanken an den unkalkulierbaren Ausnahmezustand des Gebärens.
Selbstverständlich hätte ich dem in meiner Branche üblichen Trend zum geplanten Kaiserschnitt folgen können. Nur fand
ich den Gedanken, den Bauch aufgeschnitten zu bekommen, noch beängstigender. Es
half alles nix, der Touchdown des neuen
Erdenbürgers musste geplant werden.
Ich machte mich also schlau: Im Krankenhaus sind es vor allem die Hebammen,
die die Arbeit tun. Sie sind an unserer
Seite, wenn wir winselnd das Kamasutra
durchtanzen, während der Herr Doktor
nur zur Aufsicht dazukommt, um den Unterbodenschaden zu flicken, oder wenn’s
mal nicht so prima flutscht.
Die Hebammen, diese großartigen Frauen, sind fest angestellt und arbeiten im
Schichtbetrieb: Acht anstrengende aufregende Stunden, dann löst die Kollegin ab.
Doch irgendwie war der Gedanke, dass
mir eine Wildfremde, sei sie noch so kompetent, im Uterus herum kramte, nicht unbedingt sympathisch. Als so genannte Erstgebärende standen mir im schlimmsten Fall
über 20 Stunden Wehen (Ja, kommt von
400 Euro muss man drauflegen, wenn man
eine Beleghebamme in Anspruch nimmt –
für mich das am besten investierte Geld
meines Lebens. Sie war da, als ich an einem
heißen Sonntag im Jahr 2010 mein erstes
Kind bekam. Als ich jammerte, flehte,
mich wand wie ein Wurm und ausgerechnet während des Fußball-WM-Finales zu
meinem persönlichen Finale ansetzte.
Während Arzt und Kindsvater vorm TV
klebten, gingen wir Mädels gemeinsam in
die Verlängerung ...
Ohne meine Hebamme hätte ich wohl
nicht den Mut aufgebracht, ein zweites
Kind zu bekommen, geschweige denn auf
natürliche Art und Weise. Darum könnte
Sonya Kraus mit ihrem Ältesten.
ich heulen vor Wut, dass diese Frauen, die
trotz eigener Familie oft Nächte durcharbeiten, die enthusiastisch ihren Beruf als
Berufung verstehen und die uns Frauen so
großartige Dienste leisten, nun vor dem
beruflichen Aus stehen, da die nötige Haftpflichtversicherung für tausende freiberufliche Geburtshelferinnen unerschwinglich
geworden ist. In Bälde wird es sogar gar
keine Versicherung mehr geben, die selbstständige Hebammen abdeckt.
Wir Mütter müssen Schwangerschaftsstreifen, Dammriss, Krampfadern, Hämorrhoiden und all die anderen netten
Begleiterscheinungen einer Schwangerschaft sowieso hinnehmen. Sollen wir jetzt
auch noch auf diese weisen Frauen, die
sich so hingebungsvoll um uns kümmern,
verzichten?
Verdammt noch mal: Würden Männer
Kinder kriegen, gäbe es hier keine Diskussionen! Aber wo ist die Lobby der Hebammen? Ich fürchte, wie ich, mit Windeln
wechseln, Wäsche waschen plus Job
SonyA KrAuS
restlos überfordert.
Mai/Juni 2014 EMMA
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Phillip Toledano/„The reluctant father“ (Dewi Lewis Media)
050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 54
Hebammen
schlagen Alarm!
F
ür eine Frau, die ab Herbst 2015
schwanger wird, könnte folgendes
Schreckensszenario eintreten: Sie
bekommt ihr Baby in einem 50 Kilometer
von ihrem Wohnort entfernten Krankenhaus, nachdem sie vorher in einer KlinikWG tagelang auf das Einsetzen der Wehen
gewartet hat. Kehrt sie dann endlich mit
ihrem Baby nach Hause zurück, ist sie auf
sich allein gestellt, ohne Hebamme, die sie
besucht, ihre vielen neuen Fragen beantwortet und ihr die Unsicherheiten nimmt.
Wird es wirklich so weit kommen?
Einiges spricht dafür, seit die Nürnberger
Versicherung angekündigt hat, ab Juli
2015 aus dem letzten verbliebenen Versicherungskonsortium für Hebammen auszusteigen und keine Policen mehr anzubieten für die rund 3 500 freiberuflichen
Hebammen in Deutschland. Sowohl beim
Deutschen Hebammenverband (DHV) als
auch beim Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) ist zurzeit
fraglich, wer die Hebammen danach überhaupt noch versichert. „Das bedeutet
54
EMMA Mai/Juni 2014
quasi ein Berufsverbot für alle freiberuflichen Hebammen, denn ohne Haftpflichtversicherung dürfen wir weder Geburten
zu Hause noch im Geburtshaus oder als
1:1-Beleghebamme in der Klinik betreuen
und auch keine Schwangeren- und Wochenbettbetreuungen mehr annehmen“, sagt
Ruth Pinno, die Vorsitzende des Bundes
freiberuflicher Hebammen Deutschlands
e.V. (BfHD).
Damit spitzt sich die Situation der
Hebammen noch einmal zu. Schon seit
Jahren machen sie auf die steigenden Beiträge der Haftpflichtversicherer aufmerksam. Lag der Beitrag vor zehn Jahren
noch bei 1350 Euro im Jahr, zahlen Hebammen zurzeit 4 240 und ab Juli sogar
5 090 Euro für ihre Haftpflichtversicherung – und das bei einem Nettostundenlohn von durchschnittlich 8,50 Euro.
Der Hintergrund: Zwar gibt es insgesamt nicht mehr Schadensfälle, die Zahl
liegt konstant bei etwa 50 pro Jahr. Doch
die Kosten durch so genannte „Personenschäden“ bei der Geburt steigen, unter
anderem, da geburtsgeschädigte Kinder
länger leben als früher und die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten besser
geworden sind. Als Folge heben die Versicherungen die Beiträge für die Berufshaftpflicht stetig an.
Immer mehr freiberufliche Hebammen
Wer fängt das steigende Kostenrisiko
auf? Werden die
Mütter letztendlich
den Preis zahlen?
begleiten deshalb inzwischen keine Geburten mehr. Geburtshäuser, zum Beispiel in Fulda und Stuttgart, haben angekündigt, wegen des Kostendrucks schließen
zu müssen. In den ländlichen Regionen,
wo in der Regel freiberufliche Beleghebammen auch die klinische Geburtshilfe
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abdecken, steht jetzt sogar die komplette
Geburtshilfe vor dem Aus – so keine Lösung für die Berufshaftpflichtversicherung
gefunden wird.
Und: Auch die angestellten Hebammen
betrifft die Erhöhung der Prämien. Zwar
sind sie über die Klinik versichert. Aber die
Schadensfälle, die bei der Geburtshilfe
auftreten können, haben so gigantische
Höhen erreicht, dass die normale Versicherung nicht mehr ausreicht. Die meisten
schließen daher zusätzlich eine private
Haftpflichtversicherung ab, um nicht mit
ihrem Privatvermögen haften zu müssen.
ob es einen Ausweg aus diesem Dilemma
gibt, hängt jetzt davon ab, ob die Politik
rasch handelt. Mitte Februar haben sich
die beiden großen Hebammenverbände
mit Gesundheitsminister Hermann Gröhe
(CDU) getroffen, um mögliche Lösungen
zu diskutieren. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Da die Beiträge in diesem Sommer noch mal steigen, brauchen
wir kurzfristig eine ministerielle Ansage,
dass der Spitzenverband der gesetzlichen
Krankenkassen diese Erhöhung übernimmt, um die Hebammen zu entlasten
und ihnen Mut zu machen, weiterzuarbeiten“, erklärt Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes.
Verhandlungsgespräche Ende März
blieben bislang erfolglos, weil das erste
Angebot des GKV-Spitzenverbandes nach
Angaben des Hebammenverbandes unannehmbar sei. Langfristig fordert Klenk,
dass eine Haftungsobergrenze bei drei
Millionen Euro (bisher sechs Millionen)
festgelegt und ein steuerfinanzierter Fonds
eingerichtet wird, der bei Härtefällen die
darüber hinaus anfallenden Kosten übernimmt. „Wir hoffen, dass dann wieder
mehr Versicherer bereit sind, uns zu übernehmen, dass die Prämien für Hebammen
sinken und die Geschädigten trotzdem
Hilfe bekommen“, so Klenk. Der Vorschlag liegt zurzeit im Bundesjustizministerium, wo er auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft wird. „Steuerfinanzierte Fonds
sind grundsätzlich in Deutschland möglich, es gibt sie schon, zum Beispiel für die
Contergan-Opfer und für Landwirte, die
das Grundwasser verseucht haben“, erklärt
die Hebammenpräsidentin.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis
90/Die Grünen hat im Bundestag weitere
Lösungsmodelle zur Prüfung vorgeschlagen: zum Beispiel eine Regressdeckelung
für Schadensfälle und eine Übertragung
der Regelungsprinzipien der gesetzlichen
Unfallversicherung auf die Berufshaftpflichtversicherung. In einem Antrag an
die Bundesregierung vom 18. März fordern die Grünen, die Möglichkeiten zu
wir das 2012 rechtlich geregelt haben.“ So
hofft Gröhe, Zeit zu gewinnen, um weitergehende, juristisch komplizierte Vorschläge prüfen zu können. „Jede Neueinführung einer anderen Haftungsstruktur
würde Zeit benötigen und nicht jetzt helfen.“ Dafür seien schwierige rechtliche
Fragen zu klären, zum Beispiel zum Verhältnis von Schadensverursachung und
Haftung sowie zur Gleichbehandlung
unterschiedlicher Berufsgruppen.
„Wir stehen mit dem
Rücken zur Wand. Wir
hoffen, dass die Prämien
für Hebammen sinken.“
Präsidentin Klenk
leidtragende, falls es keine politische
prüfen und „zügig eine grundlegende
Neuordnung der Regelungen zur Berufshaftpflicht für alle Gesundheitsberufe in
Angriff zu nehmen“. Dann würde das Risiko aller Heilberufe auf viele Schultern
verteilt und die Beiträge blieben bezahlbar.
Geht es aber nicht mehr nur um die
Hebammen, sondern auch um andere
medizinische Berufsgruppen wie zum Beispiel Gynäkologinnen, könnte eine politische Lösung vorerst in weite Ferne
rücken. „Dann wird es zeitlich knapp“,
befürchtet Martina Klenk, „und Zeit
haben wir nicht. Wir brauchen eine
schnelle Entscheidung.“
Sollte der Bundesgesundheitsminister
bis Mai keine tragfähige Lösung präsentieren, will der Deutsche Hebammenverband noch mal politisch aktiv werden
und auf die Straße gehen. Bundesgesundheitsminister Gröhe (CDU) ist jedoch
zuversichtlich, dass es eine Lösung zur
Haftpflichtversicherung geben wird. Er
erklärte: „Die Unsicherheit, die durch den
Ausstieg eines Versicherungsunternehmens entstanden ist, muss aufhören. Wir
brauchen mindestens einen, besser mehrere neue Gruppenhaftpflichttarife für
Hebammen. Dann gilt die klare Ansage
der Krankenkassen, dass sie steigende
Haftpflichtprämien durch eine faire Vergütung der Hebammen absichern, so wie
Lösung gibt, sind nicht nur die Hebammen, sondern auch die Familien. Mütter
finden schon jetzt immer schwerer eine
Hebamme, die sie im Wochenbett oder
bei der Geburt betreut. Die Oldenburger
Sana-Klinik plant, Schwangere nach der
Schließung der Geburtsstation in Oldenburg künftig per Hubschrauber nach
Eutin auszufliegen.
„Das ist ein Horrorszenario: Geburtszentren, zu denen Frauen weit anreisen
müssen. Die Frauen brauchen ihr vertrautes Umfeld“, sagt die Berliner Hebamme
Jana Friedrich, die auf ihrer Website hebammenblog.de Unterstützungsaktionen
wie die Petition „Rettet unsere Hebammen“ auf Change.org (bis Ende März
380 000 UnterstützerInnen) verlinkt.
Friedrich: „Es ist wichtig, dass auch Eltern
sich stark machen für die Hebammenbetreuung, denn dann kommt der Protest
nicht mehr nur von uns.“
DAnIElA StoHn
Die Autorin hat
mehrfach über
Medizinthemen
für EMMA geschrieben. Sie
ist Mutter von
zwei Kindern.
emma.de
Kaiserschnitt – Ja oder Nein? (3/10),
Hebammenprotest (3/10)
Mai/Juni 2014 EMMA
55
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Der Ruby Cup –
so ein Coup!
Eine Deutsche hat das Ding erfunden. Es soll
nicht nur Frauen in Afrika glücklich machen.
A
uf den ersten Blick erinnert das
Ding an eine Miniatur-Saugglocke. Wenn man es an der Spitze anfasst, wackelt es lustig hin und her.
Die gestrichelten Linien im Inneren des
Gummikelchs bedeuten: Das Ding fasst
bis zu 34 Milliliter Blut. Menstruationsblut. Womit sich einmal im Monat fast
alle Frauen bis zur Menopause beschäftigen. Und worüber trotzdem wenig gesprochen wird. Ein Tabu, nach wie vor. Die
Tante kommt!
Aber zurück zu dem wippenden Dings,
das eine „Menstruationstasse“ ist. So wird
sie verwendet: Zu einem C zusammenfalten, dann in die Vagina schieben – die
Tasse ploppt auf und ersetzt für 4 – 12
Stunden den Tampon bzw. die Binde.
Danach das Blut entsorgen und wieder
einsetzen. So erklärt es Maxie Matthiessen
(Foto) im Plauderton. Ohne jede falsche
Scham. Über Menstruation reden gehört
zu ihrem Alltagsgeschäft.
Matthiessen ist 29 Jahre alt und lebt in
Berlin. Sie schreibt ihre Masterarbeit in
„International Business and Politics“,
macht Yoga und singt im „Berliner Kneipenchor“. Und sie vertreibt Menstruationstassen. Zu kaufen gibt es ihre Ruby
Cups bisher nur im Internet und in
Berliner Bio-Läden. Schwester Clara war
es, die Maxie Matthiessen vor drei Jahren
auf die Tampon-Alternative aufmerksam
machte in einem Studentenheim in
Kopenhagen.
Die Tassen gibt es seit den 1930er
Jahren, sie konnten sich nur nie
gegen die Binden- und Tamponindustrie durchsetzen. Eine
56
EMMA Mai/Juni 2014
gewisse Leona W. Chalmers meldete 1937
in Amerika das erste Patent an.
Heute vermarktet Maxie den Ruby Cup
hauptberuflich. Rund 12 000 Tampons
nutzt eine Frau in ihrem Leben, das kostet
eine Menge Geld, erklärt sie. Es sei denn,
sie kauft einen Ruby Cup. Den muss sie
nur einmal alle zehn Jahre wechseln. Und
einmal im Monat sterilisieren.
Der Cup ist aus medizinischem Silikon, das Bakterien abweist. Tampons dagegen enthalten Bleichmittel und Parfüme, sagt Maxie. Sie trocknen die Scheide
aus, wenn die Tage nicht so stark sind.
Manchmal verursachen sie Pilzinfektionen und im schlimmsten Fall toxische
Schocks, das aber nur selten. Und Tampons bzw. Binden produzieren sehr viel
Müll, erinnert Matthiessen.
Die UNO hat die fehlende Hygiene bei
der Periode zu einem der größten Hindernisse für die „Gleichstellung der Geschlechter“ erklärt. Am 28. Mai findet das
erste Mal der „Internationale Tag der
Menstruationshygiene“ statt. Denn über
eine Milliarde Mädchen und Frauen können sich Binden oder Tampons gar nicht
leisten. Sie benutzen Blätter, Stofffetzen
oder Papier, verlassen tagelang das Haus
nicht, gehen also auch nicht in die Schule
oder zur Arbeit. Das Infektionsrisiko ist
hoch. Das soziale Stigma noch höher.
Maxie entschied zusammen mit zwei
Kommilitoninnen, Veronica D’Souza
und Julie Weigaard Kjaer, die Sache in
die Hand zu nehmen. Die drei gründeten eine Firma und entwickelten
gemeinsam mit einer dänischen
Firma ihre eigene Menstrua-
tionstasse. Dann mieteten sie sich eine
Wohnung in Nairobi, ließen 10 000 Ruby
Cups liefern und knüpften Kontakte zu
lokalen Frauengruppen. Der Plan: das
Tupperware-Modell. Die Kenianerinnen
sollten die Ruby Cups auf Kommission
selbst in den Slums verkaufen. Die schwedische Organisation „Innovaton Against
Poverty“ förderte die Entwicklung und den
Start von Ruby Cup mit 180 000 Euro.
Die Deutsche blieb zwei Jahre in Nairobi. In dieser Zeit lernte sie: Die Kenianerinnen sind sehr interessiert an einem
Menstruations-Mittel, aber von so was
kann eine Jungunternehmerin nicht leben.
Als Maxies Wohngemeinschaft in Nairobi dann auch noch von bewaffneten
Männern überfallen wurde, stand der Entschluss fest: ab nach Hause und den Ruby
Cup in Deutschland starten. Maxis Geschäftsmodell sieht jetzt so aus: Jede Frau,
die in Deutschland einen Ruby Cup für
27 Euro kauft, spendet damit gleichzeitig
einen Cup an ein Mädchen in Kenia.
4 000 Stück hat Matthiessen schon verkauft. Und 4 000 haben die Ruby CupStreetworkerinnen in Slums für 10 bis 50
Cents weiterverkauft. „Dass Frauen diesen
kleinen Betrag zahlen, ist wichtig“, findet
Maxie. Damit der Cup etwas wert ist.
Den Ruby Cup in deutschen Drogeriemärkten zu platzieren ist dagegen nicht
so einfach. Die verlieren dadurch ja ihre
Tampon-Kundinnen. Aber Maxie
macht das schon.
AlExAnDrA Eul
Im Netz
www.ruby-cup.com
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Dagmar Deckstein, langjährige SZRedakteurin, arbeitet heute als freie
Journalistin. Sie schreibt in EMMA
regelmäßig an ihre Freundin Renate.
Liebe Renate,
wie gerne denke ich an unser letztes Treffen bei euch in Heidenheim zurück, wo wir in so fröhlicher wie inspirierender Runde
beisammensaßen, um deinen Geburtstag zu feiern.
Zwischendrin klingelte es, der Paketbote stand vor der Tür und
brachte dir zwei Kartons mit Kleidern und Schuhen, die du
bei Internethändlern bestellt hattest. Du hast zwar nicht „vor
Glück geschrien“, wie es in einer einschlägigen Werbung heißt,
dich aber gefreut wie eine Schneekönigin über die schicken
Schnäppchen, die du da an Land gezogen hattest.
Ich weiß noch, dass wir, bevor es klingelte, gerade das Thema
„Wirtschaft“ diskutierten. Deine Freundinnen und du meinten,
das sei für euch eine ziemlich undurchschaubare, komplizierte
Angelegenheit, zahlen- und formellastig, nur etwas für ExpertInnen wie mich vielleicht. Ich hätte das ja schließlich auch studiert.
Von wegen, habe ich gesagt – weißt du noch? – gerade jetzt,
wenn der Postmann einmal klingelt, ist das Wirtschaft pur.
Wirtschaft, die du mitgestaltest über deine Kauf- oder sonstigen
Geldverwendungs-Entscheidungen.
Zurück in Hamburg habe ich noch ein wenig recherchiert, welche ökonomischen und damit auch ökologischen Nebenwirkungen Kaufentscheidungen wie deine Internet-Bestellung auslösen.
Expertenschätzungen zufolge wird der Anteil des OnlineShoppings im Jahr 2020 um die 40 Prozent des gesamten Einzelhandels ausmachen. Das heißt, auch du trägst dazu bei, dass in
kleinen und mittleren Städten wie Heidenheim schon jetzt jedes
vierte Ladengeschäft aufgegeben hat und schließen musste.
Dass mit diesem Ladensterben eine schleichende Verödung der
Innenstädte einhergeht und Investoren der Immobilienbranche
kein Geld mehr in neue Einkaufszentren oder in die Renovierung
bestehender Ladenzentren stecken. Das wird auch dein Freund
Rolf mit seiner Baufirma zu spüren bekommen, er wird wahrscheinlich über kurz oder lang eine Reihe seiner derzeit
80 Beschäftigten entlassen müssen. Von den pleitegegangenen
LadenbesitzerInnen gar nicht erst zu reden. Und von der abends
menschenleeren, tristen „City“ auch nicht.
Dafür „boomt“ es andererseits in den Versand- und Logistikzentren der Internethändler und Paketdienstleister. Zumindest, was
die wachsenden Beschäftigtenzahlen anbetrifft. Aber was nun
überhaupt nicht boomt, ist deren Bezahlung. Ganz im Gegenteil!
Unerträgliche Bedingungen für Leiharbeiter und vor allem Leiharbeiterinnen beim Onlinehändler Amazon sorgten im vergangenen Jahr für kritische Berichterstattung und herben Imageverlust
des US-Konzerns. Aber am Pranger stehen auch Logistik-Konzerne
wie DHL oder GLS, die Subunternehmer mit der Paketzustellung beauftragen. Die wiederum lassen ihre Bediensteten in
14-Stunden-Schichten für drei bis fünf Euro die Stunde schuften.
Das alles, liebe Renate, ist Wirtschaft pur. Frei Haus. Für das
Erkennen dieser Zusammenhänge muss man oder frau gar nicht
studieren. Es reicht, aufmerksam die Nachrichten zu verfolgen
und sich immer wieder die Frage zu stellen: Welche Folgen hat
eigentlich meine Schnäppchen-Jagd auf dem Internet-Bazar?
Schon gar, wenn du, was du mir auch schon erzählt hast, mal
eben fünf Paar Schuhe zur Ansicht bestellst, um dann vier wieder
zurückzuschicken. Die Retourenquoten in Deutschland sind
übrigens so weltmeisterlich wie unsere Exportbilanz: Im Schnitt
geht jedes zweite Paket bei Bekleidungskäufen im Internet zurück.
Das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus hat mal ausgerechnet,
dass Tag für Tag 800 000 Pakete in Deutschland nur zurückgeschickt werden, was einer CO2-Belastung von 400 Tonnen
täglich entspricht. Dafür könnten auch 255 Autos von Frankfurt
nach Peking fahren.
Kurz: Wirtschaft ist eigentlich ganz einfach und geht dich direkt
an. Sie beginnt schon hinter deiner Haustür, in dem Moment, in
dem du vor deinem Computer sitzt und wieder mal „was Nettes“
erspäht und per Mausklick gekauft hast. Denk an die Folgen
dieses Klicks! Oder, wie die Zeitschrift Öko-Test rät: „Bestellen
Sie nur das, was Sie wirklich brauchen und was Sie vor Ort nicht
bekommen. Vermeiden Sie es, Waren zurückzuschicken.“
Siehst du, liebe Renate, auch du „machst“ Wirtschaft, wenn
auch in diesem Fall so gar nicht positiv. Sei dennoch wie immer
herzlichst gegrüßt
von deiner
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Before they pass away
FOTOS VON JIMMY NELSON
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B
evor sie verschwunden sein werden … hat
Fotograf Jimmy Nelson sie noch einmal dokumentiert. Zwei Jahre lang war er mit seinem
Zwei/Frau/Mann-Team auf allen Kontinenten:
in stickigen Sümpfen und auf eisigen Gipfeln, im
Dschungel und in Steppen, in Äthiopien oder Sibirien.
Er hat 31 Kulturen ausgesucht und Antworten gefunden auf Fragen wie: Wer sind sie? Wie leben sie?
Warum ist ihr Schicksal uns gleichgültig? So manches
Mal hat er dabei sein Leben riskiert. (Vorderseite:
Die Hamars in Äthiopien. Sie leben auf dem Hochland östlich
des Flusses Omo, sind Bauern und tauschen mit anderen
Stämmen Perlen, Rinder, Stoffe und Lebensmittel, neuerdings
auch Waffen und Bier. Sie glauben an mehrere Götter, zwischen Animismus und Monotheismus. Die Mädchen werden
genitalverstümmelt, Polygamie ist erlaubt. Die Frauen bemalen ihr Gesicht mit Kalkfarbe. Sie leben in Schilfhütten; die
Frauen schlafen rechts, die Männer links.
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EMMA Mai/Juni 2014
Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson
die Himbas in Namibia/Südwest-Afrika)
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Die Tschuktschen in Russland. Sie leben in der Tundra im äußersten
Westzipfel Russlands, nördlich von Japan. Ein Teil sind Nomaden mit
Rentieren, ein anderer Teil Fischer auf der Jagd nach Meeressäugetieren. Die Temperaturen liegen zwischen 10 Grad plus (im Sommer)
und 54 Grad minus. Die Tracht der Frauen heißt Kerker, ein knielanger Overall aus Rentier- oder Seehundleder mit Fuchs- und Wolfsfell.
Ihre kegelförmigen Zelte heißen Jaranga, doch immer mehr Tschuktschen ziehen in Häuser. Sie essen gefrorenen Fisch, Blätter, Wurzeln
und ihre Spezialität Rilkeil, ein halbverdautes Moos aus Rentiermägen.
Gastfreundschaft ist ihr höchstes Gut, keiner wird abgewiesen. Sie
sind Schamanen, die Natur ist für sie von Geistern beseelt.
Mai/Juni 2014 EMMA
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Die Maoris in Neuseeland. Sie kamen im 13. Jahrhundert in Kanus
von den ostpolynesischen Inseln nach Neuseeland und lebten lange
isoliert. Dadurch entwickelten sie eine eigene Sprache und Kunst
und eine einzigartige Mythologie. Sie verehren „Vater Himmel“ und
„Mutter Erde“. Tätowierungen waren üblich und ihre Gesänge heilig,
wer sie unterbrach, beschwor Unheil herauf. Im 18. Jahrhundert
kamen die europäischen Kolonialherren und unterwarfen sie brutal.
Heute leben 650 000 Maori auf Neuseeland, noch immer überwiegend in der Whanau, Großfamilie oder Sippe. Das typische MaoriEssen heißt Kai und besteht aus Vögeln, Fisch, Wurzeln und Kräutern.
Sie sind zwischen Ausgestoßenheit und Integration und zunehmend
auf der Suche nach ihren Wurzeln. Eine der berühmtesten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts ist Halb-Maori: Janet Frame
(„Der Engel an meiner Tafel“).
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EMMA Mai/Juni 2014
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Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson
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Die Vanuatuer im Südpazifik. Die 83 Inseln östlich von Australien errangen
1980 ihre Unabhängigkeit von den französischen und englischen Kolonialherren. Es wird vermutet, dass die Inseln 1300 vor Christus von Seefahrern
aus Papua-Neuguinea erstbesiedelt wurden. Heute leben dort 250 000
Menschen. Die Vanuatuer tanzen gerne, ihre prächtigen Tamtams werden
aus Baumstümpfen geschnitzt. Der traditionelle Rom-Tanz wird nur unter
Männern aufgeführt. Die Männer tragen den Namba, den Penisköcher aus
Rinde oder Blättern. Die Männer haben das Sagen, aber auf drei ihrer
Inseln herrscht das Matriarchat, zählt die Abstammung von der weiblichen
Linie. Sie leben von der Viehhaltung und Landwirtschaft und machen
Brandrodung, wenn die Felder ausgelaugt sind.
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Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson
Die Mursi in Äthiopien. Die extremen Dürren der
letzten Jahre und die Nationalparks machen
den 4 000 Nomaden, die von der Viehzucht leben,
zu schaffen. Auch der Tourismus schadet ihnen,
er hat das Geld und den Alkohol in die Region
gebracht. Die Touristensensationen sind die MursiFrauen mit ihren Lippentellern. Ab 15 wird ihnen
ein Schlitz in die Unterlippe geschnitten, in den
zur Dehnung immer größere Teller geschoben
werden. Je größer der Teller, umso mehr Rinder
ist die Braut wert. Es herrscht Polygamie. Die
Frauen errichten die Hütten aus Ästen, Schilf und
Stroh. Die Mursi leben vom Rindfleisch, Mais und
Honig. Sie sind Animisten und glauben, dass alle
Dinge, auch Steine, von Geistern beseelt sind.
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Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson
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Die Huaorani in Ecuador. Seit 10 000 Jahren leben sie in den
Regenwäldern des Amazonasbeckens, und erst seit 1956 haben sie
Kontakt mit dem Rest der Welt. Heute sind sie etwa 2 000 Menschen
auf 6 800 qm, ein Drittel ihres Territoriums. Dem Mythos nach
stammen sie von einem Jaguar ab, der sich mit einem Adler gepaart
hat. Die Männer gehen mit Bogen, Speer und Blasrohr auf die Jagd
und sind gefürchtete Krieger. Auch die Frauen bemalen sich zur
Abschreckung der bösen Geister oder auch zum Schmuck. Die
Huaoranis verstehen viel von Arzneien, Giften und halluzinogenen
Drogen. Sie leben als Großfamilien in Langhäusern und gehen
sich gegenseitig zur Hand. Und sie glauben, dass sie nach dem Tod
auf einem Pfad ins Jenseits gehen – das jedoch von der großen
Anakonda-Schlange bewacht wird. Wer die nicht überwindet, kommt
als Tier, oft Termite, auf die Erde zurück.
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Die Huli Wigmen auf Papua Neuguinea. Die „Perückenmenschen“ fertigen
ihre Kopfbedeckungen aus Eigenhaar. Die Eingeborenen dieser Insel nordöstlich von Australien leben dort seit ca. 45 000 Jahren. Unwirksame Gebiete und
Stammeskriege haben zu isolierten Stämmen und unterschiedlichen Sprachen
geführt. Die Frauen tragen Baströcke und die Männer ein Penis-Futteral. Auf
Jagd und Kriegsfuß malen sie sich furchterregend an. Sie kämpfen um: Land,
Schweine und Frauen – in der Reihenfolge. Und sie sind Rächer, vergeben wird
nie. Die Huli sind Animisten, sie opfern den Geistern ihrer Ahnen. Krankheit
und Unglück gelten als Folge von Hexerei. Fotograf Jimmy Nelson berichtet,
dass der Besuch bei den Huli echt lebensgefährlich war.
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Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson
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Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson
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Fotograf Jimmy Nelson aus Amsterdam. „Mein Vater war Manager eines
Ölkonzerns, und ich habe mit sieben Jahren schon mehr Länder gesehen als
die meisten Menschen in ihrem Leben.“ Mit 18 begab Jimmy sich auf eigene
Faust auf Weltreise – und 26 Jahre später zog er mit einem kleinen Team,
einem Mann und einer Frau, los, um sich auf die Spuren der „bemalten Seelen“
zu begeben. Dazwischen lagen Jahrzehnte als Weltenbummler, Kriegsreporter
und Werbefotograf. 1998 zog Nelson nach Amsterdam, heiratete und bekam
drei Kinder. Frau und Kinder freuen sich, wenn Papa zwischen den Weltreisen
mal Pause in Amsterdam macht. Für das beeindruckende Projekt „Before they
pass away“ waren Nelson und sein Team zwei Jahre lang unterwegs. Es konnte
nur Dank eines Mäzens realisiert werden. Das Buch hat über 400 Seiten, ist
phantastisch gedruckt und sein Geld mehr als wert (Verlag te Neues, 128 €,
auch als Collectors Edition XXL erhältlich, www.teneues.com) – Bis zum 21. Juni
sind die Fotos in Berlin zu sehen: bei Camera Work und in der CWC Gallery.
Links die Samburus in Kenia. Unten: Fotograf Jimmy Nelson in Papua-Neuguinea
mit den Hulis – die bei Gelegenheit auch schon mal Fremde umbringen.
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Amr Abdallah Dalsh/ Reuters
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Junge Deutsche ziehen
in den Heiligen Krieg
Die Nachricht, die im März durch die
Medien ging, schockierte: Unter den rund
300 Deutschen, die in den vergangenen
Monaten nach Syrien in den „Heiligen
Krieg“ zogen, sind auch 20 bis 25 junge
Frauen. Sie wollen an der Waffe dienen
oder als Bräute der Krieger. Die Jüngste
unter ihnen ist 15 Jahre alt und flog ohne
Wissen ihrer Eltern an die syrische Grenze.
Die Männer locken Heldentum und 72
Jungfrauen im Paradies bei Märtyrertod.
Aber was lockt die Frauen?
76
EMMA Mai/Juni 2014
W
er dachte, die Absurditäten islamistischer und jihadistischer
Ideologie seien nicht mehr zu
übertreffen, sieht sich getäuscht. Dass der
traurige Bürgerkrieg in Syrien fanatische
Muslime aus aller Welt in seinen Bann
zieht, ist bekannt. Tausende Männer aus
über 60 Ländern in aller Welt zogen in
den „Befreiungskampf“; etwa 300 sind es
aus Deutschland, darunter auch etliche
Konvertiten. Ihre Motive sind bekannt:
Fanatismus, Selbstgerechtigkeit und Lust
auf Gewalt. Im Diesseits wollen sie eine
strikt islamische Ordnung errichten, in
der die Scharia Gesetz ist und jedes „unislamische Verhalten“ streng geahndet bzw.
ausgemerzt wird. Im Jenseits hoffen sie
auf paradiesische Freuden, allem voran
die 72 Jungfrauen, die die Ideologen des
Jihad jedem in Aussicht stellen, der im
Kampf für den Islam fällt. Relativ neu
sind die jungen Frauen, die ebenfalls in
den „heiligen Krieg“ ziehen. 20 bis 25
junge Mädchen und Frauen haben
Deutschland in den letzten Monaten mit
dem Ziel verlassen und sind meist über
die Türkei nach Syrien gelangt.
Aufsehen erregte der Fall von Sarah aus
Konstanz, die im Herbst 2013 im Alter
von 15 Jahren ohne Wissen ihrer Eltern
und mit einer gefälschten Vollmacht nach
Gaziantep in der Osttürkei flog. Der Ort
ist 50 Kilometer von der syrischen Grenze
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entfernt. Die war schnell erreicht und
überwunden. Heute bekennt sich Sarah
zu der radikal-islamischen und Al-Qaidanahen Miliz ISIS (Islamischer Staat im1
Irak und Syrien). Seit Anfang Januar ist
sie mit dem türkischstämmigen JihadKämpfer Ismail S. verheiratet.
Geboren in Brühl und aufgewachsen in
Köln war Ismail S. den Sicherheitsbehörden bereits seit Jahren bekannt. Im Frühjahr 2013 reiste er gemeinsam mit seinem
Bruder und mit Unterstützung der Mutter
über Ägypten nach Syrien. Auch für seine
junge Jihad-Braut Sarah, die als Tochter
eines strenggläubigen Algeriers und einer
zum Islam konvertierten deutschen Mutter aufwuchs, spielte die Religion schon
immer eine zentrale Rolle im Leben.
Auffällig wurde Sarah erstmals nach
einem längeren Aufenthalt in Algerien
und dem Besuch einer islamischen Schule
vor Ort. Zurück in Deutschland zog sie
sich immer mehr von den Gleichaltrigen
zurück, vertiefte sich in den Koran und
verbrachte ihre Zeit im Netz, wo sie mit
anderen radikalisierten jungen Muslimen
kommunizierte.
Vergleichbare Fälle sind aus Belgien bekannt. Hier ist die 16-jährige marokkanischstämmige Nora aus dem Großraum
Brüssel die bisher jüngste Jihad-Braut, die
offenbar über das Internet radikalisiert
wurde. Die Rolle der Frauen im Jihad ist
in einschlägigen Internet-Foren und Facebook-Gruppen längst Thema, und auch,
dass auf dem Weg Ehen geschlossen werden, ist nicht neu. Im traditionell islamischen Milieu ist es schließlich nicht ungewöhnlich, den Ehepartner vor der Heirat
kaum oder gar nicht zu kennen. Da
scheint es auch zweitrangig, ob die Auswahl durch die Familie erfolgt oder eben
über eine Internetseite, deren NutzerInnen
eine religiös-ideologische Familie sind.
In diesen Internet-Foren werden Männer, die den bewaffneten Kampf meiden,
als „Memmen“ und „Verräter am Islam“
gebrandmarkt, denen ewige Höllenstrafen
drohen. Die Kämpfer aber werden als die
einzig wahren Männer verherrlicht, denen
beizuwohnen für jede muslimische Frau
eine Ehre ist.
Weder Sarahs noch Noras Vater gaben
das auch islamrechtlich notwendige Ein-
verständnis zur Eheschließung der Tochter. Doch der Zweck heiligt die Mittel,
die betroffenen Eltern scheinen machtlos,
das Schicksal von Sarah und Nora ist
ungewiss.
Die 20-jährige Aischa aus Tunesien
hatte mehr Glück. Kurz vor ihrer geplanten Ausreise nach Syrien wurde ihr mulmig und sie vertraute sich ihrer Mutter
an, die die Tochter in letzter Minute von
ihrem wahnwitzigen Vorhaben abbringen
konnte.
Aischa berichtete, was passiert war: An
der Universität Monastir tauchte eines
Tages eine Frau mittleren Alters auf, die
sich als Predigerin ausgab und die Neugier der Studentinnen auf sich zog. Sie
beeinflusste die jungen Frauen, den Ganzkörperschleier zu tragen und ihr weltliches Studium gegen Korankurse einzutauschen. Manch eine ging ihr auf den
Leim und glaubte, dass ihr als gläubiger
Muslimin nur zwei Wege blieben: ein
Selbstmordattentat oder eine Ehe mit
einem Kämpfer. Manche ehemalige Mitstudentin von Aischa wird unter den
mehreren hundert tunesischen Frauen gewesen sein, die bereits nach Syrien reisten.
Um die Sache zu vereinfachen und vor
allem der nach wie vor ungünstigen Zahlenrelation zwischen Männern und Frauen im Kriegsgebiet Herr zu werden, erließ
der radikale saudische Prediger und JihadIdeologe Mohammed al-Arifi eine Fatwa,
die die so genannte „Ehe auf Zeit“ erlaubt. Gelobt wird das ‚Opfer‘ junger
Frauen, die sich für einen von vornherein
festgelegten Zeitraum einem Kämpfer
„zur Verfügung stellen“.
Delikat an der Sache ist, dass die Zeitehe
eigentlich nur im schiitischen Islam bekannt ist, gerade von den salafistisch ausgerichteten Sunniten aber, die die Ideologie des Jihad in Syrien bereitstellen und
als Erzfeinde der Schiiten gelten können,
traditionell als Form der Prostitution angesehen wird. Aber al-Arifi scheint die
Zeitehe besser zu finden als die Vorstellung, sich mit sexuell frustrierten Jihadisten herumschlagen zu müssen.
Inzwischen sind wahre ‚Jihad-Bordelle‘
entstanden, in denen junge Frauen aus
zahlreichen Ländern kurzzeitig „verheiratet“ werden. Dabei liegt die Mindestdauer
Die „Ehe auf Zeit“ kann
für Stunden geschlossen
werden – manchmal
über hundertmal.
einer Jihad-Ehe bei einem Tag, manche
lassen sie sogar für eine Stunde gelten.
Mit dem Ablauf der vereinbarten Zeit ist
die Ehe automatisch beendet, kann aber
erneut geschlossen werden. Der Verzicht
auf Nachkommen ist erlaubt, die Frau
darf direkt nach dem Ende der Ehe eine
neue Zeitehe schließen. Immerhin: Sie
enthält eine „Entschädigung“. Prostitution
auf islamistisch.
Einige der Frauen sollen unter bis zu
hundert Jihadisten „herumgereicht“ worden sein. Wenn es ganz schlimm kommt,
so al-Arifi, darf die sexuelle Begegnung
sogar ohne Zeitehe zustande kommen.
Der Frau, die sich so am Kampf für den
Islam beteilige und im strikten Geltungsbereich der Scharia mit dem Tode rechnen müsse, drohe keine Strafe, sondern es
erwarte sie große Ehre und Anerkennung
in der Gesellschaft. Auf die allerdings
hoffen derzeit viele Tunesierinnen, die
schwanger und unverheiratet in ihre Heimat zurückgekehrt sind, vergeblich. In
diesen Ländern ist eine uneheliche Geburt
nach wie vor eine Katastrophe.
Die tunesische Regierung hat die Ausreisemöglichkeiten in den Nahen Osten
inzwischen streng gemaßregelt und
bemüht sich um präventive Aufklärung in
Schulen und Universitäten – und um
soziale Programme für die unehelichen
Mütter. In ihrer Gesellschaft sind diese
Frauen nichts mehr wert, und mit der
Hilfe von al-Arifi und seinen Mitstreitern
ist wohl nicht zu rechnen. Auch nicht
für Sarah.
RITA BREUER
ist Islamwissenschaftlerin und
veröffentlichte u.a. „Im Namen
Allahs?“ und „Familienleben
im Islam“ (Herder).
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Es schlägt die Stunde
der Schwestern
Die Muslimbrüder sind die Keimzelle des
fundamentalistischen Islam. Sie traten
von Ägypten aus ihren Siegeszug in die
Welt an – in Ägypten jedoch waren sie
80 Jahre lang verboten. Dann griffen sie
nach dem Umsturz nach der Macht – und
wurden selber wieder gestürzt. Heute
sind die Muslimbrüder in Ägypten wieder
verboten und im Untergrund. Es schlägt
die Stunde der Frauen.
D
as Kopftuch ist das schönste
Geschenk des Islam an die Frauen“, verkündet die promovierte
Mathematikerin Ghada Haschad mit
überschwänglichem Enthusiasmus. „Die
Scharia, das aus Koran und der Überlieferung der Sprüche des Propheten abgeleitete islamische Gesetz, ist einfach die
ideale Ordnung für uns Menschen.“ Dazu
zähle auch, dass ein Mann vier Frauen
haben kann. „Ach, die Natur will das so“,
kommentiert sie gelassen.
Ghada Haschad ist Anfang vierzig,
mehrfache Mutter, Schulinspektorin in
Kairo und war eine von vier weiblichen
Parlamentsabgeordneten des politischen
Flügels der ägyptischen Muslimbruderschaft. Zum Zeitpunkt des Interviews mit
ihr, im Februar 2013, war noch keine
Rede von Putsch und Unterdrückung.
Flankiert von ihren Mitarbeiterinnen –
darunter die Ärztin Abeer al-Menschay,
Toxikologin am Gerichtsmedizinischen
Institut in Kairo, orchestrierte Frau Doktor Haschad im Partei-Hauptquartier im
Zentrum Kairos die Kampagne für die
nächsten Wahlen.
78
EMMA Mai/Juni 2014
Die Frauen der Brüder sind an Durchhalteparolen und Sicherheitsengpässe gewöhnt. Seit ihrer Teenagerzeit sind
Haschad und die Mitfünfzigerin Abeer alMenschay als „Schwestern“ Teil der ägyptischen Muslimbruderschaft. Die „Muslimische Schwesternschaft“ gilt als tragende
Säule der Organisation, weil sie für die
Publikumswirksamkeit des grau melierten
Männerkaders sorgt. Al-Menschay: „Wir
Schwestern erfüllen die eigentliche Botschaft Hassan al-Bannas. Er strebte eine
menschlichere Gesellschaft an. Dafür
kämpfen wir auf unsere Art: in den Slums
mit Ausspeisungen, in den mobilen Kliniken, in den Waisenhäusern. Wenn wir
Frauen zu den Menschen, denen wir
geholfen haben, gehen und sie bitten, unsere Partei zu wählen, ist es doch logisch:
Natürlich haben wir dann ihre Stimme. –
Und natürlich“, ergänzt sie, „sehen sie an
unserem Beispiel, dass der Islam die Lösung
ist. Für alle Probleme dieser Welt.“
Zirka die Hälfte der Mitglieder der Bruder-
schaft Ägyptens sind Frauen. Führungsrollen waren für sie lange tabu. Im Konzept
des politischen Islamismus, der sich mehr
oder weniger buchstabengetreu am Modell
der vom Propheten Mohammed entworfenen politischen Ordnung orientiert, sind
Frauen in Spitzenfunktionen nicht vorgesehen. Im politischen Windschatten der
Brüder kümmerten und kümmern sie sich
dafür emsig ums Kerngeschäft der Islamisten: Wohltätigkeit.
Doch im 21. Jahrhundert gehen sie
weiter. Immer mehr Schwestern gelingt
es, als politischer Faktor wahrgenommen
zu werden. Der „Arabische Frühling“
sorgte für frischen Wind in der Schwes-
ternschaft. Sie schlossen sich Seite an Seite
mit Männern den Demonstrationen an
und entdeckten ein neues Selbstvertrauen.
„Ursprünglich war der Hintergedanke der
Schwesternschaft, dafür zu sorgen, dass
wir Ehefrauen und Mütter erziehen, die
in ihren Familien die wahren Werte des
Islam achten. Das hat sich nun aber geändert“, so Wahfa Mashoun, eine der führenden Figuren der ägyptischen Schwesternschaft.
Die Rolle der Frau, ihre Benachteiligung, ihre Degradierung zum Menschen
zweiter Klasse in den Ideologien fanatischer ultraorthodoxer Islamisten zählt zu
Recht zu den zentralen Vorwürfen, denen
sich Islamistengruppen stellen müssen:
rigide Kleidungsvorschriften, extreme Benachteiligung beim Erbrecht, das Recht
von Männern ihre Frauen auch körperlich
zu misshandeln, Körperstrafen bis zur Steinigung, wenn eine Frau außerhalb der Ehe
Geschlechtsverkehr hat etc. Die angeblich
von den Lehren des Islam sanktionierten
Misshandlungen passieren am meisten im
Kontext salafistischer Gruppen, wie den
Wahabiten, zu denen die saudischen
Königsfamilien zählen. In diesem Land
dürfen Frauen nicht einmal Auto fahren.
Das Frauenbild als Marketinggag: So
könnte man etwas überspitzt formuliert
den jüngsten Schachzug der palästinensischen Hamas-Bewegung werten. Im
November 2013 wurden der attraktiven
23-jährigen Isra al-Mudullal Fotostorys in
diversen internationalen Medien gewidmet, nachdem die TV-Moderatorin, die
in England aufwuchs, als internationale
Pressesprecherin der Gruppe vorgestellt
worden war. Ihr waren beim Vorstellungstermin nur wenige aussagekräftige State-
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ments zum Thema Islam zu entlocken.
Deutlicher hingegen äußerte sich der
Hamas-Kommunikationschef Ihab alGhossein: „Hintergrund unserer Entscheidung für sie ist ein neues PR-Programm,
auf dessen Basis wir eine veränderte Darstellung unserer Bewegung in Europa und
den USA erreichen möchten. Wir suchten
eine Frau, die fließend Englisch spricht
und so ein neues, offenes Bild ausstrahlt.“
Doch wann immer es der Bruderschaft
gelang, sich mit politischen Flügeln an
demokratischen Wahlen zu beteiligen
oder auch Regierungsämter in Koalitionen zu übernehmen, bot dies den Schwestern eine echte Chance auf realen Machtgewinn. Der Rückkoppelungseffekt auf
die Bewegung – hin zu einer internen
Stärkung von Frauen – ist gerade in diesem Bereich enorm. So verfügt auch die
Hamas nicht bloß über weibliche Abgeordnete, sondern auch über eine Ministerin: Jamila al-Schanti leitet das Frauenressort. Immerhin.
Krisenzeiten der Bewegung wie heute
zählen vor allem in Ägyptens Vergangenheit zu jenen Momenten, in denen die
Schwesternschaft in eine zentrale Rolle
rückt. Um den Zusammenhalt der Gruppe
auch in Phasen der Repression zu gewähren, wird tunlichst darauf geachtet, dass
ihre Mitglieder auch untereinander verwandt sind. Arrangierte Hochzeiten zwischen Bruder- und Schwesternschaft
zählen zu den weiteren Jobs der Schwesternschaft. Durch diese Bindung – neben
dem System der „usras“ – innerhalb der
Organisation soll garantiert werden, dass
hinter jeder männlichen Führungsfigur
eine in der Bewegung geschulte und der
Gruppe treu ergebene Frau steht.
Die erste ägyptische Muslimschwester
Zeinab al Ghazali hingegen, die bis heute
als Ikone gilt, gelangte nicht durch Heirat, sondern durch ihr eigenes Engagement in die Rolle der Gründungsmutter.
Sie hatte bereits die erfolgreiche „Vereinigung Muslimischer Frauen“ gegründet,
als Hassan al-Banna im Jahre 1928 die
Muslimbruderschaft formierte. Es lag später vor allem an ihrem Kampfgeist und
ihrem Engagement, dass sich die Bewegung nach al-Bannas Ermordung 1948
im Untergrund neu gruppieren konnte
und so langfristig zur mächtigsten islamistischen Bewegung der Geschichte wurde.
Sie wurde 1960 verhaftet und zum Tod
verurteilt; später änderte man das Urteil
auf lebenslange Haft. Die Lektüre der
Tagebücher al-Ghazalis während ihrer
Gefangenschaft zählen zur Grundausbildung jeder Schwester.
Bei der Organisation der eigentlich
verbotenen Straßenproteste rückten die
Brüder die Schwestern mit gezieltem Kalkül in die erste Reihe. Ein Jugendführer
der Bruderschaft aus der ägyptischen
Stadt Assiut gab dies gegenüber einer internationalen Presseagentur unumwunden
zu. „Wir Männer müssen quasi überwintern. Aber wir sind sicher, dass die Mehrheit der Ägypter, die hinter as-Sisis Putsch
gestanden ist, sich auf unsere Seite schlagen wird, wenn sich die wirtschaftliche
Lage weiter verschlechtert. Und da bin
ich mir sicher: Das wird sie.“ In der Zwischenzeit würde man Proteste mit der
„Schmetterlingstaktik“ weiter am Leben
erhalten. Damit meint er plötzliche, spontane Proteste, die sich rasch formieren
und wieder auflösen. „Frauen und Studentinnen aus unseren Reihen spielen da
eine wichtige Rolle. Sie stehen auf keinen
Fahndungslisten, niemand kennt sie und
was sehr wichtig ist: Wenn wir die Gesichter von Frauen in die vorderste Reihe
rücken, wird dies unser Image mit der
ägyptischen Öffentlichkeit versöhnen.“
Wie die Brüder, bilden auch die
Schwestern „Familien“ – usras –, in denen
sie ihre jahrelangen Schulungen erhalten.
Das Aufnahmeprozedere und die wöchentliche Routine sind deckungsgleich mit
jenen der Männer. „Diese Treffen geben
mir alles, was ich brauche: Klarheit beim
Denken, das Wissen, was ich lesen soll.
Wir besprechen dort jeden Aspekt unseres
Lebens: Probleme in unseren Ehen, bei
der Kindererziehung. Da gibt es keine Geheimnisse“, erzählt die 24-jährige Menna
Tallah, eine frisch verheiratete Pharmazeutin. „Meine Familie besteht aus sechs
jungen Frauen wie ich und einer etwas älteren Führerin. Sie sucht aus, wo wir uns
wohltätig engagieren, wie wir die Treffen
gestalten. Zuletzt waren die Mädchen bei
mir in meiner Wohnung. Nach dem Gebet
haben wir getanzt und gesungen, um die
Verlobung einer Freundin zu feiern.“
Als 18-Jährige habe sie mal versucht
auszusteigen. „Ratlos, entscheidungsunfähig und heimatlos“, fühlte Menna Tallah
sich danach: „Ich war wie ein Blatt im
Wind. Ohne Anker: Ohne meine Identität als Schwester, was bleibt von mir
übrig?“
Den Ausstieg geschafft hat die Autorin
Intissar Abdel-Moneim, die über ihre
Erfahrungen ein Buch schrieb: „Die Erinnerungen einer Schwester. Meine Geschichte mit der Muslimbruderschaft“.
Darin schildert sie, wie die quasi-familiäre
Struktur, die jedes Mitglied kontrolliert,
die Ehen innerhalb der Bewegung die
Muslimbruderschaft zu einem von außen
kaum durchdringbaren Machtblock festigen: „Frauen haben eine immense Bedeutung, aber keine politische Mitsprache.
Die Brüder wissen aber sehr genau“, so
Abdel-Moneim: „Ohne die Unterstützung der Schwesternschaft sind sie auf
verlorenem Posten.“
Ohnehin würden die Schwestern selten
dem Klischee des untergebenen Heimchens
am Herd entsprechen, sagt Ou-mayma
Abu Bakr, eine ägyptische Wissenschaftlerin, die Geschlechterrollen erforscht. „Die
meisten sind sehr aktive Frauen, engagiert
in ihrer Karriere, sehr selbstbewusst.“
Azza al-Garf kommentierte 2012 ihre
Kür zur Parlamentarierin: „Meine Wahl
ist ein Schlag ins Gesicht jener, die bislang Frauen unterdrückten.“ Ihr erster
Antrag befasste sich allerdings mit der
Aufhebung des Verbots der Beschneidung
von Mädchen. „Es muss Privatsache sein,
ob junge Frauen dieser Verschönerung
unterzogen werden“, erklärte sie. Und sie
setzte sich auch dafür ein, das Mindestalter bei Eheschließungen auf zehn Jahre zu
senken.
„Solche Frauen in Machtpositionen zu
haben, ist gefährlicher, als gäbe es überhaupt keine Frauen in entscheidenden
Funktionen“, sagt Hoda Badran, Vorsitzende der „Union Ägyptischer Feministinnen“.
PETRA RAMSAUER
Weiterlesen
Der Text ist ein Auszug aus dem gerade
erschienenen Buch von Petra Ramsauer:
„Muslimbrüder“ (19.99 €, Molden Verlag).
Mai/Juni 2014 EMMA
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080_103_Dossier_Beruf_korr 11.04.14 11:17 Seite 80
DOSSIER ARBEIT
Wir reden hier von Arbeit.
Frauenarbeit. Gratis in der Familie und (unter)bezahlt im Beruf.
In keinem europäischen Land ist
der Gehaltsunterschied zwischen Männern
und Frauen so groß wie in Deutschland,
genauer: wie in Westdeutschland. In Ostdeutschland sieht das nämlich anders aus. In
der DDR waren Frauen immer schon berufstätig, in der BRD galten berufstätige Mütter
bis vor nicht so langer Zeit als Rabenmütter.
Und das dauert an. Es ist kein Zufall, dass die westdeutsche Familienministerin Kristina Schröder mit dem Argument an den Herd zurück kehrte, ihr Kind
brauche sie – und die ostdeutsche Familienministerin Manuela Schwesig
kaum je thematisiert hat, dass sie auch Mutter ist. Das hat wenig mit hie konservativ und da sozialdemokratisch zu tun und mehr mit hie West und da Ost.
Über 50 Prozent aller Berufstätigen in Ostdeutschland sind Frauen (West 43
Prozent). Die Durchschnittsrente für Frauen Ost beträgt 727 Euro (West 520
Euro). Und die gesamtdeutsche Falle heißt: Teilzeit! Die führt stracks in die
Altersarmut. Drei von vier Teilzeitstellen sind in Deutschland von Frauen
besetzt, aber nur eine von drei Vollzeitstellen. Das wollen immer mehr Frauen
nicht länger hinnehmen. Nicht nur Arbeitnehmerinnen, sondern auch Arbeitgeberinnen wie Nicola Leibinger-Kammüller (Foto re) nicht. Was alles passieren muss – und was schon passiert ist! Das EMMA-Dossier über Arbeit.
Marijan Murat/dpa/lsw
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 81
Die Maschinenbauerin und vierfache Mutter Nicola Leibinger-Kammüller in ihrer Fabrik im schwäbischen Ditzingen.
Frau muss
nur wollen!
Sie ist eine von immer mehr Unternehmerinnen,
die im eigenen Betrieb und im Leben ernst machen
mit mütter- und vätergerechten Arbeitsbedingungen.
A
ls Nicola Leibinger-Kammüller
mit ihrem vier Wochen alten
Sohn Justus im japanischen
Büro der Trumpf GmbH erschien, staunten alle Mitarbeiter. Es waren
die späten 1980er-Jahre. So ein kleines
Wesen im Babykorb bei der Arbeit war für
die Japaner kaum vorstellbar. Fast so wenig
wie die Mama als Managerin.
NLK, wie man sie nennt, machte das
alles nichts aus. Bereit, an die Arbeit zu
gehen, stellte sie den Korb in der Nähe
ihres Schreibtischs ab. Schließlich würde
sie für die kommenden drei Jahre als PRManagerin der japanischen Tochtergesellschaft arbeiten, auch wenn sie wider Erwarten erst mal keine Nanny in Yokohama
finden konnte. Der Sohn war aber ganz
lieb. Sie hat ihn gefüttert und dann einfach
weitergearbeitet, erinnert sich die Schwäbin heute. Punkt. Aus. Flexibel denken.
Weiterschaffen. So einfach kann das sein.
Über all die Jahre im familiengeführten
Unternehmen, das mit 2,3 Milliarden Euro
Umsatz zu den weltweit größten Maschinenbauern gehört, hat Nicola Leibinger-
„Flexibilisierung
der Arbeitszeit ist
eine Revolution.
Eine, die wir
brauchen.“
NICOLA LEIBINGERKAMMÜLLER
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Kammüller selbst erlebt, wie schwer es ist,
Kinder und Beruf zu vereinbaren. Nicht
ein oder zwei, gleich vier Kinder hat sie.
Doch als ihr Vater 2005 in Ruhestand
ging, wählte er die promovierte Literaturwissenschaftlerin als Nachfolgerin – anstatt
wie erwartet ihren Bruder oder sogar ihren
Ehemann, beide Ingenieure, beide im
Betrieb. Berthold Leibingers Eindruck
damals: Die Nicola kann das.
Seitdem ist die Blitzschnellrednerin mit
den tiefbraunen Augen eine Ikone für andere weibliche Führungskräfte im deutschen
Mittelstand. Ihre Erfahrungen als berufstätige Frau und Mutter haben Nicola Leibinger-Kammüllers Führungsstil in vielerlei
Hinsicht geprägt. Mit ganz konkreten Maßnahmen hilft sie Frauen auf dem Weg nach
oben – von klitzekleinen Lösungen für die
täglichen Zwickmühlen des Haushalts über
Sponsoring-Initiativen bis hin zu einem
revolutionären Arbeitszeitmodell.
Diese Frau verändert die Lebenswirklichkeit, nicht nur bei Trumpf, sondern
zunehmend auch in der deutschen Wirtschaft. Sie steht im Vordergrund einer
kleinen Gruppe Frauen, die ein neues
Weltbild echter Chancengleichheit in der
Wirtschaft umsetzen.
Als junge berufstätige Mutter hatte Nicola Leibinger-Kammüller selber die Herausforderungen des Alltags zu bestehen, da half
auch der familiäre Reichtum wenig. Denn
wer organisierte die Kinderbetreuung und
den Haushalt? Sie natürlich. Nachmittags
ging sie nach Hause, als die Kinder ganz
klein waren, um dann nachts von zu Hause
aus weiterzuarbeiten. Telefonkonferenzen
erledigte sie oft im Wohnzimmer, manchmal kamen die Mitarbeiter auch zu „Heimkonferenzen“ mit der Chefin. Im Grundschulalter waren die Kinder oft krank, und
das verursachte logistische Schwierigkeiten.
Negative Vorurteile über berufstätige Mütter
blieben ihr auch nicht erspart.
Die alten Zeiten vom Babyalter bis zur
Pubertät hat die heute 53-Jährige in lebhafter Erinnerung. Heute beim Interview
in der Ditzinger Konzernzentrale erzählt
sie gerne von der persönlicheren Seite ihrer
beruflichen Laufbahn – von all dem, was
nicht auf dem Lebenslauf zu finden ist.
Die Nannies kamen und gingen, und
Leibinger-Kammüller fing mit der Suche
und der Einarbeitung immer wieder von
vorne an. „Ich war privilegiert, das muss
man sagen. Wir hatten genügend Geld,
um Nannies zu haben.“
Umso mehr versteht Nicola LeibingerKammüller die Probleme der Mitarbeiterinnen ohne Privilegien. Immer wieder
ermuntert sie junge Mütter dazu, Leitungspositionen anzunehmen, auch wenn
sie zunächst nur Teilzeit arbeiten können.
Viel hat sie unternommen, um ihnen das
Leben bei Trumpf leichter zu machen, seit
sie die Chefin ist. Mit Kindergärten in der
„Hört mit dem Lügen auf!
Redet darüber, wenn ihr Zeit
für eure Kinder braucht.“
ANNE-MARIE SLAUGHTER
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EMMA Mai/Juni 2014
Nähe hat sie Verträge geschlossen für kostenlose Kinderbetreuung bis 19 Uhr. Für
viele Frauen hat sie Heimarbeitsplätze geschaffen. Auch erlaubt sie den Angestellten, das Abendessen für die ganze Familie
aus dem Betriebsrestaurant in Pappkartons
zu packen und mit nach Hause zu nehmen. Mittlerweile bietet sie Mitarbeitern
einen Wäsche- und Bügelservice direkt im
Betrieb an sowie ein Bestellsystem für
Wochenendeinkäufe.
„Es ist eine Revolution“, sagt sie. „Eine,
die wir brauchen.“ Und eine, die über die
knapp 10 000 Mitarbeiter von Trumpf
hinausgeht. Dank Nicola Leibinger-Kammüller können Mitarbeiter seit Ende 2011
ihre Arbeitszeiten maßschneidern. Je nach
persönlichen Wünschen und Lebensphasen
können die Beschäftigten deutlich mehr
oder weniger arbeiten, als es StandardArbeitszeitverträge bisher erlaubten. All das
hat sie mit der Gewerkschaft so vereinbart.
Ein Beispiel aus der internen Broschüre:
Ein Berufseinsteiger will erst mal zeigen, was
er kann, und wählt eine Basisarbeitszeit von
40 Stunden pro Woche. Aber ein junger
Vater möchte sich zusammen mit seiner
Frau ums Kind kümmern und schraubt
seine Arbeitszeit auf 28 Stunden zurück.
Man sieht schon, nicht nur Frauen sind
gemeint. „Es ermöglicht ein Familienleben
– und es ist mir sehr wichtig, dass es die
Männer auch mit einbezieht“, sagt Nicola
Leibinger-Kammüller. „Wir haben junge
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 83
DOSSIER ARBEIT
Väter, die sagen, jetzt arbeite ich ein paar
Jahre lang weniger Stunden und meine
Frau dafür mehr.“
Ihre Botschaft ist einfach: Nicht die Lebenszyklen der Mitarbeiter sollen sich den
Firmen anpassen, große und kleine Arbeitgeber sollen sich gefälligst nach den Lebenszyklen richten. Und das, betont sie, muss genauso gut für Männer gelten wie für Frauen.
Kernstück des Modells ist, dass die Mitarbeiter regelmäßig alle zwei Jahre selbst
entscheiden können, ob sie ihre Wochenarbeitszeit erhöhen oder absenken wollen,
und zwar im Rahmen von 15 bis 40 Stunden. Außerdem können sie bis zu 1 000
Stunden auf einem individuellen Konto
ansparen, um diese später für längere Freizeiten einzusetzen oder damit eine zeitweise
Arbeitszeitreduzierung zu finanzieren.
Andere Unternehmen lassen sich heute
bei Trumpf zum Arbeitszeitmodell beraten. In den 18 Monaten nach Einführung
des Modells sind Abgesandte von 120 Unternehmen im schwäbischen Ditzingen zu
Gast gewesen. Richtige Seminare hat
Trumpf gehalten, sagt Leibinger-Kammüller mit amüsiertem Lächeln. Bei Siemens,
wo sie im Aufsichtsrat sitzt, hat sie selber
das Konzept präsentiert.
Laut Statistischem Bundesamt können
vier von zehn Erwerbstätigen in Deutschland die eigenen Arbeitszeiten mitbestimmen. Bei der Fürst Gruppe zum Beispiel,
einem Gebäudereiniger mit rund 5 000
Mitarbeitern in Nürnberg, den seit 2005
eine Frau führt. Christine Bruchmann,
geschäftsführende Gesellschafterin, ist heute
eine große Verfechterin von flexiblen
Arbeitslösungen, nachdem sie in der
männerdominierten Unternehmenswelt von
Gillette oder der Zeitarbeitsfirma Randstad
aufstieg – und den Preis dafür bezahlte.
Nur zwei Monate nach der Geburt ihres
Sohnes musste sie damals wieder voll im
Job präsent sein. „Das war eine brutale
harte Zeit“, erklärte sie dem Magazin
Impulse. Inzwischen ist Bruchmann geschieden, ihr Sohn lebt beim Ex-Mann.
Wer heute bei Fürst Kinder bekommt, darf
ohne Druck entscheiden, wie lange er oder
sie zu Hause bleibt. Teilzeit nach der Rückkehr ist auch gern gesehen, die Lösung wird
individuell entwickelt – egal, ob sie dann
heißt, dass die Mitarbeiterin im Heimbüro
arbeitet oder doch zwei Tage pro Woche im
Büro erscheint. Die Aufstiegschancen bei
Fürst sollen dadurch nicht berührt werden.
Auch das Mittelstandsunternehmen
Anton Schönberger im oberpfälzischen
Wölsendorf bietet seinen Mitarbeitern
Arbeitszeitkonten an, auf denen sie Überstunden ansammeln können. Die können
sie zum Beispiel einsetzen, wenn Nachwuchs kommt. Das Unternehmen, seit
1990 von zwei Frauen geführt, hat auch
ein Spielzimmer eingerichtet und erlaubt
es den Mitarbeitern ausdrücklich, die
Kinder mit ins Büro zu bringen, wenn die
Betreuung kurzfristig ausfällt.
Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung liegt die Zahl weiblicher Vorstände in den Top-200-Unternehmen in
Deutschland bei nicht einmal vier Prozent.
Im deutschen Mittelstand dagegen sind
mindestens 20 Prozent aller Führungskräfte
der obersten Ebene weiblich. Und anders als
bei den Großunternehmen geht es auch an
der Spitze schon seit einigen Jahren frauenfreundlich zu: Der Anteil weiblicher
Firmeneigner in den etwa 3,7 Millionen
mittelständischen Unternehmen lag 2011
bei 20 Prozent. Von den 30 Dax-Konzernen
indes hatte und hat keiner einen weiblichen
Chef oder Aufsichtsratschef.
„Das eine, was wir wirklich wie in einer
Revolution durchsetzen können, ist Flexibilität“, sagte Anne-Marie Slaughter,
Princeton-Professorin und ehemalige Chefplanerin des US-Außenministeriums. Das
war im September 2012 bei einer Konferenz
des New Yorker „Families and Work Institute“. Die Mutter von zwei Jugendlichen
hat flexibles Arbeiten schätzen gelernt, nachdem sie als erste Frau die Chefplanerstelle
unter Außenministerin Hillary Clinton
2009 angetreten war. Es war der Traumjob
der in Amerika bekannten Akademikerin,
die vorher als erste weibliche Dekanin einen
Teil der Elite-Uni Princeton leitete.
Doch den Traumjob schmiss sie nach
zwei Jahren hin, weil er ihr überhaupt
„Bei uns ist die Rückkehr aus
der Teilzeit in den Volltagsjob
jederzeit willkommen.“
CHRISTINE BRUCHMANN
Mai/Juni 2014 EMMA
83
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 84
DOSSIER ARBEIT
keine Zeit für die Familie ließ. Anwesenheit war verlangt, frühmorgens und spätabends. Sie schrieb ihre Erfahrung auf,
und im Sommer 2012 erschien ihr hoch
kontroverser Artikel „Warum Frauen immer
noch nicht alles haben können“.
„Wir brauchen einen grundsätzlichen
Wandel in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft“, sagte Slaughter 2012 dem Spiegel.
„Hört mit dem Lügen auf“, rief sie den
Frauen zu. „Redet darüber, wenn ihr Zeit
für eure Kinder braucht. Tun Männer das,
werden sie als besonders einfühlsame Väter
bejubelt, bei Frauen ist es anders.“
Die Amerikanerin gelangt mit ihren
Erfahrungen als Frau, Mutter und Spitzenforscherin zum ähnlichen Ergebnis wie die
Schwäbin: Man muss das Problem offen angehen, wenn man eine Wirtschaft mit mehr
Frauen an der Spitze will. Dabei hilft die
Krise. Das war auch in Ditzingen so. Anfang
der 1990er Jahre wurde Trumpf von der
weltweiten Krise der Maschinenbauindustrie
mitgerissen – kaum jemand investierte noch.
Die Banken verlangten von Trumpf, 400
Mitarbeitern zu kündigen. Doch das Unternehmen kürzte lieber die Arbeitszeiten aller
Mitarbeiter. So konnte es die schwere Zeit
mit nur 41 Entlassungen überleben.
„Die Grundidee war, dass eine Organisation mit den Zyklen der Wirtschaft atmen
muss“, erinnert sich Nicola Leibinger-Kammüller. „Wir haben damals erkannt, dass
mehr Flexibilität dringend notwendig ist,
um auch auf Schwankungen im Auftragseingang eingehen zu können, ohne Mitarbeiter zu entlassen. Das Instrument dazu
waren zunächst Arbeitszeitkonten. Damit
kann man in guten Zeiten Stunden ansammeln, und diese Stunden können dann in
schlechten Zeiten abgebaut werden. Wobei
das Gehalt immer gleich bleibt.“
Leibinger-Kammüller hat lange und
hart für das neue Arbeitszeitmodell gekämpft. Nicht nur, um das Modell selbst
zu entwickeln, sondern auch die gesamte
Geschäftsleitung davon zu begeistern –
und die Gewerkschaft. „Die Gewerkschaft
war bereit, sich hier gemeinsam mit uns
auf ein Experiment einzulassen“, sagt die
Unternehmerin. Trumpf musste mit der
84
EMMA Mai/Juni 2014
IG Metall die geltenden Tarifverträge verändern. Nach langem Verhandeln hat das
Unternehmen eine gesonderte Abmachung
abschließen können.
Das neue Arbeitsmodell bei Trumpf,
das offiziell erst Ende 2011 eingeführt
wurde, bietet zum Beispiel die Möglichkeit
an, bis zu zwei Jahre lang für die Hälfte
des Lohns zu arbeiten, um vor oder nach
dieser Phase im Rahmen eines Sabbaticals
arbeitsfrei zu sein und dabei ebenfalls den
halben Lohn zu beziehen.
Führungskräfte bei Trumpf werden mittlerweile in ihren jährlichen Leistungsbeurteilungen nicht nur an ihren eigenen Entwicklungen gemessen, sondern auch daran, ob
sie Frauen in ihren Abteilungen weitergebracht haben. „Wenn die Führungskräfte,
die hier in Deutschland nach wie vor oft
Männer sind, nach einem Jahr gefragt werden, was ist aus der und der Frau geworden,
welche Perspektiven haben sie, dann hilft
das enorm“, sagt Leibinger-Kammüller. „Wir
müssen die Frauen im Unternehmen mehr
begleiten, sie dazu bringen, zu sagen: ‚lt’s my
turn.‘“
Viele Frauen hegten zu viele Selbstzweifel,
gerade wenn es um die Vereinbarkeit mit
der Familie geht. „Ich erlebe es so oft, dass
ich eine junge Frau frage, ob sie sich vorstellen kann, eine Gruppe zu leiten. Dann
kommen Zweifel: ‚Meinen Sie, dass ich
dem gerecht werde? Ich habe die Kinder zu
Hause, und mein Mann arbeitet auch zu
viel und, und, und ...‘ Doch wir wollen,
dass die Frauen in der schwierigen Phase
auf ihrem Weg begleitet werden und sich
etwas zutrauen.“
Nicola Leibinger-Kammüller nimmt
das ernst. „Männer haben oftmals weniger
Selbstkritik. ‚Jetzt war ich so und so lange
Gruppenleiter, jetzt fühle ich mich reif
und führungsstark, ich möchte eine Abteilung leiten‘ – das ist ein gängiges Argumentationsmuster“, sagt sie. „Frauen neigen dazu, sich im Hintergrund zu halten
und darauf zu warten, dass jemand anderes
merkt, dass sie gut sind. Aber das ist natürlich nicht selbstverständlich. Also man
muss sie dazu bringen, zu sagen: ‚Ich kann
das!‘ und es ihnen durch die entsprechenden Rahmenbedingungen ermöglichen.“
Selbstbewusstsein muss man früh aufbauen. Weil Selbstzweifel und Stereotype schon
im Grundschulalter entstehen, arbeitet Leibinger-Kammüller zum Beispiel auch in
regionalen Projekten mit Vorschulkindern
und versucht zudem, Mädchen für den
Technikberuf zu begeistern. Und sie nutzt
ihr persönliches Netzwerk, um jungen Frauen in der Wirtschaft weiterzuhelfen. „Ich
kenne mittlerweile viele Unternehmerinnen,
und da tauscht man nicht nur Erfahrungen
aus, sondern gibt auch gelegentlich eine gute
Bewerbung von einer Frau weiter, die vielleicht gerade zu uns nicht passt.“
Als Aufsichtsratmitglied bei Siemens oder
Lufthansa kennt sie viele der Frauen, die es
in der Dax-Welt nach oben geschafft haben.
Sofort hat sie Brigitte Ederer nach Ditzingen
eingeladen, als sie in den Siemens-Vorstand
gerufen wurde. Die Topfrauen verstehen
sich gut. „Ich war anfangs sehr skeptisch in
Bezug auf die Idee eines Frauennetzwerks.
Aber im Laufe der Jahre lernen sich die –
wenigen – Frauen in der Wirtschaft ja
untereinander kennen und tauschen sich
aus. Selbst da sieht man die Unterschiede.
Männer haben immer ihre Netzwerke
gehabt ... wir haben das erst lernen
müssen.“
DEBORAH STEINBORN
Die Amerikanerin ist freie Autorin,
selbst Mutter von zwei Kindern
und lebt in Hamburg.
Weiterlesen
Gekürzter Auszug aus: Jean Heuser/
Deborah Steinborn: Anders denken! Warum
die Ökonomie weiblicher wird (Hanser).
w
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Der Hintergrund im Vordergrund:
taz lesen und Europa verstehen.
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080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 86
DOSSIER ARBEIT
Die 32-StundenWoche ist die Lösung …
… für Eltern mit Kleinkindern. Dann können
Mutter und Vater sich die Kinderarbeit teilen –
und keiner hat Nachteile im Beruf.
A
m 22. Januar hat es schon mal
nicht geklappt. Jeden Mittwochnachmittag wolle er sein Töchterchen aus der Kita abholen,
kündigte der Vizekanzler und junge Vater
Sigmar Gabriel an. Doch zur Kabinettsklausur mit Kanzlerin in Schloss Meseberg
konnte der SPD-Chef dann doch nicht fehlen – und so musste die kleine Marie an diesem Mittwoch auf ihren Papa verzichten.
Ob die Ankündigung von Gabriel ernst
gemeint war oder doch eher in Richtung
PR-Gag ging, muss also noch abgewartet
werden. Doch die Richtung stimmt: Eine
Vier-Tage-Woche für Mütter wie Väter
könnte die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie entscheidend verbessern.
Auch die neue Familienministerin
Manuela Schwesig (SPD) ist ein Fan: Ihr
erster öffentlicher Vorstoß im neuen Amt
ging um diese 32-Stunden-Woche für
Familien. Und auch ein Paper des „Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung“
(DIW) legt dieses Modell nahe.
Zwar watschte Regierungssprecher Steffen
Seibert Schwesigs Vorschlag umgehend als
„Privatmeinung“ ab. Doch nun ist er in der
Welt – und sollte ernsthaft diskutiert werden.
Denn viele Umfragen zeigen, dass Mütter mit
Kleinkindern gern mehr und Väter gern
weniger arbeiten wollen. So gaben vier von
zehn befragten Vätern in einer repräsentativen
Forsa-Umfrage für das Magazin Eltern im vergangenen Oktober an, unter der Woche „eher
nicht genügend Zeit“ für ihre Kinder zu
haben. Weitere 13 Prozent hielten die Zeit für
„überhaupt nicht ausreichend.“
Für Jutta Allmendinger, die Präsidentin
des Wissenschaftszentrums Berlin, ist Zeit86
EMMA Mai/Juni 2014
politik ein ganz entscheidender Faktor, nicht
nur um die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie zu verbessern, sondern auch um den
Aufstieg von Frauen in Führungspositionen
zu fördern und bei der drohenden Altersarmut von Frauen gegenzusteuern. „32 Stunden sind die neue Vollzeit“, sagt die Soziologin, selber Mutter von zwei Kindern.
Noch jedoch sieht der Alltag anders aus.
Gerade mal ein Prozent aller Eltern mit
Kindern bis zu drei Jahren arbeiten beide in
„reduzierter Vollzeit“, heißt es in dem
DIW-Modell zur Familienzeit. 39 Prozent
hingegen leben das klassische 50er-Jahre
Modell: Vati arbeitet, Mutti ist zuhause. Bei
weiteren je 13 Prozent hat die Mutter einen
Teilzeit- bzw. Minijob. Viele WissenschaftlerInnen warnen sogar vor einem Trend zur
Retraditionalisierung dieser Rollenmuster,
sobald das erste Kind geboren ist.
Die Mehrzahl der Mütter in Deutschland landet immer noch in der Teilzeitfalle.
Aus dem Minijob kommen sie kaum heraus, weil sich Mehrarbeit auch finanziell
nicht lohnt. Und auch die Teilzeit stellt sich
„Mehr Männer
in Teilzeit
und an den
Wickeltisch!“
oft genug als berufliche Sackgasse heraus,
ein Aufstieg ist nur selten möglich.
Zwar will Bundesarbeitsministerin
Andrea Nahles (SPD) schnellstmöglich die
Bedingungen für Teilzeit verbessern: Der
Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit soll
weiter erleichtert und mit Rückkehrgarantien abgesichert werden. Denn offensichtlich schrecken vor allem Männer vor Teilzeit auch deshalb zurück, weil sie nicht
sicher sind, ob sie später wieder auf eine
volle Stelle zurückkommen.
Das eigentliche Problem dürfte aber
weniger die Gesetzeslage sein als die Mentalitäten hierzulande. Während es in Skandinavien vollkommen normal ist, dass auch
Männer Teilzeit arbeiten, gilt das in
Deutschland als seltsam. Zwar gaben in der
Eltern-Umfrage immerhin 22 Prozent der
Väter an, „am liebsten in Teilzeit von 30 bis
35 Stunden“ arbeiten zu wollen. Doch nur
zwei Prozent setzten diesen Wunsch auch in
die Wirklichkeit um – und das, obwohl es
laut der Umfrage in 58 Prozent der Firmen
auch möglich wäre.
Der wahre Grund für die Zurückhaltung
gegenüber der Teilzeit liegt wohl in der
Furcht, das würde der Karriere schaden.
Einen klaren Hinweis darauf geben die Antworten der Männer auf die Forsa-Frage
nach Elternzeiten und Karriere: 41 Prozent
der Befragten antworteten, dass Elternzeiten
sich bei Männern „negativ oder sehr negativ“ auf die Karriere auswirkt – und das,
obwohl die allermeisten noch niemals
Elternzeit genommen hatten.
Es kommt also auf die Rollenbilder an
– und die Vorbilder. Gerd Göbel beispielsweise, der bei der Commerzbank ein Team
von fünf Mitarbeitern leitet und als erster
Mann seiner Abteilung auf einen 80-Prozent-Job ging, um seine Tochter zu betreuen. Er ist einer der „Karriereväter“, denen
der Spiegel Anfang dieses Jahres eine große
Geschichte gewidmet hat. Noch seien die
vorgestellten Männer „Exoten“. Doch der
Handlungsdruck wachse auf beiden Seiten,
bei den Firmen und bei ihren männlichen
Vollzeitangestellten.
Vor allem bei großen Konzernen wie
Lufthansa, der Bahn, Bosch oder dem Ver-
Tim Wegner/laif
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 87
Gert Göbel (re), Teamleiter bei der Commerzbank, ging auf eine 80 %-Stelle, um mehr Zeit für seine Tochter zu haben.
sicherungskonzern Ergo gibt es seit einiger
Zeit außerordentlich flexible Arbeitszeitmodelle und oft sogar spezielle Programme für
das Führen in Teilzeit. Denn immer mehr
Personalchefs finden verblüfft heraus, dass
das Wickeln, Füttern und Sorgen für den
Nachwuchs auch bei Männern Sozialkompetenzen bringt, die für das Unternehmen
vorteilhaft sind. „Eine aktive Vaterrolle zu
übernehmen fördert oft soziale und emotionale Kompetenz. Diese Eigenschaften sind
auch im beruflichen Umfeld und für uns als
Unternehmen wichtig“, zitiert der Spiegel
Bettina Volkens, die bei der Lufthansa das
Personalressort verantwortet.
Wer also mehr Männer in Teilzeit und
an den Wickeltisch bekommen will, sollte
dafür sorgen, dass möglichst schnell möglichst viele möglichst hochrangige Männer
sich auf eine Vier-Tage-Woche einlassen.
Denn nur dann trauen sich all diejenigen,
die ihren Wunsch nach mehr Zeit mit den
Kindern bislang nur anonym gestehen.
Jenseits der Gruppe gutverdienender
Akademiker stellt sich allerdings die Gehaltsfrage. Noch ist alles in der deutschen
Sozialgesetzgebung auf die EinverdienerEhe ausgerichtet – vom Ehegattensplitting
bis zur kostenlosen Mitversicherung der
Ehefrau in der Krankenkasse. Noch immer
fällt es Männern deshalb viel zu leicht, ihre
Frauen mit dem Argument „Das lohnt sich
doch nicht“ vom Aufstocken ihres Minijobs
oder Teilzeitjobs abzuhalten. Die Gesetze
müssen geändert werden, damit das anders
wird. Die vor allem Frauen benachteiligende
Steuerklasse 5 muss abgeschafft und das
Ehegattensplitting muss endlich gestrichen
werden! Diese Subentionierung der Hausfrauenehe kostet Vater Staat jährlich 19
Milliarden Euro. Die SPD hatte in der
Opposition immer wieder mal angekündigt, das Splitting streichen zu wollen –
einmal an der Regierung aber schweigt sie
zu dem brisanten Thema. Sitzen zu viele
Karrieremänner mit Hausfrauen in Berlin?
Das Wirtschaftsinstitut geht davon aus,
dass sich der Anteil von Eltern mit einer
Vier-Tage-Woche kurzfristig verdoppeln
lassen könnte: also zwei Prozent aller Eltern
statt einem Prozent. Nicht wirklich viel,
aber immerhin ein Anfang. Die Kosten
wären moderat: Mehr als 140 Millionen
Euro pro Jahr würde das zu Anfang nicht
kosten. Ein Klacks bei derzeit rund 39 Milliarden Euro jährlich für Kindergeld sowie
rund fünf Milliarden Euro für Elterngeld.
Und 19 Milliarden fürs Splitting.
Dass die Wirtschaft und auch die
Union dennoch Sturm liefen, als Familienministerin Manuela Schwesig ihr VierTage-Modell vorstellte, hat unterschiedliche Gründe. Erste fürchten die Kosten,
letztere eher die „Bevormundung der
Eltern“, wie einer der Unions-Unterhändler beim Koalitionsvertrag erklärte. DIWForscherin Katharina Wrohlich sieht das
gelassen. „Der Trick bei unserem Modell
ist, dass jeder Elternteil diese Lohnersatz-
leistung nur bekommt, wenn beide ihre
Arbeitszeit entsprechend wählen“, sagt sie.
Dieser „Trick“ hat auch schon beim
Elterngeld hervorragend funktioniert. 14
Monate Geld statt 12 gab es eben nur,
wenn auch die Väter mindestens zwei
Monate Elternzeit genommen haben. Als
„Wickelvolontariat“ hatte der damalige
CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer
diese Idee der damaligen CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen angegriffen – und durch seinen Wutausbruch erst
so richtig populär gemacht.
Es ist zu erwarten, dass der Vorstoß der
SPD-Ministerin Schwesig – die eher in die
Fußstapfen ihrer Vorvorgängerin von der
Leyen tritt als in die ihrer Vorgängerin
Schröder – zur Familienzeit nur der Auftakt war. Für die Familien in Deutschland zart rosa Aussichten.
MARGARET HECKEL
Die Autorin ist Wirtschaftsjournalistin,
zuletzt erschien von ihr „Aus Erfahrung
gut: Wie die Älteren die Arbeitswelt
erneuern“ (Edition Körber Stiftung).
Mai/Juni 2014 EMMA
87
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 88
Hannelore muss
sich ändern
Noch hinderlicher als die fehlenden Krippen sind
die noch immer aufgestellten Barrieren im Kopf.
W
arum bleibt in Deutschland jede fünfte Frau kinderlos? Und warum ist die
Geburtenrate in Deutschland eine der niedrigsten in Europa? Wer
hier nachforscht, gelangt ins Zentrum der
Frage nach der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf, die meist nach wie vor als reine
Frauenfrage betrachtet wird.
Betrachten wir zum Beispiel Hannelore,
deren Arbeitstag beginnt, nachdem sie für
die Familie Frühstück gemacht, die Söhne
Peter und Frank angezogen und in die Kita
gebracht hat. Die promovierte Kunsthistorikerin aus Hamburg hat mit der Geburt des
ersten Kindes ihre Stelle als Museumskuratorin aufgegeben und arbeitet nun als freiberufliche Grafikerin für eine Werbeagentur
von zu Hause aus. Aufträge hat sie genug.
Doch an manchen Tagen will es einfach
nicht so klappen, weil die einjährige Tochter
Esther zu Hause ist. Die Arbeit bleibt oft liegen und Aufträge müssen abgesagt werden.
Hannelore findet dennoch, dass sie die
Vereinbarkeitsfrage für sich und ihre Familie gut gelöst hat, denn im Augenblick
möchte sie der kleinen Esther vor allem eine
gute Mutter sein. Ohnehin erscheint ihr eigener Zuverdienst für das Gesamteinkommen der Familie auch eher verzichtbar,
denn ihr Mann verdient gut. Was wäre anders, wenn Hannelore nach wie vor auf der
Vollzeitstelle als Kuratorin arbeiten würde?
Die Situation von Hannelore ist in gewisser Weise typisch für viele deutsche Mütter.
Nur jede dritte deutsche Mutter mit Kleinkindern von unter drei Jahren ist überhaupt
berufstätig. Sobald die Kinder in die Schule
kommen, erhöht sich zwar der Anteil er88
EMMA Mai/Juni 2014
werbstätiger Mütter auf etwa 70 Prozent,
doch arbeiten die allermeisten Mütter dann
Teilzeit. Sie verzichten also nicht nur auf Karriere, sondern sind nun die Hauptverantwortlichen für Kinder und Familie – und setzen
sich langfristig einem Armutsrisiko aus.
Wie viele andere Mütter, so ist auch
Hannelore nur eine Scheidung weit von der
Armut entfernt. Denn haben Frauen erst
einmal beruflich den Anschluss verpasst, ist
es nach einer Scheidung eher schwierig, eine
reguläre Stelle zu bekommen. Vor dem Hintergrund der Zunahme von Niedriglöhnen
ist die Erwerbssituation alleinerziehender
Frauen gerade in Deutschland dramatisch.
In anderen europäischen Ländern, wie
in Frankreich, stellt sich die Situation völlig anders dar. Nicht nur, weil in Frankreich für jede Art von Beschäftigung ein
Mindestlohn von neun Euro bezahlt werden muss und Teilzeittätigkeiten also nicht
so riskant sind, sondern auch, weil in
Frankreich zwei von drei Müttern von Kindern im schulpflichtigen Alter vollzeitbeschäftigt sind. Das schafft Frauen ein hohes
Maß an ökonomischer Selbstständigkeit
und Unabhängigkeit, auch vom Mann.
Genau darum bekommen gut ausgebildete und berufsorientierte Frauen in
Deutschland erst gar keine Kinder. Dies gilt
besonders für Frauen mit Hochschulabschluss – inzwischen bleibt fast jede dritte
deutsche Akademikerin endgültig kinderlos.
Andere Frauen schließen das Kinderkriegen
dabei keineswegs aus, möchten sich lieber
aber erst einmal beruflich etablieren, bevor
sie eine Familie gründen. Dabei gelingt es
nicht immer, den „richtigen Zeitpunkt“ in
der Rushhour des Lebens, in der wichtige
berufliche und familiäre Weichen gestellt
werden müssen, zu erwischen.
Interessanterweise bekommen Frauen
gerade in solchen europäischen Ländern
eher und mehr Kinder, in denen gleichzeitig die Frauenerwerbstätigkeit hoch ist –
zum Beispiel eben in Frankreich aber auch
in den skandinavischen Ländern wie Finnland, Schweden und Norwegen. Deutschland hingegen befindet sich hinsichtlich
der Geburtenrate im unteren Bereich.
Doch wenn immer mehr Frauen, gerade
in den jüngeren Generationen, die eigene
Arbeitsplatzsicherheit als Voraussetzung der
Familiengründung ansehen – was hindert
sie dann daran, auch als Mutter einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachzugehen? Warum
gelingt es Frauen in Deutschland so häufig
nicht, Familie und einen vollwertigen
Beruf miteinander zu vereinbaren?
Dabei bekunden gerade junge Frauen,
nicht mehr festgelegt werden zu wollen auf
die Wahl. Sie sind qualifiziert, verfügen über
gute Schulabschlüsse und sehen sich selbst als
emanzipiert und keineswegs als benachteiligt
an. Sie wollen beruflich weiterkommen und
wünschen sich gleichzeitig. Haus- und Familienarbeit partnerschaftlich zu teilen.
Im Widerspruch zu den Selbsteinschätzungen und Plänen steht dann jedoch das
tatsächliche Verhalten: nämlich die Tatsache, dass lediglich ein kleiner Teil der
jungen Frauen mit Kindern unter sechs
Jahren einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht. 52 Prozent sind gar nicht erwerbstätig und 23 Prozent in Teilzeit. Letztlich
bedeutet dies, dass 75 Prozent aller deutschen Mütter beruflich enorme Nachteile
für sich in Kauf nehmen. Wie kommt das?
Wer sich mit dieser Frage befasst, stellt
bald fest, dass es für diesen scheinbar freiwilligen Verzicht nicht nur eine einzige Ursache gibt. Mindestens drei Faktoren ziehen
die jungen Mütter in diese Richtung.
Der erste Faktor: Kinder zu bekommen,
ist heute keine in Traditionen verwurzelte
Selbstverständlichkeit mehr, sondern wird
mehr und mehr zu einer Lebensaufgabe, die
bewusst gewählt und gestaltet wird. Die jungen Frauen fühlen sich persönlich in hohem
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 89
DOSSIER ARBEIT
Maße dafür verantwortlich, ihren Kindern
die besten Entwicklungs- und Startchancen
mitzugeben. Der zeitliche Aufwand dafür ist
hoch und seit den 1970er Jahren immer
weiter gestiegen: Solange das Kind klein ist,
braucht es seine Bezugsperson; wird es älter,
gilt es, die richtigen Bildungsentscheidungen
zu treffen und die Kinder auch außerschulisch mit interessanten Freizeit- und Unterrichtsangeboten zu fördern. Das Misstrauen
gegenüber staatlichen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen ist hoch. Darum sehen
gerade viele gut ausgebildete Frauen keine
Möglichkeit, sich in einer Vollzeitbeschäftigung zu engagieren.
Der zweite Faktor sind die mangelnden
öffentlichen Betreuungsangebote für kleine
Kinder. Dass Frankreich die Betreuung
von Kindern durch „Kindermädchen“
staatlich bezuschusst und Kindern bereits
im ersten Lebensjahr die Möglichkeit bietet, in einer öffentlichen Kinderkrippe bis
zu zwölf Stunden am Tag betreut zu werden, erleichtert es französischen Müttern
enorm, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Noch hinderlicher als die fehlenden
Betreuungsangebote sind drittens die kulturellen Barrieren, wie das deutsche Leitbild
der „guten Mutter“. In Deutschland gelten
Mütter, die ihr Kleinkind „wegorganisieren“
und sich nicht zumindest die Hälfte ihrer
Zeit der Kinderbetreuung widmen, immer
noch als „Rabenmütter“. Dies ist nicht nur
eine gesellschaftliche Zuschreibung, auch die
Mütter selbst fühlen sich nicht wohl, wenn
sie sich nicht mindestens die Hälfte ihrer
Zeit ihren Kleinkindern widmen.
Daher auch das Misstrauen gegenüber
öffentlichen Betreuungseinrichtungen. Wie
schon der Philosoph Jaques Rousseau
(1712 – 1778) herausgefunden hat, ist dieses Misstrauen tief in der Mentalität der
Deutschen verwurzelt. Denn hierzulande
wird, anders als in Frankreich, die Persönlichkeit eines Neugeborenen, als durch und
durch gutartig verstanden. Sie wird erst später durch vermeintlich negative Einflüsse
der Außenwelt beeinträchtigt, weshalb es
den Deutschen besonders wichtig erscheint,
das Neugeborene solange wie möglich von
äußeren Einflüssen abzuschirmen.
„Je berufstätiger
die Frauen in
Europa sind –
je mehr Kinder
kriegen sie.“
Verblüffend an den öffentlichen Debatten
um Vereinbarkeit ist auch die Tatsache, dass
Väter darin meist gar nicht erwähnt werden.
Und dies ist nicht nur in Deutschland so.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt
in allen europäischen Ländern als „Frauenfrage“. Väter haben damit anscheinend nicht
viel am Hut. Diese Sichtweise, so zeigen
Umfrageergebnisse, wird in der Regel auch
von den Vätern selbst geteilt. Sie gehen weiterhin nicht davon aus, ihre Erwerbsarbeit im
Falle einer Familiengründung reduzieren zu
müssen. Dies gilt selbst dann, wenn sie sich
selbst als „aktive Väter“ betrachten, also als
Männer, die sich an der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder aktiv beteiligen wollen.
Damit ist kein Verzicht auf Erwerbstätigkeit
gemeint, sondern lediglich der Versuch, für
die Kinder „da“ zu sein – zumindest an
Abenden, in den Ferien und an Wochenenden. Die eigene Erwerbstätigkeit wird durch
die „aktive Vaterschaft“ keineswegs in Frage
gestellt, denn nach wie vor scheinen Väter
wie selbstverständlich davon auszugehen,
dass es die Mutter ist, die ihre Erwerbstätigkeit bei Geburt von Kindern reduziert.
Begründet wird das, wenn überhaupt, mit
dem höheren Verdienst des Mannes.
Doch was geschieht in Fragen der Elternschaft in dem Augenblick, in dem nicht der
Mann, sondern die Frau den höheren Verdienst erzielt? Immer mehr Männer geraten
in die Situation, eine geringfügige oder eine
Teilzeit-Beschäftigung annehmen zu müssen oder unfreiwillig erwerbslos zu sein.
Vielfach übernimmt dann die Frau die
Rolle der Ernährerin. Mittlerweile ist bei
jedem zehnten deutschen Paar die Frau die
Hauptverdienerin. Wären die Männer dieser
Frauen nicht die idealen Väter, die sich
„hauptberuflich“ um Familie und Haushalt
kümmern und darin aufgehen würden?
Wie eine eigene Studie zum Thema
„Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“
zeigt, wird ein solcher Rollentausch tendenziell nur bei solchen Paaren vorgenommen,
bei denen die Partnerin von vornherein
deutlich höhere Berufsqualifikationen und
Einkommenschancen als der Mann in die
Beziehung einbringt und der Mann seine
eigene Erwerbssituation als unbefriedigend
empfindet. Mit Beginn der Familiengründung verzichtet dann der Mann, wie sonst
in solchen Fällen die Frau, auf die Entwicklung einer beruflichen Laufbahn und wird
zum Familienvater, während die Frau das
Familieneinkommen verdient.
Bei Paaren hingegen, die über ähnliche
Qualifikationen verfügen und bei denen die
Frau den höheren Verdienst erzielt, ist das
Elternarrangement dagegen oft alles andere
als ausgeglichen. Denn neben dem Fehlen
öffentlicher Betreuungsmöglichkeiten für
Kleinkinder und den schlechten Einkommenschancen von Teilzeitmüttern, erweisen
sich vor allem die deutschen Mentalitäten
als Hemmschuh in Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Von einer
Modernisierung der Elternschaft, das heißt
der Mutter- und Vaterrollen, sind wir noch
sehr weit entfernt. Den familiären Konservativismus zementieren Ehegattensplitting und Betreuungsgeld.
CORNELIA KOPPETSCH
Die Autorin ist Professorin für Soziologie
an der TU Darmstadt. Zuletzt erschien von
ihr „Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte“ (Campus).
Mai/Juni 2014 EMMA
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Ingenieurinnen
in die Kita!
... fordert Wirtschaftswissenschaftler
Oliver Koppel. Denn da fängt das an mit
den „Frauenberufen“ und „Männerberufen“. Nach der Grundschule ist es
eigentlich schon gelaufen. Dr. Oliver
Koppel ist seit 2005 am Institut der
deutschen Wirtschaft in Köln. Seine
Themen: Innovationsökonomie und technisch-naturwissenschaftliche Berufe.
Herr Koppel, was studieren Frauen heute
denn so?
Koppel: In sprach- und geisteswissenschaftlichen Fächern liegt der Frauenanteil
bei 70 bis 80 Prozent. In rein technischen
Disziplinen wie Elektrotechnik, Maschinenbau oder Informatik bei nur 15 bis 20
Prozent. Da sind Frauen immer noch
ganz klar die Ausnahme.
Dabei heißt es doch, der Frauenanteil in
technisch-naturwissenschaftlichen Fächern
sei angestiegen.
Das ist er in der Tat. Vor zehn Jahren
hatten wir im Bereich der Elektrotechnik
einen Frauenanteil von sechs Prozent.
Heute sind es rund zehn Prozent. Doch
ein Erfolg wäre es nur, wenn sich innerhalb
der Studentinnen der Anteil technischnaturwissenschaftlicher Fächer erhöht
hätte. Das ist aber nicht so. Der relative
Fachrichtungsanteil innerhalb der Studentinnen bleibt seit Jahren konstant.
Und im Ausbildungsbereich?
Da ist die Situation wirklich dramatisch.
In technischen Ausbildungsberufen wie
Mechatronik oder Elektrotechnik gibt es
fünf bis acht Prozent Frauen. Das ist
extrem wenig. Gleichzeitig sind Ausbildungsberufe wie Erzieherin oder Friseurin
extrem frauendominiert. Die Top Ten
90
EMMA Mai/Juni 2014
der Ausbildungsberufe von Männern und
Frauen sieht seit 20 Jahren gleich aus.
Wie denn?
Bei den Männern ist es die KFZ-Ausbildung oder Industriemechanik. Also gewerblich-technische Berufe, die auf die
Industrie abzielen. Frauen dagegen finden
Sie eher in Dienstleistungsberufen wie
Verkäuferin oder Bürokauffrau. Alle Initiativen, die daran etwas ändern wollten,
haben dies nicht zu ändern vermocht.
Was läuft schief?
Ich bin kein Freund von Show-Veranstaltungen zu Werbezwecken. So wie beim
Girls Day in Unternehmen zum Beispiel.
Da kommen die Mädchen kurz vorbei
und sehen: Das ist also eine Maschine!
Dann dürfen sie zwei Knöpfe drücken
und dann gehen sie wieder nach Hause.
So funktioniert das nicht.
Was könnte denn funktionieren?
Interesse wecken. Indem man sagt: Wir
haben ein vierwöchiges Projekt, ein
Schnupperstudium oder ein Praktikum im
Angebot. Da müssen Unternehmen ein
bisschen Zeit und Geld in die Hand nehmen. Sie könnten ja die Schülerinnen
etwas machen lassen, was sie auch selbst
gebrauchen können. Vielleicht bauen die
dann einfach eine kleine Maschine zusammen, die hydraulische Pressbewegungen
macht. Oder basteln eine Solaranlage. Das
ist nicht nur ein tolles Erfolgserlebnis,
sondern nimmt auch die Scheu. Was wir
brauchen, sind Initiativen, die über die berufliche Realität aufklären. Die zeigen, dass
Jobs im MINT-Bereich die attraktiveren
Arbeitsbedingungen bieten. MINTlerinnen
haben häufiger unbefristete Anstellungen.
„Ist doch klar, dass
Mädchen keine
Stärken entdecken
können, wenn die nie
gefördert wurden.“
OLIVER KOPPEL
Sie arbeiten Vollzeit. Eine Mechatronikerin
verdient deutlich mehr als eine Altenpflegerin. Als Ingenieurin hat man es einfacher,
als als Psychologin, weil es in Deutschland
tausend mittelständische Unternehmen
gibt, die Ingenieurinnen und Ingenieure
suchen. Frauen sollten sich ihre Chancen
auf dem Arbeitsmarkt unter diesen Aspekten ansehen.
Tun sie das nicht?
Ich glaube, dass sich sowohl Frauen als
auch Männer eher schlecht informiert für
einen Beruf oder ein Studium entscheiden. Und diese Unwissenheit führt dann
zu geschlechtsstereotypen Auswahlverfahren. Sie fragen sich nicht: Was will ich
denn eigentlich? Sondern: Was machen
denn meine Freunde bzw. Freundinnen
so? BWL, das haben schon viele geschafft,
das schaffe ich also auch. Viele denken
auch immer noch, der Ingenieurberuf
hätte etwas mit Öl und Schmutz zu tun.
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 91
DOSSIER ARBEIT
Dieses klassische Blaumann-Image, das
gar nicht mehr der Realität entspricht. Es
handelt sich dabei ja um einen konzeptionellen, also einen sauberen Beruf. Dazu
kommt, dass sich Mädchen unter Bürokauffrau einfach mehr vorstellen können,
als unter Mechatronikerin.
gehören auch Netzwerke dazu. Wenn sich
Männer abends treffen und gemeinsam
zum Fußball gehen, dann ist das vielleicht
für eine Frau nicht ganz so spannend.
Aber in diese außerberuflichen Aktivitäten
müssen Frauen rein. Denn da werden
Karrieren entschieden.
Weil es keine Vorbilder gibt.
Ja, es gibt im Fernsehen keine Ingenieurinnen. Es gibt nur die Anwältin oder die
Managerin. Und ganz viele Lehrerinnen.
Nur Mathe, das unterrichtet in den Fernseh-Serien trotzdem immer noch ein
Mann.
Die Frage ist ja, ob die Frauen überhaupt
rein dürfen!
Ich beobachte heute, dass diese geschlossenen Kreise aufbrechen. Frauen werden
nicht mehr blöd beäugt, wenn sie mit
zum Fußball gehen. Was vor 15 Jahren
noch der Fall war. Wenn sie wollen, sind
sie bei allem dabei. Die Frage ist: Wollen
sie dabei sein?
Und dann gehen die Mädels in den KFZBetrieb und sehen Jungs, die an Autos
schrauben ...
Klar. Und da hängen im Spind dann vielleicht keine Van-Gogh-Zeichnungen,
sondern nackte Frauen. Das muss man
dann aushalten.
Halten Mädchen das aus?
Mir kommen die Mädels heute deutlich
selbstbewusster vor, als man denkt. Außerdem gibt es so ein männliches KlischeeVerhalten immer seltener. Das wird alles
aufgeweicht. Wir haben ja jetzt mit Ursula von der Leyen sogar eine Verteidigungsministerin. Wenn ich mir die
Herausforderungen in Deutschland anschaue, fällt mir als erstes die Energiewende ein. Umwelttechnologie. Da haben wir
Frauen en masse. Es liegt ja nicht an dem
fehlenden technischen Verständnis, dass
Frauen nicht Elektrotechnik studieren,
um dann in der Waffentechnologie zu
arbeiten oder in einem Presswerk mit
Walzen. Es liegt in der Regel daran, dass
Frauen darin keinen individuellen oder
gesellschaftlichen Sinn sehen.
Sind Frauen vielleicht auch einfach ein
bisschen beratungsresistent?
Nein. Es dauert nur sehr lange, eine extrem männerdominierte Industrie umzukrempeln. Mal ganz vom Alltäglichen gedacht: Wie läuft Karriere? Karriere macht
man durch fachliche Leistungen, aber es
Braucht nicht auch die Wirtschaft die
qualifizierten Frauen?
Ich sehe in der Tat in erster Linie die
Frauen, die als quantitativ relevante
Potentialgruppe im MINT-Bereich dem
deutschen Arbeitsmarkt zukünftig zur
Verfügung stehen könnten.
Jetzt ist die Stärkung der so genannten
geschlechtergerechten Berufswahl Thema
im Koalitionsvertrag. Was würden Sie der
Politik raten?
Prinzipiell kann sich ja jetzt schon jeder
Mensch unabhängig vom Geschlecht für
einen Beruf entscheiden. Die Diskriminierung liegt eher in der Art, wie unterschiedlich Mädchen und Jungen in der
Schule an Berufe herangeführt werden.
Oder bei der Vermittlung von technischem und naturwissenschaftlichem
Wissen im Elternhaus. Ein Vater redet
auch heute immer noch eher mit seinem
Sohn über Technik als mit seiner Tochter. Eine Aufgabe der Politik wäre also,
möglichst früh in der Bildungskette
anzusetzen, am besten schon im Kindergarten. Kinder sind ja, was solche Themen angeht, völlig unvorbelastet. Die
fragen sich gar nicht: Kann ich das? Sie
sind neugierig. Wenn ich bis nach der
Grundschule keinerlei Kontakt zu Technik hatte, dann wird da auch später
nichts mehr draus.
Und dann gehen die Mädchen aufs Gymnasium und haben laut Pisa-Studie Angst
vor Mathe.
Das finde ich auch schockierend. Die
Angst ist völlig unbegründet. Wenn Sie
sich die Mathe-Studierenden im ersten
Semester angucken, dann sitzen da zu 50
Prozent Frauen. Und die sind genau so
gut wie die Männer.
Woher kommt die falsche Selbsteinschätzung der Mädchen?
Das beginnt damit, dass schon Erzieherinnen im Kindergarten im Bereich Naturwissenschaft und Technik so gut wie ungebildet sind. Da ist es ja kein Wunder,
dass das an die Kinder genau so weitergegeben wird. Wir müssen also bei der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern
deutlich stärker auf solche Inhalte Wert
legen. Es gibt ja heute sogar Baukästen,
die umsonst von Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Die haben ja auch
ein Eigeninteresse.
Oder mal eine Physikerin oder eine Ingenieurin in eine Kita schicken?
Ja, das wäre natürlich was!
Stattdessen wird es Mädchen heute wieder
schmackhaft gemacht, Prinzessinnen zu
sein. Blaues Spielzeug für die Jungs. Rosa
Spielzeug für die Mädchen.
Das ist eine Entwicklung, die ich persönlich absolut gruselig finde. Diese ganzen
Rollenbilder sollten aus dem Kindergarten
verschwinden. Alle Begabungen der Kinder
müssen gefördert werden. Unabhängig
vom Geschlecht. Ist doch klar, dass Mädchen keine Stärken entdecken können,
die nie gefördert wurden.
Das Gespräch führte Alexandra Eul.
emma.de
Themen: Bildung & Beruf
Mai/Juni 2014 EMMA
91
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 92
Die Krux mit
der Mütterrente
Denn die kriegen beileibe nicht alle Mütter. Dafür
profitieren vor allem Männer von der Rente mit 63.
F
ür Mütter, die ihre Kinder vor 1992
bekommen haben, gibt es in diesem
Jahr ein zusätzliches MuttertagsPräsent: Am 1. Oktober werden sie
pro Kind 28,14 Euro mehr im Monat bekommen. Wer im Osten lebt, erhält mit
25,74 Euro allerdings 2,40 Euro weniger.
Das zeigt schon die erste Gerechtigkeitslücke dieser neuen „Mütterrente“ – und leider gibt es noch viel mehr davon. Es ist
unbestritten, dass Eltern und insbesondere
Mütter in Deutschland besser gefördert
werden müssen. Doch die jetzt beschlossene
Mütterrente wird dieses Ziel nicht erreichen.
Ganz im Gegenteil: Sie ist außerordentlich
problematisch. Denn bezahlt wird sie nicht
von uns allen über Steuern, sondern durch
einen dreisten Griff in die Rentenkassen.
Immerhin 80 Milliarden Euro wird die
Mütterrente bis 2020 kosten.
Weil die Rentenkassen durch die gute Lage
am Arbeitsmarkt prall gefüllt sind, hätte zu
Anfang dieses Jahres eigentlich der Beitragssatz gesenkt werden müssen. Das hat die
Große Koalition verhindert, damit Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die beiden zentralen Wahlgeschenke der letzten Bundestagswahl verteilen kann: Die CDU/CSU wollten
unbedingt die Mütterrente, die SPD bestand
auf der „Rente mit 63“ für alle, die 45 Jahre
in die Rentenkassen eingezahlt haben.
Von der „Rente mit 63“ profitieren fast
ausschließlich ohnehin schon besserverdienende männliche Facharbeiter, die nun
deutlich früher in Rente gehen können. Von
der Mütterrente profitieren ältere Frauen.
Wer seine Kinder vor 1992 geboren hat,
bekam bislang nur einen so genannten Ent92
EMMA Mai/Juni 2014
geltpunkt für ihre Erziehungsleistung angerechnet. Für ab 1992 geborene Kinder
hingegen gibt es drei Entgeltpunkte. Ein
Entgeltpunkt ist derzeit rund 28 Euro Monatsrente im Westen und 25 Euro Monatsrente im Osten wert. Jetzt kriegen die Mütter von vor 1992 geborenen Kindern einen
Punkt mehr, also zwei Punkte.
Erst seit 1986 werden Kindererziehungszeiten überhaupt auf die Rente angerechnet.
Das deutsche Rentensystem ist umlagefinanziert: Jeder Erwerbstätige, der einzahlt, spart
nicht für sich selbst, sondern zahlt für die
jeweilige Rentner-Generation. Ohne Kinder
– und damit die künftigen Beitragszahler –
bräche das System zusammen. 1986 wurde
das „Babyjahr“ eingeführt: Pro Kind wurden
jeder Mutter ein Jahr Kindererziehungszeiten angerechnet, und zwar so als ob die
Mutter ein Jahr lang das Durchschnittseinkommen verdient hätte. Deshalb der Entgeltpunkt pro Kind.
Dass Kindererziehungszeiten eine „wichtige und bestandssichernde Bedeutung für
das Rentensystem“ hätten, wurde dann
1992 im so genannten „Trümmerfrauenurteil“ vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt. Weil Mütter damals drei
Jahre Erziehungszeiten nehmen konnten,
wurden deshalb ab 1992 auch ihre Rentenzeiten angepasst – auf drei Entgeltpunkte
pro Kind. Die Beiträge für die Mütter musste der Staat dann erst ab 1999 zahlen. Die
Wählergeschenke werden heute verteilt.
Bezahlt wird morgen oder übermorgen,
wenn der geschenkeverteilende Politiker
längst nicht mehr im Amt ist.
Immerhin wählte die 1999 amtierende
rot-grüne Regierung den ordnungspolitisch
sauberen Weg und finanzierte die Beitragszahlungen für die Mütterrenten aus Steuern. Denn im Rentenjargon sind das so
genannte „versicherungsfremde Leistungen“
– also Renten, denen keine eigenen Beitragszahlungen der Begünstigten gegenüberstehen. Das ist ähnlich wie bei den
Rentenzahlungen an Ostdeutsche, die während DDR-Zeiten nicht in die Westkassen
einzahlen konnte oder Deutschstämmige
aus Osteuropa. Über 80 Milliarden Euro
pro Jahr an Steuergeldern fließen deshalb
derzeit zusätzlich in die Rentenkassen. 11,6
Milliarden davon, etwas mehr als jeder
achte Euro, ist für die Mütterleistungen.
Im Prinzip müsste die Rente mit 63 und
die Anpassung der Mütterrenten für vor
1992 geborene Kinder also ebenso aus Steuern finanziert werden. Doch dann hätten die
Großkoalitionäre entweder die Steuern
erhöhen oder irgendwo anders Milliardensummen einsparen müssen. 80 Milliarden
Euro werden bis 2020 für die Mütterrente
gebraucht, weitere 80 Milliarden Euro werden dann im folgenden Jahrzehnt fällig.
So wendeten CDU-Chefin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der
SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel folgenden
Trick an: Statt den Rentenbeitragszahlern
die in der Rentenkasse angehäuften Milliardenüberschüsse in Form niedrigerer Beiträge
zurückzugeben, wird die Rentenkasse für die
neuen Wohltaten ausgeplündert. Das aber
bedeutet zum Beispiel, dass Selbstständige
und Beamte bei der Finanzierung der neuen
Renten-Wohltaten außen vor bleiben, weil
sie nicht in die Rentenversicherung einzahlen. Geschröpft werden stattdessen die Jungen, die noch besonders viele Zahljahre vor
sich haben und zudem nicht wissen, wie viel
sie selbst jemals an staatlicher Rente bekommen werden.
Eigentlich steigen die Renten im Gleichklang mit den durchschnittlichen Lohnerhöhungen. Nehmen aber die Rentenausgaben „übermäßig“ zu, werden auch die
jetzigen Rentner geschröpft: So werden die
Rentner über den so genannten „Nachhaltigkeitsfaktor“ rund 1,6 Milliarden Euro der
insgesamt 6,5 Milliarden Euro Zusatzkosten in diesem Jahr selbst bezahlen, weil ihre
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 93
DOSSIER ARBEIT
Renten weniger stark steigen als die Lohnerhöhungen.
Nicht nur die Jungen zahlen für die Alten.
Sondern wahrscheinlich wird auch von Rentnern zu Rentnerinnen umverteilt. Denn es
gibt mehr männliche Rentner und ihre Renten sind höher. Was angesichts der „Familienzeit“ der Frauen gerecht wäre. Gleichzeitig
liegt die durchschnittliche Rentenbezugszeit
von Frauen mit derzeit 21,3 Jahren gut vier
Jahre höher als die von Männern (16,7 Jahre).
Wie auch immer: Erfreulich ist, dass
sich die Rente der 9,8 Millionen Rentnerinnen durch die neue Mütterrente erhöht:
von durchschnittlich 555 Euro im Monat
auf 601 Euro. Bei den 1,5 Millionen Rentnerinnen mit drei Kindern stehen dann im
Schnitt 558 statt 482 Euro auf dem Rentenbescheid. Das jedenfalls hat Ingo Schäfer von der Arbeitnehmerkammer Bremen
ausgerechnet.
Am besten stehen sich allerdings nach wie
vor Frauen, die keine Kinder hatten und
stattdessen erwerbstätig waren: Ihre durchschnittliche Rente liegt schon heute mit
651 Euro deutlich über den Werten, auf
die Frauen mit der Mütterrente im Schnitt
kommen werden.
Grundsätzlich bleibt deshalb die Kernfrage, wie sinnvoll es zukünftig ist, Kindererziehungszeiten in der Rente zu fördern.
Was, wenn 1986 statt dem „Babyjahr für
die Rente“ ein flächendeckendes, qualitativ
hochwertiges öffentliches und kostenfreies
Kitasystem aufgebaut worden wäre? Oder
wenigstens 1999, als der Bund angefangen
hat, tatsächlich Beiträge für die Mütterrente
in die Rentenkasse zu zahlen? Dann hätte
so manche Mutter, die heute auf RentenAlmosen angewiesen ist, einfach vollzeit
berufstätig sein können.
Weit mehr Frauen (und Männer) hätten
Kinder, Familie und Beruf vereinbaren können. Weit weniger Frauen hätten die gebrochenen Erwerbsbiografien von heute, die sie
zu armutsgefährdeten Rentnerinnen von
morgen machen. Und vielleicht gäbe es sogar
deutlich mehr Nachwuchs als die 1,39 Kinder, die Frauen im Schnitt seit Jahrzehnten bekommen. MARGARET HECKEL
Das Leid mit
den Pflegeberufen
Pflegeberufe werden so schlecht entlohnt, weil Pflege
Frauensache ist – die das traditionell umsonst machen.
80 Prozent der Fürsorge- und Pflegeberufe sowie 90 Prozent der Familien- und
Hausarbeit werden von Frauen geleistet.
Die einen werden sehr gering entlohnt,
die anderen machen die Arbeit gratis. Da
gibt es selbstverständlich einen Zusammenhang – denn warum sollte eine Arbeit,
die auch gratis gemacht wird, plötzlich
entlohnt werden? Und das auch noch
angemessen. Vor allem, da es sich um eine
so genannte „Frauenarbeit“ handelt, und
Frauen bekanntlich bescheiden sind.
Bei den matten Versuchen, die Familienarbeit zwischen Frauen und Männern
gerecht aufzuteilen und die Pflegeberufe
anständig zu entlohnen – nicht zuletzt,
damit auch die Männer rein gehen – begnügt man sich mit wohlfeilen Appellen:
an Frauen mit Kindern, ihren Job nicht
aufzugeben – und an Arbeitgeber in
Krankenhäusern und Altenheimen, ihre
Angestellten besser zu bezahlen.
Die Konservativen sehen in Wahrheit
keinen Grund, die Dinge zu ändern. Die
Fortschrittlichen wünschen sich mehr
Männer in der Pflege. Keine schlechte
Idee. Der Film „Ziemlich beste Freunde“
– in dem ein armer farbiger Pfleger den
Rollstuhl eines reichen Adligen schiebt
und dem Gelähmten die Lebensfreude
zurückgibt – hat gezeigt, wie sinnvoll
Männer in der Pflege sein können.
Und die feministische Position? Sie ist
einfach. Sie verweist darauf, dass Frauen
immer schon, seit Jahrhunderten, als
Pflegerinnen tätig waren, professionell
oder privat, und dass die Gesellschaft
ihnen darum endlich die Teilhabe in
anderen, interessanten Berufsdomänen
schulde. Denn die Fürsorge, um es offen
zu sagen, ist über weite Strecken keineswegs so erfüllend, wie gerne behauptet
wird, sondern oft belastend, ermüdend
und entsetzlich langeweilig.
Sicher, es gibt, wenn es um sehr junge
Kinder oder sehr alte Menschen geht,
immer wieder auch erhabene Momente.
Aber die sind selten im Vergleich zu der
Monotonie repetitiver Tätigkeiten, die
nun mal sein müssen und für die das
Personal von Krankenhäusern und Pflegeheimen nur selten Dank erntet – die
Ehefrau oder Tochter schon gar nicht.
Dennoch geht man davon aus, dass Männer sich nun mal nur für gut bezahlte
Posten interessieren, während Frauen
„was mit Menschen“ machen wollen und
Geld nicht so wichtig finden. Das mag,
was die Frauen betrifft, stimmen, ändert
sich aber gerade. Den Männern nun geht
es keinesfalls immer nur ums hohe Einkommen. Sie wünschen sich interessante
Berufe, eine Arbeit, die sie fordert und
fördert, ihnen neue Einsichten verschafft
und sie was von der Welt sehen lässt.
Frauen wünschen eigentlich auch Heraus-
forderungen, Erkenntnisse, Gehaltserhöhungen und Reisen, aber sie knicken bei
der Berufswahl dann doch reihenweise
ein und begnügen sich mit ihrer angestammten Sphäre: der Pflege, der Fürsorge, als Beruf oder als Hobby. Diese Wahl
ist nicht Ausdruck der weiblichen Natur,
sondern geprägt von dem Vorbild der
Mutter und Großmutter.
Bevor den Frauen der Arbeitsmarkt
offen stand, blieb ihnen neben der ErzieMai/Juni 2014 EMMA
93
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 94
DOSSIER ARBEIT
hung ihrer Kinder und der hauswirtschaftlichen Betätigung im weitesten Sinn (Kleinlandwirtschaft usw.) nur die Fürsorge für
die Familie. Das war ihre Welt. Und das
wirkt nach. Der erste höher qualifizierte
Beruf, den Frauen in unserer Zivilisation
neben oder anstatt ihrer „natürlichen“ Berufung zur Hausmutter ausüben durften,
war die Lehrerin. Darin setzte sich sozusagen die pädagogische Berufung einer Mutter fort. Später folgten dann die Ärztin bzw.
die Krankenschwester – eine Mutter musste
und muss ja bei Krankheit von Mann und
Kindern immer auch erste hausärztliche
Hilfe leisten. Die meisten Frauenberufe –
wie Schneiderin oder Köchin oder Kindermädchen – sind von der Tätigkeit der Ehefrau und Mutter abgeleitet und führen aus
der engen Häuslichkeit als Schauplatz des
weiblichen Wirkens nicht hinaus, ob bezahlt
oder nicht.
Frauen tüteln zu Hause oder in der Kita
oder im Pflegeheim rum, Männer befahren
die Weltmeere, führen Kriege oder fordern
einander verbal auf den Tribünen und Kanzeln der Parlamente, Forschungszentren,
Kirchen und Konferenzen heraus. Frauen
sind heute schon immer mal dabei, gut so.
Aber sie haben noch lange nicht aufgeschlossen, und ihre Neigung zu Pflegeberufen ebenso wie die Scheu der Männer vor
diesen Tätigkeiten sind kein gutes Zeichen.
Der konservative Einspruch, der auch von
so mancher Frau geteilt wird, lautet: Die
Erziehung von Kindern, die Pflege kranker
oder alter Menschen berge ein großes Potenzial humaner Bewährung und Erfüllung,
ob nun daheim beim Säugling oder Großvater oder gegen Bezahlung in der Klinik
geleistet. Lassen wir die Schattenseiten der
Fürsorge also mal weg und betonen ihren
menschlichen Wert: Was spricht dann dagegen, dass auch Männer sich in dieser
wunderbaren Sphäre tummeln? Zumal wir
spätestens seit „Ziemlich beste Freunde“
wissen, dass sie sich zur Pflege eignen? Gerade deshalb, weil sie unverblümter an die Aufgaben rangehen, da ihnen der von Frauen
seit Jahrhunderten eingeübte TherapeutenSprech abgeht.
94
EMMA Mai/Juni 2014
„Wir brauchen
eine Männerquote
für die Pflegeberufe! Und
Zurückhaltung
der Frauen.“
Die Professionalisierung von Fürsorge
und Pflege wird zunehmen. Also wäre eine
Elementarbildung in diesem Bereich für alle
wünschenswert. Es sollte über ein Schulfach
„Pflege“ nachgedacht werden. Die heutigen
Curricula orientieren sich noch an der
Begeisterung für die Naturwissenschaften
aus dem 19. Jahrhundert (Biologie, Chemie,
Physik) und waren für die künftige studentische Elite gedacht, sie gehen also an der
heutigen Lebenswirklichkeit vorbei. Das
Erlernen von Haushaltsführung, Erster
Hilfe, Kinderpflege und Altenbetreuung ist
angesagt. Für beide Geschlechter. Aus dem
freiwilligen sozialen Jahr nach dem Schulabschluss sollte ein verbindliches Pflegejahr für
alle werden.
Letztendlich kommt die Gesellschaft um
eine Männerquote für die pflegerischen Berufe nicht herum, denn es ist die Gewohnheit, die Arbeitgeber in Altersheimen oder
Kinderkrippen dazu bewegt, Frauen einzustellen, so wie es auch die Gewohnheit ist,
die Chefs dazu treibt, lieber einen Mann als
eine Frau zu befördern. Quoten sind dafür
da, diese antiquierten Gewohnheiten zu
konterkarieren. Das Argument „Es war
schon immer so“ kann sich unsere mit dem
Pflegenotstand kämpfende Gesellschaft nicht
länger leisten.
Um der Frauen Willen, die nicht weiterhin auf die Pflegerei als angeblich typisch
weibliches Berufsfeld festgelegt werden
dürfen. Um der pflegebedürftigen Menschen Willen, die beide Geschlechter um
sich haben sollten. Und um der Männer
Willen, die ein besseres Gewissen haben
werden, wenn sie das Ihre zu der Fürsorge
für Kinder, Schwache, Kranke und Alte
hinzutun.
Gerade die Männer mit ihrer Freude an
Rivalität und Mobilität können gewinnen,
wenn sie dazu genötigt werden, einem Menschenwesen mit Defiziten – gerade erst zur
Welt gekommen und rund um die Uhr der
Zuwendung bedürftig, oder krank, drogensüchtig, wahnsinnig, suizidal, steinalt, bewegungsunfähig, dement – ihr Ungestüm zügeln müssen beim Zuhören am Krankenbett,
beim Füttern, Waschen, Zudecken und
Trösten, und erfahren, wie fragil, wie verletzlich und bedroht das menschliche Leben ist,
wenn es ohne Hilfe und Fürsorge sich selbst
überlassen bleibt. Zumal sie ja mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eines Tages auch
selber erneut in die Lage kommen werden,
Pflege und Hilfe zu benötigen.
Dem steht die schlechte Bezahlung der pfle-
gerischen Berufe entgegen. Doch da wir
einen Pflegenotstand haben, müsste den
Marktgesetzen folgend der Lohn der Erziehenden und Pflegenden steigen. Was die Berufe für Männer akzeptabler machen würde.
Da kommen nun aber Arbeitssuchende aus
dem europäischen Osten dazwischen, die
berühmte Polin, und die Aufwärtstendenz
der Löhne wird wieder gestoppt. Hier könnte nur der politische und gewerkschaftliche
Wille helfen. Zeit, die Politik wachzurütteln,
damit auch sie begreift: Pflegerische Berufe
dürfen nicht länger Frauensache bleiben, die
Männerquote muss her. Und das soziale
Jahr für alle.
BARBARA SICHTERMANN
Von der Autorin erscheint gerade: „Vorsicht
Kind – Eine Arbeitsplatzbeschreibung für Mütter,
Väter und andere“ (Wagenbach, 10.90 €).
Robert Haas
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 95
Wir müssen
bluffen lernen
„Frauen, wir sollten
nicht länger die
besseren Menschen
sein wollen –
aber die besseren
Männer werden.“
ANNETTE C. ANTON
… und genau so mittelmäßig, aufgeblasen und
von uns selbst überzeugt sein wie die Männer.
L
ook like a lady, act like a man,
work like a dog. Dieser Spruch
stand auf meinem ersten Bürobecher und hat mich während meiner frühen Berufsjahre mehr beeinflusst
als irgendein Chef, geschweige denn ein
weibliches Vorbild, das es ohnehin nicht
gab. Wir schreiben die späten 80er Jahre,
und die Frauen in meinem Arbeitsumfeld
kochten Kaffee, schrieben Protokoll und
übertrugen die handschriftlichen Notizen
der als genialisch erachteten Cheflektoren
„ins Reine“.
Der Spruch auf der Tasse war zudem
der ferne Widerhall eines Satzes, den
meine Professorin an der Uni mir mit auf
den Weg gegeben hat: „Vergessen Sie eine
akademische Karriere: Sie müssen doppelt
so viel arbeiten wie jeder Mann, um dann
als halb so gut wahrgenommen zu werden. Dann werden Sie feststellen, dass
genau das nicht ausreicht. Sie werden mit
Sicherheit scheitern. Wozu sollte das alles
gut sein?“
„Und wozu war es bei Ihnen gut?“
fragte ich verunsichert zurück. „Bei mir
ist das ja wohl etwas anderes“, bürstete sie
mich schroff ab, und damit war das Gespräch beendet.
Ich war damals Mitte zwanzig und
blieb nach dieser wenig motivierenden
Unterhaltung einigermaßen verstört zurück. Jahre brauchte ich, bis ich begriff,
Mai/Juni 2014 EMMA
95
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 96
DOSSIER ARBEIT
dass es eben gar nichts anderes bei ihr
war. Diese Professorin war die fleischgewordene Botschaft der Bürotasse und zu
„act like a man“ gehörte bei ihr, dass man
andere – auch wenn sie nur kleine Studentinnen waren – einschüchterte und
wegbiss. (Jeder Professor männlichen
Geschlechts an der Uni hat mich damals
übrigens mehr ermutigt, eine akademische Laufbahn einzuschlagen als diese
Frau.) Überzeugt, dass aus mir sowieso
nie etwas werden würde, landete ich in
einem quasi nicht bezahlten Verlagsjob,
wo dieselben universellen Regeln galten
wie in der akademischen Welt. Regeln,
die man in Kurzform auf einen Becher
schrieb, der täglich auf meinem übervollen Schreibtisch vor mir stand und seine
Botschaft in mein Hirn brannte.
Irgendwann fiel mir die Tasse runter
und zerbrach, aber ihre Lebensweisheit
hatte ich längst verinnerlicht, vor allem
den letzten Part. Tatsächlich arbeitete ich
in den ersten 15 Jahren meines Berufslebens wie ein Hund und war überzeugt,
das müsse so sein. Und zwar nicht, um
eine grandiose Karriere zu machen und
alle weit hinter mir zu lassen, sondern um
grade mal so mitzukommen und den
Anschluss nicht zu verlieren.
Ich war überzeugt, dies sei der Lauf der
Arbeitswelt und anders könne sich mein
Berufsleben gar nicht abspielen. Zudem
gab die Wirklichkeit mir recht: Alle anderen Frauen in meinem Umfeld, die es zu
etwas bringen wollten (oder ganz selten
auch mal brachten), arbeiteten ebenfalls
nahezu rund um die Uhr und riskierten
Gesundheit und Partnerschaft.
Ohne sie zu hinterfragen, hatte ich die
Maxime übernommen, dass die Grundvoraussetzung für den Konkurrenzkampf mit
Männern so aussah, dass man als Frau
immer besser sein musste, als sie es waren.
Viele Frauen in meiner Branche waren
wirklich sichtbar besser als die männliche
Konkurrenz, das heißt sie waren klüger,
trafen die besseren Entscheidungen, hatten
den richtigen Riecher für Autoren, Stoffe,
Konzepte, Bücher. Nur um dann festzu96
EMMA Mai/Juni 2014
stellen, dass es den männlichen Kollegen
nicht im Traum einfiel, mit ihnen in den
Ring zu steigen. Sie saßen ja schon auf den
Chefposten, ließen sich die Butter nicht
vom Brot nehmen und förderten andere
Männer. Die Frauen blieben die ewigen
zweiten Sieger oder gaben frustriert auf. So
weit der Teil „work like a dog“.
Aufschlussreich wird es bei „act like a
man“. Ich kenne nur eine einzige Kollegin, die das versucht hat. Ihr Ego war so
groß wie ein Haus, obwohl sie nach anderthalb Jahren auf ihrem Cheflektorenposten keine Erfolge vorzuweisen, dafür
aber viel Geld durch absurd hohe Honorare und falsche Auflagenplanung versenkt hatte. Sie kam jeden Tag unangenehm spät zur Arbeit, ging dafür früher
und gönnte sich in der verbleibenden Zeit
ausgedehnte Mittagessen mit Autoren
und Agenten. Ihre große Stärke bestand
in der Selbst-PR, während Disziplin,
Fleiß und Gewissenhaftigkeit ihr als
Eigenschaften für Verlierer galten.
Interessanterweise gab es im Unternehmen mindestens ein halbes Dutzend
Männer, die ihr in all dem zum Verwechseln ähnlich waren. Aber während diese
Männer sich alle halten konnten, schleuderte es meine Kollegin ins berufliche
Aus. Auf gezieltes Mobbing folgten
Abmahnungen und schließlich die Kündigung. Schneller, gründlicher und nachhaltiger habe ich nie wieder jemanden
scheitern sehen.
„Viele Frauen in
meiner Branche
sind klüger und
treffen bessere
Entscheidungen
als Männer.“
Eine unter Männern gängige Karrierestrategie hatte für sie nicht funktioniert.
Alles an ihr wurde als das entlarvt, was es
war: leere Worte, falsche Behauptungen,
Planlosigkeit, Erfolglosigkeit.
Spätestens jetzt werden Sie sich fragen:
Warum sollten Männer nicht entlarvt
werden, wenn sie nichts auf dem Kasten
haben? Die Antwort ist ganz einfach:
Weil andere Männer dieses System aus
heißer Luft stützen – manchmal sogar so
lange, bis es an Substanz gewinnt. Nur so
ist es doch zu erklären, warum auch die
größten Has-beens immer wieder aus der
Geisterbahn geholt, abgestaubt und in
ziemlich guten Posten reinstalliert werden. Dort können sie dann genau die
Fehler wiederholen, die ihre vorigen
Unternehmen in die Schieflage oder gar
die Pleite gebracht haben: Fehlplanungen, keine oder die verkehrte Strategie,
negative Geschäftsergebnisse, vernichtetes
Kapital.
Inzwischen sind fast 15 Jahre vergangen, und ich habe nicht den Eindruck,
dass sich die Geschäftswelt so grundlegend gewandelt hätte, dass die Schaumschlägernummer meiner ehemaligen Kollegin jetzt von Erfolg gekrönt wäre. Und
genau an diesem Punkt fordere ich Sie
jetzt auf, gemeinsam mit mir eine neue
Denkfigur zu wagen: Wäre es denn nicht
herrlich gerecht, wenn es aber so wäre?
Was, wenn die Blenderin jetzt damit
durchkäme und mit diesem Verhalten
ihren Machtanspruch geltend machen
könnte? Wäre das nicht ganz wunderbar?
Würde denn das nicht bedeuten, dass wir
Frauen in der Berufswelt endlich oben angekommen sind?
Ich will mich der Denkfigur noch auf
einem anderen Weg nähern, damit Sie
sehen, was ich meine. Kürzlich war ich
beim Vortrag eines Unternehmensberaters. In der anschließenden Diskussion
wurde er auch zur Frauenquote befragt
und sprach sich dagegen aus. „Ja, aber wie
soll es denn dann jemals etwas mit den
weiblichen Karrieren werden?“ fragte ihn
eine der vier anwesenden Frauen, wäh-
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 97
rend die etwa vierzig Männer gelangweilt
guckten.
Der Berater schaute kurz ratlos und
bot dann an: „Vielleicht muss eine Frau
mal so schweinegut sein, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt?“
Da war sie wieder, die Botschaft meiner Bürotasse: Look like a lady, act like a
man, work like a dog. Und in dem
Moment wurde mir schlagartig klar, dass
das nun genau nicht – oder nicht mehr
länger – die Lösung sein kann, die wir akzeptieren sollten. „Schweinegut“ sind
mittlerweile sehr viele Frauen. Und hat es
uns was gebracht? Natürlich nicht. Noch
immer sind Frauen in Toppositionen und
Chefetagen unterrepräsentiert und haben
in der Wirtschaft zu wenig Macht und
Einfluss.
„Schweinegut“ zu sein ist also definitiv
nicht das Gegenmittel, das hier Abhilfe
schafft. Und zwar ganz sicher nicht etwa
deshalb – wie ein paar Optimistinnen
glauben –, weil wir die Männer durch unsere Überlegenheit so stark einschüchtern,
dass sie uns nicht nach oben kommen
lassen oder bewusst ausgrenzen. Alles
Quatsch: Sie nehmen uns überhaupt
nicht wahr!
Damit sich das ändert, sollten wir doch –
statt uns weiter auf der nach oben offenen
„schweinegut“-Skala abzuzappeln – ab sofort genauso mittelmäßig, aufgeblasen
und von uns selbst überzeugt sein wie die
Männer. Wir können auf der Stelle damit
aufhören, uns nach der gläsernen Decke
zu strecken. Ich schlage statt dessen vor,
dass jede Frau, die sich auch nur im entferntesten dazu berufen fühlt, von nun an
Karriereambitionen entwickelt, und zwar
ohne zuerst zu fragen: Bin ich eigentlich
qualifiziert genug und kann ich das überhaupt? Klar bist du! Und ja, kannst du!
So ist die erste Hürde schon genommen. Dann müssen nur noch die Ellbogen
ausgefahren werden, die Skrupel können
über Bord gekippt und jegliche Zurückhaltung aufgegeben werden. Vor einem
löchrigen Hintergrund mangelnder Kompetenzen sollten wir uns aufführen, als ob
„Hat denn die
Strategie des Sichfleißig-Hocharbeitens und Es-allenRecht-Machens
etwas gebracht?“
wir mit unserem Handeln täglich die Welt
aus den Angeln heben. Und das ziehen wir
bitte mit allem Drum und Dran durch:
nicht mehr zuhören, die meiste Redezeit
in Meetings selbst beanspruchen, empathielos durch die Gegend stoffeln, haltlose
Behauptungen in die Welt setzen, ein von
der tatsächlichen Hierarchiestufe unabhängiges Chefgehabe an den Tag legen
und die eigene Wichtigkeit wie eine
Monstranz vor sich hertragen. Das schaffen Sie nicht? Und ob! Es ist leichter, als
Sie denken, lässt sich bei den männlichen
Kollegen täglich abschauen, und der
schnelle Erfolg wird Sie in Ihrem Tun in
Nullkommanix bestätigen.
Wir haben uns den zweiten Schritt,
wie er auf dem Kaffeebecher geschrieben
stand, vielleicht in der Vergangenheit
falsch ausgelegt. „Act like a man“ bedeutet, dass wir uns genauso nach oben rüpeln und improvisieren sollen, wie das
andere Geschlecht dies seit Jahrzehnten
praktiziert. Dazu gehört auch: Andere
Dumme finden, die die eigentliche Arbeit
erledigen, deren Erfolg Sie dann einheimsen. Sie finden diesen Ansatz verwerflich,
allein schon in Gedanken? Kann ja sein,
aber hat denn die Strategie des Sich-fleißig-Hocharbeitens und Es-allen-Rechtmachens etwas gebracht? Wo stehen Sie
denn heute – und wo könnten Sie sein?
Na also.
Nicht besser zu werden als die Männer
sollte unser Ziel sein, sondern genauso
schlecht. Das wäre die wahre Gleichberechtigung in der Arbeitswelt und besser
als jede Quotenregelung. Nur so schaffen
wir es erstmal hinein in den ganzen Zirkus. Dabei sein ist alles. An einer besseren
Welt können wir später noch arbeiten.
Überhaupt: Die Sache mit der besseren
Welt. Ist das nicht ein ganz grundlegendes Missverständnis, das dem Thema
„Gleichberechtigung am Arbeitsplatz“ zu
Grunde liegt? Wir brauchen die Gleichberechtigung, um die gleichen Machtansprüche und Gehaltsanforderungen geltend machen zu können, aber naiv ist es
doch zu glauben, dass Frauen nach ethischeren Prinzipien arbeiten als Männer.
Warum sollten sie?
Überall da, wo Frauen wirklich mächtig
sind, wirken sie in quasi geschlechtsloser
Weise von Maggie Thatcher bis Angela
Merkel, von Carly Fiorina bis Meg Whitman. Oder kann mir jemand nachweisen,
dass eine Entscheidung, die diese Frauen
getroffen haben, besonders gut war, weil
sie besonders weiblich war? Wohl kaum
und das wäre ja – ehrlich gesagt – auch
alarmierend. Statt zu behaupten, dass wir
die besseren Menschen sind, sollten wir
hart daran arbeiten, dass wir erst mal in
die Posten kommen, wo wir die gleichen
kapitalen Fehler machen können wie
Männer und ebenfalls ganz berauscht sind
von der Quadratmeterzahl unseres Büros,
dem grandiosen Titel auf der Visitenkarte, dem Hubraum unseres Dienstwagens
und der beeindruckenden Zahl auf dem
Gehaltszettel.
Denn das Ziel sollte doch sein, dass
nach dem Geschlecht keiner mehr fragt.
Das geht aber nur, wenn auch wir uns
vollkommen darüber hinwegsetzen. Frauen, wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass wir die besseren Menschen
sind. Aber die besseren Männer, die
könnten wir doch sein.
ANNETTE C. ANTON
Mai/Juni 2014 EMMA
97
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Mutter Suse und Vater Micha mit Tochter Meta – der scheint das Experiment Spaß zu machen. – Fotos: Verena Mörath
Wir sind echte
50/50-Eltern!
Zumindest versuchen wir es ernsthaft. Auch wenn er noch einen gewissen
Verantwortungs-Nachholbedarf hat, geht sie schon munter Party machen.
Suse Vor der Geburt unseres Kindes hatten Micha und ich exakt die gleichen Möglichkeiten, wir waren ein Mann und eine
Frau, junge unabhängige Menschen, wir
konnten tagtäglich machen, was wir wollten
und wann wir es wollten. Wir waren selbstständig, beziehungsweise freiberuflich tätig,
konnten dementsprechend ausschlafen, spät
ins Bett gehen, arbeiten, nicht arbeiten, verreisen, Party machen, nüscht machen. Nach
der Geburt würde sich das ändern – klar,
das hatte man ja schon bei anderen mitbekommen. Aber schon Monate vorher
schlich sich bei mir der Verdacht ein, dass
das nur zu Lasten einer Person gehen würde
– meiner. Es sei denn, wir fingen sofort an,
unser Leben nach der Geburt zu besprechen, zu planen, zu organisieren.
98
EMMA Mai/Juni 2014
Micha Ich hasse es, Verantwortung zu
übernehmen. Ich schlafe gern aus. Ich lebe
gern nach meinem eigenen Zeitplan. Ich
kann nicht kochen. Ich räume nie auf.
Und ich finde dieses Leben gut und habe
überhaupt keine Lust mich in puncto Lebensqualität auf irgendwelche Kompromisse einzulassen.
Suse Als ich schwanger wurde, waren
Micha und ich seit einem Jahr und drei Monaten ein Paar, wir wohnten jeder in einer
WG, ohne Kind wären wir nie zusammen
gezogen. Das wäre bis dahin – zart formuliert – eine Horrorvorstellung gewesen. Mit
Micha zu wohnen ist nicht gemütlich, denn
er mag es zwar heimelig, aber er ist nicht bereit, irgendwas dafür zu tun. Das bedeutet:
Micha kocht nie. Micha geht für jede Mahlzeit essen und wenn nicht, dann schmiert er
sich (selten) ein Brot. Micha ist ein Chaot,
in seiner damaligen WG kam es zum Eklat
wegen seiner Faulheit und Unordnung – die
Konsequenz: Micha zahlte eine Putzfrau.
Wie sollte ich mit so einem erstens zusammenleben und zweitens ein Kind aufziehen?!
Der war doch selber noch ein Kind!
Unter diesen Umständen war es programmiert, dass ich zu Hause zur „meckrigen Mutti“ werden würde, bzw. gemacht
werden würde. Ich, der wandelnde Vorwurf,
Micha, das wandelnde schlechte Gewissen.
Davor hatte ich Angst. Denn was würde
vermutlich geschehen: Ab dem ersten Tag
nach der Geburt wäre ich die Melkmaschine,
das Versorgungstier, würde nur zwei Stunden
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 99
DOSSIER ARBEIT
am Stück schlafen und das mindestens vier
Wochen lang bzw. ohne dass ein Ende
abzusehen ist. Parallel müsste ich Micha zu
jeder Haushaltstätigkeit auffordern müssen
und loben für die Erledigung. Aber das will
ich alles nicht! Ich will ihm nicht sagen, was
zu tun ist, ich will, dass er das selber sieht!
Ich sehe es doch auch! Und: Ich krieg doch
nicht alleine dieses Kind. Er kriegt es doch
auch. Also sollten sich gefälligst zwei Leute
Gedanken darüber machen, was zu tun ist,
um es zu versorgen.
Micha Als Suse im sechsten Monat
schwanger war, dämmerte mir so langsam,
dass mein schönes Leben durch das kommende Kind bald zu Ende sein würde. Alle
Welt erklärte mir süffisant lächelnd, dass
mit einem Kind nun mal das wilde Leben
vorbei und die durchfeierten Nächte gezählt seien. Ich fühlte mich wie kurz vor
der Einlieferung in den Knast. Durch
meine Faulheit und meine zu Hause erlernte Macho-Art würde zwischen Suse
und mir ein „Regime des schlechtes Gewissens“ entstehen und zusätzlich zur
knapper werdenden Zeit müssten wir
nervige, liebestötende Gespräche über die
Unausgewogenheit der Haushalts- und
Kinderpflichten führen. Bei aller Liebe:
Das würde zur Trennung führen.
Suse meinte: „Eigentlich stelle ich es
mir einfacher vor, wenn ich das Kind
allein aufziehe. Dann müsste ich mir nicht
zusätzlich noch Gedanken um die Beziehung machen.“ An diesem Punkt hätte
alles schon enden können – hat es aber
zum Glück nicht. Wir haben aus der
Erkenntnis eine Idee gemacht: Lass es uns
doch genau so machen! Jede und jeder ist
einen Tag lang wie „alleinerziehend“ – und
am nächsten Tag ist der/die andere dran!
Unser „Modell“ war geboren – noch vor
dem Kind!
Suse Wie oft habe ich – von Freundinnen,
Kolleginnen und Hebammen, darunter
Eltern und vor allem jede Menge Nichteltern – zu hören bekommen: Aber „das Kind
gehört doch zur Mutter …“, die „enge Bindung aus dem Mutterleib kann ein Vater
nicht ersetzen …“ Bei keinem anderen
Thema hatte ich bisher erlebt, wie begeistert
und mit wehenden Fahnen junge, aufgeklärte, moderne Großstädterinnen mich in traditionelle Rollenklischees schicken wollten.
Ich weiß jetzt: Es gibt keinen Unterschied
zwischen dem Vater und mir. Außer dass
ich stillen kann und er nicht. Ein Detail!
Unser Modell Wir haben angefangen, uns
Regeln fürs Zusammenleben und Elterndasein aufzustellen. Wir teilen uns die Kinderbetreuung tageweise: Montag Micha,
Dienstag Suse, Mittwoch Micha, Donnerstag Suse und so weiter. Also hat einer
in der einen Woche drei und in der nächsten vier Tage kinderfrei.
Wer das Kind hat, muss ausnahmslos
alles tun, was zu Haushalt und Kind gehört:
Wickeln, Füttern, Bespaßen, Aufräumen,
Einkaufen, Putzen, Waschen ... „Schichtwechsel” ist um 20 Uhr. Das heißt, wenn das
Kind um 19:55 Uhr schreit, ist eineR dran,
um 20:05 der oder die andere – ohne dass
ein Wort darüber verloren werden muss.
gern gesehenen Ausgleich zum vorherigen
Arbeitstag versteht, sondern es bietet ihr
auch eine breitere Palette an Role Models.
Wir denken, dass wir durch unsere Aufteilung der Kinderbetreuung unserer Tochter
glaubwürdig vorleben, dass es normal ist,
dass Männer und Frauen sich gleich viel
und gut um Kinder kümmern; dass außerdem beide Geld verdienen und beide ein
individuelles Leben führen können.
Das Thema Zusammenwohnen hat sich
Micha Ja – die Kindertage sind eine
willkommene Abwechslung, aber meine
Nicht-Kindertage sind mir dennoch lieber
– sie sind stressfreier. Ich hatte also die
Wahl: Entweder würde ich meine Freiräume täglich und mühselig gegen Suse erkämpfen müssen und das Kind würde sich
immer wie eine Last anfühlen, oder ich
gäbe freiwillig die Hälfte meiner Zeit ab,
um die andere Hälfte komplett frei zu verbringen. Ich habe mich für Letzteres entschieden und bekomme dafür die Möglichkeit, garantiert jeden zweiten Tag nur
das zu tun, was ich möchte, ohne mich
mit jemanden abzustimmen oder für etwas
rechtfertigen zu müssen.
überraschend problemfrei entwickelt.
Micha bezahlt eine Putzkraft und kauft
sich so von drohenden Ordnungs-Diskussionen frei. (Keine emanzipatorische, aber
vorerst eine Lösung.) Dann hat bei uns
jedeR sein eigenes Zimmer mit eigenem
Bett – das schafft Rückzugsraum und
macht das Zusammenschlafen im Vergleich
zur alternativlosen Ein-Bett-Variante zu
etwas Besonderem.
Dieses tageweise Abwechseln geht natürlich nur, weil wir beide selbstständig
bzw. freiberuflich sind. Suse als freie Journalistin, Micha mit einer eigenen Internetfirma. Beide können wir selbst wählen, an
welchen Tagen wir arbeiten. Wir verdienen durchschnittlich, zahlen wenig Miete
und halten nicht viel von Konsum.
Auf der einen Seite soll also unser Modell Gerechtigkeit zwischen uns herstellen.
Aber wir glauben, dass auch unsere Tochter
davon profitieren wird. Nicht nur, dass sie
jeden Morgen ein ausgeschlafenes Elternteil
vorfindet, das den neuen Tag mit ihr als
Suse Nachdem wir vier Wochen mit dem
Säugling zu Hause ein Leben wie unter der
Käseglocke gelebt haben, ich alle drei
Stunden gestillt habe, Micha sie gewickelt,
Tee gekocht, wir geschlafen, gegessen, Besuch empfangen, wieder gestillt und gewickelt haben … machte sich langsam ein
ordentlicher Koller breit – Zeit für unser
Modell. Aber auch wenn meine Ausflüge
wegen des Stillens zeitlich stark eingegrenzt waren, gab es jeden zweiten Tag
welche. Ich ging zum Sport, ins Kino, in
Buchläden, ins Restaurant essen, traf mich
mit FreundInnen. Und ich fühlte mich
nur die ersten paar Male ein bisschen
komisch und dann immer selbstverständlicher. Ein ungutes Gefühl hab ich eigentlich immer nur dann bekommen, wenn
Leute fast schon entsetzt reagiert haben,
wenn sie mich ohne Kind sahen. Im Laufe
der Monate verkehrte sich dieses Entsetzen
bei meinen Gegenübern in so eine Art
Respekt: „Toll, dass du ausgehst, obwohl
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99
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 100
DOSSIER ARBEIT
dein Kind erst drei Monate alt ist!“ Jedes
einzelne Wort in diesem Satz bitte ich
euch, auf der Zunge zergehen zu lassen
und anschließend zu überlegen, ob ein
junger Vater so einen Satz jemals zu hören
bekommen hat.
Micha Seitdem Suse schwanger war, hatte
ich vor folgender Situation Angst: Wir sitzen beide am Abend zu Hause, sie stillt das
Kind. Ich will eigentlich mit meinen Freunden in die Kneipe. Ich kann ja nicht stillen
und eigentlich nichts tun. Ich traue mich
aber nicht zu gehen, weil ich Suse nicht das
Gefühl geben will, dass ich sie alleine lasse.
Wenn ich doch gehe, kann ich den Kneipenabend nicht genießen und werde aus
schlechtem Gewissen früh wieder zurückkommen … Was mir den Spott der Kumpels einbringt: „Ja, ja, Papa muss nach
Hause“. Diesen Zustand nenne ich „Regime des schlechten Gewissens“, ich habe
ihn schon bei vielen Familien beobachtet.
Mit unserer Aufteilung kann es dieses Problem nicht geben. Denn sie regelt, wer an
welchem Tag verantwortlich ist. Sätze wie
„Kannst du bitte jetzt mal wickeln, ich
hab‘s die letzten drei Mal gemacht!“, gibt es
bei uns nicht. Unsere klare Teilung sorgt
dafür, dass ich jeden zweiten Tag komplett
frei bin und an diesen Tagen mein altes
Leben, das ich so liebte, leben kann.
Suse Ich erinnere mich noch sehr gut an
mein allererstes Ausgehen am Abend. Die
Geburt war drei Wochen her, es war ein
warmer Frühlingsabend. Ich bin mit einer
Freundin verabredet, wir trinken Limobier
am Landwehrkanal. Mein erster Alkohol,
mein erster Zug an der Zigarette meiner
Freundin … Ich bin aufgeregt und fühle
mich, als wäre ich trotz schwerer Grippe
mit Fieber auf eine Technoparty gegangen.
Denn ich bin Mutter. Seit nicht ganz vier
Wochen. Eine Bekannte mit sieben Monate altem Baby in der Manduka und alkoholfreiem Getränk in der Hand läuft vorbei, genau in dem Moment, als ich (den)
einen (einzigen) Zug von der Zigarette
nehme: „Wo ist denn dein Kind?“ – „Zu
Hause, Micha und ich mussten mal raus.
Meine Schwester babysittet.“ Ertappt hebe
ich zu meiner Verteidigungsrede an: „Ja,
das ist total cool, ich weiß ja genau, wann
Meta immer trinkt, da kann ich gut
planen und zwischendrin wacht sie auch
nicht auf und für den unwahrscheinlichen
Fall, dass doch, bin ich ja in fünf Minuten
zu Hause.“ Zur perfekten Rabenmutter
werde ich, als eine weitere Bekannte mich
direkt begrüßt mit: „Äh, du sitzt hier,
trinkst Alkohol und wo ist dein Kind!?“
Ich erkläre es, bekomme wieder einen befremdeten Blick zur Antwort, daraufhin
ein schlechtes Gewissen, radele mit Herzrasen viel früher als geplant nach Hause
und atme erst auf, als sich die Wohnungstür hinter mir schließt. Denn nur hier gehöre ich hin – so die Botschaft dieses
Abends.
„Ich gehe vollkommen auf
in meiner Mutterrolle – jeden
zweiten Tag.“ SUSANNE BRUHA
100
EMMA Mai/Juni 2014
Micha Wenn jemand monate- oder jahrelang rund um die Uhr so gut wie allein ein
Kind betreut, dann macht das was mit der
Person. Das Kind wird Lebensinhalt Nummer eins. Und dann reden diese Mütter
über die Konsistenz der Kinderkacke, über
Milchflaschensysteme und die Eigenarten
der Kleinen. Bei uns war das so: Suse und
ich redeten mit Inbrunst über die Konsistenz der Kinderkacke! Weil es uns ja beide
jeweils jeden zweiten Tag betraf. Aber: Wir
führten jeder auch noch unser altes Leben.
Suse macht und ist immer noch all das,
weshalb ich mich damals so unsterblich in
sie verliebt habe. Wir entdeckten also ein
Thema (das Kind) gemeinsam und erhielten uns gleichzeitig die ursprüngliche Basis
unserer Beziehung (unser altes Leben). Eigentlich kam uns unser Aufteilungs-Modell
gar nicht außergewöhnlich vor. Doch die
Reaktionen unseres Umfelds waren unerwartet heftig. Anstatt sich unsere Ideen anzuhören, haben uns Freunde, Bekannte und
Familien belächelt und gesagt: „Das klappt
auf Dauer eh nicht“. Meine Mutter kommentierte: „Das ist doch Quatsch! Einer
muss das Geld verdienen, der andere das
Kind betreuen“ – obwohl sie selbst neben
drei Kindern und einem Haushalt auch
immer eine eigene Firma gemanagt hat.
Wenn ich mit Meta kurz nach der Geburt
allein unterwegs war, haben mich Freunde
vorwurfsvoll gefragt, wo denn die Mutter
sei. Später, als langsam Gewöhnung eintrat,
kam die Frage, ob ich heute wieder „die
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Mutti machen“ würde. Nein, ich bin der
Vater.
Suse Je älter das Kind wird, desto entspannter werden die Reaktionen von
außen. Ich habe diese Mutterrolle angenommen und ich hab sie so gern angenommen! Ich liebe dieses Kind, ich bin
wahnsinnig gerne seine Mutter. Ich habe
es neun Monate gestillt, ich koche gesunden Gemüsebrei, ich kaufe, obwohl wir
Berge von Klamotten aus der Verwandtschaft bekommen, ständig Klamotten im
Secondhandladen nach, ich lese ihr Bücher
und sing ihr Lieder vor, lerne Ukulele für
sie (und mich), bin stundenlang mit ihr im
Tragetuch spazieren gegangen, damit wir
uns möglichst nah waren und verbringe
die gleichen Stunden heute mit ihr auf den
Spielplätzen dieser Stadt. Ich gehe auf in
dieser „Mutterrolle“. Jeden zweiten Tag.
Micha Wenn wir unser Modell erklären,
stellt das Gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach diese Frage: „Macht ihr dann nie
etwas gemeinsam?“ Anfangs haben wir uns
über diese Frage gewundert und geantwortet: „Na klar, warum denn nicht? Wir sind
doch beste Freunde und machen gern
vieles zusammen.“ Aber nach einem Jahr
müssen wir differenzierter antworten. Die
Hürde ist größer geworden, freie Zeit für
Familien- oder Paar-Aktivitäten abzugeben. Zwar trennen wir unsere Romantik
von der Alltagsorganisation und laufen
damit weniger stark Gefahr, dass im
Namen der Liebe Erwartungen, Verpflichtungen und Ungleichheiten entstehen.
Aber auch nach einem Jahr abwechselnder Kinderbetreuung fühle ich mich noch
immer weniger verantwortlich für das Projekt Familie. Das führt zu Konflikten und
äußert sich darin, dass es eben Suse ist, die
sich informiert, welches Essen Meta als
nächstes gegeben werden kann, welche
Kleidergröße sie aktuell hat und ich zwar
häusliche Aufgaben übernehme, Suse sie
mir aber auftragen muss.
Suse Unser Kind ist jetzt über ein Jahr alt
und ich kann leider nicht behaupten, wir
wären mit unserem Modell im Paradies
der Gleichberechtigung angekommen. Wir
haben immer noch ständig mit „Arbeitsteilungsproblemen“ zu kämpfen. Mit dem
Modell haben die aber nichts zu tun. Das
mit der Zeiteinteilung funktioniert super.
Aber während ich alles, was das Kind betrifft, in mein Leben integriere und gerne
Klamottenberge der neuen Kindergröße
sichte und sortiere, Breie aus Biogemüse
koche und einfriere, Metas Wäsche eben
wasche, wenn ihr Wäschekorb voll ist, einen
Fahrradsitz besorge, ein größeres Kinderbett,
Windeln kaufe und eine neue Trinkflasche,
Sauger auskoche und Schnuller, währenddessen macht Micha von all dem einfach
nichts. Und wenn, dann nur nach mehrmaliger Nachfrage und Aufforderung, was
immer öfter zu einem „dann kann ich es
auch gleich selber machen“ und dementsprechend schlechter Laune meinerseits
führt. Ich werde dann zu der meckrigen
Mutti (gemacht), die ich nicht sein wollte.
Micha Außerdem haben wir festgestellt,
dass selbst eine perfekte 50/50-Aufteilung
zwischen uns beiden keine wirkliche Gleichberechtigung bedeuten würde. Denn dadurch, dass die Gesellschaft von Frauen eher
erwartet, sich um die Kinderaufzucht zu
kümmern als von Männern, hat Suse nicht
die gleiche Verhandlungsposition. Anders
gesagt: Ich fühle mich oft so, als wäre ich ja
schon sehr gnädig, dass ich die Hälfte meines Lebens abgebe. Denn das ist vielleicht
mehr, als der Durchschnitts-Vater gibt, aber
kommt bei Suse als Argument natürlich
nicht an. Nach einem Jahr haben wir also
ein Bewusstsein für eine gleichberechtigte
Elternschaft gewonnen; aber Gleichberechtigung herrscht leider noch nicht.
SUSANNE BRUHA UND
MICHAEL BOHMEYER
Weiterlesen
Der Text ist ein gekürzter Auszug aus
„The Mamas and the Papas – Reproduktion,
Pop & widerspenstige Verhältnisse“
(Hrsg: Annika Mecklenbrauck und Lukas
Böckmann, Ventil Verlag, 14.90 €)
Im Netz
www.femilyaffair.de
„Mit unserer Aufteilung gibt
es kein ‚Regime des schlechten
Gewissens‘. Aber noch Verbesserungsbedarf.“
MICHAEL BOHMEYER
Mai/Juni 2014 EMMA
101
080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 102
Liebe Elisabeth Niejahr,
liebe ZEIT!
S
ie haben im März in der ZEIT
einen Offenen Brief an mich geschrieben: „Liebe Alice Schwarzer!“. Hier nun meine Antwort.
Ihren Brief habe ich zwei Mal gelesen. Ich
konnte es zunächst einfach nicht fassen.
Und nun weiß ich nicht so recht, ob ich
darüber lachen oder weinen soll. Denn
Sie unterstellen ausgerechnet mir allen
Ernstes, ich und EMMA, wir hätten uns
noch nie für die „ökonomische Gleichstellung von Mann und Frau“ interessiert,
sondern immer nur „für Sex“.
Was Sie unter „Sex“ verstehen, darauf
komme ich noch. Reden wir zunächst von
der Ökonomie. Sie veröffentlichen Ihren
Text, in dem Sie meine Arbeit und mein
Engagement beurteilen, mit so viel demonstrativer Unbefangenheit wie unübersehbarer Unkenntnis. Denn aus Ihrer Argumentation muss ich schließen, dass Sie
noch nie einen Text von mir gelesen haben
und ebenso wenig jemals die EMMA. Was
Ihr gutes Recht ist. Nur sollten Sie in diesem Fall dann nicht darüber befinden, was
ich vertrete und was nicht.
Ich bin nicht die Frauenbewegung. Und es
handelt sich auch nicht um meine Frauenbewegung. Im Feminismus gibt es viele,
auch kontroverse Stimmen. Ich verantworte ausschließlich das, was ich selber
schreibe und tue – und was Monat für
Monat in EMMA erscheint.
Sie, liebe Elisabeth Niejahr, sind Wirtschaftsjournalistin, und zwar eine sehr
gute. Viele Ihrer Texte aus den vergangenen Jahren hätte ich gerne genau so in
EMMA gedruckt. Aber es freut mich
102
EMMA Mai/Juni 2014
natürlich, dass diese Themen endlich
auch in anderen Medien aufgegriffen werden. Endlich. Denn eine Feministin wie
ich beschäftigt sich nun seit über vierzig
Jahren damit – also schon zu einer Zeit,
als es noch so gar nicht angesagt war.
Als ich 1973, vor 41 Jahren, mein Buch
mit dem programmatischen Titel „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ veröffentlichte
(edition suhrkamp), da standen die meisten Forderungen, die jemand wie Sie heute
für neu hält, schon drin: Das Recht auf
Berufstätigkeit für Frauen (das wir in
Westdeutschland erst 1976 bekamen)! Die
Warnung vor den traditionellen „Frauenberufen“! Die Gefahr der Teilzeitarbeit!
Die Forderung nach gleichem Lohn für
Frauen und Männer! Der Traum von einer
gerechten Teilung der Haus- und Kinderarbeit zwischen den Geschlechtern!
Zwölf Jahre später legte der Verlag das
Buch erneut auf, diesmal unter dem nicht
minder programmatischen Titel: „Lohn:
Liebe“. Programmatisch, weil eben alles
zusammenhängt. Frauen arbeiten gratis in
der Familie „aus Liebe“. Frauen stecken
zurück im Beruf „aus Liebe“. Frauen träumen seltener von einer Karriere und öfter
von der Liebe. Das ist bis heute so. Die
ökonomische Frage ist also unlösbar mit
der emotionalen Frage verknüpft, und die
emotionale Frage mit der sexuellen Frage.
Wir kommen nochmal darauf.
Die erste EMMA erschien am 26. Januar 1977. Da waren Sie zwölf Jahre alt.
Also sei hier für Sie nachgetragen: Von
der ersten Ausgabe – bis heute! – ist die
Frage der ökonomischen Eigenständigkeit
von Frauen, das heißt, ihre Berufstätig-
keit, eines der zentralen Themen in
EMMA. Denn ich, die EMMA-Macherin, bin der Überzeugung, dass die ökonomische Autonomie für jeden Menschen
eine Grundvoraussetzung ist zur Unabhängigkeit, also Voraussetzung jedweder
Emanzipationsbestrebung von Frauen
(wenn auch nicht zwingend Erfüllung).
Vielleicht erschreckt es Sie ja doch, wenn
ich Ihnen jetzt sage: Alle Themen, mit
denen Sie sich heute so kompetent beschäftigen, hat ausgerechnet EMMA vor
Jahrzehnten angestoßen. Oft alleine, aber
immer als erste, und meist zunächst
verhöhnt und verlacht. Denn bis die Probleme von Frauen ZEITfähig werden,
vergehen in der Regel nicht ein paar
Jahre, sondern ein paar Jahrzehnte.
Konkret: Seit den 70er bzw. 80er Jahren kämpft EMMA für: gleichen Lohn,
die 32-Stunden-Woche für Eltern von
Kleinkindern, gerechte Steuerklassen, gerechte Renten, mütterliche Väter und
alleinerziehende Mütter (wie Sie eine sind).
Gehen Sie mal in den EMMA-Lesesaal, in
dem 37 komplette EMMA-Jahrgänge stehen, und geben Sie die entsprechenden
Stichworte ein. Ihnen wird eine Flut von
Artikeln entgegen kommen, aus denen
auch Sie, die Expertin im 21. Jahrhundert, zweifellos noch heute viel lernen
könnten. Schade eigentlich, dass Sie das
nie getan haben. Denn in Kenntnis des
bereits Gedachten, Geschriebenen und
Getanen, hätten Sie gewiss kühner weiter
denken und argumentieren können.
Und weder für mich noch für EMMA
(die deutsche Frauenzeitschrift mit den
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DOSSIER ARBEIT
jüngsten Leserinnen) sind diese Themen
historisch, denn sie sind ja leider noch
lange nicht erledigt, also hochaktuell. In
der EMMA (z.B auch in dieser Ausgabe)
geht es (mal wieder) um das Dauerthema
„Beruf und Familie“ – zahlreiche Ihrer
Kolleginnen tragen kompetent dazu bei.
Warum also schreiben Sie so etwas?
Bzw. warum veröffentlicht Ihre Zeitschrift, die doch den Anspruch auf
journalistische Seriosität hat, so etwas? Sie
müssten es beide doch besser wissen.
Geht es um Diffamation? Oder um
Anbiederung?
Vielleicht ja um beides. Denn wie sonst
könnten Sie sogar so weit gehen, mir zu
unterstellen, ich würde über die von Ihnen
so genannten „Sexthemen“ aus journalistischem Kalkül schreiben, weil man damit
„in der Öffentlichkeit provozieren“ kann.
Es stimmt, die konzernunabhängige,
von niemandem subventionierte EMMA
muss ökonomisch ganz schön kämpfen,
auch am Kiosk, der überladen ist mit
sexistischen und frauenverdummenden
Magazinen. Aber Sie glauben doch nicht
im Ernst, dass man mit Themen wie
Missbrauch, Vergewaltigung oder Prostitution ein Heft besser verkauft?! Nein, das
tut man mit den bei der ZEIT so beliebten Frontthemen wie „Liebe“, „Familie“
oder „Kinder“, wie Sie wissen.
Es ist auch sehr aufschlussreich, dass Sie
unter „Sexthemen“ zum Beispiel den Kindesmissbrauch verstehen, über den ich auf
Wunsch Ihrer Redaktion im vergangenen
Jahr auch in der ZEIT geschrieben hatte.
Und die Prostitution. Beides hat zwar
nichts mit „Sex“ und alles mit Macht zu
tun, aber beides hängt in der Tat mit der
ökonomischen Frage zusammen.
Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen,
dass Frauen das unterbezahlte Geschlecht
sind, weil sie das käufliche Geschlecht
sind? Sehen Sie wirklich nicht den Zusammenhang der Abwertung? Eine Sorte
Mensch, die man kaufen kann, die ist
nicht viel wert. Wie heißt der StreikSlogan von ver.di so schön? „Wir sind es
wert!“ Frauen sind es in der Regel nicht
wert. Für Freier sind sie schon für 50
Euro zu haben – oder auch mal 20 oder
10 Euro auf dem Straßenstrich.
Eine solche Sicht auf unser Geschlecht
schlägt sich selbstverständlich auch auf
das Gehalt nieder. Auch fördert das Wissen von Männern, wie billig Frauen sein
können, nicht gerade die Bereitschaft,
eine geschlechtergerechte Lohngleichheit
für angemessen zu halten.
„Ist Ihnen noch
nie in den Sinn
gekommen, dass
Frauen das unterbezahlte Geschlecht sind, weil
sie das käufliche
Geschlecht sind?“
Was nun den frühen sexuellen Missbrauch und die (meist sexuelle) Gewalt in
Beziehungen angeht: Ist Ihnen wirklich
noch nie in den Sinn gekommen, dass
diese Demütigungen und Brechungen
eine Rolle spielen könnten bei dem mangelnden (beruflichen) Selbstbewusstsein
von Frauen? Es handelt sich bei der sexuellen Gewalt ja schließlich nicht um
individuelle Ausrutscher, sondern um ein
strukturelles, ein Massenproblem. Was
kein Zufall ist. Gewalt ist immer der
dunkle Kern von Machtverhältnissen,
ausgeübte oder drohende Gewalt. Leider
auch zwischen den Geschlechtern.
Und haben Sie als Wirtschaftsjournalistin wirklich noch nie darüber nachgedacht, warum alle Appelle an die Mädchen und Frauen so wenig fruchten?
Warum die Barbie-Mädchen immer noch
scharenweise in die unterbezahlten, begrenzten zehn „Frauenberufe“ streben?
Warum es den Karriereknick bei Frauen
gibt, sobald sie Kinder haben? Warum
älter werdende Frauen sich trotz zunehmender beruflicher Kompetenz verunsichern lassen mit der Suggestion, sie seien
nicht mehr begehrenswert?
Schreiben Sie, Kollegin Niejahr, also
tatsächlich über all diese ökonomischen
und sozialen Fragen – ohne je das Ganze
im Blick gehabt zu haben? Ohne zu
sehen, dass die helle Seite des Fortschritts
weiterhin überschattet ist von der dunklen Seite? Oder, um es mit Ihren Worten
zu sagen: Sie, die Karrierejournalistin,
sind also so gar nicht auf unserer Seite?
Wie schade.
ALICE SCHWARZER
Mai/Juni 2014 EMMA
103
104_105_Buecher 09.04.14 18:42 Seite 104
Bücher
TIPPS
Und auch so
bitter kalt
„Lucinda“, sagt ihre Schwester
SACHBÜCHER Sonia Sotomayor: Meine
Malinda, ist „ein Mädchen, nach
geliebte Welt Die Puertoricanerin schil-
dem sich die Menschen auf der Straße umdrehen“. Lucinda, der strahlende Stern, die anders ist,
dert in ihrer Autobiografie ihren steinigen
die mehr sieht und mehr weiß. Die Jungens schwärmen sie an, der Vater nennt sie die Königin.
Weg aus der Bronx zur ersten Latino-Rich-
Doch da gibt es auch die dunkle Seite, Lucinda selbst nennt sie „das Tier“ und „es ist immer da“.
terin am Obersten Gerichtshof der USA.
Lucinda, die alles vom Leben will, verweigert das Essen. Bis ihr Magen die Größe eines Vögel-
(C. H. Beck, 19.95 €) • Anne Siegel:
chens hat, bis ihr Haare auf der Haut wachsen wie Fell. Sie verweigert sich jeder Hilfe, ja dem
Himmelsstürmerinnen Zehn Porträts von
Leben. Eines Tages verschwindet sie samt ihrem großen Koffer. Dieser „Jugendroman“ ist auch
Frauen, die etwas wagen – von der Stunt-
ein Buch für Erwachsene. Lara Schützsack: Und auch so bitter kalt (Fischer KJB, 14.99 €)
frau Tanja de Wendt bis zur Wüsten-Filmerin Désirée von Trotha. (Cindigo, 12.95 €) •
Ines Witka: Eine Familie macht Karriere
Rembrandts Frauen
Zehn Paare berichten in Interviews, wie ein
In der Ausstellung „Rembrandt‘s women“ 2011 in
Berufs- und Familienleben gleichberech-
London irritiert den Autor, dass man über das Leben
tigt gelingen kann. Plus Praxistipps.
der Frauen – meist zugleich seine Modelle – in Rem-
(Gatzanis Verlag, 24.95 €) • Waris Dirie:
brandts Leben kaum etwas erfährt. Driessen, gebo-
Safa – die Rettung der kleinen Wüsten-
rener Niederländer, macht sich auf Spurensuche. Er
blume Die Aktivistin gegen Genitalver-
entdeckt nicht nur Erhellendes über den Maler als
stümmelung erzählt, wie sie um die
Besessener, Liebender und Rachsüchtiger, sondern
Unversehrtheit von Safa, der kleinen
auch über dessen Frauen. So auch Rembrandts
somalischen Hauptdarstellerin im Film
große Liebe, die früh verstorbene Saskia Uylenburgh; seine Geliebte Hendrickje Stoffels – und
„Wüstenblume“, kämpft. (Knaur, 19.99 €) •
die Kinderfrau Geertje Dircx, mit der der Meister zunächst das Bett teilt und sie dann gegen die
Käthe Kratz/Lisbeth N. Trallori (Hg.):
nächste jüngere Geliebte austauscht. Als Geertje ihn auf Unterhalt verklagt, wird sie von Rem-
Liebe, Macht und Abenteuer 30 Aktivis-
brandt ins Zuchthaus gebracht – jedoch nach Jahren von kämpferischen Freundinnen wieder
tinnen der „Aktion Unabhängiger Frauen“
befreit. Das reich illustrierte, unterhaltsame Buch gibt einen spannenden Einblick in die Zeit. FB
(AUF) haben ihre Erinnerungen zu einem
Christoph Driessen: Rembrandt und die Frauen (Verlag Friedrich Pustet, 24.95 €)
höchst lebendigen Buch über die öster-
19.90 €) BELLETRISTIK Ali Smith: Von
Unterm
Regenbogen
gleich zu gleich Zwei Frauen, Amy und
Die Frage im Untertitel ist eine
Ash, erzählen jeweils ihre Variante ihrer
handfeste
„Sind
Stimme aus der zerrissenen Ukraine. In Kiew 1970
Liebesgeschichte – mit dramatischem Aus-
Schwule und Lesben die besse-
geboren, verließ sie 1999 ihr Land, um in Berlin zu
gang, Ü: Silvia Moratwetz. (Luchterhand,
ren Eltern?“ Katja Irle hat Ant-
leben. In ihrem Bericht „Vielleicht Esther“ erzählt sie
22.99 €) • Linda Benedikt: Eine kurze
worten aus Politik, Kirchen &
über eine Reise von Berlin nach Kiew. Eine Reise in die
Geschichte vom Sterben Eine Woche lang
Wissenschaft zusammengetra-
Geschichte ihrer eigenen Familie, mit Humor und Trauer.
kommt die Tochter ins Krankenhaus ans
gen. Studien bestätigen den so
Eine jüdische Geschichte. Das Gewaltige an dem Text
Sterbebett der Mutter. Und erlebt Überra-
genannten „Regenbogenkindern“
sind die Sätze, die man eigentlich nicht sagen darf.
schungen. (Arche, 16.95 €) • Ingrid Noll:
ein großes Selbstbewusstsein
Beim Spaziergang über den jüdischen Kiewer Friedhof
reichische Frauenbewegung der 1970er
Jahre zusammengetragen. (Promedia,
Provokation:
Kiew – Berlin und zurück
Im Frühling war Katja Petrowskaja, die BachmannPreisträgerin 2013, in Talkshows die glaubwürdigste
Hab und Gier Bibliothekarin Karla, 60,
und Durchhaltevermögen. Aber
denkt die Ich-Erzählerin, „dass Juden im Ghetto privile-
bekommt ein unmoralisches Angebot, das
stehen Regenbogenfamilien wo-
giert waren, fast hätte ich gesagt, dass sie Glück hatten“. Die Reisende sieht und formuliert das Verborgene
mit Geld und Tod zu tun hat. (Diogenes,
möglich auch unter Druck, nicht
21.90 €) • Annelie Wendeberg: Teufels-
scheitern zu dürfen? 88 Prozent
und das Gegenwärtige. Esther war
grinsen Anna Kronberg darf nicht als Ärz-
der Deutschen zwischen 25 und
vielleicht die Großmutter des Vaters.
tin arbeiten – das ist noch verboten Ende
39 finden: Ein Frauen- oder Män-
Vielleicht. Ein literarisch heraus-
des 19. Jahrhunderts. In London arbeitet
nerpaar mit Kindern sind eine
ragendes, historisch erhellendes
sie als Arzt in der Pathologie und – ermit-
„richtige Familie“.
und politisch aktuelles Buch. V.A.
telt mit Sherlock Holmes. (KiWi, 14.99 €)
Katja Irle: Das Regenbogen-
Katja Petrowskaja: Vielleicht
Experiment (Beltz, 17.95 €)
Esther (Suhrkamp, 19.95 €)
104
EMMA Mai/Juni 2014
104_105_Buecher 09.04.14 18:42 Seite 105
Der Fall Peggy
Am 7. Mai 2001 wird die neunjährige Peggy Knobloch in
ihrem fränkischen Heimatdorf Lichtenberg zum letzten
Der Blues der Toni Morrison
Mal gesehen. Das Mädchen bleibt verschwunden, eine
Leiche wurde bis heute nicht gefunden. Am 30. April 2004 wird Ulvi Kuvac, ein
Wie schafft sie es? Wie schafft sie es, uns den Blues ihrer Welt
geistig zurückgebliebener 24-Jähriger in einem fragwürdigen Prozess wegen
so zu erzählen, dass es der unsere wird? Wir durchqueren mit
Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 10. April 2014 begann das
dem traumatisierten Korea-Veteranen Frank das damals auch
Wiederaufnahmeverfahren, denn Ulvis angebliches Geständnis war offenbar
nach dem Gesetz noch rassistische Amerika der 1950er Jahre.
von den Ermittlern manipuliert. Was auch immer bei dem neuen Prozess
Er ist auf dem Weg nach Georgia, zu seiner todkranken
herauskommt – es lohnt sich, „Die Geschichte eines Skandals“ von Ina Jung
Schwester. Wenigstens sie will er retten. Und er? Ist er nur
und Christoph Lemmer zu lesen. Skandalös sind nicht nur die einseitigen
Opfer – oder auch Täter? In den 50ern war die 1931 geborene
Ermittlungen, sondern auch, dass Peggy in einem Umfeld lebte, in dem gleich
Toni Morrison eine junge Frau. Die Autorin von „Menschen-
mehrere Männer als Täter in Frage kamen. Ab Sommer 2000 war Peggy auffäl-
kind“, dieser Urgeschichte der schwarzen SklavInnen und
lig geworden, aß schlecht und kleidete sich zunehmend sexualisiert. Der Arzt
ihrer Kinder und Kindeskinder, setzt nach „Jazz“ ihre sprach-
verschrieb der Neunjährigen Psychopharmaka. Geschützt hat Peggy niemand.
gewaltige Chronologie der Geschichte ihres Volkes fort.
Ina Jung/Christoph Lemmer: Der Fall Peggy (Droemer, 19.99 €)
Toni Morrison: Heimkehr, Ü: Thomas Piltz (Rowohlt, 18.95 €)
Das Leben der Bachmann
Über den Sinn des Lebens
Diese Biografie über eine der schillerndsten Auto-
Die junge Philosophin mäandert über 170 Seiten durch
rinnen des 20. Jahrhunderts ist ein großer Wurf.
das moderne Leben. Sie fragt sich, was ist, wenn „das
Psychologisch, aber nicht psychologisierend, ein-
Leben selbst zur Ware wird“, was in unseren „Stresskör-
fühlsam aber auch kritisch, ernsthaft aber auch
pern“ steckt, wie wir es mit dem Tod halten, ob wir uns
komisch nähert sich die Biografin der Schriftstelle-
womöglich selbst verloren haben in diesen „zeitgenössi-
rin. Sie bringt uns eine Person näher, die geprägt
schen Formen der Selbstverfehlung“ – und wie wir uns
war durch ihre Kindheit im Krieg, einen unsteten
wiederfinden könnten. Denn: „In einer lebenswerten Welt
Lebensstil und eine lebenslange Suche nach Hei-
leben zu wollen, heißt, selbst dafür gerade stehen.“
mat. Bachmanns Lieben und Freundschaften, ihr
Ariadne von Schirach: „Du sollst nicht funktionieren –
Lebenshunger, ihr Genuss des Glamours als Shoo-
für eine neue Lebenskunst“, Essay (Tropen, 17.95 €)
tingstar und gleichzeitig ihre Erschöpfungszustände und Verzagtheiten werden in
all ihren Facetten aufgezeigt. Stoll schafft es, Bachmann zwischen Anerkennung
und Einsamkeit, die auch dem Mangel an vorgelebten weiblichen Künstlerexisten-
Wie sollten wir sein?
zen geschuldet ist, lebendig werden zu lassen. Eine Zerrissenheit, die in Tabletten-
Selbstzufriedenheit statt Selbstoptimierung, aber die will
und Alkoholsucht, einem viel zu frühen, tragischen Tod mündet. Dafür hat die Bio-
sich partout nicht einstellen. Sheila hat sich gerade von
grafin im Archiv Briefwechsel und Arbeitsmaterial gesichtet und mit Geschwistern,
ihrem Mann geschieden und sitzt mit Schreibblockade vor
FreundInnen, WeggefährtInnen gesprochen. FB Andrea Stoll: Ingeborg Bachmann.
einem feministischen Theaterstück. Sie sucht nach Ant-
Der dunkle Glanz der Freiheit (C. Bertelsmann, 22.99 €)
worten. Aber gibt es die eigentlich? Sheila Heti: Wie sollten
Christiane Wöhle, Susanne Schleyer/Suhrkamp Verlag
wir sein? Ü: Thomas Überhoff (Rowohlt, 19.95 €)
Die Pink Sari Revolutionärinnen
Sampat Pal war sieben oder acht Jahre alt, als sie das Prinzip zum ersten Mal anwandte: Die Tochter eines mächtigen Großgrundbesitzers hatte
einen Hirtenjungen geschlagen. Sampat trommelte eine Gruppe Kinder zusammen und gemeinsam zahlten sie es – nicht eben zimperlich – dem
Mädchen heim. Heute ist die fünfache Mutter und Sozialarbeiterin die Anführerin der Gulabi-Gang, einer Gruppe von inzwischen mehr als zwanzigtausend Frauen, die in pinken Saris und mit Schlagstöcken gerüstet in Uttar Pradesh,
der ärmsten Region Indiens, für Gerechtigkeit kämpfen. Zwei Jahre recherchierte die
pakistanisch-irische Autorin Amana Fontanella Khan. Minutiös schildert sie anhand des
Falls der vergewaltigten Sheelu Nishad, wie die unerschrockene Sampat und ihre MitstreiterInnen mal in detektivischer Recherche, mal mit spektakulären Aktionen wie der Erstürmung eines Polizeipräsidiums die Täter vor Gericht bringen. Amana Fontanella Khan:
Pink Sari Revolution, Ü: Barbara Schaden (Hanser, 19.90 €)
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EMMA erscheint zweimonatlich,
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Ausgabe erscheint am 26. Juni 2014.
Einzelverkaufspreis 7.50 €
Redaktion Alice Schwarzer,
Alexandra Eul, Chantal Louis,
Angelika Mallmann
LeserInnenbrief-Redaktion
Angelika Mallmann,
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Online-Redaktion
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Titel
Werner Hallatschek
Verlag T -14, Fax -29
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(Klein)Anzeigen,
Shop & Marktplatz
EMMA, T -14, Fax -29
Lithographie
purpur, Köln
Druck
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DruckMedien, Geldern
Vertrieb
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PF 810420, 70521 Stuttgart
Register-Nr. HRB 7742 Köln
UID-Nr. DE 122 777 305
Ersterscheinungstag als Monatszeitschrift: 26.1.1977
Mai/Juni 2014 EMMA
107
108_109_LeserInnenForum 09.04.14 18:44 Seite 108
Forum
Und die Nächstenliebe?
Pfarrerin Bertenrath (Foto mit Tochter Emma) vermisst
beim Thema Mitgefühl die Rolle der ChristInnen.
iebe EMMAS, ich bin seit 25 Jahren EMMA-Leserin und
arbeite genauso lange als Pfarrerin in der Evangelischen Kirche.
Ich bin dankbar für eure Stimme und euer Engagement. Die Kirche hat landauf, landab „schlechte Presse“. Es wird fast nur über
Kirche berichtet, wenn es Skandale aufzudecken gibt und dann
wird oft alles in einen Topf geworfen. An diese Berichterstattung
habe ich mich gewöhnt. Wie würden Christentum und Kirche
wohl in eurem Dossier „Öffne dein Herz. Ist Mitgefühl lernbar?“
Erwähnung finden? Und ich bin erschrocken darüber, dass „Mitgefühl“ gar nicht in Beziehung gesetzt wird zur (christlichen) „Nächstenliebe“. Es ist von „Gandhi“ die Rede, von „religiöser“ Motivation und „Theologen“ werden zitiert, „Meditation“ und „Stille“
werden erwähnt, „innere Wandlung“ und „Kontemplation“, die
„soziale Frage“ des 19. Jahrhunderts wird berührt – und die Kirchen tauchen dann immerhin 1958 mit der Gründung von „Miserior“ und 1959 mit der Aktion „Brot für die Welt“ in einem der
Beiträge auf. Mitgefühl, Ehrfurcht vor dem Leben, Wertschätzung
der Geschöpfe – diese Haltungen wurzeln in der jüdisch-christlichen Tradition, die unsere ganze Gesellschaft seit Jahrtausenden
prägt. Der Jude Jesus von Nazareth antwortet, als er gefragt wird,
L
was das höchste Gebot für den Menschen ist: „Du sollst den
Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele,
von allen Kräften und von ganzem Gemüt und du sollst deinen
Nächsten lieben, wie dich selbst.“ Dieses Gebot wird noch verschärft in der Bergpredigt: „Liebet eure Feinde und bittet für die,
die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.“ Die „Herzübung“, „positive Gefühle „auf Andere, Unbekannte oder sogar schwierige Personen zu übertragen“ ist seit biblischen Zeiten bekannt und wurde und wird von so vielen
Gläubigen seit Jahrtausenden praktiziert, geübt, gelehrt. Christinnen und Christen haben damit viel Gutes bewirkt und tun das bis
heute. Im Jahr 2017 jährt sich die Reformation zum 500. Mal. Der
Mönch Martin Luther hat mit seinem eigenständigen Denken und
mutigen Bekennen eine Lawine in Europa ausgelöst. Ich möchte
Euch Lust machen, einmal über die Evangelische Kirche zu berichten: Es gibt so viele Theologinnen und engagierte Christinnen,
interessante, weise, moderne, kämpferische Frauen, die Euch dazu
Gesprächspartnerinnen werden können!
ANTJE BERTENRATH, PFARRERIN, 49, HENNEF
Wir kämpfen weiter!
Irene und Ursula leben seit 30 Jahren in Tunesien. Ihre
Freude über die neue Verfassung ist nicht ungetrübt.
ir Frauen sind über die neue Verfassung erfreut, aber nicht
ganz so optimistisch, wie man es von Europa hört. Der
Kampf um jeden Artikel war hart. Es gibt noch viele Artikel,
die eine islamistische Interpretation erlauben. So wurde das
„Verbot von Gotteslästerung“ (atteinte au sacré) eingeführt, mit
dem hier schon Filme verboten (wie „Persepolis“) wurden,
Menschen verhaftet und Kunstausstellungen gestürmt. Und
sollten wir das Glück
haben, nach den Wahlen
eine demokratische Regierung zu bekommen, so
muss die erst einmal mit
den von den Islamisten in
drei Jahren geschaffenen
Fakten fertig werden: Die
Toleranz gegenüber salafistischen Terroristen hat es
möglich gemacht, dass sie
in ganz Tunesien Waffen-
W
lager angelegt und Ausbildungslager gegründet haben. Sie haben
viele Beamtenstellen mit ihren Anhängern besetzt (es ist die
Rede von 16 –18 000). Sie haben eine eigene Miliz geschaffen,
die sehr brutal vorgeht. Sie haben Organisationen zugelassen,
die im Sinne der Scharia agieren, wie etwa die „Gesellschaft
gegen das Laster und für die Tugend“, eine Art islamische Sittenpolizei. Es wäre naiv zu glauben, dass unsere Islamisten, die
den Muslimbrüdern nahe stehen, Demokraten geworden sind.
Der Druck Europas, dessen Kredite sie brauchen, ihre katastrophale Misswirtschaft, die Stärke der tunesischen Zivilgesellschaft, aber auch die prekäre Lage ihrer Brüder in den Nachbarländern haben sie zu einem taktischen Rückzug gezwungen.
Darum haben sie einer neutralen Regierung bis zu den Wahlen
zugestimmt. Demokratie ist für sie nur einer der Wege, um an
ihr Ziel zu kommen: Kalifat und Scharia. Unverhüllt hat dies
vor Jahren Erdogan ausgedrückt, als er in Deutschland war:
„Die Demokratie ist für uns der Zug, auf den wir aufspringen,
bis wir am Ziel sind, die Moscheen sind unsere Kasernen, die
Minarette unsere Gewehre.“ Wir glauben nicht an einen demokratischen Islamismus. Für uns Frauen in Tunesien ist der
Kampf gegen diese frauenfeindliche Ideologie noch lange nicht
zu Ende. URSULA, 65, UND IRENE, 68
108_109_LeserInnenForum 09.04.14 18:44 Seite 109
Schreibt uns – und schickt gleich ein Foto mit!
EMMA-Lesen in Dubai
Nadja arbeitet als Choreografin in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Eine ganz schöne Herausforderung.
ch bin eine „bunte kulturelle Mischung“, was meine Herkunft angeht. Mein Vater ist Ägypter, meine Mutter Österreicherin, allerdings ukrainisch/tschechischer Abstammung. Ich bin in Wien geboren und in Deutschland sowie Ägypten aufgewachsen, mein Vater
war ein sehr offener, toleranter Mann (Internist), der mir und meinem Bruder stets vermittelt hat: Unsere Religion ist zwar der Islam,
aber wir leben in Deutschland und dementsprechend passen wir
uns den Sitten an. Ich bin ihm sowie meiner Mutter ewig dankbar,
denn ich hatte eine sehr schöne Kindheit und in meinem Herzen
sind zwei Kulturen: die europäische wie die ägyptische. Auch meine
Verwandtschaft in Ägypten tolerierte die Entscheidung meiner
Eltern, und wir waren über all die Jahre sehr warmherzig in Kairo
empfangen worden. Mittlerweile, ich bin jetzt 43, lebe ich seit
sieben Jahren in Dubai und arbeite hier als freie Choreografin in
I
einer Männerdomäne. Mein
Weltbild, mein Männerbild,
meine gesamten Lebenseinstellungen werden hier aufs
Neue geprüft. Der Grund
,warum ich gerade jetzt
schreibe, ist, dass ich schlicht
und einfach nur „Danke“
sagen möchte. Denn dank
www.emma.de habe ich auch
hier die Möglichkeit, Ihre
interessanten Artikel weiterhin zu lesen (hier gibt es am
Kiosk eben leider kein Heft).
Gerade das Thema Frauen
im Islam beschäftigt mich
hier sehr und macht mich oft wütend. Umso mehr liebe ich Ihre
kritischen Artikel! NADJA ISSA, 43, CHOREOGRAFIN, DUBAI
PS: Liebe Nadja, wie wär’s mit einem (digitalen) EMMA-Abo?
Vorurteile? Weggefegt!
Kurve gekriegt?
Viola hat in ihrem Urlaub den „Lebenslauf“ von Alice Schwarzer in
einem einzigen Rutsch durchgelesen. Das hat Folgen …
Petra hat eine lesbische Tochter.
Was nicht immer akzeptiert wird.
iebe Alice Schwarzer! Noch vor wenigen Wochen hätte ich diesen Brief
nicht für möglich gehalten. Ich bin gern
Frau und habe bisher geglaubt, alles, was
mit Ihrem Namen verbunden werden
kann, ist das gebremste Ego von frustrierten Frauen … Heute schäme ich
mich solcher Oberflächlichkeit. Aber
immerhin habe ich dazugelernt! Überrascht war ich von ihrem „Lebenslauf“
schon nach wenigen Seiten. Das Buch
musste also mit in den Urlaub. Und da
war es dann Tagesprogramm, zum Leidwesen meiner Enkelin, der ich diesen
Urlaub versprochen hatte. Ich
hatte es nach vier
Tagen durch. Beeindruckt bin ich
von Ihrem Kampf
gegen Ungerechtigkeit, gegen Vorurteile, gegen Unbeweglichkeit und
gegen Dummheit.
Und noch etwas
hat mich bewegt: Ihre Frage nach dem
eigenen Werden. Diese Frage geistert
seit langem in meinem Kopf und Ihr
Buch hat mir Mut gemacht, mich endlich mal hinzusetzen und alles aufzuschreiben … Ich bin Jahrgang 1956, geboren und groß geworden in der DDR.
Mit 18 bat ich um Aufnahme in die
SED. Ich habe „an der Basis“ gekämpft
für ein gutes Leben, vor allem für meine
Kinder, die ich nahezu alleine großgezogen habe. Nichts, gar nichts wurde mir
geschenkt, trotz Parteibuch. Das war
immer nur ein Garant dafür, dass man
Erwartungen an mich gestellt hat. Mehr
nicht. Keine Vorteile, keine bevorzugte
Vergabe einer Wohnung, kein besonderes Gehalt … immer nur mehr Arbeit.
Und als ich kritisch wurde: Ermahnung,
Verweis, Parteiverfahren. Das ist auch
DDR-Geschichte. Ihr Lebenslauf hat
mich dazu animiert, bei ebay alte Ausgaben der EMMA zu kaufen und
EMMA zu abonnieren. Ich freue mich
gerade auf die erste Ausgabe.
ch bin Jahrgang 1959 und hätte niemals
gedacht, dass das heute noch nötig sein
würde, aber im Alltag gibt es unzählige Gelegenheiten, die Regenbogenfahne hochzuhalten: So beim Smalltalk mit meinem (Ex)Gynäkologen, wir kennen uns lange. Was machen
Ihre Kinder?, fragte er. Meine Großen (ich
habe einen Sohn und eine Tochter) haben
beide eine Liebste, erzählte ich. Da berichtete
er mir von der Tochter einer Bekannten, die
auch eine Freundin hatte. Die habe man erst
einmal „gelassen“ (!). Schließlich sei doch noch
„der Richtige“(!!) gekommen und sie „kriegte
die Kurve“(!!!). Mir fiel erst auf dem Nachhauseweg auf, was da eigentlich abgelaufen
war. Ich schrieb ihm ein flammendes Plädoyer
per Mail und appellierte an seine medizinische
und psychologische Verantwortung. Nicht
auszudenken, wenn sich ihm eine unsichere
junge Frau oder eine Mutter anvertraut!
Geantwortet hat er nie – und ich war auch nie
mehr bei ihm. Danke, dass ihr im letzten Heft
über SCHLAU (Schwul-Lesbische-Aufklärung) berichtet habt! Ein wunderbares Projekt – ebenso wie EMMA!
VIOLA WORSCH, 57, NESSE-APFELSTÄDT
PETRA GROSSE-STOLTENBERG, 54, HATTINGEN
L
I
Mai/Juni 2014 EMMA
109
110_112_LBriefe 09.04.14 18:46 Seite 110
Briefe
Die letzte EMMA: Mehr von diesen Heldinnen!
ein Mann hat
mir ein
EMMA-Abonnement zu Weihnachten geschenkt.
Sie hilft mir meine
Gedanken zu
strukturieren. Ich
bin 31 Jahre alt,
Mutter eines sechs Monate alten Buben und
zurzeit in Karenz. Dementsprechend sind
Themen wie Kinderbetreuung, Karriereunterbrechung, Muttersein etc. gerade hoch im
Kurs ... Kurz: Bin ein großer Fan Ihrer Zeitung und akquiriere zukünftige Leser – hier
unser Sohn Casper. ELEONORA TILLICH, 31
M
eldinnen wie Ellen Lohr oder Powerfrauen wie Barbara Schöneberger! Ich
wollte die EMMA gar nicht mehr aus der
Hand legen und bin zu spät ins Büro gekommen … ANGELIKA KLINGEL, STUTTGART
H
Mal wieder von
der EMMA vom
Putzen abgehalten
worden. ELKE K. FRITZ
EMMA ist für mich ein
Trost: Ich bin vielleicht
doch nicht so ganz allein.
MARIANNE V. GRAEVE-FREY,
FRANKFURT A.M.
n den meisten europäischen Länden gibt
es die „Pille danach“ bereits ohne großes
Tam-Tam. Dass man in Deutschland ein
Rezept dafür braucht, dient nur der Diskriminierung der Frauen. Eine Moralpredigt
gibt es dann von konservativ eingestellten
Frauenärzten gratis mit dazu.
KATRIN, 30, LONDON
I
ls „gelernte DDR Bürgerin“ empfinde ich
das Abtreibungstheater des Westens seit
der Vereinigung als Zumutung. Die DDR war
in dem Punkt Frauenfreiheit Lichtjahre voraus! ANDREA FERBER, 54, DESSAU/ROSSLAU
A
ch musste an einem Sonntag vier Stunden im Krankenhaus warten, weil
ich die „Pille danach“ brauchte. Ich war damals 19, das Kondom gerissen.
Eine Ärztin redete ganze zehn Minuten mit mir, in denen sie mich auf die
Risiken, die sowieso in der Packungsbeilage stehen, hinwies und unnötige
Fragen stellte: Ob der Mann, mit dem ich geschlafen hatte, mein fester
Partner sei? Wie das denn passieren konnte? usw. – Dinge, die sie einfach
nichts angehen und auch mit der Pille danach nichts zu tun hatten. Es war
offensichtlich, dass diese Frau fand, dass ich – Studentin der Biochemie –
sozusagen „zu blöd zum Verhüten“ sei. EVA KIESSLING, 21, WIESBADEN
ch miete mir gelegentlich einen
BMW, weil die Karre sich so
klasse fährt. Ich wünsche EMMARedakteurin Chantal Louis noch
viel Spaß mit dem Ding – aber bitte
nur so schnell, wie dein Schutzengel fliegen kann. MARTINA
BRAND, HAMBURG, 45
I
eine Frau und ich erleben hautnah und
sehr schmerzhaft, was es heißt, wenn
ein Kind missbraucht wurde. Unserem Sohn
wurde nach einer schrecklichen Adoleszenz
(Alkohol und Drogen, Depressionen) und
einem späteren Schlüsselerlebnis bewusst,
dass er von einem uns sehr nahe stehenden
Mann missbraucht wurde. Der Fall ist verjährt,
der Täter (übrigens ein
angesehener Pfarrer)
streitet alles ab und
droht gerichtlich mit
Verleumdungsklagen.
Unser Sohn konnte
glücklicherweise dank
Therapie in ein halbwegs „normales“ Leben finden. Bleibt dran
an Themen wie Missbrauch und Prostitution! Und danke für die immer wieder spannenden Geschichten, die so (fast) nirgends zu
lesen sind. ERNST FEURER, BIEL-BENKEN
M
I
anke für euren Schwerpunkt zu „Frauen und Autos“! Meiner hat hinten getönte Scheiben, Heckspoiler und Hutze auf der Motorhaube, einen fetten
(und lauten) Auspuff, verfügt über Turbolader und bringt’s auf über 200 PS. Als
Frau fällt man damit auf wie ein bunter Hund … Wenn frau am Steuer sitzt, den
Motor anlässt und Gas gibt, dann gibt’s nichts Besseres auf der Welt. Ein
schlechtes Gewissen habe ich nicht, auch wenn die Kutsche 10 Liter auf 100
km säuft. Meine letzte Flugreise ist fünf Jahre her und ich hab nicht vor, die
nächsten paar Jahre in einen Flieger zu steigen. REGULA WINZELER
D
110_112_LBriefe 09.04.14 18:46 Seite 111
WERBER & Frauen
Überraschung! Werbung muss nicht immer
sexistisch sein. Wir wollen mehr davon!
mega out
Game of Thrones: Nach Luft geschnappt
anke für den tollen Beitrag über diese außergewöhnliche Frauenfigur. Sie ist ein Vorbild,
stellt traditionelle Rollenbilder auf den Kopf. Ich
musste auch nach Luft schnappen, als sie das
erste Mal zu sehen war und nach einem gewonnenen Kampf den Helm abnahm. Wow! Ich wollte
schon als Kind lieber Ritter(in) als Prinzessin sein
und jetzt lerne ich gerade mittelalterliche Kampftechniken, inklusive Schwertkampf. Habe viel
Spaß daran, kleine Mädchen, die Ritter/in spielen
wollen, zu ermutigen und ihnen zu sagen, dass
Frauen starke und mutige Kämpferinnen sind.
Mädels, traut Euch!
BETTINA KNAAK, 51, KÖLN
D
HWG, das ist die Hattinger Wohnungsbau Genossenschaft ([email protected]). HWG, das ist – in
der Amtssprache – auch der „häufig wechselnde Geschlechtsverkehr“, also Prostitution. Passt.
Nicht nur EMMA-Leser Elmar Patzig findet:
Ein Fall für den Werberat.
mega out
ame of Thrones“ ist für mich ein weiteres und
extremes Beispiel dafür, wie Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau in „stereotyper“
Weise vermittelt werden. In diesem Fall unter dem
Deckmantel der Phantasie/Saga – oder schlicht
mittelalterlicher Gesellschaftsordnung – der wir
(meiner Ansicht nach zum Glück) nicht mehr ausgesetzt sind. SARAH-KIM WELLER, STUTTGART
G
as wundert mich nun schon,
bei euch von Feminismus in
„Game of Thrones“ zu lesen –
die Gesamtgesellschaft dieser
Fantasywelt ist doch eher als
frauenfeindlich zu bezeichnen,
trotz weniger Ausnahmen wie
Brienne oder Arya. JANINA DILLIG
D
ch habe nur ein paar Folgen der TV-Serie gesehen, aber
gerne die Buchreihe gelesen. Sie enthält tatsächlich einige großartige weibliche Charaktere, (Brienne, Dany und insbesondere Arya: absolut großartig!) Die Bücher spiegeln aber
auch ein ziemlich gruseliges Frauenbild. So wird Vergewaltigung als völlig harmlose Sache dargestellt, die Frauen eigentlich kaum etwas ausmacht. Und überhaupt scheinen Frauen
in „Game of Thrones“ alle total darauf zu stehen, Schmerzen
zu haben. LISA SCHARNBACHER, 21, TÜBINGEN
I
ch schreibe gerade eine Dissertation über
Gender im Fantasy-Roman und muss der
Aussage, dass Frauen in „Herr der Ringe“
„stumme namenlose Requisiten“ seien,
widersprechen. Regisseur Jackson erfindet
sogar Frauenfiguren, wie jüngst die Elbenkriegerin Tauriel im „Hobbit“. Kompliment für
den „Game of Thrones“-Artikel. Dracarys!
ISABEL BUSCH, 30, BONN
So wirbt der freie Radiosender BOB in Hessen
([email protected]). Wir würden sagen: Flop,
bzw. Flobb auf hessisch. Einfach nur gestrig.
mega in
I
Auch mal schön: Samsung setzt auf weibliche
Rolemodels und ihren Nachwuchs.
110_112_LBriefe 09.04.14 18:46 Seite 112
Briefe
Die EMMAs in eigener Sache
allo, gerne möchte ich mich eurer Solidaritätsbekundung anschließen. Ich bin eine,
die Anfang der 80iger Jahre im EMMA-Team
und zwar in der Verwaltung/Finanzen mitgearbeitet hat. Mit Alice als Chefin und Herausgeberin habe ich gerne gearbeitet und ihre Fachkompetenz und Präsenz im Team sehr
geschätzt. Aufgehört habe ich, weil es mich damals verlockte, noch einmal in die Selbstständigkeit zu gehen und ein Frauenbildungshaus
aufzubauen. Doch habe ich die Jahre in der
EMMA in bester Erinnerung. Mit schwesterlichen Grüßen, HEIDE STOLL
H
Alice Schwarzer hatte Anfang des Jahres Steuerprobleme – das ist ihre Privatsache. Wie jedoch die Medien damit umgegangen sind – das ist ein Politikum.
Wir haben uns zu diesem Politikum in der letzten Ausgabe verhalten – und sehr,
sehr viel Zustimmung bekommen. Hier eine Auswahl.
Es gab 2013 etwa 26 000 Selbstanzeigen für
Steuerhinterziehung. Aber es gibt nur wenige, die für Blome von „öffentlichem Interesse“ sind. Das eigentliche „Interesse“ sind
doch Schlagzeilen und Umsatzzahlen der
Medien (wie Spiegel). GRIT ZILLA
ie vielen Angriffe gegen Alice Schwarzer sind nicht neu. Diese Reaktion gibt
es ja schon seit über 30 Jahren; auch die
Masche, Frauen gegeneinander auszuspielen oder dazu zu benutzen, ist alt. Da könnte
ich auch Beispiele aus 40 Jahren SPD beisteuern. GODULA HEPPER, CELLE
D
uper geschrieben von den EMMAs – und vor allem: ambivalenzfähig!
Wer Frauen niedermachen muss, um sich stark zu fühlen, meint
jetzt bei Alice die Berechtigung dazu gefunden zu haben, weil er oder sie
weder nachdenkt, noch differenziert. Aber eben: Wenn Hähne krähen
und Hühner gackern müssen, finden sie jeden Miststock passend.
VRONI BAMERT, FRIBOURG/WINTERTHUR
S
iebe EMMAs, ich danke euch für eure
Hausmitteilung! Und möchte am liebsten
von Herzen unterschreiben. Kraft, Mut und
Humor für euch alle. Ich verdanke Alice und
eurer Arbeit so viel! UTE WEIGT,
LESERIN SEIT URZEITEN, BERLIN
L
iebe EMMAs! Das nenne ich Haltung:
fair, aufrecht und ehrlich. Eure Erlebnisse aus nächster Nähe decken sich mit
meinen Eindrücken aus der Ferne. Danke!
SILKE HILLEBRECHT
L
iebe EMMAs, ich finde euer Statement in der letzten EMMA-Ausgabe einfach toll. Die
notwendigen Differenzierungen sind in den Medien nämlich viel zu kurz gekommen.
RUTH STUTZENBERGER
o viel Geld im Spiel ist, gibt es viele Feiniebe Alice, hättest du doch das Geld
de. Im Prostitutionsgeschäft in Deutschgenommen und dir auf einer Südseeinsel
land werden gemäß Bundeszentrale für politiein schönes Leben gemacht. Und Danke,
sche Bildung 14,5 Milliarden Euro umgesetzt.
dass du‘s nicht getan hast!
Mehr als 90 Prozent des Gewinns fließt in die
IRINA BAUMGARTNER
Taschen von Männern. Ich persönlich halte es
nicht für Zufall, dass gerade jetzt, da Alice
allo Mädels, ich freue mich sehr über
Schwarzer und EMMA, die Kampagne „Prostiden Brief an EMMA-LeserInnen von
tution abschaffen“ gestartet haben (und auch
euch und würde gerne unterschreiben. Wir
noch sehr viel Unterstützung erfahren) ihre
sind alle Menschen und machen gelegentlich
Steuerhinterziehung und ihre finanzielle SituaFehler! Wie sagen meine amerikanischen
tion Thema werden. Ich finde es nicht gut, dass
Kollegen: She is a good
Alice Schwarzer Geld am Fiskus vorbei in die
person – but made one
Schweiz geschafft hat, aber sie ist in Gesellbad choice! INGRID
schaft von rund 30 000 Selbstanzeigern der
BOEHM, SCHOPP (BEI
letzten zwei Jahre, von denen wir keine Namen
KAISERSLAUTERN)
kennen. BARBARA ROTH
L
L
H
W
ines ist klar: Wären Alice
oder Margot Kässmann
männlichen Geschlechts,
wären wohl beide Fälle nicht
mit so viel Genuss von überwiegend männlichen Füßen
(und leider auch etlichen
weiblichen) breit getreten
worden. Wie viel Neid hinter
solchen Hetzkampagnen
steckt, ist unfassbar. Ohne
Alice stünde ich nicht da, wo
ich heute stehe: Sie hat mich
viel gelehrt: u.a. zu hinterfragen, mutig zu mir zu stehen,
unbequem zu sein. Lasst
Euch nicht beirren! MONICA
WEISPFENNIG-BUCHFELD,
65, GUMMERSBACH
E
iebe Alice Schwarzer, wenn ich mir den
„Shitstorm“ gegen Sie im Internet durchlese, wird mir angst und bange! An der Wortwahl, dem Stil und den Inhalten erkennt man
deutlich, wieviel „Macho“-Ressentiments sich
gegen Sie aufgestaut haben. Ich fühle mich
zurückgeworfen ins finstere Mittelalter. Denn
es ist ja völlig klar, dass es nicht um die Steuersache geht. Ich
möchte Ihnen Mut
und Kraft zusprechen, diese öffentliche und unzulässige Demütigung
unbeschadet, ja
sogar gestärkt zu
überstehen. Natürlich ist es kein Zufall, dass gerade zu diesem
Zeitpunkt das Spießrutenlaufen beginnt. Glauben Sie mir bitte: Durch diesen Medienrummel haben sie weitaus mehr SympathisantInnen gewonnen als Gegner.
SUSANNE KOSLOWSKI, HAMBURG
L
Alice, bitte bleib am Ball.
Wir Frauen brauchen Dich!
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Telefon, Geburtsdatum
PLZ, Ort
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12 €
114_Presse 09.04.14 18:48 Seite 114
Die lieben KollegInnen
Mal wieder viel Dämliches von den Damen – und dafür was Kluges von einem Herrn. So ist das Leben, Schwestern.
Alice Schwarzer, du hast recht.
Verbieten wir die Prostitution.
Diese Frauen führen kein Leben,
in ein paar Monaten altern sie
um Jahre. Magazin des Zürcher
Tages-Anzeiger, Noémi Kiss
„Prostitution war lange kein
Thema, wird es aber wieder“,
sagt Yvette Karo, von (der Beratungsstelle) Wendepunkt Elmshorn. Kampagnen wie der Appell gegen Prostitution der
Zeitschrift EMMA sorgen dafür.
In einer Petition wird die
Bundesregierung aufgefordert,
das Prostitutionsgesetz zu ändern, um Freier ächten und
bestrafen zu können. Auch präventive Maßnahmen und Aufklärungsarbeit sollen gefördert
und den Frauen der Ausstieg
aus der Prostitution erleichtert
werden. Die Chancen, dass sich
etwas ändert, stehen nicht
schlecht. Hamburger Abendblatt, Anne Dewitz
Die Sperrbezirksverordnung ist
eine von mehreren Maßnahmen
„zur Eindämmung der Prostitution“, die das saarländische Kabinett kürzlich beschlossen hat.
In der Landeshauptstadt wird
die Straßenprostitution nur
noch nachts erlaubt sein und
nur noch auf bestimmten Straßenabschnitten. Die SPD-Oberbürgermeisterin Charlotte Britz
unterstützt die neue Regelung.
In ihren Augen ist die Straßenprostitution „brutal und entwürdigend“. Deswegen hat sie
auch vergangenes Jahr den Appell von Alice Schwarzer gegen
Prostitution unterschrieben – so
wie die Ministerpräsidentin des
Saarlandes, Annegret KrampKarrenbauer von der CDU.
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung, Sonja Süß
Vor dem Hamburger Landgericht klagt die Porsche AG seit
November des vergangenen
Jahres gegen eine Begleitagentur, und zwar wegen ihres
Namens. Bundesweit vermittelt
114
EMMA Mai/Juni 2014
sie Frauen für romantische und
erotische Stunden – unter dem
gleichen Namen, den auch der
Geländewagen des Automobilkonzerns trägt: Cayenne. Porsche sieht darin seine Markenrechte beschädigt und fürchtet
um seinen guten Ruf – auch,
weil sich der Konzern einer
Aktion von Alice Schwarzer zur
Abschaffung der Prostitution
anschließen wolle. Süddeutsche Zeitung, Ines Alwardt
„Die sexuelle Revolution, die
große Liberalisierung schuf
überhaupt erst die Bedingungen dafür, dass plötzlich alles
möglich war, was vorher nicht
ging. Wenn man so will, haben
wir es nach der Studentenrevolte mit einem ungezügelten
Markt zu tun, auf dem sich jeder
mit jeglicher Neigung tummeln
konnte“, sagt der Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt.
„Die Anfänge waren gewissermaßen neoliberal. Erst später
haben wir gemerkt, dass auch
ein solcher Markt Regeln
braucht.“ Das Verdienst dafür
gebührt der Frauenbewegung,
in Deutschland nicht zuletzt
Alice Schwarzer. Ihre Zeitschrift
EMMA machte zum Thema,
dass kleine Mädchen in großer
Zahl von ihren Vätern, Stiefvätern oder Onkeln zu sexuellen
Handlungen genötigt wurden.
Die Missbrauchsdebatte begann.
Stern, Hans-Hermann Klare
Frage: Warum haben Sie damals so eisern zu den Vorwürfen geschwiegen? Rainer Brüderle: Ich bin heute noch
überzeugt, dass ich die politische Debatte anders nicht
überstanden hätte. Da kommen
Sie mit der Wahrheit nicht weiter, wenn Frauenrechtlerinnen
wie Alice Schwarzer im Kampfmodus sind.
Interview mit Rainer Brüderle,
FDP, im Handelsblatt
Anm.d.Red.: Alice Schwarzer hat
sich noch nie zu Herrn Brüderle
persönlich geäußert.
Wo bleibt die Fairness, wenn
permanent die Frauenquote für
Führungspositionen eingefordert wird, das Geschrei bei der
Gleichberechtigung jeglicher
unangenehmer Aufgabenerfüllung jedoch vollständig ausbleibt? Als Alice Schwarzer vor
vielen Jahren diesen Geschlechter-Irrsinn begann und
den Frauen permanent einredete, was sie doch für bemitleidenswerte Opfer seien, die sich
unbedingt gegen die verachtenswerte Männerbrut zu wehren
haben, so war das schon damals
eine peinliche Angelegenheit.
Wirtschaftswoche,
Susanne Kablitz
Wer sich heute darüber aufregt, dass in Deutschland nur
Alice Schwarzer aus der Zeit
übrig blieb, sollte fragen, was
mit den anderen passiert ist.
Alice Schwarzer ist ein feministischer Haudegen, durchsetzungsstark, eigensinnig. Deswegen wurde sie so prominent.
Beim „Survival of the fittest“
blieb sie als Einzige übrig.
FAZ, Katrin Rönicke
Die ZK-Feministin. Wenn es
Alice Schwarzer nicht schon
gäbe, sagen böse Zungen,
hätte man sie erfinden müssen, um den Feminismus in
Verruf zu bringen. Mit ihren
Stoppschildern markiert sie
das politische Gelände, ex cathedra und kraft selbstverständlicher Deutungshoheit.
Sie verabscheut das Kopftuch
und steckt die einheimischen
Frauen gleichzeitig in Soldatenmontur, als sei das der Gipfel der Gleichberechtigung.
Richtig unbeliebt gemacht hat
sie sich zuletzt bei den Huren,
denen sie vorschreiben wollte,
wie sie zu leben und sich zu
fühlen haben. Gäbe es ein ZK
des Feminismus, würde sie den
Vorsitz beanspruchen. So bleibt
es bei der selbst ernannten
Päpstin.
Der Freitag, Ulrike Baureithel
Feministin sein, das wollen
junge Frauen heute garantiert
nicht. Feminismus ist in etwa
so angesagt wie Markus Lanz
oder Wanderschuhe. Die Alleinschuld daran wird gerne und
oft Alice Schwarzer zugeschoben, doch damit macht man es
sich zu einfach: Feministinnen
waren noch nie angesehene
Mitglieder der Gesellschaft.
Vorwärts, Julia Korbik
Mit dem Feminismus ist es ja
immer so eine Sache: Moderne
Frauen verdanken ihm Emanzipation, Gleichberechtigung und
den Minirock. Trotzdem haftet
der von Hedwig Dohm, Simone
de Beauvoir und Alice Schwarzer geprägten Bewegung häufig ein negatives Image an –
und das nicht nur bei Männern.
Berliner Morgenpost,
Antje Hildebrandt
Was haben der Feminismus
nach Alice Schwarzer und die
Bundeswehr gemeinsam? Mal
abgesehen davon, dass bei
beiden kaum noch jemand mitmachen will, haben sowohl
Schwarzer als auch die Truppe
ein akutes Problem mit ihrem
Frauenbild. Rheinische Post,
Dagmar Rosenfeld (Ehefrau
von FDP-Lindner)
1978 war Alice Schwarzer die
erste Feministin, die sich als
„bekennende Pazifistin“ uneingeschränkt für Frauen in der
Bundeswehr aussprach. Denn
Frauen dürften nicht aufgrund
ihrer Natur aus gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen werden; sie müssten zumindest freiwillig Nein zum Dienst
am Vaterland sagen dürfen.
Nach 23 Jahren wurde ihr Argument vom Europäischen Gerichtshof bestätigt. EMMA feiert
es als grandiosen Sieg, dass das
letzte Berufsverbot für Frauen
gefallen sei. „Endlich“ werde
„auch in Deutschland Frauen
der Dienst an der Waffe erlaubt“.
konkret, Kendra Briken
115_Vorschau 09.04.14 18:49 Seite 115
Die EMMA
26.6.2014
Gesundheit Wir wissen es schon länger: Frauen sind anders krank bzw. gesund als
Männer. Die Gründe.
Die Rosa/Hellblau-Falle Eine Mutter und ein Vater
von drei Kindern warnen.
Pazifistinnen
im 1. Weltkrieg Es waren fast ausschließlich Frauen(rechtlerinnen) für den Frieden.
Schurkenstaat Saudi-Arabien
Warum marschiert der Westen da eigentlich nicht ein?
Graphic Novels Frauen erzählen das Leben in Bildern. Moreau &
Faithfull Eine Begegnung der anderen Art. Die Pferdefrau Bei Petra
Teegen kriegen sie alle ein Gnadenbrot.
Der Unterstrich und das Sternchen:
Linguistin Luise Pusch sagt endlich, warum das alles Quatsch ist!
Marianne Faithfull
und Jeanne Moreau
im traulichen Gespräch.
116_EMMA_Jahrespaket_2013 14.02.14 17:00 Seite 116
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