Frauen in Handwerk und Technik

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Frauen in Handwerk und Technik
Frauen in
Handwerk und
Technik
10 FRAUEN
ERZÄHLEN
VON IHREN
ERFAHRUNGEN
Das FiT Programm
IMPRESSUM
MedieninhaberIn und HerausgeberIn:
Arbeitsmarktservice Österreich
Treustraße 35 – 43
1200 Wien
Interviews und Text:
Dr.in Susanne Feigl
Fotos:
Dr.in Susanne Feigl
Kompetenzzentrum Holz GmbH (S. 22 und 23)
Grafische Gestaltung:
Lisi Breuss
Druck:
Ferdinand Berger & Söhne, 3580 Horn
Dezember 2011
Frauen in
Handwerk und
Technik
10 FRAUEN
ERZÄHLEN
VON IHREN
ERFAHRUNGEN
Das FiT Programm
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Liebe Leserinnen!
Mit dieser Broschüre wollen wir 10 erfolgreiche Beispiele aus dem AMS Programm FiT – Frauen in Handwerk und Technik – vorstellen.
Seit 6 Jahren wird das Programm in ganz Österreich durchgeführt und mehr als 3300 Frauen haben
inzwischen eine handwerklich-technische Ausbildung erhalten: Die Frauen machten eine Lehre, besuchten
eine berufsbildende Schule oder auch eine Fachhochschule.
Das AMS unterstützt diese Ausbildungen, weil sich noch immer zu wenige Frauen eine handwerklichtechnische Ausbildung zutrauen und damit auch Chancen vergeben. Arbeitsstellen in diesem Bereich
zeichnen sich nämlich durch höhere Löhne und bessere Aufstiegsmöglichkeiten aus und können somit
dazu beitragen, dass sich die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt verbessert.
Die vorgestellten Frauen haben den Schritt in technisch-handwerkliche Tätigkeitsbereiche bereits gemacht
und berichten über ihre Arbeit und ihren Erfahrungen. Ergänzt werden diese Ausführungen von kurzen
Gesprächen mit Personen, welche die Frauen während ihrer Ausbildung beispielsweise als Ausbildungsleiter oder Firmenchef begleitet haben.
Wir möchten mit dieser Broschüre noch mehr Frauen dazu ermuntern, den Schritt in ein neues Berufsfeld
zu wagen. Das AMS wird sie bestmöglichst dabei unterstützen.
Eva Egger & Margot Puck
AMS Österreich, Abteilung Arbeitsmarktpolitik für Frauen
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
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Inhalt
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Das FiT-Programm des AMS
Silvia Breiml, Lehrausbildung Karosseriebautechnik:
„Muskelkater haben die männlichen Lehrlinge anfangs auch“
6
Barbara Tresky, Uhrmachermeisterin:
„Uhren sind inzwischen meine Leidenschaft“10
Georgina Bezuh, Zerspanungstechnikerin:
„Wenn ich was schaffen will, schaffe ich es auch“14
Tanja Scheil, Bautechnische Zeichnerin:
„Mein Leben hat sich von Grund auf geändert“18
Romana Welser, Chemielabortechnikerin:
„Im Moment bin ich sehr zufrieden“22
Eveline Prochaska, Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation:
„Für einen Neustart braucht es sehr viel Eigeninitiative“ 25
Sandra Schmid, Mechatronikerin:
„Mir gefällt es, wenn ich körperlich arbeiten kann. Ich mag das“
30
Anita Wechselberger, Kraftfahrzeugtechnikerin:
Als erste Frau in der Werkstatt34
Nuray Isik, Speditionskauffrau:
„Ich bin froh, dass mir diese Chance geboten wurde“38
Nina Klaus, Maschinenfertigungstechnikerin:
„Es geht auch mit Kindern“42
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
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Das FiT-Programm des AMS
2006 startete das Arbeitsmarktservice (AMS) das Programm „Frauen in Handwerk und
Technik“ (FiT). In den Jahren 2006 bis 2010 schlossen bereits mehr als 3.300 Frauen im
Rahmen des FiT-Programms eine handwerkliche oder technische Ausbildung ab.
Das Ziel des Programms
Ziel dieses Programms ist es, Frauen zu ermutigen, handwerkliche oder technische Berufe zu ergreifen und
sie dabei zu unterstützen. Denn handwerkliche und technische Berufe bieten gute Verdienstmöglichkeiten
und auch in Zukunft die Chance auf einen sicheren Arbeitsplatz (Stichwort: Fachkräftemangel).
-
Die Benachteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat zwei Gründe:
Die Berufswahl. Allzu viele Frauen entscheiden sich, einen der traditionellen Frauenberufe zu
ergreifen (z.B. Friseurin, Bürokauffrau, Tätigkeiten im Handel und im Gastgewerbe). Traditionelle Frauenberufe aber sind häufig schlecht bezahlt und bieten selten Aufstiegschancen.
-
Die Tatsache, dass zumeist die Mütter für die Betreuung von Kindern zuständig sind, und es mitunter
schwierig ist, dies mit einer Vollzeitarbeit zu vereinbaren.
Die Folge davon sind gravierende Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern.
Wer kommt für eine Teilnahme in Frage?
Zielgruppe des FiT-Programms sind alle beim AMS als arbeitsuchend vorgemerkten Frauen, die Interesse
an einer handwerklichen oder technischen Ausbildung haben.
Das FiT-Programm im Detail
Berufsorientierung
Der Besuch eines Berufsorientierungskurses vermittelt einen umfassenden Überblick über die Vielzahl an
handwerklichen und technischen Berufen und erweitert damit die beruflichen Perspektiven der Teilnehmerinnen. Die Berufsorientierungskurse werden im Auftrag des AMS von verschiedenen Bildungseinrichtungen
durchgeführt (z.B. abz*austria, bfi, WIFI)
Technische Vorqualifizierung
Bei Interesse für einen handwerklichen oder technischen Beruf erhalten die Teilnehmerinnen eine Basisqualifizierung in jenen Bereichen, die sie später in der Ausbildung und im Beruf benötigen (z.B. Mathematik,
EDV, technisches Englisch). Schnuppertage oder aber ein zwei bis vier Wochen dauerndes Praktikum in
einem einschlägigen handwerklichen oder technischen Betrieb sollen die endgültige Entscheidungsfindung
erleichtern. Die technische Vorqualifizierung wird so wie die Berufsorientierung im Auftrag des AMS von
verschiedenen Bildungseinrichtungen durchgeführt und durch die Möglichkeit eines Praktikums auf
betrieblicher Ebene ergänzt.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
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Berufsausbildung
Das FiT-Programm ermöglicht eine Ausbildung im handwerklichen oder technischen Bereich, die mit einem
Lehrabschluss oder einem vergleichbaren schulischen Abschluss endet. Gefördert wird die Ausbildung
von Frauen in handwerklichen und technischen Berufen, in denen der Frauenanteil an den Lehrlingen oder
an den Studierenden unter 40 Prozent liegt. Unter Umständen ist auch eine Ausbildung an einer naturwissenschaftlich-technischen Fachhochschule, an einer Höheren technischen Lehranstalt (HTL) oder einem
technischen Kolleg möglich. Die Lehrausbildungen können direkt in einem Betrieb stattfinden oder in Ausbildungseinrichtungen. Facharbeiterinnen-Intensiv-Ausbildungen finden meist in Ausbildungszentren statt.
Und die Kosten?
Die gesamten Kosten für Berufsorientierung, Berufsvorbereitung und Berufsausbildung übernimmt das
AMS. Für die Dauer der Teilnahme am FiT-Programm beziehen Frauen ihr Arbeitslosengeld weiter oder
eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts.
Was tun im Falle von Problemen?
Beginnend von der Berufsorientierungsphase bis zum Abschluss der Berufsausbildung steht den Teilnehmerinnen am FiT-Programm eine kompetente Beraterin zur Seite. Mit ihr können mögliche familiäre Belastungen, Probleme in Zusammenhang mit der Organisation und Finanzierung der Kinderbetreuung, Lernschwierigkeiten und Konflikte mit KollegInnen besprochen werden.
Nähere Informationen Persönliche Beratung erhalten Sie in der für Ihren Wohnort zuständigen
Regionalen Geschäftsstelle des AMS
Allgemeine Informationen erhalten Sie unter folgenden Internetadressen:
www.ams.at/frauen
www.ams.at/fit
www.fit-gehaltsrechner.at
www.berufskompass.at
www.ams.at/qualibarometer
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Silvia Breiml (Jahrgang 1976)
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Lehrausbildung zur Karosseriebautechnikerin
„Muskelkater haben die männlichen Lehrlinge anfangs auch“
hören, sonst würde es immer schlimmer, und schrieb
ihr auch ein entsprechendes Attest. Daraufhin konnte
sie über das Berufliche Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) einen Kurs zur Umschulung
machen. Sie konnte sich zwischen kaufmännischen
und technischen Berufen entscheiden, entschied sich
für die technischen und machte im Rahmen dieser
Umschulung ein Praktikum in einer großen Firma,
und zwar im Metallbereich. Dort lernte sie die Tätigkeit des Drehers bzw. der Dreherin ein wenig kennen.
Gleichzeitig aber war klar, dass die Firma im Moment
niemanden aufnimmt, weil sie genug Personal hat.
„Dann war der Kurs aus und ich hatte noch immer
keinen Job.“
In dieser Situation entdeckte sie die
An Autos war Silvia Breiml immer schon interessiert.
AMS-Broschüre „Frauen mit Zukunft“
und fragte ihre AMS-Beraterin, ob
„Ich brauche den Kontakt mit Leuten. Allein in einem
das FiT-Programm nicht auch für
Büro zu sitzen, wäre nichts für mich.“ Silvia Breiml,
sie was wäre. Das bedurfte erst der Klärung. „Aber
eine vor Vitalität sprühende fröhliche junge Frau,
nachdem ich eher hartnäckig bin, konnte ich dann
wohnhaft in Klagenfurt, weiß, was sie will, und sie hat
bei dem Auswahlverfahren mitmachen. Das fand in
dieses Bedürfnis in ihrem Berufsleben auch immer
Villach statt. Von den 50 Bewerberinnen wurden 15
berücksichtigt. Ursprünglich machte sie im elter-
bis 20 ins Programm aufgenommen.“ Silvia Breiml
lichen Betrieb die Lehrausbildung zur Kellnerin. „Mit
war eine davon.
FiT-Programm
Lehrabschluss und allem Drum und Dran.“ Danach
arbeitete sie jahrelang im Gastgewerbe, zwischen-
Anschließend besuchte sie den Berufsorientierungs-
durch auch im Handel. Von ihrer letzten Arbeitsstelle
kurs in Villach, wobei für sie schon klar war, welche
im Gastgewerbe wurde sie gekündigt. Der Grund?
Ausbildung sie machen wollte – Karosseriebau-
„Am Neuen Platz in Klagenfurt war eine Zeitlang eine
technik. „Ich habe mich immer schon für Autos inter-
Großbaustelle, und der Umsatz in dem Lokal, in dem
essiert. Und wenn es möglich war, habe ich Kleinig-
ich gearbeitet habe, ging rapide zurück.“ Etwa zur
keiten bei meinen Autos selbst repariert.“ Um einen
gleichen Zeit waren ihre Probleme mit der Schulter
Praktikumsplatz müssen sich die Teilnehmerinnen des
immer ärger geworden. „Ich habe mitunter nicht
Berufsorientierungskurses selber kümmern.
einmal einen Glasteller aufheben können, solche
Silvia Breiml fand zwei Betriebe, absolvierte die
Schmerzen hab ich gehabt.“ Silvia Breiml ging zum
Praktika, wurde aber von jedem Betrieb „hinaus-
Arzt und ließ sich untersuchen. Der Arzt sagte ihr, es
getröstet“, wie sie sagt. Immer hieß es: „Im Moment
sei an der Zeit, mit der Arbeit im Gastgewerbe aufzu-
brauchen wir niemanden, aber vielleicht in einem
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
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halben Jahr.“ Das heißt, Lehrstelle in dem von ihr
Seit dieser „Schnupperwoche“ ist sie durchgehend
angestrebten Beruf hatte sie keine. „Das war nicht
in der Firma Waldemeier beschäftigt. Zum Zeitpunkt
sehr aufbauend. Ich habe mich damals noch einmal
des Interviews hat sie das zweite Lehrjahr nahezu
mit meiner AMS-Beraterin, einer Vertreterin der
beendet.
Kärntner Arbeitsstiftungen und meiner Kursleiterin
und in Klagenfurt Umgebung ausgedruckt und habe
„Es ist ein Vorteil, wenn man nicht mehr
blutjung ist
“
die Betriebe einfach aufgesucht. Ich bin in sämtliche
Silvia Breiml ist die einzige Frau in der Werkstatt. Mit
Betriebe, auch jene, von denen ich schon telefonisch
den Kollegen hat sie überhaupt keine Probleme. „Es
Absagen gekriegt habe, persönlich hingefahren und
gibt keine blöden Sprüche, gar nichts, im Gegenteil.
habe nach einer Lehrstelle gefragt. Da habe ich
Wahrscheinlich ist es ein Vorteil, wenn man selber
gemerkt, wie wichtig der persönliche Kontakt ist.“
nicht mehr blutjung ist und ein gewisses Durchset-
beraten. Und dann habe ich mir aus dem Internet
eine Liste mit allen Karosseriebetrieben in Klagenfurt
zungsvermögen hat.“ Die Zusammenarbeit mit den
Auf diese Weise kam sie auch zur Firma Waldemeier,
Kollegen funktioniert bestens. Wenn sie Unterstüt-
von der sie zuvor bereits eine telefonische Absage
zung braucht, kriegt sie diese. „Die Firma ist wie eine
erhalten hatte. „Ich bin ins Büro gegangen, hab
große Familie. Da geht alles Hand in Hand. So wie es
gefragt, ob der Chef oder die Chefin da ist. Der Chef,
eigentlich sein sollte.“ Silvia Breiml strahlt, wenn sie
Wolfgang Waldemeier, war da. Ich hab ihn gefragt
von ihrer Arbeit erzählt.
wegen eines Praktikums in Hinblick auf eine Lehrstelle. Er war damit einverstanden. Ich habe mir
Auch in der Berufsschule gibt es keine Probleme.
gedacht, ich mache zuerst eine Woche Praktikum.
„Die Mitschüler fragen mich eher, ob ich ihnen helfen
Das ist auch für den Betrieb eine gewisse Sicher-
kann.“ Manche KundInnen, so Silvia Breimls Erfah-
heit. Damit sieht der Chef, wie ich mich anstelle, und
rung, schauen zwar erst einmal, wenn sie eine Frau
ich sehe, wie ich mit den Leuten zurechtkomme. Wir
in der Werkstatt sehen, aber es gibt keine negativen
haben also vereinbart, dass ich eine Woche Prakti-
Reaktionen. Auch die Reaktionen der Familie und des
kum mache und wir uns am letzten Tag der Woche
Freundeskreises auf ihre Berufsentscheidung waren
nochmals zusammensetzen. Am Mittwoch kommt der
positiv. „Eigentlich haben mir alle dazu gratuliert. Sie
Chef vorbei, ich frage ihn, ob er am Freitag da sein
sagten: Wenn du das machen willst, mach es, bitte.“
wird. Er bejaht und fragt, wie es mir gefällt. Ich sage:
Mir gefällt es super. Mit den Leuten komme ich auch
Das Arbeitsgebiet der KarosseriebautechnikerInnen
spitze aus. Sagt er: Passt. Ich sage: Reden wir am
Das Arbeitsgebiet der KarosseriebautechnikerInnen ist vor
Freitag weiter. Darauf antwortet er nicht, macht zwei
allem die Wartung und Reparatur der Karosserien von Kraft-
Schritte weg von mir, dreht sich dann um und teilt mir
fahrzeugen (der Motor hingegen gehört zu den Arbeitsge-
mit, dass er mich ab Montag als Lehrling beschäftigen
bieten von Kfz-TechnikerInnen). Dazu gehört das Montieren
wird. Ich hab gar nicht gewusst, was ich sagen soll.
und Demontieren von Fahrzeugteilen, das Ausrichten defor-
Ich hab nur ein ‚Okay’ herausgebracht.“ Silvia Breiml
mierter Blechteile, der Oberflächenschutz durch Hohlraum-
war total überrascht, positiv versteht sich. Denn
versiegelung sowie das Kitten, Lackieren und Schleifen. In
insgeheim hatte sie befürchtet, es würde ihr in der
diesem Zusammenhang sind verschiedenste Materialien –
Firma Waldemeier so ergehen wie in den anderen
nicht nur Metall, sondern auch Kunststoff oder Glas – mit
Firmen.
den entsprechenden Verfahren zu bearbeiten.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Silvia Breiml (Jahrgang 1976)
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Lehrausbildung zur Karosseriebautechnikerin
„In den typischen Frauenberufen ist von
körperlicher Belastung nie die Rede
“
Der Betrieb, in dem Silvia Breiml arbeitet, ist spezialisiert auf die Instandsetzung von Autokarosserien
nach Unfällen (Versicherungsschäden) bis hin zum
Beheben von Kratzern, Dellen und Lackschäden, die
nicht Folgen von Unfallschäden sind.
„Im Moment“, so erzählt Silvia Breiml, „arbeite ich
hauptsächlich in der Spenglerei. Wenn wir aber
beispielsweise in der Spenglerei wenig zu tun haben,
in der Lackiererei aber viel, dann geh ich in die
Lackiererei.“
Die wesentlichen Voraussetzungen für den Beruf der
Karosseriebautechnikerin sind in ihren Augen:
-
Technisches Interesse („Schon in der Schule -
speziell ein Gespür für Autos: „Wenn man ein Auto zerlegt, muss man es auch wieder zusammenbauen können. Das heißt, man
muss sich merken, wo hab ich welche Schrauben rausgedreht.“
war mir Werken lieber als Handarbeiten“) und
Eine gewisse Körperkraft ist für den Beruf ohne
Zweifel ebenfalls erforderlich. Im ersten Lehrjahr
hatte Silvia Breiml des öfteren Muskelkater. „Aber den
Ihr gefällt, dass man in dem Beruf nie auslernt.
haben die männlichen Lehrlinge auch.“ Inzwischen
hat sie keinen Muskelkater mehr und ist auch ihre
Früher gab es, so erklärt Silvia Breiml, Autospengler
Schulterbeschwerden los. „Die kamen vom Servieren,
und Lackierer. Da war auch Autospengler allein
von der dauernden einseitigen Belastung.“ Was ihr
ein Lehrberuf. Heute umfasst die Lehrausbildung
auffällt: „Bei den typischen Frauenberufen ist über-
KarosseriebautechnikerIn die Spenglerei und das
haupt nie die Rede davon, wie körperlich belastend
Lackieren. Für Lackierer gibt es allerdings noch eine
die sein können. Davon wird immer nur geredet, wenn
Einfachlehre. Zum Berufsbild der Karosseriebautech-
Frauen in sogenannte Männerberufe vordringen.
nikerInnen gehört auch der Umbau von Karosserien
(KarosseriebautechnikerIn ist ein Beruf, bei dem der
(z.B. Einbau von Schiebedächern) oder die Produk-
Männeranteil an den Lehrlingen österreichweit mehr
tion von Karosserien für Spezialfahrzeuge (serienge-
als 97 Prozent beträgt.) Sie selbst weiß, dass die
fertigte Fahrzeuge werden hingegen vollautomatisch
Arbeit im Gastgewerbe körperlich außerordentlich
am Fließband produziert).
anstrengend sein kann. Und nicht nur die im Gastge-
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
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werbe. „Ich habe eine Zeitlang in einem Supermarkt
zu finden: „Der überwiegende Teil der einschlä-
gearbeitet. In der Fleischabteilung. Da gibt es Kisten,
gigen Betriebe ist diesbezüglich sehr konservativ und
wenn die voll mit Wurstzeug sind, sind sie nur mit
scheut sich vor jeglicher Veränderung. Die meisten
allergrößter Anstrengung hochzuheben.“
reden sich darauf aus, dass es dann getrennte sanitäre Einrichtungen geben müsse. Aber das stimmt
Dass sich Frauen unter Umständen davon abhalten
nicht. Wenn nicht mehr als fünf Frauen beschäftigt
lassen, den Beruf der Karosseriebautechnikerin zu
sind, reicht ein WC, das zum Absperren ist.“
ergreifen, weil sie sich dabei auch schmutzig
machen, ist für Silvia Breiml nicht nachvollziehbar: „Es
Für die Frage nach Zukunftsperspektiven ist es im
gibt ja Wasser. Und zwar ausreichend. Und duschen
zweiten Lehrjahr im Grunde genommen noch zu früh.
muss man sich – egal welchen Beruf man hat.“
Nicht so für Silvia Breiml. Sie denkt sehr wohl an die
Zukunft. Vor allem hofft sie, nach der Lehrabschluss-
Was ihr an ihrem Beruf besonders gefällt: „Es ist ein
prüfung in der Firma Waldemeier bleiben zu können.
Beruf, in dem man nie auslernt. Weil sich ständig was
Und sie kann sich vorstellen, nach einiger Zeit der
ändert. In den neueren Autos ist beispielsweise viel
Praxis die Meisterprüfung zu machen. Und danach
mehr Elektronik, darauf muss man auch Rücksicht
eventuell noch die Ausbildung zur Kfz-Sachverstän-
nehmen.“
digen ... „Man wird ja schließlich nicht jünger. Und ich
möchte in meinem erlernten Beruf bleiben.“
Silvia Breimls Erklärung dafür, warum es in ihrem
Beruf für Frauen eher schwierig ist, eine Lehrstelle
Die Sicht des Werkstättenleiters
Entscheidend ist: Wie greift wer was an
Die Firma Waldemeier, Autospenglerei und Autolackiererei in Klagenfurt, besteht seit nahezu 50 Jahren. Derzeit hat
die zweite Generation die Geschäftsführung inne, und die dritte Generation arbeitet bereits mit. Im Betrieb gibt es
18 Beschäftigte. In der Werkstatt ist Silvia Breiml die einzige Frau. Vor etwa 15 Jahren hat schon einmal eine Frau in
der Werkstatt gearbeitet, ihre Lehre aber abgebrochen.
Christian Käfer ist seit Anfang 2010 Werkstättenleiter in der Firma. Seiner Meinung nach ist für die Ausübung
des Berufs nicht das Geschlecht ausschlaggebend, es kommt vielmehr darauf an, wie eine Person sich anstellt.
„Entscheidend ist: Wie greift wer was an. In unserem Beruf ist sehr viel handwerkliches Geschick erforderlich
und speziell bei der Lackierung von Autos auch Feinfühligkeit. Da merkt man schon, dass Frauen sehr gut sind.
Speziell wenn es um die Abschlussarbeiten beim Lackieren geht. Das ist eine genaue Arbeit.“
Bei körperlich anstrengenden Arbeiten helfen die Kollegen im Normalfall zusammen. In einem Pkw-Betrieb sieht
Christian Käfer für Frauen diesbezüglich keine Probleme. In einem Lkw-Betrieb wäre seiner Meinung nach die
Arbeit für eine Frau zu schwer.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Barbara Tresky (Jahrgang 1982)
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Uhrmachermeisterin
„Uhren sind inzwischen meine Leidenschaft“
zehn. Ich bin nicht multitasking-bereit. Fähig möglicherweise schon, aber ich will es nicht. Man redet
den Frauen ja ständig ein, dass sie multitasking-fähig
seien und alle möglichen Aufgaben gleichzeitig erledigen können. Das ist wie ein Zwang. Und manche
Frauen sind dann auch noch stolz darauf.“
Barbara Tresky wandte sich ans AMS und konnte
einen Berufsorientierungskurs speziell für Frauen
besuchen. „Die Kursleiterin hat uns Frauen total unterstützt. Sie hat sich bemüht, dass die Teilnehmerinnen
im Anschluss wirklich die Ausbildung machen können,
die sie machen wollen.“ Aber so einfach ging es dann
doch nicht. Barbara Tresky wusste zwar sehr schnell,
welchen Beruf sie erlernen wollte – Uhrmacherin. In
den Unterlagen des AMS war sie auf ein Inserat der
Barbara Tresky arbeitet mit Klein- und mit Großuhren.
Uhrmacherlehrwerkstätte der Stadt Wien gestoßen.
Ursprünglich wollte Barbara Tresky nach der Matura
Dort rief sie umgehend an, bekam einen Termin bei
„etwas Künstlerisches“ machen. Das hat nicht funk-
Harald Rinder, dem Leiter der Lehrwerkstätte, und
tioniert. Also begann sie an der Universität Wien
der sagte ihr nach dem Gespräch zu, dass er sie auf-
Kunstgeschichte und Soziologie zu studieren, brach
nimmt. Bis sie die Uhrmacherlehre im Rahmen des
das Studium aber ab, weil es ihr zu theoretisch war.
FiT-Programms tatsächlich beginnen konnte, verging
Sie ging zum AMS, erhielt eine Büroausbildung,
allerdings ein Dreivierteljahr.
erwarb EDV-Kenntnisse und arbeitete in der Folge die
meiste Zeit in Büros, bis ihr klar wurde, dass sie bei
Da die Uhrmacherlehrwerkstätte keine Lehrlingsent-
dieser Tätigkeit nicht bleiben, sondern was anderes
schädigung zahlte, konnte Barbara Tresky mit der
machen will.
Ausbildung nicht beginnen. „Ich hätte keine Lehr-
„Büroarbeit ist wie Hausarbeit. Kaum
hat man die Arbeit beendet, fängt das
“
Ganze von vorne an
lingsentschädigung bekommen, kein Arbeitslosengeld, keine Sozialhilfe. Von nichts aber kann ich nicht
leben.“
Barbara Tresky war klar, dass sie eine Ausbildung
Was ihr an der Büroarbeit nicht gefiel? „Dass die
machen und auch abschließen musste. Sie versuchte,
Arbeit nie erledigt ist. Büroarbeit ist wie Hausarbeit.
eine Lehrstelle in einer Bibliothek zu finden, in einer
Kaum meint man, die Arbeit beendet zu haben, fängt
Bücherei, auch in der Metallbranche, die sie damals
das Ganze von vorn an. Ich konzentriere mich bei
schon interessierte, aber überall hieß es, sie sei mit
meiner Arbeit gern auf eine Tätigkeit und nicht auf
ihren 23 Jahren zu alt. „Das war schon frustrierend.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
11
„In meiner Klasse hat sich gezeigt,
Das Arbeitsgebiet der UhrmacherInnen
dass die Älteren motivierter und
Der wesentliche Bereich der Tätigkeit von UhrmacherInnen ist
die Wartung und Reparatur von Uhren. Aufgrund der Verwen-
“
ambitionierter sind
dung kleinster Werkzeuge handelt es sich bei der Tätigkeit
Später, als ich dann in der Berufsschule war, zeigte
der UhrmacherInnen um Feinmechanikerarbeit. Bei der
sich, dass die Älteren deutlich motivierter und ambiti-
Reparatur einer (mechanischen) Uhr öffnen UhrmacherInnen
onierter sind.“
das Gehäuse mit einem speziellen Werkzeug, stellen fest,
was offensichtlich kaputt ist, nehmen das Uhrwerk heraus,
Zwischendurch besuchte Barbara Tresky noch einen
kontrollieren die Abnützung der Lager und der Wellen und die
Kurs des Berufsförderungsinstituts (bfi). „Da ging es
Verzahnung der Räder. Schauen, ob noch alles gut vernietet
zwar um die Förderung von Frauen in technischen
ist. Eventuell muss nachgenietet werden. Wenn ein Zahnrad
Berufen. Aber eine Uhrmacherlehre stand nicht zur
beschädigt ist, wird entweder ein einzelner Zahn neu einge-
Wahl. „Ich aber wollte wenn irgend möglich die Uhr-
setzt oder es wird ein ganzes Rad neu gefräst. Geprüft wird
macherlehre in der Lehrwerkstätte machen.“ Bei
auch die Ganggenauigkeit.
einem Gesprächstermin im abz*austria fand die
1
Beraterin heraus, dass der Beruf UhrmacherIn einen
Unmittelbar nach Ablegung der Lehrabschlussprü-
Frauenanteil von weniger als 40
fung im März 2011 begann Barbara Tresky als Gesel-
Prozent hat und eine Förderung der
lin in der Firma Reich in der Schönbrunnerstraße zu
Ausbildung daher im Rahmen des
FiT-Programms möglich sein müsse.
arbeiten, einer Firma, die ihr bereits vertraut war. Sie
FiT-Programm
hatte dort zwei Sommer lang als Ferialpraktikantin
Sie motivierte Barbara Tresky erst einmal, eine Mappe
gearbeitet und sie arbeitete dort während ihrer Ausbil-
auszuarbeiten zum Berufsbild UhrmacherIn mit
dung in der Lehrwerkstätte regelmäßig an ihren freien
umfassenden Informationen einschließlich Interviews
Samstagen. Friedrich Reich, der Firmenchef, ist nicht
und Inseraten etc. „Das habe ich gemacht, und dann
nur Uhrmacher, sondern auch Uhrenrestaurator. Uhren-
hat sie sich total für mich eingesetzt.“
restaurator ist kein eigener Lehrberuf, und es ist eine
Tätigkeit, die nur von sehr wenigen UhrmacherInnen
Mit vereinten Kräften – sprich dank dem Einsatz der
ausgeübt wird. Das dafür erforderliche Wissen muss
abz-Mitarbeiterin, des Leiters der Uhrmacherlehrwerk-
man sich in Eigenregie aneignen. Friedrich Reich,
stätte und der Beraterin des AMS, mit der Barbara
der den Betrieb von seinen Eltern übernommen hat,
Tresky inzwischen Kontakt hatte – konnte sie letzt-
hat sich in jüngeren Jahren ganz gezielt Kenntnisse
lich die Uhrmacherlehre an der Lehrwerkstätte der
der Holz- und der Metallrestaurierung angeeignet
Stadt Wien im Rahmen des FiT-Programms absol-
und noch zusätzlich eine Goldschmiedeausbildung
vieren. Damit war das finanzielle Problem gelöst, denn
gemacht, um die Voraussetzung für die Restaurie-
während einer Lehrausbildung im Rahmen des FiT-
rung alter und auch wertvoller Großuhren (z.B. Wand-,
Programms wird Arbeitslosengeld oder ein Beitrag zur
Pendel-, Stand- und Tischuhren) zu haben und auch
Deckung des Lebensunterhalts bezahlt.
selbst Ersatzteile herstellen zu können.
Dreieinhalb Jahre dauerte die Ausbildung in der Lehr-
„Mit Herrn Reich habe ich ein Riesenglück. Er hat
werkstätte in der Mollardgasse, die quasi den Ausbil-
seinerzeit sofort zugestimmt, als ich bei ihm ein Prak-
dungsbetrieb ersetzt. Die Berufsschule besuchen
tikum machen wollte. Und er hat mir während meiner
Uhrmacherlehrlinge in Wien in der Hütteldorferstraße.
Ausbildung immer geholfen, egal womit ich zu ihm
1
Non-Profit-Verein für die Förderung von Frauen in den Bereichen Bildung und Arbeit.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Barbara Tresky (Jahrgang 1982)
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Uhrmachermeisterin
der Geschichte zum Funktionieren gebracht worden
sind, wie sich das weiterentwickelt hat. Das ist ja eine
unglaubliche Entwicklung bis hin zu den heutigen
Kleinuhren.“ Das macht ihre Tätigkeit auch so
abwechslungsreich. „Keine Uhr gleicht der anderen.“
Welche Voraussetzungen braucht man für den Beruf
der Uhrmacherin? Dazu Barbara Tresky:
„Technisches Interesse braucht man schon. Aber vielleicht schreckt die Formulierung „technisches Interesse“ Frauen eher ab. Ich denke, Frauen sollten sich
einfach mal anschauen, wie eine Uhr funktioniert, mit
welchen Maschinen und Werkzeugen UhrmacherInnen arbeiten. Das ist alles nichts Übernatürliches.
Man braucht auch keine Scheu zu haben vor Maschinen. Ich selber verbinde Maschinen zwar auch eher
mit Männerarbeit, aber sobald man sich drauf einlässt
und anfängt, mit Bohrmaschinen oder Drehbänken zu
Ihre Erfahrung: Auch zu Maschinen baut man eine Beziehung auf.
arbeiten, entwickelt man auch ein Gefühl dafür und
das finde ich sehr positiv. In gewisser Weise baut man
gekommen bin. Auch wenn er selbst oft seine Arbeit
auch zu Maschinen eine Beziehung auf. Ich habe
unterbrechen musste und unter ziemlichem Zeitdruck
beispielsweise Lieblingsmaschinen und Maschinen,
stand, weil so viel zu tun war im Betrieb.“ Barbara
die ich gern und solche, die ich weniger gern putze.“
Tresky hat von ihrem Chef viel gelernt und wusste
das immer zu schätzen. „Überdies kommen wir sehr
Barbara Tresky hat einiges an Umwegen zurückge-
gut miteinander aus.“ Lediglich was den Bereich
legt und einiges Durchsetzungsvermögen gebraucht,
Ordnung betrifft, haben die beiden, so erklären sie
um Uhrmacherin zu werden. Sie schließt zwar nicht
schmunzelnd, unterschiedliche Vorstellungen. „Aber
aus, dass mancher Umweg auch einen Sinn haben
inzwischen akzeptiert er meine Ordnung, und ich
kann. Hilfreich für die Schul- und Berufswahl aber
akzeptiere sein Chaos. Jeden Samstag wird die
wäre es ihrer Meinung nach, wenn junge Leute mehr
Werkstatt ohnehin komplett aufgeräumt und geputzt.“
Informationen hätten und sich selbst ein realistisches
„Es ist ein Erfolgserlebnis, etwas
wieder zum Laufen zu bringen
“
Bild von verschiedenen Tätigkeiten machen könnten.
„Bei uns an der Schule waren zwar zwei Vertreter der
Österreichischen Hochschülerschaft und haben uns
verschiedene Studienrichtungen vorgestellt. Aber
Was Barbara Tresky besonders gefällt an ihrem Beruf:
wirklich vorstellen kann man sich dadurch nicht, wie
„Es geht nicht nur um die Bearbeitung von Materia-
es an einer Universität zugeht. Andere Schulen gehen
lien, sondern um das Funktionieren eines Gerätes.
mit den SchülerInnen an die Universität und schauen
Das Faszinierende ist die Technik hinter dem Ganzen,
sich das live an. Das ist sicher sinnvoller. Ich selbst
dass man etwas wieder zum Laufen bringt, dass es
habe beispielsweise zuerst nicht gewusst, dass ich
wieder so funktioniert, wie es funktionieren soll. Die
nach der Matura noch eine Lehre beginnen kann.
Beschäftigung mit alten Uhren macht auch sichtbar,
Ich habe gedacht, das geht nicht. Und ganz wichtig
auf welch unterschiedliche Art Uhrwerke im Laufe
ist es auch, selbst etwas ausprobieren zu können.“
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
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Barbara Tresky hat sich immer vorgestellt, dass sie
saniert alle er.“ Die Großuhren sind Barbara Tresky
gern mit Holz arbeiten würde. Nach einem einzigen
jedenfalls zunehmend ans Herz gewachsen. „Wenn
Tag in einer Tischlerwerkstatt im Zuge des Berufsori-
ich mich schnell genug entwickle, und ich hoffe, das
entierungskurses wusste sie es besser. Sie hatte das
werde ich, würde ich gern versuchen, selbständig zu
Gefühl, an dem Holzstaub zu ersticken. „Man sollte
sein, wobei ich ehrlich sagen muss, ich habe großen
die Chance nützen, etwas an Ort und Stelle auszu-
Respekt davor. Denn die Selbständigkeit birgt auch
probieren.“
ein hohes Risiko, nicht zuletzt ein finanzielles. Und
ich habe keinerlei Rücklagen. Deshalb muss ich mir
Zukunftsperspektiven?
das gut überlegen. Ich habe aber auch kein Problem
Barbara Tresky möchte weiter reparieren; sie möchte
damit, angestellt zu sein. In jedem Fall möchte ich die
keinesfalls in den Verkauf. „Zuerst möchte ich das
Meisterprüfung machen.“
Handwerk der Uhrmacherei richtig beherrschen und
dann hoffe ich, dass Herr Reich noch Zeit findet,
Im August 2011 – wenige Wochen nach dem Inter-
mir das Sanieren der Gehäuse beizubringen. Einst-
viewtermin – hat Barbara Tresky wie geplant die
weilen repariere ich nur die Uhrwerke. Die Gehäuse
Meisterprüfung abgelegt.
Die Sicht des Ausbildungsleiters
„Eine solche Schülerin würde ich mir wieder wünschen!“
Der Anteil der Frauen an den Uhrmacherlehrlingen beträgt nur knapp 30 Prozent. Das ist schade. Denn: „Frauen
stellen sich in dem Beruf zum Teil viel geschickter an und sind viel einfühlsamer.“ Harald Rinder weiß dies aufgrund
langjähriger Erfahrung. Seit 1991 ist er Lehrer und seit 2003 Leiter der Uhrmacherlehrwerkstätte der Stadt Wien.
Diese überbetriebliche Ausbildungsstätte, ausgestattet mit den modernsten Maschinen und Geräten, wurde bereits
1903, also vor mehr als hundert Jahren gegründet, und ist untergebracht im Berufsschulgebäude in der Mollardgasse. Die Hälfte der AbsolventInnen bleibt in der Branche. Das ist – verglichen mit anderen Lehrausbildungen –
ein hoher Prozentsatz.
Pro Jahr werden – nach Ablegung einer Aufnahmsprüfung – zwölf Lehrlinge aufgenommen. Anders als noch vor
wenigen Jahren, als Barbara Tresky mit der Ausbildung begann, werden seit 2010 nur noch InteressentInnen aus
Wien aufgenommen, die nicht älter als achtzehn Jahre alt sind. Die Vermittlung erfolgt über das AMS für Jugendliche. Die Lehrlinge erhalten nun eine Ausbildungsbeihilfe, sind kranken- und unfallversichert und müssen pro Jahr
zwölf Wochen Praktikum in einem Fachbetrieb absolvieren. Innerhalb der ersten eineinhalb Jahre der dreieinhalbjährigen Ausbildung fertigt jeder Lehrling selber eine sogenannte Lehruhr an, das heißt, die Lehrlinge lernen auch
die für die Herstellung von Uhren erforderliche Bearbeitung von Rohmaterialien und nicht nur das Reparieren von
Uhren. Das ist speziell für UhrenrestauratorInnen wichtig, die oft vor dem Problem stehen, dass es für eine Uhr
keine Ersatzteile mehr gibt.
Für Harald Rinder ist der Beruf der UhrmacherIn und ZeitmesstechnikerIn ein Beruf mit Zukunft. „Der Trend geht
zurück zur mechanischen Uhr, die man reparieren und servicieren kann. Es ist fast eine Renaissance!“ Barbara
Tresky hat er in sehr guter Erinnerung. „Ihr Wunsch, Uhrmacherin zu werden, war sehr ausgeprägt. Sie war sehr
motiviert, sehr wissbegierig. Sie hat die Holschuld geholt und die Bringschuld eingefordert. Sie hat alles hinterfragt.
Und ich habe es als meine Aufgabe gesehen, sie zu unterstützen. Eine solche Schülerin würde ich mir wieder
wünschen!
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Georgina Bezuh (Jahrgang 1977)
14
Zerspanungstechnikerin
„Wenn ich was schaffen will, schaffe ich es auch“
Von sich selbst sagt sie: „Wenn ich was schaffen will,
schaffe ich es auch.“
Knappe zehn Jahre lang war sie im Gastgewerbe
tätig, dann bekam sie Probleme mit der Lungenfunktion. Offenbar vom Rauch in den Lokalen. Aus
gesundheitlichen Gründen sah sie sich gezwungen,
den Beruf zu wechseln, sich umschulen zu lassen.
Sie wandte sich ans AMS und wurde – inzwischen
wohnte sie in Bad Blumau in der Steiermark – an die
„Alternative“ in Gleisdorf verwiesen, ein Zentrum für
Ausbildungsmanagement, das – im Auftrag des AMS
und des Landes Steiermark – die Qualifizierung von
(arbeitslosen) Frauen fördert, um deren Chancen
auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Um sich beruflich
neu orientieren zu können, erhalten die Frauen die
Georgina Bezuh wechselte vom Gastgewerbe in die Metallbranche.
Möglichkeit, in Bildungseinrichtungen oder Betrieben
verschiedene Tätigkeiten auszuprobieren und ihre
Im Alter von vierzehn Jahren kam Georgina Bezuh mit
Eignung dafür in der Praxis zu testen.
ihren Eltern von Kroatien nach Österreich, und zwar
ins Südburgenland. Hier besuchte sie die Polytech-
Das Angebot der „Alternative“ umfasst nicht zuletzt
nische Schule. Im Anschluss daran absolvierte sie
Ausbildungen im Metallbereich. Die Metallbranche
eine Lehre als Restaurantfachfrau. Georgina Bezuh
hätte Georgina Bezuh immer schon interessiert. Aber
hatte bereits während ihrer Schulzeit in Kroatien
in der Polytechnischen Schule, die sie besucht hat,
einige Jahre Deutschunterricht gehabt; sie musste
gab es damals für Mädchen nur die Möglichkeit, in
mit dem Deutschlernen daher in Österreich nicht an
Friseurbetrieben oder im Gastgewerbe „zu schnup-
einem Nullpunkt beginnen. Das erleichterte ohne
pern“. Sie selbst wollte daher zuerst Friseurin werden,
Zweifel den schulischen Einstieg. Die allermeisten
fand aber keine Lehrstelle, und entschied sich dann
Fachbegriffe des Gastgewerbes waren ihr dennoch
fürs Gastgewerbe, denn irgendeine Ausbildung wollte
vollkommen fremd. „Die konnte ich nur auswendig
sie in jedem Fall machen. Ihrer Erfahrung nach wäre
lernen.“ Nichtsdestotrotz bestand sie die Lehrab-
es ganz wichtig, dass Mädchen im Rahmen der
schlussprüfung zur Restaurantfachfrau in Bad
Berufsorientierung in der Hauptschule und in der
Gleichenberg mit Auszeichnung. Ganz offensichtlich
Polytechnischen Schule die Möglichkeit haben, in
ist Georgina Bezuh sehr sprachbegabt. Heute spricht
unterschiedliche Betriebe – auch in handwerklich-
sie ohne Akzent, auch Dialekt. Vor allem aber:
technische – zu kommen, damit sie sehen, dass es
Georgina Bezuh lässt sich nicht unterkriegen.
auch was anderes gibt als den Beruf der Friseurin,
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
15
der Verkäuferin und der Kellnerin. Nur so könnten sie
prüfung mit Auszeichnung. „Ich wollte auch die
feststellen, was ihnen tatsächlich liegt und was nicht.
Zerspanungstechnik mit Auszeichnung machen.
„Und dann sollte man den Mädchen sagen: Macht
Und das habe ich gemacht.“
das, was Euch interessiert!“
Unmittelbar danach verschickte sie erst einmal 56
Ein halbes Jahr lang konnte Georgina Bezuh an der
Bewerbungsschreiben. Seit Juli 2010 arbeitet sie –
Höheren Technischen Lehranstalt in Weiz, die mit
als Leiharbeitskraft – in der Austria Druckguss GmbH
dem Ausbildungszentrum in Gleisdorf zusammenar-
und Co KG in Gleisdorf. Austria Druckguss ist in
beitet, die Grundlagen der CNC -Technik erlernen.
erster Linie ein Zulieferbetrieb für die Autoindustrie.
1
Letztlich war ihr das aber zu wenig, sie begnügte sich
nicht damit, sondern entschloss sich, die Lehrausbil-
Die Zahl der Beschäftigten beträgt 236, dazu
dung zur Zerspanungstechnikerin zu machen. Die
kommen etwa 25 Leiharbeitskräfte. Insgesamt beträgt
Ausbildung, die in Form von Modulen erfolgt, absol-
der Frauenanteil in der Fertigung rund 14 Prozent.
vierte sie – nach Ablegung einer Aufnahmsprüfung
Wie in den meisten Betrieben der Metallbranche ist
– im Schulungszentrum Fohnsdorf-Oststeiermark in
der Anteil der angelernten Arbeiterinnen deutlich
Fürstenfeld. Der Anteil der Frauen an den Lehrlingen
höher als jener der Facharbeiterinnen: Von den 28
beträgt im Lehrberuf ZerspanungstechnikerIn öster-
Frauen, die bei Austria Druckguss angestellt und in
reichweit nicht einmal sechs Prozent.
der Fertigung tätig sind, sind nur drei Facharbeite-
2
rinnen, 25 sind angelernt. Allerdings bildet Austria
Das Arbeitsgebiet der ZerspanungstechnikerInnen
Druckguss inzwischen auch weibliche Lehrlinge in
ZerspanungstechnikerInnen sind zuständig für die Formung
technischen Berufen aus – zur Zeit eine Werkzeug-
und Bearbeitung von Metall- und Kunststoff-Bauteilen mittels
bautechnikerin und eine Mechatronikerin.
spanabhebender Werkstoffbearbeitung. Beispielsweise werden
zu diesem Zweck mittels Drehen oder Fräsen Späne von der
„Hier ist die Nachtarbeit geregelt
Oberfläche der Werkstücke abgehoben. Die Bearbeitung
und wird auch entsprechend bezahlt
erfolgte in der Vergangenheit mit konventionellen, inzwischen
“
fast ausschließlich mit rechnergestützten CNC-Maschinen.
Georgina Bezuh bearbeitet bei Austria Druckguss
Während der Bearbeitung steuern und über-wachen Zerspa-
Werkteile, konkret: Leiterrahmen V6 für Automotoren
nungstechnikerInnen die Maschinen und
(Audi). Sie arbeitet Vollzeit. Die Fertigung erfolgt im
kontrollieren die Ergebnisse (Qualitätssicherung).
Schichtbetrieb, das heißt, es wird immer wieder auch
in der Nacht und an Wochenenden gearbeitet. „In der
Im Rahmen der Ausbildung lernte Georgina Bezuh
Metallbranche ist es eben so. Das war mir von Anfang
sowohl die Bearbeitung von Werkstücken mit konven-
an klar. Im Gastgewerbe habe ich auch oft in der
tionellen als auch mit CNC-Maschinen und Fertigungs-
Nacht und an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. Mit
anlagen. Parallel dazu erfolgte der Unterricht in Fach-
dem Unterschied, dass hier die Arbeitszeit geregelt
kunde, Fachzeichnen, Fachrechnen etc.
ist und auch entsprechend bezahlt wird.
Im Mai 2010, ein Jahr und neun Monate nach Beginn
Dazu kommt, dass Metallberufe grundsätzlich besser
ihrer Ausbildung, bestand sie die Lehrabschluss-
bezahlt sind als die traditionellen Frauenberufe.“
CNC ist die Abkürzung von Computerized Numerical Control, zu deutsch: computerisierte numerische Steuerung. Heute sind nahezu alle neu
1
entwickelten Werkzeugmaschinen mit einer CNC-Steuerung ausgestattet, da diese sowohl die Serienfertigung als auch die Einzelfertigung von Metall- und Kunststoffwerkstücken bei hoher Bearbeitungsgenauigkeit beschleunigt und daher rationalisiert.
2
Mit 1. Juni 2011 wurde der Lehrberuf „ZerspanungstechnikerIn“ in der gegenwärtigen Form aufgelassen und durch den neuen Lehrberuf
„MetalltechnikerIn - Zerspanungstechnik“ ersetzt.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Georgina Bezuh (Jahrgang 1977)
16
Zerspanungstechnikerin
„Alles was man kann und verstanden
hat, fällt einem leicht“
Welche Voraussetzungen jemand für den Beruf
braucht? Dazu Georgina Bezuh:
-
-
-
Technisches Interesse
Interesse mit Metall zu arbeiten
Räumliches Vorstellungsvermögen (z.B. um sich aufgrund von Zeichnungen das Werk-
stück vorstellen zu können)
-
Keine Abneigung gegenüber Rechnen (Formeln und Gleichungen)
Durchhaltevermögen ist, so ergänzt sie, während
der Ausbildung ebenfalls erforderlich. „Denn ständig
wird man mit Neuem konfrontiert und kennt sich
erst einmal nicht aus. Man muss sich immer wieder
bemühen, es zu verstehen. Wenn man es dann kann
und verstanden hat, fällt es einem leicht.“
Sie selbst ist froh, die Ausbildung zur Zerspanungstechnikerin gemacht zu haben. Ihre Familie hat die
neuerliche Berufswahl sehr positiv aufgenommen.
Ebenso ihr Freund, obwohl sie während der Ausbildung sehr beschäftigt war und wenig Freizeit hatte.
„Bis zwei Uhr war ich jeden Tag im Schulungszentrum
und danach habe ich gelernt.“
Bei manchen Freundinnen ist die Berufsentscheidung
Ihr Arbeitsgebiet: Die Bearbeitung von Leiterrahmen für Automotoren.
hingegen erst einmal auf wenig Verständnis gestoßen.
„D a s interessiert dich?“, wurde sie mitunter erstaunt
Mit den Kollegen im Betrieb kommt sie – als eine
gefragt. „Ja, das interessiert mich“, antwortete sie
der wenigen Facharbeiterinnen – gut aus. „Wenn
selbstbewusst. „Gärtnerin zu werden, würde mich
die sehen, dass man was kann, respektieren sie das
hingegen überhaupt nicht interessieren. Aber es ist
auch.“ In der Fertigungshalle ist es auffallend laut.
gut, dass nicht alle das Gleiche interessiert.“ Lieber
Georgina Bezuh aber findet den Lärm nicht schlimm.
allerdings wäre es ihr gewesen, hätte sie die Möglich-
„Man gewöhnt sich dran. Außerdem tragen alle
keit gehabt, die Ausbildung zur Zerspanungstechni-
Beschäftigten Gehörschutz.“
kerin schon im Alter von 15 Jahren zu beginnen.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
17
„Ohne den Umweg übers Gastgewerbe hätte ich jetzt
auch außerbetrieblich geschätzt. Inzwischen wurde
schon viele Jahre praktische Erfahrung in meinem
sie bereits mehrmals als Trainerin für Metalltechnik ins
Beruf.“
Schulungszentrum in Fürstenfeld geholt.
Trotz ihrer relativ kurzen Berufserfahrung in der
Metallbranche werden ihre Fähigkeiten schon jetzt
Die Sicht des Ausbildungsleiters
„Eine Paradeteilnehmerin...“
Das Schulungszentrum Fohnsdorf mit dem Außenstandort Fürstenfeld, wo Georgina Bezuh ihre Ausbildung
absolviert hat, ist eine Erwachsenenbildungseinrichtung, die vom AMS finanziert wird. Das Zentrum bietet die
Möglichkeit, in verkürzter Form – andere Ausbildungen und berufliche Erfahrungen werden angerechnet – in
einem Modulsystem eine Lehrausbildung nachzuholen oder sich aufbauend auf eine vorhandene Ausbildung
höher qualifizieren zu lassen. In enger Zusammenarbeit mit den Betrieben der Region werden auch „maßgeschneiderte“ Trainings- und Ausbildungseinheiten angeboten.
Im Jahr 2010 machten am Standort Fürstenfeld insgesamt 179 Personen eine Metall- und Elektroausbildung, der
Frauenanteil betrug 22 Prozent. Zwölf Frauen und 18 Männer beendeten 2010 ihre Ausbildung mit einer Lehrabschlussprüfung.
Vor dem Einstieg in die Ausbildung bedarf es allerdings zumeist, so Franz Hartinger, Leiter des Schulungszentrums
in Fürstenfeld, einer intensiven organisatorischen Vorbereitung, vor allem was die Mobilität und die Vereinbarkeit
mit familiären Aufgaben betrifft, denn die Ausbildung findet täglich zwischen 6 Uhr früh und 14 Uhr am Nachmittag
statt. Ist die Entscheidung zur Teilnahme an der Ausbildung aber gefallen, steigt kaum eine Frau vorzeitig aus.
Wesentliche Motive für die Ausbildung sind technisches Interesse, geregelte Arbeitszeiten in der Industrie und gute
Verdienstmöglichkeiten. Hinsichtlich Vermittelbarkeit gibt es laut Franz Hartinger keine oder kaum Unterschiede
zwischen Frauen und Männern, vorausgesetzt die Frauen sind ebenso flexibel. Die Beschäftigung erfolgt zumeist
ausbildungsadäquat im Industriebereich, zu Beginn allerdings häufig über Leiharbeitsfirmen.
Georgina Bezuh war, so Franz Hartinger, geradezu eine „Paradeteilnehmerin“. Beeindruckt hat sie sowohl in fachlicher als auch in menschlicher Hinsicht. Ihr Interesse, ihre Fähigkeiten, ihre Einsatzfreude und ihre kommunikative
Art sind der Grund, dass sie inzwischen fallweise als Trainerin im Schulungszentrum herangezogen wird.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Tanja Scheil (Jahrgang 1974)
18
Bautechnische Zeichnerin
„Mein Leben hat sich von Grund auf geändert“
einem Wiener, den sie in Salzburg kennengelernt
hatte, in den Osten Österreichs. Die beiden ließen
sich erst im Süden von Wien nieder und zogen später
nach Bad Pirawarth ins Weinviertel. Tanja Scheil
arbeitete in Wien vier weitere Jahre bei Metro in verschiedenen Abteilungen. Ihre nächste Arbeitsstelle
war ein österreichisches Großhandelsunternehmen
in Wien, das gerade im Aufbau war. „Ich habe mich
dort sehr wohl gefühlt, die Kollegen waren total nett,
aber nach einiger Zeit hat einer angefangen mich
zu mobben. Das ging so weit, dass ich einen nervlichen Zusammenbruch hatte. Ich konnte mit keinem
Kunden mehr reden, ohne dass mir die Tränen
gekommen sind.“ Sie ersuchte ihren Chef um eine
einvernehmliche Auflösung ihres Dienstvertrages.
„Ich wusste, ich muss raus aus dem Job und einmal
Tanja Scheil absolvierte eine FacharbeiterInnen-Intensivausbildung.
Tanja Scheil wuchs in Obertrum nördlich der Stadt
Salzburg auf. Nach der Pflichtschule besuchte sie
abschalten.“
„Schnuppertage sind ganz wichtig“
zwei Jahre lang eine Höhere Lehranstalt für wirtschaft-
Durch eine Bekannte erfuhr sie, dass das AMS die
liche Berufe, hörte dann mit dem Schulbesuch auf
Ausbildung in technischen Berufen fördert. Nähere
und absolvierte eine dreijährige Lehre zur Hotel- und
Informationen über das Programm „Frauen in Hand-
Gastgewerbeassistentin im Hotel Schloss Fuschl.
werk und Technik“ holte sie sich aus dem Internet.
1993 legte sie die Lehrabschlussprüfung ab. Sie
Mit diesem Wissen ging sie zum AMS Gänserndorf
hätte zwar ursprünglich gern einen technischen
und fragte, ob es möglich sei, an dem FiT-Programm
Beruf erlernt, hatte als Mädchen damals aber keine
teilzunehmen. „Schließlich habe ich seit meinem
Chance, eine Lehrstelle zu finden. Einem beruflichen
sechzehnten Lebensjahr gearbeitet und noch nie
Eignungstest zufolge galt sie als geeignet für den
eine Schulung, Aus- oder Weiterbildung finanziert
Beruf der technischen Zeichnerin und für den Dienst-
bekommen.“ Im FiT-Zentrum in der Brünner Straße in
leistungsbereich.
Wien konnte sie im September 2009 an einem Berufsorientierungskurs teilnehmen. Allerdings wusste sie
Nach etlichen Jahren im Gastgewerbe wechselte sie
zu dem Zeitpunkt bereits bzw. meinte
1996 in den Großhandel, zur Firma Metro in Salzburg.
zu wissen, dass sie einen Metall-
„Ich brauche immer wieder neue Herausforderungen.“
beruf ergreifen wollte. Anschließend
2003 übersiedelte sie mit ihrem späteren Ehemann,
besuchte sie die im FiT-Programm
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
FiT-Programm
19
vorgesehene Basisqualifikation, in deren Rahmen
Das will ich machen. Zurück im FiT-Zentrum habe
Englisch-, Mathematik- und EDV-Kenntnisse vermittelt
ich meine Bewerbung neu geschrieben. Es gab 25
bzw. aufgefrischt werden und die Teilnehmerinnen
Bewerbungen für die Ausbildung und nur 12 Frauen
auch sozialpädagogische Unterstützung erhalten.
wurden aufgenommen. Eine Woche später wusste
Letzteres wusste Tanja Scheil sehr zu schätzen. „Für
ich, dass ich mit der Ausbildung beginnen kann.
mich war das nach meiner Mobbingerfahrung wie
Gleichzeitig habe ich auch panische Angst gehabt.
eine psychologische Betreuung. Von da an ging es
Als Bautechnische Zeichnerin braucht man viel
bergauf. Ich fühlte mich psychisch gestärkt.“
Mathematik. Und ich war in Mathematik nie besonders gut. Aber die Sozialpädagogin sagte mir: Du
Da sie in der Metallbranche arbeiten wollte, konnte
schaffst das.“
Tanja Scheil während der Basisqualifikation einen
Schnuppertag in der Firma Philips machen. „Das war
An und für sich dauert die Lehre in dem Beruf drei
entscheidend. Ich hab einen Tag dort verbracht und
Jahre. „Was ich gemacht habe, ist eine Facharbeite-
wusste: Nein, das will ich nicht.“ Schnuppertage hält
rInnen-Intensivausbildung. Man lernt in einem Jahr,
Tanja Scheil aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung für
was andere in drei Jahren lernen. Aber es ist sehr viel
ganz, ganz wichtig.
Stoff. Man muss wirklich vom ersten Tag an mitlernen
und man muss sich auch viel selbst erarbeiten. Unter-
Im ersten Moment war der Schnuppertag für Tanja
richt war jeden Tag von 8.30 Uhr bis 14 Uhr, an einem
Scheil allerdings eine ziemliche Frustration. Sie
Tag bis 17 Uhr. Ich bin jeden Tag von Guntramsdorf
wusste plötzlich nicht mehr, was sie beruflich machen
nach Hause gefahren, nach Bad Pirawarth, bin eine
sollte. In dieser Situation war die sozialpädagogische
Runde mit meinem Hund gegangen und habe danach
Unterstützung für sie sehr hilfreich. Im Laufe der
bis 21 Uhr gelernt. Und ich habe mir auch viele Infor-
Gespräche mit der Sozialpädagogin erinnerte sich
mationen aus dem Internet geholt.“ Für Tanja Scheil
Tanja Scheil daran, dass es einer ihrer frühen Berufs-
ist es, wie sie sagt, wichtig, Dinge anschauen und
wünsche gewesen war, Bautechnische Zeichnerin zu
angreifen zu können, um sie zu begreifen.
werden. Das hatte sie völlig vergessen. Statt dessen
war sie fixiert gewesen auf die Metallbranche, in der
Bereits zu Anfang der Ausbildung wurden die Teil-
ihr Vater, zu dem sie eine eher ambivalente Beziehung
nehmerinnen dazu ermuntert, in die Werkstätten des
hatte, tätig gewesen war.
Bauhofs zu gehen und sich ein Bild von dem zu
„Ich habe mich im FiT-Programm gut
aufgehoben gefühlt
“
machen, was sie im Unterricht hören. „Ich bin mindestens zweimal pro Woche in den Werkstätten gewesen
und habe mir angeschaut, wie man Beton mischt oder
wie man Künetten gräbt und Rohre verlegt.
„Als mir das bewusst wurde, war es, als hätte ich
einen neuen Anfang gemacht, einen Schritt in ein
Ich habe dann auch einen Gipskurs gemacht. Und
neues Leben. Ich bin dann zu einem Info-Tag in das
alles, wo ich mir nicht sicher war, ob ich es richtig
Ausbildungszentrum Bauakademie Wien Lehrbauhof
verstanden habe, habe ich mir in den Werkstätten
Ost in Guntramsdorf gefahren und war in meinem
nochmals erklären lassen oder angeschaut. Ich bin ja
Element. Ich habe mir gesagt: Genau das ist es!
als total Branchenfremde dahin gekommen.“
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Tanja Scheil (Jahrgang 1974)
20
Bautechnische Zeichnerin
eine Stunde hingesetzt und es mir erklärt. Und wenn
ich es noch immer nicht verstanden habe, haben sie
es mir anders zu erklären versucht, und eine Variante
habe ich immer verstanden. Sie haben sich die Zeit
dafür genommen. Aber man musste selber sagen:
Helft mir.“
Das Arbeitsgebiet der Bautechnischen ZeichnerInnen
Bautechnische ZeichnerInnen entwerfen, zeichnen und
ändern Baupläne und übernehmen unter Umständen auch
organisatorische und kaufmännische Aufgaben bei der
Bauausführung. Sie erstellen Reinzeichnungen wie Lagepläne von Gebäuden und Grundstücken, Entwurfszeichnungen, Einreichpläne zur Vorlage bei Bauämtern. Die
Pläne fertigen sie meist aufgrund genauer Anweisungen
der ProjektleiterInnen über Funktion, Form, Lage und Größe
eines Bauobjektes an. Baupläne werden sowohl im Grundriss wie im Aufriss gezeichnet und sind mit Maßangaben
versehen. Das händische Zeichnen von Bauplänen wurde
inzwischen weitgehend durch das CAD-System abgelöst.
1
Nachdem Tanja Scheil im November 2010 die Lehrabschlussprüfung abgelegt hatte, begann sie Bewerbungsschreiben zu verschicken. Seit Februar 2011
arbeitet sie in der Abteilung „Bauplanung und Bautechnik“ im Raiffeisen- Lagerhaus Weinviertel Nordost
Baupläne werden heute mit Hilfe von Computerprogrammen gezeichnet.
in Poysdorf.
Mit den Ängsten bezüglich Mathematik hat Tanja
Sie ist begeistert vom Arbeitsklima. „Ich habe mich
Scheil umgehen gelernt. „Seit ich in das FiT-Programm
hier vom ersten Moment an wohlgefühlt, habe Zeit,
gekommen bin, hat sich mein Leben von Grund auf
mich einzuarbeiten und kriege viel Unterstützung.“
verändert. Mir kann man seither nicht so leicht was
Tanja Scheils unmittelbarer Chef im Lagerhaus ist
anhaben. Ich hatte zwar immer ein sicheres Auftreten,
Baumeister. Ihre konkrete Tätigkeit besteht vor allem
war aber in Wirklichkeit sehr schnell zu verunsichern,
darin, nach den Handskizzen beispielsweise für einen
und habe mir oft nichts sagen getraut, aus Angst, ich
Zubau zu einem Einfamilienhaus, die der Baumeister
könnte einen Blödsinn sagen. Unsere Trainer in der
vor Ort anfertigt und mit Maßen versieht, mit Hilfe
Schule haben von Anfang an gesagt: Wenn Ihr was
eines Computerprogramms einen Entwurf zu machen,
nicht versteht, sagt es uns, dann erklären wir es noch
mit Grundriss und Aufriss, sodass sich der Kunde
einmal. Ich war die einzige, die sich zu sagen getraut
oder die Kundin darunter was vorstellen kann.
hat, dass ich was nicht verstehe. Die Trainer haben
Der Entwurf wird nochmals kontrolliert, allenfalls
sich dann nach dem Unterricht, in ihrer Freizeit, noch
abgeändert und umgezeichnet.
1
CAD ist die Abkürzung von Computer Aided Design, zu deutsch: Computergestütztes Design
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
21
Danach erstellt Tanja Scheil den Einreichplan, in vier-
Wien gearbeitet, hätte ich nicht das Wissen, das ich
facher Ausführung und gebunden, den reicht der
jetzt habe.“
Kunde bzw. die Kundin bei der Gemeinde ein. Unter
die Gemeinde. Ein solches Gesamtpaket bietet das
„Wissen weiterzugeben, würde mir
gefallen
“
Lagerhaus seinen KundInnen jedenfalls an.
Zukunftsperspektiven? „Ursprünglich wollte ich
Umständen hat der Baumeister auch die Bauaufsicht. Danach ergeht die Fertigstellungsanzeige an
gleich nach der Ausbildung die Werkmeisterschule
Daneben zeichnet Tanja Scheil auch Deckenpläne
machen, dann hätte ich in der Berufsschule unter-
und rechnet entsprechend der Spannweite aus,
richten können. Das hätte mich gereizt. Ich habe
welche Träger und welches Material verwendet
während meiner Ausbildung zwei Wochen lang ein
werden muss. Inzwischen zeichnet sie auch Pläne
Praktikum als Trainerin gemacht, da habe ich eine
für den Neubau von Einfamilienhäusern sowie von
Gruppe unterrichtet. Wissen weiterzugeben, würde
Lagerhallen.
mir gefallen. Aber damals hat es geheißen, das könne
nicht gefördert werden, ich müsse zuerst einmal in
Ob es ihr leid tut, erst auf Umwegen zu ihrem jetzigen
meinem erlernten Beruf arbeiten. Das sehe ich ein.
Beruf gekommen zu sein? „Nein. Alles im Leben hat
Ich nütze jetzt einmal die Chance, hier möglichst
seinen Sinn, und Erfahrungen bringen einen weiter.
viel zu lernen. Und wer weiß, vielleicht mache ich in
Hätte ich nicht im Gastgewerbe gearbeitet und im
einigen Jahren die Werkmeisterprüfung.“
Handel, hätte ich nicht erst in Salzburg und dann in
Die Sicht des Direktors
Wiedereinsteigerinnen bevorzugt
„Frauen mit Kindern wissen einen Arbeitsplatz vor der Tür zu schätzen“, so die Erfahrung von Ing. Josef
Thalhammer. Er ist seit 1994 Direktor des Raiffeisen-Lagerhauses Weinviertel Nordost in Poysdorf. Das Lagerhaus mit 22 Einzelstandorten hat rund 200 Beschäftigte. 20 Prozent davon sind Frauen. Frauen finden sich kaum
im Arbeiterbereich, sondern vor allem im Angestelltenbereich des Lagerhauses, und zwar nicht nur in untergeordneten Positionen.
Seit vielen Jahren werden der Baumarkt und die Sparte Baustoffe von einer Frau geleitet. Lange Jahre war die
Chefsekretärin auch Betriebsratsobfrau im Lagerhaus. Die momentane Stellvertreterin des Betriebsratsobmanns ist
auch Kammerrätin der Landarbeiterkammer und leitet im Lagerhaus das Kreditmanagement. Inzwischen gibt es
auch eine Frau im Controlling. Tanja Scheil ist die erste bautechnische Zeichnerin im Lagerhaus. „Und sie ist auch
eine, die auf die Baustelle geht.“ Junge Mädchen nach der Schule nimmt Ing. Thalhammer üblicherweise nicht auf.
„Junge Leute können auch pendeln. Für Wiedereinsteigerinnen, für Frauen mit Familie, mit Kindern ist ein Arbeitsplatz in der Nähe hingegen ein Gewinn an Lebensqualität. Und als Genossenschaft haben wir auch eine gewisse
soziale Verantwortung.“
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Romana Welser (Jahrgang 1980)
22
Chemielabortechnikerin
„Im Moment bin ich sehr zufrieden“
denn je besser man Deutsch kann, desto leichter
tut man sich. Insgesamt habe ich fünf Monate lang
Deutschkurse besucht. Das war ziemlich intensiv.“
Das Spezialvokabular, vor allem technische
Ausdrücke lernte sie später im Zuge ihrer Ausbildung
und ihrer Berufstätigkeit. Abgesehen von einem Hauch
von Akzent ist inzwischen nicht mehr merkbar, dass
Deutsch nicht Romana Welsers Muttersprache ist.
„Chemie hat mich schon in der Schule
interessiert
“
In Murmansk hatte Romana Welser zuerst begonnen,
Technologie zur Verarbeitung von Fischprodukten zu
studieren. „Das hat mir gar nicht gefallen. Die Technologie ist zwar sehr interessant, aber nicht mit Fisch.“
Romana Welser kam von Murmansk nach Linz.
Danach sattelte sie um auf Chemie. „Chemie hat
mich schon in der Schule interessiert.“ In Russland
Romana Welser arbeitet im Kompetenzzentrum Holz
waren, jedenfalls zu ihrer Schulzeit, so erinnert sich
in Linz als Chemielabortechnikerin. Sie ist Russin.
Romana Welser, technische Unterrichtsgegenstände
Geboren wurde sie im Süden Russlands. Aufge-
in der Schule stark vertreten. „Das heißt, am Ende der
wachsen ist sie ganz im Norden. In Murmansk. Dort
Schulzeit weiß man, was einem liegt. Das erleichtert
ging sie zur Schule und studierte einige Jahre an der
die Entscheidung für die Berufs- oder Studienwahl.“
Universität.
Grundsätzlich arbeiten, so ihr Eindruck, in Russland
mehr Frauen in technischen Bereichen, umgekehrt
2005 machte die Studentin Urlaub in Österreich. Bei
gibt es viele Männer, die Sprachen studieren. „Die
dieser Gelegenheit lernte sie ihren späteren Ehemann
Arbeitswelt ist in Russland ziemlich durchmischt.“
kennen. 2006 kam sie wieder nach Österreich, heiratete und blieb hier. Durch die Übersiedlung nach
Nach Abschluss der Deutschkurse am bfi, wandte
Österreich hat Romana Welser ihr Studium nicht
sich Romana Welser erst einmal ans AMS. „Ich habe
abgeschlossen, sondern nur ungefähr bis zur Hälfte
ursprünglich schon überlegt, in Österreich weiter-
absolviert.
zustudieren. Aber ich war nicht sicher, ob meine
Sprachkenntnisse dafür ausreichen.“ Da sie Interesse
Als Romana Welser nach Österreich kam, sprach sie
an einer technischen Ausbildung bzw. einem techni-
kein Deutsch. Sie belegte daher sofort nach ihrer
schen Beruf hatte, verwies ihre AMS-Beraterin sie an
Heirat einen Deutschkurs am Berufsförderungsinstitut
die FEM Implacement-Stiftung. „Diese Stiftung unter-
(bfi). „Nachdem ich den Grundkurs absolviert hatte,
stützt Frauen, die eine technische Ausbildung absol-
der für ein Visum nötig ist, habe ich weitergemacht,
vieren wollen.“
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
23
Während des Berufsorientierungskurses entschied
Romana Welsers Arbeitsgebiet ist die Produktion und
sich Romana Welser für die Ausbildung zur Chemiela-
die Prüfung von Prüfkörpern:
bortechnikerin. Um einen Platz für ein mehrwöchiges
„Ich produziere Prüfkörper und prüfe sie auf unter-
Praktikum in dem angestrebten Beruf mussten sich
schiedliche Art und Weise. Prüfkörper werden aus
die Teilnehmerinnen selbst bewerben. Romana
Gemischen unterschiedlicher Stoffe in unterschied-
Welser erhielt einen Praktikumsplatz im Kompetenz-
licher Zusammensetzung gebildet. Die Prüfungen
zentrum Holz. Dort konnte sie, was sie sehr freute, im
machen sichtbar, wie belastbar die neuen Materialien
Anschluss ans Praktikum auch ihre Lehrausbildung
sind, welche Eigenschaften sie haben, wie sie sich
machen. Und dort ist sie, nachdem sie im Februar
beispielsweise bei unterschiedlichen Temperaturen
2011 ihre Lehrabschlussprüfung abgelegt hat, nun
verhalten. Bei den von mir hergestellten Prüfkörpern
als Chemielabortechnikerin angestellt. Sie arbeitet
handelt es sich um Holz-Kunststoffverbindungen für
40 Stunden die Woche und verdient mehr als sie in
Bauteile.“
einem der typischen Frauenberufe verdienen würde.
„Und das Einkommen wird steigen.“
„In Wirklichkeit sind technische Ausbildungen nicht so schwierig wie man
“
meint
Die Ausbildung zur Chemielabortechnikerin ist ihr
nicht schwer gefallen. „Was wir in der Berufsschule
im theoretischen Teil gelernt haben – Organische
Chemie und Elementkunde – das habe ich schon in
den letzten beiden Schulklassen in Russland gelernt.
Was den praktischen Teil der Ausbildung betrifft, war
für mich aber alles neu.“
Die Scheu mancher Frauen vor der Technik hält
sie für übertrieben: „In Wirklichkeit sind technische
Ausbildungen nicht so schwierig wie man meint.
Frauen sollten keine Angst haben und es wenigstens
Das Tragen einer Schutzbrille ist im Labor Pflicht.
probieren. Aufhören können sie immer noch.“
Das Arbeitsgebiet der Chemielabortechnikerinnen
Im Beruf ständig mit anderen Leuten zusammen zu
Chemielabortechnikerinnen führen chemische, physikalisch-
sein und reden zu müssen, wäre nichts für Romana
chemische, biochemische und biotechnologische Untersuch-
Welser. „Ich stehe im Labor und mache was mit
ungen und Versuche an verschiedenen Stoffen (Materialien,
meinen Händen. Das passt für mich.“ An ihrer Tätig-
Zwischen- und Fertigprodukten, Abfällen) durch. Sie beschäf-
keit gefällt ihr vor allem, dass das Ergebnis ihrer
tigen sich mit der Beschaffenheit, der Bildung und Zerlegung
Arbeit weiterverwendet werden kann bzw. aufgrund
sowie der Verwendbarkeit von Stoffen. Sie arbeiten in Gewerbe-
der Ergebnisse neue Materialien mit neuen Eigen-
und Industriebetrieben, in Forschungseinrichtungen oder
schaften entwickelt werden.
öffentlichen Prüfstellen.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Romana Welser (Jahrgang 1980),
24
Chemielabortechnikerin
Zukunftsperspektiven? „Ich bin im Moment sehr
ein bisschen zurück, denn die letzten beiden Jahre
zufrieden mit der Situation wie sie ist. Ich habe drei
waren sehr anstrengend. Ich habe an beiden Beinen
Jahre Ausbildung hinter mir, ich habe einen Betrieb
eine Operation gehabt. Aber längerfristig schließe ich
gefunden, in dem es angenehm zu arbeiten ist. Mit
nicht aus, dass ich noch an die Universität gehe und
netten KollegInnen. Jetzt schalte ich erst einmal
Chemie (fertig) studiere.“
Die Sicht des Geschäftsführers
2009: Staatspreis für Chancengleichheit
Das Kompetenzzentrum Holz wurde im Jahr 2000 gegründet. Es ist innerhalb Österreichs die größte Forschungseinrichtung im Bereich Holz, Holzverbundstoffe und Holzchemie. Das Zentrum hat vier Standorte (Linz, Lenzing,
St. Veit an der Glan und Wien) und ist in Form einer GmbH organisiert, die ausschließlich öffentliche Eigentümer
hat. Der größte ist über seine Tochtergesellschaften das Land Oberösterreich mit 48 Prozent.
Insgesamt sind im Kompetenzzentrum rund 80 Personen beschäftigt. Dazu kommt eine enge Zusammenarbeit mit
einschlägigen Unternehmen und WissenschaftlerInnen aus dem universitären Bereich, speziell mit Professoren der
Johannes Keppler Universität in Linz und der Universität für Bodenkultur in Wien. Unter den im Kompetenzzentrum
beschäftigten Personen beträgt der AkademikerInnenanteil 75 Prozent. 40 Prozent davon sind Frauen.
Ziel des Forschungsprogramms ist es, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen. Ausgehend von den
Bedürfnissen von Unternehmen werden Forschungsziele definiert und längerfristige Projekte entwickelt. Die reichen
von der chemischen Holzzerlegung bis zur Möbelproduktion. Oft werden Projekte auch in Form einer Dissertation
ausgearbeitet, was, wie DI Boris Hultsch, Geschäftsführer des Zentrums, erklärt, Vorteile für alle Beteiligten hat.
„Die Dissertanten sind bei uns angestellt, werden aber von der Universität betreut und arbeiten an einem Thema,
das für ein oder mehrere Unternehmen von Interesse ist. Für die jungen Leute ist das insofern interessant, weil sie
angefangen von den ersten Versuchen im Labor die Projektentwicklung bis hin zur Produktion im Industrieunternehmen mitverfolgen können. So stehen sie mit einem Bein im Wirtschaftsleben und durch die Projektpräsentationen entstehen enge Kontakte zu den Unternehmen, von denen sie zum Teil später übernommen werden.“ Die
Universitäten wiederum werden auf diese Weise mit den für Unternehmen aktuellen Themen konfrontiert und
bleiben somit technologisch am neuesten Stand.
2009 hat das Kompetenzzentrum den Staatspreis für Chancengleichheit bekommen. „Chancengleichheit ist uns
ein Anliegen“, so Boris Hultsch. „Wir haben gezielt dafür gesorgt, dass der Frauenanteil an den Beschäftigten
hoch ist. Und wir sind äußerst flexibel was Arbeitszeitmodelle betrifft. Wir haben uns gesagt: Wenn wir das nicht
schaffen, wer sonst? Zwar ist bei uns die inhaltliche Arbeit nicht genau planbar. Aber wir sind kein Produktionsbetrieb, wo man Tag für Tag unter Termindruck steht, sondern wir haben langfristige Forschungsprojekte, das heißt
man kann sich die Arbeit zeitlich gut einteilen. Es ist für uns auch kein Problem, wenn jemand halbtags arbeitet. Wir
bemühen uns jedenfalls, Bedingungen herzustellen, dass die Arbeitszeit auch mit den Bedürfnissen von MitarbeiterInnen, die Kinder haben, kompatibel ist.“ Gibt es Männer in Karenz? „Das ist in den letzten zwei Jahren in Mode
gekommen, aber sie bleiben meist nicht sehr lang.“
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Eveline Prochaska (Jahrgang 1975)
Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation
„Für einen Neustart braucht es sehr viel Eigeninitiative“
überlegen, wie ich es anlege.“ Was ihr damals schon
unangenehm auffiel: „Im Büro mussten wir um Punkt
acht Uhr da sein, die Techniker konnten auch später
kommen, die hatten ja auch außer Haus zu tun,
konnten sich daher manches einteilen. Sie waren ein
bisschen freier und hatten mehr Ansehen. Erstens als
Frau und zweitens im Büro war man auf einer niedrigeren Stufe der Hierarchie verglichen mit Technikern
oder Installateuren. Das hat mich gestört.“
1996 legte sie ihre zweite Lehrabschlussprüfung ab,
die zur technischen Zeichnerin. Daran, dass sie Frau
war, änderte allerdings auch das technischen Büro
nichts. „Ich habe zwar zumindest gleich viel gearbeitet wie meine Kollegen, aber weit weniger verdient
und blieb immer die Kleine. Auf Dauer habe ich mich
Der Besuch eines Gymnasiums war Eveline Prochaska nicht möglich.
nicht wohlgefühlt in dieser Situation. Ich musste raus
dem Betrieb.“
Eveline Prochaska lebt schon seit Jahren in Wien,
kommt ursprünglich aber aus Niederösterreich, aus
Eveline Prochaska suchte sich eine neue Aufgabe
dem Pielachtal. Nach der Hauptschule wechselte
und wurde Lehrlingsausbildnerin in Wien bei Jugend
sie in die Handelsakademie, brach die Ausbildung
am Werk. Die Mobile Berufsausbildung war eine
aber ab. „Ich bin das dritte von sechs Kindern. Meine
Ausbildungsoffensive, die unter Bundeskanzler
Eltern haben sich einfach nicht leisten können, dass
Vranitzky gestartet wurde. Ihr Ziel: Alle Jugendlichen
wir höhere Schulen besuchen. Bis auf eine meiner
sollte einen Lehrplatz haben. Eveline Prochaska war
Schwestern hat in unserer Familie niemand die Matura
im Rahmen dieses Projektes zuständig für Bürokauf-
gemacht.“
leute, technische ZeichnerInnen, Einzelhandel etc.
Bald schon war sie auch in einer leitenden Funk-
Eveline Prochaska erlernte in einer Firma für Haus-
tion. „Wir bildeten die Jugendlichen aus und mussten
technik in St. Pölten den Beruf der Bürokauffrau,
Lehrbetriebe finden, in denen die Jugendlichen
schloss die Lehre mit der Lehrabschlussprüfung ab,
ein Praktikum machen oder eine Lehre absolvieren
begann dann aber, weil ihr im Büro langweilig war,
konnten. Wir waren ziemlich erfolgreich und hatten
im selben Betrieb im technischen Büro zu arbeiten.
eine hohe Vermittlungsquote. Es war eine sehr inter-
„Ich denke, ich habe was gesucht, wo ich selber
essante Tätigkeit, eine Herausforderung, denn es war
was machen kann, wo ich selber bestimmen kann.
ja ein völlig neues Projekt, das wir zum Teil erst entwi-
Als Bürokauffrau musste ich ja immer ausführen, was
ckeln mussten. Es war aber auch anstrengend. Viele
mir wer anderer anschafft. Als technische Zeichnerin
der Jugendlichen kamen aus schwierigen Familien-
hingegen konnte ich mir bei einem Projekt selber
verhältnissen, waren Schulabbrecher, und ich selbst
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
25
Eveline Prochaska (Jahrgang 1975)
26
Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation
die meisten Kollegen hatten große Probleme, einen
neuen Arbeitsplatz zu finden.“
„Ich war gern bei den Kindern zu
Hause, aber irgendwann war es
“
genug
Ursprünglich hatte ich ja nach einem Jahr wieder
arbeiten gehen wollen, aber letztlich blieb ich fünf
Jahre zu Hause. Das hat einfach gepasst. Meine
größere Tochter ist ein sehr anhängliches Kind, für
sie wäre es problematisch gewesen, von jemandem
Fremden betreut zu werden. 2007 kam meine zweite
Tochter zur Welt. Die Kleinere ist ganz anders, sie
ist lockerer und macht es mir leichter. Ich war gern
bei den Kindern zu Hause. Aber irgendwann war
es genug. Ich wollte unbedingt wieder was anderes
machen.“
Im Herbst 2009 wurde Eveline Prochaska initiativ. „Ich
habe im Internet recherchiert und bin auf den Termin
einer Informationsveranstaltung für WiedereinsteigeFernziel: Die Verbindung von Informationstechnologie und Medizin.
rinnen des waff gestoßen. Ich ging hin. Daneben
1
fand eine Informationsveranstaltung „Frauen in die
war noch sehr jung, ich war auch sehr engagiert.
Technik“ statt, die interessierte mich mehr. Ich hab
Irgendwann war es mir aber zu viel. Trotz Supervision
mich reingesetzt, und als auf einen Workshop an der
und Coaching fiel es mir schwer, mich abzugrenzen.“
Fachhochschule (FH) Campus Wien hingewiesen
wurde, habe ich mich dafür angemeldet und bin
2001 wechselte Eveline Prochaska in eine Druckerei,
auch hingegangen. Das war ein Elektronik-Workshop.
also ins grafische Gewerbe, in den Verkaufsinnen-
Zu Beginn des Workshops stellte sich allerdings
dienst. „Ich habe KundInnen beraten bezüglich
heraus, dass ich die erforderlichen Kriterien dafür
Druckaufträgen, das waren Banken, Museen, Künstler.
nicht erfülle. Ich war beim AMS nicht vorgemerkt und
Damals habe ich das erste Mal richtig gut verdient.“
an der Fachhochschule überdies fehl am Platz, weil
n
ich keine Matura hatte. Ich war ziemlich verzweifelt
Die Druckerei wurde allerdings bald von einer
darüber, so schnell an Grenzen zu stoßen. Glück-
anderen Druckerei gekauft, in der Eveline Prochaska
licherweise habe ich bei dem Workshop den Studien-
anfangs weiterarbeitete. „Dann kam mein erstes
gangsleiter, Professor Walzer, kennengelernt, und der
Kind. Offenbar genau im richtigen Moment, denn
hat mich dann unterstützt, sodass ich, obwohl ich
bald darauf ging diese Druckerei in Konkurs und
nicht ganz ins Schema gepasst habe, mich noch vor
1
Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
27
Studienbeginn auf die Studienberechtigungsprüfung
Der Organisationsaufwand für eine Frau mit Kindern
vorbereiten und diese auch ablegen konnte.
ist jedenfalls groß. „Ich darf nicht weiter als vier Tage
voraus denken. Sonst wird es zu stressig. Aber man
Mehr oder weniger parallel dazu absolvierte Eveline
wächst mit der Aufgabe. Vor zwei Jahren hätte ich mir
Prohaska den Vorqualifikationskurs, der jedes
nicht vorstellen können, dass sich das alles zeitlich
Jahr speziell für die Frauen, die im
ausgehen kann.“ Das Lernen für eine Prüfung kann
Rahmen des FiT-Programms ein Fach-
sich Eveline Prochaska beispielsweise nicht bis zum
hochschulstudium aufnehmen wollen,
abgehalten wird. Dieser Kurs dauert
Schluss aufheben. „Denn wenn ein Kind drei Tage
FiT-Programm
drei Monate und ist eine Art Vorbereitung aufs
vorher krank wird, komme ich nicht mehr dazu. Ich
muss wesentlich früher anfangen zu lernen.“
Studium, er konfrontiert die Frauen mit inhaltlichen
Bereichen, mit denen sie sich im Studium, vor allem
Ihre kleinere Tochter geht heuer in einen Kinder-
im ersten Semester auseinandersetzen müssen.
garten, der schon um sieben Uhr aufmacht und bis
„Vor zwei Jahren hätte ich mir nicht
17 Uhr offen hat. „Im Vorjahr war sie in einem Kindergarten, der nur bis 16 Uhr offen hat. Das war ein
vorstellen können, dass sich das zeit-
Horror. Das sind so Kleinigkeiten, aber die sind ganz
lich ausgehen kann
entscheidend. Wenn die Rahmenbedingungen nicht
“
stimmen, ist es nicht zu schaffen, drei oder vier Tage
Darauf folgte der – für alle InteressentInnen verbind-
bzw. mindestens 25 Wochenstunden an der Fach-
liche – Aufnahmetest sowie ein Aufnahmegespräch.
hochschule zu sein. Wir haben ja Anwesenheits-
Weder im Vorqualifikationskurs noch beim Aufnahme-
pflicht! Wir müssen im ersten Jahr meist um acht Uhr
test stieg im Jahrgang von Eveline Prochaska eine
dort sein, und ich habe fast eine Stunde Fahrzeit zum
der der FiT-Frauen aus. Im Verlaufe des ersten
Campus.“
Studienjahres allerdings reduzierte sich ihre Zahl
deutlich. Das mag damit zu tun haben, dass die
Die Anwesenheitspflicht gilt nur für Frauen, die im
TeilnehmerInnen des FiT-Programms älter und dem
Rahmen des FiT-Programms studieren. „Man kann
Lernen eher entwöhnt sind. Es kann aber auch
sich ja fragen, warum ich mir drei Jahre lang diktieren
daran liegen, dass – wie Eveline Prochaska – meint,
lasse, wann ich wo zu sein habe. Andererseits: Ich
sehr viel Eigeninitiative und enorm viel Disziplin und
könnte mir das Studium nicht leisten, wenn das AMS
Energie erforderlich sind, um durchzuhalten, vor
mich nicht unterstützt.“
allem für Frauen mit Kindern. Eveline Prochaska ist
verheiratet, aber ihr Mann ist nur begrenzt familiär
Obwohl Eveline Prochaska quer durch Wien fahren
einsetzbar. Er ist selbständig und viel außerhalb von
muss und daher viel Zeit verfährt, ist sie froh, sich für
Wien unterwegs. Sie aber kann eine Babysitterin, eine
ein Studium an der Fachhochschule Campus Wien im
Studentin, bezahlen, die bei der Kinderbetreuung
10. Bezirk entschieden zu haben. „Es gibt dort eine
einspringt. „Das ist schon ein großer Vorteil gegen-
eigene Abteilung Gender & Diversity Management,
über vielen meiner Kolleginnen, die teilweise Allein-
und wir erhalten sehr viel Unterstützung. In meinem
erzieherinnen sind und weniger Arbeitslosengeld
Jahrgang sind wir immerhin noch eine Gruppe von 12
haben.“
Frauen, die im Rahmen des FiT-Programms studieren.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Eveline Prochaska (Jahrgang 1975)
28
Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation
Das heißt, wenn es Probleme gibt, werden wir auch
Aufgrund ihrer eigenen Biographie weiß Eveline
gehört. Außerdem ist die Fachhochschule neu und
Prochaska, wie wichtig es ist, bereits Kindern und vor
wunderbar ausgestattet. Wir arbeiten an lauter neuen
allem Mädchen zu zeigen, was es alles an Möglich-
Geräten.“
keiten gibt. „Ich versuche, meinen Kindern beispielsweise auch zu vermitteln, dass es selbstverständlich
Ob es ihr leid tut, dass sie erst auf Umwegen zu ihrem
ist, an die Pflichtschule eine weitere Ausbildung anzu-
Studium gekommen ist? „Nein. Ich war zwar traurig,
schließen. Für mich war das nicht selbstverständlich.
dass ich kein Gymnasium besuchen konnte. Aber
Ich möchte, dass das in ihrem Denken verankert ist.
ohne den Weg, den ich zurückgelegt habe, wäre ich
Und das ist es auch. Die Ältere weiß schon heute,
jetzt nicht da, wo ich bin.“ In ihrem ersten Studien-
was eine Universität ist und was man dort macht.
jahr hat Eveline Prochaska mitgekriegt, dass viele
Mir war das fremd. Und genauso möchte ich auch,
ihrer Studienkolleginnen Mathematik für ihr Haupt-
dass Mädchen wissen, wie ein Schalter funktioniert
problem halten. Offenbar wird vielen Frauen von klein
und dass sie sich später dran erinnern, so was schon
auf die Botschaft vermittelt, dass das Scheitern an
einmal ausprobiert zu haben.“ Ihre ältere Tochter ist
der Mathematik weiblich sei. Die Frauen setzen sich
von den technischen Fähigkeiten ihrer Mutter jeden-
selber dadurch so sehr unter Druck und konzent-
falls angetan. „Sie gibt immer damit an, dass ihre
rieren sich oft nur noch auf Mathematik, was dazu
Mama die Autobatterie selber gewechselt hat.“
führen kann, dass sie nicht in Mathematik, sondern
in einem anderen Fach scheitern. Manche Frauen
Zukunftsperspektiven? Eveline Prochaska kann
haben, so die Beobachtung von Eveline Prochaska,
sich nach Ende des ersten Studienjahres durchaus
auch Schwierigkeiten aufgrund mangelnder Englisch-
vorstellen, an das Bachelor-Studium (Dauer: 6
kenntnisse. „Es gibt ZuwandererInnen, die in der
Semester), das sie im Rahmen des FiT-Programms
Schule kaum Englisch gelernt haben. Das Englisch,
absolviert, noch ein Master-Studium anzuschließen.
das in diesem Studiengang vorausgesetzt wird, ist
Inhaltlich tendiert sie zu einer Verbindung von Infor-
aber nicht in ein, zwei Semestern zu erlernen. Der
mationstechnologie und Medizin. Bereiche, die sie
Großteil der Fachliteratur ist in Englisch.“
interessieren, sind:
„Den Kindern zeigen, wie man Lichter
zum Leuchten bringt!
“
-
Telemedizin, mit deren Hilfe beispielsweise ältere Leute länger zu Hause bleiben oder seltener zur Kontrolle ins Spital transportiert werden müssen, weil MedzinerIn und PatientIn Um auch Mädchen von klein auf spielerisch mit
mittels Computer in Verbindung sind und
Technik vertraut zu machen, geht Eveline Prochaska
relevante Informationen übertragen können
auf Patientendaten (E-Cards und elektronische am EMU-Tag in die Volksschule ihrer Tochter und
2
zeigt den Kindern beispielsweise, wie man Lichter
zum Leuchten bringt, wie der elektrischer Strom funktioniert, in welche Richtung er fließt, wofür man Widerstände braucht. Ich bringe ihnen ein Schaltbrett mit
-
Security, sprich: die Netzsicherheit in Bezug Gesundheitsakte)
-
Mikroelektronik zur Steuerung von Prothesen
und versuche, ihnen Elektronik nahezubringen. „Ich
Darüber hinaus wäre es ihr wichtig, nach dem Studi-
möchte, dass Mädchen sehen, dass es ihnen im
um projektbezogen arbeiten zu können, was im
Bereich Technik nicht anders geht als Buben.“
Bereich der Informationstechnologie üblich ist.
2
EMU = Eltern machen Unterricht
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
29
Projektbezogene Arbeit heißt, Zielvorgaben zu haben,
dem Projekt gearbeitet wird. „Ich möchte schon auch
die in einem gewissen Zeitraum erreicht werden
Zeit haben für meine Kinder. Sonst sind die, noch ehe
müssen, sich aber selber einteilen können, wann an
ich mich beruflich verwirklicht habe, aus dem Haus.“
Die Sicht des Studiengangsleiters
„Tüchtig, engagiert und gut organisiert“
FH-Professor DI Johann Walzer leitet seit 2003 den Studiengang Informationstechnologien und Telekommunikation
(ITTK) an der Fachhochschule Campus Wien: „Der Frauenanteil an den Studierenden war in dieser Studienrichtung
trotz aller Kampagnen ‚Mehr Frauen in die Technik’ in der Vergangenheit sehr gering. Es gab Jahrgänge ganz ohne
Frauen oder nur mit ein oder zwei Frauen.“ Seit im Rahmen des FiT-Programms auch das Studium der Informationstechnologien und Telekommunikation vom AMS gefördert wird, hat sich die Situation deutlich verändert. Der Frauenanteil an den Studierenden stieg auf 30 Prozent. „Verändert hat sich dadurch die Altersstruktur, die Gruppe der
Studierenden ist vielfältiger geworden und bringt unterschiedliche Perspektiven ein.“
Zumindestens einige der im Folgenden genannten Voraussetzungen für ein ITTK-Studium sollten laut Professor
Walter vorhanden sein:
-
-
-
-
-
-
Freude an der Beschäftigung mit Computern oder anderen technischen Geräten
Interesse an technischen Zusammenhängen
Grundverständnis für Mathematik
Neugierig sein und ergründen wollen, wie etwas funktioniert
Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen
Eventuell auch praktische Erfahrungen im Programmieren, Basteln, Reparieren, Einrichten von
Netzwerken....
Die Frauen, die im Rahmen des FiT-Programms ein ITTK-Studium beginnen, erhalten im Frühjahr vor Studienbeginn eine drei Monate dauernde Vorqualifizierung im Ausmaß von 630 Stunden, in der sie auf den Aufnahmetest und das Studium vorbereitet werden. „Grundsätzlich sollten alle, die zum Vorqualifizierungskurs kommen, eine
Matura oder Studienberechtigungsprüfung haben. In der Realität ist dies, wie sich gezeigt hat, nicht immer der
Fall. „Eveline Prochaska hatte keine Matura, sie hat am Vorqualifizierungskurs teilgenommen und an der Fachhochschule im September vor Studienbeginn die Studienberechtigungsprüfung abgelegt. Und es schaut nicht so aus,
als ob dies zu einem Problem führen würde. Eveline Prochaska weiß, was sie will, sie ist sehr tüchtig, sehr engagiert und sehr gut organisiert. Immerhin schafft sie das mit zwei kleinen Kindern.“
Die gesamte Ausbildung (drei Monate Vorqualifizierung und drei Jahre Bachelor-Studium) der Frauen, die im
Rahmen des FiT-Programms ein technisches Fachhochschul-Studium (Frauenanteil unter 40%) absolvieren, wird
vom AMS gefördert.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Sandra Schmid (Jahrgang 1978)
30
Mechatronikerin
„Mir gefällt es, wenn ich körperlich arbeiten kann.
Ich mag das“
männliche Kollegen aber schon. Als ein junger
Mann, der zwei Jahre später dieselbe Schule abgeschlossen hatte wie Sandra Schmid, in dem Unternehmen, in dem sie arbeitete, sogleich Modellbauchef wurde, reichte es ihr. „Ich habe da keine Zukunft
für mich gesehen.“ Sie wollte Kenntnisse in Mechatronik erwerben. Mechatronik ist eine Kombination
der ehemals getrennten Berufsbereiche Mechanik
und Elektronik, ergänzt durch Steuerungstechnik und
Informationstechnik. Zuerst versuchte sie auf eigene
Faust eine Lehrstelle zu finden. „Das war aber in
meinem Alter, wie sich zeigte, recht schwierig.“ Ihre
AMS-Beraterin machte sie auf die Implacement-Stiftung aufmerksam, deren Ziel nicht nur die Integration
arbeitsloser ArbeitnehmerInnen ist, sondern zugleich
„die Schaffung eines Fachkräftepotentials durch eine
Schon als Kind war Sandra Schmid technisch interessiert.
nachfrageorientierte und arbeitsplatzgenaue Ausbildung“. Sandra Schmid meldete sich bei der Implace-
2003 kam Sandra Schmid aus Deutschland nach
ment-Stiftung an und besuchte dann
Österreich. Davor hatte sie eine vierjährige Fach-
einen Kurs des AMS-Programms
schule für Formenentwurf und Formenbau abge-
„Frauen in Handwerk und Technik“.
schlossen. „Das war eine künstlerische und zugleich
Vierzehn Tage danach teilte ihr die
handwerkliche Ausbildung. Wir haben von der Pieke
Stiftung mit, die Firma EMCO-TEST in Kuchl – sie stellt
auf gelernt, wie man Porzellansachen macht, wie man
Härteprüfmaschinen her – würde sich für sie interes-
Rohlinge herstellt. Wir haben auch mit dem Werkstoff
sieren, sie solle sich mit dem Leiter der Fertigung in
Clay gearbeitet, einem Aluminiumsilikat, das auch in
Verbindung setzen.
der Autoindustrie verwendet wird. 1:1-Modelle von
Autos werden erst einmal in Clay erstellt.“ Danach
begann sie in einem Designunternehmen im Bundes-
FiT-Programm
„Das Genialste war der Kabelmüll“
land Salzburg zu arbeiten. Letztlich aber stieß sie
Das Motiv für die Lehrausbildung in Mechatronik
in dem Betrieb an Grenzen. Sie wollte einen CNC-
war Sandra Schmids Wunsch, die CNC-Technologie
Kurs machen und lernen, mit computergesteuerten
kennenzulernen. „Mir gefällt das einfach. Ich habe
Maschinen Formen zu erstellen. Der Kursbesuch
schon als Kind mit Lego Technic-Produkten gespielt.
wurde von der Firma jedoch nicht bewilligt. „Das
Und ich habe immer schon gern gebastelt. Der
hat mich schon geärgert, und es war auch diskrimi-
Meister hört das zwar nicht gern, wenn ich von
nierend, dass sie mich als Frau da nicht ranlassen,
Basteln rede, im Endeffekt aber ist die Arbeit für
1
1
CNC ist die Abkürzung von Computerized Numerical Control, zu deutsch: computerisierte numerische Steuerung.
Siehe auch Anmerkung 1 auf Seite 15.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
31
mich nichts anderes als ein – wenn auch genaueres
„Aber damals war es geradezu suspekt, wenn eine
– Basteln. Ich habe zwar als Kind auch eine Barbie-
Frau für einen sogenannten Männerberuf Interesse
Puppe gehabt und mit den Freundinnen Puppen
zeigte. Bei einem Bewerbungsgespräch wurde mir
gespielt. Aber genauso gern mit meinem Vater mit
dann auch klipp und klar gesagt, sie wollen keine
Autos. Und dann ist das Pneumatik-Spielzeug raus-
Frau als Lehrling, denn die wird dann schwanger und
gekommen. Ein Wahnsinn!“ Auch ihr Vater, so erin-
bleibt drei Jahre zu Hause...“
nert sie sich, sei extrem vielseitig gewesen. „Er hat
geschnitzt und gemalt und war handwerklich und
Derzeit sind österreichweit 8,2 Prozent der
elektronisch sehr versiert.“
Mechatronik-Lehrlinge Frauen.
Beruflich war ihr Vater bei der Post. „Auf dem
Das Arbeitsgebiet der MechatronikerInnen
Betriebsgelände gab es jedes Jahr ein Firmenfest.
MechatronikerInnen sind für die Herstellung, Montage, Über-
Da haben wir Kinder immer mit den Kabeltrommeln
prüfung und Instandhaltung mechatronischer Systeme zustän-
gespielt. Da gab es Kabeln mit ganz dünnen Quer-
dig. Mechatronische Systeme spielen im Maschinen-, Anlagen-
schnitten und dann wieder Rollen mit dicken Kabeln
und Gerätebau eine große Rolle. MechatronikerInnen stellen
drauf. Und das Genialste war der Kabelmüll. Das hört
mechatronische Teile her, bearbeiten sie, bauen mechatroni-
sich blöd an, aber es war uns das Liebste, aus den
sche Baugruppen zusammen und gleichen sie ab. Mechatro-
bunten Kabeln was Tolles zu basteln.“
nikerInnen bauen elektrische, pneumatische und hydraulische
Steuerungen nach Schaltplänen auf. Ihre Tätigkeiten reichen
2007 begann Sandra Schmid ihre Lehrausbildung zur
weit in den EDV-Bereich hinein. Sie stellen beispielsweise
Mechatronikerin bei EMCO-TEST. Sie war und ist nicht
System-Komponenten zusammen, passen Software an und
nur die einzige Frau in der Werkstatt, sondern auch
installieren sie. Sie programmieren mechatronische Systeme.
die erste Frau. Sandra Schmid stört dies nicht. Im
deraum. „In der Werkstatt wurde ich gleich einem
„Abwechslung ist mir wichtig“
ganz lieben Kollegen zur Seite gestellt, der mir viel
Die Arbeit macht Sandra Schmid Freude. „Mir gefällt
beigebracht hat. Das war einsame Spitze.“
es, wenn ich körperlich arbeiten kann. Ich mag das,
Gegenteil. Sie hat jetzt sogar einen eigenen Umklei-
wenn ich einmal im Sitzen arbeite, dann wieder stehe
Aber auch die anderen waren nett. „Sicher braucht
oder rumlaufe. Ich könnte nicht die ganze Zeit nur
man Selbstvertrauen unter lauter Männern. Und
vorm Computer sitzen. Nur stehen wäre auch nichts.
Durchsetzungsvermögen. Denn am Anfang testen
Mir ist die Abwechslung wichtig. Auch dass manch-
die Kollegen erst einmal aus, wie man reagiert. Aber
mal feinere Arbeiten zu erledigen sind, dann wieder
es ist sicher ein Vorteil des höheren Alters, dass man
handfestere, grobe. Und ganz wichtig ist auch, dass
ernsthafter an alles herangeht.“
die Arbeit ein Ergebnis hat – ein funktionierendes
Der Nachteil: In der Berufsschule fühlte sie sich
Gerät!“
manchmal wie im Kindergarten.
Für Mechatronik hatte sich Sandra Schmid schon in
Sandra Schmid arbeitet Vollzeit. Im Betrieb gibt es
Deutschland interessiert, zu jener Zeit, als der Beruf
eine Gleitzeitregelung mit einer Kernarbeitszeit von
gerade aufkam, das war Ende der 1990-er Jahre.
9 bis 15 Uhr. Freitag ist um 12.30 Uhr Arbeitsschluss.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Sandra Schmid (Jahrgang 1978)
32
Mechatronikerin
wieder! Was sich die Kassiererinnen alles anhören
müssen! Und Friseuse? Wenn ich denke, wie
ungern ich zum Friseur gehe. Diese zwanghaften
Gespräche...“
Im April 2010 legte Sandra Schmid die Lehrabschlussprüfung ab und blieb in der Ausbildungsfirma. Sie ist in der Entwicklung, vor allem aber
im Zusammenbau von Härteprüfmaschinen tätig.
Dazu gehört die Vormontage von Baugruppen, der
Aufbau der kompletten Maschine, das Installieren
von Softwarekomponenten und die Inbetriebnahme
einschließlich der Funktionsprüfung.
„Früher habe ich die Matura für sinnlos
gehalten...
“
Genaugenommen hätte Sandra Schmid parallel zur
Lehre gern auch die Berufsreifeprüfung gemacht.
Diese Möglichkeit wird vom Bund gefördert und ist
daher für Lehrlinge kostenfrei.
Da jedoch bereits ihre Lehrausbildung im Rahmen
des FiT-Programms gefördert wurde, war dies nicht
möglich. „Doppelförderungen sind nicht vorgesehen.“
Früher hatte es Sandra Schmid für sinnlos gehalten,
die Matura zu machen. „Ich wollte ja nicht studieren.“
Inzwischen interessiert sie sich allerdings dafür, da
sie gemerkt hat, dass viele Firmen Wert auf eine
Wichtig ist, dass die Arbeit ein Ergebnis hat – ein funktionierendes Gerät!
Matura legen. Auch in Hinblick auf ein Lehramt wäre
eine Reifeprüfung erforderlich. „Jetzt habe ich mich
Die Bezahlung ist deutlich besser als in typischen
einmal schlau gemacht, was das kostet.“ Die Kosten
Frauenberufen. Das Geld allein wäre für Sandra
sind nicht gering. Das gilt auch für die Meisterprü-
Schmid aber nicht ausschlaggebend. Entscheidend
fung. „Die würde das Einkommen erhöhen.“ Fest
ist auch die Art der Arbeit. Und da wären die traditi-
steht, Sandra Schmid würde ihr Wissen längerfristig
onellen Frauenberufe für sie nie in Frage gekommen.
noch gern erweitern. „Ich bin nicht so, dass ich etwas
„Den ganzen Tag lächeln müssen? Nein, das möchte
lerne und mich dann auf ewig damit zufrieden gebe.
ich nicht. Ich habe einmal in einem Kaufhaus an der
Dafür bin ich viel zu neugierig.“
Kasse gearbeitet, das war für mich ein Trauma. Nie
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
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Die Sicht des Fertigungsleiters
„Sie macht ihre Sache sehr gut“
Standort der Firma EMCO-TEST Prüfmaschinen GmbH ist seit 2001 Kuchl im Bundesland Salzburg. Das Unternehmen stellt Härteprüfmaschinen her, welche die Härte von metallischen Werkstoffen überprüfen. Verwendung
finden die Prüfmaschinen vor allem in der Automobilindustrie und in der Stahlerzeugung. 95 Prozent der Produkte
gehen in den Export, ein großer Teil nach Deutschland. EMCO-TEST entwickelt und fertigt die Prüfmaschinen, das
heißt, die Maschinen werden in Kuchl zusammengebaut, die Herstellung der einzelnen Bauteile erfolgt im Wesentlichen in österreichischen Partnerfirmen. Derzeit hat EMCO-TEST 38 MitarbeiterInnen. In der Fertigung ist Sandra
Schmid die einzige Frau. Im Angestelltenbereich (Assistenz der Geschäftsführung, Einkauf, Angebotswesen etc.)
gibt es acht Frauen.
Als sich Ing. Bernd Schrattenecker, Leiter der Fertigung, vor einigen Jahren an die Implacement-Stiftung in Salzburg wandte, weil er auf der Suche nach einem Mechatroniker-Lehrling war, wurde ihm Sandra Schmid empfohlen.
Sie kenne sich im Formenbau aus, hieß es. Nach Rücksprache mit der Geschäftsführung entschlossen sie sich,
es erstmals mit einer Frau zu versuchen. Der Versuch ist gelungen. Ing. Schrattenecker ist voll der Anerkennung.
„Sandra Schmid hat die Ausbildung super gemacht. Sie war sehr motiviert, und sie ist auch sehr geschickt und
sehr geduldig. Sie gibt nicht auf, bevor sie es geschafft hat. Sie macht ihre Sache wirklich sehr gut.“
Nach Abschluss der Lehrausbildung, die Sandra Schmid im Rahmen des FiT-Programms absolviert hat, wurde sie
im Unternehmen angestellt. „Sie ist sehr gut integriert. Sie wurde aber auch von den Kollegen gut aufgenommen
und ihre Fähigkeiten werden anerkannt. Auch von der Entwicklungsabteilung wird sie aufgrund ihrer Qualifikation
und Feinmotorik immer wieder herangezogen, beispielsweise wenn es sich um die Herstellung von sehr filigranen
Prototypenbauteilen handelt. Sie weiß, worauf es ankommt.“
Seinerzeit als der Firmensitz gebaut worden war, hatte niemand daran gedacht, in der Fertigung getrennte Toilettenanlagen und Umkleidekabinen vorzusehen. „Im Zuge der Büro- und Produktionserweiterung haben wir das nun
berücksichtigt. Und gleich mehrere Spinde in die Garderoben eingebaut. Wir sind offen für mehr Frauen.“
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Anita Wechselberger (Jahrgang 1968)
34
Kraftfahrzeugtechnikerin
Als erste Frau in der Werkstatt
Anita Wechselberger unterbrach ihre Berufstätigkeit
bis der Sohn, das jüngere der Kinder, in den Kindergarten kam und begann dann zuerst halbtags und
nach der Scheidung ganztags zu jobben – zu putzen,
zu waschen, zu kochen, zu kellnern. „Im Zillertal
sind die Arbeitsmöglichkeiten gering.“ Irgendwann
hatte sie genug vom Gastgewerbe, arbeitete anderthalb Jahre im Lager einer Apothekerzulieferfirma und
anschließend doch wieder im Gastgewerbe, in einem
Café an einer Tankstelle. Unmittelbar gegenüber gab
es ein Zweiradgeschäft plus Werkstatt, in dem sie
bald schon in ihrer Freizeit ein wenig mitzuarbeiten
bzw. auszuhelfen begann. Ihr Interesse an Kraftfahrzeugen hatte sie nicht verloren.
Als sie mit ihrem Motorroller unverschuldet einen
Nach 25 Jahren ging Anita Wechselbergers Berufswunsch in Erfüllung.
Unfall hatte und sechs Wochen krankgeschrieben
wurde, war dies ihrem Chef offenbar zu viel. Kaum
Schon im Alter von 16 Jahren, nach Abschluss der
war sie zurück im Café, erhielt sie die Kündigung.
Polytechnischen Schule, wäre Anita Wechselberger
Anita Wechselberger ging zum AMS. „Das war an
gern Kraftfahrzeugtechnikerin geworden. Doch ihre
einem Mittwoch. Ich erinnere mich noch gut. Ich habe
Suche nach einer Lehrstelle verlief erfolglos. Von allen
die Beraterin gefragt, ob es nicht möglich wäre, was
drei Werkstätten im Raum Vöcklabruck, in denen
anderes zu machen, und habe ihr gesagt, dass ich
sie sich vorstellte, erhielt sie Absagen. Statt dessen
bereit wäre zu einer Umschulung. Zuerst fragte sie
machte sie schließlich in einem Hotel in Seewalchen
mich, ob ich an einem Sozialberuf interessiert sei.“
am Attersee die Lehrausbildung zur Köchin. Das ent-
Anita Wechselberger verneinte. „Das ist nichts für
sprach eher dem Geschmack ihrer Mutter als ihren
mich.“ Daraufhin wurde sie gefragt, ob sie tech-
eigenen Wünschen. Nebenbei reparierte sie immer
nisches Interesse hätte. „Sag ich. Ja, sicher.“ Da
wieder Mopeds, das eigene und die von Freundinnen.
sagte ihr die Beraterin, dass es an diesem Tag einen
1
Vortrag über „Frauen in Handwerk und Technik“ im
Nach Abschluss der Lehre ging sie mit ihrer Cousine
AMS Schwaz gebe. „Ich ging sofort hin. Der Vortrag
auf Saison nach Kärnten und Salzburg, später auch
hatte schon begonnen. Im Anschluss
nach Tirol, ins Zillertal, wo sie ihren (inzwischen: Ex-)
fand ein Eignungstest statt, den habe
Mann kennenlernte, heiratete, zwei Kinder bekam,
ich erfolgreich bestanden und damit
eine Tochter und einen Sohn, und wo sie heute noch
war ich in das FiT-Programm aufge-
lebt.
nommen. An diesem Tag hat sich wirklich eins ins
andere gefügt.“
1
Der Lehrberuf hieß damals noch Kraftfahrzeugmechaniker.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
FiT-Programm
35
Danach besuchte Anita Wechselberger in Wörgl
der Reifen. Möglicherweise misstraute er aber auch
den Berufsorientierungskurs im Rahmen des FiT-
nur ihren Fähigkeiten. Einer meinte, dass er Frauen
Programms, den die Bildungseinrichtung ibis acam
normalerweise nicht mit seinem Auto fahren ließe,
im Auftrag des AMS durchführte. Dieser Kurs sollte
dass dies also ein besonderes Entgegenkommen
Frauen die Möglichkeit geben, draufzukommen,
sei.... „Beim nächsten Mal aber war’s für ihn schon
welche Tätigkeit sie wirklich interessiert, welchen
selbstverständlich.“ Größtenteils waren die Reakti-
Beruf sie tatsächlich erlernen wollen. Für diesen
onen der Kunden positiv, zumal wenn ihnen im Büro
Beruf war auch eine Basisqualifizierung in Form eines
gesagt worden war, dass die Mitarbeiterin den Beruf
Praktikums vorgesehen. Anita Wechselberger war
im zweiten Bildungsweg erlernt. Kundinnen, so die
eine der wenigen Teilnehmerinnen, der vom ersten
Erfahrung Anita Wechselbergers, wissen es in jedem
Tag an klar war, was sie will. Sie wollte – wie schon
Fall zu schätzen, wenn ihnen jemand in einer auch
25 Jahre davor – Kraftfahrzeugtechnikerin werden.
für sie verständlichen Sprache erklärt, was warum zu
Kraftfahrzeugtechnik ist nach wie vor eine „traditi-
reparieren ist. In der Werkstätte unter den Kollegen
onelle Männerdomäne“. Der Anteil der Frauen an
wurde zwischendurch auch geblödelt, grenzwer-
den Lehrlingen beträgt derzeit österreichweit noch
tige Sprüche gab es, aber eher selten. Anita Wech-
immer weniger als drei Prozent. Anita Wechselberger
selbergers Kommentar: „Auch im Gastgewerbe
schaffte es auch, eine dreiwöchige Praxisstelle zu
braucht man eine dicke Haut.“ Dass sie nicht mehr
finden, und zwar im Autohaus Schick in Schwaz, einer
ganz jung ist, sieht sie in diesem Zusammenhang als
Peugeot-Vertretung, wo sie schon zuvor manchmal
Vorteil. „Dann ist es leichter, sich gegenüber männ-
Teilstücke für das Zweiradgeschäft im Zillertal besorgt
lichen Kollegen zu behaupten.“ Gleichzeitig wusste
hatte. „Das war ganz unkompliziert.“
sie immer, dass sie mit der Hilfe und Unterstützung
„Fürs Aufräumen sind die Lehrlinge
zuständig. Egal wie alt sie sind
“
all ihrer Kollegen rechnen konnte. Besonders hilfreich
Nach dem Praktikum fragte sie den Chef, ob sie ihre
habe.“
war der Werkstättenleiter. „Er hatte eine Engelsgeduld
mit mir und immer versucht, mir zu erklären, warum
etwas so ist wie es ist, auch wenn ich dreimal gefragt
Lehrausbildung in seinem Betrieb machen könne. Der
Chef, Günther Schick, willigte ein, nachdem er sich
Eine andere ihrer Erfahrungen: „Grundsätzlich ist man
in der ArbeitsmarktförderungsGmbH (AMG) – sie ist
als Lehrling in der Rangordnung ganz unten. Das
für die Teilnehmerinnen am FiT-Programm während
muss einem klar sein. Fürs Aufräumen sind die Lehr-
ihrer Berufsausbildung zuständig – nach den näheren
linge zuständig. Egal wie alt sie sind.“
Konditionen erkundigt hatte. Für den Betrieb war dies
ein absolutes Novum. Nie zuvor hatte in der Werkstatt
Das Arbeitsgebiet der KraftfahrzeugtechnikerInnen
des Autohauses eine Frau gearbeitet. Anfang 2009
KraftfahrzeugtechnikerInnen kontrollieren die Verkehrs- und
begann Anita Wechselberger mit der Lehrausbildung;
Betriebssicherheit von Kraftfahrzeugen (Lkws, Pkws sowie
nahezu zeitgleich nahm ihr Sohn die Ausbildung zum
Motorräder und Mopeds), überprüfen Kraftfahrzeuge in
Tischler auf. Manche Kunden des Autohauses waren
Hinblick auf allfällige Schäden und führen die Wartung und
anfangs ein wenig irritiert. So mancher Kunde wollte
Reparatur der Fahrzeuge durch. Die Elektronik hat in diesem
ihr – ganz Kavalier alter Schule – erst einmal helfen
Bereich in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung
beim Öffnen der Motorhaube oder beim Wechseln
gewonnen.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Anita Wechselberger (Jahrgang 1968)
36
Kraftfahrzeugtechnikerin
Schon bald wurde Anita Wechselberger angeleitet,
einfache Reparaturen zu machen, Servicearbeiten
durchzuführen, Bremsscheiben und Zündkerzen
auszutauschen, Bremsflüssigkeit, Bremsklötze und
Reifen zu wechseln, kleine Lackschäden auszubessern etc. Auch für die Auslieferung von Neuwagen
wurde sie herangezogen, bei denen mit Hilfe des
Computers noch einmal überprüft wird, ob auch alles
in Ordnung ist.
„Wenn ich die Lehrabschlussprüfung
schaffe, frisst er einen Besen
“
Die Reaktionen ihrer Umgebung auf ihren Berufswunsch? „Ein Bekannter formulierte es drastisch.
Er sagte mir, wenn ich die Lehrabschlussprüfung
schaffe, frisst er einen Besen.“ Trotzdem verfolgte
er ihre Ausbildung mit Interesse und gratulierte ihr
schließlich herzlich zur bestandenen Lehrabschlussprüfung. „Den Besen habe ich ihm dann erlassen.“
Unterstützung erhielt Anita Wechselberger von ihren
Kindern, vor allem von der Tochter, die damals bereits
von zu Hause ausgezogen und berufstätig war. Die
Reaktionen ihrer Freundinnen reichten von Skepsis
bis Bewunderung. Allerdings stellt Anita Wechselberger inzwischen fest, dass die Kontakte mit Frauen
immer geringer werden, seitdem sie mit immer mehr
Männern zusammenarbeitet. „Die wenigsten Frauen
interessieren sich für Autos. Und ich bin am Thema
Heiraten und Kinderkriegen nicht mehr wirklich
Jetzt möchte Sie in ihrem Beruf viel praktische Erfahrung sammeln.
interessiert.“
Die Ausbildung von Anita Wechselberger umfasste
Schwer ist ihr die Ausbildung nicht gefallen. „Der
noch Nutzfahrzeuge, Personenkraftwägen und Motor-
Stoff war schon sehr umfangreich, aber wenn einen
räder, wobei der Schwerpunkt auf Pkws lag. „Inzwi-
was interessiert, fällt einem das Lernen auch leichter.
schen hat sich das geändert. Jetzt wird im zweiten
Überdies hatte ich Lehrer, die mich sehr unterstützt
Lehrjahr die Ausbildung gesplittet. Die Lehrlinge
haben. Durchhaltevermögen habe ich während der
können sich entscheiden zwischen Lkw, Pkw und
Ausbildung nur in finanzieller Hinsicht gebraucht. Das
Motorrad.“
Arbeitslosengeld war knapp.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
37
Da war die Ausbildungszeit für mich als Alleinerzie-
Reifen wechseln etc., aber mit einspurigen Fahr-
herin schon eine Durststrecke. Als außerordentliche
zeugen zu arbeiten, ist doch was anderes. Außerdem
Berufsschülerin durfte ich in Innsbruck auch nicht
ist es ein kleiner Betrieb, wo du alles selber machen
im Lehrlingsheim wohnen, sondern musste mir ein
musst, von der Annahme bis zur Besorgung der
Privatquartier suchen. Die letzten beiden Berufsschul-
Ersatzteile.“
termine bin ich dann, um zu sparen, zwischen dem
Zillertal und Innsbruck gependelt.“
Anita Wechselberger ist sehr froh, die Ausbildung
gemacht zu haben und endlich in dem Beruf arbeiten
Im Jänner 2011 legte Anita Wechselberger die Lehr-
zu können, den sie sich immer gewünscht hat. Das
abschlussprüfung ab und blieb anschließend noch
Wichtigste ist ihr im Moment, möglichst viel prakti-
ein halbes Jahr im Autohaus Schick. Inzwischen
sche Erfahrung zu sammeln. „Ich denke mir schon
wechselte sie in das Zweiradgeschäft, in dem sie
oft, was ich heute in meinem Alter an Wissen haben
schon früher ausgeholfen hat. Dieser Betrieb liegt
könnte, was ich an Entwicklungen mitgekriegt hätte,
ihrem Wohnort viel näher. Nach Schwaz musste sie
wenn ich die Ausbildung in meiner Jugend hätte
täglich 40 Minuten fahren. „Ich bin jetzt wieder beim
machen können. Speziell in der Autobranche gibt es
Lernen. Ich mache zwar im Grunde die gleichen
ja ständig Veränderungen. Was im letzten Jahr neu
Tätigkeiten wie im Autohaus, Pickerlüberprüfung,
war, ist heuer schon wieder alt.“
Die Sicht des Firmenchefs
„Sie hätte auch im Betrieb bleiben können“
Das Autohaus Schick in Schwaz, eine Peugeot-Vertretung, hat insgesamt – in Büro, Lager, Neuwagen- und
Gebrauchtwagenverkauf sowie Werkstatt – zwölf Beschäftigte. Der Geschäftsleiter, Günther Schick, hat mit Frauen
im Büro gute Erfahrungen. Inzwischen auch mit einer Frau in der Werkstatt, wo Frauen bekanntlich Seltenheitswert
haben.
Seine Erklärung, warum sich für den Beruf der Kraftfahrzeugtechnikerin so wenig Frauen finden: „Ich denke, es
schreckt schon viele Frauen ab, dass es sich um eine Arbeit handelt, bei der man sich auch schmutzig macht. Und
dass es sich zum Teil um körperlich schwere Arbeit handelt. Eher als Städterinnen eignen sich dafür wohl Frauen
aus ländlichen Gegenden, die an körperliche Arbeit gewöhnt sind und denen der Umgang mit Landmaschinen
nicht fremd ist.“
Seine Erfahrungen mit Anita Wechselberger bezeichnet er als sehr positiv. Sie hätte bei ihm auch weiterarbeiten
können. Er schließt nicht aus, wieder eine Frau in der Werkstatt zu beschäftigen, allerdings eher eine Frau, welche
die Ausbildung im Zweiten Bildungsweg macht so wie Anita Wechselberger als eine ganz junge.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Nuray Isik (Jahrgang 1981)
38
Speditionskauffrau
„Ich bin froh, dass mir diese Chance geboten wurde“
aufgaben oft nicht machen können, weil ich die
Aufgaben nicht verstanden habe. Ich habe stattdessen aber immer andere Übungen gemacht und
habe meiner Lehrerin auch erklärt warum. Sie hat
meine Bemühungen anerkannt und mich unterstützt.“
Nuray Isik kam von der Volksschule ins Gymnasium.
Da allerdings zeigte sich, dass ihre Sprachkenntnisse
nicht ausreichten, um dem Unterricht zu folgen. Nach
der ersten Klasse wechselte sie in die 2. Klasse
Hauptschule. Dort war die Situation zwar anders, aber
ebenso schwierig wie in der Volksschule. Von den
20 Kindern der Klasse hatten 16 eine andere Muttersprache als Deutsch. „Es war die Zeit des Krieges in
Ex-Jugoslawien, als viele Familien nach Österreich
flüchteten.“
Nuray Isik hatte lange Zeit Probleme mit der deutschen Sprache.
„Früher habe ich mir immer gesagt:
Ich rede nicht, denn wenn ich rede,
Nuray Isik wurde in Schwarzach im Pongau geboren.
mache ich Fehler. Und dann werde ich
Als drittes Kind ihrer Eltern. Diese waren in den
ausgelacht
1970-er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach
“
Österreich gekommen. Im Alter von fünf Jahren kam
„Meine Eltern konnten mit uns Kindern zwar nicht
Nuray mit ihrer Schwester und ihrem Bruder zu den
lernen, aber sie haben uns auf andere Weise zu
Großeltern in die Türkei, und zwar nach Izmit, eine
unterstützen versucht, denn sie wollten, dass wir eine
Stadt in der Nähe von Istanbul, denn die Betreuung
gute Ausbildung haben. Drei, vier Jahre lang haben
der Kinder war mit der Berufstätigkeit der Eltern nicht
sie mir und meiner Schwester Nachhilfeunterricht
vereinbar. Drei Jahre lang besuchte Nuray in der
bezahlt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“
Türkei die Grundschule. Im Alter von acht Jahren kam
sie zurück nach Österreich, die Familie wohnte inzwi-
Die Hauptschule schloss Nuray Isik mit gutem Erfolg
schen in der Stadt Salzburg, und Nuray stieg – ohne
ab. Anschließend besuchte sie eine Handelsakade-
ein Wort Deutsch zu können – in die zweite Klasse
mie. Die Sprachschwierigkeiten aber waren nicht
Volksschule ein. „Diese Zeit war sehr schlimm“,
wirklich überwunden. „Ich hatte damals auch kein
erinnert sie sich. „Meine einzige Freundin in den
Selbstvertrauen, ich war sehr schüchtern oder eher
folgenden Jahren war meine Klassenlehrerin. Meine
eingeschüchtert. Ich habe mir immer gesagt: Ich
Mitschüler und Mitschülerinnen sprachen nicht
rede nicht, denn wenn ich rede, mache ich Fehler.
mit mir, weil ich Ausländerin war.“ Ich habe Haus-
Und dann werde ich ausgelacht. Am schlimmsten
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
39
waren für mich Präsentationen oder Referate. Da
Bereichen, unter anderem als Kellnerin, nebenbei
habe ich gezittert, weil ich reden musste. Ich war so
auch als Reinigungsfrau. „Ich habe mir immer gesagt,
nervös. Sobald ich gemerkt habe, dass irgendwer
man muss alles mal kennenlernen.“ Letztlich verein-
lacht, habe ich aufgehört.“ Die dritte Klasse HAK
barte sie telefonisch Liefertermine für eine Firma, die
musste Nuray Isik wiederholen. Und dann wollte bzw.
Matratzen erzeugt. Nach einem Monat fand sie das
konnte sie irgendwann nicht mehr. Sie verließ die
nur noch langweilig.
Schule, besuchte auf Wunsch der Eltern, die wollten,
dass sie ihre Ausbildung abschließt, noch eine Zeit-
In dieser Situation machte ihre ehemalige Nachhilfe-
lang die Abendschule, gab dann aber endgültig auf.
lehrerin – sie ist inzwischen Abgeordnete zum Salz-
„Ich habe mit Deutsch immer wieder Schwierigkeiten
burger Landtag und im Integrationsbüro der Stadt
gehabt und immer wieder einen Fünfer auf einen
Salzburg tätig – Nuray aufmerksam auf das AMS-
Aufsatz bekommen. Irgendwann ist mir dann die Lust
Programm „Frauen in Handwerk und Technik“. „Sie
am Lernen total vergangen.“
sagte mir, ‚Nuray, ich versteh nicht, warum du dir
solche Jobs antust. Du bist doch gescheit! Aber viel-
Heute ist Nuray Isik eine eloquente junge Frau, hell-
leicht bist du faul...‘“
wach und temperamentvoll. Keine Spur von Sprachschwierigkeiten und Schüchternheit.
Das ließ sich Nuray Isik nicht zweimal
sagen. Ziemlich umgehend nahm sie
„Erst seit drei, vier Jahren kann ich gut Deutsch. Jetzt
teil an einem drei Monate dauernden
habe ich auch mehr Kontakt zu ÖsterreicherInnen.
Berufsorientierungskurs. Zuerst über-
Und während meiner Ausbildung zur Speditionskauf-
legte sie noch, ob sie im Rahmen von FiT eine Aus-
frau habe ich auch zum ersten Mal begonnen, Dialekt
bildung im Bereich Recycling machen soll, entschied
zu sprechen. Jetzt sage ich mir: Deutsch ist nicht
sich dann aber für eine Ausbildung zur Speditions-
meine Muttersprache. Es ist normal, dass ich Fehler
kauffrau, da in diesem Beruf – wie ihr gesagt wurde
mache. Es gibt auch Menschen, deren Muttersprache
– ihre Zweisprachigkeit von Vorteil sein könnte. Im
Deutsch ist, und die trotzdem Fehler machen.“
Herbst 2008 begann sie mit der Ausbildung zur
FiT-Programm
Speditionskauffrau am Berufsförderungsinstitut (bfi)
Erwerbstätig war Nuray Isik bereits parallel zu ihrem
in Salzburg, absolvierte ein 45 Wochen dauerndes
Schulbesuch. „Meine Mutter war voll dagegen, dass
Berufspraktikum in der Spedition Gebrüder Weiss
ich neben der Schule arbeite, aber ich wollte mein
und legte Anfang Oktober 2010 ihre Lehrabschluss-
eigenes Geld verdienen.“ Nuray Isik arbeitete bei
prüfung ab. Tags darauf begann sie an ihrem jetzigen
McDonald’s an der Kasse. Zuerst im Rahmen eines
Arbeitsplatz in der Spedition Roland in Wals Siezen-
Ferialjobs, dann parallel zur Schule als geringfügig
heim, in unmittelbarer Nähe der Stadt Salzburg, zu
Beschäftigte und später Teilzeit. Nachdem sie die
arbeiten.
Schule verlassen hatte, stieg sie auf Vollzeit um und
wurde bei McDonald’s Assistentin (= Schichtführerin).
Die Ausbildung hat sie in bester Erinnerung. „Ich
„Da habe ich viel gelernt – betreffend Personal,
habe mir überhaupt nicht schwer getan. Ich war 27
Sicherheit und Sauberkeit.“ Nach einem Jahr hörte
Jahre alt, als ich begonnen habe, und habe gewusst,
sie auf und arbeitete in der Folge in verschiedensten
was ich will. Und vor allem: Es hat mich interessiert.
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Nuray Isik (Jahrgang 1981)
40
Speditionskauffrau
war sehr aktiv im Unterricht. Ich habe mich immer in
die erste Reihe gesetzt und wenn ich die Erklärung
nicht verstanden habe, habe ich ein zweites Mal
nachgefragt.
Gelernt hat sie in der Ausbildung sehr viel. „Geographie, Buchhaltung, kaufmännisches Rechnen, Zollbestimmungen und vor allem die Kalkulation, Organisation und Abwicklung von Gütertransporten mittels
Schiff, Bahn oder Lkw einschließlich der Erstellung
von Frachtbriefen. Ich habe den EDV-Führerschein
gemacht und den Staplerschein. Auch während des
Praktikums in der Firma Gebrüder Weiss habe ich
sehr viel gelernt, ich wurde nicht mit Kaffee kochen
oder Akten schlichten etc. beschäftigt, sondern schon
sehr früh angeleitet, Aufträge zu bearbeiten.“
„Ich liebe meine Arbeit. Man lernt in
dem Beruf jeden Tag etwas dazu.
Jeden Tag
“
Nuray Isik hätte auch in der Spedition Gebrüder
Weiss weiterarbeiten können, aber sie entschied
sich für den Umstieg in eine kleinere Spedition. In
der kriege sie, so meint sie, mehr mit. In der Spedition Roland ist sie für Import und Export zuständig. In
größeren Speditionen seien das hingegen, so erklärt
sie, getrennte Bereiche. An ihrem jetzigen Arbeitsplatz besteht ihre Arbeit im wesentlichen darin,
Container zu disponieren, von einem Seehafen zum
Kunden und vom Kunden zum Seehafen. Diese
Containertransporte erfolgen üblicherweise per Bahn
In der Spedition ist sie für Import und Export zuständig.
von einem Seehafen in Deutschland nach Wien, Salzburg, Linz, Graz, Enns bzw. nach Slowenien und
Ich habe diesen Beruf nicht mit Zwang und nicht mit
Italien, jedenfalls an Orte, wo es Terminals gibt. Von
Druck, sondern mit Freude erlernt. Die Referenten am
dort geht die Fracht unter Umständen per Lkw weiter
bfi haben uns sehr unterstützt. Sie haben uns alles
an den endgültigen Bestimmungsort.
erklärt, bis wir es verstanden haben. Früher hätte
ich mich nicht zu fragen getraut, wenn ich was nicht
Nuray Isik ist zufrieden mit ihrer Arbeitssituation, hat,
verstanden habe. Bei dieser Ausbildung schon. Ich
wie sie sagt, einen netten Chef und ebensolche Kolle-
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
41
gInnen, und freut sich darüber, immer wieder was
Und kann nebenbei auch noch geringfügig arbeiten.“
Neues zu lernen. „Ich arbeite sehr gern. Ich liebe
Die Erfahrung, imstande zu sein, eine Ausbildung ab-
meine Arbeit. Man lernt in dem Beruf jeden Tag etwas
zuschließen, hat ihr Selbstvertrauen enorm gestärkt.
dazu. Jeden Tag.“
„Jetzt hab ich vor gar nichts Angst.“
Und es gibt auch Anerkennung: Als sie kürzlich erst-
Befragt nach beruflichen Zukunftsperspektiven sagt
mals auf Urlaub war, haben ihre Kunden sie vermisst.
sie, sie könne sich jetzt auch vorstellen, die Matura
Sie ist sehr froh, die Möglichkeit gehabt zu haben, im
nachzumachen. „Ich denke, das würde ich schaffen.“
zweiten Bildungsweg einen Beruf zu erlernen, und
Durchaus möglich wäre es auch, mit ihrer Ausbildung
würde Frauen gern dazu ermuntern, die Chance, die
eine Zeitlang in der Türkei zu arbeiten. „Aber lieber
das FiT-Programm bietet, zu nützen, anstatt zu Hause
wäre es mir, hier beschäftigt zu sein und mit der Türkei
zu bleiben oder als Hilfsarbeiterin zu arbeiten. „So
zu kooperieren.“ Und nicht zuletzt hat sie auch noch
eine Möglichkeit hat man nicht überall. Man bekommt
vor, Mutter zu werden. „Ein bisschen Stress habe ich
während der Ausbildung das Arbeitslosengeld
ganz gern.“
bezahlt und noch einen Zuschuss für die Ausbildung.
Die Sicht des Ausbildners
„Sie war Teil des Teams“
Gebrüder Weiss ist Österreichs größtes Transport- und Logistikunternehmen. Es agiert global und transportiert
auch Seefracht und Luftfracht. Der Konzern beschäftigt insgesamt rund 4.500 Mitarbeiterinnen, allein in Österreich
sind es 2.500.
Am Salzburger Standort des Unternehmens hat Nuray Isik ein knappes Jahr lang ihr Praktikum absolviert. Manfred
Gillhofer, Nuray Isiks Ausbildner bei Gebrüder Weiss, erinnert sich genau. „Der Leiter der Ausbildung für Speditionskaufleute innerhalb des bfi hat mich einmal daraufhin angesprochen, ob das Unternehmen nicht bereit wäre, Praktikantinnen aufzunehmen. So kam auch Nuray Isik zu uns. Inzwischen beschäftigt Gebrüder Weiss laufend Praktikantinnen. Ich sehe das absolut positiv. Ich bin ein Befürworter dieser Praktika. Diese Frauen sind nicht mehr
16, sie wissen was sie wollen. Sie haben ein Ziel vor Augen. Für mich war von Anfang an klar, dass die Praktikantinnen nicht nur untergeordnete Arbeiten verrichten sollen wie beispielsweise die Ablage betreuen oder kopieren.
Ich habe das auch mit dem bfi abgeklärt, dass die Praktikantinnen in den Betrieb integriert werden und auch Leistungen erbringen müssen. Tatsächlich sind sie schon bald vollwertige Mitarbeiterinnen. Wir geben aber auch sehr
viel an Know-how weiter. Auch Nuray Isik war Teil des Teams. Am Tag nach der Lehrabschlussprüfung hatte sie
schon einen Job. Aber auch wir hätten sie weiterbeschäftigt.“
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Nina Klaus (Jahrgang 1983)
42
Maschinenfertigungstechnikerin
„Es geht auch mit Kindern“
Nicht immer aber war alles super. Nina Klaus hatte
eine Reihe von Hürden zu überwinden und sie hat
keine Mühen gescheut, um das Beste aus ihrer
Situation zu machen.
Aufgewachsen ist Nina Klaus in Wien, wo sie die
Volksschule besuchte, dann zwei Jahre das Gymnasium und anschließend die Hauptschule. Danach
wäre sie zwar gern weiter zur Schule gegangen. Aber
es hieß: Du musst was lernen und Geld verdienen.
Sie lernte Köchin. „Mein Vater, der damals zwar nicht
mehr bei uns gewohnt hat, war im Gastgewerbe tätig.
Und ich habe echt nicht gewusst, was ich sonst
machen soll.“ Zwei Jahre lernte sie in einem Restaurant, das dritte Jahr in der Zentralküche des Allgemeinen Krankenhauses. Als die Lehrzeit zu Ende war,
Einen Lehrabschluss nachzuholen, war Nina Klaus wichtig.
legte sie die Lehrabschlussprüfung nicht ab. Der
Grund? „Jugendlicher Leichtsinn.“ Sie hatte auch das
Nina Klaus ist als Facharbeiterin in der Stanzerei der
Interesse an der Tätigkeit verloren. Eine Zeitlang blieb
Firma Domoferm in Gänserndorf (NÖ) beschäftigt.
sie zu Hause, dann nahm sie an einer Umschulung
Sie arbeitet Vollzeit, von sieben bis fünfzehn Uhr. In
zu Büroberufen teil. „Obwohl es für mich genauge-
die Arbeit fährt sie von ihrem Wohnort – der ist 15 km
nommen unvorstellbar ist, ständig am Schreibtisch zu
entfernt – mit dem Auto. Ihre beiden Söhne, geboren
sitzen und mich nicht zu bewegen.“
2005 und 2006, besuchen derzeit noch den Kindergarten in ihrem Wohnort, der ältere steht vor dem
Im Zuge der Umschulung machte sie drei Prak-
Schuleintritt. Der Kindergarten öffnet erst um sieben
tika in verschiedenen Firmen, fand anschließend
Uhr. Daher holt eine Tagesmutter die Kinder in der
aber keine Arbeitsstelle und war wieder arbeitslos.
Früh ab und bringt sie dann in den Kindergarten.
„Ein paar Jahre lang habe ich dann als Kellnerin in
Diese Regelung kostet zwar Geld, aber sie hat sich
verschiedenen Lokalen gearbeitet.“ Dann bekam sie
bewährt. Nina Klaus ist froh, dass sie ihren Arbeits-
ihre beiden Kinder und übersiedelte nach Nieder-
beginn in der Firma der Kinder wegen ganz ohne
österreich, ins Weinviertel. Zuerst nach Dürnkrut.
Probleme von sechs auf sieben Uhr hatte verlegen
„In der Karenz habe ich mir dann Gedanken zu
können. Und sie weiß auch zu schätzen, das es in
machen begonnen: Wie soll das weitergehen? In
der Stanzerei nur eine Schicht gibt, nämlich die Früh-
meinem letzten Job hatte ich € 800,- verdient. Und 40
schicht, denn so bleibt am Nachmittag noch Zeit für
Stunden die Woche gearbeitet. Mir war klar, so geht
die Kinder. „Das ist super.“
das nicht mehr. Und als Köchin hätte ich nur wenig
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
43
mehr verdient und die Arbeitszeiten wären mit der
den Kleinen kaum noch sehe. Andererseits habe
Kinderbetreuung nicht vereinbar gewesen. Im letzten
ich in dieser Zeit schon das erhöhte Arbeitslosen-
Karenzjahr hat mich der Vater der Kinder verlassen,
geld gekriegt und die Kosten für die Kinderbetreuung
ich war also allein für mich und die beiden Kinder
wurden zum Teil vom AMS übernommen. So gesehen
verantwortlich. Mir war klar, so kann das nicht weiter-
war ich zufrieden.“
gehen. Ich muss einen Beruf erlernen, wo ich ausreichend verdiene. Nur Herumtümpeln ist nicht meine
Schon zu Beginn des Kurses war Nina Klaus klar,
Art.“ Nina Klaus hatte zu diesem Zeitpunkt keinen
dass sie in einem Metallberuf arbeiten will. „Metall
Führerschein, geschweige denn ein Auto und der
finde ich gut. Manche Frauen wollen nicht mit Metall
kleinere Sohn war noch keine drei Jahre alt, hatte also
arbeiten. Mir gefällt es. Überdies sind Tätigkeiten in
noch nicht das für den Kindergarten in Dürnkrut erfor-
der Holzbranche schlechter bezahlt. Das Einkommen
derliche Alter. „Ich war wirklich verzweifelt.“ In dieser
war für meine Entscheidung schon auch ausschlag-
Situation begann sie alle Informationen zu sammeln,
gebend.“
die sie bekommen konnte. Sie recherchierte in der
Geschäftsstelle des AMS im Internet. Dort entdeckte
Das Kurzpraktikum im angestrebten Beruf organi-
sie eine AMS-Broschüre über technische Berufsaus-
sierte sie sich bei der Firma Instantina in Dürnkrut.
bildungen für Frauen, die vom AMS gefördert werden.
Dort „schnupperte“ sie in der Schlosserei. „Dorthin
„Das war für mich eine Art Wegweiser. Ich habe mir
musste ich nur zwei Minuten zu Fuß gehen! Das war
gedacht, dass hört sich nicht schlecht an. Ich bin
ideal.“
nicht ungeschickt und ich habe Power.“
„Ohne Auto bist du am Land verloren“
Auf keinen Fall wollte sie irgendwas mit Kundenkontakt zu tun haben. „In der Karenz habe ich eine
Die Ausbildung zur Maschinenfertigungstechnikerin
Zeitlang in einem Supermarkt als Kassiererin gear-
sollte und wollte sie im Ausbildungszentrum des AMS
beitet. Das war ein Horror. Das möchte ich nie wieder
NÖ in Zistersdorf machen, einem Nachbarort von
machen. Mir tun diese Frauen so leid. Ich bin immer
Dürnkrut, elf Kilometer entfernt. Vorher aber musste
überfreundlich, wenn ich einkaufen gehe, denn die
sie sich einem Aufnahmetest unterziehen. Ohne Auto,
meisten Leute sind extrem unfreundlich zu den
mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte sie von Dürnkrut
Kassiererinnen.“
nach Zistersdorf zwei Stunden gebraucht. „Ich habe
mit dem Ausbildner gesprochen und habe ihm ge-
Es gelang Nina Klaus, ins FiT-
sagt, ich will das unbedingt machen, aber ich weiß
Programm aufgenommen zu werden.
nicht, wie ich hinkomme. Und ich hab ihn gefragt, ob
Der Berufsorientierungskurs allerdings fand in Wien statt, das bedeu-
es im Zentrum nicht jemanden gibt, der in Dürnkrut
FiT-Programm
tete, dass sie in aller Früh von zu Hause weg musste
vorbeifährt, der mich mitnehmen kann. Er hat das
dann organisiert. Und das hat ursuper geklappt.“
und erst spät am Abend heimkam und das kleinere
Kind von einem Tag zum anderen zehn Stunden
Den Test bestand Nina Klaus, aber gleichzeitig
täglich bei einer Tagesmutter untergebracht werden
machte sie sich Sorgen, was mit der Ausbildung
musste. „Einerseits hat es mir urleid getan, dass ich
werden soll, denn vierzehn Tage bevor die
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Nina Klaus (Jahrgang 1983)
44
Maschinenfertigungstechnikerin
Obwohl sie den Anfang versäumt hatte, gefiel Nina
Klaus die Ausbildung, in der sowohl Praxis als auch
Theorie vermittelt wird, sehr gut. „Wir haben auch
sehr viel gelernt. Im März 2009 habe ich angefangen.
Im Oktober des gleichen Jahres machte ich ein
Praktikum. Den Praktikumsplatz habe ich mir in
einer kleinen Schlosserei, mit drei, vier Mitarbeitern und einem jungen Chef in einem Nachbarort
gesucht. In diesem Betrieb habe ich dann auch
neben der Ausbildung jeden Freitag gearbeitet. Ich
hab mir gedacht, es ist gut, einen Betrieb kennenzulernen. Ich hab in der Werkstatt gearbeitet, bin auf
Montage gefahren, war in Fertighäusern, wo man nur
noch Feinarbeiten erledigt, beispielsweise Geländer
montiert. Da habe ich in kurzer Zeit sehr viel Erfahrungen gesammelt. Vorher habe ich noch den Führerschein gemacht, denn sonst wäre ich gar nicht in die
Schlosserei gekommen. Die war zwar nur sieben Kilometer entfernt, aber öffentlich praktisch nicht zu erreichen. Weder das Ausbildungszentrum Zistersdorf
noch das Praktikum wäre erreichbar gewesen.“
Das Arbeitsgebiet der MaschinenfertigungstechnikerInnen
MaschinenfertigungstechnikerInnen stellen Maschinen, Geräte
und Apparate her, halten sie instand und reparieren sie. Sie
bearbeiten mechanische Bauteile und Automatisierungsvorrichtungen, bauen sie zusammen und montieren sie in
Maschinen und Geräte. Anschließend prüfen und justieren sie
Nina Klaus in der Stanzerei: Ihr gefällt es, mit Metall zu arbeiten.
diese und sorgen für die Instandhaltung und Instandsetzung
von Automatisierungsvorrichtungen, Maschinen und Geräten.
Ausbildung begann, wurde eines ihrer Kinder krank,
musste am Kopf operiert werden. Sie wollte zwei
Während ihrer Ausbildung machte Nina Klaus vier
Wochen im Krankenhaus beim Kind bleiben, dadurch
Wochen lang eine Zusatzausbildung für ein Schweiß-
aber würde sie die erste Woche der Ausbildung
Zertifikat für WIG-Schweißen . „Das können relativ
versäumen.
wenige Leute, weil man dafür ruhige Hände haben
1
muss und beide Hände dafür braucht. Die meisten
„Der Ausbildner hatte Verständnis. Er sagte: Auch
Menschen sind nicht imstande, mit jeder Hand was
wenn Sie drei Wochen beim Kind bleiben müssen,
anderes zu machen. Bei mir hat das von Anfang an
bleiben Sie. Er hat selber zwei kleine Kinder und war
geklappt.“
total nett.“
Wolfram-Inertgasschweißen
1
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
45
Im Mai 2010 bestand Nina Klaus die Lehrabschluss-
Umstrukturierungen und Verbesserungen aller Art,
prüfung mit gutem Erfolg. „Alle Frauen, die gleich-
einerseits was den Betrieb, vor allem die Sauberkeit
zeitig mit mir die Ausbildung gemacht haben, haben
und die ergonomische Arbeitsgestaltung betrifft, aber
sie mit gutem Erfolg abgeschlossen. Bis auf eine,
auch in Hinblick auf die Beschäftigung von Frauen.
die war älter, 52 oder 53 Jahre, die hat die Lehrab-
Eine stärkere Durchmischung des Betriebes ist ihm
schlussprüfung sogar mit ausgezeichnetem Erfolg
ein Anliegen.
bestanden! Von dieser Frau erzähle ich allen, die mir
sagen, sie seien schon zu alt, um sich weiterzubilden.
Von Nina Klaus erwartet er sich unter anderem, wie
Ich denke, dass sich viel zu viele Menschen zu früh
er bei der Anstellung sagte, dass sie frischen Wind
damit abfinden, HilfsarbeiterInnen zu sein. Einen
in den Betrieb bringt. Beim Einstellungsgespräch
Lehrabschluss nachholen, bedeutet mehr Wissen und
machte er ihr gegenüber auch kein Hehl daraus,
auch mehr Geld.“
dass sie in eine Abteilung kommt, die sich eher
gegen Veränderungen sträubt und in der eine Frau
Nach der Lehrabschlussprüfung arbeitete Nina Klaus
nicht unbedingt erwünscht ist. Erfreuliche Tatsache
weiter in der kleinen Schlosserei, in der sie schon
ist, dass Nina Klaus inzwischen zusammen mit einem
neben ihrer Ausbildung tätig gewesen war. Allerdings
Kollegen die Partieführung übernommen hat.
ging dies nicht auf Dauer gut. Der Grund? Innerhalb
kürzester Zeit wurde ihr kleinerer Sohn dreimal krank.
Nina Klaus hatte zwar vereinbart, dass ihr Überstunden nicht ausbezahlt werden, sondern im Falle
„Je mehr ich mich am Tag bewege,
desto besser schlafe ich
“
einer Krankheit eines ihrer Kinder dafür Zeitaus-
In der Stanzerei ist Nina Klaus derzeit für drei
gleich gewährt wird, aber als es dann soweit war, war
verschiedene Aufgabenbereiche zuständig:
davon keine Rede mehr. „Obwohl ich was die Arbeitsstunden betrifft nicht im Minus war.“
Fazit: Nina Klaus fuhr nach Wien und setzte sich
mit ihrer ehemaligen Betreuerin im FiT-Programm
zusammen. Die beiden studierten Inserate, suchten
einschlägige Firmen heraus, die von Nina Klaus, die
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Sie erledigt die Büroarbeit, weil sie sich mit dem Computer am besten auskennt, bucht Stunden und Materialien, schreibt Bestel-
lungen und Infos per E-Mail.
um und betreibt automatische Stanzen
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Sie produziert in der Stanzerei, rüstet Stanzen Sie ist zuständig für Logistik und Belieferung von zwei Hallen mit den für sie erforderlichen Nähe von Gänserndorf wohnt, nicht allzu weit entfernt
Stanzteilen (insgesamt gibt es davon 450), sind, und verfassten und verschickten jede Menge
sodass die einzelnen Mitarbeiter an ihrem Bewerbungsschreiben.
Arbeitsplatz in kleinen Kisten griffbereit haben, was sie brauchen und effizienter und zugleich Eine der Firmen, die sie angeschrieben hatte, war
bequemer arbeiten können.
Domoferm. Nina Klaus arbeitet dort seit November
Nina Klaus findet es erfreulich, drei Arbeitsbereiche
2010 in der Stanzerei. Sie ist eine der sechs Frauen
zu haben. Sie empfindet das als eine ausgewogene
unter den 220 MitarbeiterInnen der Fertigung. Der
Situation. „Und durch die Belieferung lerne ich die
technische Leiter der Domoferm-Zentrale, ist aller-
ganze Halle kennen, ansonst würde ich mich immer
dings sehr aufgeschlossen für Veränderungen,
nur in der Stanzerei aufhalten.“
inzwischen mit Kindern und neuem Partner in der
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Nina Klaus (Jahrgang 1983)
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Maschinenfertigungstechnikerin
„Ich habe kein Problem damit,
Verantwortung zu übernehmen
“
Zukunftsperspektiven?
„Ich möchte auf keinen Fall einfache Arbeiterin
bleiben. Im März hat mich die Firma auch bereits auf
Maschinenfertigungstechnik ist ein Lehrberuf, in dem
eine Weiterbildung geschickt, in diesem Seminar ging
nicht einmal sechs Prozent der Lehrlinge österreich-
es um innerbetriebliche Verbesserungen. Das war
weit Frauen sind. Und es ist ein zum Teil auch körper-
sehr interessant. Ich habe auch kein Problem damit,
lich anstrengender Beruf. Nina Klaus ist zwar sehr
Verantwortung zu übernehmen. Daheim habe ich die
sportlich und betont, dass sie sich gern körperlich
auch. Organisieren habe ich auch gelernt. Und ich
betätigt, dass sie dies für ihr körperliches und psychi-
weiß, wie belastbar ich bin.“
sches Wohlbefinden geradezu braucht.
Das Einzige was Nina Klaus abgeht, sind mehr
„Je mehr ich mich am Tag bewege, desto besser
Frauen im Betrieb. „Manchmal mache ich einen
schlafe ich.“ Zu Beginn ihrer Berufstätigkeit hat sie
Abstecher und besuche eine der anderen Frauen,
ihrer Osteopathin gegenüber trotzdem gewisse
die in der Nähe arbeitet. „Mit einer Frau zu reden, das
Zweifel angemeldet: Ewig werde ich diese körper-
fehlt mir schon.“ Männer, so ihre Erfahrung, sind eher
liche Beanspruchung wohl nicht aushalten? „Sie hat
einsilbig und wortkarg.
mir entgegnet, ‚Wieso nicht? Wenn Sie jeden Tag
diese Arbeit machen und sich nicht überanstrengen,
sondern ein paar Tipps befolgen, bauen Sie Muskeln
auf und werden kräftiger.‘ Das stimmt. Ich kann inzwischen Hebel bedienen, die ich anfangs nicht hätte
runterdrücken können.“
Die Sicht des technischen Leiters
„Diese gängigen Vorurteile habe ich nicht“
Die Firma Domoferm stellt Stahltüren, Stahltore und Stahlzargen her. Sie umfasst vier Produktionsbetriebe, zwei in
Deutschland, einen in Tschechien und die Zentrale des Unternehmens in Gänserndorf (NÖ). Der Standort
Gänserndorf hat 350 Beschäftigte. 220 davon arbeiten in der Produktion. 214 davon sind Männer, etwa die Hälfte
davon sind angelernt, die anderen sind Facharbeiter.
Den technischen Bereich am Standort Gänserndorf leitet seit 2010 Robert Weninghofer. Wichtig ist ihm vor allem,
das Fördern und Fordern der MitarbeiterInnen, Sensibilität für wertschätzende Kommunikation sowie Abbau
demotivierender Faktoren. „Unser erklärtes Ziel ist es, dass alle MitarbeiterInnen wissen, wie sie zum Unternehmenserfolg beitragen und ihre Stärken besser einsetzen können.“
Ein Anliegen von Robert Weninghofer ist auch die Erhöhung des Facharbeiterinnenanteils. „Wir achten darauf,
dass Frauen, die sich bewerben, in jedem Fall mitbewertet werden. Bei den Lehrstellensuchenden in technischen
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Bereichen überwiegen allerdings bei weitem die männlichen Interessenten. Wir bilden derzeit neun Lehrlinge im
Fertigungstechnischen Bereich aus – darunter ist nur ein weiblicher Lehrling.“
Seiner Erfahrung nach sind die – wenigen – Frauen im Betrieb extrem offen für Veränderungen, bereit, Verbesserungen zu unterstützen und diesbezüglich auch erfreulicherweise sehr beharrlich.
Die Ansicht, dass Frauen technische Berufe körperlich zu anstrengend seien, teilt er nicht. „Das stimmt heute nicht
mehr. Wir leben in einer Zeit, in der es Hilfs- und Hebemittel gibt, die sollte man nützen.“
Und der Einwand, bei jungen Frauen wisse man nie, ob sie Kinder kriegen und wie lange sie dann zu Hause
bleiben...? Diese gängigen Vorurteile, so Robert Weninghofer, habe er nicht. „Aufgrund der Väter- bzw. Elternkarenz ist das sicher kein Einstellungskriterium.“
Dass Nina Klaus im Betrieb angestellt wurde, führt er auf ihre Motivation für die Art der Tätigkeit zurück. „Es ist im
Gespräch sehr klar herausgekommen, dass sie weiß, was sie will und was sie kann, und dass sie bereit ist, sich
weiterzuentwickeln. In der Einarbeitungsphase hat sie sich bestens bewährt und schnell ins Team integriert.“
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1200 Wien
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Interviews und Text:
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Fotos:
Dr.in Susanne Feigl
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(S. 22 und 23)
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Druck:
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Dezember 2011
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