Predigt am Ewigkeitssonntag 2003 Lied: Der Weg

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Predigt am Ewigkeitssonntag 2003 Lied: Der Weg
Predigt am Ewigkeitssonntag 2003
Lied: Der Weg
Liebe Gemeinde
Kaum ein Lied des vergangenen Jahres ist uns so eindrücklich geworden, wie dieses
Lied: „Der Weg“ von Herbert Grönemeyer.
Eine Liebeserklärung voller Trauer. Eine Trauerlied voller Liebe.
Uns wird deutlich, was wir schon immer in unseren Herzen trugen, nämlich, wie
sehr Trauer etwas mit Liebe zu tun hat. Trauer kann es ohne Liebe gar nicht geben,
genauso wenig wie es Liebe geben kann, die nicht in des Wortes tiefstem Sinn eine
Leidenschaft ist.
Vier Jahre zuvor war die Frau des Sängers gestorben.
Als ich es das erste Mal im Radio hörte musste ich anhalten. Ich wollte nicht mehr
weiterfahren. Ich wollte still sein. Hören. Hören auf dieses Lied und Hören in mich
selbst hinein.
Erinnerungen werden bei mir wach:
An die vielen Tränen, die ich in diesem Jahr gesehen habe bei Trauergesprächen mit
Ihnen, den Kindern, Familien und Angehörigen, Erinnerungen auch an eigene Trauer
und Liebe.
„Ich kann dich nicht mehr sehen, trau nicht mehr meinen Augen.
Kann kaum noch glauben.
Gefühle haben sich gedreht.“
Ja, so ist das.
So haben wir es alle schon erlebt.
Ich sehe dich vor mir, aber du bist nicht da.
Ich sehe dich in dem Sessel sitzen, in dem du immer saßest, aber der Platz ist leer.
Kann dich nicht sehen, Trau nicht mehr meinen Augen.
Kann kaum noch glauben.
Kann nicht glauben dass das alles wahr ist, kann nicht glauben, dass der Mensch,
den ich liebe nicht mehr da ist und nicht mehr wiederkommt.
Immer wieder denke ich, jetzt müsste die Tür aufgehen und er wäre stünde da,
dieser Mensch und alles sei nur ein böser Traum gewesen.
Kann kaum noch glauben.
Auch an Gott nicht. Wo war er?
Warum musste ausgerechnet mir das passieren?
Womit habe ich das verdient?
Warum musste der Mensch, den ich liebte und immer noch liebe, so leiden, so
sterben?
„Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“
Wie oft habe ich diese Bitte des Vaterunsers gebetet. In Gottesdiensten, bei
Beerdigungen oder auch alleine zu Hause?
Und nun fällt mir dies zu beten oder wenigstens einmal mitzusprechen, so schwer.
Mein Wille war es jedenfalls nicht. Und ist es immer noch nicht.
Ich hätte dich jedenfalls gerne noch bei mir gehabt.
Es war ein Stück vom Himmel, dass es dich gibt.
Ich bin in meinem Willen ohnmächtig gewesen und geblieben.
Diese Ohnmacht, dir nicht helfen zu können, den rasenden Zug nicht aufhalten zu
können, die trage ich immer noch in mir, die belastet mich bis auf den heutigen Tag,
die steht mir bis auf den heutigen Tag vor Augen.
Wir haben versucht auf der Schussfahrt zu wenden. Nicht war zu spät, aber
vieles zu früh.
Der Tod kennt keine Gerechtigkeit. Die einen sterben früh, zu früh, die anderen
sterben spät und alt.
Du hast der Fügung deine Stirn geboten.
Das Leben ist nicht fair.
Aber Gott?
Kann kaum noch glauben , singt Herbert Grönemeyer und ich erinnere mich an die
ein oder andere Predigt, die ich hörte:
Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott.
Was nun? Geht das überhaupt? Wahrer Mensch und wahrer Gott?
Im Tod jedenfalls war Jesus ganz Mensch.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ein Hilferuf, eine Klage in der Stunde des Todes, von dem, der wahrer Mensch und
wahrer Gott war.
Ich beginne zu verstehen, der Glaube an ihn ist keine Mauer, die Trauer und Leid
von mir fernhält.
Eher ein Halt, wenn alles um mich herum zusammenstürzt.
Woran soll man sich denn dann halten, als daran, dass er selbst in Zweifel geriet,
dass er selbst, wahrer Gott und wahrer Mensch, diese Ohnmacht und diese
Gottverlassenheit am eigenen Leibe spürte.
Wir haben beide so gut es ging die Wahrheit verlogen.
Tatsächlich, wir haben gedacht, dass unser Leben und unser Glück ohne wirkliche
Begrenzung sei.
Haben lernen und erfahren müssen, dass es keine Sicherheit gibt im Leben, dass wir
jeden gemeinsamen Tag geschenkt bekamen.
Wir haben den Film getanzt, in einem silbernen Raum. Vom goldenen Balkon
die Unendlichkeit bestaunt.
Das war schön, das war gut so. Keine Sekunde möchte ich missen.
Die Wahrheit über den Menschen ist freilich eine andere.
Der Mensch muss sterben und wir kennen weder Zeit noch Stunde. Keine Sekunde
des Lebens gibt es ohne den Tod.
Und doch, in der Liebe zu meinem Partner, meiner Partnerin, zu meiner Mutter,
meinem Vater, habe ich etwas von der Unendlichkeit gespürt, die zwar nicht zu
unserem biologischen Leben gehört, aber sehr wohl zur Liebe.
Die Liebe höret niemals auf , schreibt Paulus.
Und das stimmt. Das spüre ich.
Es gibt eine Realität der Ewigkeit inmitten der Wirklichkeit unseres Lebens und der
Vergänglichkeit unserer Existenz.
Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Ich bleibe zurück, genauso wie die Liebe bleibt und wie ich mit dir in Liebe verbunden
bleibe.
Ich bleibe zurück. Traurig, aber nicht hoffnungslos.
Ich bleibe zurück, aber ich bleibe mit dir in Liebe verbunden, auch wenn es scheint
als ob der Tod das Ende ist.
Hab meine Frist verlängert. Neue Zeitreise. Offene Welt. Habe dich sicher in
meiner Seele. Ich trag dich bei mir, bis der Vorhang fällt.
Ich trag dich bei mir bis der Vorhang fällt.
Ich weiß, es wird noch eine Weile brauen.
Trauer kann man nicht verarbeiten.
Ich kann nur lernen mit meiner Trauer und meinem Schmerz zu leben.
Wenn ein Mensch ein Bein verliert, kann er auch nicht mehr herumspringen, aber er
kann jedes Ziel erreichen, humpelnd und auf Krücken gestützt, aber er kann sein
Leben, leben.
Kann hineingehen in die offene Welt, in das neue, das andere Leben, das auf ihn
wartet und bewältigt werden will. Da gibt es so viele, die mich brauchen.
Ich weiß, ich darf mich jetzt nicht zurückziehen. Nicht in mich selbst und nicht in
meine eigenen vier Wände. Vielleicht liegt meine Kraft in der Vergangenheit, meine
Zukunft ist sie aber nicht.
Das Leben geht weiter. Mein Leben geht weiter. Anders, als mit dir, aber es geht
weiter.
Hab meine Frist verlängert. Neue Zeitreise. Offene Welt.
Ich brauche keine Angst zu haben davor.
Hab dich doch sicher in meiner Seele.
Und vielleicht ist das und dass die Liebe die bleibt, ein Zeichen, ein Bild, eine
verschlüsselte Wahrheit dafür, dass auch dein Leben weitergeht.
Anders eben.
Nichts kann unsere Liebe trennen, auch der Tod nicht. Die Liebe bleibt. Die Liebe
währet ewig.
Darum kann auch dich nichts trennen von der Liebe Gottes, nicht einmal der Tod.
Offene Zeitreise.
Ich bin auf dem Weg. Die Grenze des Todes ist überwunden.
Ich bin auf dem Weg. Und ich bin nicht alleine.
Du bist bei mir. Trage dich sicher in meiner Seele.
Und Gott ist bei mir.
Ich bin nicht allein.
Du bist nicht allein. Der Tod ist nicht das Nichts.
Das und den Frieden, den Gott in unsere Herzen gibt, den wünsche ich ihnen und
mir an diesem schweren Tag.
Amen.