Pragmatik II

Transcription

Pragmatik II
Einführung in die Linguistik
Butt & Co.
Do. 12:15 - 13:45
Fr. 12:15 - 13:45
Infos etc.
http://ling.uni-konstanz.de
=> Studium
=> Lehrveranstaltungen
⇒Einführung in die Linguistik
Pragmatik II
Rhetorische Relationen
Durch Akkomodationen und Schlussfolgerungen versuchen wir,
Diskurse/Texte als kohärent aufzufassen (soweit wir es können).
Es gibt hier eine weitere Ebene, die berücksichtigt werden muss:
die Relation von Aussagen zueinander.
Diverse Rhetorische oder Diskursrelationen werden
angenommen:
Narration, Erklärung, Hintergrund, Elaboration,
Resultat, ...
Wenn in einem Text/Diskurs keine gute Diskursstruktur
aufgebaut werden kann, dann ist dieser Text nicht
verständlich (oft bei Hausarbeiten so!).
3
Rhetorische Relationen
Asher und Lascarides:
Max stood up.
John greeted him.
Narration
The dinner was great.
We had salmon.
Elaboration
Max fell.
John had pushed him.
Erklärung
Max opened the door.
The room was pitch dark.
Hintergrund
4
Textkohärenz: Konkretes Beispiel
Es war einmal eine kleine Hexe,
Elaboration
die war erst einhundertsieben-und-zwanzig Jahre alt,
und das ist ja für eine Hexe noch gar kein Alter.
Elaboration
Sie wohnte in einem Hexenhaus,
Narration
das stand einsam im tiefen Wald.
Elaboration
5
Textkohärenz
das stand einsam im tiefen Wald.
das Hexenhaus war nicht besonders groß.
Elaboration
Weil es nur einer kleinen Hexe gehörte,
Erklärung
Narration
Erklärung
Der kleinen Hexe genügte es aber,
sie hätte sich gar kein schöneres
Hexenhaus wünschen können.
6
Textkohärenz
sie hätte sich gar kein schöneres Hexenhaus wünschen können.
[Mehr Beschreibung zum Haus.]
Elaboration
Die kleine Hexe besaß einen Raben,
Narration
der sprechen konnte.
Elaboration
Das war der Rabe Abraxas.
Elaboration
7
Textkohärenz
James Bond hörte einen verdächtigen Laut.
Vorsichtig öffnete er die Tür zum Hotelzimmer.
Hintergrund
Im Bad war Licht an, das Wasser rauschte.
Narration
Hintergrund
Pfeifend steckte er seine Pistole wieder ein.
Hintergrund: Satz 1 liefert den Hintergrund/Grund für Satz 2.
Erklärung: Satz 2 liefert die Erklärung/Grund für Satz 1.
8
Textkohärenz
Wenn man selber etwas verfasst, dann sollte es in der Regel ein
kohärenter Text sein.
Sonst ist es schwer für den Leser zu folgen.
Generell gilt:
ein Absatz = ein Thema/Gedanke (mit Ausführungen).
Ein Absatz beinhaltet in der Regel mehr als einen Satz, weil man
ja Gedanke/Thema ausführen möchte/sollte (per Elaboration,
Erklärung, Hintergrund z.B).
9
Textkohärenz
Generell gilt:
ein Absatz = ein Thema/Gedanke (mit Ausführungen).
Typisches, was man in Hausarbeiten findet:
1. Absatz Das Internet erfreut sich immer grösserer Beliebtheit.
2. Absatz Es gibt ungefähr gleich viele Männer und Frauen
unter den Studierenden.
3. Absatz Das Deutsche wird im Internet durch Abkürzungen
und Lehnwörter aus dem Englischen ergänzt.
4. Absatz Männer benutzen das Internet mehr.
Warum 4 eigenständige Absätze??? Unkohärent,
abgehackt, schwer zu lesen/folgen.
10
Textkohärenz
Schieben wir die Absätze also mal in einen unter der Annahme,
das das Ding doch kohärent sein soll.
Das Internet erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Es gibt
ungefähr gleich viele Männer und Frauen unter den
Studierenden. Das Deutsche wird im Internet durch
Abkürzungen und Lehnwörter aus dem Englischen ergänzt.
Männer benutzen das Internet mehr.
Analyse:
Satz 1 leitet eine Thematik ein: das Internet.
Satz 2 leitet eine weitere Thematik ein. Narration?
Satz 3 leitet noch eine weitere Thematik ein. Hmm,
warum wird keine Gedanke ausgeführt? (Elaboration,
Erklärung, Hintergrund?)
Satz 4 stellt eine These auf, die aber nichts mit Satz 3
zu tun hat. Fazit: der Diskurs ist völlig inkohärent. 11
Textkohärenz
Besser wäre so etwas:
Das Internet erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Im
Internet wird das Deutsche viel durch Abkürzungen und
Lehnwörter aus dem Englischen ergänzt. Obwohl es ungefähr
gleich viele Männer und Frauen unter den Studierenden gibt,
benutzen männliche Studierende das Internet mehr. Eine
interessante Frage ist, ob die männlichen Studierenden auch
mehr Abkürzungen und Lehnwörter aus dem Englischen
benutzen.
Analyse:
Satz 1 leitet eine Thematik ein: das Internet.
Satz 2 elaboriert diese Thematik.
Satz 3 elaboriert diese Thematik weiter und leitet
eine weitere Thematik ein
Satz 4 erklärt warum die Thematiken eingeleitet
wurden.
12
Textkohärenz
Generell gilt:
Wein Sätze und Absätze innerhalb eines ein Absatzes/Textes
nicht kohärent (Analyse kann mittels rhetorischer Relationen
vorgenommen werden) auf einander Bezug nehmen, dann kann
man den Text vergessen (und Hausarbeit wird zurückgegeben).
13
Pragmatische Strategien
Letzte Sitzung:
1) Konversationsmaxime
2) Direkte und Indirekte Sprechakte
Fragen:
Warum benutzen wir eigentlich indirekte Sprechakte (wäre
doch leichter/unkomplizierter, direkt zu kommunizieren)?
Verletzen wir die Konversationsmaxime nur um ironisch
oder überlegen zu wirken?
14
Pragmatische Strategien: Beispiele
Maxim der Relevanz (Verletzung):
Situation, Abendessen mit mehreren Leuten, ein Paar streitet sich:
Du betrügst mich doch mit jemand anderen!
Peinliches Schweigen, dann Gastgeber:
Noch ein Glas Wein?
Warum machen wir so etwas? (Zu feige? Verklemmt?)
15
Pragmatische Strategien: Beispiele
Indirekter Sprechakt:
Situation, man ist eingeladen und friert:
Es ist aber schon sehr kalt, oder?
Warum sagt man nicht gleich: “Bitte dreht doch die Heizung ein
wenig auf?
16
Höflichkeit
Unsere Kommunikation miteinander ist durch strikte Regeln der
Höflichkeit gekennzeichnet.
Untersuchung von Höflichkeit und der Wahrung von Gesicht/Face
gehört zur Pragmatik: Politeness Theory (Brown und Levinson).
Aber Höflichkeit hat auch viel mit unserem sozialem Umfeld zu tun,
von daher kommen wir auch so allmählich in die Soziolinguistik.
17
Höflichkeit und Sprache
Höflichkeitsstrategieen sind von Sprache zu Sprache verschieden.
Höflichkeit wird im Deutschen z.B. sprachlich ausgedrückt durch:
1) Einsatz von indirekten Sprechakten
2) Gezielte Verletzung von Konversationsmaximen
3) Personendeixis: Sie vs. Du
4) Formelle vs. informelle Sprache (z.B. haben vs. ham, ist vs. is)
5) Hochsprache vs. Dialekt
6) Flüche/Beleidigungen
7) Ausreden lassen vs. Unterbrechungen (und zuhören)
18
Personen- und Sozialdeixis
Viele Sprachen unterschieden zwischen höflicheren und
unhöflicheren Personalpronomen.
Deutsch: Du vs. Sie
Aber ist es nur Höflichkeit?
Wer darf wem das Du anbieten?
Warum muss man Kindern gegenüber nicht höflich sein?
Warum fällt es meinen Hiwis schwer, mich zu duzen?
Warum ist es vielleicht nicht gut, wenn der Chef einen duzt?
19
Höflichkeit und Macht
Beobachtung: je aggressiver die Kultur, je ausgeprägter
scheinen die Höflichkeitsrituale zu sein.
Höflichkeit: Mittelalter /Hof/Ritter
Höflichkeit drückt auch aus, wer die Macht über wen hat.
Beispiel: Wer hält wem die Tür auf?
Wer darf/muss zuerst in den Aufzug?
Fazit: der mächtigere ist generell “höflicher”
Aber der Mächtigere kann es sich auch erlauben richtig
unhöflich zu werden (Chef, der einen duzt und dann richtig
beschimpft, z.B.): Höflichkeitsrituale dienen also auch zum
Schutz der weniger Mächtigen.
20
Formelle vs. Informelle Sprache
Informelle Sprache: unter Freunden/Bekannten
Formelle Sprache: in Situationen mit Fremden, dienstlich,
Universität.
Aber: es kommt darauf an, was man signalisieren will und wie
man sich präsentieren will.
Z.B.: Leute, die sich als intellektuell (mit gehobener Bildung)
präsentieren wollen, achten darauf, dass sie keine informelle
Sprache benutzen.
Z.B.: Politiker, die sich als eins mit dem Volk präsentieren wollen,
werden informelle Sprache mit einfließen lassen.
21
Formelle vs. Informelle Sprache
Beispiele:
Aussprache:
ich habe gedacht vs. ich hab gedacht
Wortwahl (Konnotation):
ich verfasse einen Aufsatz vs. ich schreibe einen
Aufsatz vs. ich rotz mal was runter
Satzbau:
Lange, verschachtelte Sätze mit vielen
Partizipien vs. einfache, klare Sätze.
22
Hochsprache vs. Dialekt
Wie funktioniert das mit Dialekt?
Ist es unhöflich Dialekt zu benutzen?
Eher nicht
Wie sieht es mit dem Ausdruck von Macht aus?
Ist ein Dialektsprecher “mächtiger” als einer, der Hochdeutsch
spricht?
Kommt auf den Kontext an....
23
Hochsprache vs. Dialekt
Was ist ein Dialekt und wie definiert man Sprache vs. Dialekt?
Dialekte sind auf jeden Fall miteinander verwandt (stammen
von derselben Ursprungssprache ab).
Dialekte sollten innerhalb eines Dialektraumes (relativ)
verständlich sein: also ein Berliner sollte einen Allemannen
oder Schwaben oder Bayern verstehen.
Die Hochsprache wird oft als eine “neutrale” oder
“übergeordnete” Variante der Dialekte angesehen.
Aber.....
24
Hochsprache vs. Dialekt
Dialektsprecher verstehen sich nicht immer (z.B. sächsisch
vs. allemannisch vs. tiefstes Bayern)
Es gibt Sprachen, die sehr nah beieinander liegen, die aber
nicht als Dialekte “gewertet” werden (z.B. Niederländisch
und Plattdeutsch, Norwegisch und Dänisch).
Es gibt Sprachen, die bis vor kurzem offiziell Dialekte waren
und jetzt als eigenständige Sprachen auf der Matte stehen (z.B.
Kroatisch, Bosnisch, Serbisch — früher Serbokroatisch).
?????
25
Hochsprache vs. Dialekt
A language is a dialect with an army and a navy.
Max Weinreich (?)
Welcher Dialekt sich “Sprache” nennen darf ist oft politisch
motiviert.
In Frankreich wurde z.B. der Pariser Dialekt zur Hochsprache
erklärt, alle anderen Dialekte (z.B. Okzitanisch) waren im
Mittelalter nicht erwünscht.
26
Hochsprache vs. Dialekt
Wenn man die Hochsprache beherrscht hat man generell mehr
Prestige (weil die Hochsprache mit mehr Macht assoziiert wird).
Aber man findet auch Beispiele von Covert Prestige (Trudgill),
also versteckter/geheimer Prestige.
Das tritt ein wenn man einen Dialekt bewusst einsetzt um eine
bestimmte Gruppenzugehörigkeit zu signalisieren.
Z.B.: Freundesgruppen, Arbeiterverbände, Politiker, Vereine...
27
Mehr zum Thema in diesem Buch, auch
zu anderen Themen, z.B. Flüchen....
28
Flüche/Beleidigungen
Flüche, Beschimpfungen und Beleidigungen haben auch mit Macht
und Höflichkeit zu tun.
Macht:
Wenn man jemanden beschimpft, dann ist es meistens,
damit dieser Mensch erniedrigt und gedemütigt werden soll.
Höflichkeit:
In manchen Sprachen/Kulturen haben Beschimpfungen viel
mit der Wahrung von Höflichkeitsformen zu tun (z.B.
Malagasy, Hindi/Urdu)
29
Flüche/Beleidigungen
(Materrazzi läuft neben Zidane und zerrt an dessen Trikot.)
Zidane: Wenn du es haben willst, schenke ich es dir nachher.
Materazzi: Lass mich du Schwuchtel. Du mit deiner
Nuttenschwester, Scheiße.
(Zidane dreht sich um)
Materazzi: Deine Schwester, diese Nutte.
(Zidane geht auf Materazzi zu.)
Materazzi: Ich spalte dir den Arsch.
(Zidane rammt Kopf gegen Materazzi)
Warum ist Zidane so ausgerastet?
30
Flüche/Beleidigungen
Flüche und Beschimpfungen haben unterschiedliche Quellen.
Flüche: früher Gotteslästerungen
Verfluchungen: man wünscht seinem Gegner Unheil an den
Hals, das von einer höheren Macht vollstreckt wird.
Beschimpfungen/Beleidigungen repräsentieren manchmal
den Bruch eines Tabus und sind deshalb sehr effektiv.
Kulturen reagieren unterschiedlich auf diese Quellen.
31
Beleidigungen: Quellen
Bereiche aus denen Schimpfwörter geschöpft werden:
1) sexuell: Schlappschwanz, Nutte
2) Fäkalbereich: Scheiße, Arsch, Mist
3) Tiere: Schwein, Kamel, Hund, Esel; Urdu: Eule
4) Gebrechen: Krüppel, Depp
5) Weltanschauung: Linker, Roter, Schwarzer, Emanze
6) Nation/Stamm/Herkunft: Neger, Kanake, Schlawiner
(Slowene), Zigeuner
...
Zu welchem Bereich man besonders schimpft und aus
welchem Bereich die Schimpfworte als besonders schlimm
angesehen werden ist kultur- und sprachabhängig.
32
Beleidigungen
Deutsche: bevorzugen den Fäkalbereich (und sonst eher so
Sachen wie Warmduscher, Weichei).
Slaven, Mittelmeervölker und Südasien: bevorzugen den
sexuellen Bereich.
Hurensohn
Ich ficke deine Mutter
Schwager
Total
schlimm in
Südasien
Du Oberarschloch
Du Wichser
Schlimm für
Mittelmeervölker
(Zidane)
Schlimm für
Deutsche
33
Der Sakrale Bereich
Im christlichen Raum werden viele Ausrufe, Ausdrücke der
Verärgerung oder Verwunderung aus dem sakralen Bereich
genommen:
Mein Gott!
Mon Dieu!
Jesus Christ!
Jemine (Herr Jesus Domine)
Himmelherrgottnochmal!
Sapperment! (Sakrament)
Im islamischen Raum kommt so etwas schlichtweg nicht vor
(ausser vielleicht ein überraschtes ya allah!).
Es wird also im täglichen Umgang sehr viel vorsichtiger mit
religiösen Begriffen, Bildern und Inhalten vorgegangen, als es
im Christentum der Brauch ist (daher auch keine Comics...).
34
Die Höflichkeit des Beleidigen
Im Westen (Westeuropa/Amerika) ist es so, dass Frauen generell
höflicher sind (weniger Kraftausdrücke, mehr Hochsprache,
höflichere Wortwahl).
Malagasy (Madagaskar):
Formale Sprache: kabary
Umgangssprache: resaka
kabary: gekennzeichnet durch viele indirekte Sprechakte
den Männern vorbehalten
ein Zeichen von Status/Prestige
Aber was tun, wenn die Kuh von dem Nachbarn ständig die
eigenen Pflanzen frisst und man ihn zurechtweisen will?
35
Die Höflichkeit des Beleidigen
Der Mann schickt seine Frau hin, die den Nachbarn dann
ordentlich zurechtweisen/beleidigen/kritisieren kann.
Da Frauen nie kabary sprechen, sondern resaka, haben sie die
Freiheit und Möglichkeit unhöflich zu sein und direkte
Sprechakte zu benutzen (“Nimm deine blöde Kuh sofort aus
meinem Garten!”), ohne Prestige/Status zu verlieren.
36
Die Höflichkeit des Beleidigen
Indien und Pakistan:
Generell sehr höfliche Umgangsformen
1) 3 Höflichkeitsstufen bei Personalpronomen
2) höfliche und weniger höfliche Imperative:
baith! ‘setz dich’ vs. baithiye ‘bitte setzen Sie sich doch’
...
Was tun, wenn der Geschäftspartner, mit dem man eigentlich
gut klar kommt und zu dem man höflich ist, einem Geld
schuldet und es partout nicht zurückgeben will?
Man holt sich einen Teil der Bevölkerung zur Hilfe, der für seine
Unhöflichkeit und kreative Beleidigungen/Beschimpfungen
gekannt ist!
37
Die Höflichkeit des Beleidigen
Hijras in Indien und Pakistan (hier Chennai):
Bild von Maciej
Dakowicz
“The Third Sex”: oft Transvestiten oder Eunuchen, bilden eine
eigene Gemeinde mit eigenen Regeln, Traditionen,
Familienstrukturen, etc.
38
Die Höflichkeit des Beleidigen
Hijras in Indien und Pakistan:
Sind nicht an die normalen Regeln der Bevölkerung gebunden
und können so sehr aussagekräftig (und witzig) Leute
beleidigen.
Traditionell: Gruppen von Hijras kommen zu Hochzeiten und
beleidigen alle so lang, bis man ihnen Geld gibt.
In der Moderne: sie werden angeheuert, um Leute zu beleidigen,
bis die Geld zurückzahlen.
39