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Das Gespräch führte Markus Decker
Abgedruckt in Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau/ Kölner Stadtanzeiger
am 15.7.2015
Prager Frühling 1968 – Athener Frühling 2015
Frau Vollmer, die Einschätzungen über das geplante dritte Hilfspaket für
Griechenland gehen maximal auseinander. Das bürgerliche Lager sagt: Die
Griechen können sich noch glücklich schätzen. Die politische Linke spricht
von Unterwerfung. Was meinen Sie?
Ich sehe viele Leute in Schockstarre. Wir wurden genötigt, Voyeure eines Exzesses
der Schwarzen Pädagogik zu sein, in den niemand eingreifen konnte. Die einen
versuchen, zu begreifen, was da mit einer frei gewählten Regierung an Exempel
statuiert wurde. Die Akteure und die willfährigen Medien gehen zur Tagesordnung
über - wohl wissend, dass das ein hässlicher Akt war. Die Börsenkurse steigen.
Sie gehören also zu denen, die das Ganze für einen Akt der politischen
Unterwerfung halten.
Das Ganze erinnert mich an ein historisches Ereignis vom Anfang meiner politischen
Biografie: an den Prager Frühling 1968. Auch damals gab es den Versuch eines
kleinen Landes, in einem vorgegebenen System einen eigenen Weg zu finden. Das
hieß damals „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Damals wurde der
Generalsekretär der tschechischen Kommunisten, Alexander Dubcek, mit viel Druck
gezwungen, das Diktat der „Warschauer Fünf“ (SU, Polen, Ungarn, Bulgarien, DDR)
zu akzeptieren oder unterzugehen. Das habe ich mitgehört, als Tsipras gesagt hat:
„Ich werde nicht den Tod Griechenlands unterschreiben.“ Daraufhin hat er sich bei
einem Referendum den Rückhalt geholt, der von Angela Merkel als
„Vertrauensverlust“ denunziert wird. Und nun muss ein frei gewähltes Parlament ein
Gesetzespaket, an dem Parlamente sonst drei bis fünf Jahre arbeiten, in zwei Tagen
durchwinken. Griechenland wird zum Protektorat der Eurozone. Das alles erlebe ich
mit einem Gefühl trostloser Ohnmacht.
Wenn Sie die Parallele zum Prager Frühling ziehen, dann sagt Ihnen das
bürgerliche Lager aber mindestens, dass Dubcek den neuen Weg nicht mit
dem Geld anderer Leute gehen wollte.
Das Argument ist ein Selbstbetrug. Wolfgang Schäuble weiß genau, dass er seinen
ausgeglichenen Haushalt dem aus der Eurokrise resultierenden Zinsvorteil und dem
ungleichen Exportvorsprung der Deutschen vor den schwächeren Ländern verdankt.
Überhaupt ist er mit seinem Grexit-Vorschlag - selbst wenn es Taktik und
Inszenierung war - zu weit gegangen. Ich weiß, dass Schäubles Leben von
persönlicher Härte und politischen Demütigungen geprägt ist. Aber seine Chance,
ein großer Europäer zu sein, hat er eigenhändig selbst zerstört.
Ist der Ausgang der Auseinandersetzung nicht einfach auch Ausdruck
mangelnder Geduld angesichts eines jahrelangen Hin und Her?
Alle vergangenen Hilfsprogramme und Tricksereien sind von der unersetzlichen
Troika und u.a. von Goldman Sachs gestaltet und abgewickelt worden. Aber die
Konsequenzen werden einer Regierung aufgeladen, die ja überhaupt nur an die
Macht gekommen ist wegen des Versprechens, aus diesem System auszusteigen.
Das war der Grund, warum so viele junge Griechen und so viele alte und vom Troikaund Oligarchen-System ermüdete Griechen diese Regierung gewählt haben. Die
Eurozone hat hingegen gezeigt, dass demokratische Wahlen sinnlos geworden sind.
Die Veränderung des Systems soll nicht einmal mehr gedacht werden können, weil
bereits das als Majestätsbeleidigung gilt. Da ist viel Selbstgerechtigkeit im Spiel:
auch die Deutschen haben in der Vergangenheit „Regeln gebrochen“ (z.B. die
Maastricht-Kriterien), auch unsere Reeder flaggen aus, um in Steueroasen zu
verschwinden, auch unsere Konzerne und Reichen rühmten sich damit, keine
Steuern zu zahlen oder verbargen jahrzehntelang Gelder auf Schweizer Banken –
bis die whistleblower sie fanden.
Glauben Sie denn, dass das dritte Hilfspaket wenigstens ökonomisch
funktioniert?
Daran habe ich größte Zweifel. Angela Merkel hat sich Zeit erkauft, weil sie nicht als
das gelten will, was sie faktisch ist: eine Zerstörerin der alten Idee Europas. Diese
alte Idee beruhte auf Friedens- und Entspannungspolitik und sozialem Ausgleich.
Jetzt haben wir faktisch ein gespaltenes Europa: in Nord und Süd, in Gewinner und
Verlierer. Die Letzteren werden irgendwann Europa die Gefolgschaft verweigern. Das
ist das allerschlimmste Ergebnis dieser Politik. Griechenland muss einen brutalen
Preis bezahlen, ohne dass es auf die Beine kommen kann. Andere sollen
abgeschreckt werden, keiner darf aus der Reihe tanzen.
Die anderen Mitglieder der Eurogruppe sagen nun mit Blick auf das
griechische Referendum: Wir sind auch demokratisch legitimiert. Ist das so
falsch?
Ich kann mir aber kaum einen Politiker aus dem geschlossenen Club der Eurozone
vorstellen, der bei einem solchen Referendum in solch einer Krise so ein Ergebnis
geholt hätte. Bei der sinkenden Wahlbeteiligung werden die meisten etablierten
Parteien ja real nur von Minderheiten gewählt. Ich kann mir auch keinen anderen
europäischen Politiker vorstellen, der ein halbes Jahr nach einer gewonnenen Wahl
solch ein Risiko wagt und trotzdem so eine Unterstützung bekommt. Ein besonderes
deutsches Unglück besteht im Übrigen darin, dass sich die SPD in Vasallentreue an
die große Koalition gekettet hat. Nur mit den Linken und schwankenden Grünen sind
wir faktisch ein Land ohne konzeptionelle Opposition. Dazu kommt die
monokulturelle Gleichförmigkeit fast aller öffentlich-rechtlichen Medien, der talkshows und der meisten politischen Kommentatoren. Die aktuelle Situation ist
jedenfalls hoch gefährlich. Für Griechenland hoffe ich, dass kein extremes Chaos
entsteht, in dem ich auch ein militärisches Eingreifen nicht mehr für ausgeschlossen
hielte. Dann wäre die Parallele zum Prager Frühling tatsächlich perfekt.Und zum
Militärputsch in Griechenland 1967! Wenn man nicht eine ganze junge Generation für
Europa verlieren will, muss es eine Emanzipation vom Merkel/Schäuble-Kurs geben.
Ein Europa in den Händen der Troika braucht niemand. Deshalb hoffe ich, dass sich
die SPD von diesem Kurs löst. Zudem ist absolut dringend, dass die deutsche die
griechische Bevölkerung unterstützt angesichts der humanitären Katastrophe, die sie
vor sich hat. Die Freunde Griechenlands sind zu rar und zu stumm geworden in den
letzten Tagen.