Rechtsschutz gegen die Umbenennung von

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Rechtsschutz gegen die Umbenennung von
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GRUNDSTUDIUM Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen Friedrich Schoch
Heft 5/2011 JURA
Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen
Von Prof. Dr. Friedrich Schoch, Freiburg i. Br.
Die Probleme um den Rechtsschutz gegen die Umbenennung
von Straßen (Wegen, Plätzen) verbinden in hervorragender
Weise Fragen des Allgemeinen Verwaltungsrechts mit Anforderungen des Verwaltungsprozessrechts. Es geht insbesondere um das behördliche Handeln durch Allgemeinverfügung
und die Anfechtungsklage, das subjektive öffentliche Recht
und die Klagebefugnis sowie das Verwaltungsermessen und
die gerichtliche Kontrolldichte. Anhand anschaulicher Praxisbeispiele aus der Rechtsprechung werden nachfolgend die
Rechtsprobleme analysiert und die Lösungen aufgezeigt.
I. Zuteilung von Straßennamen
Die amtliche Benennung öffentlicher Straßen ist den meisten
Menschen ein vertrauter und alltäglicher Vorgang1. Die erstmalige Zuteilung von Namen für Straßen (ebenso: Wege, Plät-
1 Zur historischen Entwicklung der Benennung von Straßen Winkelmann, Das
Recht der öffentlich-rechtlichen Namen und Bezeichnungen – insbesondere der
Gemeinden, Straßen und Schulen, 1984, S. 26 ff.
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DOI: 10.1515/JURA.2011.069
JURA Heft 5/2011
Friedrich Schoch Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen GRUNDSTUDIUM
ze) mag vielfach (kommunal)politische Debatten auslösen und
Fragen des »guten Geschmacks« aufwerfen, Rechtsprobleme
sind damit jedoch selten verbunden. Auch die Anwohner (Straßenanlieger) sehen in der Zuteilung eines Straßennamens in
der Regel kein Problem; Rechtsstreitigkeiten um den Straßennamen finden bei der Erstbenennung kaum statt.
1. Rechtliche Grundlagen der Straßenbenennung
Die Straßenbenennung ist allerdings nicht nur ein (kommunal)politischer Akt, sie betrifft vielmehr auch die Rechtsordnung. Das positive Recht weist in dieser Frage, da es um Landesrecht geht, keine Einheitlichkeit auf. In einem Teil der Länder
bestimmt das Straßenrecht, dass die Gemeinden den öffentlichen Straßen (Wegen, Plätzen) einen Namen geben (können)2.
In anderen Ländern regelt das Gemeinderecht, dass die Benennung der (dem öffentlichen Verkehr dienenden) Straßen Angelegenheit der Gemeinden ist3; mitunter fehlt es an der ausdrücklichen Zuweisung der gemeindlichen Verbandskompetenz, und
es ist nur die Organzuständigkeit des (Gemeinde-)Rates (der
Gemeindevertretung) für die Benennung von Straßen normiert4. Trifft das Landesrecht keine Regelung zur Zuteilung
von Straßennamen, ergibt sich die Verbandskompetenz der Gemeinden für die Erledigung dieser Angelegenheit unmittelbar
aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 II 1 GG sowie Parallelbestimmungen im
Landesverfassungsrecht)5.
2. Funktionen der Straßenbenennung
Der Benennung von Straßen wird zunächst eine Ordnungsund Erschließungsfunktion zugeschrieben; danach ist es in
erster Linie Zweck der Straßenbezeichnung, im Verkehr der
Bürger untereinander und zwischen Bürgern und Behörden
das Auffinden von Wohngebäuden, Betrieben, öffentlichen
Einrichtungen und Amtsgebäuden zu ermöglichen und zu erleichtern6. Die Identifizierung einer Wohnanschrift, Büroadresse etc. setzt zudem das Anbringen einer Hausnummer
voraus. Da es bei der erstmaligen Straßenbezeichnung und
Zuteilung einer Hausnummer in der Regel um neu errichtete
Anlagen geht, bestimmt das Erschließungsrecht, dass die Eigentümer das Anbringen von Straßenschildern auf ihren
Grundstücken zu dulden haben (§ 126 I 1 Nr. 2 BauGB). Außerdem hat der Eigentümer sein Grundstück mit der von der
Gemeinde festgesetzten Nummer zu versehen (§ 126 III 1
BauGB); die Festsetzung selbst erfolgt nach Landesrecht (§ 126
III 2 BauGB)7.
Legitime Zwecke der Straßenbenennung sind sodann die
Pflege örtlicher Traditionen und die Ehrung verdienter Bürger8. Vereinzelt ist vorgeschrieben, dass Namen lebender Personen für Straßennamen, soweit sie sich auf diese Personen
beziehen, nicht verwendet werden dürfen9. Besteht ein solches
Verbot nicht, darf die Straßenbenennung auch nach dem Namen einer lebenden Person erfolgen10. Da dieser amtliche Akt
das Persönlichkeitsrecht der fraglichen Person betrifft, ist deren
Einverständnis zur Straßenbenennung einzuholen11.
3. Rechtsdogmatische Einordnung der Straßenbenennung
Die Benennung einer öffentlichen Straße enthält rechtlich weder ein Gebot oder Verbot, noch ist sie auf eine Veränderung der
Rechtsstellung einzelner Personen (z. B. der Straßenanlieger)
gerichtet12. Es handelt sich demnach nicht um einen »klassischen« Verwaltungsakt i. S. d. § 35 S. 1 LVwVfG. Die Zuteilung
eines Straßennamens stellt vielmehr eine sachbezogene Allgemeinverfügung gemäß § 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG dar. Soweit
von einer »adressatlosen« Allgemeinverfügung gesprochen
wird13, besteht der Einwand, dass Verwaltungsakte definitionsgemäß auf die Setzung von Rechtsfolgen gerichtet sind und
daher auf die Steuerung des Verhaltens von Menschen zielen14.
Praktische Folgen ergeben sich aus diesem rechtsdogmatischen
Disput nicht. Das positive Recht sieht in § 35 S. 2 LVwVfG
ausdrücklich vor, dass ein Verwaltungsakt in Gestalt der Allgemeinverfügung die »öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer
Sache« betreffen kann.
Die Erstbenennung einer Straße erfolgt ausschließlich im
öffentlichen Interesse, insbesondere – vor dem Hintergrund
der Ordnungs- und Erschließungsfunktion – im Verkehrsinteresse15. Inhaltliche Vorgaben für die erstmalige Straßenbenennung bestehen kaum; die Auswahl des Straßennamens stellt
eine Ermessensentscheidung der Gemeinde dar16. Vereinzelt
ist ausdrücklich bestimmt, dass gleich lautende Benennungen
innerhalb derselben Gemeinde unzulässig sind17; ohne eine
derartige gesetzliche Direktive verbietet die Erschließungsund Ordnungsfunktion der Straßenbezeichnung als allgemeine
Ermessensgrenze – »Zweck der Ermächtigung« i. S. d. § 40
LVwVfG – die »Doppelbenennung« eines Straßennamens18.
Ermessensfehlerhaft soll auch die Verwendung eines »anstößigen Namens« sein19; praktische Bedeutung kommt diesem
Aspekt nicht zu. Insgesamt kann demnach von einem weiten
(Auswahl-)Ermessen gesprochen werden, das die Gemeinde im
Interesse der Allgemeinheit auszuüben hat.
Die erstmalige Straßenbenennung schafft für die betroffenen
Anwohner im Rechtssinne (vgl. § 48 I 2 LVwVfG) weder einen
Vorteil noch einen Nachteil. Folglich kann die Straßenbenennung nicht als »begünstigender Verwaltungsakt« qualifiziert
2 Art. 52 I BayStrWG; § 5 I 1 BlnStrG; § 37 I 1 u. II BremLStrG; § 20 I HbgWG;
§ 51 I 1 StrWG MV; § 4 II 3 StrWG NW; § 47 I 1 StrWG SH.
3 § 5 IV 1 GemO BW; § 5 IV 1 SächsGemO; § 5 III 1 ThürKO. – Ebenso noch § 11
III BbgGO, anders § 9 BbgKVerf.
4 § 28 II 1 Nr. 13 BbgKVerf; § 40 I Nr. 2 NdsGO; § 44 III Nr. 14 GO LSA.
5 OVG NW NJW 1987, 2695 (2696) ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6;
Ennuschat LKV 1993, 43 (44).
6 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW
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1992, 140 (143) ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7; BayVGH BayVBl
1988, 496 (497); BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 30 ? Schoch JK 3/11, VwVfG
§ 35 S. 2/10; OVG NW NJW 1987, 2695 (2696) ? Erichsen JK 3/88, VwVfG
§ 35 S. 2/6; Herber in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, 12. Kapitel Rdn. 32;
Sauthoff Öffentliche Straßen – Straßenrecht, Straßenverkehrsrecht, Verkehrssicherungspflichten, 2. Aufl. 2010, Rdn. 549.
Vgl. unten V.
Vgl. Nachw. oben Fn. 6; ferner Bäumler BayVBl 2010, 601 und 602.
So § 37 I 3 BremLStrG.
Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 33.
Bäumler BayVBl 2010, 601 (602) mit Hinweis auch darauf, dass bei einer
Straßenbenennung nach verstorbenen Persönlichkeiten die Kontaktaufnahme
mit nahen Angehörigen für unverzichtbar gehalten werde.
OVG NW NJW 1987, 2695 ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6.
OVG NW, Fn. 12; ferner z. B. Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 548.
Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6; vgl. ferner zur Bezeichnung »dinglicher
Verwaltungsakt« Ruffert in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 21 Rdn. 37.
OVG Berlin LKV 1994, 298; OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV
2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ? Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9; Sauthoff
Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 547.
OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184
(185); Ennuschat LKV 1993, 43 (45); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 33.
§ 5 IV 2 GemO BW; § 37 I 2 BremGStrG; § 5 IV 2 SächsGemO; § 5 III 2 ThürKO.
Winkelmann Namen und Bezeichnungen (Fn. 1) S. 164 f.
Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 33; ausf. Winkelmann Namen und
Bezeichnungen (Fn. 1) S. 166 ff.
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werden20. Diese Erkenntnis ist wichtig für die Anforderungen
an eine Straßenumbenennung21. Bei der Namensgebung einer
Straße haben die Anwohner kein Recht auf einen bestimmten
Straßennamen oder auf einen »schönen«, »passenden« oder
»althergebrachten« Straßennamen22. Es fehlt insoweit ein subjektives Recht, das dem Ermessen der Gemeinde bei der Straßenbenennung entgegengesetzt werden könnte.
II. Straßenumbenennung: Probleme und Folgeprobleme
Fall 1: A, B und C sind Eigentümer von Grundstücken in der Gemeinde
G, die im Süden durch die »Remchinger Straße« und im Norden durch
einen Fußweg begrenzt werden, der parallel zur Bahnhofstraße verläuft
und dieselbe Bezeichnung trägt. Der Gemeinderat von G beschloss, den
Fußweg in »Remchinger Weg« umzubenennen und den Grundstücken
von A, B und C die auf diesen Weg bezogenen Hausnummern 11, 15 und
19, den dazwischenliegenden Grundstücken die auf die »Remchinger
Straße« bezogenen Hausnummern 13, 17 und 21 zuzuteilen. Die Änderung wurde im Amtsblatt der Gemeinde G bekannt gemacht und A, B
und C amtlich mitgeteilt. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren
klagen A, B und C beim zuständigen VG auf Aufhebung der Umbenennung und Umnummerierung23.
Fall 2: D ist Anwohner der früheren »Heine-Straße« in der Stadt S. Da
es in einem anderen Stadtbezirk (nach der Eingliederung von Gemeinden) eine zweite Straße mit diesem Namen gab, beschloss die Bezirksvertretung, die »Heine-Straße« in »Oscar-Wilde-Straße« umzubenennen. D klagt gegen die Straßenumbenennung, weil er sich in seinem
Persönlichkeitsrecht verletzt sieht und nicht bereit ist, die neue Anschrift Behörden, Versicherern, Freunden und Bekannten etc. mitzuteilen24.
Fall 3: Die Bezirksvertretung der kreisfreien Stadt K hatte beschlossen, den vor 45 Jahren nach der bundesweit bekannten Persönlichkeit R
benannten »R-Weg« in »Z-Weg« umzubenennen. Anlass hierfür war
eine öffentliche Diskussion um das Geschichtsbild des R; es sollte vermieden werden, dass die Stadt in diese Debatte hineingezogen wird. Das
mit seinem Firmengelände an dem Weg angesiedelte Unternehmen U
errechnete Umstellungskosten in Höhe von 150.000 Euro und klagt
nach der Veröffentlichung des Beschlusses. Daraufhin wird die sofortige
Vollziehbarkeit der Umbenennung angeordnet. U stellt nun beim VG
einen Antrag nach § 80 V 1 VwGO25.
Fall 4: E ist ein Enkel des verstorbenen ehemaligen Landesbischofs
Dr. Hans Meiser (1881 bis 1956) der Evangelisch-Lutherischen Kirche
in Bayern. Nach ihm ist 1957 die »Meiser-Straße« in München benannt
worden. Nachdem eine öffentliche Debatte um die Rolle des damaligen
Landesbischofs während der NS-Zeit in der »Hauptstadt der Bewegung« entfacht worden war, beschloss der Stadtrat die Umbenennung
der Straße in »Katharina-von-Bora-Straße«; man wolle, so der Oberbürgermeister, die Stadt aus der fortwährenden Diskussion über die
Person des ehemaligen Landesbischofs heraushalten. Nachdem der
Beschluss zur Straßenumbenennung im Amtsblatt der Stadt bekannt
gemacht worden war, klagte E unter Berufung auf das postmortale
Persönlichkeitsrecht seines Großvaters auf Aufhebung der Straßenumbenennung; E macht geltend, dass keine der seinem Großvater unterstellten Äußerungen zutreffe und die Stadt nur aus populistischen
Erwägungen ihre frühere Entscheidung revidiere26.
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ohne Anlass. Die Motive und Gründe für eine Änderung sind
vielfältig und lassen sich präzise identifizieren28. Ein gut fassbarer Grund kann die Beseitigung einer Verwechslungsgefahr
sein (vgl. Fall 2)29. Begründet wurde eine Straßenumbenennung
auch damit, dass auf Grund eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans eine Wohnanlage entstehe, deren bisher unbenannte
Straßen Namen erhalten müssten; weil das Baugebiet bereits in
der Öffentlichkeit eine bestimmte Bezeichnung führe, solle
dessen Haupterschließungsstraße nun so bezeichnet werden30.
In der Praxis ist eine Straßenumbenennung auch auf Grund
entsprechender Eingaben (Petitionen) von Straßenanliegern
vorgenommen worden31. Schließlich kann die Umbenennung
einer Straße darauf zurückzuführen sein, dass der Straßenname
vor geraumer Zeit nach einer Person ausgewählt worden war
und sich zwischenzeitlich herausstellte, dass es sich um eine
umstrittene Persönlichkeit handelt, die der Ehre, die mit der
Straßennamensgebung verbunden ist, aus der Sicht der Gemeinde (Stadt) nicht würdig ist (Fall 3 und Fall 4)32.
2. Folgen einer Straßenumbenennung für Anlieger
Ebenso wie die Erstbenennung einer Straße enthält die Entscheidung über die Umbenennung weder ausdrücklich noch
konkludent personale Verhaltensgebote oder -verbote; geregelt
wird nicht das jeweilige Rechtsverhältnis des Straßenanliegers
zu der Gemeinde (Stadt), geschaffen wird vielmehr durch eine
sog. intransitive Zustandsregelung eine rechtserhebliche Tatsache, die Anknüpfungspunkt und Voraussetzung für die
Anwendung von Rechtsnormen sein kann33. Die Straßenumbenennung als solche entzieht i. S. d. Allgemeinen Verwaltungsrechts (§ 48 I 2 LVwVfG) kein Recht oder einen rechtlich
erheblichen Vorteil, weil – wie erwähnt – die vormalige (erstmalige) Straßenbenennung für die Anlieger im Rechtssinne
keinen begünstigenden Verwaltungsakt darstellt.
Eine Straßenumbenennung ist für die Anlieger dennoch
nicht folgenlos. Die Konsequenzen können faktischer oder
mittelbar rechtlicher Art sein. Tatsächliche Folgen sind etwa
die Anschaffung neuer Briefbögen und Briefumschläge mit aufgedruckter Wohnanschrift und der Austausch der Visitenkarten. Auch die Mitteilung der Adressenänderung im privaten
Bereich (z. B. gegenüber Familienangehörigen, Freunden und
20 VGH BW NJW 1979, 1670 (1671); BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 33 ?
Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10.
21 Vgl. dazu unten II. 3.
22 BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726 (727); Herber in:
Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37; Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 549.
23 Fall nach VGH BW NJW 1981, 1749.
24 Fall nach OVG NW NJW 1987, 2695 ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6;
1. Gründe für Straßenumbenennungen
dazu Fallbearbeitung Brugger JuS 1990, 566.
Im Unterschied zu den öffentlich kaum kontrovers diskutierten
erstmaligen Straßenbenennungen gibt es bei einer Straßenumbenennung immer wieder Streit. Manche Kontroverse mündet in einen – bei den Verwaltungsgerichten ausgetragenen –
Rechtsstreit. Dabei wehren sich Betroffene, wie die Fallbeispiele zeigen, sowohl mit der Klage im Hauptsacheverfahren als
auch mit einem Eilantrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Beschritten wird der Instanzenzug, soweit er bei diesen landesrechtlichen Streitigkeiten Sinn macht. Mitunter
stößt ein Verfahren sogar auf ein bundesweites publizistisches
Echo; das war etwa in dem Verfahren, dem Fall 4 nachgebildet
ist, so27. Der Erfolg in den angestrengten Gerichtsverfahren ist,
wie zu zeigen sein wird, unterschiedlich.
Die Umbenennung einer Straße erfolgt in aller Regel nicht
25 Fall nach OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184
? Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9.
26 Fall nach BayVGH BayVBl 2010, 599 (m. krit. Anm. Bäumler) ? Schoch JK
3/11, VwVfG § 35 S. 2/10.
27 Vgl. etwa Otto FAZ Nr. 179 vom 5. 8. 2009 S. 31; Bahners FAZ Nr. 45 vom
23. 2. 2010 S. 35; Bahners FAZ Nr. 46 vom 24. 2. 2010 S. 36.
28 Zusammenfassend Winkelmann Namen und Bezeichnungen (Fn. 1) S. 178 ff.
29 OVG NW NJW 1987, 2695 ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6.
30 BayVGH BayVBl 1988, 496.
31 VGH BW NVwZ 1992, 196 = VBlBW 1992, 140 ? Erichsen JK 9/92, VwVfG
§ 35 S. 2/7.
32 BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 = BayVBl 1995, 726; BayVGH BayVBl 2010,
599 Tz. 41 und Tz. 42 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10; Herber in: Kodal
(Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.3 berichtet von einem Fall, in dem die betreffende
Person Untaten im heutigen Namibia während der deutschen Kolonialzeit in
Südwestafrika begangen hatte.
33 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122.
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Bekannten) und im geschäftlichen bzw. beruflichen Verkehr
(z. B. gegenüber Arbeitgeber, Banken, Versicherungen) sowie
gegenüber Behörden (z. B. Finanzamt, Besoldungs- und Versorgungsamt) zählen dazu. Diese und weitere tatsächliche Folgen einer Straßenumbenennung erfordern nicht nur einen gewissen Zeitaufwand, sondern verursachen auch Kosten; sind
z. B. (große) Unternehmen (mit einem breiten Kundenstamm)
betroffen, können die Folgekosten einer Straßenumbenennung
für die betroffenen Straßenanlieger erheblich sein (Fall 3).
Führt die Straßenumbenennung dazu, dass der vormals verwendete Name einer Persönlichkeit aus der Straßenbenennung
verschwindet, kann die Änderung des Straßennamens als »ehrverletzender Akt« empfunden werden34.
Die richtige Anschrift bzw. ihre korrekte Verwendung weist
nicht nur tatsächliche Implikationen auf, sondern ist vielmehr
rechtlicher Anknüpfungspunkt in etlichen Gesetzen und
führt mitunter zu Verhaltenspflichten Betroffener. So löst jede
Straßenumbenennung die bereits erwähnte Duldungspflicht
des Grundstückseigentümers nach § 126 I 1 Nr. 2 BauGB aus;
ist mit dem Vorgang eine Änderung der Nummerierung (d. h.
die Zuteilung einer neuen Hausnummer) verknüpft (vgl. Fall
1), unterliegt der Grundstückseigentümer zudem der in § 126
III BauGB normierten Pflicht. Die Anschrift ist eine der Angaben im Personalausweisregister35 und im Passregister36 sowie im Melderegister37. Eine der Angaben im Personalausweis
ist die Anschrift38. Ist eine Eintragung unrichtig (geworden),
muss der Ausweisinhaber den Ausweis der Personalausweisbehörde unverzüglich vorlegen39. In vielen (amtlichen oder
geschäftlichen) Formularen ist, wenn diese ausgefüllt werden,
die Anschrift anzugeben; ein bekanntes Beispiel im privaten
Bereich ist das Ausfüllen der Meldevordrucke in Beherbergungsstätten40. Die Wahlberechtigung hängt unter anderem
von der Eintragung in das Wählerverzeichnis ab; dessen Angaben sind in Bezug auf die Wahlbezirke nach Straßen und
Hausnummern gegliedert41. Bei der Anmeldung der Eheschließung, um ein letztes Beispiel zu geben, müssen die Eheschließenden ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort
durch öffentliche Urkunde nachweisen42. Unrichtige Angaben
zur Wohnung können eine Ordnungswidrigkeit darstellen
(§ 111 OWiG).
nen die Anlieger begünstigenden Verwaltungsakt darstellt, handelt es sich im Rechtssinne um einen im Ermessen der
Gemeinde (Stadt) stehenden Widerruf gemäß § 49 I LVwVfG44.
Die Straßenumbenennung erfolgt dann nach den Bestimmungen zur erstmaligen Straßenbenennung45. Neuerdings wird in
der insoweit maßgeblichen Vorschrift eine Spezialregelung gesehen, die die Änderung einer bestehenden Regelung wesensmäßig in sich trage; da eine Straße aus zwingenden ordnungsrechtlichen Gründen nicht zeitweise namenlos werden dürfe
und daher die isolierte Aufhebung eines Straßennamens im
Wege einer Rücknahme (§ 48 I 1 LVwVfG) oder eines Widerrufs
(§ 49 I LVwVfG) nicht in Betracht komme, könne nur durch
eine Neubenennung der Straße der bisherige Straßenname aufgehoben werden46. Danach ist für eine Anwendung der allgemeinen Bestimmungen kein Raum. Diese Doktrin entspricht
der in neuerer Zeit verbreiteten Rechtsprechungspraxis, als
Rechtsgrundlage für eine Straßenumbenennung von vornherein die Vorschriften für die Straßenerstbenennung heranzuziehen47. Sachliche Konsequenzen hat diese rechtsdogmatische Neukonstruktion nicht, da im Falle der Heranziehung des
§ 49 I LVwVfG die Kautelen des § 49 II LVwVfG nicht zur
Anwendung kämen.
III. Zulässigkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes
In den vier Fallbeispielen suchen durch die jeweilige Straßenumbenennung Betroffene um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach. Dass der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 I 1
VwGO eröffnet ist, ist unproblematisch; dasselbe gilt für die
gerichtliche Zuständigkeit (§§ 45, 52 Nr. 1 VwGO). Geklärt ist
die statthafte Rechtsschutzform; der Erläuterung bedürfen lediglich einige rechtskonstruktive Erwägungen (1.). Nach wie
vor umstritten ist hingegen die Klage- bzw. Antragsbefugnis (2.);
die dazu maßgeblichen Überlegungen gelten für die Widerspruchsbefugnis entsprechend, soweit das Widerspruchsverfahren landesrechtlich nicht abgeschafft ist.
1. Statthafte Rechtsschutzform
Nach nahezu einhelliger Auffassung stellt die von der Gemeinde (Stadt) beschlossene Umbenennung einer öffentlichen Stra-
3. Rechtsakt der Straßenumbenennung
Die Umbenennung einer Straße stellt, analytisch betrachtet,
einen zweigliedrigen Akt dar. Die Änderung des Straßennamens setzt zunächst die Beseitigung der bisherigen Straßenbenennung voraus; ist dieser Schritt getan, kommt es zur
Neubenennung der betreffenden Straße43. Da die frühere Straßenbenennung einen Verwaltungsakt in Gestalt der sachbezogenen Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG) darstellt
(s. o. I. 3.), handelt es sich bei deren Beseitigung um die behördliche Aufhebung eines früheren Verwaltungsakts und um
den Neuerlass eines Verwaltungsakts i. S. d. § 35 S. 2 Alt. 2
LVwVfG.
Dieses zweiaktige Vorgehen müsste sich bei der Ermittlung
der Rechtsgrundlagen für Straßenumbenennungen niederschlagen. Spezialbestimmungen für die Straßenumbenennung
enthalten weder das (Landes-)Straßenrecht noch das Gemeinderecht. Daraus wurde früher die Schlussfolgerung gezogen,
dass der mit der Straßenumbenennung notwendig verbundene
Akt der Aufhebung des bisherigen Namens nach Allgemeinem
Verwaltungsrecht (§§ 48, 49 LVwVfG) zu erfolgen hat; da von
der Rechtmäßigkeit der früheren Straßenbenennung auszugehen ist und jene Verwaltungsentscheidung, wie erwähnt, kei-
34 Dies am Beispiel von Fall 4 betonend Bäumler BayVBl 2010, 601 (602 f.).
35 § 23 III Nr. 8 PAuswG (Sartorius I 255).
36 § 21 II Nr. 8 PassG (Sartorius I 250).
37 § 2 I Nr. 12 MRRG (Sartorius I 256); ergänzend treten Bestimmungen des
LMeldeG hinzu.
38 § 5 II Nr. 9 PAuswG. – Der Pass enthält nur die Angabe des Wohnortes (§ 4 I 2
Nr. 9 PassG).
39 § 27 I Nr. 1 PAuswG. – Parallele beim Pass: § 15 Nr. 1 PassG; zur Berichtigung
des Melderegisters vgl. §§ 4 a, 9, 11 III MRRG.
40 Dazu § 16 I MRRG und ergänzende Vorschriften im LMeldeG.
41 § 14 BWahlG (Sartorius I 30) i. V. m. §§ 14 ff. BWahlO (Sartorius I 31); Grund-
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lage ist das Melderegister, § 2 II Nr. 1 MRRG. – Entsprechendes gilt für Landtagswahlen, Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament.
§ 12 II Nr. 2 PStG (Sartorius I 260 und Schönfelder Erg.-Bd. 113).
BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 28 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10.
BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; BayVGH BayVBl 1988, 496
(497); OVG NW NJW 1987, 2695 (2696) ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35
S. 2/6.
Vgl. Nachw. oben Fn. 2 und 3 sowie 5.
BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 28 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10
(unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. Fn. 44).
VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142) ? Erichsen JK
9/92, VwVfG § 35 S. 2/7; OVG Berlin LKV 1994, 298; OVG NW NVwZ-RR
2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ? Schoch JK 8/08,
VwVfG § 35 S. 2/9; OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122.
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ße – wie die Erstbenennung einer Straße (s. o. I. 3.) – einen
adressatlosen, sachbezogenen Verwaltungsakt in Gestalt der
Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG) dar48. Da das
Rechtsschutzbegehren in aller Regel auf die gerichtliche Aufhebung der Umbenennung (§ 113 I 1 VwGO) zielt49, ist die
Anfechtungsklage gemäß § 42 I VwGO im Hauptsacheverfahren die statthafte Rechtsschutzform. Diese Auffassung ist –
ungeachtet des Disputs um das Konstrukt eines »adressatlosen« Verwaltungsakts50 – zutreffend. In Fall 1, Fall 2 und Fall 4
ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart.
Bei einer genauen Untersuchung der »VA-Merkmale«51 zeigen sich einige Besonderheiten: Als »Behörde« (vgl. § 1 II
LVwVfG) hat nicht der Hauptverwaltungsbeamte (Bürgermeister, Oberbürgermeister), sondern das gemeinderechtlich zuständige Beschlussgremium (s. u. IV. 1. a) – grundsätzlich der
(Gemeinde-)Rat – gehandelt. Die »Regelung« liegt nicht – wie
bei der »klassischen« Verfügung (§ 35 S. 1 LVwVfG) – im behördlichen Erlass eines Verhaltensgebot oder -verbots gegenüber einer bestimmten Person, sondern in der für den Rechtsverkehr verbindlichen, neuen Straßenbezeichnung. Sodann
betrifft die Regelung im strengen Sinne nicht einen »Einzelfall«, sondern die »öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache« (§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG). Die »unmittelbare Rechtswirkung nach außen« ist dem Beschluss des Gremiums
(Gemeinderat, Ausschuss, Bezirksvertretung etc.) zu attestieren, da es eines besonderen Vollzugsakts des (Ober-)Bürgermeisters nicht bedarf52; die Veröffentlichung im Amtsblatt
(oder in einem anderen anerkannten Publikationsorgan) stellt
nur die für das Wirksamwerden (§ 43 I LVwVfG) der Allgemeinverfügung erforderliche Bekanntgabe (§ 41 LVwVfG)53
dar54, i. S. d. § 35 LVwVfG ist jedoch bereits der Umbenennungsbeschluss als solcher auf die unmittelbare Rechtswirkung »nach außen gerichtet«.
Wird seitens eines Betroffenen vorläufiger Rechtsschutz begehrt, gilt auf Grund der Kollisionsregel gemäß § 123 V
VwGO55 der Vorrang der §§ 80, 80 a VwGO. Im vorliegenden
Zusammenhang bedeutet dies, dass ein gegen die Straßenumbenennung erhobener Rechtbehelf (Widerspruch, Anfechtungsklage) gemäß § 80 I VwGO aufschiebende Wirkung entfalten kann56. Es ist unstrittig, dass auch ein Verwaltungsakt in
Gestalt der Allgemeinverfügung in den Anwendungsbereich
des § 80 I VwGO fällt, so dass die getroffene Regelung auf
Grund der Anfechtung vorläufig suspendiert wird57. Wird seitens der Gemeinde die sofortige Vollziehbarkeit der Allgemeinverfügung angeordnet (§ 80 II 1 Nr. 4, III 1 VwGO), ist der
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 V 1 VwGO statthaft; das trifft in Fall 3 zu.
gebefugnis (Antragsbefugnis) gemäß § 42 II VwGO (analog)
nicht allein auf die mit einer Straßenumbenennung verbundenen tatsächlichen Belastungen Betroffener (s. o. II. 2.) gestützt
werden kann. Ein »Recht« i. S. d. § 42 II VwGO ist ein subjektives öffentliches Recht; es hat eine rechtsnormative
Grundlage und wird anhand der Schutznormlehre gewonnen60.
Das – möglicherweise verletzte – »eigene Recht« i. S. d. § 42 II
VwGO kann nicht etwa in einem allgemeinen subjektiven
Recht der Straßenanlieger oder sonstiger Betroffener gegenüber
der Gemeinde (Stadt) auf fehlerfreie Ermessensausübung bei
der Straßenumbenennung gesehen werden61. Ein derartiges
gleichsam »frei schwebendes« Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch gibt es nicht; die Entstehung eines solchen
Rechts folgt den allgemeinen Regeln62, so dass eine materielle
Rechtsposition vorhanden sein muss, d. h. eine Rechtsnorm,
die zumindest auch dem Individualinteresse des Betroffenen zu
dienen bestimmt ist63. Nur dann besteht – falls es sich bei der
Ausgestaltung der Rechtsfolgenseite der betreffenden Norm um
eine Ermessensbestimmung handelt – ein normativ ableitbarer
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Verwaltungsbehörde.
Kein »eigenes Recht« i. S. d. § 42 II VwGO haben die Anlieger durch einen – angeblich – auf Grund der Erstbenennung
einer Straße erlangten Status, der durch die Änderung (Straßenumbenennung) in rechtlich relevanter Weise berührt werde
und deshalb die Gemeinde verpflichte, die sich aus der Änderung ergebenden nachteiligen Folgen für die Anlieger in die
48 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); VGH BW NVwZ 1992, 196 = VBlBW 1992,
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2. Klagebefugnis (Antragsbefugnis)
Besondere Sachentscheidungsvoraussetzung der Anfechtungsklage ist gemäß § 42 II VwGO die Klagebefugnis; die Vorschrift
findet im Eilverfahren nach § 80 V 1 VwGO zur Ermittlung der
Antragsbefugnis entsprechende Anwendung58. Die Klage (bzw.
der Eilantrag) ist nur zulässig, wenn der Kläger (Antragsteller)
geltend machen kann, durch den angegriffenen Verwaltungsakt
in eigenen Rechten verletzt zu sein.
a) Anforderungen an die Klagebefugnis (Antragsbefugnis)
§ 42 II VwGO verfolgt (ebenso wie § 113 I 1 VwGO) das Konzept eines subjektiv-rechtlich ausgerichteten Rechtsschutzes.
Ausgeschlossen werden damit Popularklagen ebenso wie Interessentenklagen bloß tatsächlich beschwerter Personen59. Letzteres bedeutet im vorliegenden Zusammenhang, dass die Kla-
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140 (141) ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7; BayVGH BayVBl 1988, 496;
BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 = BayVBl 1995, 726; BayVGH BayVBl 2010,
599 Tz. 29 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10; OVG NW NJW 1987, 2695
? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6; OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 =
DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ? Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9;
OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122; Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6)
Rdn. 548.
Vgl. die Praxisbeispiele Fall 1, Fall 2 und Fall 4. – Die Verpflichtungsklage,
gerichtet auf Änderung des Straßennamens, spielt in der Praxis keine Rolle,
auch nicht in den neuen Ländern nach der Herstellung der staatlichen Einheit
Deutschlands; vgl. Ennuschat LKV 1993, 43 (47).
Vgl. dazu oben I. 3.; zur »dinglichen Allgemeinverfügung« auch Kahl JURA
2001, 505 (511); ohne die Floskel »adressatlos« die Straßenumbenennung
zutreffend als Verwaltungsakt i. S. d. § 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG qualifizierend
OVG Berlin LKV 1994, 298.
Näher dazu Kahl JURA 2001, 505 (506 ff.); Ruffert in: Erichsen/Ehlers,
AllgVwR (Fn. 14) § 21 Rdn. 14 ff.
VGH BW NJW 1979, 1670 (1671) und NJW 1981, 1749 (1750); VG Stuttgart
VBlBW 2007, 231 (234); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 35.
Näher dazu Schoch JURA 2011, 23 ff.
VGH BW NVwZ 1992, 196 = VBlBW 1992, 140 (141) ? Erichsen JK 9/92,
VwVfG § 35 S. 2/7.
Dazu Schoch in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht,
2009, § 29 Rdn. 13.
OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ?
Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9.
Schoch in: ders./Schmidt-Aßmann/Bier, VwGO, § 80 (Bearb. März 2011)
Rdn. 51.
Schoch in: Ehlers/Schoch (Fn. 55) § 29 Rdn. 117.
Ehlers in: Ehlers/Schoch (Fn. 55) § 22 Rdn. 36.
Näher dazu Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR (Fn. 14) § 12 Rdn. 9 ff.,
18 ff.
So aber noch VGH BW NJW 1979, 1670 (1671) und NJW 1981, 1749 (1750);
ferner Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37; Sauthoff Öffentliche Straßen
(Fn. 6) Rdn. 550.
Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR (Fn. 14) § 12 Rdn. 23.
BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20 (21); OVG NW NJW 1987, 2695
? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6; OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122;
Ennuschat LKV 1993, 43 (47).
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JURA Heft 5/2011
Friedrich Schoch Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen GRUNDSTUDIUM
Ermessensentscheidung einzubeziehen64. Wenn die Erstbenennung der Straße kein Recht und keinen sonstigen rechtlich
erheblichen Vorteil begründet, also keinen begünstigenden Verwaltungsakt zu Gunsten der Straßenanlieger darstellt65, kann
die vormalige Namensgebung keinen »Status« schaffen, der
den Straßenanliegern als rechtliche Begünstigung zugeordnet
wird66.
Bei einer ordnungsgemäßen (und nicht etwa ergebnisorientierten) Auslegung des § 42 II VwGO führt kein Weg daran
vorbei, dass eine Schutznorm ermittelt werden muss, die im
Falle der Straßenumbenennung den Interessen der Betroffenen
(vor allem den Straßenanliegern) zu dienen bestimmt ist. Derartige, den Schutz Betroffener bezweckende Rechtsnormen
können sich aus dem für die Straßenumbenennung maßgeblichen Verwaltungsrecht, ggf. aus dem Verfassungsrecht ergeben.
b) Mögliche Schutznormen für Betroffene
aa) Rechtsgrundlage für die Straßenbenennung
Nach den straßenrechtlichen und gemeinderechtlichen Bestimmungen, die die gesetzlichen Grundlagen für die Straßenbenennung darstellen67, ist die Bezeichnung öffentlicher Straßen eine Angelegenheit der Gemeinde. Diese Regelungen
dienen ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit in Bezug auf die Ordnungs- und Erschließungsfunktion öffentlicher
Straßen68. Dabei soll es bei der Erstbenennung einer Straße
auch bleiben. Im Fall der Umbenennung einer Straße seien
jedoch die individuellen Interessen der Anwohner an der Beibehaltung des bisherigen Straßennamens im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen; ein solches Recht der Anwohner
ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der
Rechtsgrundlage zur Straßenumbenennung, jedoch könnten
die Interessen der Anwohner in das Ermessen eingestellt werden, so dass jene Rechtsgrundlage ein subjektives Recht auf
fehlerfreie Ermessensausübung vermittele69.
Auf Grund dieser Logik konnte in Fall 1 die Klagebefugnis angenommen werden. Der VGH BW meidet indes eine rechtlich saubere Prüfung
und spricht im Rahmen der Begründetheitsprüfung von einem Recht auf
fehlerfreie Ermessensausübung, das gerichtlich durchsetzbar sei70.
Grundeigentums, er gehört vielmehr nur zu den das Grundeigentum tatsächlich mitbestimmenden Gegebenheiten, auf
deren Fortbestand der Grundstückseigentümer mangels entsprechender Inhaltsbestimmung (Art. 14 I 2 GG) kein Recht
hat73. Unter dem Vorzeichen des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, dessen Schutz durch Art. 14 I 1 GG ohnehin offen ist, kann die Beibehaltung des Straßennamens und
damit der Anschrift nur als verfassungsrechtlich nicht geschützte Chance qualifiziert werden74. Die über den Straßennamen
mitbestimmte Adresse kann auch nicht als subjektives öffentliches Eigentumsrecht qualifiziert werden; das scheitert schon
daran, dass es insoweit an einer eigenen Leistung des Grundstückseigentümers fehlt75.
An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts mit Blick auf
die Folgelasten, die den Straßenanlieger bei einer Straßenumbenennung treffen (vgl. oben II. 2.). Soweit es um Kosten
der Adressenänderung etc. geht, scheitert der Schutz durch
Art. 14 I 1 GG schon deshalb, weil die durch die Straßenumbenennung betroffenen Vermögensinteressen vom Grundrechtstatbestand (»Eigentum«) nicht erfasst werden76.
cc) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. m. 1 I GG)
Das verfassungsrechtlich durch Art. 2 I i. V. m. 1 I GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht77 vermittelt ebenfalls
kein subjektives Abwehrrecht gegen die Straßenumbenennung.
Die durch die Straßenbezeichnung mitgeprägte Wohnanschrift
gehört nicht zu dem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Bereich privater Lebensgestaltung78. Die Anschrift gehört auch nicht zur Identität einer Person oder eines
Unternehmens79. Schließlich ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die Straßenumbenennung unter dem Aspekt
der persönlichen Ehre ebenfalls nicht betroffen80.
In der Entscheidung zu Fall 2 hat das OVG NW die Hypothese
aufgestellt, dass ein Straßenanlieger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht mittelbar dadurch beeinträchtigt sein könnte, dass die Gemeinde (Stadt) einen anstößigen neuen Straßennamen gewählt haben
64 So aber – zu Fall 3 – OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 =
NWVBl 2008, 184; krit. dazu Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9.
Überzeugend ist diese Rechtsauffassung kaum. Wenn die
gesetzlichen Bestimmungen zur Straßen(um)benennung nur
öffentliche Belange schützen, kann ihnen keine drittschützende Wirkung attestiert und kein subjektives Recht der Straßenanlieger entnommen werden. Der Hinweis auf das Ermessen
der Gemeinde bei der Straßen(um)benennung führt nicht weiter; ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung besteht
nicht etwa ungebunden, gleichsam für sich71. Im Ergebnis
kommt die hier kritisierte Rechtsauffassung der – nicht haltbaren – Ansicht zur Existenz eines »frei schwebenden« Rechts
auf fehlerfreien Ermessensgebrauch72 nahe. Zwar wird im vorliegenden Zusammenhang das Ermessen der gesetzlichen Regelung zur Straßen(um)benennung bemüht, jedoch wird nicht
gesagt, welches normative (Tatbestands-)Element in der einschlägigen Bestimmung den gesetzlich intendierten Schutz der
Straßenanlieger vermitteln soll. Das Ermessen selbst ist insoweit naturgemäß ohne normative Substanz.
bb) Schutz des Grundeigentums (Art. 14 I 1 GG)
Einigkeit besteht darüber, dass Art. 14 I 1 GG dem Grundstückseigentümer (und Straßenanlieger) kein »eigenes Recht«
i. S. d. § 42 II VwGO zur Abwehr der Straßenumbenennung
gewährt. Der bisherige Straßenname ist nicht Bestandteil des
65 Vgl. Nachw. hierzu oben Fn. 15 und Fn. 20.
66 Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.4 kritisiert die Auffassung des OVG
NW (Fn. 64) als »eklektizistische Position«.
67 Vgl. Nachw. oben Fn. 2 und Fn. 3.
68 OVG Berlin LKV 1994, 298; Rechtsauffassung bestätigend VerfGH Berlin LKV
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1997, 66; ferner OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 =
NWVBl 2008, 184; so auch noch VGH BW NJW 1979, 1670 (1671), korrigiert
durch VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); zuletzt BayVGH BayVBl 2010, 599
Tz. 30 (zu Art. 52 I BayStrWG): ordnungsrechtliche Aufgabe im Interesse der
Allgemeinheit an einer klar erkennbaren Gliederung des Gemeindegebiets mit
Bedeutung u. a. für das Meldewesen, Polizei, Post, Feuerwehr, Rettungsdienst.
VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142); BayVGH BayVBl
1988, 496; BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726; in diesem
Sinne auch Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.4.
VGH BW NJW 1981, 1749 (1750).
Ennuschat LKV 1993, 43 (47).
Vgl. oben III. 2. a), Text zu Fn. 61.
OVG NW NJW 1987, 2695 (2696); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.4.
BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; BayVGH BayVBl 2010, 599
Tz. 30.
Ennuschat LKV 1993, 43 (46).
VerfGH Berlin LKV 1997, 66.
Näher dazu Germann JURA 2010, 734 ff.
BVerwG NVwZ 1984, 36; OVG NW NJW 1987, 2695 (2696); Ennuschat LKV
1993, 43 (46).
BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; BayVGH BayVBl 2010, 599
Tz. 30.
Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6.
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GRUNDSTUDIUM Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen Friedrich Schoch
könnte, dessen Verwendung dem Betroffenen (Anwohner) als Teil seiner Anschrift nicht zumutbar wäre. Im konkreten Fall stellte das Gericht
zutreffend fest, die Benennung einer Straße nach dem Schriftsteller
Oscar Wilde sei offensichtlich nicht anstößig, auch wenn ein Straßenanlieger die Person dieses Schriftstellers aus persönlichen Gründen
ablehne81.
War eine Straße nach einer verstorbenen Persönlichkeit benannt, kann die Umbenennung dieser Straße das postmortale
Persönlichkeitsrecht82 jener Person beeinträchtigen. Wahrnehmungsberechtigte Angehörige bzw. Erben können durchaus Abwehransprüche geltend machen83. Das postmortale Persönlichkeitsrecht hat seine Grundlage in Art. 1 I GG; geschützt
sind der allgemeine Achtungsanspruch, der jedem Menschen
kraft seines Personseins auch nach dem Tod zusteht, sowie der
sittliche personale und soziale Geltungswert, den die Person
durch ihre Lebensleistung erworben hat84. Ist die Straßenumbenennung mit einem Angriff auf diese Schutzgüter verbunden, kann das postmortale Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt
sein85.
In der Entscheidung zu Fall 4 meinte der BayVGH, bei der Ehrung des
früheren Landesbischofs durch die nach ihm im Jahr 1957 vorgenommene Straßenbenennung habe es sich nur um einen Rechtsreflex gehandelt, der keine Rechtsposition für den Namensgeber und dessen
Erben begründe. Der Nebeneffekt »Ehrung« ändere nichts daran, dass
die Straßenbenennung nur im öffentlichen Interesse der ordnungsrechtlich motivierten Identifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit der
Straße sowie der gemeindlichen Darstellung nach außen erfolgt sei86.
– Diese Ausführungen gehen am Kern der aufgeworfenen Frage vorbei.
Der gezielten Ehrung (tatsächlich oder vermeintlich) verdienter Bürger
lässt sich durchaus eine personale Qualität beimessen, die den sozialen
Geltungswert einer Person schon deshalb verstärkt, weil die Straßenbenennung untrennbar mit ihrem Namen verbunden und zudem äußerst öffentlichkeitswirksam ist. Wird nun im Nachhinein z. B. auf der
Grundlage falscher Tatsachenbehauptungen eine Straßenumbenennung vorgenommen, kann darin eine ehrverletzende amtliche Schlussfolgerung gesehen werden, die das postmortale Persönlichkeitsrecht
verletzt87. Anlass für eine gründlichere Prüfung bot in Fall 4 die vom
BayVGH wiedergegebene Aussage des Oberbürgermeisters in der
Stadtratssitzung zur – angeblich oder tatsächlich – »zwiespältigen Rolle
des Bischofs Meiser«88.
dd) Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG)
Lässt sich ein »eigenes Recht« i. S. d. § 42 II VwGO weder
aus den straßenrechtlichen bzw. gemeinderechtlichen Bestimmungen zur Straßen(um)benennung noch aus speziellen Freiheitsgrundrechten ableiten, bleibt als möglicher normativer
Anknüpfungspunkt nur die allgemeine Handlungsfreiheit
(Art. 2 I GG). Die Auffassungen zur Tragfähigkeit dieses Ansatzpunktes sind geteilt.
Die h. M89. sieht in der Straßenumbenennung keinen Eingriff
in den Schutzbereich des Art. 2 I GG, wobei allerdings nicht
ganz deutlich wird, ob schon die Eröffnung des Schutzbereichs
verneint wird, weil der Grundrechtstatbestand nicht erfüllt ist,
oder ob es an einem Eingriff fehlt. Die durch eine Straßenumbenennung bewirkten tatsächlichen Folgelasten und die
eventuell entstehenden Rechtspflichten (z. B. Unterrichtung
von Behörden über die neue Anschrift) werden zwar nicht in
Abrede gestellt, jedoch knüpften z. B. Mitteilungspflichten
nicht an die Umbenennung als solche an, sondern an die eine
Mitteilungspflicht begründenden Rechtsvorschriften; die tatsächlichen Folgen (z. B. Austausch der Visitenkarten, Unterrichtung der Bekannten über die geänderte Anschrift) seien im
Rechtssinne bloße Belästigungen unterhalb der Eingriffsschwelle.
Die Gegenauffassung90 verweist auf den weiten Schutzbereich des Art. 2 I GG und sieht den Grundrechtseingriff be-
Heft 5/2011 JURA
reits durch die Straßenumbenennung als solche bewirkt und
nicht erst durch die daran anknüpfenden Mitteilungspflichten
(z. B. des Personalausweis-, Pass- und Melderechts); rechtsdogmatisch sei der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 I GG
zwar nur die mittelbare Folge der Straßenumbenennung, die
Namensänderung sei jedoch für den Grundrechtseingriff ursächlich und dem Hoheitsträger zurechenbar. Für diese Rechtsauffassung spricht die Kombination aus dem in der Tat weiten,
auf den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit angelegten
Schutzbereich des Art. 2 I GG91 und dem modernen Eingriffsbegriff. Danach ist der Grundrechtsschutz nicht auf »klassische« Eingriffe beschränkt, sondern greift auch bei faktischen
oder mittelbaren Freiheitsbeeinträchtigungen, wenn diese in
der Zielsetzung und in ihren Wirkungen »klassischen« Eingriffen gleichkommen92. An der für die Grundrechtsbindung (Art. 1
III GG) maßgeblichen eingriffsgleichen Wirkung einer hoheitlichen Maßnahme fehlt es nur, falls sich die mittelbaren Folgen
als bloßer Reflex des Hoheitsaktes darstellen93. Davon kann bei
der Straßenumbenennung kaum gesprochen werden; deren
aufgezeigten faktischen und rechtlichen Folgen (s. o. II. 2.) sind
zwangsläufige, unabweisbare und unvermeidbare Konsequenzen des Hoheitsaktes94 und nicht etwa nur zufällige, unwesentliche und vernachlässigenswerte Begleiterscheinungen. Mit guten Gründen kann die Klagebefugnis (Antragsbefugnis) des
gegen die Straßenumbenennung gerichteten Rechtsbehelfs
demnach auf Art. 2 I GG gestützt werden.
In der Entscheidung zu Fall 2 ist das OVG NW der h. M. gefolgt und
hat eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I
GG) des D abgelehnt. Der Eingriff in die grundgesetzlich geschützte
Freiheitssphäre bestehe allein in der Auferlegung von Mitteilungspflichten durch besondere gesetzliche Bestimmungen. Dagegen komme der
Straßenumbenennung als solcher unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 I
GG ein eigener Eingriffswert nicht zu95.
ee) Fazit
Die subjektive Berechtigung von Straßenanliegern und sonstigen Betroffenen zur möglichen Abwehr einer Straßenumbenennung ist unklar und umstritten. Die restriktivste
Rechtsauffassung verneint die Klagebefugnis (Antragsbefugnis)
81 OVG NW NJW 1987, 2695 (2696).
82 Dazu Petersen JURA 2008, 271 ff.
83 BGHZ 165, 203 = NJW 2006, 605 Tz. 11 ? Coester-Waltjen JK 6/06, BGB § 823
I/14; BGH NJW 2007, 684 Tz. 11.
84 BVerfGE 30, 173 (194); BVerfG-K NJW 2001, 594; NVwZ 2008, 549.
85 Mit der Beeinträchtigung steht der Verfassungsverstoß fest, weil Art. 1 I GG
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einer Abwägung entzogen ist; BVerfG-K NJW 2001, 2957 (2959) ? Schoch JK
01, GG Art. 5 I 1/31; BVerfG-K NJW 2006, 3409.
BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 32.
Bäumler BayVBl 2010, 601 (602 f.).
BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 41.
VerfGH Berlin LKV 1997, 66; OVG Berlin LKV 1994, 298; OVG NW NJW
1987, 2695 (2696); OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 f. = DÖV 2008, 296 =
NWVBl 2008, 184; Ennuschat LKV 1993, 43 (46).
OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122 (123); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap.
Rdn. 37.4.
BVerfGE 80, 137 (152 ff.), m. Bespr. Kunig JURA 1990, 523 ff.; BVerfGE 90, 145
(171) ? Kunig JK 94, GG Art. 2 I/26; BVerfG-K DVBl 2002, 1265 = NJW 2002,
2378 ? Schoch JK 11/02, GG Art. 2 I/36.
BVerfGE 113, 63 (76); BVerfG-K DVBl 2009, 1440 (1441) = NVwZ 2009, 1486
(1487); BVerwGE 131, 171 Tz. 15; NdsOVG NVwZ-RR 2010, 639 (640); w.
Nachw. bei Schoch NVwZ 2011, 193 (195).
BVerfGE 116, 202 (222); BVerwG DVBl 2006, 387 (389) = NJW 2006, 1303
(1304).
Weitere Beispiele: Meldepflichten nach §§ 24 VI 1 Nr. 1, 24 a Nr. 7 WPflG
(Sartorius I 620) und § 23 II 1 ZDG (Sartorius I 625).
OVG NW NJW 1987, 2695 (2696).
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JURA Heft 5/2011
Friedrich Schoch Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen GRUNDSTUDIUM
gemäß § 42 II VwGO (analog), weil die straßenrechtliche bzw.
gemeinderechtliche Ermächtigungsnorm zur Straßen(um)benennung nur öffentliche Belange und nicht auch private
(Dritt-)Interessen schütze und Grundrechte nicht einschlägig
seien96. Diesem weithin als misslich empfundenen Ergebnis
versucht die Rechtsprechung auf unterschiedlichem Wege zu
begegnen. Nicht tragfähig ist die These, durch die Erstbenennung der Straße erlangten die Anlieger einen »Status«, der ihnen bei der Umbenennung der Straße einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung verleihe (so OVG NW zu Fall
3); da die Straßenbenennung keinen individuelle Rechte begründenden Verwaltungsakt, sondern eine Allgemeinverfügung
i. S. d. § 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG darstellt, kann sie einen subjektivrechtlichen »Status« nicht verleihen. Angreifbar ist auch der
Versuch, ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung den
Rechtsgrundlagen zur Straßen(um)benennung entnehmen zu
wollen (so VGH BW zu Fall 1, ebenso die Rechtsprechung des
BayVGH), da die maßgeblichen straßenrechtlichen bzw. gemeinderechtlichen Bestimmungen anerkanntermaßen nur objektiv-rechtlich wirken und das Ermessen als solches (d. h. ohne
entsprechende normative Prägung) subjektive Rechte nicht zu
begründen vermag.
Am tragfähigsten ist vor diesem Hintergrund der Rückgriff
auf Art. 2 I GG; wird der weite Schutzbereich der allgemeinen
Handlungsfreiheit ernst genommen und der moderne Begriff
des Grundrechtseingriffs beachtet, bestehen gegenüber der
rechtskonstruktiven Herleitung eines Abwehrrechts der Anlieger gegen die Umbenennung »ihrer« Straße keine Bedenken.
Rechtsdogmatisch fungieren die straßenrechtlichen und gemeinderechtlichen Bestimmungen zum Recht der Gemeinde
auf Straßen(um)benennung als Teil der »verfassungsmäßigen
Ordnung« gemäß Art. 2 I GG als Grundrechtsschranke. Im
Ergebnis wird dadurch erreicht, dass bei der Anwendung jener
Gesetzesbestimmungen ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nur gerechtfertigt ist, wenn die Straßenumbenennung ermessensfehlerfrei erfolgt ist.
Geht es um die »Abschaffung« einer Straßenbezeichnung,
die auf dem Namen einer verstorbenen Person basiert, kann das
postmortale Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt sein. Die dazu
augenblicklich vorliegende Rechtsprechung (vgl. BayVGH zu
Fall 4) dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen haben.
tretung (d. h. der Gemeinderat) ohne Übertragungsmöglichkeit
auf ein anderes Organ98. Der Hauptverwaltungsbeamte (Bürgermeister) scheidet als zuständiges Organ aus; die (Um-)Benennung von Straßen ist ihm nicht ausdrücklich zugewiesen,
und ein »Geschäft der laufenden Verwaltung« läge nur bei
häufig bzw. regelmäßig wiederkehrenden Angelegenheiten ohne allzu weitreichende Bedeutung vor99, was hier nicht der Fall
ist100. Deshalb ist – auch ohne ausdrückliche Regelung – grundsätzlich der (Gemeinde-)Rat für die Straßen(um)benennung
zuständig101.
Von diesem Grundsatz kann es Abweichungen geben. In
Ländern mit (gemeindeinterner) Ortschafts- bzw. Bezirksverfassung kann kraft Gesetzes bzw. auf Grund einer Entscheidung des (Gemeinde-)Rates eine andere Organzuständigkeit
bestehen. So beschließt in Nordrhein-Westfalen in den kreisfreien Städten die Bezirksvertretung über die (Um-)Benennung von Straßen (§ 37 I GO NW)102. In Baden-Württemberg
kann in dieser Angelegenheit der Ortschaftsrat entscheiden;
Voraussetzung hierfür ist allerdings eine Aufgabenübertragung
seitens des Gemeinderates durch die Hauptsatzung (§ 70 II 1
GemO BW)103.
b) Verfahren
Zum Verfahren der Straßenumbenennung steht die Frage nach
der Anhörung Betroffener gemäß § 28 I LVwVfG104 im Vordergrund des Interesses. Unterbleibt die Anhörung, wird darin
vereinzelt ein Verfahrensfehler gesehen, der allerdings durch
Nachholung der Anhörung geheilt werden könne105. Richtig ist
das nicht. Da es sich bei der Straßenumbenennung um eine
Allgemeinverfügung handelt, kann von einer Anhörung gemäß § 28 II Nr. 4 LVwVfG abgesehen werden106.
Über die Umbenennung einer Straße entscheidet der (Gemeinde-)Rat (bzw. die Bezirksvertretung oder der Ortschaftsrat) durch Beschluss. Diesem Beschluss muss ein gemeinderechtlich ordnungsgemäßes Verfahren vorausgehen; hierfür
gelten die allgemeinen kommunalrechtlichen Vorschriften
des jeweiligen Landesrechts. Besonders hervorzuheben ist
das Erfordernis einer öffentlichen Sitzung des Gremiums; die
Öffentlichkeit kann nach Gemeinderecht nur aus Gründen des
öffentlichen Wohls oder zum Schutz berechtigter Interessen
Einzelner ausgeschlossen werden107. Eine derartige Ausnahme
kann im Fall der Straßenumbenennung nicht angenommen
IV. Rechtmäßigkeitsanforderungen an die Straßenumbenennung
96 VerfGH Berlin LKV 1997, 66; OVG Berlin LKV 1994, 298.
Die Umbenennung einer Straße unterliegt formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen. Diese markieren – soweit eine Klage gegen die Straßenumbenennung für zulässig
erachtet wird – zugleich die Voraussetzungen für die Begründetheit der Anfechtungsklage (§ 113 I 1 VwGO). Entsprechendes gilt für die Begründetheit eines Eilantrags gemäß § 80 V 1
VwGO97.
97 Zum Entscheidungsmaßstab im sog. Aussetzungsverfahren näher Schoch in:
Ehlers/Schoch (Fn. 55) § 29 Rdn. 135 ff., 143 ff.
98 § 28 II 1 Nr. 13 BbgKVerf; § 40 I Nr. 2 NdsGO; § 44 III Nr. 14 GO LSA. – In
99
100
1. Formelle Rechtmäßigkeit
101
a) Zuständigkeit
Das Recht zur Straßen(um)benennung ist, wie erwähnt, den
Gemeinden zugewiesen. Damit ist die Verbandskompetenz
bestimmt. Zu klären bleibt die Organkompetenz; diese ist in
den Ländern unterschiedlich geregelt. Dennoch lassen sich
einige generelle Feststellungen treffen. So ist in manchen Ländern das zuständige Organ für die Entscheidung zur Straßen(um)benennung ausdrücklich festgelegt: die Gemeindever-
102
103
104
105
106
107
Hamburg werden die »öffentlichen Wege« vom Senat benannt und von der
Wegeaufsichtsbehörde entsprechend gekennzeichnet (§ 20 I HbgWG); in Berlin entscheidet die Senatsverwaltung für Verkehr, vgl. VerfGH Berlin LKV
1997, 66.
Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch (Hrsg.), Besonderes
Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 1. Kap. Rdn. 74.
Ennuschat LKV 1993, 43 (44).
VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142); VG Stuttgart
VBlBW 2007, 231 (234).
OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184.
VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142).
Näher dazu Schoch JURA 2006, 833 ff.
OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122 (123).
BayVGH BayVBl 1988, 496; BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 = BayVBl 1995,
726; Ennuschat LKV 1993, 43 (45); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap.
Rdn. 37.1.
§ 35 I GemO BW; Art. 52 II BayGO; § 36 II BbgKVerf; § 52 I HessGO; § 29 V
KV MV; § 45 NdsGO; § 48 II GO NW; § 35 I GemO RP; § 40 I SaarlKSVG; § 37
I SächsGemO; § 50 I u. II GO LSA; § 35 I GO SH; § 40 I ThürKO.
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351
352
GRUNDSTUDIUM Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen Friedrich Schoch
werden. Wurde der Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung gefasst, ist er formell rechtswidrig, und eine zulässige Klage ist
begründet108.
c) Sonstige Rechtmäßigkeitsanforderungen
Der Entscheidung über die Umbenennung einer Straße muss
nicht nur ein ordnungsgemäßes Verfahren vorangegangen sein,
auch die Beschlussfassung als solche muss den gemeinderechtlichen Vorschriften109 entsprechen. Sodann verlangt die
Wirksamkeit der Straßenumbenennung eine ordnungsgemäße
Bekanntgabe der getroffenen Verwaltungsentscheidung; falls
dazu keine speziellen Regelungen getroffen sind110, gilt für
die Allgemeinverfügung nach Allgemeinem Verwaltungsrecht,
dass sie öffentlich bekannt gegeben werden darf, wenn eine
Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist (§ 41 III 2
LVwVfG)111.
Diese Art der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts hat Folgen
für die Frage der Begründung. An sich unterliegen Verwaltungsakte dem Begründungsgebot des § 39 I LVwVfG112. Einer
Begründung bedarf es allerdings nicht, wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird (§ 39 II Nr. 5
LVwVfG). Dies gilt auch für die Straßen(um)benennung113.
2. Materielle Rechtmäßigkeit
Eine Straßenumbenennung steht im gemeindlichen (behördlichen) Ermessen. Da mit der Umbenennung nicht die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts einhergeht114,
besteht eine weitgehende Gestaltungskompetenz der Gemeinde bei der Auswechslung eines alten Straßennamens durch eine
neue Bezeichnung. Zu beachten sind nur die allgemeinen
gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 40 LVwVfG)115. Bedeutung hat vor allem der Zweck der Ermächtigung (innere
Ermessensgrenze). Ausgehend von der Ordnungs- und Erschließungsfunktion der Straßenbezeichnung116 muss bei der
Straßen(um)benennung darauf geachtet werden, dass die
anliegenden Gebäude und Einrichtungen leicht auffindbar
sind117. Daraus erklärt sich das Verbot gleichlautender Benennungen innerhalb einer Gemeinde118. Wird dieser Aspekt nicht
beachtet, verfehlt die Straßenbezeichnung ihren Zweck; umgekehrt kann – etwa nach einer Gebietsveränderung (z. B. Eingemeindung einer anderen Gemeinde) – die Beseitigung einer
entstandenen Mehrfachbenennung der tragende Grund für
die Umbenennung einer der betroffenen Straßen sein.
In der Entscheidung zu Fall 1 hat der VGH BW die Umbenennung des
Fußwegs in »Remchinger Weg« anhand des Kontrollmaßstabs gemäß
§ 114 S. 1 VwGO beanstandet und der Klage stattgegeben. Die gewählte
Benennung sei mit der »Remchinger Straße« wenn nicht gleichlautend,
so doch in hohem Maße verwechselbar119. – Demgegenüber war in Fall 2
die Beseitigung der entstandenen Verwechslungsgefahr leitend für die
Straßenumbenennung und damit fehlerfrei120.
Waren mit der früheren Straßenbezeichnung die Pflege örtlicher Traditionen bzw. die Ehrung verdienter Bürger verbunden, treten bei der Straßenumbenennung weitere Ermessensgesichtspunkte hinzu. Soweit geschichtliche Fakten die
Namensgebung prägen, muss die neue Bezeichnung der »historischen Wahrheit« entsprechen121. Erweist sich ein Bürger
der Ehrung einer nach ihm benannten Straße im Nachhinein
als »unwürdig«, anerkennt die Rechtsprechung ein legitimes
Umbenennungsinteresse schon dann, wenn die Gemeinde
(Stadt) nicht in eine öffentliche Diskussion um das Geschichtsbild der betreffenden Person hineingezogen werden will; dies
sei – unter dem Aspekt der Willkürkontrolle – ein sachgerechter
Grund, der die Ermessensentscheidung trage122.
Heft 5/2011 JURA
In der Entscheidung zu Fall 4 hat es der BayVGH als sachgerecht und
damit ermessensfehlerfrei erachtet, dass sich die Stadt aus einer fortwährenden öffentlichen Diskussion über die Person des ehemaligen
Landesbischofs heraushalten wollte. Der damaligen, nur wenige Monate nach dem Tod von Bischof Meiser (1956) erfolgten Straßenbenennung (1957) habe noch keine gefestigte Ansicht zum Leben und Wirken
des ehemaligen Landesbischofs zu Grunde liegen können. Wenn darüber nun eine heftige Diskussion geführt werde, sei es ein legitimes
Interesse der Stadt, sich aus solchen fortdauernden Debatten anlässlich
einer Straßenumbenennung heraushalten zu können123. – Danach
kommt es auf die inhaltliche Richtigkeit der Vorwürfe und Kritik, die
an dem vormals Geehrten geäußert werden, nicht an; allein der Umstand, dass öffentlich Kontroversen um die betreffende Person ausgetragen werden, rechtfertigt die Straßenumbenennung.
Unabhängig von den kommunalpolitischen Erwägungen, die
bei Beachtung der Ermessensgrenzen verwaltungsgerichtlich
zu respektieren sind (§ 114 S. 1 VwGO), wird den Interessen
der Straßenanlieger bei der Ermessensbetätigung nur ein geringes Gewicht beigemessen. Die Kostentragung (als Folge der
Straßenumbenennung) wird in aller Regel als zumutbar eingestuft, zumal bei einer vorherigen (Um-)Benennung der Straße,
die bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegt124. Ob der neue Straßenname aus der Sicht eines Anliegers »EDV-gerecht« ist, wird
als unmaßgeblich erachtet125. Geprüft wird, ob der gewählte
neue Straßenname »anstößig« und daher für die Anwohner
unzumutbar ist126; eine derartige Unzumutbarkeit kommt nur
in extremen Ausnahmefällen in Betracht und spielt in der Praxis
– bislang – keine Rolle.
In der Entscheidung zu Fall 3 war es nach Auffassung des OVG NW
legitim, dass es die Stadt durch die Straßenumbenennung vermeiden
wollte, in die Diskussion um das Geschichtsbild des R hineingezogen zu
werden. Diesem anerkennenswerten Interesse standen, so das Gericht,
unzumutbare gegenläufige geschützte Interessen von U nicht entgegen.
Die »Umstellungskosten« zählten zu den gelegentlich eintretenden
108 Einen derartigen Fall aus der Praxis bietet VGH BW NVwZ 1992, 196 =
VBlBW 1992, 140 ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7.
109 § 37 GemO BW; Art. 51 I BayGO; §§ 38, 39 BbgKVerf; §§ 53, 54 HessGO;
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
§§ 30, 31 KV MV; §§ 46, 47 NdsGO; §§ 49, 50 GO NW; §§ 39, 40 GemO RP;
§§ 44, 45 SaarlKSVG; § 39 SächsGemO; §§ 53, 54 GO LSA; §§ 38, 39 GO SH;
§ 39 I ThürKO.
Nach § 5 II 1 BlnStrG ist die Straßen(um)benennung im Amtsblatt für Berlin
bekannt zu machen. – Gemeinderechtlich gelten die Bestimmungen zur Bekanntmachung von Gremienbeschlüssen.
Vgl. dazu Schoch JURA 2011, 23 (26).
Einzelheiten dazu bei Schoch JURA 2005, 757 ff.
BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 29.
Vgl. oben Text zu Fn. 20 und zu Fn. 60.
Zum verwaltungsbehördlichen Ermessen Schoch JURA 2004, 462 ff.; zum
»intendierten Ermessen« ders. JURA 2010, 358 ff.
Vgl. oben I. 2. (Text zu Fn. 6).
VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW 1992, 140 (143); BayVGH BayVBl
1988, 496 (497) und BayVBl 2010, 599 Tz. 31.
Vgl. oben I. 3. (Text zu Fn. 17 und Fn. 18).
VGH BW NJW 1981, 1749 (1750).
Das OVG NW prüfte diesen Gesichtspunkt erst gar nicht, da es schon die
subjektive Betroffenheit des D verneinte, NJW 1987, 2695.
Darüber hatte der VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW 1992, 140 (143)
anlässlich der nach einem Schloss erfolgenden Straßenbezeichnung zu befinden.
BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726 (727); BayVGH
BayVBl 2010, 599 Tz. 41 ff.; OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV
2008, 296 = NWVBl 2008, 184 (185).
BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 42; krit. Bäumler BayVBl 2010, 601 (603).
Exemplarisch BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726 (727):
»Die Kosten für die Änderung der Anschrift sind nicht außergewöhnlich; die
letzte Umbenennung der Straße liegt mehr als 50 Jahre zurück, jeder Bürger
muss mit einer Änderung des Straßennamens in einem solchen Zeitraum
vernünftigerweise rechnen.«
Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 550.
Vgl. oben Fn. 18.
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JURA Heft 5/2011
Friedrich Schoch Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen GRUNDSTUDIUM
Kosten des allgemeinen Geschäftsbetriebs. Erfolge eine Straßenumbenennung nach 45 Jahren, sei die durch die Namensänderung hervorgerufene Kostenbelastung zumutbar127.
V. Annex: Zuteilung einer (neuen) Hausnummer
Die Umbenennung einer Straße ist bisweilen mit der Zuteilung
einer neuen Hausnummer verknüpft128; dann liegt ein Fall der
Umnummerierung vor. Die Zuteilung einer neuen Hausnummer kann aber auch unabhängig von einer neuen Straßenbezeichnung (z. B. weil Baulücken geschlossen werden und nun
neu »durchgezählt« werden soll) erfolgen129. Bei der erstmaligen Herstellung einer Straße ist eine sog. Neunummerierung
angezeigt130.
1. Funktion der Nummerierung und Zuteilung einer Hausnummer
Die Bezeichnung der Grundstücke nach Straße und Hausnummer verfolgt eine ordnungsrechtliche Aufgabe, die ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit an einer klar erkennbaren
Gliederung des Gemeindegebietes dient; sie hat – ungeachtet
der besseren Orientierungsmöglichkeiten von Privatpersonen –
im amtlichen Bereich Bedeutung u. a. für das Meldewesen und
die Polizei sowie für die Feuerwehr und den Rettungsdienst131.
Allen, die darauf angewiesen sind, wird das Auffinden von
bebauten Grundstücken durch die Hausnummern ermöglicht
und erleichtert132.
Die amtliche Zuteilung einer (neuen) Hausnummer stellt
einen Verwaltungsakt dar; dieser löst die Pflicht des betroffenen Eigentümers aus, sein Grundstück mit der festgesetzten
Hausnummer zu versehen (§ 126 III 1 BauGB)133. Insoweit
handelt es sich um eine personenbezogene Einzelfallregelung
(§ 35 S. 1 LVwVfG); von einem sachbezogenen Regelungsgehalt (§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG) kann gesprochen werden, soweit das betreffende Grundstück durch die Hausnummer einer
bestimmten Straße zugeordnet wird134.
Die konkrete Festsetzung der Hausnummer kann vom
(Ober-)Bürgermeister vorgenommen werden, einer Beschlussfassung des Gemeinderates bedarf es nicht135. Die Organkompetenz des Hauptverwaltungsbeamten kann darauf gestützt
werden, dass es sich bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe
um ein »Geschäft der laufenden Verwaltung«136 handelt. Mitunter bestehen in der Gemeinde Richtlinien des (Gemeinde-)Rates, nach denen die Hausnummernzuteilung zu praktizieren ist. Unschädlich ist es, wenn der (Gemeinde-)Rat mit der
Umbenennung einer Straße zugleich die notwendig werdende
Zuteilung neuer Hausnummern entscheidet137.
2. Rechtsgrundlagen für die Zuteilung von Hausnummern
Die Anordnung, mit der eine bestimmte Nummer für ein Hausgrundstück vergeben wird, kann nicht auf § 126 III 1 Nr. 2
BauGB gestützt werden. Diese bundesgesetzliche Bestimmung
regelt lediglich die Verpflichtung des Grundstückseigentümers
zur Duldung des Anbringens von Hausnummernschildern,
normiert aber keine behördliche Befugnis zur amtlichen Zuteilung der Nummern138. Insoweit ist das Landesrecht maßgeblich (§ 126 III 2 BauGB).
Etliche Länder haben in ihrem Recht spezielle Bestimmungen zur Vergabe von Hausnummern (bis hin zur Kostentragung) getroffen139. Diese Regelungen finden unabhängig davon
Anwendung, ob es im konkreten Fall um eine Erstnummerierung oder eine Umnummerierung geht. Da in der Änderung
einer bestehenden Nummerierung die Aufhebung eines beste-
henden Verwaltungsakts (frühere Zuteilung einer Hausnummer) enthalten ist, kann die Anwendung (auch) des § 49 I
LVwVfG in Betracht gezogen140 oder es kann – wie bei der
Straßenumbenennung141 – von vornherein die zur (Neu-)Nummerierung ermächtigende Rechtsgrundlage herangezogen werden; bei dem Rückgriff (auch) auf die Vorschrift zum Widerruf
eines Verwaltungsakts kommen die Bestimmungen zum Widerruf begünstigender Verwaltungsakte (§ 49 II bis VI LVwVfG)
allerdings nicht zur Anwendung142.
Unabhängig von dieser rechtskonstruktiven Problematik
stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundalge in denjenigen
Ländern, die eine spezielle Bestimmung zur (Um-)Nummerierung nicht kennen. Teilweise wird auf die Regelung zur Straßen(um)benennung143 zurückgegriffen; das Recht der Benennung von Straßen umfasse auch das Recht, den an den Straßen
anliegenden Grundstücken Hausnummern zuzuordnen144.
Zwingend ist das keineswegs; postuliert wird eher das gewünschte Ergebnis. Überzeugender ist es deshalb, auf die
ordnungsrechtliche Generalklausel (im Einheitssystem des
Gefahrenabwehrrechts: polizeiliche Generalklausel) zurückzugreifen, da die Bezeichnung der Grundstücke nach Nummern und Straßen eine ordnungsrechtliche Aufgabe darstellt145.
3. Befugnisse der Gemeinde und Rechtsstellung des Grundstückseigentümers
Die amtliche Zuteilung einer Hausnummer begründet kein
Recht des Grundstückseigentümers und keinen rechtlich erheblichen Vorteil für ihn, stellt also keinen begünstigenden
Verwaltungsakt (vgl. § 48 I 2 LVwVfG) dar; die Bezeichnung
127 OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184
(185).
128 Aus der Praxis VGH BW NJW 1979, 1670; NJW 1981, 1749; VGH BW NVwZ
129
130
131
132
133
134
135
136
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139
140
141
142
143
144
145
1992, 196 = VBlBW 1992, 140 ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7;
BayVGH BayVBl 1988, 496; OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122.
BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705;
HessVGH NVwZ 1983, 551; SächsOVG LKV 2010, 83; VG Weimar LKV
2000, 464.
NdsOVG NdsVBl 2010, 304.
BayVGH NVwZ-RR 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705; VG
Weimar LKV 2000, 464.
HessVGH NVwZ 1983, 551; SächsOVG LKV 2010, 83 (84).
VGH BW NJW 1989, 1749 (1750); VGH BW NVwZ 1992, 196 f. = VBlBW
1992, 140 (141); BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; Herber, in:
Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 40.
OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122. – Anschaulich insoweit der Sachverhalt von HessVGH NVwZ 1983, 551: Zuordnung eines von zwei Straßen
umgebenen Grundstücks von der einen zur anderen Straße.
VGH BW NJW 1979, 1670 (1671); VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW
1992, 140 (144); SächsOVG LKV 2010, 83.
§ 44 II 1 GemO BW; Art. 37 I 1 Nr. 1 BayGO; § 54 I Nr. 5 BbgKVerf; § 70 II
HessGO; § 38 III 3 KV MV; § 62 I Nr. 6 NdsGO; § 62 I GO NW; § 47 I 2 Nr. 3
GemO RP; § 59 III 1 SaarlKSVG; § 53 II 1 SächsGemO; § 63 I 2 GO LSA; § 53 I
2 GO SH; § 29 II Nr. 1 ThürKO.
VGH BW NJW 1981, 1749 (1750).
VG Weimar LKV 2000, 464; Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 551.
Art. 52 II BayStrWG (dazu BayVGH BayVBl 1988, 496/497; NVwZ-RR 2002,
705); § 28 I Nr. 3 BlnVermG i. V. m. BlnNrVO (dazu OVG Berlin LKV 1991,
374); § 38 a BremLStrG; § 20 II 1 HbgWG; § 51 I 2, II, III StrWG MV; § 47 I 2,
II, III StrWG SH.
So BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20.
Vgl. oben II. 3., Text zu Fn. 46 und Fn. 47.
BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705; SächsOVG LKV 2010, 83 (84); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 41.1. – Vgl.
auch nachf. Text zu Fn. 146.
Vgl. Nachw. oben Fn. 2 und Fn. 3.
So SächsOVG LKV 2010, 83 (84).
HessVGH NVwZ 1983, 551; NdsOVG NdsVBl 2010, 304; VG Weimar LKV
2000, 464.
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354
GRUNDSTUDIUM Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen Friedrich Schoch
eines Hauses nach Straße und Hausnummer gehört nicht zu
dem nach Art. 14 I 1 GG geschützten Eigentum und ist auch
nicht Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I
i. V. m. 1 I GG)146. Stuft man die Zuteilung einer Hausnummer
mit Blick auf die Pflichten gemäß § 126 I 1 Nr. 2, III 1 BauGB als
belastenden Verwaltungsakt ein, muss der betroffene Grundstückseigentümer vor der Anordnung angehört werden (§ 28 I
LVwVfG); eventuelle Einwendungen sind zur Kenntnis zu
nehmen und im Rahmen der Verwaltungsentscheidung zu
würdigen147. Zudem gilt das Begründungsgebot gemäß § 39 I
LVwVfG.
In materiellrechtlicher Hinsicht müssen zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtgrundlage erfüllt sein. In
den Ländern mit speziellen Regelungen148 sind dies die besonderen Anforderungen, im Übrigen geht es um den Tatbestand
der (polizei- bzw.) ordnungsrechtlichen Generalklausel; danach besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung ohne weiteres, falls Hausnummern für bestimmte Gebäude gar nicht vergeben oder widersprüchlich und ohne
schlüssige (logische) Abfolge zugeteilt sind149. In derartigen
Konstellationen wird die Ordnungsfunktion der Nummerierung von Grundstücken mit Hausnummern verfehlt.
Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor, entscheidet die Gemeinde über die Zuteilung von Hausnummern nach
Ermessen; es gelten die allgemeinen Ermessensdirektiven (§ 40
LVwVfG). An dieser Stelle entscheidet sich, ob und ggf. welchen Rechtsschutz Straßenanlieger im Falle einer Änderung
der Hausnummerierung erreichen können150. Die Auffassungen hierzu sind seit jeher geteilt.
Die sehr restriktive Rechtsansicht151 nimmt die – unbestrittene – Erkenntnis zum Ausgangspunkt, dass die erstmalige
Hausnummernzuteilung Betroffenen keine begünstigende
Rechtsposition vermittelt hat; folglich stehe die Entscheidung
über die Umnummerierung im freien Ermessen der Gemeinde. Diese Auffassung kann sich darauf berufen, dass es ein
»Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung« an sich, d. h. ohne normativen Bezug, nicht gibt, sondern eine materielle
Rechtsposition auf Grund einer Norm voraussetzt, die zumindest auch betroffenen Individualinteressen zu dienen bestimmt ist152. Da dies bei der Umnummerierung – anders als
bei der Straßenumbenennung – nicht der Fall sei, könnten die
Grundstückseigentümer bei der Änderung von Hausnummern
eine fehlerhafte Ermessensentscheidung der Gemeinde nicht
rügen, sondern allenfalls einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 I GG) geltend machen. Praktisch bedeutet dies,
dass die Belange der Grundstückseigentümer bei den gemeindlichen Erwägungen für oder gegen eine Änderung der
Hausnummerierung von Rechts wegen kaum eine Rolle spielen.
Die Gegenauffassung153 verweist darauf, dass die Grundstückseigentümer und Straßenanlieger durch die Umnummerierung Nachteile erführen und von der Maßnahme wesent-
Heft 5/2011 JURA
lich stärker betroffen seien als die Allgemeinheit. Daher seien
die individuellen Interessen der Straßenanlieger an einer Beibehaltung der bisherigen Grundstückszuordnung durch das
gerichtlich durchsetzbare Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung geschützt. Danach besteht bei einer Änderung der Hausnummerierung nicht nur eine Willkürkontrolle; der Rechtsschutz Betroffener erstreckt sich auf die pflichtgemäße
Ermessensbetätigung insgesamt (d. h. Verfolgung eines legitimen Zieles mit der Umnummerierung, sowie Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit/Zumutbarkeit der konkret vorgenommenen Hausnummernzuteilung).
Zustimmung verdient im Ergebnis letztgenannte Auffassung.
Defizitär ist allerdings die Begründung in Bezug auf das subjektive öffentliche Recht, das auch bei der Umnummerierung
nicht etwa »freischwebend« ohne normative Anknüpfung existiert. Die korrekte Begründung muss bei § 126 III BauGB und
den dort normierten (Satz 1) bzw. dem Landesrecht erlaubten
(Satz 2) Verpflichtungen des Grundstückseigentümers ansetzen154. Da der Grundstückseigentümer Adressat der Anordnung zur Änderung der Hausnummer ist, kann er sich – in
Parallele zur Straßenumbenennung155 – auf Art. 2 I GG berufen. Dass der Rechtsschutz Betroffener nicht nur eine theoretische Fragestellung ist, zeigt die Praxis; es gibt durchaus – auch
wenn dies auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheinen
mag – rechtswidrige Zuteilungen von Hausnummern156. Einem
rechtsstaatlichen Verwaltungsrecht wäre es kaum angemessen,
betroffenen Grundstückseigentümern nicht einmal ein Recht
auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zuzugestehen157.
146 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705; Sächs-
OVG LKV 2010, 83 (84); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 41.1.
147 BayVGH NVwZ-RR 2002, 705 (706); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap.
Rdn. 41.1.
148 Vgl. Nachw. oben Fn. 139.
149 NdsOVG NdsVBl 2010, 304 (305); VG Weimar LKV 2000, 464.
150 Dazu Fallbearbeitung (prozessual zum vorläufigen Rechtsschutz) von Unger
JURA 2010, 939 (Examensklausur ÖR).
151 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20 (21); NVwZ-RR 2002, 705 f.;
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Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 41.1. – Unentschieden in dieser Frage
(mangels Entscheidungserheblichkeit) SächsOVG LKV 2010, 83 (84).
Zur Parallelproblematik bei der Straßenumbenennung vgl. oben III. 2. a).
HessVGH NVwZ 1983, 551 (552); Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6)
Rdn. 553; der Sache nach auch VGH BW NVwZ 1992, 196 (198 f.) = VBlBW
1992, 140 (144).
OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122 (123).
Vgl. oben III. 2. b) dd).
HessVGH NVwZ 1983, 551 (552): fehlerhafte Sachverhaltsannahme und
unzureichende Ermessenserwägungen; VG Weimar LKV 2000, 464: unlogische Abfolge der Neunummerierung.
Dieses Recht geht nicht so weit, dass ein Grundstückseigentümer für sich
unbedingt die »Nummer 1« beanspruchen kann; VGH BW NVwZ 1992,
196 (199) = VBlBW 1992, 140 (144); NdsOVG NdsVBl 2010, 304.
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Heruntergeladen am | 22.10.12 23:18