Kabinettausstellung - Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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Kabinettausstellung - Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Forschungsprogramm Europa / Welt
Mathematisch-Physikalischer Salon
Deus ex Machina. Weltbild und Kosmos in
den Planetenuhren der Renaissance
Idee einer Kabinettausstellung
Forschungsprojekt
Wie breitet sich astronomisches Wissen aus, während es durch verschiedene
Sprach- und mathematische Kulturen wandert?
Im 16. Jahrhundert wird das tradierte astronomische Wissen zunehmend kritisiert und
durch zeitgenössische Forschungen neu be-
Das Fortleben der antiken Astronomie im Europa der Frühen Neuzeit wäre ohne
die Vermittlung durch Wissenschaftler aus dem islamisch-arabischen Kulturkreis
nicht denkbar gewesen. Wie zeigt sich der interkulturelle Wissenstransfer in
der Präsenz von bedeutenden astronomischen Objekten (Himmelsglobus,
Astrolabium) aus diesem Kulturkreis schon Mitte des 16. Jhdts. an den Höfen in
Kassel und Dresden?
wertet. So auch in den berühmtesten dreidimensionalen Modellen des Himmels - den
beiden Planetenuhren, die Landgraf Wilhelm
IV. von Hessen-Kassel in den 1560er Jahren
herstellen ließ. Wilhelms eigene Uhr in Kassel
und die seines Schwagers, des Kurfürsten
August, in Dresden zeigen den Lauf der Pla-
Wie und zu welchem Zweck wurden die Planetenuhren Wilhelms und Augusts –
wenn überhaupt – benutzt?
neten nach der spätantiken Theorie des Claudius Ptolemäus. Diese stützte sich auf die Berechnungen babylonischer Kalendermacher
Warum hat der Bau der zweiten Planetenuhr für August fünf Jahre gedauert,
obwohl es eine »Vorlage« in Form Wilhelms eigener Uhr schon gab?
und wurde durch Generationen islamischer
Astronomen verfeinert. Das Forschungsprojekt nimmt die Prozesse des Rezipierens und
Woher kommen die Werte der in diesen beiden Uhren eingebauten Parameter für
die Planetenbewegungen?
Transformierens von astronomischem Wissen ebenso in den Blick wie die Bedeutung
dieser materiellen Wissenssymbole am Hof.
Ausstellungidee
Abb. 1: Eberhard Baldewein, Hans Bucher, Hermann Diepel u.a.:
Planetenuhr (Baldewein-Uhr), Marburg/Kassel, 1563-1568, Silber,
Messing vergoldet, Eisen, Email, Höhe 118 cm, MathematischPhysikalischer Salon*
Abb. 2: Eberhard Baldewein, Hans Bucher, Hermann Diepel u.a.:
Planetenuhr (Wilhelmsuhr), Marburg/Kassel, 1559-1562, Silber
vergoldet, Kupfer, Messing, Eisen, Email, Höhe 90 cm, © Kassel,
Museumslandschaft Hessen Kassel, Astronomisch-Physikalisches
Kabinett
Heutige Museumsbesucher stehen ehrfurchts-
Welche technische Neuerungen waren nötig, um zu beobachtende unregelmäßige
Phänomene am Himmel (z. B. die unterschiedliche astronomische Länge der vier
Jahreszeiten) in die Mechanik der Uhren einzubauen?
voll vor diesen einzigartigen Uhren, können
aber in der Regel nicht begreifen, worum es
sich eigentlich handelt. Bei der Erarbeitung einer geeigneten Vermittlungsstrategie setzt die
nächste Projektphase an. Durch die Entwick-
Thesen der Ausstellungsidee
lung eines erläuternden Animationsfilms, eines mechanischen Modells und einer Schau-
Neue Visualisierungsstrategien zur Vermittlung komplexer kultur- und
insbesondere astronomiegeschichtlicher Inhalte sollen entwickelt und erprobt
werden.
fensterausstellung in Dresden und Kassel soll
eine Basis für die Vermittlung der Planetenuhren, von denen nur vier weltweit erhalten sind,
geschaffen werden. Erst dann lohnt sich der
Versuch, alle vier Automaten (Dresden, Kassel,
Wien, Paris) erstmals in einer großen internationalen Ausstellung zusammenzubringen.
Spiegeln die teils subtilen Konstruktionsänderungen zwischen beiden Uhren die
eigenen astronomischen Beobachtungen Wilhelms und seiner Hofmathematiker
wider?
Abb. 3: Muhammad ibn Mu‘ayyad al-Dîn al-‘Urdî Himmelsglobus (»Arabischer Himmelsglobus«), Ansicht von oben auf die nördliche Himmelshalbkugel
Maragha, Persien, um 1300 Messing, graviert, mit Gold und Silber tauschiert · Ø 14,4 cm, Höhe 30,5 cm Mathematisch-Physikalischer Salon, Inv.-Nr.
E II 1*
Daten und Fakten
International bewahrte Verfahren (»best practices«) in der Vermittlung sollen
dafür zuerst eingesammelt und ausgewertet werden, von Anfang an soll eine
enge Begleitung durch die Abteilung »Bildung und Vermittlung« erfolgen.
Ein Film wird produziert und eine mechanische Erlebnisstation, an der
die Besucher selbst Hand anlegen können, um sich beispielsweise die
komplizierten »Eigenbewegungen« der Planeten spielerisch zu erschließen,
entwickelt.
4...................... solche Planetenuhren weltweit
über 100............................................ Zahnräder
250 kg.......................... wiegt die Dresdner Uhr
Nutzertests werden in den Produktionsablauf des Films und
der Erlebnisstation
eingebaut, eine detaillierte Besucherbefragung erfolgt nach ihrer Fertigstellung
bei ihrem Einsatz in den Schaufensterausstellungen in Dresden und Kassel.
Film und Erlebnisstation werden anschließend modifiziert.
Projektpartner
Bibliothèque Sainte-Geneviève
Museumslandschaft Hessen Kassel/
Astronomisch-Physikalisches Kabinett
Technisches Museum
Abb. 4: Detail der Mechanik der Dresdner Planetenuhr (Bild 1): Trieb und
Schnecke*
Projektleiter
Michael Korey
[email protected]
Mitarbeiter
Lothar Hasselmeyer
Kassel: Michael Beck
Kassel: Karsten Gaulke
Lissabon: Samuel Gessner
* © Mathematisch-Physikalischer Salon ,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Voraussichtliche Laufzeit
2014 bis 2016 »Deus ex machina«1
2016 bis 2017 »Fürstliche Himmelsmaschinen«2
1
2
Das Forschungsprogramm Europa / Welt wird von der
Museum and Research Foundation gefördert.
Förderung durch Kulturstiftung des Bundes
Abb. 5: Detail der Mechanik der Dresdner Planetenuhr (Bild 1): Getriebe
innerhalb des Himmelsglobus, zum Antrieb der gleichmäßigen
Tagesbewegung des Globus und des ungleichmäßigen Jahreslaufs
des Sonnenfigürchens längst der Ekliptik*
Publikationen / Lektüre
Michael Korey, Deus ex machina. Die Planetenuhren des 16. Jahrhunderts und der Wandel des Weltbildes, In: Staatliche Kunstsammlungen
Dresden (Hrsg.): WeltBilder, Dresdner Kunstblätter, 01/2015, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Sandstein Verlag Dresden, 2015, S. 18-29.
James Evans, The History and Practice of Ancient Astronomy, New York/Oxford 1998
Henry King, Geared to the Stars: The Evolution of Planetariums, Orreries, and Astronomical Clocks, Bristol 1978.
Karsten Gaulke
(Bearb.), Der Ptolemäus von Kassel – Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel und die Astronomie, hg. v. der Museumslandschaft
Hessen Kassel, Kassel 2007
J. H. Leopold, Astronomie, Sterne, Geräte. Landgraf Wilhelm IV. und seine sich selbst bewegenden Globen, Luzern 1986 | Klaus Maurice,
Die deutsche Räderuhr. Zur Kunst und Technik des mechanischen
Zeitmessens im deutschen Sprachraum, München 1976, Bd. 1, S. 53–59
Emmanuel
Poulle, Les instruments de la théorie des planètes selon Ptolémée. Équatoires et horlogerie
planetaire du XIIIe au XIVe siècle,
hg. v. Centre des Recherches d‘Histoire et de Philologie, 2 Bde., Genf 1980
Abbildungen Bildleiste: Details: Eberhard Baldewein, Hans Bucher, Hermann Diepel u.a.:
Planetenuhr (Baldewein-Uhr), Marburg/Kassel, 1563-1568, Silber, Messing vergoldet,
Eisen, Email, Höhe 118 cm, Mathematisch-Physikalischer Salon*
Emmanuel Poulle, Helmut Sändig, Joachim Schardin, Lothar Hasselmeyer, Die Planetenlaufuhr. Ein Meisterwerk der Astronomie und Technik der
Renaissance geschaffen von Eberhard Baldewein 1563 – 1568, Stuttgart 2008.