DU Magazine

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Sonderedition / Special Edition
Hannes Schmid – Real Stories
Ausstellung Hannes Schmid «Real Stories»
Gratis für Raiffeisen-Mitglieder
Vom 13. März bis 21. Juli 2013 einfach Ihre
Your Family Office
Das Gespür für den Rhythmus der Menschen
Out Of Curiosity And Thirst For Adventure
Raiffeisen Maestro- oder Kreditkarte an der
Kasse des Kunstmuseums Bern vorweisen und
Text OLIV E R P R A N G E
profitieren. Weitere Informationen zur Ausstellung und den ebenfalls kostenlosen Führungen
finden Sie unter: raiffeisen.ch/schmid
Mit 23 Jahren brach Hannes Schmid seine Zelte in der Schweiz ab, um
als junger Mann in Südafrika sein Glück zu suchen. In Kapstadt entdeckte er seine Leidenschaft für die Fotografie. Hier lernte er sein
Handwerk als Fotograf, und von hier begann seine Laufbahn als einer
der grossen Bild-Erzähler unserer Zeit.
Von Neugier angetrieben, reiste Hannes Schmid durch Afrika
und Asien und folgte den Spuren des Anthropologen und IndustrieErben Michael Rockefeller in die Highlands von Papua-Neuguinea. Er
lebte mehrere Monate mit den Kannibalen-Stämmen der Danis und
der Lanis zusammen. Hannes Schmid assimilierte sich im Urwald
mit den Steinzeitmenschen und ihren Lebensgewohnheiten, wurde
Teil ihrer Gesellschaft. Diese für ihn typische Vorgehensweise ermöglichte es ihm, unter die Oberfläche des Anscheinenden zu gelangen
und einzigartige Bilder zu realisieren, die bereits zu dieser Zeit seine
untrügliche Bildästhetik durchdringen liessen.
In ähnlich intensiver und kompromissloser Art ging Hannes
Schmid in den Siebzigerjahren vor, als er während rund acht Jahren
mit 258 Rockbands, darunter Kultgrössen wie Pink Floyd, Genesis,
AC/DC, ABBA oder Queen, unterwegs war. Er war Teil der Band-Familien
geworden. Stilprägend für ihn waren seit den frühen Neunzigerjahren
auch die innovativen Modestrecken. Er liess seine Models zum Beispiel die Eigernordwand hinauf- und herunterklettern, fotografierte
inmitten einer riesigen Elefantenherde oder versenkte den millionenteuren Formel-1-Boliden von Jacques Villeneuve im Swimmingpool
der futuristischen Villa von Pierre Cardin.
Berühmtheit erlangte Hannes Schmid mit seinen bildgewaltigen Cowboys, die er zwischen 1993 und 2003 mit unverkennbarer
eigener Handschrift für die weltweiten Marlboro-Kampagnen in
Szene setzte. Wie so oft in seinem Leben brachte ihn ein Zufall auch
zur Malerei. Der amerikanische Konzeptkünstler Richard Prince
hatte Schmids Cowboy-Bilder aus Magazinen abfotografiert und
zelebrierte sie vor den Augen der Welt als seine eigenen. Ein Augenöffner für Schmid, der sich im ersten Moment von Prince bestohlen
fühlte. Seine Reaktion darauf: Hannes Schmid brachte sich autodidaktisch das Malen bei und begann seine Cowboy-Fotos detailgetreu in Öl auf Leinwand abzumalen, sie zu reapproprieren, wie er
sagt. Das Foto wurde zum gemalten Unikat «hierarchisiert».
Das Kunstmuseum Bern zeigt vom 13. März bis 21. Juli 2013 eine
gross angelegte Übersichtsausstellung. Die von Christiane Kuhlmann
und Kunstmuseums Direktor Matthias Frehner kuratierte Ausstellung
zeigt anhand von vier konzeptuellen Grundpfeilern das breit gefächerte Werk von Hannes Schmid: Visions, Movements, Dialogs, Rituals.
Parallel dazu werden am Flughafen Zürich vom 13. März bis 24. April
Bilder und grossflächige Installationen von Schmid zu sehen sein.
Hannes Schmid ist seit Beginn seiner fotografischen Laufbahn
ein weltoffen denkender und handelnder Mensch und Künstler, der
immer aus emotionaler Betroffenheit und auch Anteilnahme agiert.
Diese Du-Sonderausgabe führt aus Anlass der Ausstellungen in sein
Wirken und Schaffen ein.
At the age of 23 Hannes Schmid packed his bags and left Switzerland to
seek his fortune as a young man in South Africa. In Cape Town he discovered his passion for photography. Here he learned the photographer’s
craft and here he began his career as one of the major photojournalists of
our time.
Driven by curiosity, Hannes Schmid travelled through Africa and
Asia, following in the tracks of the anthropologist and industrial heir
Michael Rockefeller to the highlands of Papua New Guinea. For several
months he lived together with the Dani and the Lani cannibal tribes. In the
jungle Hannes Schmid was assimilated by the stone-age people and their
habits, becoming part of their society. This approach, which is typical for
him, allowed him to delve beneath the surface and to achieve unique
pictures, which at this time were already pervaded by his unmistakable
visual aesthetic.
Hannes Schmid proceeded in a similarly intensive and uncompromising manner in the seventis, when he spent about eight years on the
road with 258 rock bands, including cult greats like Pink Floyd, Genesis,
AC/DC, ABBA and Queen. He had become a part of the band families. The
innovative fashion photos in the early nineties also had a formative effect
on his style. For example, he had his models climb up and down the Eiger
north face, took pictures in the midst of a huge elephant herd or sank
Jacques Villeneuve’s million-dollar Formula 1 race car in the swimming
pool of Pierre Cardin’s futuristic villa.
Hannes Schmid became famous through his own unique and spectacular mise-en-scène of the cowboy for the worldwide Marlboro campaigns from 1993 to 2003. As so often in his life, it was also a coincidence
that gave him his start in painting. The American conceptual artist Richard
Prince had photographed Schmid’s cowboy pictures from magazines and
presented them to the world as his own. An eye-opener for Schmid, who
at first felt he had been robbed by Prince. His reaction: Hannes Schmid
taught himself to paint and started to reproduce his cowboy photos down
to the last detail in oil on canvas, to reappropriate them, as he says. The
photo was “hierarchised” into a unique painting.
From 13 March to 21 July 2013 the Museum of Fine Arts Bern will
show a large-scale overview exhibition. Under the curatorship of Christiane
Kuhlmann and the art museum’s director Matthias Frehner, the exhibition
shows the wide-ranging work of Hannes Schmid based on four basic
conceptual pillars: Visions, Movements, Dialogs, Rituals. Parallel to that
exhibit, large-area installations by Schmid can be seen at Zurich Airport
from 13 March to 24 April.
Since the beginning of his career in photography Hannes Schmid
has been cosmopolitan in his views and actions as a human being and
artist, always motivated by concern and also by empathy. On the occasion
of the upcoming exhibits, this special issue of Du gives an introduction to
his life and work.
Belvédère Asset
Management AG
Hannes Schmid
Way Kambas National Park, Sumatra, Indonesien
Digital C-Print, 120 x 150 cm, 1999 / 2012
[email protected]
www.belvedere-am.com
Wir machen den Weg frei
Waldmannstrasse 10
CH-8001 Zürich
+41 (0)43 244 77 77
Cover: Detail; Bob Geldof, Boomtown
Rats, 1979/2012,
Inkjet-Print, 150 225 cm.
Du-Sonderedition / Special Edition
←
Suzi Quatro,
Year unknown / 2012, Inkjet-Print,
150 100 cm.
↓
Cowboy #197,
2001/2012, Digital C-Print,
110 165 cm.
Wir lassen Sie nicht
hängen, wenn mal
was schie!"#äuft.
Ihre Real Stories sind bei uns in besten Händen.
Zurich unterstützt die Ausstellung «Real Stories» von Hannes Schmid
im Kunstmuseum Bern und am Flughafen Zürich, weil uns das wahre
Leben interessiert.
www.zurich.ch
Matthias Frehner
6
Hannes Schmid
8
«Ich werde mein Leben lang im Transit bleiben»
Interview Hannes Schmid
“I will remain in transit all my life”
Rainer Egloff
20
Rock Stars
38
Iconic Figure
52
For Gods Only
Elisabeth Bronfen
Gail Buckland
Benno Schubiger
62
Binding Sélection d’Artistes:
Ein privates Förderinstrument jubiliert
Binding Sélection d’Artistes: Private Subsidy
Program Celebrates Anniversary
3
66
Editorial
Impressum
Hannes Schmid, Cowboy # 51, 2010, Öl auf Leinwand, 120 x 180 cm
Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
Du-Sonderedition / Special Edition
→
David Lee Roth, Van Halen,
1980, Inkjet-Print.
Hannes Schmid
Text MATT HIAS FRE HN E R
Hannes Schmid ist als Fotograf Autodidakt. Er hat es jedoch in diesem
Bildmedium als Werbefotograf, Kampagnenfotograf, Modefotograf
und Reportagefotograf sehr rasch zu stupender Meisterschaft und zu
Erfolg gebracht. Einige Bildinkunabeln der jüngeren Fotogeschichte,
allen voran der Marlboro Man, sind aus seiner Hand. Noch vor
wenigen Jahren hat sich Schmid allein innerhalb seiner Projekte
bewegt und sich nur so lange für sie interessiert, wie er mit ihrer
Realisierung beschäftigt war. Eine seiner zentralen Strategien hat
dabei darin bestanden, sich bei seinen Recherchen ganz in einen Ort,
eine Szene, eine gesellschaftliche Gruppierung hineinzubegeben,
um nicht als Aussenstehender oder Eindringling empfunden zu
werden. Aus dieser Chamäleonperspektive sind ihm unter anderem
einzigartige Aufnahmen aus den innersten Kreisen der Rockstars der
Siebziger- und Achtzigerjahre gelungen. Schmid ist dabei das absolute
Gegenteil eines Paparazzo. Er fotografiert Menschen, als hätte er eine
Tarnkappe an, seien es die Mennoniten in Belize, die harten Jungs
und Bad Girls der Harley-Treffen in Daytona Beach oder die Ureinwohner im Dschungel West-Papuas. Seine Bilder sind in Intensität
und Wahrheit mit denjenigen Nan Goldins vergleichbar. Wo er sich
zum Teil der Szene machen konnte, war er «zur rechten Zeit an der
richtigen Stelle». Wo dies nicht möglich war, entwickelte er konträre
Vorgehensweisen und machte sich zum Regisseur, der seine Vision
von Wirklichkeit kurzerhand selbst inszenierte, um sie ohne alle
Kompromisse fotografieren zu können. Dazu hat er oft spektakulären
Aufwand betrieben, wie seine Ikonen von Models auf Elefantenrücken und Himalaja-Gletschern oder die Cowboys beim spektakulären Lassoschwung vor grandiosen Sonnenuntergängen in New
Mexico beweisen. Das Finden des authentischen Bildes sowie die Erfindung der visionären Wirklichkeit im inszenierten Bild sind Hauptpunkte von Schmids Credo als Fotograf. Dass diese polaren Strategien
Bilder mit einer Handschrift erzeugen, ist das Verblüffende in seinem
immensen Gesamtwerk. Seine aussergewöhnliche Sensibilität für
Lichtstimmungen ist der Schlüssel zur künstlerischen Einheit des
Werkes und zugleich auch die Voraussetzung für den Sprung von
der Fotografie zur Malerei. Die fotorealistische Malerei, die sich
Schmid ebenfalls autodidaktisch angeeignet hat und die er heute
technisch virtuos beherrscht, ist ihm das Medium, um sich seiner
Vision von Wirklichkeit über die Inszenierung noch weiter annähern
zu können.
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Hannes Schmid is a self-taught photographer. Yet he is a consummate
master of the medium, who has carved out a meteoric career as an advertising photographer, campaign photographer, fashion photographer, and
photojournalist. Some of the most iconic images of recent photographic
history, most notably the Marlboro Man, were created by him. Just a few
years ago, Schmid operated alone, interested only in projects in which he
was totally immersed. One of his key strategies was to integrate himself
into a place, a scene, or a social group so fully that he would not be perceived as an outsider. This chameleon-like approach allowed him to capture unique insights into the inner world of seventies and eighties rock
stars. Schmid himself is the very antithesis of a paparazzo. He photographs people as though he were camouflaged — from Mennonites in Belize,
to tough guys and bad girls at a Harley bikers’ rally in Daytona Beach, to
the indigenous peoples of the West Papuan jungle. His photographs have
an intensity and truth redolent of Nan Goldin. Wherever Schmid was able
to blend into a group, it was a case of being “at the right place at the right
time”. Wherever that did not happen, he adopted a different tack and
became a director, staging his own vision of reality in order to photograph
it uncompromisingly. In doing so, he has often gone to remarkable lengths,
as witnessed by his iconic images of models on elephants, of Himalayan
glaciers, or of lasso-toting cowboys silhouetted against the magnificent
sunsets of New Mexico. The quest for visual authenticity coupled with the
invention of visionary reality in staged images are central aspects of
Schmid’s photographic creed. In an oeuvre so vast, it is astonishing that such
diametrically opposed strategies have resulted in a body of photographic
work that bears such a uniquely distinctive signature. His extraordinary
sensibility for atmospheric lighting is the key to the artistic homogeneity
of his work and at the same time the basis for his leap from photography
to painting. The photorealist style that Schmid has adopted as a painter —
again, self-taught, to a high degree of technical perfection — is a medium
that allows him to come even closer to his vision of reality by engaging
artifice.
Matthias Frehner ist seit 2002 Direktor des Kunstmuseums Bern. Davor
war er als Konservator der Sammlung
Oskar Reinhart «Am Römerholz» in
Winterthur, als Sekretär der Gottfried
Keller-Stiftung sowie als Kunstredaktor der Neuen Zürcher Zeitung tätig.
Matthias Frehner has been director
of the Kunstmuseum Bern since 2002.
Previously he worked as the curator of
the Oscar Reinhart Collection “Am Römerholz” in Winterthur, as secretary of
the Gottfried Keller Foundation and as
art editor at the Neue Zürcher Zeitung.
Du-Sonderedition / Special Edition
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Hannes Schmid beim Aufbau
seiner Ausstellung Never Look Back
in der Fotostiftung Schweiz in
Winterthur, 2010.
Hannes Schmid during the
installation of his exhibition Never
Look Back at the Fotostiftung
Schweiz in Winterthur, 2010.
(Keystone / Gaëtan Bally)
«Ich werde mein Leben lang
im Transit bleiben»
“I will remain in transit all my life”
H A N N E S SC HMID
Interview OL I V ER PR A NGE
Herr Schmid, als Fotograf machen Sie sich gerne unsichtbar, damit Sie
sich wie in einem familiären Umfeld bewegen können. Wie macht man
sich unsichtbar?
Unsichtbar wird man nur, wenn man Mitglied der Familie wird.
Wer von aussen in eine Familie kommt, muss zuerst abwaschen, die
Wäsche bügeln, den Boden aufnehmen. Irgendwann gehört man
dazu. Dann kann man den Fotoapparat auspacken, ohne dass alle auf
den Tisch springen und sich anders benehmen als sonst.
Und wann kommt die Kamera ins Spiel?
Die Rockgruppe AC/DC ist ein gutes Beispiel. Mit der fuhr ich die
ersten zehn Tage im Bus mit, ohne zu fotografieren. Dann fragte
mich Leadgitarrist Angus Young: «Du bist ein netter Kerl, aber was
machst du hier eigentlich?» Ich sagte, ich sei sein Fotograf, fand es
aber bisher nicht so interessant. Von da an sagte er mir, wann ich
Bilder machen sollte. Auch bei meiner Arbeit über die chinesische
Oper dauerte es fast vier Jahre, bis ich das erste Foto machte. Das ist
vielleicht ein Unterschied zu anderen Fotografen. Ich muss die Situation leben, bevor ich sie abbilden kann. Für mich war das Bild nie
so wichtig, vielmehr der Weg zum Bild. Darum nehme ich mir die
Zeit; je mehr, desto schöner.
Manchmal ergibt sich das Bild aus der Situation. Schade, wenn die Kamera
nicht dabei ist.
Das mag sein. Bei den Rock-’n’-Roll-Bildern waren die magischen
Momente immer jene, bevor die Band auf die Bühne trat. Da war ich
mit ihnen allein. Ich war der Einzige, der Zutritt hatte. Die Musiker
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As a photographer you like to make yourself invisible, so you can move about
as if in familiar territory. How do you make yourself invisible?
The only way to become invisible is to become a member of the family.
When you come into a family as an outsider, you first have to do the
dishes, iron the laundry, clean up the floor. Eventually you belong. Then
you can take out the camera, without everybody jumping on the table and
behaving differently than usual.
Are you always without a camera at the beginning?
The rock group AC/DC is a good example. For the first ten days I rode in
the bus with them without taking any pictures. Then the lead guitarist
Angus Young said to me: You’re a nice guy, but what are you actually
doing here?
I said I was a photographer, but it wasn’t very interesting so far.
From then on he told me when I should take pictures. My work on the
Chinese opera went on almost four years before I took the first picture.
That might be one thing that makes me different from other photographers. I have to live the situation before I can portray it.
Is that noticeable in the pictures?
For me the picture itself was never so important; the way to the picture
is what counts. That’s why I take my time, the more, the better.
Sometimes the picture arises out of the situation. It’s a pity not to have a
camera then.
That may be. With the rock’n’roll bands the magical moments were always
just before the band went out on stage. Then I was alone with them. I was
Interview Hannes Schmid | Du-Sonderedition / Special Edition
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Spring,
1998/2012, Digital Print.
→
Nomads,
2000/2012, Digital C-Print,
75 120 cm.
standen meist an einer Wand, bevor sie auf die Bühne gingen. Ich
musste nur noch abdrücken.
the only one admitted. The musicians usually stood by a wall before they
went onto the stage. I only had to press the shutter release.
Wie haben Sie Ihre besondere Strategie beim Fotografieren entwickelt?
Ich bin Autodidakt, aufgewachsen im Toggenburg, wanderte aus,
entdeckte meine Liebe zur Fotografie und zur Kunst. So fing mein
Weg an: nur mit Neugier. Ich wollte hinter die Dinge schauen. Vieles
geschah unbewusst, instinktiv. Nach ein paar Jahren merkte ich,
dass ich die Dinge immer gleich anging. So fand ich das Fundament
für meine Arbeit.
Did this way of approaching the object develop over the course of time or was
that your method from the start?
I am self-taught, grew up in Toggenburg, emigrated and discovered my
love of photography and art. That’s how I got started: only with curiosity.
I wanted to look behind things. Many things happened unconsciously,
instinctively. After a few years I noticed that I always approached things
in the same way. That’s how I found the basis for my work.
Sie fingen im Urwald an?
Ich reiste vier Jahre durch Afrika und Asien. Der Aufenthalt bei den
Dani und den Lani, den indigenen Völkern auf Neuguinea, prägte
mich sehr. Ich lebte Monate mit ihnen und musste sehr sparsam mit
dem Fotomaterial umgehen, weil ich nicht genug dabeihatte. Und
ich ging davon aus, dass ich die Fotos vielleicht gar nie sehen würde,
weil die Situation sehr unsicher war.
You started in the jungle?
I travelled through Africa and Asia for four years. Living with the Danis and
Lanis, the indigenous peoples of New Guinea, had a formative influence
on me. I lived with them for months and had to use my photo material very
sparingly, since I didn’t have enough with me. And I assumed that I might
never see the pictures, since the situation was very precarious.
Sieht man diese prekären Umstände den Bildern an?
Vielleicht spürt man es. Im Bild spiegelt sich ja auch der Fotograf,
weil man die eigene Art ständig einbringt.
Ist das von Vorteil oder von Nachteil?
Ich liess mich nie in ein Schema pressen, sondern war stets unberechenbar. Das machte mich in der Werbung schwer einschätzbar, aber
auch interessant. So kam es zum Marlboro-Cowboy. Man suchte eine
neue Bildsprache und ging das Risiko mit mir ein.
Was hat Sie für solch eine Aufgabe qualifiziert?
Meine Modebilder damals, 1984, fielen aus dem Rahmen. Wintermode
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Is that obvious in the pictures?
Maybe it can be sensed. The picture is also a reflection of the photographer, because his individual style is always present.
Is that an advantage or disadvantage?
I never let myself be squeezed into a category, I was always unpredictable.
In advertising, that made me hard to judge, but also interesting. That
is how the Marlboro cowboy came about. They were looking for a new
imagery and took a risk with me.
What qualified you for such a job?
My fashion pictures back then, in 1984, were very different. I photographed winter fashion in the Eiger north face. For Kenzo I took pictures
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Rubriktitel | Du 833
Rubriktitel | Du 833
←← Bike Week, Daytona, Florida,
1995/2012, Digital Print,
40 60 cm.
←
Bike Week, Daytona, Florida,
1995/2012, Digital Print,
60 40 cm.
↗
Bike Week, Daytona, Florida,
1995/2012, Digital Print,
40 60 cm.
→
Bike Week, Daytona, Florida,
1995/2012, Digital Print,
40 60 cm.
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Interview Hannes Schmid | Du-Sonderedition / Special Edition
←
Bonneville Salt Flats, Utah,
2006.
→
fotografierte ich in der Eigernordwand. Für Kenzo fotografierte ich
in einem Hurrikan auf Jamaika. Ich fotografierte Mode im Regen
oder bei zwanzig Grad unter null, da musste ich die Kamera mit
Spezialöl behandeln, weil sie sonst zu langsam geworden wäre.
Wie gingen Sie die Cowboys an?
Den Cowboy hatte die US-amerikanische Werbeagentur Leo Burnett
im Jahr 1956 für Marlboro erfunden. Das war eine Kunstfigur, weil
es solche Cowboys nicht gab. Die echten Cowboys waren staubige
Hispanics mit ungepflegten Pferden. Auch Hollywood entdeckte
diese Figur als Helden. Als ich 1993 dazustiess, suchte man eine
frischere Bildsprache. Man kam auf mich, weil ich bereits den CamelMann inszeniert hatte, offenbar so real, dass man ihm die Inszenierung nicht anmerkte.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Jedes Bild wurde skizziert, besprochen und genau geplant, da wir
zeitweise 120 Mitarbeiter auf dem Set hatten. Es ging um sehr viel
Geld. Es war wie in Hollywood. Wir suchten die Location, recherchierten, wie das Tageslicht zum Zeitpunkt der Aufnahmen einfallen
würde, holten Genehmigungen ein und vieles mehr. Aber ein Cowboy
macht gar nicht so viel Verschiedenes, und alles war schon mal
dargestellt. Also konzentrierte ich mich auf Gesten und auf die
Atm0sphäre. Die Fotografen wurden ständig ausgewechselt. Ich durfte den Marlboro-Cowboy neben anderen Fotografen zehn Jahre lang
mitprägen, zwischen 1993 und 2003. Zweimal im Jahr gab es eine
Ausstellung, an der die Länderorganisationen ihre Bilder einkauften.
Man musste mindestens ein Bild haben, das 22-mal genommen
wurde – das nannte man Silver Bullet. Wenn man über zwei oder drei
Shootings kein Silver Bullet hatte, flog man raus. Ich setzte drei
Shootings in den Sand, weil ich andere Wege gehen wollte, aber man
sah es mir nach, schliesslich hatte man mich als Erneuerer geholt.
2003 entdeckten Sie Ihren Cowboy an einer Kunstausstellung. Der Künstler
Richard Prince fotografierte Ihre Bilder aus Zeitschriften ab, vergrösserte
sie und liess den Marlboro-Schriftzug weg.
Ich entdeckte meine Bilder an der Biennale in Venedig – und war
bestürzt! Ich nahm an einer Führung des MoMA-Kurators teil und
musste mit anhören, wie er über das Heroische und Dramatische
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Cowboy #413,
2001.
in a hurricane on Jamaica. I photographed fashion in the rain or at twenty
degrees below zero — I had to treat the camera with special oil, since
otherwise it would have been too slow.
What was your approach to the cowboys?
The cowboy was invented for Marlboro in 1956 by the US advertising
agency Leo Burnett. That was a fictional figure, because there were no
such cowboys. The real cowboys were dusty Hispanics with shabby horses.
This figure also became a Hollywood hero. When I came along in 1993
there was a need for a fresher imagery. The reason why they asked me
was my experience with the mise en scène of the Camel man, which was
obviously bigger than life.
What was your approach?
Every picture was sketched, discussed and planned down to the last
detail, since we had as many as 120 employees on the set. There was a lot
of money involved. It was like Hollywood. We searched for a location,
researched the incident daylight at the time of day when the pictures
would be taken, obtained permits and much more. But a cowboy doesn’t
do so many different things, and the portrayal was cut and dried. So I
concentrated on gestures and the atmosphere. The photographers were
switched constantly. I was one of the photographers who helped shape the
image of the Marlboro cowboy for ten years, from 1993 to 2003. Twice a
year there was an exhibition, at which the national organisations
purchased their pictures. You had to have at least one picture that was
used 22 times — that was called a silver bullet. If you didn’t get a silver
bullet over a period of two or three shootings, you were out. I blew three
shootings because I wanted to go new ways, but in the end it didn’t
matter — I was considered an innovator.
In 2003 you discovered your cowboy at an art exhibit. The artist Richard
Prince photographed your pictures from magazines, enlarged them and left
out the Marlboro logo.
I discovered my pictures at the Biennial Festival in Venice — and I was
appalled! I took a tour and had to listen how the MoMA curator praised
the heroism and drama of a photo that was originally mine. What he said
was wrong, because I had taken the pictures in another context. I was annoyed by the fact that somebody was stealing my pictures, but I was also
fascinated that a work with a commercial background was declared art.
eines Bildes sprach, das ursprünglich von mir stammte. Was er sagte,
war falsch, denn ich hatte die Bilder in einem anderen Kontext
gemacht. Mich ärgerte einfach, dass einer meine Bilder klaute, aber
es faszinierte mich auch, dass eine Arbeit mit kommerziellem
Hintergrund zur Kunst erklärt wurde.
Sie wären selbst nie auf die Idee gekommen?
Nein, die Bilder lägen noch heute in der Kartonschachtel.
Also fingen Sie an zu malen.
Ich fing vor zehn Jahren damit an. Es war ein steiniger Weg. Nach
vier Jahren merkte ich, dass ein Ölbild eine dritte Dimension hat,
wohl deshalb, weil ich es zwanzigmal übermale. 2008 sprach ich in
New York in der Gagosian Gallery vor, die aber nichts machen konnte,
da sie Prince vertrat. Der Kurator schickte mich dann zu einer anderen
Galerie, die eine Ausstellung organisierte. Das änderte alles.
Haben Sie mit Richard Prince Kontakt aufgenommen?
Ich versuchte es, wollte ihm gar ein Bild verkaufen, damit er mal ein
Original hat (lacht).
You never would have had the idea yourself?
No, the pictures would still be in a cardboard box today.
So you started painting.
I started ten years ago. It was a path of trial and tribulations. After four
years I noticed that an oil painting has a third dimension, probably
because I painted over it twenty times. In 2008 I called at the Gagosian
Gallery in New York, and they couldn’t do anything, since they represented Prince. The curator sent me to another gallery, which organised an
exhibition. That changed everything.
Did you contact Prince?
I tried, and even wanted to sell him a picture, so he would have an original
(laughs).
But the encounter with art sent you on a new journey?
Without Prince my photos would have remained in boxes: the cowboys, the
rock stars, the opera scenes, everything.
Aber die Begegnung mit der Kunst hat Sie auf eine neue Reise gebracht?
Ohne Prince wären meine Fotos in Schachteln geblieben: die Cowboys,
die Rockstars, die Opernszenen, alles.
What did you live on all those years?
I earned a lot of money in advertising. But I was never interested in chic.
Instead, I always pursued my own projects and preferred to be on the
road, in South America, Africa and Asia. I worked on the Chinese opera
for thirteen years and became part of it.
Wovon haben Sie all die Jahre gelebt?
In der Werbung verdiente ich viel Geld. Aber das Mondäne interessierte mich nie, sondern ich verfolgte stets eigene Projekte und war
How did that come about?
I discovered the Chinese ritual opera in 1998 in Singapore and was immediately fascinated. A wooden stage, with more than two hundred empty
Interview Hannes Schmid | Du-Sonderedition / Special Edition
↑
For Gods Only, 2005/2012, Videoinstallation.
lieber auf Achse, in Südamerika, Afrika und Asien. An der ChinaOper arbeitete ich dreizehn Jahre und wurde Teil davon.
Wie kamen Sie dazu?
Ich entdeckte die chinesisch-rituelle Oper 1998 in Singapur und war
sofort fasziniert. Eine zusammengezimmerte Bühne, davor mehr als
zweihundert leere rote Stühle. Kein Mensch weit und breit, eigenartige Klänge. Die Aufführungen waren nur für chinesische Götter
und Geister. So wurde mir das Fotografieren zuerst verwehrt, erst
nach vier Jahren, als sich die Götter und Schauspieler an meine Anwesenheit gewöhnt hatten, durfte ich mit grösstem Respekt und
dem nötigen Abstand Bilder machen.
In diese Zeit fällt auch die Arbeit mit Kindern, die in Kambodscha auf
einer Müllhalde leben.
Mit meiner Stiftung unterstützen wir derzeit einige Familien mit
Essensrationen. Der Deal ist, dass sie dadurch ihre Kinder in die
Schule schicken können. Wir fingen mit drei Familien an. Die Kommune wurde immer grösser. Wenn ich zum Beispiel eine Woche bei
der Familie Keo verbringe, merke ich, dass es durchs Dach regnet.
Also kaufe ich ein neues Dach. Und dann kommt ein Haus nach dem
andern dran. Dann braucht es Toiletten und eine Gemeinschaftsdusche. Es folgt die medizinische Versorgung. Viele dieser Kinder
sind krank wegen giftiger Dämpfe, aber auch wegen Tuberkulose,
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red chairs in front. Not a soul in sight, strange sounds. The performances
were only for Chinese gods and spirits. At first, I was forbidden to photograph. Only after four years, when the gods and the actors had gotten
used to my presence, was I allowed to take pictures, with the greatest
respect and from a sufficient distance.
Malaria. Es gibt Augenleiden und deformierte Kinder und eins, das
mit siebzehn eine neue Hüfte brauchte. In Kambodscha wird häufig
Säure angewendet, damit Kinder beim Betteln mehr reinholen. Solche Dinge erlebt man, wenn man mit ihnen wohnt. Von Februar bis
März dieses Jahres findet eine Ausstellung dieser Bilder in Brüssel
beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) statt
zum Thema Cultural Freedom in Europe.
During this time you also worked with children in Cambodia who lived on a
rubbish heap?
With the help of a foundation we are currently supporting several families
with food rations. The deal is that they can send their children to school.
We started with three families. The commune grew and grew. When
I spend a week with the Keo family, I notice that the roof leaks when it
rains. So I buy a new roof. And so it goes with one house after the other.
Then it needs toilets and a communal shower. And then there is medical
care. Many of these children suffer as a result of toxic vapours, and also
tuberculosis or malaria. There are eye disorders and deformed children
and one that needed a new hip at the age of 17. In Cambodia people often
use acid on children so they get more money when they beg. You experience such things when you live with them.
Und was bedeutet Ihnen die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Bern
unter dem Titel «Real Stories»?
Es ist grossartig, dass ich in einem Kunstmuseum ausstellen darf. Das
ehrt mich. Die Ausstellung widerspiegelt einen Teil meiner Arbeit.
Den Besucher erwartet eine interessante Bildwelt. Es sind Bilder, die
den Betrachter berühren und mit denen er sich identifizieren kann. Es
ist auch ein Erlebnis, wenn man die ganze Arbeit zusammengeführt
sieht. Gleichzeitig stelle ich auch im Flughafen Zürich aus. Das passt
gut. Wir Menschen leben in einer ständigen Transitsituation. Wir
bauen auf unseren Wurzeln auf und gehen immer irgendwohin.
Did you document this work in photographs?
Yes. From February to March there will be an exhibition with these pictures in Brussels at the European Economic and Social Committee (EESC)
on the subject of Cultural Freedom in Europe.
Wo möchten Sie hin?
Ich werde mein Leben lang im Transit bleiben. Immer wieder gibt
es neue Projekte, an denen ich bis zu acht Jahre arbeite. Nach Bern
geht es weiter nach Peking ins Museum für zeitgenössische Kunst.
What does the exhibition in the Museum of Fine Arts Berne with the title “Real
Stories” mean to you?
It is sensational that I am allowed to exhibit in an art museum. That is an
honor for me. The exhibition reflects a part of my work. An interesting
world of images awaits the visitor. The viewer will be touched by these
pictures and can identify with them. It is also an experience to see all the
work brought together. At the same time I will be exhibiting at Zurich
Airport. That fits. We human beings live in a constant transit situation. We
build on our roots and are always going somewhere.
Where would you like to go?
I will remain in transit all my life. There are always new projects, which I
work on for up to eight years. After Berne I’ll be moving on to the Museum of Contemporary Art in Peking.
Hannes Schmid ist 1946 in Zürich
geboren und im Toggenburg aufgewachsen. Er absolvierte eine Lehre
als Elektro- und Lichttechniker
und studierte ab 1970 Fotografie
an der Ruth Prowse School of Art
in Kapstadt, Südafrika.
Hannes Schmid was born in Zurich
in 1946 and grew up in Toggenburg.
He completed an apprenticeship
as an electrical and lighting engineer,
and from 1970 studied photography
at the Ruth Prowse School of Art in
Cape Town, South Africa.
Rubriktitel | Du 833
Rock Stars
Text R A I NER EGLO FF
↑
John Lees, Barclay James Harvest,
Year unknown, Inkjet-Print.
20 | 21
Angus Young schwitzt. Er hat sich seines Schuluniformoberteils entledigt und steht, über seine Gitarre gebeugt, in kurzen Hosen auf der
Bühne, spielt und schwitzt. Sogar die Gitarre scheint zu schwitzen.
Hannes Schmids Nahaufnahme hat den AC/DC-Leadgitarristen im
Scheinwerferlicht isoliert, die geschundenen Knie in den Vordergrund gerückt. An Kleidung bleiben dem Musiker neben den blauen
Shorts nur noch bläuliche Sportsocken und Turnschuhe. Das Gesicht
ist, kaum erkenntlich, auf die Schmolllippe reduziert, der ganze Körper
in die Bildecke gedrückt, angeschnitten. Doch dieser schwitzende
Troll vor schwarzem Grund ist nicht nur eindeutig Angus, er ist –
Teufel und Engel, halb Witz, halb Ernst – der vollendete Angus.
In den Blackstage-Serien hat Schmid die Bühnenpräsenz von
Pop- und Rockmusikstars ins Licht gesetzt. In präzisen Momentaufnahmen schält er die ikonische Qualität der einzelnen Bühnenfigur
Angus Young is sweating. He has taken off the top of his school uniform.
Wearing only shorts, he is standing on the stage, bent over his guitar,
playing and sweating. Hannes Schmid’s close-up has isolated AC/DC’s
lead guitar in the spotlight, foregrounding his scraped knees. His face,
rolled up into pouting lips, can barely be distinguished; his body is
squished into the corner of the picture, cropped. But this sweating troll
against a black ground is not only obviously Angus; he is Angus incarnate —
devil and angel, half joke, half serious.
Schmid’s Blackstage series highlight the stage presence of the stars
of pop and rock music, capturing instantaneous moments with a precision
that epitomizes the iconic quality of each single figure on stage. He isolates his subjects from their surroundings — from the situation on stage
and from the other members of the band. These sculptural studies make
an impact even without the music. The exaggerated visualization distils
Rainer Egloff – Rock Stars | Du-Sonderedition / Special Edition
heraus. Er löst die Porträtierten vom situativen Kontext – von der
Bühnenumgebung wie von den Bandmitgliedern. Diese skulpturalen Studien funktionieren auch ohne ihren eigentlichen Anlass, die
Musik. Die forcierte Visualisierung vermag das Rollenspiel der Stars
zu verdichten, objektiviert es sozusagen. Objektivität ist allerdings
kein Anspruch, den diese Fotografie erhebt. Sie möchte auch keine
Reportage sein. Schmid denkt in eigenen, subjektiven Bildern und
Geschichten, folgt inneren Visionen, die er mit der Kamera einfangen, materialisieren will. Dazu beobachtet er seine Bildobjekte
genau, analysiert deren Verhalten und Funktionsweise und setzt
schliesslich seine Vertrautheit mit dem Objekt ein, um dieses aus
seiner Perspektive zu beleuchten. Er kondensiert Erscheinungen,
blendet aus, verschiebt Wahrnehmungen, verfremdet. Schmid ergründet die Inszenierung der Pop- und Rockgrössen als götterähnliche Lichtgestalten, ihre charismatische Wirkung, ihren Habitus und
ihre Techniken. Wir brauchen das Gesicht von Angus nicht genau zu
sehen, noch weniger jenes von Freddie Mercury, den uns Schmid
gänzlich von hinten zeigt. Der Queen-Sänger ist genauso körperlich
wie der AC/DC-Gitarrist, aber von anderer Art. Bei ihm gibt es keine
Frotteesocken. Sein Oberkörper ist zwar auch nackt, kommt aber aus
langen, lederartig schwarzen und eng geschnittenen Hosen, die von
roten Hosenträgern gehalten werden. Dieser Körper ist noch trainierter, doch Schweiss ist hier nicht zu sehen, die halblange Mähne
gut frisiert. Freddies Sexualität ist aufdringlicher, doch geschlechtlich weniger eindeutig. Und Freddie nutzt die Bewegungsfreiheit
seiner Arme. Ist Angus beim Spielen mit beiden Händen stets eng an
seine Gitarre gefesselt, kann Sänger Freddie sein Mikrofon beliebig
halten und als Schauobjekt einsetzen. Hier hält er es sich mit einer
Hand direkt vor den Mund, während er das Kabel mit unübertroffener Eleganz unter dem anderen, hochfahrenden Arm, am Oberschenkel entlang und zwischen die gespreizten Beine wieder nach
vorn gelegt hat. Dieses Kabel ist das eigentliche Zentrum, die Zentralachse in Schmids Bild, das Lasso eines elektrischen Cowboys, die
Federboa einer männlichen Rockkönigin, die ihr Mikrofon auch
visuell perfekt einzusetzen weiss.
Im Gespräch gibt Hannes Schmid unumwunden zu, dass ihn
an den Rock- und Popstars, die er zwischen 1977 und 1984 auf und
hinter der Bühne, auf Tournee und in der Freizeit fotografierte, die
Musik selbst meist wenig interessierte. Seine Aufmerksamkeit galt
dem damit verbundenen gesellschaftlichen Phänomen, dem Starkult und dem Konzert als dessen bevorzugtem Ort und intensivste
Zeit. Diese modernen Rituale vorwiegend jugendlicher Subkultur
lebten nicht von den auftretenden Künstlerinnen und Künstlern allein.
Sie waren an bestimmte räumliche Begebenheiten gebunden: die
dunkle Konzerthalle und die hell erleuchtete Bühne, auf der die
Schamaninnen und Schamanen des Pop ihre Gesänge und Tänze aufführten. Vor allem aber waren sie auch geprägt von den Massen
begeisterter Fans, die die Köpfe schüttelten und sich mit offenen
Mündern ihrer Ekstase hingaben, schreiend mit den Armen ruderten, nach den Rockgöttern greifen wollten, Berührung suchten. Alle
diese Elemente zeigt Schmid in seiner Rückenansicht von Freddie
Mercury. Er zeigt den Zeremonienmeister auf einer matt spiegelnden
Bühne im Angesicht seiner Fans – und am Bühnen- und Bildrand ist
gar noch Platz für einen Kopf vom Sicherheitsdienst. Schmid kondensiert so die genuine Qualität des Anlasses in einem auf das
Wesentlichste reduzierten Bild: Der Star und die Fans bilden ein
gemeinsames System, funktionieren nur in Beziehung zueinander.
Auch solche Abhängigkeit lässt sich mit Freddies Mikrofonkabel
visuell begreifen. Es zeigt nicht nur die technische Anbindung des
Rockstars an Verstärker, Strom und Licht, sondern lässt ihn auch als
verletzliche Marionette am Faden der Erwartungen von Musikindustrie und Fangemeinde erscheinen. Zum Konzertritual gehört aber
auch das Davor und das Danach: Anreise im Tourbus oder mit dem
the role-play of the stars, essentially objectivizing it — although objectivity
is not the ambition of this photography. Nor is reportage. Schmid thinks in
terms of his own images and stories, and seeks to visualize his inner
visions by capturing them with the camera. He scrutinizes his subjects,
analyzes how they act and operate, until he has acquired a familiarity that
enables him to illuminate them from his own perspective. He condenses
appearances, leaves things out, shifts perception, estranges.
Schmid stages pop and rock stars as quasi-divine creatures of light,
his studies underscoring their charismatic impact, skilled showmanship
and virtuoso techniques. There is no need to see Angus’s face in detail
and even less so that of Freddie Mercury, who is shown to us in head-on
rear view. Queen’s singer is just as physical as AC/DC’s guitarist, though
different in style. No terrycloth socks for him. He too is naked to the waist
but his torso rises up out of full-length black, faux leather skin-tight pants,
held up by red suspenders. This body is in even better physical condition;
we see no sweat and the neck-length hair is well groomed. Freddie’s sexuality is more in-your-face but more ambiguous too. And he exploits the
freedom to use his arms. Angus, when he plays, is strapped to his guitar
with both hands while singer Freddie turns his mike into an active prop.
In Schmid’s photograph, he is holding it in front of his mouth with one
hand, while lifting his other arm with consummate elegance to slide the
cable up his thigh and to the front again between his spread-eagled legs.
The cable is actually the focus of the photograph, the central axis, the
lasso of an electric cowboy, the feather boa of a male rock queen perfectly versed in microphonic choreography.
Hannes Schmid freely admits that he was not particularly taken
with the music of the groups he accompanied on tour between 1977 and
1984. While shooting pictures of them on-, back- and offstage, he was
much more interested in the star cult as a social phenomenon and also in
the concert as its preferred site and most intense embodiment. Significantly, the modern rituals of largely youthful subculture were not the
exclusive domain of the musicians; they were also intimately associated
with the nature of specific locations: the dark concert hall and the brightly lit stage on which the shamans of pop performed their song and dance.
Crucially, however, they rely on wildly enthusiastic masses of fans, shaking their heads, succumbing to open-mouthed ecstasy, screaming, waving their arms, and frantically reaching for their gods, clamoring for the
intoxication of a single touch. All of this is embodied in Schmid’s rear
view of Freddie Mercury. He shows the master of ceremonies facing his
fans on a matt reflecting stage — and in the lower right of the photograph,
there is even room for the head of a security guard. Schmid consummately distills the quality of this event in a photograph that has been
reduced to absolute essentials: the star and his fans constitute a system
that functions only through mutual participation. That interdependence
is visually symbolized by the cable of Freddie’s microphone. Not only
does it represent the cord that connects the rock star to amplifier, power,
and light; it also reveals him to be a vulnerable puppet strung up on the
expectations of the music industry and a community of fans.
What happens before and after the concert is also part of the ritual:
arriving in a tour bus or by taxi from the airport, contact with fans, waiting
backstage, then the excitement building before going on stage, the stage
fright, the tension and a brief moment to collect oneself, and after the
concert, exhaustion and emptiness, relaxation on days off, private life
between tours, promotional campaigns and studio visits. We see astonishingly middle-class living rooms and bedrooms; we see family photographs
and excursions to the beach; we see stars without makeup; we see people.
Schmid’s rock and pop photography coincided with a period of
transition in those genres. Disco, ABBA, and Boney M. had passed their
zenith and Punk, New Wave, and Neue Deutsche Welle were taking their
place. New aesthetic forms acquired ascendancy that eclipsed those of
classical hard rock. Schmid’s photographs also testify to the transformation of individual bands like Genesis that morphed from classical art rock
to the more successful pop. After the departure of colorful Peter Gabriel,
26.04. – 18.08.2013
Mythos und Geheimnis.
Der Symbolismus
und die Schweizer
Künstler
21.06. – 29.09.2013
Faltertanz
und Hundefest.
Ernst Kreidolf
und die Tiere
16.08. – 10.11.2013
Eisen und Stahl.
Paolo Bellini,
James Licini,
Josef Maria
Odermatt
18.10.2013 – 09.02.2014
Das schwache
Geschlecht.
Neue Mannsbilder
in der Kunst
HODLERSTRASSE 8 – 12
CH-3000 BERN 7
WWW.KUNSTMUSEUMBERN.CH
DI 10H – 21H MI–SO 10H – 17H
B'8B,QVHUDWB9RUVFKDXB[PPLQGG
22 | 23
Rubriktitel | Du 833
Künstler
LUIGI BENEDICENTI
SHELDON BERKOWITZ
ROBERTO BERNARDI
TOM BLACKWELL
ANTONY BRUNELLI
ANDRES CASTELLANOS
ROBERT GNIEWEK
CLIVE HEAD
PATRICK HUGHES
BEN JOHNSON
RON KLEEMANN
BERTRAND MENIEL
ANTONIO MARO
ROBERT NEFFSON
LUIS PEREZ
RAFAEL RAMIREZ
CESAR SANTANDER
HANNES SCHMID
RAPHAELLA SPENCE
JOHN STOCKWELL
BERNARDO TORRENS
Mit Leidenschaft
Kunst vermitteln
GUIDO PERSTERER
Contemporary Fine Art
Strehlgasse 29 8001 Zürich
Tel. +41 44 212 52 92
[email protected]
www.perstererfineart.com
24 | 25
Taxi vom Flughafen, Kontakte mit Fans, Warten im Backstage-Bereich. Dann, unmittelbar vor dem Auftritt, der Aufbau von Nervosität und Lampenfieber, ein Moment der Sammlung und der Spannung
und schliesslich, nach dem Konzert, die Erschöpfung und Leere, die
Entspannung an Freitagen, das Privatleben zwischen den Tourneen,
den Promotionskampagnen und Studiobesuchen. Da sehen wir dann
schockierend biedere Wohn- und Schlafzimmer, wir sehen Familienfotos und Badeausflüge, wir sehen ungeschminkte Stars, wir sehen
Menschen.
Die Phase der Rock- und Popfotografie bei Schmid fällt zusammen mit einer Epoche des Umbruchs im Rock und Pop. Disco, ABBA
und Boney M. überschreiten ihren Zenit, und Punk, New Wave und
Neue Deutsche Welle steigen auf. Damit werden neue Ästhetiken
propagiert, die sich etwa dem klassischen Hardrock entgegenstellen.
Schmids Bilder bezeugen auch die Transformation einzelner Bands
wie Genesis, die sich vom klassischen Kunstrock zum noch erfolgreicheren Pop entwickelten. Nach dem Abgang des bunten Peter Gabriel
war mit dem vormaligen Schlagzeuger Phil Collins ein Sänger erkoren, der ein anderes Image verkörpern musste. Schmid dokumentiert diese Suche im Trenchcoat-Gangster-Look. Punk und New Wave
brachten noch mehr Bewegung in die visuellen Sängerformate: Ian
Dury gibt bei Schmid einen karnevalesk theatralischen Hofnarr. Der
selbst von Kinderlähmung Betroffene hatte Behinderung auch zum
Thema von Liedern gemacht und verfolgte einen ganz anderen
Approach als die Adonis-Typen von Mick Jagger bis David Lee Roth,
die ihre sehnige Muskelpracht in Luftsprüngen auf der Bühne effektvoll in Szene setzten. Auffällig ist auch die Zunahme an Frontfrauen
wie Nina Hagen, Kim Wilde und Debbie Harry, die Schmid in ihren
Bann zogen. Schmid ergreift in dieser Umbruchzeit weder für die
eine noch für die andere Strömung Partei. Persönliche Affinitäten
werden kaum sichtbar. Er lässt allen ihr Recht, zu begeistern.
Schliesslich war die betreffende Zeit auch von grossem Technik- und Medienwandel geprägt. Sind an ihrem Anfang Mikrofonkabel auf den Bühnen zentral, kommt gegen ihr Ende zunehmend
das schnurlose Mikrofon auf, das neue Bewegungsfreiheiten und
damit auch visuelle Dynamiken ermöglicht. Mit neuen Bands wie
Depeche Mode zeichnete sich der unaufhaltsame Aufstieg elektronischer Musik ab, die von Kraftwerk bereits seit Anfang der Siebzigerjahre vertreten wurde. Auch das Musikvideo verbreitete sich und
relativierte die Rolle von Konzerten als primäre Promotionsmöglichkeit. Diese Epoche sah auch einen Höhepunkt der Magazinkultur, wo etwa der Bravo-Starschnitt die Buden fast aller Jugendlichen
zierte. Es wurde eine analoge, auch haptisch erfahrbare, materielle
Visualität gepflegt. Auf den LP-Hüllen blühte die visuelle Kultur des
Pop in einer Üppigkeit, die im CD-Zeitalter nie mehr eingeholt werden konnte. Mit der digital verfremdeten und grossformatig auf viele
einzelne zusammengeklebte Blätter gedruckten Serie Divas + Heroes
hat Hannes Schmid 2008 nicht nur dem Starschnitt, sondern dieser
vergangenen visuellen Kultur des Pop überhaupt seine Reverenz
erwiesen. Sein nichthierarchisierender Blick auf Kultur und der verstärkte Wunsch nach Inszenierung führten den Fotografen Hannes
Schmid ab Mitte der Achtzigerjahre zwar weg von der Musik- und in
die Mode- und Werbefotografie. Auch in diesen Feldern blieb aber
sein Interesse an gesellschaftlichen Gruppen und ihren Ästhetiken
genauso sichtbar wie seine Technik teilnehmender Beobachtung.
Eine ethnologische Blick- und Vorgehensweise spielt letztlich im
Gesamtwerk immer wieder eine zentrale Rolle – eine offensichtliche,
wie bei den Bildern der Mennoniten oder beim Bikertreffen in Daytona, oder eine verdecktere, wie in der Pro-Infirmis-Kampagne, wo
gewisse Posen und Kleidungen wiederum an die Rock- und PopstarInszenierungen erinnern.
the new singer chosen by the band — former drummer Phil Collins — had
to embody a different image. Schmid documents the search for a trenchcoat gangster look. Punk and New Wave changed the look of their singers
even more: Schmid shows Ian Dury as a carnivalesque, theatrical court
jester. Affected by polio, he had made his handicap the subject of some
of his songs, taking an entirely different approach from the Adonis type
cultivated by singers from Mick Jagger to David Lee Roth, whose acrobatics on stage dramatically displayed their sinewy muscular prowess. The
burgeoning role of front women is also conspicuous, with the likes of
Nina Hagen, Kim Wilde, and Debbie Harry casting a justified spell on
Schmid. In this period of transition, Schmid did not take sides. Personal
affinities barely make an appearance: Schmid allows them all to garner an
enthusiastic response.
This was also a time of far-reaching changes in technology and media.
The key role played by the microphone cable on stage gradually yielded to
a new freedom of movement thanks to the wireless microphone, which
led to a new visual dynamic. Upcoming bands like Depeche Mode demonstrated the inexorable advance of electronic music, which had already
been cultivated by Kraftwerk since the early seventies. In addition, music
videos proliferated, competing with concerts as a primary means of promotion. This epoch also saw a highlight in magazine publishing, with
Bravo’s life-sized star poster, pieced together from partial cut-outs in each
issue, decorating practically every teenager’s room. Visual pop culture
also flourished on LP covers with a flamboyance unequaled in the age of
the CD. The design of the covers took a visual approach that was analog,
haptic, and explicitly physical. In the digitally modified, large-format
series of Divas + Heroes, individually printed and pasted together in 2008,
Schmid pays tribute not only to the “star cut” invented by Bravo but also
to pop visual culture per se.
As of the mid-eighties Hannes Schmid’s non-hierarchical approach
to culture and increasingly focused concentration on staging led him to
move away from music and devote himself more to fashion and advertising. Even so, his interest in social groups and their aesthetics never
flagged, its visibility underscored by his technique of participant observation. The affinity with anthropology and its procedures logically plays a
crucial role in this oeuvre — whether patent as in Schmid’s Mennonite
series and the photographs of the motorcycle meet in Daytona, or more
subtly as in the Pro Infirmis campaign where certain attitudes, gestures,
and styles of clothing recall the earlier staging of rock and pop stars.
Rainer Egloff hat nach einer Buchhändlerlehre und Berufstätigkeit
in Archiven sowie einer ambitionierten Zeit als Amateur-Rockmusiker an
der Universität Zürich in Geschichte
promoviert. Er hat insbesondere zur
Geschichte der Sozialwissenschaften, zu Fragen der Interdisziplinarität
sowie zu populärkulturellen Phänomenen publiziert. Nach einer längeren
Zeit am Collegium Helveticum,
Zürich, ist er seit 2012 in der Risikofrüherkennung bei Swiss Re tätig.
Rainer Egloff gained his doctorate
in history at the University of Zurich
after training as a bookseller and
working as an amateur rock
musician. He has published extensively on the social sciences,
multidisciplinarity, and popular
culture. After many years of
transdisciplinary research at the
Collegium Helveticum, Zurich,
he started working for Swiss Re in
2012, doing research on the early
recognition of risk.
Rainer Egloff – Rock Stars | Du-Sonderedition / Special Edition
↓
Freddie Mercury, Queen,
1982/2012, Inkjet-Print,
150 225 cm.
→
Angus Young, AC/DC,
1979/2012, Inkjet-Print,
225 150 cm.
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Rubriktitel | Du 833
Rainer Egloff – Rock Stars | Du-Sonderedition / Special Edition
←← Blue Öyster Cult, 1980,
Inkjet-Print.
↖
←
Rick Parfitt, Status Quo,
1980/2012, Inkjet-Print,
100 150 cm.
John Coghlan, Status Quo,
1980/2012, Inkjet-Print,
100 150 cm.
→
30 | 31
Ray Sawyer, Dr. Hook &
The Medicine Show, 1980/2012,
Inkjet-Print, 150 100 cm.
32 | 33
Rubriktitel | Du 833
Rainer Egloff – Rock Stars | Du-Sonderedition / Special Edition
←← Kraftwerk,
1981/2012, Inkjet-Print,
150 225 cm.
←
Marianne Faithfull,
1981/2012, Inkjet-Print,
100 150 cm.
↙
Motörhead,
1980/2012, Inkjet-Print,
100 150 cm.
↓
Depeche Mode,
1981/2012, Inkjet-Print,
100 150 cm.
→→ Freddie Mercury / Queen,
1982/2012, Inkjet-Print,
100 150 cm.
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Rubriktitel | Du 833
Du-Sonderedition / Special Edition
Iconic Figure
Text E LISA B E T H BRO N F E N
Wir kennen ihn als einzelnen Reiter, der über Bergrücken, durch
Grasland und sandige Steppen zieht oder Stromschnellen passiert.
Mit seinem Pferd ist er gleichsam verwachsen, denn dank ihm kann
er sich umsehen, sich fortbewegen und notfalls Gefahren entfliehen.
Seinen Weg suchend, durchquert er die weiten Ebenen oder sticht,
in der Landschaft des Westens aufgehend, in eine enge felsige
Schlucht. Wir kennen ihn aber auch, wie er sich mit seinesgleichen
zusammentut, beim Viehtrieb, mit einem Lasso in der Hand oder am
abendlichen Lagerfeuer sitzend, nach einem langen harten Tag.
Der Cowboy, Sinnbild für rauen Individualismus, für die einsame
Freiheit uneingeschränkter Mobilität, ist im kulturellen Gedächtnis
Amerikas zu einem Mythos geworden.
Der Cowboy ist das männliche Streben nach der Inbesitznahme
des Westens in Perfektion. Er verkörpert aber auch die moralische
Stärke, die es im Kampf gegen feindliche Kräfte braucht – seien es
die harschen Gesetze der Natur, die um ihr Land kämpfenden
Indianer oder die Ruchlosigkeit gesetzloser Schurken. In seiner unerschütterlichen Selbstbestimmtheit steht er paradigmatisch für
den amerikanischen Traum, und immer wieder entflieht er den einengenden Konventionen eines Alltags in der Zivilisation, um in der
weiten, offenen Landschaft den perfekten Schauplatz für seinen tief
38 | 39
We know him as a lone ranger, riding over mountain ridges, through
prairies and dunes, crossing raging rivers. His horse is an extension of his
body, allowing him to search, wander, and if need be take flight from
danger. Looking for his trail, he traverses the wide planes or plunges into
a crevice in the rocky hills, becoming part of the Western landscape. We
also know him to bond with other like-minded men, herding cattle, each
with a lasso in hand, or sitting around a fireside at night, resting from
their day’s hard labor. Standing for rugged individualism, for the solitary
freedom of unconstrained mobility, the cowboy has become a myth in the
cultural imaginary of America.
The cowboy perfects the masculine will to win the West as well as
the moral fortitude necessary to combat hostile forces — be it the harsh
law of nature, the Indians seeking to repossess their land, or the violence
of outlaw rogues. With his resilient self-reliance he stands for the American dream par excellence, repeatedly taking flight from the encumbering
conventions of the ordinary civil world and finding in the open landscape
the perfect site for his radical will to freedom. And yet, because the raison
d’être of this mythic figure is to bring about the very civilization whose
social conventions must exclude him (because they restrict his desire for
mobility), he is caught up in the process of making himself obsolete: a
scapegoat sacrificed to an idea of law, order, and civilization along with
↑
Cowboy #38,
2009, Oil on Canvas, 120 180 cm.
Elisabeth Bronfen – Iconic Figure | Du-Sonderedition / Special Edition
Einzigartigkeit beraubt, verkörpert der Cowboy stets schon die
Legende, die nach seinem Verschwinden erzählt werden wird. In
dieser ikonischen Figur passen Bedeutung und Form perfekt zusammen, insofern beide von allem befreit worden sind, was über das
mythische Zeichen hinausweist.
Im neunzehnten Jahrhundert bildete sich dann mit James
Fenimore Coopers Lederstrumpf-Zyklus eine spezifisch amerikanische Literaturgattung heraus, deren Held zum Urvater aller späteren
Cowboylegenden avancierte. Desgleichen entstand ein spezifisch
amerikanischer Bildstil, der seine Wurzeln in der frühen Landschaftsmalerei und in den Fotografien des Westens hat. Nachdem
die Grenze erfolgreich abgeschafft worden war, nahm diese Überlagerung visueller und narrativer Bemächtigung des Go-West eine
neue Entwicklungsrichtung an. In den 1880er-Jahren präsentierten
Buffalo Bills berühmt-berüchtigte Wildwestshows ihre eigene
Version der Eroberung des Wilden Westens, um zuletzt nahtlos im
neuen Medium des Kinofilms aufzugehen, als Hollywood zum
Hauptproduzenten frei erfundener Rekonzeptualisierungen von
Amerikas mythischer Vergangenheit aufgestiegen war. Der Western,
eines von Hollywoods ältesten Filmgenres, wurde im zwanzigsten
Jahrhundert je nachBedürfnis jeder neuen Generation von Regisseuren,
↑
→
Cowboy #205,
2001/2012, Digital C-Print,
110 165 cm.
Cowboy #233,
2001.
verwurzelten Freiheitstrieb vorzufinden. Und doch gibt es für ihn
kein Entkommen vor der Tatsache, dass er sich selbst obsolet macht,
da sein Sinn und Zweck ja gerade darin besteht, die Zivilisation
voranzutreiben, deren gesellschaftliche Konventionen ihn zwangsläufig ausschliessen, indem sie seinen Freiheitsdrang unterbinden.
So wird er letztlich zum Opfer einer bestimmten Vorstellung von
Gesetz, Ordnung und Zivilisation, genau wie das Grenzland, das er
in einen Garten verwandeln half. Der Cowboy ist genau deshalb zu
einer solch kraftvollen mythischen Figur geworden, weil ihm als
Held manch abenteuerlicher Geschichte, in der er sich von der Alltagswelt fernhält, in einem zweiten Schritt auch jeder reale Kontext
abhandengekommen ist, wobei seine eigentliche Geschichte sich
verflüchtigte, bis nur noch die Charaktergestalt übrig blieb. Zudem
ist der Cowboy weit mehr als eine beliebte volkstümliche Figur unter
vielen, die die Ideologie der amerikanischen Expansionspolitik zu
übermitteln vermag. Stattdessen war er von Beginn weg ein Platzhalter für die Träume der einfachen Leute, ein Stereotyp, kompromisslos die Freiheit lebend, nach der diese sich sehnten, wissend,
dass sie ihnen auf immer verwehrt bleiben würde. Und da sein Reiz
auf der Tatsache beruht, dass wir wissen, dass er nie existierte, stellt
er die mythische Gestalt par excellence dar. Seiner historischen
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the frontier he has helped turn into a garden. At play is, thus, the following
aporia: The cowboy has become such a powerful mythic figure precisely
because, as a hero of adventure stories in which he distances himself
from the ordinary world, he has, in a second step, also become depleted
of any real context, his actual history evaporated with only the character
remaining. In addition, the cowboy is more than merely one popular folklore figure among many, serving as the mythic form able to transmit and
negotiate the ideology of the American project of expansionism. He was
a stereotype from the beginning, standing in for the dreams of ordinary
people, living the radical but unattainable freedom to which they aspire.
Emptied of his historical singularity, he embodies the legend that is to be
told about him after his demise. In this iconic figure, meaning and form
perfectly match in that both — the story of masculine adventure he embodies and the body gestures that represent this dream — are removed
from any reference outside the mythic sign.
By the nineteenth century, a specifically American literature took
shape in James Fenimore Cooper’s Leatherstocking Tales, whose hero
serves as the father of all subsequent cowboy legends — much as a specifically American visual style has its roots in the early landscape paintings and photography of the West. Once the frontier had successfully
been rendered obsolete, this layering of visual and narrative reappro-
priations of Westward expansion took a new turn. By the 1880s, Buffalo
Bill’s infamous Wild West Shows came to offer their version of how the
West was won, only to migrate to the new medium of cinema when Hollywood became the key producer of imaginary re-conceptualizations of
America’s mythic past. The Western, one of the first Hollywood film genres, has been reconceived throughout the twentieth century according
to the needs of each new generation of directors, cinematographers, and
screen writers. The constant game of hide-and-seek between meaning
and form not only writes itself into the way each subsequent period has
recourse to previous cinematic transformations of the history of the
West into a mythic narrative; it also underpins the global dissemination
the American cowboy has found on the silver screen. With each new
wave of recycling, only the contours of this mythic figure remain, and yet
it is repeatedly replenished with the materiality of the medium (be it
photography, painting, graphic art, or computer design) that taps over
and again into its vital force. From the onset of genre movies, Hollywood
turned the cowboy into the star of the Western film and male stars, such
as John Wayne, Gary Cooper, and James Stewart, came to stand in for this
iconic figure. In classic Hollywood, the cinematic image thus took the
mythic distancing (and oblique recollection) of real historical men to yet
another level: Cowboys, having become the icons of an American way of
42 | 43
Rubriktitel | Du 833
Elisabeth Bronfen – Iconic Figure | Du-Sonderedition / Special Edition
←← Cowboy #208,
2001.
↑
Cowboy #61,
2010, Oil on Canvas,
124 354 cm.
Filmemachern und Drehbuchautoren immer wieder neu erdacht.
Dabei schrieb sich das konstante Versteckspiel zwischen Sinn und
Form, das den Mythos laut Barthes definiert, nicht nur in die Art und
Weise ein, in der jede nachfolgende Phase auf die ihr vorangegangenen filmischen Umsetzungen der Geschichte des Wilden Westens
in mythische Erzählungen rekurrierte. Es unterstützte auch die
weltweite Verbreitung, die der amerikanische Cowboy auf der Filmleinwand fand. Mit jeder neuen Welle der Wiederverwendung blieb
einzig die Umrissform dieser Kultfigur zurück, die jedoch kontinuierlich neu angereichert wurde mit der Materialität des Mediums
(sei es Fotografie, Malerei, Grafik oder ein Computerentwurf), das
immer wieder frische Kraft aus ihr bezog. Hatte Hollywood den Cowboy gleich beim Aufkommen des Genrefilms zum Westernhelden
gemacht, so traten bald Filmgrössen wie John Wayne, Gary Cooper
oder James Stewart an die Stelle dieser ikonischen Figur. Im Holly44 | 45
life, are transformed into stars of an American way of aesthetically refiguring national ideology.
Hannes Schmid’s Reappropriation Loops In 1954 Leo Burnett first developed the concept of the Marlboro Man for Philip Morris, using the
mythic cowboy to sell not a political project but rather cigarettes. Hannes
Schmid’s photographs for this advertising campaign idiosyncratically
interpret the particular notion of masculinity attached to the solitary,
free-spirited wanderer, recalling the poses and scenes immortalized by
Hollywood’s silver screen. Given that fact that Schmid would later find
himself compelled to reappropriate his own photographs as images painted
in oil on canvas, it is fruitful to invoke another correspondence, namely
to the paintings of Charles M. Russell (1864–1926). Contemporaneous
with the emergence of the cowboy in Hollywood, Russell depicted the West
on canvas. Highlighted in these paintings are scenes of bodily intensity.
wood-Klassiker erfuhr die Mythologisierung realer historischer
Männer (und die verzerrte Erinnerung an sie) also nochmals eine
Steigerung. Die zu Ikonen eines amerikanischen Lebensstils gewordenen Cowboys wurden zu Stars einer genuin amerikanischen Form
der Ästhetisierung nationaler Ideologie.
Hannes Schmids Wiederaneignungsloops 1954 entwickelte Leo
Burnett für Philip Morris das Konzept des Marlboro Man, wobei er
den Cowboy nicht mehr als Werbeträger für ein politisches Projekt,
sondern für den Verkauf von Zigaretten benutzte. Hannes Schmids
Fotografien für diese Kampagne rufen mit ihrer idiosynkratischen
Interpretation der besonderen Vorstellung von Männlichkeit, die
diesem einsam umherziehenden Freigeist anhaftet, nicht nur die
durch das Hollywoodkino verewigten Posen und Szenen in Erinnerung. Vielmehr sei auf einen weiteren Zusammenhang verwiesen –
We see a group of men synchronize their lasso throwing to rope in a stray
animal. Or our attention is drawn to the agility of a rider, put to the test
by a bucking horse. In other paintings we find cowboys sitting proudly
erect on their horses to scan the horizon or traversing the prairie, their
individual bodies starkly contrasting with the immensity of the wilderness. Foregrounded also are moments of nocturnal repose, with the camp
fire drawing a circle of light that holds the men together in a world falling
into darkness. These paintings freeze the movement so characteristic for
the cowboy, intensifying it in the stillness of the painted image, even
while they pit the intimacy of shared adventure against the anonymity of
the wide-open frontier.
If, in his photographs, Hannes Schmid picks up on poses that Russell’s Western paintings installed in the first decades of the twentieth
century, he gives them a particular visual spin. The focus is on the detail
of a gesture — pouring coffee from a thermos bottle, filling a cup with
Rubriktitel | Du 833
←
Cowboy #423,
1998/2012, Digital C-Print,
110 165 cm.
↓
Cowboy #209,
1998/2012, Digital C-Print,
110 165 cm.
→
Cowboy #36,
1998.
zumal Schmid sich später veranlasst sehen sollte, seine eigenen
Fotografien in Form von Ölgemälden zu reappropriieren – nämlich
auf das Schaffen von Charles M. Russell (1864–1926). Zeitgleich mit
dem Auftauchen des Cowboys in Hollywood malte Russell Wildwestszenen, in denen er sich vor allem auf Momente körperlicher Intensität konzentrierte. So sehen wir zum Beispiel eine Gruppe von
Männern, die synchron ihre Lassos werfen, um ein entlaufenes Tier
einzufangen. Oder unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Wendigkeit eines Reiters auf einem sich aufbäumenden Pferd. In anderen
Gemälden finden wir stolz und aufrecht im Sattel sitzende Cowboys,
die mit den Augen den Horizont absuchen oder die durch die Prärie
reiten, wobei ihre Körper sich kontrastreich von der unermesslichen
Weite der Wildnis abheben. Auch Momente nächtlicher Rast sind
dargestellt, in denen das Lagerfeuer einen Lichtkreis zeichnet, der
die Männer in einer im Dunkel versinkenden Welt zusammenhält.
All diese Gemälde fangen die für den Cowboy so charakteristische
Bewegung ein und überhöhen sie in der Unbewegtheit des gemalten
Bildes, während sie gleichzeitig die Intimität des gemeinsamen
Abenteuers gegen die Anonymität des weiten, offenen Grenzlandes
ausspielen.
Wenn Hannes Schmid in seinen Aufnahmen nun die Posen
aufgreift, die Russell in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten
Jahrhunderts mit seiner Wildwestmalerei etablierte, so tut er dies
mit einer eigenen gestalterischen Note. Sein Fokus gilt den Feinheiten einer Geste – dem Einschenken von Kaffee aus einer Thermosflasche, dem Füllen eines Wasserbechers am Fluss, dem Schleppen
eines Sattels und natürlich dem Anzünden einer Zigarette oder dem
gemütlichen Rauchen, entspannt an einen Pfosten gelehnt. Vielfach
sind die individuellen Züge des Cowboys nicht erkennbar: der Hut
ist tief ins Gesicht gezogen oder, wie in der Aufnahme eines rastenden Cowboys, gar nur von hinten gezeigt.
Manchmal ist der Bildausschnitt so eng, dass einzig die Hände
oder die Stiefel zu sehen sind; hier gilt die Aufmerksamkeit der Aus46 | 47
water at the edge of a river, carrying a saddle, and, of course, lighting up
a cigarette or leaning against a pole while enjoying a quiet smoke. Often
the individuality of his cowboys is indiscernible — the Stetson covers the
actual face, or, in one picture of a cowboy resting, we see only his hat
from behind. Sometimes the image is cropped to focus on the hands or
the boots, foregrounding the accoutrements of cowboy life rather than
any particular man. Sometimes the picture is taken from such a distance
that only the outline of a pose is recognizable. Then again, the cowboys
herding horses or sitting on fences evaporate into the all-encompassing
yellow, orange, or blue light cast on the scene. Indeed, most often they
appear as dark silhouettes against an intensely colored sky, drawing attention not to their unique traits but to the iconic gestures they share.
Even as Schmid refigures the poses of Russell’s Western painting — the
perfect pitching of a lasso, the skillful horseman who can stay on a bucking
horse, men walking or riding in formation — he embellishes the mythic
quality of the cowboy by explicitly staging his body as pure visual form.
Whether the image captures him in motion or in repose, he is primarily
the embodiment of an intense emotion, whose resilient transmission
wdepends on its depletion of any specific context: its reduction to pure
energy contained in a culturally codified form. What these photographs
capture is the spirit of cowboy life, not its reality.
rüstung des Cowboys und nicht so sehr dem einzelnen Mann. Ein
andermal ist die Aufnahme aus so grosser Distanz gemacht, dass die
Pose zur blossen Silhouette wird. Dann wieder gehen Cowboys, die
Pferde zusammentreiben oder einfach nur auf Zäunen sitzen, in
einem gelben, orangeroten oder blauen Licht auf, das sich, alles erfassend, über die Szene ergiesst. Meist jedoch treten die Männer als
dunkle Silhouetten vor intensivfarbigem Himmel auf, sodass sie die
Aufmerksamkeit nicht auf ihr individuelles Aussehen ziehen, sondern auf das ikonische Erscheinungsbild, das sie eint. Mit den Posen
und Gesten aus Russells Wildwestgemälden – dem perfekten Lassowurf, dem Reiter, der sich geschickt auf dem Rücken eines bockenden
Tieres zu halten weiss, Männern in Formation, zu Pferd oder zu Fuss –
verklärt Hannes Schmid also zugleich die mythischen Qualitäten
des Cowboys, indem er dessen Körper explizit als rein visuelle Form
inszeniert. Egal ob die Aufnahme den Cowboy in Bewegung oder in
einem Ruhemoment zeigt, er ist in erster Linie die Verkörperung
einer starken Emotion, deren zähes Fortleben von der Tilgung jedes
allzu spezifischen Kontexts abhängt, von ihrer Reduktion auf reine
Energie in einer kulturell codierten Form. Was diese Aufnahmen
festhalten, ist in erster Linie der Geist des Cowboydaseins, nicht
seine Realität.
Elisabeth Bronfen ist Professorin
für Literatur und Kulturwissenschaften
am Englischen Seminar der
Universität Zürich. Sie ist Autorin
zahlreicher Aufsätze in Ausstellungskatalogen und Sammelbänden zur
visuellen Kultur. Ihre jüngsten
Publikationen sind: Tiefer als der Tag
gedacht – Eine Kulturgeschichte der
Nacht, 2008; Crossmappings –
Essays zur visuellen Kultur, 2009;
Hollywoods Kriege – Eine Geschichte
der Heimsuchung, 2013.
Elisabeth Bronfen is professor of
English and American Studies at the
University of Zurich. She has
contributed numerous essays on
visual culture to exhibition catalogues and anthologies. Most
recently she has published: Tiefer
als der Tag gedacht – Eine Kulturgeschichte der Nacht, 2008; Crossmappings – Essays zur visuellen
Kultur, 2011; Specters of War –
Hollywood’s Engagement with
Military Conflict, 2012.
48 | 49
Rubriktitel | Du 833
Elisabeth Bronfen – Iconic Figure | Du-Sonderedition / Special Edition
←← Cowboy #206,
2001.
↓
Cowboy #15,
2007, Oil on Canvas,
120 240 cm.
↓↓ Cowboy #12,
2007, Oil on Canvas,
120 200 cm.
→
Cowboy #53,
2008, Oil on Canvas,
180 120 cm,
Privatsammlung.
50 | 51
Du-Sonderedition / Special Edition
For Gods Only
Text G A IL B UC K LA N D
1998 stolperte Hannes Schmid bei einem Aufenthalt in Singapur In 1998 during a visit to Singapore, Hannes Schmid unexpectedly stumganz unerwartet über eine versteckte, für Passanten kaum sichtbare bled upon a secluded theatrical stage, not easily seen by people casually
Theaterbühne. Sie gehörte dem von Chua Hung Kee gegründeten walking by. It was the Kim Eng Teochew Opera Troupe, founded by Chua
Kim-Eng-Teochew-Opernensemble, das eine rituelle Oper vor Hun- Hung Kee. They performed ritualistic opera in front of hundreds of empty
derten leeren roten Stühlen aufführte. Was Schmid sah, war keine red chairs. What Schmid witnessed was not a dress rehearsal; it was an
Kostümprobe. Es war eine Oper, die einzig allein für die Götter – for opera performed for gods only.
In a recent correspondence, I asked Schmid the obvious question:
gods only – gespielt wurde.
Als wir uns unlängst miteinander austauschten, stellte ich “Can people stand in the back or on the sides and discreetly watch this
Hannes Schmid die naheliegende Frage: «Dürfen die Leute hinten opera?” His answer was, “To watch is considered wrong or even dangerous.
oder an den Seiten stehen und die Oper diskret mitverfolgen?» Seine It is only okay for young children and the mentally handicapped to do so
Antwort lautete: «Zuschauen gilt als verkehrt oder gar riskant. Ein- if they do not disturb the actors and stay at a distance.”
How was it possible for Schmid to photograph this clandestine
zig bei kleinen Kindern und geistig Behinderten ist es okay, wenn sie
es tun, solange sie die Schauspieler nicht stören und genug Abstand form of ritual street theater when even watching it was prohibited? He
did it through perseverance. Schmid befriended the members of the
halten.»
Wie also war es Hannes Schmid möglich, diese geheime Form ensemble and finally, after years of developing trust and friendships, was
rituellen Strassentheaters zu fotografieren, wenn selbst das Zu- allowed to start photographing the company. He shows the actors and
schauen verboten war? Es war seine Beharrlichkeit, die ihn zum Ziel musicians rehearsing, spiritually preparing themselves to perform, slowly
führte, denn er freundete sich mit den Mitgliedern des Ensembles and meticulously putting on their make-up, offering sacrifices to propitiate
an und erhielt so am Ende – nach Jahren des Vertrauensaufbaus – the spirits of the ancestors, and, finally, presenting the play. From 2002
52 | 53
↑
BU (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
Gail Buckland – For Gods Only | Du-Sonderedition / Special Edition
↖
SHANG (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
↑
TIE (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
↑
Xing (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
2002 die Erlaubnis, die Truppe mit der Kamera zu begleiten. Seine
Bilder zeigen die Schauspieler und Musiker bei den Proben, wie sie
sich innerlich auf den Auftritt vorbereiten, langsam und akribisch
ihr Make-up auftragen, Opfergaben darbringen, um die Geister der
Ahnen günstig zu stimmen, und schliesslich das Stück spielen. Von
2002 bis zum 11. Februar 2007, als sich das Kim-Eng-Theater auflöste,
dokumentierte Schmid das Opernensemble, aber nicht nur. Er schuf
vielmehr ein Werk, das als Äquivalent dieser zutiefst spirituellen,
esoterischen und transitorischen Kunstform gelesen werden kann.
So seltsam diese Art von Oper mit ihren rituellen Opferelementen aus westlicher Sicht auch anmuten mag, erklären lässt
54 | 55
until February 11, 2007 when the Kim Eng Theater disbanded, Schmid did
not just document the opera company; he created a body of work
that serves as an equivalent of this deeply spiritual, esoteric, transitory
art form.
As strange as this form of opera, with its component of ritual sacrifice to the gods and ancestors, may seem to the Western mind, a beginning
explanation may be found in Confucianism. As the scholar Xinzhong Yao
explains in his Introduction to Confucianism: “Confucianism appreciates
that sacrifice may bring about good fortune, such as material gain,
physical longevity and spiritual protection, but it constantly emphasizes
that personal gain is not the primary purpose. The important thing is to
sie sich – wenigstens ansatzweise – mit dem Konfuzianismus. So
schreibt Xinzhong Yao in seiner Introduction to Confucianism: «Der
Konfuzianismus anerkennt, dass Opfergaben Glück bringen sollen,
materiellen Gewinn, ein langes Leben und spirituellen Beistand,
doch zugleich wird er nicht müde zu betonen, dass persönliche
Bereicherung nicht ihr primärer Zweck ist. Wichtiger ist es, eine
aufrechte Gesinnung, ein ehrfürchtiges Herz und einen rechtschaffenen Beweggrund zu haben und ‹Opfergaben ohne Streben nach
Gewinn› darzubringen. Wer am Ritus teilhat, soll eine spirituelle
und moralische Wiedervereinigung mit den Geistern der Ahnen
erfahren: ‹Opfern, als ob zugegen› bedeutet ‹opfere den Göttern, als
wären die Götter zugegen› (Lunyu 3.12). Dies verlangt mehr als das
blosse Durchführen der Zeremonie. Die Konfuzianer unterstreichen
die Bedeutung zeremonieller Handlungen für die Vervollkommnung
der menschlichen Pietät und betonen den moralischen Effekt des
Rituals auf das Volk. Beim Ritus geht es nicht einfach nur darum,
zu musizieren oder Jade und Seide darzubringen (Lunyu 17.11). Es
bedeutet, moralische Vollkommenheit zu erlangen.»
Chinesisches Strassentheater ist sowohl Drama als auch Musiktheater, manchmal durchmischt mit Elementen aus den Kampfkünsten. In Singapur geht es vermutlich auf die Einweihungsfeier
des Thian-Hock-Kheng-Tempels im Jahre 1840 zurück. Aufgeführt
wird es in den verschiedenen Dialekten der Einwanderergruppen,
die aus wirtschaftlichen und politischen Gründen nach Südostasien
emigrierten – namentlich Kantonesisch, Hainanesisch, Hokkien und
Teochew. Jung Sai Shing, Professor an der National University of
Singapore, hält zu seiner Bedeutung fest: «Wie in der ältesten Tageszeitung Singapurs, Lat Pau, ausgeführt, stellten rituelle Aufführungen
im Singapur des neunzehnten Jahrhunderts eine wichtige Form der
chinesischen Oper dar. Im Grunde war die Strassenoper in Singapur
eine Fortsetzung einer seit Langem etablierten Tradition der chinesischen Theaterkultur. Aus akademischer Sicht gilt die Annahme, dass
die Strassenoper in Singapur die Aufführpraktiken und die religiöse
have a sincere attitude, a reverential heart and a virtuous motive, and to
offer ‘sacrifices without seeking for anything to be gained’. Those who are
engaged in ritual should experience a spiritual and moral reunion with
the spirits: ‘Sacrifice as if present’ is taken to mean ‘sacrifice to the gods
as if the gods were present’ (Lunyu 3.12). This requires more than merely
ceremonial performance. Confucians stress the importance of ceremonies
in refining human piety and emphasize the moral effect of ritual on the
people. Ritual is not merely about playing music and offering jade and
silk (Lunyu 17.11). It is meant to achieve moral perfection.”
Chinese street theater is both a form of drama and musical theater,
at times mixed with martial art elements. In Singapore, it probably dates
back to the opening of the Thian Hock Keng temple in 1840. It is performed in the various dialects spoken by immigrant groups, most notably
Cantonese, Hainanese, Hokkien, and Teochew, who emigrated to SouthEast Asia for economic and political reasons. Writing about its significance, Professor Jung Sai Shing of the National University of Singapore
observes: “As reflected in the Lat Pau, the earliest Chinese newspaper of
Singapore, ritual performance served as a major theatrical form of Chinese opera in nineteenth century Singapore. In fact, the street opera in
Singapore was a continuation of a long established tradition of the Chinese
drama culture. From an academic point of view, it is believed that the
street opera culture of Singapore had preserved the performance practices and religious culture that might have been lost in Mainland China
during the Cultural Revolution.”
Through prescribed ritual, the Chinese actors communicate with
the spirits and the gods and try to please them. Schmid was fascinated by
the dance, theater, and music integral to an art form that has been handed
down through generations of oral tradition within a clan via secret rites.
It is a traditional form of street opera combined with offerings to propitiate
the ancestors and the spirits.
Until the seventies, Chinese street theater flourished. Street operas
were very public events, taking place at temples, cemeteries, housing estates — anywhere in a city that had large numbers of Chinese.
Gail Buckland – For Gods Only | Du-Sonderedition / Special Edition
↑
56 | 57
CAI (For Gods Only),
↑
CUN (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
2006/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
Sammlung Rainer-Marc Frey.
Gail Buckland – For Gods Only | Du-Sonderedition / Special Edition
Kultur bewahrt hat, die auf dem chinesischen Festland während der
Kulturrevolution verloren gegangen sind.» Mittels festgeschriebener Rituale kommunizieren die chinesischen Schauspieler mit den
Geistern und Göttern und versuchen, ihnen Freude zu bereiten.
Schmid war vom ehrwürdigen Charakter fasziniert, den Theaterspiel,
Tanz und Musik – die wesentlichen Bestandteile dieser ausschliesslich mündlich in gut gehüteten Ritualen im kleinen Kreis des
Ensembles tradierten Kunstform – verströmten.
Bis in die Siebzigerjahre florierte das vor regulärem Publikum
aufgeführte chinesische Strassentheater. Strassenopern waren öffentliche Anlässe in Tempeln, auf Friedhöfen, in Wohnsiedlungen – überall
in Städten mit grossem chinesischem Bevölkerungsanteil. Hunderte
von Zuschauern verfolgten die Geschichten von Göttern und Helden,
übernatürlichen Herausforderungen und menschlichem Versagen,
magischen Ereignissen und mondänem Geschehen. Eine sprachpolitische Regelung, die Mandarin zur Amtssprache Singapurs
erhob, hatte indes zur Folge, dass die jungen Leute die in den Aufführungen verwendeten Dialekte nicht mehr verstanden und somit
zu dieser stilstrengen, antiquierten Form von Unterhaltung auch
keinen Bezug mehr aufbauen konnten. Nur noch die Alten sassen
glücklich drei Stunden lang da und schauten ebenso alten Schauspielern zu, wie sie die uralten Geschichten inszenierten. Die traditionelle chinesische Strassenoper kann mit Mobiltelefonen, Internet,
Fernsehen und Kino, von denen das Denken und Fühlen der Jugendlichen bestimmt wird, nicht mithalten. Doch das «Naturrecht» im
Konfuzianismus umfasst halt auch die Vorstellung vom ständigen
Wandel, der allen Dingen Leben verleiht und allem Geschehen seinen
Lauf lässt, und so steht die altehrwürdige Kunstform in Singapur
kurz vor ihrem Ende. Hannes Schmids Fotografien des Kim-Eng58 | 59
Hundreds of people watched as the stories of gods and heroes, supernatural challenges and human failings, magical events and mundane happenings unfolded. A linguistic policy mandating Mandarin as the official
language of Singapore meant young people could not understand the
dialects used in the performances. Nor could they relate to this stylistic,
antiquated form of entertainment. Only the elderly were happy to sit for
three hours watching equally elderly actors enact ancient stories. Traditional Chinese street opera cannot compete with cell phones, the Internet,
TV, and cinema in the minds and hearts of the young. But “Natural Law”
in Confucianism contains the concept of constant change, by which all
things are given life and all events run their course. For the most part, this
noble art has come to an end in Singapore, making Schmid’s photographs
of the Kim Eng Troupe even more important and significant. His work has
won the patronage of Unesco, in recognition of its contribution to the
preservation of world culture. A new edition of Schmid’s 2008 short,
subtle, eloquent, and magical multipart video received the prestigious
Delphic Art Movie Award (DAMA).
Schmid understands, as did many of his predecessors, that blackand-white photography has an inherent aesthetic that allows the viewer
to focus on core elements of the subject. Black-and-white helps reduce
the photograph to its essence. His decision to use black-and-white in For
Gods Only is made even more commendable because Chinese street opera
is one of the most colorful forms of theater. The vibrant hues of the costumes, sets, and make-up assault the senses. Had Schmid photographed
in color, the viewer would be drawn to the surface elements — the silks,
the brocades, the shiny swords, the jeweled headdresses. He has slowed
things down by using black-and-white. This is a meditative form of theater,
paced to allow for spiritual transformation. Schmid wants us to slow
down as well, in order to experience this transformation. Rather than be
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DAO (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
↑
LIAO (For Gods Only),
2006/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
Gail Buckland – For Gods Only | Du-Sonderedition / Special Edition
↑
SHU (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
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TAI (For Gods Only),
2005/2012, Digital Print / Acryl
on Baryt, 120 120 cm,
Sammlung Rainer-Marc Frey.
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Theaterensembles sind daher umso wichtiger und bedeutungsvoller.
In Anerkennung ihres Beitrags zur Bewahrung des Weltkulturerbes
unterstehen die kunstvollen Aufnahmen dem Patronat der Unesco.
Zudem hat Schmid ein berückendes, ebenso subtiles wie eloquentes
mehrteiliges Video geschaffen, das 2011 in der Neufassung von 2008
mit dem prestigeträchtigen Delphic Art Movie Award (DAMA) ausgezeichnet worden ist.
Hannes Schmid ist wie viele seiner Vorgänger der Ansicht,
dass Schwarz-Weiss-Fotografie eine inhärente Ästhetik besitzt, die
es dem Betrachter ermöglicht, sich auf die Kernelemente des Motivs
zu konzentrieren, indem sie die Aufnahme auf ihre Essenz reduzieren hilft. Seine Wahl von Schwarz-Weiss für For Gods only ist umso
bemerkenswerter, als die chinesische Strassenoper eine höchst farbenfrohe Theaterform ist. Die vibrierenden Farbtöne der Kostüme,
Bühnenbilder und Masken stellen geradezu eine Attacke auf die Sinne
dar. Hätte Schmid in Farbe fotografiert, wäre der Betrachter von
Oberflächen angezogen – von den Seiden- und Brokatstoffen, den
glänzenden Schwertern, den edelsteinbesetzten Kopfbedeckungen.
Dies aber ist eine besinnliche Art von Theater, deren Tempo spirituelle Verwandlung ermöglichen soll. Entsprechend hat Schmid
durch den Griff zum Schwarz-Weiss die Dinge entschleunigt. Er will,
dass auch wir zur Ruhe kommen und diese Verwandlung erleben.
Anstatt den Betrachter mit den Sinneseindrücken, welche die Farbfotografie hervorrufen kann, zu überwältigen, gibt er ihm Gelegenheit,
nicht nur das Sujet als solches zu sehen, sondern einen Einblick in
dieses zu gewinnen.
For Gods only kombiniert Schmids Schwarz-Weiss-Fotografien
mit roten Ideogrammen des Meisterkalligrafen Simon Huang – eine
brillante Paarung zweier grundverschiedener Kunstformen: Die
Fotografie hält den Moment fest; der Pinselstrich setzt ihn frei. Wie
Yin und Yang sind der Baryt-Abzug und die Acryl-Malerei komplementäre Kräfte, die einander ergänzen und ausgleichen wie heiss und
kalt, Feuer und Wasser, Erde und Luft. In der taoistischen Metaphysik
sind Yin und Yang ein unteilbares Ganzes. Dieses Ganze machen
Schmid und Huang gemeinsam fassbar.
Die Fotografie mit dem Titel Dao zeigt einen älteren Schauspieler der Truppe, dessen Lebenserfahrung sich tief in die Furchen
seines Gesichts eingeschrieben hat und der mit durchdringendem
Blick in Richtung Betrachter schaut. Das chinesische Schriftzeichen,
welches «Anführer der rituellen Prozession» bedeutet, dominiert
das Bild. Der Anführer selbst, bei dem es sich um niemand anderen
als um Chua Hung Kee handelt, den Leiter der Truppe, rückt in den
Hintergrund, ja zieht sich fast aus dem Bild zurück, genau wie er
dies auch im wahren Leben getan hat. Huangs kraftvolle Linien dagegen drängen nach vorne, richten sich direkt an den Betrachter und
fordern Anerkennung. Sowohl die Bedeutung als auch die Eleganz
des Schriftzeichens bezeugen dem Anführer Respekt. Das Bild ist
nicht länger unbewegt oder ein Ding der Vergangenheit; es bewegt
sich, atmet Leben und hat etwas Immerwährendes.
overwhelmed by the sensations that color photography can generate,
Schmid has given the viewer the opportunity to see not only the subject,
but into the subject.
For Gods Only combines Schmid’s black-and-white photographs
with master calligrapher Simon Huang’s red ideographs. It is a brilliant
partnering of two inherently different art forms. The photograph holds
the moment; the brushstroke sets it free. Like yin-yang, the Baryt photographic print and the acrylic paint are complementary forces, balancing
each other like hot and cold, water and fire, earth and air. In Daoist metaphysics, yin-yang is an indivisible whole. Schmid and Huang make the
whole manifest.
The photograph titled Dao shows an elderly actor of the company
looking intensely at the viewer, a lifetime of experience carved into the
deep crevices of his face. The Chinese character which means “leader of
the ritual procession” dominates the picture. The “leader” himself is
receding — almost withdrawing out of the picture — as he did in real life.
But Huang’s forceful lines move forward, confronting the viewer and
demanding recognition. Both the meaning of the calligraphy and the
elegant brushwork pay tribute to the “leader”. The picture is no longer
still or a thing of the past; it moves and breathes life — and has something
of the eternal.
Gail Buckland ist Autorin zahlreicher
Bücher und derzeit Distinguished
Visiting Professor für Fotografiegeschichte an der Cooper Union, New
York. Sie unterrichtete am Columbia
College, Chicago, am Pratt Institute,
Brooklyn, und am Sarah Lawrence
College, Bronxville, New York, wo sie
den Nobel-Lehrstuhl in Kunst- und
Kulturgeschichte innehatte.
Vorgängig war sie Kuratorin der Royal
Photographic Society of Great Britain
und organisierte in dieser Funktion
zahlreiche Ausstellungen in den USA
und in Europa.
Gail Buckland is the distinguished
visiting professor of the History
of Photography at The Cooper Union,
New York. She has taught at
Columbia College, Chicago, Pratt
Institute, Brooklyn, and Sarah
Lawrence College, Bronxville, New
York, where she held the Nobel Chair
in Art and Cultural History. Buckland
is the author or collaborator on
fourteen books. She is the former
curator of the Royal Photographic
Society of Great Britain and has
organized numerous exhibitions in
the United States and Europe.
Du-Sonderedition / Special Edition
Binding Sélection d’Artistes:
Ein privates Förderinstrument jubiliert
Binding Sélection d’Artistes: Private Subsidy
Program Celebrates Anniversary
Text B E N N O SC HUB IG E R
Die Ausstellung von Hannes Schmid im Berner Kunstmuseum ist
Bestandteil der Binding Sélection d’Artistes. Mit diesem Ausstellungsprogramm leistet die Sophie und Karl Binding Stiftung in Basel
seit bald zehn Jahren einen intensiven Förderimpuls zugunsten von
Kunstmuseen und zeitgenössischen Künstlern der Schweiz. Das Ziel
unserer Sélection ist es, Künstlerinnen und Künstlern, welche die
Altersgrenze von vierzig Jahren überschritten haben und somit den
meisten Fördermodellen «entwachsen» sind, den Weg in die Ausstellungssäle in unseren Kunstmuseen weiterhin zu erleichtern.
Mit dem Ziel eines Anreizsystems hat die Binding-Stiftung im
Jahr 2003 mit der Vereinigung Schweizer Kunstmuseen und deren
Mitgliedmuseen eine Vereinbarung zwecks finanzieller Unterstützung
von monografischen Ausstellungen abgeschlossen. Ihre klaren
Absichten will die Stiftung mit einer möglichst einfachen Strategie
erreichen: Übersichtsausstellungen über ein bestehendes Gesamtwerk
oder über einen Werkschwerpunkt einer einzelnen Künstlerpersönlichkeit sollen Projekte von kunsthistorischem Anspruch ermöglichen, natürlich unter Einschluss eines substanziellen Ausstellungskatalogs. Unser Programm verfolgt eine schweizerische Ausrichtung,
behält dabei aber eine offene Form, denn im Ausland lebende
Schweizer Künstler sind ebenso zugelassen wie Kunstschaffende
The exhibit by Hannes Schmid in the Bern Museum of Art is part of the
Binding Sélection d’Artistes. For almost ten years now this exhibit program
of the Sophie and Karl Binding Foundation in Basel has provided a strong
incentive for art museums and contemporary artists in Switzerland. The
goal of our Sélection is to make it easier for artists who have passed the
age of forty and therefore have “outgrown” most subsidy models to continue using the exhibit halls in our art museums.
With the goal of an incentive system the Binding Foundation concluded an agreement in 2003 with the Association of Swiss Art Museums
and their member museums to provide financial support for monographic
exhibitions. The foundation pursues its straightforward purpose with a
very simple strategy: Overview exhibits showing the oeuvre or a thematic
focus of an individual artist personality are intended to enable projects
aspiring to art history, including of course a substantial exhibit catalogue.
Our program pursues a Swiss orientation while maintaining an open form,
since Swiss authors living abroad are also permitted, as well as artists of
foreign origin who have found the centre of their artistic creativity in
Switzerland.
Openness with respect to the Sélection d’Artistes also includes artistic freedom, a priority of the Binding Foundation and all of our subsidy
projects. We neither want to dictate to the museums which artists we
Visit the exhibition on location or virtually in your living room:
The companion app to the Hannes Schmid retrospective at
Kunstmuseum Bern. Available for iPad and iPhone.
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62 | 63
LIEBEN | VERTR AUEN
UHREN SCHMUCK JUWELEN
64 | 65
Basel Bern Davos Genève Interlaken Lausanne Locarno Lugano Luzern St. Gallen St. Moritz Zermatt Zürich
Berlin Düsseldorf Frankfurt Hamburg München Nürnberg | Wien | bucherer.com
ausländischer Herkunft, die in der Schweiz ihren Schaffensmittelpunkt gefunden haben.
Zur Offenheit gehört bei der Sélection d’Artistes auch die
künstlerische Freiheit, welche die Binding-Stiftung – wie in allen
unseren Förderprojekten – hochhält. Weder wollen wir den beteiligten
Museen vorschreiben, welche Künstler wir bei ihren Ausstellungen
unterstützen, noch haben wir uns ein Vorschlagsrecht ausbedungen.
Wir wählen einfach aus den eingereichten Vorschlägen der
Museumsdirektionen aus, welche die Urheber und Organisatoren
dieser Ausstellungen und deren Kataloge und somit die eigentlichen
Umsetzer unseres Förderprogrammes sind.
Fünfzig Ausstellungen mit ihren Katalogen konnten wir bisher mitfördern. Ein kontinuierlich nachgeführter Folder und die
Website www.binding-selection.ch lassen laufend Bilanz über den
Programmfortschritt ziehen. Zwei Millionen Förderfranken konnten bisher mithelfen, fünfzig Künstlerkarrieren zu befeuern oder
fünfzig Künstlerœuvres zu zwischenbilanzieren. Nahezu zweihundert verschiedene Autorinnen und Autoren, vor allem Kunsthistoriker, haben im Rahmen aller dieser Ausstellungen ihre Texte zu den
Katalogen unterschiedlichster Konzeption beigesteuert. Mehrere
dieser Begleitpublikationen wurden als «Schönste Schweizer Bücher»
prämiert; einige Ausstellungen erhielten eine Nomination für den
Swiss Exhibition Award. Dass die Grundintention der Sélection
richtig war, beweist die Kulturbotschaft 2012–2015 des Bundes, der
mit ihr die ominöse Altersgrenze von vierzig für Förderungen hat
fallen lassen.
Die Binding-Stiftung erhält Rückmeldungen, wonach unsere
Sélection d’Artistes zu einem Label geworden sei und das Ausland
die Schweiz um dieses Förderprogramm beneide. Mit Hannes Schmid
und seinem bemerkenswerten Beitrag sind es aktuell 51 Künstler,
die diese Sélection bilden. Mit der Vielfalt der künstlerischen Haltungen und der grossen Bandbreite der vertretenen Techniken markiert
sie in ihrer Summe einen faszinierenden Überblick über das heutige
Kunstschaffen in der Schweiz. Wegen der spezifischen Altersstruktur der involvierten Kunstschaffenden spannt sie gar einen Bogen
bis weit ins zwanzigste Jahrhundert zurück.
Die zehn Jahre und über fünfzig Projekte sind nun Anlass für
einen Film aus der Produktion von Richard Dindo und in der Regie
von Catherine Gfeller: Portraits d’artistes / Paroles d’artistes spiegelt
Zeugnisse von Schweizer Kunstschaffenden unterschiedlichster
Prägung. Das Kunstmuseum Bern wird im September 2013 dann
Gastgeber sein bei der Premiere dieses filmischen Dokuments über
eine lebendige Schweizer Kunstszene in drei und noch mehr Sprachund Kulturräumen.
support with their exhibits nor do we influence the recommendations. We
simply choose from the submissions by the museum directors, who are
the originators and organizers of these exhibits and their catalogues and
therefore the actual implementers of our subsidy program.
We have helped to subsidise fifty exhibits and their catalogues so
far. An up-to-date folder and the website www.binding-selection.ch provide
current information on the progress of the program. So far, two million
Swiss francs have helped to inspire fifty artist careers or to appraise the
work of fifty artists. Within the framework of these exhibits, nearly two
hundred different authors, primarily art historians, have contributed
texts to the catalogues of widely varying concepts. Several of these publications have received the award Most Beautiful Swiss Books and some
of the exhibits were nominated for the Swiss Exhibition Award. That the
basic intention of the Sélection was on the right track is proven by the
Cultural Embassy 2012–2015 of the Federal Republic, which lifted the
ominous age limit of forty for subsidies.
The Binding Foundation has received feedback indicating that
our Sélection d’Artistes has become a label and that other countries envy
Switzerland on account of this subsidy program. With Hannes Schmid
and his noteworthy contribution, this Sélection now includes 51 artists.
Representing diverse artistic styles and a large spectrum of techniques,
it presents a fascinating compilation of the contemporary art scene in
Switzerland. Due to the specific age structure of the artists involved,
it even spans a period extending well back into the twentieth century.
These ten years and fifty projects are now the occasion for a film
produced by Richard Dindo and directed by Catherine Gfeller: Portraits
d’artistes / Paroles d’artistes reflects testimonials of Swiss artists representing many different styles. The Bern Museum of Art will be the host in
September 2013 at the première of this film document about a vibrant
Swiss art scene in more than three language and cultural spaces.
Dr. Benno Schubiger, Kunsthistoriker
und Museologe, ist Geschäftsführer der
Sophie und Karl Binding Stiftung.
Dr. Benno Schubiger, art historian and
museologist, managing director of
the Sophie and Karl Binding Foundation.
Du-Sonderedition / Special Edition
Ausstellung Hannes Schmid «Real Stories»
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Du-Sonderedition / Special Edition
Hannes Schmid – Real Stories
Vom 13. März bis 21. Juli 2013 einfach Ihre
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